7. Kapitel

Initiation

Frage: Bitte erklärt, was Initiation ist.

Der Meister: Initiation ist ein genau definierter Begriff. Er bedeutet, eine Person in die Grundwahrheiten oder Lehren einer Wissenschaft einzuführen. Es ist nicht lediglich ein äußeres, mündliches Erklären der Sache; es hat auch einen tieferen Sinn. Das Wort vermittelt den Gedanken, in das Leben und den Geist dessen, was erklärt wird, aufgenommen zu werden. So hat Initiation einen doppelten Aspekt: den theoretischen und den praktischen. Zuerst kommt das klare Verstehen der wahren Bedeutung von dem, was diese Wissenschaft lehrt, und dann ein praktischer Beweis der Wahrheiten, in denen man unterwiesen wurde. In der Heiligen-Terminologie ist die tatsächliche Übertragung des Lebensimpulses durch einen Meister-Heiligen gemeint, denn nichts Geringeres als das zählt in der Wissenschaft der Seele oder des Geistes, die ein lebendiges Prinzip ist.

Frage: Welches sind die wesentlichen Vorbedingungen für die Initiation? 

Der Meister: Ein starkes Verlangen, den Herrn während der Lebenszeit zu finden, ist die erste und wichtigste Voraussetzung für die Initiation. Suchet, so werdet ihr finden, ist das Gesetz. Als nächstes kommt das strikte Einhalten der Ernährungsvorschriften, wobei alles, was Fleisch, Fisch, Geflügel, Eier (befruchtet oder unbefruchtet), Alkohol, Berauschungs- und Aufputschmittel enthält, zu meiden ist. An letzter Stelle, aber von keinesfalls geringerer Bedeutung, ist schließlich ein Leben der Rechtschaffenheit (rechtes Denken, rechte Rede und rechtes Tun), Enthaltsamkeit und Keuschheit zu nennen, die Schrittsteine auf dem Weg zur Spiritualität sind. Jeder Heilige hat eine Vergangenheit und jeder Sünder eine Zukunft. So verkünden es die Heiligen. Man muss über seine Vergangenheit hinwegkommen und sie vergessen, wie sie auch immer sein mag, und unentwegt darum bitten und danach streben, einen Adepten zu finden, der einen zu Gott führen kann.

Frage: Ist die Initiation durch das Schicksal vorgesehen oder vorherbestimmt?

Der Meister: Ja, es ist im Rahmen des göttlichen Plans vorgesehen und vorherbestimmt, dass durch jeden Meister in der Zeit seines Wirkens gewisse Seelen angenommen und initiiert werden, und sehr oft kommt es vor, dass solche angenommen werden, die dessen, wie es scheint, unwürdig sind.

Frage: Warum wird die Initiation für den inneren spirituellen Fortschritt als so notwendig angesehen?

Der Meister: Brauchen wir nicht für das Studium jeder auf Erfahrung beruhenden Wissenschaft - Ingenieurwesen, Medizin, Technologie, Industrie oder Landwirtschaft - einen Lehrer? Die spirituelle Wissenschaft ist ein sich in hohem Maße von selbst aufdrängendes Gebiet und hat es mit der Welt des Jenseits zu tun. Die Sinnesorgane, die Sinne selbst, das Gemüt und der Verstand fassen es nicht und sind auch nicht dazu fähig, denn dieses ganze begrenzende Beiwerk versagt, wenn es darum geht, das Grenzenlose zu ermessen und zu begreifen. Hier muss die Seele von allem, was persönlich ist, frei werden und hat die Umhüllung des irdischen Wesens abzulegen und eine reine Seele zu werden, ehe sie die Wahrheit, die weder Form noch Gestalt hat, erfahren kann. Es ist mehr eine Sache der Praxis als irgend etwas anderes; darum muss man sich einem Prozess der Selbstanalyse unterwerfen und durch allmähliche Umkehr und ein Zurückziehen der Sinnesströme vom Körper über sich selbst hinausgelangen. Um ein übersinnliches Thema, das ungeschrieben und unausgesprochen ist, gänzlich zu verstehen und erfolgreich zu praktizieren, muss man notwendigerweise die Hilfe eines Adepten (Murshid-i-Kamil oder Meisterseele) suchen, der sowohl mit der Theorie als auch der Praxis des Para Vidya voll vertraut und kompetent ist, die Seele des Menschen vom Körper zu befreien, das Menschliche in ihm zum übermenschlichen zu machen und ihn auf den Berg der Verklärung zu führen, damit er der Wirklichkeit von Angesicht zu Angesicht gegenübersteht. Wiederum sind die inneren spirituellen Ebenen so zauberhaft, verwirrend und gewaltig, mit einer Fülle verschiedenster Verlockungen, dass man sie ohne die aktive Hilfe des Meisters nicht überqueren kann.

Frage: Erklärt bitte die Wichtigkeit der Initiation.

Der Meister: Die Initiation von einem vollendeten lebenden Meister sichert uns das Geleit in unbekannte Reiche durch einen, der diese Regionen selbst häufig besucht. Er kennt die Aufsicht führenden Gottheiten oder Kräfte der einzelnen Ebenen, leitet den Geist Schritt für Schritt, gibt ihm bei jeder Biegung und Krümmung des Pfades seinen Rat, warnt vor jeweils lauernden Gefahren und hat für alles, was man wissen möchte, eine genaue Erklärung. Er ist ein Lehrer auf allen Seinsebenen: ein Guru auf der irdischen Ebene, ein Guru Dev (strahlende Astralform) in den astralen Welten und ein Satguru in den rein spirituellen Regionen. Wenn jemand in diesem Leben auf der einen oder anderen Stufe versagt, ist sein langer und starker Arm immer gegenwärtig, um uns zu helfen, und dies sowohl hier als auch, wenn wir diese irdische Ebene verlassen. Er leitet die Seele ins Jenseits und steht ihr selbst vor dem Richterstuhl Gottes bei.

Frage: Hat jeder ein Anrecht auf die Initiation?

Der Meister: Nein, nicht jeder hat ein Anrecht auf die heilige Initiation in die Mysterien des Jenseits.

Frage: Ist die Initiation, wenn sie durch einen bevollmächtigten Repräsentanten des Meisters vermittelt wird, in jeder Hinsicht gültig?

Der Meister: Ja, die Initiationsanweisungen, die durch einen rechtmäßig autorisierten Repräsentanten des Meisters gegeben werden, sind in jeder Hinsicht gültig. Der Prüfstein ist die innere Ersthand-Erfahrung vom heiligen Licht Gottes und dem hörbaren Lebensstrom bei der Initiation. Dies sind die beiden Astralformen der Meisterkraft, und wenn sie einer durch persönliche Erfahrung erreicht, indem er sich über das Körperbewusstsein erhebt, kann es über ihre Gültigkeit und Wirksamkeit keinen Zweifel geben.

Frage: Ist jeder Initiierte in der Lage, während des Schlafs auf den höheren Ebenen zu wirken, selbst wenn er sich dessen beim Aufwachen nicht bewusst ist?

Der Meister: Nein, es ist nicht jedem Initiierten möglich, während des Schlafs auf höheren Ebenen zu wirken. Es sollte genau verstanden werden, dass sich die Seele im Wachzustand an ihrem Sitz auf der Rückseite hinter den Augenbrauen befindet. Zur Zeit des Schlafs gleitet sie jedoch ins Kehlzentrum ab, wo man träumt, während dieselbe Seele im Tiefschlaf zum Solarplexus am Nabel hinuntergeht. Es ist nur fortgeschrittenen Seelen möglich, deren Körper zwar schläft, deren Seele aber bewusst bleibt und sich mit der Gnade des Meisters der inneren spirituellen Dinge erfreut. Bei disziplinierten Initiierten kommt es vor, dass ihre Seele während des Schlafs ins Jenseits zurückgezogen wird und sie die inneren Flüge in einem bewussten Zustand erleben können. Für sie besteht zwischen Schlaf und Wachsein kein Unterschied.
Frage: Wenn man große Liebe für Verwandte hat und ihnen das höchste Gut der Welt wünscht, kann man dann zum Meister beten, dass die Person die Initiation erhalten möge, oder ist das ein vor dem Tod festgelegtes Schicksal, das durch nichts geändert werden kann?

Der Meister: Es ist in spiritueller Hinsicht immer segensreich für die Initiierten, Mitgefühl auszustrahlen, damit ihre Lieben zum Zweck der heiligen Initiation zum Meister finden. Das Schicksal jedes Menschen ändert sich durch tugendhafte oder üble Taten in jedem Augenblick. Der heilige Pfad der Meister steht allen offen. Es sollte aber verstanden werden, dass es an der Entfaltung eines besonders edlen Karmas aus früheren Lebensläufen liegt, wenn das innere Verlangen der Seele nach spiritueller Erleuchtung stark wird; und jene Lieben, die aus solchen Gegebenheiten Nutzen ziehen, indem sie sich aufs äußerste bemühen, werden auf den heiligen Pfad gestellt, während andere sich einfach treiben lassen und so auf eine bessere Gelegenheit in der Zukunft warten müssen. Es gibt einzelne Fälle, wo aufrichtige Sucher Meister sahen und die Initiation erhielten, auch ohne einem physisch begegnet zu sein.

Frage: Was bedeutet es, wenn ein Initiierter lebhafte und furchterregende Träume hat?

Der Meister: Träume ergeben sich aus Erinnerungen von früher Gehörtem, Gesehenem, Gelesenem oder schlimmen Gedanken, die man gehabt hat. Furchterregende Träume sind gewöhnlich einer Verdauungsstörung zuzuschreiben, vielleicht einem schlechten Magen, der durch eine einfache Behandlung kuriert werden kann. Lebhafte Träume zeigen Klarheit der inneren Schau an, wobei sich manche Menschen ganz deutlich ihrer Träume erinnern können, andere hingegen nicht.

Frage: Können die Initiierten den Meister beeinflussen?

Der Meister: Liebe und Sehnsucht, die aus den innersten Tiefen des Herzens kommen, bewegen die göttliche Gnade, und der Herr hat bestimmt, dass das Kind bekommen soll, worum immer es bittet. Wenn es etwas möchte, was sich in Wirklichkeit als Gift erweist und weder für es selbst noch für andere gut ist, wird er nicht einwilligen, es zu geben. Der Meister weiß darum und gibt das, was im Interesse des Kindes am besten ist. Das Kind kann es sich anders vorstellen, doch wenn es die innere Wirklichkeit schaut, mag ihm erlaubt werden, mehr Dinge zu erkennen. Bis dahin ist es seine Pflicht, unbedingt so zu handeln, wie es der Meister angeordnet hat. Jene, die dem Meister ehrlich anhängen, können alles gewinnen. Sie werden in die Bereiche gelangen, in die der Meister geht, und imstande sein den Weg zu beschreiten, während sie in der Welt leben; doch sie müssen ihr natürliches Geben und Nehmen in der materiellen Welt zur festgelegten Zeit beenden, um sich dann frei in die höheren Regionen zu begeben.

Frage: Sind alle Initiierten spirituell miteinander verbunden?

Der Meister: Ja, mehr als Blutsverwandte, denn sie sind dazu bestimmt, ihre wahre Heimat zu erreichen und sich, wenn es soweit ist, dort zu begegnen, wo alle mit der ursprünglichen Quelle eins werden. Das ist wahre Verwandtschaft, die niemals zerbricht.

Frage: Ist es notwendig, dass Initiierte üble Wesen sehen?

Der Meister: Es ist unzutreffend, dass du in deinem Heim üble Wesen sehen musst. Du kannst sicher sein, dass jene, die in die heilige Herde aufgenommen wurden, den seltenen Vorzug der fünf kraftgeladenen heiligen Namen erhalten haben, die ein sicherer Notanker gegen alle widrigen Erscheinungen sind. Der hörbare Lebensstrom ist ein Schild für den Initiierten, und selbst der Todesengel fürchtet seine Gegenwart und kann dem ergebenen Schüler des lebenden Meisters nichts anhaben.

Frage: Wenn man die Schlüsselworte von einem anderen erhält und von sich aus zu meditieren beginnt, wird es dann nicht möglich sein, inneren Fortschritt zu machen?

Der Meister: Du meinst, wenn einer von jemand anderem als einem Adepten die Schlüsselworte hat oder sie irgendwo aufnimmt und von sich aus anfängt zu meditieren, ob es dann Frucht trägt? Bestimmt nicht, denn er wird in dem Fall wie in Papagei, ohne ihren Sinn zu kennen, ein paar Worte wiederholen, die keine Kraft in sich haben. Es ist die Gedankenübertragung oder der persönliche Lebensimpuls eines vollendeten Meisters, der die Worte auflädt und sie zu Schlüsselworten macht, mit denen die Wohnungen des Herrn geöffnet werden.

Frage: Wenn der Meister, nachdem er den Schüler initiiert hat, die physische Ebene verlässt, ist dann die Initiation für die verbleibende Lebenszeit weiterhin gültig?

Der Meister: Ja, die heilige Initiation, die von einem kompetenten lebenden Meister gewährt wird, bleibt für alle Zeit, nicht nur auf der irdischen Ebene, sondern auch im Jenseits voll gültig.

Frage: Ist es für die Initiierten des Meisters nicht notwendig, eine weitere Initiation vom nächsten lebenden Meister zu erhalten, aus dessen Satsang sie Vorteil ziehen sollen?

Der Meister: Nein, es ist ganz und gar nicht notwendig, nach dem Weggehen des Meisters, der einen anfänglich initiierte, eine weitere Initiation zu erhalten. Es ist seine alleinige Verantwortlichkeit, die einmal von ihm initiierte Seele in die Heimat des Vaters zurückzuführen. Für irgendeine zusätzliche Führung oder für Satsangzwecke mag man sich der Gemeinschaft des Meisters erfreuen, der ihm auf der irdischen Ebene folgt.


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