Ahimsa – Nichtverletzen
Ahimsa bedeutet, kein Lebewesen in Gedanken, Worten
oder Taten zu verletzen; das gilt besonders für unsere Mitmenschen – nach dem
Grundsatz: „Verletze kein menschliches Herz, denn Gott wohnt darin.”
Nichtverletzen ist eine Eigenschaft, die den Menschen veredelt und ihn seine
Mitmenschen als gleich betrachten läßt. Sie führt zur Bruderschaft der Menschen
unter der Vaterschaft Gottes. Diese Eigenschaft verlangt, daß man gegenüber
allen umfassende Toleranz entwickelt, ungeachtet ihrer Fehler und Schwächen.
Das hohe Prinzip der Menschheitsfamilie – auf der Grundlage liebevoller und
mitfühlender Wünsche für das Wohlergehen aller – in seinem Verhalten
auszustrahlen, kostet sehr wenig, zählt aber sehr viel. In einem Herzen voll
göttlichem Mitgefühl finden sich alle guten Eigenschaften. Vor allen Dingen möchte ich euch nachdrücklich
einprägen, daß ihr aufhört, schlecht über andere zu denken. Solange ihr einen
Feind nicht zu eurem Freund macht, könnt ihr innerlich keinen Frieden finden,
und euer Schlaf wird voll unruhiger Träume sein. Wenn jemand schlecht über euch
denkt oder spricht, folgt seinem Beispiel nicht, sonst haben seine Gedanken
eine Auswirkung auf euch: Eine Welle, die gegen eine harte Fläche schlägt,
prallt zurück. Doch wenn sie auf etwas Weiches trifft, wird ihr die Wucht
genommen – wie bei einem Schwamm, der das Wasser einfach aufsaugt – die
verletzende Rückwirkung bleibt aus. Jemand sagt ein böses Wort – wenn es
vergolten wird, werden daraus viele böse Worte. Was aber ist, wenn es nicht
zurückgegeben wird? Es bleibt nur bei dem einen. Erinnern wir uns an den
Ausspruch Farid Sahibs: „Ihr tanzt nach der Melodie der Welt.” Es ist besser,
mit kühlem Kopf zu versuchen, zwischen den Zeilen zu lesen, um herauszufinden,
warum jemand so feindselig ist, und sich dann entsprechend zu verhalten. Auf
diese Weise bewahrt man sich selbst vor Erniedrigung, denn schlecht über
jemanden zu denken oder zu sprechen, zu lügen oder zu betrügen, unaufrichtig zu
sein, zu verleumden und anderen schlechten Neigungen nachzugeben, erniedrigt
die Seele. Haltet euer Herz rein, und da Gott in jedem wohnt, versucht, nur das
Beste in allen zu sehen. Jesus lehrte immer die zwei Haupttugenden: „Liebe
deinen Nächsten wie dich selbst” und „Liebe deine Feinde”. Bedeutet dies nun, daß man aus Ängstlichkeit
oder Schwäche seine Feinde lieben und ihnen verzeihen soll? Nein – es ist eine
hohe Moral, etwas Göttliches, das dieser Einstellung zugrunde liegt. Liebt also
den Sünder, aber haßt die Sünde. Es gibt nichts Böses in der Welt. Erscheint etwas
als böse, liegt das an den rauchgefärbten Brillengläsern, durch die unser Herz
oder Gemüt die Dinge sieht. Ihr werdet sehen: Wenn ihr euch diese Denkweise zu
eigen macht, die ich euch eben darlegte, dann entwickelt ihr einen natürlichen
Respekt und Liebe für jeden, sogar für die, die euch hassen. Sie mögen anders
über euch denken, doch wenn ihr in euch alle schädlichen Gedanken ihnen
gegenüber verjagt habt, werdet ihr aus dem Blickwinkel – den ihr durch den
Meister erhaltet – erkennen, daß alles um euch herum eine Offenbarung Gottes
ist. Wie von selbst wird dann alles schön. Und diese Schönheit werdet ihr
selbst in eurem Gegner entdecken. Eine verkehrte Sichtweise ist lediglich das
Ergebnis unserer rauchgefärbten Brille. Begeht jemand einen Fehler, vergebt ihm. Doch die
Menschen ziehen Gerechtigkeit dem Verzeihen vor. Denkt daran – durch
Gerechtigkeit wird unser Herz niemals rein. Äußerlich mag man beteuern, daß man
verzeiht. Im Herzen aber möchte man gegen den, der uns angegriffen hat,
vorgehen und ihn in seinem Innersten treffen. Wie kann jemand, der kein
Erbarmen kennt, ernsthaft vorgeben zu verzeihen? „Vergeben und Vergessen” muß
man im Denken, Reden und Handeln praktizieren, so daß es zum festen Bestandteil
unseres täglichen Lebens wird. Liebe kennt kein Kritisieren, kein Ausnützen,
kein Großtun, kein abfälliges Reden über die Fehler der anderen, sondern wirkt
ganz und gar aufbauend, indem sie alle im Meister vereint – Liebe verschönt
alles. Wir müssen alle lernen, nach innen zu schauen und
nicht nach außen. Es ist viel einfacher, den Splitter im Auge des anderen zu
sehen als den Balken im eigenen Auge. Wir müssen uns selbst ändern, bevor wir
andere ändern können, doch leider sind wir immer danach aus, andere zu
reformieren. Wir sollten alle unsere Unzulänglichkeiten eine nach der anderen
durch Selbstbeobachtung ausmerzen, und das wird allen Frieden bringen. Liebe
verschönt alles, und wenn wir lernen, jeden zu lieben, können alle unsere
Unzulänglichkeiten weggewaschen werden – besonders durch liebevolle Worte.
Freundliche Worte voller Demut kosten nichts. Ich denke, wenn ihr eine solche
Lebenseinstellung habt, lassen sich neunzig Prozent eurer Schwierigkeiten
vermeiden. Nach und nach werdet ihr größere Kontrolle über eure Gefühle und
Emotionen wie Eitelkeit, Habgier und Lust bekommen und stattdessen Tugenden wie
Demut, Genügsamkeit, Reinheit und Liebe entwickeln. Ihr werdet die Gewohnheit,
andere zu richten, aufgeben und beginnen, euch auf ihre Fehler und
Unzulänglichkeiten einzustellen, indem ihr darüber hinwegseht oder indem ihr
ihnen konstruktive Hilfe gebt. Dadurch werdet ihr euch selbst und den anderen
um euch viel Sonnenschein und Freude bringen. Wenn ihr einmal ruhig und
nüchtern darüber nachdenkt, werdet ihr feststellen, daß die meisten von uns
noch nicht vollkommen sind. In dieser großen Schöpfung wurde jeder mit einer
ganz individuellen Empfindung beschenkt. Die Erbanlagen, die Umgebung und das,
was der Mensch gelernt hat, machen ihn zu dem, was er ist. Wir können niemandem
einen Vorwurf machen, wenn er anders denkt und die Dinge auf seine eigene Weise
sieht. Jeder hat sein eigenes Temperament und seine eigene Art zu denken. Sie
müssen (von Mensch zu Mensch) verschieden sein, und sie unterscheiden sich in
der Tat beträchtlich, das ist nicht zu ändern. Andererseits ist eben das ein
Zeichen des empfindenden Lebens. Deshalb brauchen wir uns noch lange nicht zu
streiten. Selbst wenn andere in ihrer Unwissenheit manchmal schlecht über die
spirituellen Lehren sprechen und herbe Worte gebrauchen – sie wissen es nicht
besser. Doch sollte das aufrichtige Wahrheitssucher nicht aus der Ruhe bringen.
Wir müssen höflich und freundlich sein und ein bescheidenes Benehmen haben.
Wortgefechte helfen niemandem. Wir können versuchen, eventuelle
Mißverständnisse zu beseitigen – sanft und freundlich, nicht in einer
feindseligen Haltung. Eine genaue Betrachtung des Problems würde zeigen,
daß wir normalerweise nicht beunruhigt oder verärgert sind, solange alles mit
unseren Wünschen übereinstimmt. Sobald wir aber bemerken, daß unsere Interessen
durchkreuzt oder unsere Gefühle verletzt werden, beginnt eine Kette von
Reaktionen, die zu Verletzen in Gedanken, Worten oder Taten führt, entsprechend
der körperlichen, geistigen oder moralischen Verfassung des einzelnen. Wir streben danach, Gott zu erkennen, Gott, der in
allen Lebewesen wirkt, den alle als den Einen verehren, auch wenn Er mit
verschiedenen Namen bezeichnet werden kann. Er ist die große beherrschende
Kraft, die alle Seelen im Körper hält: wenn Er sich zurückzieht, müssen auch
wir gehen. Wenn jemand diese Tatsache wirklich versteht, wie kann dann das
Problem entstehen, daß wir andere hassen? Wo Mitgefühl ist, ist Religion. Wo
Begierde ist, ist Sünde. Wo Ärger ist, ist Ablehnung. Wo Vergebung ist, ist
Gott selbst. |