Karma

Ein Brief von Meister Sawan Singh

 

In der Schöpfung sind der höchste Schöpfer und die individuelle Seele durch den Tonstrom miteinander verbunden. Aber Kal, die negative Kraft, die auch eine Schöpfung des höchsten Wesens ist, trennt die einzelne Seele von diesem Strom, indem sie als Gemüt und Form dazwischentritt.

Daher fühlt sich die einzelne Seele getrennt, doch nicht so der Schöpfer. Es gibt drei Arten von Gemüt, und diesen entsprechen drei Arten von Formen. Auf der Stufe der Kausalebene (Trikuti) bedeckt das innerste Gemüt (Nijman) oder das universale Gemüt (Brahm) den Geist oder die Seele. Die Umhüllung der Seele besteht hier aus sehr einem Gemütsstoff (Maya), so rein, daß die Mehrzahl der Suchenden den Geist nicht als getrennt von diesem vergänglichen Gemütsstoff erkennt und daher das universale Gemüt als allesdurchdringend betrachtet. Weiter unter in der Astralebene (Sahasdal Kanwal) erhalten die Formen der Kausalebene (Trikuti) weitere Umhüllungen aus Gemüt und Form, die grobstofflicher als die zuerst erwähnten sind. Die astrale Form wird hier vom astralen Gemüt (Andi Man) beherrscht.

In dieser Zonen gibt es Höllen, Himmel und zahlreiche andere Regionen (Lokas). Die Neigungen diesen Gemüts sind erhebend und nach innen gerichtet. Es verhält sich wie ein weiser Feind, der versucht, uns hier zu halten. Noch weiter unten, in der physischen Form (Pind) erhält die Astralform eine weitere Umhüllung grobstofflichen Materials, mit dem wir alle vertraut sind.

Das Gemüt, das diese Form beherrscht, wird physisches Gemüt oder Verstand (Pindi man) genannt. Seine Neigungen richten sich nach außen und zersplittern sich, und es ist sehr schwer zu beherrschen. Nur ein Körper, der von Gemüt und Seele bewegt wird, nicht anders als Ursachen (Karma) schaffen; und das karmische Gesetz „Wie du säst, so wirst du ernten“ wirkt unaufhörlich weiter, und die Rechnung wird mit der Zeit unüberschaubar. Je mehr wir bewirken, umso größer die Verstrickung, und wir sind dann wie ein Vogel, der in den Maschen eines Netzes flattert.

Die negative Kraft (Kal) hat die Fallstricke der Formen und Gemüter so listig gelegt, daß es beinahe unmöglich ist, in diesen Gemütern und Formen ihrem Einfluß zu entkommen. Es spielt keine Rolle, wie gut oder fromm wir handeln, unsere Taten können uns aus diesen Regionen nicht herausführen. Krishna sagte: „Gute Handlungen sind ebenso bindend wie schlechte. Gute Handlungen kann man mit Fesseln aus Gold und schlechte mit Fesseln aus Eisen vergleichen; beide halten uns gleichermaßen gebunden.“ Ein Entkommen ist nur durch den Tonstrom möglich, da er die Grundsubstanz ist, aus der die Gemüter bestehen.

Das Gemüt wird nur ruhig und untätig, wenn die Aufmerksamkeit den Tonstrom ergreift und ihm folgt. Zu jeder anderen Zeit, wenn die Aufmerksamkeit nicht auf den Tonstrom gerichtet ist, gewinnt das Gemüt die Oberhand. Während der langen und unabsehbaren Zeit, seilt sich der Geist von dem Meer (aus dem er stammt) getrennt hat und sich mit den Gemütern und Körpern verband, wurde nicht nur der Weg nach ober versperrt, sondern auch der Geist so verwirrt, verstrickt und entkräftet, daß er seine ganze Erinnerung an die Heimat verloren hat und damit zufrieden ist, in dieser erbärmlichen materiellen Welt ein erbärmliches Leben zu führen.

Es gibt also zwei Standpunkte, von denen man aus die Schöpfung betrachten kann: den des Schöpfers und den unseren, oder mit anderen Worten den vom oberen und dem vom unteren Ende. Von ober sieht es aus, als sei der Schöpfer alles in allem. Er ist der einzig Handelnde, und das Individuum gleicht einer Puppe, die vom Puppenspieler nach rechts oder nach links bewegt wird. Der einzelne scheint keinen freien Willen zu besitzen und daher auch keine Last der Verantwortung.

Es ist Gottes Spiel. Da gibt es kein Warum und Wofür. Alle Heiligen beschreiben die Schöpfung, wenn sie von oben auf sie blicken, als Seine Offenbarung. Sie sehen Ihn überall wirken. Wenn wir die Sache nun von unten oder aus der Sicht des einzelnen betrachten, begegnet uns Vielfalt im Gegensatz zur Einheit.

Jeder scheint durch seinen eigenen Willen zu wirken. Außerdem wird er von anderen beeinflußt und wirkt selbst auf andere ein, mit denen er in Verbindung kommt. Das Individuum ist der Handelnde und daher für seine Taten und deren Folgen verantwortlich. Seine ganzen Handlungen werden im Gemüt und dem Gedächtnis aufgezeichnet und rufen Zuneigung und Abneigung hervor, die ihn an die materiellen, astralen oder mentalen Bereiche gebunden halten, wie es seinen früheren Handlungen im Kreislauf der Seelenwanderung entspricht. In diesen Regionen kann der einzelne nicht anders als handeln, und wenn er etwas getan hat, kann er den Auswirkungen dieser Tat nicht entgehen. Der einzelne ist der Handelnde und muß daher die Folgen seiner Taten auf sich nehmen.

Wie oben gesagt, unterscheiden sich die Beobachtungen durch ihren unterschiedlichen Standpunkt. Beide sind richtig. Das in grobe materielle Gestalt gekleidete Individuum sieht nur die äußeren körperlichen Formen. Sein Blick dringt nicht tiefer. Wenn sich der Mensch erheben würde, könnte er von der Astralebene aus sehen, wie das Gemüt alle Formen bewegt. Die Form ist nur zweitrangig, das Gemüt ist die bewegende Kraft, die hinter allem steht. Von der Superkausalebene aus wird das gleiche Individuum den Geistesstrom überall wirken sehen und erkennen, wie das Gemüt seine Kraft von der Seele erhält.

Von der fünften spirituellen Ebene (Sach Khand) aus betrachtet, kann man die ganze Schöpfung mit Blasen vergleichen, die in einem spirituellen Meer entstehen und wieder vergehen. Der Mensch besitzt einen Verstand und vollbringt jede Handlung wissentlich. Es ist daher seine Pflicht, einen Ausweg aus dieser Verstrickung zu finden. Er muß gegen das Gemüt kämpfen, um seinen Geist zu erheben, denn er lebt durch den Kampf.

Und wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg. Er kann nicht sagen, daß das nicht ein Teil seiner Pflicht sei.

Nun teilt man die Karmas in drei Gruppen ein: neue Handlungen (Kriyaman), Schicksal (Pralabdh) und Vorrat (Sanchit), das heißt Handlungen, die noch nicht Frucht getragen haben. Man kann es mit der Lage eines Bauern vergleichen: Er bereitet sein Land für die Saat und hat die freie Wahl zu säen, was immer er will. Nehmen wir an, er entscheidet sich für Weizen und sät ihn. Das Getreide reift heran, und er erntet es. Einen Teil davon behält er für seinen Verbrauch im kommenden Jahr zurück, und den Überschuß bewahrt er auf. Während des nächsten Jahres wird er von Weizen leben müssen, denn er hat nichts anderes.

Wenn er nun etwas anderes ernten möchte, sagen wir einmal Mais, kann er ihn im nächsten Jahr säen. Wie beim Weizen behält er etwas für seinen Gebrauch und bewahrt den Überschuß im Speicher auf. Jahr für Jahr lebt er von dem, was er im vergangenen Jahr zurückbehalten hat und vergrößert seine Reserve im Speicher, um sie bei einer Mißernte oder in Notzeiten in Anspruch zu nehmen.

Ihr seht, daß er von dem lebt und zu leben hofft, was er selbst sät und erntet. Genauso bestimmt alles was wir in diesem Leben tun, das Schicksal unserem nächsten Lebens; und die negative Kraft (Kal) bewahrt etwas davon auf für den Fall, daß unser Karma durch einen Zufall zur Neige gehen sollte (natürlich ist die Wahrscheinlichkeit gleich null). Ohne Karma kann die negative Kraft einen Geist nicht im Körper gebunden halten, und ohne Körper kann man kein Karma bewirken.

Es steht der negativen Kraft frei, dem Schicksal etwas aus dem Vorrat hinzuzufügen oder dem Schicksal für den Vorrat abzuziehen. Wie der Bauer, der sein Land für die nächste Saat bereitet, von dem lebt, was er im Jahr davor geerntet hat, und auf seinen Vorrat vertraut, handeln wir gemäß unserem Schicksal, das uns keine Wahl läßt. Aber wir haben die Wahl, für unser zukünftiges Wohlergehen nach unserem Belieben etwas Neues zu bewirken. Und wir haben keine Rücklage, einen Vorrat aus vergangenen Leben, von dem wir nichts wissen. Wir wirken daher gegenwärtig auf zweifache Weise: a) Was unser Schicksal betrifft sind wir hilflos; b) doch bei neuen Handlungen haben wir die freie Wahl, was wir für die Zukunft säen wollen. Es ist nicht einfach für den einzelnen, allein mit dem Verstand zwischen diesen beiden Arten von Handlungen zu unterscheiden. Aber man kann folgende grobe Regel aufstellen: Das was trotz unserer Bemühungen und unser Dazutun geschieht, ist Schicksal. Doch jene, deren Aufmerksamkeit konzentriert ist und die Zugang nach innen haben, können ihr Schicksal leicht lesen. Es ist ein offenes Buch für sie.

Im physischen Körper gehen die Handlungen vom Herzzentrum aus. Solange das Gemüt hier gesammelt ist (beim gewöhnlichen Menschen ist das Herz das Zentrum der Gemütstätigkeit), wird der Mensch von Gemütsbewegungen beeinflußt. Er nimmt die Empfindungen von Freude und Trauer wahr, da das Gemüt den Körper von diesem Zentrum aus bewegt. Wenn der Geist durch Konzentration zum Augenbrennpunkt erhoben wurde, oder mit anderen Worten, wenn die Aufmerksamkeit ihren Sitz oder ihr Zentrum vom Herz zu den Augen verlagert hat, dann werden die durch äußere Einflüsse hervorgerufenen Gefühle, die sich auf den physischen Körper auswirken, nur mehr unmerklich wahrgenommen.

Die Freuden der Welt werden einen solchen Menschen nicht erheben, und ihre Sorgen werden ihn nicht betrügen. Die Schicksalshandlungen sind im achtblättrigen Lotos auf der Astralebene (Anda) über den Augen gespeichert. Solange man dieses Zentrum nicht überschritten hat, empfindet man ihren zwingenden Einfluß. Wenn man dieses Zentrum überschritten hat und die Gestalt des Meisters erblickt (denn diese Form wohnt dort), wird der Einfluß der Schicksalshandlungen nur mehr dem Namen nach wahrgenommen. Das Gemüt ist dann stark geworden und hat die Kraft, sie ohne Anstrengung zu ertragen.

Aber das Schicksal kann nicht ausgelöscht oder geändert werden; man muß es ertragen. Hat der Pfeil den Bogen verlassen, muß er sein Ziel finden. Die Handlungen, die sich noch nicht ausgewirkt haben, sind am höchsten Punkt der Kausalebene (Trikuti) gespeichert, und nur wenn eine Seele die dritte Gemütsebene oder die Kausalebene überschritten hat, kann man sagen, daß sie von allem karma frei ist. Unterhalb dieser ebene leidet der Geist durch die schlechten Auswirkungen des Karmas.

Allen Handlungen liegt ein Motiv zugrunde, und dieses Motiv ist bindend. Es ist nicht leicht, sich eine Handlung vorzustellen, die ohne Beweggrund ausgeführt wird. Das Gemüt wirkt bewußt der unbewußt, und es ist lächerlich, von Handlung (Karma) ohne Rückwirkung (Gegenkarma) zu sprechen. Es gibt kein Entkommen vor den Rückwirkungen. Wie gut unsere Handlungen auch sein mögen, ihren Folgen können wir nicht entrinnen. Nächstenliebe, Opfer oder Pilgerfahrten müssen belohnt werden, und die Seele, die sie bewirkt, muß den Lohn in der einen oder anderen Verkörperung empfangen.

Der Mensch wird mit einer Lebensspanne wiedergeboren oder verkörpert, die durch die karmischen Auswirkung seines vergangenen Lebens bestimmt ist, „nicht mehr und nicht weniger“. Christus sagt: „Deine Tage sind gezählt.“ Die Länge unseren Lebens ist durch die Zahl der uns zugemessenen Atemzüge bestimmt. Ihr rechter Gebrauch oder Mißbrauch kann unser Leben auf Erden verlängern oder verkürzen. Normalerweise atmet man etwa 14 oder 15 mal in der Minute, aber in leidenschaftlichen Augenblicken atmet man 24 bis 26 mal in der Minute. Auf diese Weise verbraucht man die einem zugemessene Zahl an Atemzügen in einer kürzeren Zeit. Führt man jedoch ein enthaltsames Leben und widmet den spirituellen Übungen Zeit, verringert sich die Anzahl der benötigten Atemzüge auf vier bis sechs pro Minute. Auf diese Weise wird das Leben verlängert. Die Yogis lenken monate- und manchmal jahrelang ihren Atem durch eine Yoga- Übung (Kumbhak), bei der die Einatmung zeitlich ausgedehnt wird, und verlängern dadurch ihr Leben um Hunderte von Jahren.

Doch durch den Schutz, den einem die Heiligen gewähren, kann man seinem Karma entrinnen. Sie selbst sind ohne Karma. Ihre Handlungen binden sie nicht, denn ihr Geist wirkt, wie eben beschrieben, von der Superkausalebene aus, einem Zentrum über den drei Bereichen des Gemüts und der Form. Sie zeigen uns den Ausweg.

Sie sagen, daß wir alle weiteren Handlungen im Namen des Meisters ausführen sollen, wobei der einzelne in der Eigenschaft eines Beauftragten handelt. Die neuen, in diesem Geist bewirkten Handlungen werden uns nicht mehr binden. Und die Auswirkungen der Handlungen, die unser Schicksal bestimmten, werden zur Zeit unseres Todes abgetragen sein. Die Wirkungen der aufgespeicherten Handlungen nehmen die Heiligen teilweise auf sich, und zum Teil muß sie der Ergebene erdulden, so wie der Heilige es für richtig hält. Die Heiligen verbinden die getrennte Seele mit dem Tonstrom, unserem Urgrund, und wenn die Seele ihn ergreift, sich erhebt und sich von den Einflüssen des Gemüts und der Materie befreit, wird sie immer stärker. Je mehr sich der einzelne auf diese Weise bemüht, um so leichter ist der Pfad für ihn. Anderenfalls wird sein Weg länger. Aber haben die Heiligen jemanden einmal initiiert, sind sie verpflichtet, ihn hindurchzubringen. Das Hören auf den Tonstrom schneidet die Wurzeln des Karmas ab.

Der Strom wirkt auf den Geist wie ein Magnet. Er zieht den Geist an sich, und wenn er nicht vom Rost des Gemüts und der Materie bedeckt wäre, stiege er auf wie ein Geschoß. Der Rost von Bindungen und Eindrücken wird durch Wiederholungen beseitigt. Die Wiederholung von Gedanken über die innere Reise (Simran) ersetzt unsere alltäglichen Gedanken, und anstatt im Äußeren umherzuwandern, beginnt das Gemüt im Inneren Ruhe und Frieden zu finden; und wenn das Gemüt ins Innere tritt, folgt ihm der Geist, und wenn dieser nach innen gelangt, zieht ihn der Tonstrom wiederum nach oben. Und hat er die Kausalebene (Trikuti) überschritten (was nur gelingt, wenn allen karmischen Rechnungen beglichen sind), dann kehrt die Seele nie wieder in den Kreislauf der Seelenwanderung zurück. Sie steigt auf, um in ihrem Meister aufzugehen.