Ansprachen von

H. Sant Kirpal Singh Ji Maharaj

Baron Frary von Blomberg

André Zaoui

Majid Movaghar

Professor Anton Antweiler

 

 

Diese Ansprachen wurden anlässlich der

ersten Europäischen Konferenz der

„Weltgemeinschaft der Religionen“

vom 16. - 22. Februar 1966

in Paris gehalten

 

 

 

Ansprache von

S. H. Sant Kirpal Singh Ji Maharaj

Präsident der „Weltgemeinschaft der Religionen“

auf der Regional-Konferenz der Religionen

abgehalten in Paris

vom 16. - 22. Februar 1966.

 

 

Liebe Brüder und Schwestern,

 

Es ist das erste Mal, daß der Schauplatz der „Weltgemeinschaft der Religionen“ für ihre Konferenz auf diese Seite des Globus verlegt wurde. Wir hatten bisher drei Konferenzen in Indien. So ist diese, wie ihr wißt, eine vierte dieser Art. Der Gedanke, solche Konferenzen abzuhalten, ist nicht neu; weder in Indien noch hier im Westen. Solche Konferenzen dienen einem sehr nützlichen Zweck. Sie bieten uns eine Gelegenheit, zusammenzusitzen, und die wesentlichsten Dinge des Lebens zu erwägen - Dinge, von denen das Wohlergehen der Menschheit auf allen Gebieten des Lebens abhängt: materiell, moralisch und spirituell.

 

‘Seid vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist’, war die Ermahnung des Friedensfürsten Jesus von Nazareth. Sein Aufruf war universaler Natur, an den Menschen gerichtet, und gilt heute genau so wie vor 2000 Jahren, und er wird als ein Hauptprinzip auch für zukünftige Zeiten dienen. Solche erleuchteten Seelen leben im Zeitlosen, während sie in der Zeit für alle Zeiten sprechen.

 

Die Zeit ist in der Tat etwas Endloses. Sie hat weder Anfang noch Ende. Wir leben in der Zeit, teilen sie auf in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft mit endlosen Unterteilungen. In der Unendlichkeit gibt es kein Zählen der Zeit. Sie ist etwas Ewiges und Unteilbares, etwas, das in sich selbst vollständig ist und das Gesamte eines Seins umfaßt - den Geist im Menschen. Sie ist eine ewige Wahrheit, die wir zu lernen und zu verstehen haben, und der wir uns angleichen müssen, bis sie selbst die Fasern unsers Seins durchdringt.

 

Wie ihr wißt, nimmt der Mensch den höchsten Platz in Gottes Schöpfung ein. Er wird als die Krone aller geschaffenene Dinge bezeichnet. In dem unermeßlichen Universum ist sein Platz dem von Gott am nächsten. Selbst Engel und Götter wurden dazu ausersehen, Gottes Werk, dem Menschen, dienlich zu sein. Gott schuf den Menschen Ihm zum Bilde und stattete ihn mit dem Atem Seines eigenen Lebens aus. Er hat unendliche Liebe für Seine Kinder, die wir schwerlich erkennen. Sie ist unermeßlich groß und geht weit über unsere kühnsten Vorstellungen hinaus. Er hat uns diese wunderschöne Erde gegeben, um auf ihr zu leben, und versorgte uns mit zahlosen Gaben von unschätzbarem Wert, um unseren Bedürfnissen zu genügen, den Bedürfnissen des sterblichen Körpers, den wahrhaftigen Tempel Gottes, der uns gegeben wurde, um Ihn darin anzubeten und zu verherrlichen.

 

‘Wisset ihr nicht, daß ihr der Tempel Gottes seid’, sagen die Evangelien. Es ist Gottes eigene Kunde durch Seine Propheten und Messiah’s, die uns seit undenklichene Zeiten wiederholt wird. Aber so seltsam es auch scheint, neigen wir dazu, sie immer wieder zu vergessen, trotz unserer besten Bemühungen, es nicht dahin kommen zu lassen; und ständig finden wir uns äußerlich herumirrend, weit weg von Gottes Tempel. Und wenn wir uns in der Wildnis der Welt verlieren, kommt Gott im Gewand der Heiligen und Seher, um uns an unser reiches Erbe zu erinnern, das nun ein verlorenenes Gebiet für uns ist.

 

         Es war viel, daß der Mensch Gott gleich gemacht ward

         vorher;

         Aber das Gott zum Menschen ward, viel mehr.

 

                                                                    (John Donne)

 

Sagte nicht Christus, daß er gekommen war, um nach den verlorenen Schafen zu suchen? ‘Denn des Menschen Sohn ist kommen, zu suchen und selig zu machen, das verloren war.’

 

                                                                    (Lukas)

 

In der Tat sprechen alle heiligen Menschen Gottes, wie sie durch den heiligen Geist bewegt werden. ‘Die Worte, die ich zu euch rede, die rede ich nicht von mir selbst, ... sondern, wie mich mein Vater gelehret hat, so rede ich.’

 

                                                                    (Johannes)

 

Die Gotteskraft wirkt immer über und durch einen menschlichen Pol, man nenne ihn, wie man will; denn der Mensch ist notwendigerweise der Lehrer des Menschen, und zwar auf der spirituellen Ebene. Guru Nanak sagte: ‘Ich sage nichts aus mir selbst, sondern wie Gott mich zu tun heißt.’

 

Religion, wie auch immer ihre Benennung sein mag, hat einen zweifachen Aspekt: ‘Apara’ und ‘Para’. ‘Apara’ oder der äußere Aspekt der Religion befaßt sich mit der gewissenhaften und genauen Ausführung der Riten und Rituale, strenger Übereinstimmung mit den Formen und Formalitäten, zeremonieller Verehrung wie das Opferbringen vor Idolen und Standbildern, neben einer Menge anderer Dinge, um z. B. die verschiedenen Naturkräfte versöhnlich zu stimmen; Ängste, wirkliche oder eingebildete, zu lindern; Begünstigungen der einen oder anderen Art zu erlangen; Wagnisse und Gefahren zu umgehen, oder Krankheiten und Verdrießlichkeiten im Leben abzuwehren. Kurzum, in diese Kategorie fällt alles Tun, welches das Gemüt mit äußeren Bestrebungen auf der Sinnesebene beschäftigt. Sie dienen auch einem nützlichen Zweck, denn sie halten die Gemütskraft für eine Weile tätig und bis zu einem gewissen Grade in ehrfürchtiger Zurückhaltung, in der Hoffnung, göttliche Hilfe zu erlangen, oder aus Furcht, sich den göttlichen Zorn zuzuziehen, entsprechend der mentalen Vorstellung des Betreffenden. Dann kommt ‘Para’ oder der innere Aspekt der Religion. Er befaßt sich mit der altehrwürdigen Weisheit des Jenseits, wie das Wort ‘Para’ anzeigt - einer Weisheit, die weit über den Bereich des Gemüts und der Sinne liegt und aus dem inneren Menschen oder dem Geist im Menschen geboren und mit ihrm verbunden ist. Es ist ein Wissen im wahrsten Sinne des Wortes. Es ist nicht von den Sinnen abhängig und ohne sie vollendet. Es ist das Wissen, durch dessen Kenntnis man allwissend wird, denn es bleibt dann nichts übrig, das es noch zu wissen gäbe. ‘Welches ist das Wissen, durch das alles andere bekannt wird, so man es hat?’, war die Hauptfrage der Menschheit durch die Jahrhunderte hindurch. Es ist kurzum die Spiritualität, oder die Wissenschaft der Seele; ich werde gleich darauf zurückkommen.

 

Zwischen diesen beiden Aspekten der Religion liegt noch etwas anderes - die Kenntnis und Praxis der höheren Werte des Lebens, der moralischen Werte, wenn man sie so nennen will. Sie bilden eine dazwischenliegende, aber doch wesentliche Stufe, denn ohne sie können wir unmöglich zur Spiritualität gelangen. Ethisches Leben ist ein Sprungbrett zur Spiritualität. Wir können nicht die Segnungen des spirituellen Lebens haben, ohne erst einen moralischen Hintergrund praktiziert und erworben zu haben. Es würde nicht verkehrt sein zu sagen, daß beide, die ethische und die spirtuelle Seite, dicht nebeneinander laufen, denn sie ergänzen einander und keines schließt das andere aus. Das Menschliche im Menschen kann nicht zum Übermenschlichen werden, solange nicht der Geist von all dem beschränkenden Beiwerk des Gemüts und der Materie befreit wird, in das er zur Sicherheit des Kronjuwels von unschützbarem Wert so eng gewickelt und eingeschachtelt ist.

 

Nun, alle Religionen sind einer Meinung im Verkünden der höheren Werte des Lebens, denn alle sprechen von der Notwendigkeit, die Haupttugenden der Liebe, Wahrheit, Barmherzigkeit, Selbstloses Dienen und Opfern zu praktizieren. Und in der Tat gehen alle Tugenden von der Liebe aus und sind gewissermaßen nur vielerlei Widerspielgelungen der Liebe, der Quelle und dem Urspung von allem, das edel und gut ist. Liebe ist das wahre Wesen Gottes. Es ist in Seiner Liebe, in der wir leben, uns bewegen und unser Sein haben. Und da Gott den Menschen nach Seinem Ebenbild geschaffen hat und ihm Seinen eigenen Lebensodem einflößte, wie schon gesagt, ist die Seele oder der Geist nichts als ein Tropfen vom Meer der Liebe. Liebe ist darum in Gott, und im Menchen eingeboren, und wir können uns unmöglich von der Liebe trennen, denn das Leben und Licht Gottes hängen an dem göttlichen Prinzip der Liebe.

 

Hier ergibt sich die Frage - wenn Gott Liebe ist und wir ebenfalls eine lebendige Verkörperung der Liebe sind, und Liebe das Bindglied zwischen Gott und Mensch ist, warum es dann soviel Elend gibt, das wir in und um uns in der Welt sehen, in der wir immer in einem Zustand fortgesetzter Angst leben, einander mißtrauen, und hilflos und hoffnunglos wie Spreu von den Winden und Wassern des Lebens hin- und hergeworfen werden. Der Fehler liegt ganz offensichtlich an uns, nirgendwo sonst, denn trotz all unserer lauten und vernehmlichen Reden, langatmigen Bekenntnisse und Beteuerungen, den so vielen ersten Predigten von Kanzeln und Rednerbühnen haben wir nicht versucht, tief genug in den Tiefen unserer Seele zu graben, die unter der schweren Last von Gemüt und Materie erstickt, und immer mit dem Gemüt zusammen durch die Sinnesorgane in die Sinnesobjekte der äußeren Welt gleitet. Da wir von dem anmaßenden Ego besessen sind, wurde Besitzergreifen zur Besessenheit bei uns, und aus Mangel an praktisch erfahrenen Adepten - gottverwirklichte oder theozentrische Heilige - die uns praktisch auf dem Pfad der Liebe führen, sind wir nicht in der Lage, den eiseren Vorhang hinter den Augen zu durchdringen und die dahinterliegenden astralen und kauslaen Bereiche zu betreten, der Großen Wirklichkeit oder Gotteskraft gegenüberzustehen, und den Grundlosen Urgrund zu erkennen, welcher bewirkte, daß alles von Ihm ausgeht, und der als die materielle und wirksame Ursache aller Lebenserscheinungen, physisch oder metaphysische, verantwortlich ist. Auch die Schriften können uns kein richtiges Verstehen der wirklichen Lage vermitteln, zufolge ihres altertümlichen Wortlauts und der sich widerstreitenden Anmerkungen, Nebenbedeutungen und Textverbesserungen durch Schriftkundige, die aber in der inneren praktischen Erfahrung der Gottheit nicht bewandert sind, wie die ursprünglichen Autoren der Schriften es waren. Darüber hinaus pflegten jene Meister ihre Erfahrungen in Form von Aphorismen niederzuschreiben, die Erklärungen auf bloßer Verstandesebene nicht zulassen. Daher auch hier die Notwendigket eines kompetenten lebenden Meisters, der die direkte und praktische Erfahrung seines eigenen Selbst und Gottes hat und mit der esoterischen Bedeutung der früheren Schriften wohlvertraut ist.

 

Spiritualität ist im Grunde genommen die Wissenschaft der Seele. Es ist die Wissenschaft aller Wissenschaften und hat in diesem wissenschaftlichen Zeitalter auf eine wissenschaftliche Weise dargeboten und praktiziert zu werden, wenn sie als gültige Münze des Gotttesreiches in der Welt kursieren soll. „Gott ist Geist, und die, welche Ihn anbeten, müssen Ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten“. Er kannn nicht in den von Menschen geschaffenen Tempeln, Synagogen, Kirchen, Moscheen und Gurdawaras angebetet werden, sondern nur im heiligen Tempel des menschlichen Körpers, dafür bestimmt und von Gott selbst erschaffen; und in den Er den heiligen Geist gesetzt hat, den wahren Tröster, den unfehlbaren Führer, den nie versagenden Freund, der uns auf dem Pfad der Rechtschaffenheit und Redlichkeit leuchtet, wie der Psalmist sagt: ‘Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege.’ (Psalm 119, 105).

 

Der Absolute Gott ist eine Abstraktion, den keiner mit den Augen des Fleisches gesehen hat, noch wird Ihn je einer so sehen. ‘Die Augen, welche den Herrn schauen’ (Gott in seiner Ursprünglichen Offenbarung - das heilige Wort, das durch das Licht und den Ton Gottes gekennzeichnet ist), sagte Guru Nanak, ‘sind anders als die Augen, die gewöhnt sind, die sterbliche Welt der Farben und Formen zu sehen.’ Christus nannte es das ‘Einfältige Auge’ - ‘Das Auge ist des Leibes Licht. Wenn dein Auge einfältig ist, so wird dein ganzer Leib licht sein.’ (Matth. 6,22). Bei den Hindus ist es als ‘Divya-chakshu’ bekannt, und die Moslems nennen es ‘Nukti-i-Sweda’. Wenn wir die Schriften der Weltreligionen studieren, finden wir gleichlautende Hinweise auf die beiden Attribute, nämlich das Licht Gottes, denn Gott wir als der Vater des Lichts beschrieben, Swayum jyoti, Nooran-ala-Noor, das alles nur bildlich gesprochen ist, um das unpersönliche und unsterbliche Licht zu bezeichnenen, welches schattenlos und unerschaffen ist, die erste Offenbarung des Gottseins Gottes, und über das alle auf gleiche Weise gesprochen haben: Moses, Zoroaster, Buddha, Christus, Mohammed, Kabir, Nanak und andere nach ihnen, wie Soamiji Maharaj und mein geliebter Meister Sawan Singh Ji, und die es alle tatsächlich in sich selbst gesehen und verwirklicht haben und es ihren Anhängern, jedem zur gegebenen Zeit, offenbarten. Wiederum gehen vom Zentrum dieses inneren Lichtes Ströme himmlischer Musik aus, von denen mannigfach gesprochen wird als von Sruti, Naad oder Udgit, Sarosha, das heilige Wort oder der heilige Geist, Saut oder Samma, Shabd oder Naam. Es ist ‘die Stimme der Stille’, denn in der tiefen Stille der Seele, der Seele selbst wird sie hörbar. Der hörbare Lebensstrom wohnt jedem empfindenden Wesen inne, und keine Sprache kann seine melodischen Symphonien beschreiben. Wenn er durch die Gnade eines Meister-Heiligen offenbart wird, hat er ihn mit den Seelenströmen verbunden, wo sie mit einem Mal über das Körperbewußtsein erhoben werden. Nur einer, der Gott verwirklicht hat, kann das tun, kein anderer, wie gelehrt und intelligent er auch immer sein mag:

 

         ‘Aber selig sind eure Augen, daß sie sehen,

         und eure Ohren, daß sie hören.

         Wahrlich, ich sage euch: viele Propheten und

         Gerechte haben begehrt, zu sehen, das ihr

         sehet, und haben’s nicht gesehen, und zu

         hören, das ihr höret, und haben’s nicht

         gehöret.’

 

                                                                    (Matth. 13, 16-17)

 

Somit sehen wir, daß jeder Wahrheitssucher es berühren, erreichen und damit Verbindung haben kann, und dies nicht nur für sein eigenes Wohl, sondern für das der ganzen Menschheit. Es ist das einzige Heilmittel gegen alles Leiden in der Welt: die sozialen, religiösen, politischen und nationalen, die uns bedrängen und unsere bloße Existenz bedrohen. Je mehr wir von dem „Wort“ lernen und uns mit ihm verbinden, desto mehr Oasen lebenserneuernden Wassers werden im dürren Wüstensand der Zeit entstehen und diese werden die Kräfte des Bösen wirksam neutralisieren, und wir werden wahrlich den Himmel auf Erden haben, um den wir täglich, nein, stündlich beten, aber in der Tat sehen, daß der so sehr begehrte und eifrig gesuchte Himmel uns entweder flieht, oder wir wohl oder übel aus ihm vertrieben werden. Und warum dieser ganze beklagenswerte Zustand? Es ist, weil wir nicht nur die Orientierung, sondern auch den Halt an der rettenden Lebensschnur in uns verloren haben und uns nun vergebens bemühen, dem Zug nach unten zu widerstehen, indem wir uns an Strauchwerk und Sandbänken festhalten.

 

Ihr alle seid wirklich mein eigenes Selbst in so vielen verschiedenen Formen, und ich habe die Summe und Substanz von allem, was ich bisher gelernt und zu den Füßen meines Meisters praktiziert habe, zu eurem Nutzen vor euch ausgebreitet. Es ist die Essenz aller Religionen und sie liefert eine weitere gemeinsame Grundlage, wo sich alle Religionen begegnen können. Wo alle Philosophien enden, dort fängt die wahre Religion an.

 

Wir müssen darum lernen, alle Propheten, alle Religionen und alle heiligen Schriften der Welt zu achten, denn sie sind nichts als vielerlei Blumen aus dem Garten Gottes mit lieblichen Wohlgeruch. Wir sind wirklich gesegnet, eine solch reiche und mannigfaltige Erbschaft zu haben, auf die wir stolz sein können. Alles, dessen es sonst bedarf, ist, sie unparteiisch zu studieren und zu versuchen, die grundlegenden Lehren von der Ebene der Seele aus durch tatsächliche Erfahrung zu verstehen und nicht nur vom Hörensagen oder auf das Zeugnis anderer hin. Selbst Sehen heißt glauben, während Gefühle, Empfindungen und Schlußfolgerungen alle dem Irrtum unterliegen. Darum sollten wir versuchen, die innere Stimme in uns mit unseren eigenen Ohren zu hören und das innere Licht Gottes mit unseren eigenen Augen zu sehen, was besser ist, als unseren Glauben in Schein-Propheten oder falsche Propheten zu setzen, vor denen Christus in unmißverständlichen Worten gewarnt hat. Und dies alles können wir tun, während wir in unseren verschiedenen Religionsgemeinschaften verbleiben. Durch Verbindung mit dem heiligen Wort können wir uns über die engen Grenzen von Stand, Rasse und Glaubensanschauungen erheben und alle rassischen, nationalen und territorialen Schranken übersteigen, und die Wirklichkeit von Angesicht zu Angesicht sehen, um dann zum Kosmischen und überkosmischen Bewußtsein zu gelangen.

 

Nun, hinsichtlich der Vereinigung der Seele mit der Überseele. In diesem Zusammenhang hören wir vom heiligen Johannes vom Kreuz: Die Seele kann nicht die göttliche Vereinigung erlangen, bis sie nicht der Leibe der geschaffenen Wesen entsagt hat.

 

Spiritualität ist im Grunde genommen eine praktische Wissenschaft und einer, der nach Wahrheit oder Gott sucht, muß ernsthaft im Laboratorium des Gemüts arbeiten, und den Prozeß der Umkehr mittels Selbstanalyse lernen, der mit den Tod im Leben oder dem freiwilligen Tod vor dem tatsächlichen Tod verwandt ist. ‘Lerne zu sterben, damit du zu leben beginnen kannst’. Solange man dieses Leben nicht verliert, kann man nicht das ewige Leben haben. Obgleich diese ganze Sache sehr schwierig zu sein scheint, ist sie es jedoch nicht. Die Weisen und Seher zeugen davon: ‘Ich sterbe täglich’, sagte der heilige Paulus, und von Kabir wissen wir, daß er zu jeder beliebigen Zeit sterbe, wie er sagte, so, was einer getan hat, kann auch ein anderer tun, vorausgesetzt, er hat die recht Hilfe und Führung. Jeder Heilige hat eine Vergangenheit und jeder Sünder eine Zukunft. Der Erfolg in dieser Hinsicht, wie schon hervorgehoben, hängt von der Kompetenz eines lebenden Meisters ab, der, indem er seinen eigenen Lebensimpuls überträgt, eine tatsächliche Erfahrung des inneren Sehens und Hörens geben kann, selbst wenn es auf der unterste Stufe ist, denn die innere Erfahrung wird immer entsprechend der Empfänglichkeit des Einzelnene gewährt.

 

Wir sind alle Glieder der großen Menschenfamilie. Wir sind innerlich und äußerlich gleich nach unserer ganzen Anlage und Konstitution, auf der Ebene des Körpers und der Seele, da wir verkörperte Seelen, sind. Wir sind eins als Anbeter der Großen Kraft, genannt Gott, die mit so vielen Namen beschrieben wird. Dies sind die wesentlichen Übereinstimmungen, die den Verschiedenheiten der Formen und Farben je nach den geographischen und ethnologischen Bedingungen, unter denen wir leben, zugrundeliegen, ungeachtet der verschiedenen Religionsgemeinschaften, denen wir unsere Treue schulden. Die Unterschiede, welcher Art auch immer, sind nur äusserlich und berühren nicht den eigentllichen Zweck des Lebens - die Selbsterkenntnis und Gotterkenntnis. Die wesentlichen Übereinstimmungen liegen bereits in uns. Sie brauchen darum nicht erst von irgendwo im Äußeren  nach innen umgepflanzt zu werden. Wenn wir erst einmal diese grundätzlichen Übereinstimmungen erkennen und das ‘Selbst’ im Innern verwirklichen, verwirklichen wir Gott. Menschenwerk mag schwierig sein, aber Gottes Werk ist es nicht.

 

Auf meinen Reisen nach dem Westen wurde ich oft gefragt: „Wie können wir in diesem Atomzeitalter Frieden haben?“ und ich habe immer erwidert, daß wir versuchen sollten, nach dem zu leben, was unsere heiligen Schriften sagen. Es ist der einzige Weg, durch den wir den Ängsten und Schrecken der Kriege entgehen können; Kriege, die im Namen der Religion gekämpft werden - Kreuzzüge und ‘jehads’; Kriege, um gewisse Ideologien einzuführen oder zu verwerfen, und beschönigend Freiheitskriege bei den einen und Verteidigungskriege bei den anderen genannt, ohne daß die beiden Parteien genau wüßten, wovon oder gegen wen. Zuzeiten wundert man sich aber den wahnwitzigen Wettlauf in der schrecklichen Kriegsrüstung, die Stapelung nuklearer Waffen, Atombomben, Hydrogenbomben, Wurfgeschosse und Raketen. Wozu all diese zerstörerischen Vorsorgemaßnahmen, und warum? Wir befinden uns in einem sehr belastenden Wettlauf gegen die Zeit, und wenn wir dem nicht im Namen Gottes Halt gebieten, den wir alle verehren, wie wir vorgeben, können wir die über uns schwebende große Vernichtung, die uns droht, nicht aufhalten.

 

Bevor ich ende, muß ich dem französischen Land und seiner Bevölkerung meine bescheidene und tiefempfundene Anerkennung zollen. Es ist ein Land großer Menschen mit einem entschlossenen Willen, das tapfer gegen Armut und Hunger, Tyrannei und Gewaltherrschaft gekämpft hat, und der Welt Beispiele in sozialer Gerechtigkeit gab, die auf den nun weltbekannten Grundsätzen der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit aufgebaut sind. Paris hat seit Jahrhunderten den kriegsführenden Völkern der Welt einen Boden bereitgestellt, auf dem sie sich einigen konnten. Hier, an diesem historischen Ort, wurde eine ganze Reihe von Friedensverträgen von internationaler Bedeutung unterzeichnet. Verträge, die den Siebenjährigen Krieg (1768), den Krieg der Amerikanischen Unabhängigkeit (1789), die Napoleonischen Kriege (1814 und 1815) und den Krimkrieg (1856) abgeschlossen hatten. Hier war auch die Friedenskonferenz nach dem Ersten Weltkrieg abgehalten worden, die zu dem Vertrag von Versailles (1919/1920) geführt hat, und auch die Friedenskonferenz von 1946 beim Abschluß des Zweiten Weltkrieges.

 

Paris nahm seine bescheidenen Anfang von einer Befestigungsinsel an der Seine, die von einem kleinen keltischen Stamm, als Parisi bekannt, bevölkert war, und ist heute ein Hauptzentrum europäischer Zivilisation und Kultur. Die Stadt ist berühmt für ihre mehr als zwei Dutzend Nationalmuseen mit dem Louvre, der eine der schönsten Gemäldegalerien der Welt birgt. Sie hat über 100 religiöse Bauten verschiedener Religionsgemeinschaften und Nationalitäten, die den Geist der Toleranz und des guten Willens unter den Glaubensrichtugen veranschaulichen. Ich bin davon überzeugt, daß diese Konferenz, die in einer ideell gesunden Umgebung wie dieser abgehalten wird, viel zur Förderung des Friedens auf der Welt beiträgt und die Völker einander näherbringt; dabei alle Reibungsmöglichkeiten, zumindest im Namen der Religionen, ausmerzt, die im Grunde genommen eins und nur eine sind. Laßt uns die Würde des Menschen als Mensch anerkennen und als Glieder der großen Familie Gottes auf dieser Erde in liebender Freundschaft und wohlwollender Einstellung miteinander leben.

 

Ich danke Ihnen herzlich für das geduldige Zuhören, und im Namen Gottes wünsche ich Ihnen alles, das gut und edel im Leben ist. Meinen nochmaligen Dank.

 

                                                                    Kirpal Singh