Übersetzung aus englischen Vorlagen durch Schüler Param Sant Kirpal Singhs

Sant Kirpal Singh

Der GottMensch

 

Niemand kennt den Sohn denn nur der Vater;
und niemand kennt den Vater denn nur der Sohn
und wem es der Sohn will offenbaren.
                                                         Matth. 11, 27

Dem allmächtigen Gott gewidmet,
der durch alle Meister wirkt, die gekommen sind,
und Baba Sawan Singh Ji Maharaj,
zu dessen Lotosfüßen der Autor
das heilige Naam – das Wort – 
aufnahm.

Inhaltsverzeichnis

Einführung 
Vorwort des Autors

  1. Was ist der Guru
  2. Der Guru ist Shabd
  3. Stufen der Meisterschaft
  4. Gibt es nur einen Guru oder viele
  5. Der gegenwärtige Meister
  6. Die Notwendigkeit eines Meisters
  7. Frühere Heilige
  8. Ohne einen Guru ist alles dunkel
  9. Geschichtliches Zeugnis
  10. Vor und nach Guru Nanak
  11. Der Wert der heiligen Schriften
  12. Der Guru ist ein Übermensch oder GottMensch
  13. Der Meister und die Heimkehr der Jivas
  14. Der Meister und seine Mission
  15. Der Meister und sein Werk
  16. Der Meister und seine Verpflichtungen
  17. Der Guru ist der GottMensch
  18. Guru Dev
  19. Der vollendete Meister
  20. Wie findet und erkennt man einen vollendeten Meister
  21. Sein Leben und seine Lebensführung
  22. Die physische Form des Meisters
  23. Der Einfluss des Meisters
  24. Die Einheit von Guru, Guru Dev, Satguru und Malik
  25. Das Wesen der Einheit
  26. Die Segnung Gottes und des Meisters
  27. Die Besorgtheit des Meisters
  28. Der Meister und die kontrollierende Kraft
  29. Ergebung in den Meister
  30. Die Worte des Meisters

 

Einführung

Gewissen religiösen Überlieferungen zufolge leben wir im Kali Yuga – dem letzten Entwicklungszeitalter auf Erden. Menschen aller Art und verschiedenster Bedürfnisse treten der Gemeinschaft bei, um der Gottverwirklichung näher zu kommen. Zentrum dieser Bemühung, das Bewußtsein auszudehnen, ist natürlich der Guru.Der Guru ist weit mehr als ein Lehrer im üblichen Sinn, er ist eher „der spirituelle Vater“. Diese erhellende Darlegung über den Guru dürfte viele Fragen klären, welche sich bei jenen, die auf den Pfad gestellt sind, ergeben haben.Ein wesentlicher Punkt für den spirituellen Sucher von heute ist die Notwendigkeit eines Guru. Man könnte sagen, daß der „innere Guru“ die letzte Zuflucht sei; warum sich also mühen, in der äußeren Wildnis nach einem lebenden Guru zu suchen?Gewiß, der innere Guru ist die letzte Zuflucht; aber in unserer Zeit erscheint uns die innere Welt allzuoft als ein verwirrendes Labyrinth, während uns die äußere Welt der vertraute Schauplatz ist. Dieses Buch ist so besonders wichtig für unsere Zeit, weil es einen Ausweg aus dem Irrgarten zeigt. Es wird hier gesagt, wie wir in der chaotischen Vielfalt von Lehren und Glaubensgemeinschaften den wahren Guru, den Sant Satguru, das innere Licht und das innere Wort, finden können. Auch für unsere westlichen, intellektuell ausgerichtete Denkart deckt diese Abhandlung über den Guru ein großes Rätsel auf, das die christliche Kirche für unlösbar hält, nämlich, wie die Verkörperung zugleich Gott und Mensch sein kann. Dieses Problem wird in ganz universaler, klarer und zeitgemäßer Weise gelöst, wenn auch die Antwort für Indien eine uralte ist.

Die Universalität dieser Botschaft kann in unserer Zeit nur ein Segen sein und als Grundlage dienen für die so dringend nötige Universalität in der Religion. Ich würde dieses Buch wirklich jedem Sucher empfehlen.

Dr. William Beidler
Philosophische Abteilung
Queens College
Charlotte, North Carolina, USA

 

Vorwort des Verfassers

Vierundzwanzig kurze, wunderbare und erfüllte Jahre wurde mir der Segen zuteil, unter der Liebe, der Führung und dem Schutz eines GottMenschen zu leben, des erhabenen Meister Hazur Baba Sawan Singh Ji Maharaj.

Den zielstrebigen Wahrheitssucher zu einem GottMenschen zu führen heißt, Antwort auf die ewigen Fragen zu geben:

Was ist Gott?
Wie kann ihn seine Schöpfung erkennen?

Ich bin begünstigt, die Mission eines GottMenschen darzulegen, der von oben beauftragt ist, der leidenden Menschheit die Gabe von Naam (Shabd), der strahlenden Musik, der symbolischen Strahlung, frei zu geben, die den Jiva (die verkörperte Seele) zurück in das Haus seines Vaters führt.

Wenn nun der Atman (die Seele) mit Shabd verbunden werden könnte, würde dieses „Band, das von dem Namenlosen Herrn ausgeht“, zu seiner Schwelle führen. Aber die spirituellen Fähigkeiten sind so sehr verdunkelt und mit den groben Hüllen von Gemüt und Maya (Täuschung) bedeckt, daß die Seele, obwohl Shabd im Innern und überall ertönt, seine Musik nicht hören und seinen Glanz nicht sehen kann. Wie ist es dem Menschen möglich, die Verbindung mit seinem Schöpfer wiederzubeleben? 

Es ist der Wille des Herrn, daß er nur durch einen 
lebenden Satguru erkannt werden kann.

Dhur Khasme Ka Hukam Paya,
Bin Satguru Chaitya Na Jai.
                         Var Bihagra 556

Ohne die lebendige Verbindung mit dem Satguru kann die Seele nicht aus ihrem Schlaf erwachen und auf Naam abgestimmt werden.
Uns ist bekannt:

Im Anfang war das Wort ... und Gott war das Wort.

Außerdem:

Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns.

So ist der GottMensch das Wort, der Logos oder Naam (Shabd), Kalma, Akash- Bani, Sarosha und Udgit der verschiedenen Weltreligionen.

Jenen, die die heiligen Schriften lieben, werden deren Grenzen erklärt.

Wer Heilige der Vergangenheit verehrt, erhält geschichtliches Zeugnis darüber, daß sie wirklich unsterblich sind.

Es ist unmöglich, die Worte der Weisheit, des Friedens, des Trostes, der Beunruhigung, Ermutigung und liebevollen Zurechtweisung, die ein GottMensch äußert, wenn er unter seinen Schülern weilt, zu bloßen Worten herabwürdigen. Seine taten selbstloser Güte und übermenschlicher Liebe lassen jene, die um ihn sind, zu der festen Überzeugung gelangen, daß seine Lehren wahr sind.

Doch sein Leben, Verhalten, Einfluß und Segen werden unauslöschlich jenen eingeprägt, die diese Gabe der Verbindung erworben haben.

Seine kontrollierende Kraft und Besorgtheit inspirieren den Jiva, sich zu seinen Füßen zu ergeben, um für immer durch sein Wort geführt zu werden.

Möge der zielstrebige Sucher nach dem Mysterium des Lebens in seinem Naam für ewige Ruhe finden. 

Kirpal Singh

 

Du bist des Pilgers Pfad, des Blinden Auge,
des Toten Leben; meine Hoffnung ruht in dir;
ziehst du dich zurück, tappe ich im Dunkeln,
sterbe ich.

Enthülle deine Strahlen, schlie0e deine Schwingen
und bleibe.
Sieh, sieh, wie blind ich bin, wie tot und verloren;
o du, der du mein Licht bist, mein Leben, mein Weg.

                                                         Francis Quarles

 

1. Kapitel

Was ist der Guru?

Es ist viel, daß der Mensch Gott gleich geschaffen ward, daß aber Gott dem Menschen gleichen sollte, ist viel mehr ...

Gott selbst kleidete sich in des gemeinen Menschen Fleisch, um schwach genug zu sein, Leid zu erdulden. 

John Donne

Es ist nahezu unmöglich, den Meister zu erkennen und seine Größe zu verstehen. Uns fehlen die Augen, mit denen wir seine Wirklichkeit schauen können. Nur ein Prophet kann einen Propheten erkennen. Wir als verkörperte Seelen, die auf der Sinnesebene leben, können ihn einfach nicht erfassen.

Was du bist, wissen wir nicht;
was ist dir am ähnlichsten?

Und weiter:

Wie kann das Geringere das Größere begreifen, wie 
der begrenzte Verstand die Unendlichkeit erreichen?
Denn wer Gott ergründen würde, wäre mehr als er.
                                                              John Dryden

Im Jap Ji (dem täglichen Morgengebet der Sikhs) wird gesagt:

Wer seine Höhe erreicht, der allein kann ihn schauen.

Eine Meisterseele kann mit einer Lerche verglichen werden, von der es heißt:

Ätherischer Sänger, Pilger des Himmels!

Wer sich so hoch wie die Lerche erheben und ihrem Flug folgen kann, mag etwas von dem ätherischen Pilger wissen, doch die armen Krähen und Tauben können es nicht. Der Meister ist jedoch kein Pilger des Himmels, sondern ein Bewohner des höchsten spirituellen Reiches, und er kommt herab, und das „ätherische Lied“ zu singen und uns mitzunehmen zu seiner himmlischen Wohnstatt. Während er auf Erden weilt, ist er:

Das Urbild der Weisen, die sich erheben,
doch niemals umherziehen;
den verwandten Orten des Himmels
und der Heimat treu.

Es steht weit über den Begrenzungen der drei Körper (des physischen, astralen und kausalen); der drei angeborenen, natürlichen und ursprünglichen Neigungen oder Instinkte (Satva, Rajas und Tamas, d. h. des rechtschaffenen und weltlichen Handelns sowie der Trägheit oder Untätigkeit und der aus Unwissenheit und Finsternis geborenen Handlungen); der fünf Elemente, aus denen die ganze Schöpfung besteht (Erde, Wasser, Feuer, Luft und Äther); der fünfundzwanzig Prakritis (feinstoffliche Formen verschiedenen Grades, aus denen die Elemente zusammengesetzt sind); wie auch des Gemüts und der Materie. Shamas-i-Tabrez sagt daher von ihm: 

Er ist eine Lerche, die ein goldenes Ei legt – 

Ein Ei, das wie reines Gold glänzt, womit das Licht von Naam oder dem Wort gemeint ist, das jedem einzelnen bei der Initiation gegeben wird.

Jeden Morgen erhebt er sich in die hohen Himmel.
Seine Bahn erstreckt sich über alle Sonnensysteme; 
und wenn er zur Ruhe geht,
sind Sonne und Morgen sein Lager.

In anderer Worten: wenn er nicht mit weltlichen Dingen zu tun habt, begibt er sich in höheren Regionen zur Ruhe.

O Shamas-i-Tabrez, nur durch einen einzigen gütigen
Blick kann er Tausenden, die völlig blind sind, das
Augenlicht geben (d. h. sie zu Sehern und Propheten 
machen)!

Solche Meisterseelen sind in der tat eins mit Gott, kommen aber auf sein Geheiß in die materielle Welt, um seinen göttlichen Plan zu erfüllen. Aus Barmherzigkeit hat Gott für die Heimkehr der weltmüden, hungernden und dürstenden Seelen, die nach der Wiedervereinigung mit dem Geliebten verlangen, Vorsorge zu treffen. 

Da nur der Mensch Lehrer des Menschen sein kann, muß Gott seinen Erwählten mit dem direkten Auftrag senden, jene, die auf die Botschaft Gottes hören, zurückzuführen. Er ist der Mittler für diesen Zweck.

Von der Spitze des Berges aus kann er sozusagen die glimmenden Feuer der Liebe in den einzelnen Herzen ausfindig machen, und gleich einem großen, mächtigen Magneten oder Leitstern zieht er alle Seelen, die in seinen Einflußbereich kommen, an, um durch persönliche Unterweisung und Führung die göttlichen Mission zu erfüllen.

Jede Seele nimmt soviel spirituelle Gnade auf, wie es ihrer Empfänglichkeit entspricht. Je mehr sie diese Empfänglichkeit entwickelt, desto mehr Gnade und spirituellen Nutzen erfährt sie. Mit unermeßlichem spirituellem Reichtum ausgestattet, gibt er davon großzügig allen, die sich danach sehnen. Jeder erhält nach seinem Bedarf und Aufnahmevermögen, und allmählich entwickelt sich die in ihn gelegte Saat.

Sheikh Moin-du-din Christi sagt:

Sie (die Meisterseelen) leben in der Welt, aber ihr
Geist ist immer in den hohen Himmeln. Obgleich in
den Banden des Körpers gefangen, schwebt ihr Geist 
weit darüber.

Auch Maulana Rumi sagt:

Beurteile einen GottMenschen nie von der Ebene des
Menschen aus; denn er ist viel mehr, als er zu sein
Scheint.

Ihre Erscheinung nach sind alle Menschen gleich, obwohl sie sich hinsichtlich der inneren Entwicklung voneinander unterscheiden. Es ist der Hintergrund, der jedem einzelnen auf dem spirituellen Pfad hilft und die Reichweite jedes seiner Schritte bestimmt. Demgemäß ist auch der Zeitfaktor bei jedem ein anderer.

In der menschlichen Form kann ein Meister nicht richtig verstanden werden. Er ist ein grenzenloses Meer von Sat oder die Wahrheit – von Anbeginn der Schöpfung und durch alle Zeitalter hindurch ewig derselbe. Wie es unmöglich ist, die Größe Gottes zu ermessen, können wir auch seinen Erwählten nicht begreifen. 

Ein persischer Heiliger sagt:

Er steht über allem Begreifen, allem
Fassungsvermögen, aller Vorstellungskraft und selbst
den Mutmaßungen. Er übersteigt die Fähigkeiten des
Sehens, Hörens und Verstehens. Man mag ein ganzes 
Leben lang zu seinem Ruhm singen und wird ihm doch 
in keiner Weise gerecht.

Wieder heißt es:

Selbst wenn alle Berge zu Tintenpulver zerstoßen und
mit den Wassern der Meere vermischt würden und die
ganze Erde eine einzige Fläche Papier wäre, könnte
man die Größe eines Guru oder Meisters nicht
beschreiben.

Er ist der König der Spiritualität, und wir, die wir uns wie Insekten im Morast der Welt bewegen, können ihn und seine Größe nicht erkennen.

Maulana Rumi läßt uns wissen:

Auch wenn ich seine zahllosen Wohltaten in alle
Ewigkeit preisen wollte, könnte ich dennoch kaum
etwas über sie sagen.

Was immer wir über ihn vorbringen, kommt notgedrungen von der Ebene des Verstandes, der eine sehr engbegrenzte Reichweite hat. Alle unsere Bemühungen in dieser Richtung gereichen ihm eher zur Unehre als zur Ehre.

Guru Arjan erklärt darum:

Du bist ein König, ich aber nenne dich nur einen 
„Älteren“; weit davon entfernt, dir irgendeine Ehre zu
erweisen, bringe ich dich in Mißkredit.

Der höchste und feinsinnigste Verstand, der ihn zu beschreiben versucht, ist wie ein kleines Kind, das vor seiner Mutter steht und sagt: „O Liebste, ich kenne dich!“ Wieviel kann es von ihr wissen, wenn es doch nicht einmal von sich selbst etwas weiß. Seine lieben, unbeholfenen Worte können die tiefe mütterliche Liebe und Zuneigung, die sie in ihrem Herzen hegt, nicht erfassen. Ebensowenig sind wir in der Lage, den Meister zu rühmen, da wir in der Begrenztheit unseres Verstandes ihn, der jenseits aller Schranken und Begrenzungen ist, nicht erkennen können.

Wir sind wirklich gesegnet; denn Meisterseelen, wie und wann immer sie erscheinen, erzählen uns bisweilen von sich selbst. Durch diese seltenen Äußerungen können wir etwas von ihrer Größe und der verborgenen Kraft erfahren, die durch sie wirkt.

Bei unzähligen kleinen Gelegenheiten tun sie uns in Gleichnissen und auf andere Weise kund, was sie sind, welches ihre Mission ist, woher sie kommen und wie sie den Plan Gottes ausführen.

Es wäre ratsam für uns, zu ihnen zu gehen und zu hören, was sie über sich selbst sagen.

 

2. Kapitel

Der Guru ist Shabd

(Der Meister ist das personifizierte Wort)

Das Johannes- Evangelium beginnt mit den denkwürdigen Worten:

Im Anfang war das Wort,
und das Wort war bei Gott,
und Gott war das Wort.
Dasselbe war im Anfang bei Gott.
                                      Joh. 1, 1-2

Der Guru ist Shabd oder das personifizierte Wort. „Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns“, sagt das Evangelium. Shabd oder das Wort ist nur ein Strahl von Gott oder dem großen Meer des Bewußtseins, und dieser eine Strahl ist für die Erschaffung und Erhaltung aller Ebenen, die das Universum erhält, verantwortlich.

Im Johannes- Evangelium lesen wir weiter:

Alle Dinge sind durch dasselbe (das Wort) gemacht,
und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist.
In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht
der Menschen.
Und das Licht erscheint in der Finsternis, und die 
Finsternis hat’s nicht begriffen.
                                                                   Joh. 1, 3-5

Dryden bezeichnet es in seiner poetischen Vorstellungskraft als Harmonie (Tonprinzip):

Aus der Harmonie, der himmlischen Harmonie,
entstand dieses universale Gefüge;
sie erklang in allen Tonbereichen
und kam im Menschen zur Vollendung.

Im Gurbani lesen wir:

Das Wort ist der Meister, und der Geist ist der Schüler
des Wortes.
Das Wort ist der Meister und der Prophet, voll tiefer,
inhaltsschwerer Weisheit. Ohne das Wort kann die Welt
nicht bestehen.
Zwischen dem Wort und dem Meister gibt es keinen 
Unterschied. Das Wort ist wahrhaftig das Elixier des
Lebens, und wer immer dem Wort nach den Weisungen 
eines lebenden Meisters folgt, überquert heil das Meer
des Lebens.

Tulsi Sahib sagt:

Der Geist ist der Schüler, und das Wort ist der Meister.
Erst wenn der Geist mit dem Wort verbunden ist, 
findet er den Weg zu Gott, indem er sich ins Jenseits
erhebt und in die umgekehrte Quelle gelangt.

Bhai Gurdas sagt über den Geist:

Nur wenn der Geist gläubig und gewissenhaft Dhunni
(den Tonstrom oder das Wort) als Meister annimmt,
wird er ein Gurmukh und erkennt, daß das Wort und
der Meister in der Tat eins sind.

Kabir erklärt ebenso:

Wo ist der Meister, und wo weilt der Geist?
Wie können die beiden eins werden?
Denn ohne die Einswerdung findet der Geist keine 
Ruhe.

Und er selbst antwortet darauf:

Der Meister ist im Gaggan,
und der Sitz des Geistes befindet sich auch dort.
Wenn beide eins geworden sind,
gibt es künftig keine Trennung mehr.
Nehmt das Wort als Meister;
alles andere ist leerer Schein.
Jeder, der in selbstisches Tun verstrickt ist,
Wandert von einem Ort zum anderen.

Somit ist das Wort oder Shabd vom Anbeginn der Zeit ein Weltenlehrer.

„Selig sind, die reines Herzens sind“, denn in ihren offenbart sich des Meisters Wort. Dieses Wort ist der wahre Heilige und kann als lebender Führer wirken. Es ist der „wirkende Gott“, der in Meisterseelen, die eins mit ihm sind, in Fülle zum Ausdruck kommt.

Als ich das Meer des Körpers aufwühlte,
kam etwas Sonderbares ans Licht;
Gott und der Meister waren eins,
und Nanak konnte keinen Unterschied finden.

Wer ein Täter des Wortes ist, wird ein Heiliger oder eine Meisterseele genannt. Die Wahrheit dämmert erst, wenn man die Bedeutung des Wortes Guru untersucht. Es ist von der Sanskritwurzel ‚Giri’ abgeleitet, was ‚einer, der ruft‘ heißt; so wird im Gurbani der, welcher beständig diesen Ruf in sich hört, ihm mit Hingabe verbunden ist und ihn auch offenbaren kann, als Guru bezeichnet.

Nehmt den als Meister, der die Wahrheit offenbaren
kann und dem Unaussprechlichen durch den Ton
Ausdruck verleiht.

Wiederum heißt es:

O Nanak, allein die Wahrheit ist wahr!

Kabir Sahib betont:

Wir zollen allen Lehrern Ehrerbietung,
welches auch immer ihr Bekenntnis sei;
aber der Adept des Tonprinzips
ist wirklich der größte.

Ferner sagt er:

Es gibt Lehrer der verschiedensten Grade;
doch dem des Tonstroms gebührt die höchste
Verehrung.

Auch Tulsi Sahib weist darauf hin:

Wer den Tonstrom offenbaren kann, ist wahrlich ein 
Heiliger;
durch Selbstanalyse findet man den Ton in sich.

Kabir Sahib hat gefordert, daß jeder, der sich Satguru oder Heiliger nennt, uns ermöglichen sollte, das Ungeoffenbarte offenbart zu sehen.

Im Sar Bachan lesen wir:

Der Meister bringt die Botschaft des Tones;
er dient einzig und allein dem Ton.
Ein vollendeter Meister ist immer in den Ton vertieft;
so sei der Staub zu den Füßen vom Meister des Tons!

Der Satguru ist ein wahrhaftiger Veda. Er gebietet über Sach Naam und besitzt somit das Elixier des Lebens. Er verteilt Shabd, das als „Sesam- öffne- dich“ für die höheren geistigen Bereiche wirkt und den Pilgern auf dem Pfad des Meisters ungehindert Zutritt gewährt.

Die Theosophen nennen ihn die Stimme der Stille; ihr Klang kann von Ebene zu Ebene vernommen werden.

In der Sprache der Meister ist ein wirklicher Heiliger, wer über Shabd lehrt. Ohne einen Adepten bekommt niemand die Gabe von Shabd oder Naam. Er läßt sich mit einer Strickleiter vergleichen, die direkt zu Gott führt; und eine Seele, welche sie ergreift, wird leicht zu ihm gelangen.

Verbindung mit Shabd ist eine Verbindung mit Gott; und glücklicherweise zu preisen ist, wer Shabd im Innern berührt.

Weiterhin heißt es:

Gott im Guru teilt Shabd aus.
Wenn man sich mit der Wahrheit verbindet,
geht man in ihr auf.

Ferner:

O Nanak, alle Heiligen sind seit Anbeginn in Shabd
eingebettet!
Gesegnet ist der Meister Ram Das,
der sich ebenfalls mit Shabd verbunden hat.

In der Heiligen Schrift steht:

Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns.

Nur ein Adept in Shabd gibt einen wirklichen Lebensimpuls. Er selbst ist eins mit diesem wahren Lebensstrom, der alles Lebendige hervorbringt. Er ist ein Bewohner der Region, wo es kein Ich gibt. Er ist Shabd personifiziert, lebt in Shabd und hat wahrlich sein Sein in ihm, da er sich über den Machtbereich von Kal oder der zeit weit erhoben hat. Er ist im Besitz des ewigen Lebens und kompetent, es anderen, die zu ihm kommen und sich an seine Weisungen halten, zu übertragen.

Der menschliche Geist liegt gegenwärtig unter einer gewaltigen Last von Maya oder Materie verschüttet. Er weiß nicht einmal, daß er Geist ist. Nur durch Shabd kann er zur Wirklichkeit erweckt und sich seiner Größe bewußt werden. Dieses Lebensprinzip von Shabd befindet sich in jedem von uns, wenn auch nur in verborgener Form.

Es muß dem Geist zugänglich oder hörbar gemacht werden, so daß er durch die bloße Wesensgleichheit sein reiches spirituelles erbe erkennt und als sein Eigen beansprucht.

Diese Verbindung des Geistes mit Shabd kann durch den Meister (der Shabd personifiziert ist) hergestellt und gefestigt werden. Kein anderer vermag das zu tun.

Shabd ist ein heiliges Gut des Meisters und wird von
ihm gewissenhaft verwaltet. Nur ein Meister kann
eines Meisters Shabd offenbaren; niemand außer ihm ist dafür kompetent.

Dies bedeutet, daß Shabd oder das Wort unter der Kontrolle des Meisters steht. Er allein kann es enthüllen und hörbar machen, indem er den Geist aus den physischen Sinnesorganen herausnimmt.

Diese Verbindung des Geistes mit Shabd ist ein Gnadengeschenk des Meisters. Kein noch so hohes Maß an verdienstvollen Taten innerhalb der Grenzen von Raum, Zeit und Kausalität kann eine so einzigartige und unermeßlich große Gabe wie Shabd aufwiegen.

Alle unsere Gerechtigkeit ist wie ein unflätig Kleid.
                                                             Jesaja 64. 5

An anderer Stelle heißt es:

Durch des Gesetzes Werke wird kein Fleisch gerecht.
                                                             Galater 2, 16

Der Meister gibt Shabd aus tiefstem Erbarmen und grenzenloser Güte, wenn er es will.

Sobald ein hilfloses Kind bei der Mutter Zuflucht sucht, eilt sie ihm voller Liebe entgegen und drückt es zärtlich an sich.

Man kann ihn nicht durch Bemühung und auch nicht
durch Dienen erlangen. Er kann sich jedoch 
offenbaren, wenn man, ohne nach etwas greifen zu
wollen, in völliger Ruhe ist.
Durch die große Gnade des Herrn hält man an den 
Weisungen des Meisters fest.

Dies bedeutet nicht, daß eigenes Bemühen überflüssig wäre. Vielmehr muß man hingebungsvoll nach den Weisungen des Meisters arbeiten. Der Erfolg hängt jedoch einzig von seinem Willen ab, denn er allein entscheidet über die Art und das Ausmaß seiner Gunst.

Christus hat gesagt:

Liebet ihr mich, so haltet meine Gebote.

Auf dem Pfad des Meisters ist es eine Notwendigkeit, sein Leben im Sinne des Meisters umzuformen.

Wer dem Meister wirklich nachfolgt, ist immer in die
göttliche Musik vertieft. So, wie sich Naam entwickelt,
geht man in ihm auf.

Obwohl dieser Anhad Bani (der unaufhörliche Tonstrom) oder Naam (das Wort) das Leben ist, können wir es doch nicht selbst enthüllen oder vernehmbar machen; es wird immer nur durch einen Meister- Heiligen oder Ustad-i-Kamil zugänglich.

Der unaufhörliche Ton ist ein innerer Schatz, den man
von einem Heiligen bekommt. Ohne einen Meister
waren nicht einmal die Siddhas und Sadhaks imstande,
Naam zu erlangen.

Shabd ist die Hauptstütze der Heiligen wie aller lebenden Geschöpfe; nur daß sich die einen dessen völlig bewußt sind, die anderen aber in ihrer Unbewußtheit nichts darüber wissen. Während die ersteren nicht nur eine Erfahrung von der „Sohnschaft“ haben, sondern wirklich in dieser Verbindung leben, haben die letzteren nicht die geringsten Ahnung davon.

Christus sagt:

Ich bin der Sohn Gottes.
Ich und der Vater sind eins.
Was immer von mir kommt, ist vom Vater.

Im Gurbani haben wir ähnliche Hinweise:

Hari (Gott) tut, was seine Heiligen wünschen. Was sie
wollen, das geschieht. Niemand kann ihnen einen
Wunsch versagen. Der Vater und der Sohn sind in 
derselben Farbe gefärbt.

Von Maulana Rumi wissen wir:

Ein Aulia (Gottmensch) ist fähig, selbst einen Blitz
Von oben abzuwenden.

Es bedeutet nicht, daß Heilige in irgendeiner Weise die Autorität Gottes in Frage stellen oder neben ihm ein eigenes Regiment führen. Weit davon entfernt, handelt sie als Bevollmächtigte in seinem Auftrag: In der Welt wirkt Gott durch sie.

Von Ichheit frei, werden sie geeignete Werkzeuge der göttlichen Kräfte. Durch ihre enge Verbindung mit Shabd empfangen sie unmittelbare Botschaften von Gott und geben solche an ihn weiter; und in bezug auf die Welt sind sie nichts Geringeres als der Pol Gottes:

Der Vater und der Sohn sind eins, und sie handhaben
dasselbe Gesetz. O Paltu! Im Reich Gottes bestimmt
nur ein Heiliger. Beide sind so eng und unlösbar
miteinander verbunden, daß der Heilige das ganze
Werk zu tun scheint.

Maulana Rumi drückt es so aus:

Aulias und Gottmenschen sind die Erwählten Gottes.
Sie haben volles Wissen über alles Sichtbare und 
Unsichtbare.

Desgleichen spricht Gott und Heilige:

O Lalo! Ich spreche nur aus, was Gott mich zu
sprechen heißt, sagt Nanak. Ein Sadh ist das 
Sprachrohr Gottes.

Um der leidenden Menschheit willen kommt Gott im Gewand des Menschen in die Welt, und durch seine erlösende Gnade nimmt er stellvertretend die Verantwortung für ihre Verfehlung auf sich:

Sieh, wie Gott in deiner menschlichen Form
herabkommt. Siehe, all deine Untaten werden auf ihn
geworfen, und alle seine Rechtschaffenheit fällt dir zu.
                                                                        Dryden

Ein lebender Meister ist die einzige Hoffnung für die irrende Menschheit, ein gnädiges Licht, ihre strauchelnden Schritte zu lenken und die Sünder zu erlösen. Mit dem grenzenlosen Naam oder Shabd, dessen unermeßliches Schatzhaus er ist, hilft er den Jivas oder verkörperten Seelen, das Meer des Lebens heil zu überqueren und ewiges Leben zu erlangen.

Während er im Innern fest in Shabd verankert ist, wirkt er außer als Lehrer oder Guru und gibt den Suchern auf der physischen Ebene spirituelle Unterweisung. Von da erhebt er sich zu den feinstofflichen und kausalen Bereichen und darüber hinaus, so wie der Jiva auf dem spirituellen Pfad fortschreitet, und führt ihn bei jedem Schritt. Er ruht nicht eher, bis er den Sadhak in seine Heimat zurückgebracht hat, wo Shabd, der er wahrhaftig selbst ist, seinen Ursprung nimmt,

Wer den Sat Purush (oder die erste Ursache) erkannte hat, ist ein Satguru (Meister der Wahrheit). Er steht über dem Machtbereich der Auflösung (Kal oder Zeit) und der großen Auflösung (Maha Kal oder größere Zeit) und ist kompetent, die Höherstrebenden zu dieser Stufe zu bringen. Nur ein Meister von solcher Größe kann die Jivas erlösen, niemand sonst.

Wer eins ist mit der Wahrheit, ist der Meister der
Wahrheit.
Er kann die Seelen befreien,
und Nanak singt zu seinem Ruhm.
Besser und viel bescheidener ist zu sagen,
daß Gott der Menschheit immer einen Weg zeigt.

 

3. Kapitel

Stufen der Meisterschaft

Es gibt vier verschiedene Arten von Meistern: den Vater, die Mutter, den Erzieher oder Lehrer und schließlich den Satguru (den spirituellen Führer oder Murshid-i-Kamil).

Von all diesen ist der Satguru der größte Lehrmeister, denn er allein gibt spirituelle Unterweisung. Einer, der in weltlichem Wissen bewandert, wird Acharya oder Erzieher genannt, da er uns Richtlinien für das soziale Verhalten und ethisches Leben vermittelt.

Der Satguru oder Meister der Wahrheit ist auch als Sant Satguru bekannt. Die Beziehung zu seinen Schülern ist eine rein spirituelle, da er auf den Fortschritt der Seele bedacht ist und nichts mit weltlichen Angelegenheiten zu tun hat.

Unter dem Gesichtspunkt der spirituellen Kompetenz kann man die Gurus wie folgt einteilen:

Sadh Guru
Sant Satguru und
Param Sant Satguru

Ein Sadh ist, wer über die Region von Trikuti (Onkar) hinausgelangte, die gleichbedeutend ist mit Lahut, wie sie die Sufis nennen, und mit Hu in der Theologie des Islam. Er hat die Seele in ihrer ursprünglichen Glorie gesehen, nachdem er sie von allen Umhüllungen befreite, und ist nun Trigunatit (jenseits der drei Gunas: Satva, Rajas und Tamas, worin alle Menschen entsprechend ihrer natürlichen und angeborenen Instinkten handeln); er steht über den fünf Elementen (Erde, Wasser, Feuer ´, Luft und Äther, aus denen sich die physische Welt zusammensetzt), den fünfundzwanzig Prakritis (feinstofflichen Formen mit wechselnder Verbindung der Elemente) und auch über Gemüt und Materie.

Er ist, kurz gesagt, ein Adept in der Selbsterkenntnis oder der Kunst und Wissenschaft der Seele und kann diese nach Belieben von den verschiedenen Kashas (Schichten oder Umhüllungen), in die sie wie ein kostbares Juwel eingeschlossen ist, befreien.

Die Größe eines Sadh geht über die drei Gunas hinaus
(da er Trigunatit ist).

Durch einen Prozeß der Selbstanalyse hat er (ein Sadh) das Selbst oder den Geist in seiner wahren Form erkannt, nämlich seine Wesenseinheit mit Gott; und er strebt nun nach Gotterkenntnis.

Ein Sant ist nicht nur ein Adept der Selbsterkenntnis, sondern ebenso der Gotterkenntnis. Er steht weit über den materiellen, materiell- spirituellen und spirituell- materiellen Bereichen. Als ein Meister der Wahrheit hat er seinen Wohnsitz in der Region des reinen Geistes, die Sach Khand, Muqam-i-Haq oder der Bereich der Wahrheit genannt wird. 

Ein Param Sant ist der erhabene Meister der Wahrheit, jenseits aller Worte und daher nicht zu beschreiben. Er ist eins mit dem, was als Anami (der Namenlose) bei Kabir, Nirala (unbeschreiblich und wunderbar), Mahadayal (grenzenlose Barmherzigkeit) oder Soami (der große Herr von allem) bekannt ist.

Zwischen einem Sant und einem Param Sant gibt es, außer in der Bezeichnung, keinen wesentlichen Unterschied. 

Doch keiner von ihnen, weder ein Sadh noch ein Sant oder ein Param Sant, kann als Guru oder Mesiter wirken, wenn er nicht von oben beauftragt ist, spirituelle Unterweisung zu geben. Wer immer diese Machtbefugnis für das spirituelle Werk hat, wird ein Sadh Guru, Sant Guru oder Param Sant Guru, wie der Fall gerade liegt.

es mag eine ganze Reihe von Sadhs, Sants oder Param Sants geben, aber keiner von ihnen kann von sich aus die Guruschaft oder das spirituelle Lehramt aufnehmen, wenn er nicht damit betraut wurde.

So haben die Begriffe Sadh, Sant oder Param Sant eine viel weitere Bedeutung als das Wort Guru, das einzig auf einen spirituellen Lehrer beschränkt ist. Die übrigen sind nur spirituelle Adepten verschiedenen Grades.

Der Guru hat einen unmittelbaren Auftrag von Gott und handelt nach seinen Weisungen wie ein Vizeregent im Namen des Königs.

Dabei gibt es zwei Arten von Gurus:

die Swateh Sant Gurus: sie sind geborene Sants, die mit einer direkten Mission in die Welt kommen, wie zum Beispiel Kabir Sahib und Guru Nanak.

Sie beginnen ihr Werk spirituellen Wissens und spiritueller Unterweisung schon in einem frühen Alter. Dazu benötigen sie keine besondere Ausbildung durch irgendeinen anderen, da sie von oben für eben diesen Zweck gesandt wurden. Wenn solche Wesen kommen, überfluten sie die Welt mit dem Licht der Spiritualität und bilden eine Reihe von Gurmukh Gurus, die das Werk noch lange nach ihren weiterführen. Doch im Laufe der Zeit wird der innere Gehalt äußere Geschäftigkeit geopfert, und die Spiritualität schwindet allmählich ganz.

Dann kommt eine andere Meisterseele, um diese uralte Wissenschaft den Bedürfnissen der Zeit neu anzupassen. Auf diese Weise wird der „alte Wein“ den durstigen Seelen weiterhin ausgeschenkt. Solche Meister erscheinen von Zeit zu Zeit in verschiedenen Ländern und Völkern.

Neben den Swateh Sants gibt es Sants, die sich hier durch hingebungsvolle Übungen und Disziplin unter der Führung einer Meisterseele ein spirituelles Verdienst erwerben und beauftragt werden, als Guru zu wirken.

Sie haben schon einen reichen spirituellen Hintergrund, der für die Erfüllung der Aufgabe reif ist, und scheinen in der gegenwärtigen Lebensspanne diesen Prozeß nur zum Abschluß zu bringen. Gurmukhs sind von einem Leben zum anderen immer im Werden begriffen und erlangen in diesem Leben die Vollendung.

Kabir sagte, daß er unmittelbar aus dem Reich Gottes 
kam und von ihm Anweisungen als Werkzeug hatte.

Bhai Gurdas berichtet uns von Guru Nanak:

Zuerst erhielt er einen Auftrag, dann führte er ihn aus.

Kurz gesagt: die einen kommen schon mit einer Vollmacht, die anderen erlangen sie während ihres irdischen Lebens. Aber in ihrer Größe, der Art und der Reichweite ihrer Mission sowie in ihrer Wirkungsweise gibt es zwischen ihnen nicht den geringsten Unterschied. Beide sind mit der gleichen Vollmacht ausgestattet und erfüllen den erhabenen Plan Gottes nach den Bedürfnissen der Zeit und der Menschen.

Alle anderen aber, die diese Stellung beanspruchen, sich als Meister auszugeben und hervortun, täuschen nicht nur sich selbst, sondern führen auch die breite Masse in die Irre. Hierzu gehören solche, die entweder habgierig und selbstsüchtig oder auf Rang und Namen aus sind.

Mit zahllosen Kniffen täuschen sie den einfachen und arglosen Wahrheitssucher auf vielerlei Art und Weise etwas vor, um ihren eigenen Zwecken zu dienen.

Wegen solcher Betrügereien steht die Guruschaft bei den meisten Menschen in schlechtem Ruf, und es nimmt nicht wunder, daß die Wissenschaft der Spiritualität als bloßer Wahn, ja als Narrenparadies abgetan wird.

 

4. Kapitel

Gibt es nur einen Guru oder viele?

Shabd oder das Wort (der uranfängliche Tonstrom) ist der einzige Guru für die ganze Welt, und Surat (das individuelle Bewußtsein) ist der einzige Schüler, da letzerer ohne den ersteren nicht sein kann. Tatsächlich besteht das Prinzip der Einheit, denn Gott ist einer, obwohl er sich auf vielfältige Weise offenbart hat.

Doch wenn wir in die andere Richtung blicken und uns der Welt in ihrer Fülle verschiedener Formen zuwenden, sehen wir einen Leitstern aufleuchten, der in seiner Erhabenheit das Licht des Himmels widerstrahlt.

Eine so reine Seele (das fleischgewordene Wort oder der Gottmensch), beauftragt, den Gottsuchern spirituelle Instruktionen zu geben, ist ebenso ein Guru wie Shabd selbst; denn er ist eine lebendige Verkörperung von Shabd, den er wie ein Handelskapital kostenlos verteilt, an wen immer er will.

Kabir sagt von sich:

Ich komme aus dem Reich Gottes,
um sein Gesetz zu erfüllen.

Guru Nanak wurde mit einer ähnlichen Aufgabe, spirituelle Unterweisung zu geben, betraut, als er sich in tiefer Meditation in der Veiny Nadi (dem Wasser der Spiritualität im Innern) befand.

Beide waren Param Sant Satgurus.

Kabir wurde 1398 n. Chr. in Lahr Talao bei Benares geboren und starb 1518. Guru Nanak kam 1469 n. Chr. in Talwandi zur Welt und verließ die irdische Ebene 1539 in Katarpur. Beide waren also etwa neunundvierzig Jahre (von 1469 – 1518) Zeitgenossen. Ebenso war es für einige Zeit bei Shamaz-i-Tabrez und Maulana Rumi.

Auch Guru Angad und Dabu Sahib lebten gleichzeitig, von 1504 bis 1552, desgleichen Guru Arjan und Dharam Das von 1561 bis 1606.

Diese Beispiele zeigen, daß es mehr als einen Guru zur selben zeit geben kann. Aber ein Mensch kann nur einem Guru folgen, um spirituelle Vollendung zu erlangen. Selbst wenn der Guru die irdische Ebene verläßt, nachdem man von ihm initiiert wurde, hat das nichts zu sagen.

Wenn er einmal jemanden initiiert hat, ist die feinstoffliche Form des Meisters in den Schülern eingeprägt; denn von dem Augenblick an wird er das Vollbild des Schülers, und seine Belehrungen beginnen allmählich Frucht zu tragen.

Keine Macht der Welt kann die von einer Meisterseele gelegte Saat unfruchtbar machen. Der Meister stirbt niemals. Wenn er auch den Körper wie jeder andere verläßt, ist er doch mehr als der Körper. Er ist ein Leitbild, ein lebendiger Tonstrom oder ein Lebensprinzip, das der ganzen Welt Licht und Leben gibt. Nach seinem Weggang kann man aus dem Satsang eines Gurmukh, der die Aufgabe des Gurus weiterführt, Nutzen ziehen und bei Schwierigkeiten seinen Rat suchen. Es ist jedoch von größter Wichtigkeit, unter keinen Umständen den Meister zu wechseln.

Treue gegenüber dem Meister, dem die von ihm initiierte Seele ihr Wort gegeben hat, schließt die Erkenntnis ein, daß der Meister auch dann kompetent ist, Führung und Unterweisung zu geben, wenn er nach Verlassen der physischen Welt auf der spirituellen Ebene wirkt.

 

5. Kapitel

Der gegenwärtige Meister

Der Meister der jeweiligen Zeit ist ein lebender Meister, der seinen Anhängern spirituelle Unterweisungen gibt. Aber alle Meister früherer Zeiten sind Meister einer vergangenen Epoche oder ehemalige Meister. Jeder von ihnen hatte seine Aufgabe zu erfüllen. Die Berichte der einstigen alten Meister und ihre Lehren leisten eine Art Vorarbeit, indem sie Neuland erschließen und in uns ein Interesse für die esoterischen Fragen des Geistes wecken. Jeder von ihnen hebt mit Nachdruck die Notwendigkeit des lebenden Meisters hervor und berichtet von seinen eigenen spirituellen Erfahrungen. Ihre Ermahnungen geben uns einen Anstoß, mit der Suche zu beginnen. Der uns eingeborene Drang wird belebt und treibt uns an, nach jemanden zu forschen, der uns zu Gott führen kann.

Wirkliche spirituelle Führung und Unterweisung zu geben ist jedoch das Werk eines lebenden Meisters. Voll des höheren Bewußtseins flößt er den Jivas seinen Lebensimpuls ein. Spiritualität kann weder gekauft noch gelehrt werden, aber man kann sie wie eine Infektion von jemandem auffangen, der selbst in hohem Maße davon durchdrungen ist. Wie Licht von Licht, so kommt Leben von Leben, und eine vom Körper beherrschte Seele kann nur von einem durch Körper und Gemüt unbehinderten Geist bewegt werden. Dies ist der einzige Weg für die spirituelle Schulung; einen anderen gibt es nicht.

Ohne einen lebenden Meister kann die Seele der Knechtschaft nicht entrinnen. 

Maulana Rumi erklärt daher nachdrücklich:

Traue nicht deinem Wissen, deiner Schlauheit und
deinem Geschick; trenne dich nicht vom
Rettungsanker des lebenden Propheten.

Auch der Prophet Mohammed sagt:

Wer sich nicht aufrichtig dem Imam der Zeit (dem
lebenden Meister) genährt hat, dem Statthallter
Allahs, dem vollendeten Führer, kann nichts zuwege
bringen.

Ferner sagte der große Maulana:

Eile zu deinem Gott durch den Gottmenschen. Laß
dich nicht nutzlos auf den trügerischen Fluten der
Ichsucht treiben.

Ohne einen lebenden Meister kann man nicht die gottergebene Geisteshaltung entwickeln, die auf dem spirituellen Pfad so sehr nötig ist. Wir können uns von einem Menschen oder einer Sache nicht angezogen fühlen, die wir nie sahen und von denen wir keine Vorstellung haben. schon das Wort „Anziehung“ deutet darauf hin, daß ein Gegenstand der Anziehung da ist.

Manche Leute glauben, diese im Gurbani so nachdrücklich hervorgehobene Notwendigkeit, zu einem lebenden Meister zu gehen, beziehe sich nur auf die Zeit der zehn Gurus. Das ist aber nicht der Fall. Die Lehren der Meister waren an die Menschheit allgemein gerichtet und galten für alle Zeiten. Ihr Aufruf war universal und nicht auf eine bestimmte Glaubensgemeinschaft oder Zeit beschränkt:

Die Lehren der Meister sind das Gemeingut aller.

Ferner heißt es:

Bani (das Wort oder Tonprinzip) ist der Guru, und der 
Guru ist Bani personifiziert; das Elixier des Lebens
ergießt sich aus Bani*. Wer das annimmt, was der 
Gurbani sagt, kann durch die Gunst des lebenden 
Meisters befreit werden.

* Es besteht ein großer Unterschied zwischen Gurbani und Bani. Während sich das erstere auf die Aussprüche der Gurus bezieht, wie sie in den heiligen Schriften (besonders im Granth Sahib) überliefert sind, bezeichnet das letztere den ewigen Tonstrom, der manchmal Gur-ki-Bani genannt wird und in der ganzen Schöpfung erklingt. Er geht von Gott selbst aus, und Gott allein kann ihn offenbaren. Ferner ertönt dieser Bani (Naam oder das Wort) durch alle vier Yugas (Zeitalter) und kündet seine Botschaft der Wahrheit.

Bhai Gurdas sagt in diesem Zusammenhang:

Die Veden und anderen heiligen Schriften sind das Gut 
der Meister und eine Hilfe, das Meer des Lebens zu
überqueren; doch ohne daß der Meister der Wahrheit
herabkommt und unter uns lebt, können wir die
Wirklichkeit nicht erfassen.

Die esoterischen Mysterien können in den Schriften nicht vollständig erklärt werden, weil der innere Prozeß seine eigenen Schwierigkeiten und Behinderungen hat. In seiner feinstofflichen Form hilft der Meister dem Geist auf seiner Reise von Ebene zu Ebene in vieler Hinsicht. Dieses Werk der inneren und äußeren Führung kann nicht durch frühere Meister getan werden.

Der namen- und formlose Shabd erhält eine Form, nimmt einen Namen an und wohnt unter uns. Im Evangelium lesen wir:

Das Wort ward Fleisch und wohnt unter uns.

Wenn Gott nicht in der Gestalt des Menschen herabkommt, können wir den Unerkennbaren nicht erkennen. Die Lehrer der heiligen Schriften bleiben unter dem Ballast uralter Sprachen und altertümlicher Ausdrucksweisen versiegelt, bis eine Meisterseele mit wirklicher Erfahrung von der Wissenschaft des Geistes die Wahrheit dieser Schriften erklärt.

Selbst die offensichtlich einfachen Lehren der früheren Meister können wir nicht in ihrer Bedeutung verstehen, wenn uns nicht ein lebender Adept dieser Lehre ihren wahren Sinn erschließt und uns die gleichen Erfahrungen zuteil werden läßt, über die in den Schriften berichtet wird.

Indem er seinen eigenen Lebensimpuls überträgt, belebt er die Seele, die unter der erdrückenden Last von Gemüt und Materie im Körper verkümmert. Wie ein kluger Führer lenkt er sie auf seine unnachahmliche Weise in eine neue Richtung.

Als nächstes enthüllt er der Seele neue Reiche von wunderbaren Anblick, stellt ihr ein Flugzeug (Shabd) bereit und bringt sie selbst zu Gott. Tag für Tag wird sie an gefährlichen Stellen vorbeigeführt, kommt an neue Orte und erfährt ein unbekanntes Erhobensein und eine Freude, die zu subtil ist, als daß man sie beschreiben könnte.

Das alles und noch weit mehr gehört zu der Aufgabe, die ein lebender Meister zu erfüllen hat.

Der Geschichte des Sikhismus entnehmen wir, daß der Granth Sahib zum ersten Mal von dem fünften Guru, Guru Arjan, zusammengestellt wurde. Trotz des wohlbekannten und oft zitierte Ausspruchs, daß Bani der Guru ist, demzufolge keine weiteren Gurus mehr notwendig seien, führten die Gurus die Mission, Menschen zu initiieren, fort; und auch heute ist der Khalsa (der Reine) mit dem vollendeten, strahlenden Licht im Innern ermächtigt, das Werk spiritueller Unterweisung und Führung der Wahrheitssucher fortzusetzen.

Guru Gorbind Singh sagt: „Wir sind die Verehrer des großen bewußten Lichts“, und er erklärt das Wort Khalsa so: „Der reine Khalsa ist einer, in dem das Licht Gottes völlig offenbart ist.“ Er sagt weiter:

Der Khalsa ist meine wahre Form; ich wohne im
Khalsa, er ist das Leben meines Lebens und fürwahr 
meine Lebensenergie (Prana).
der Khalsa ist mein tapferer Freund, er ist mein 
Satguru Pura (völlig kompetenter Meister). Ich habe
keine Unwahrheit gesprochen. Ich sage dies in 
Gegenwart von Par Brahm und Guru Nanak.

 

6. Kapitel

Die Notwendigkeit eines Meisters

Der formlose Gott durchdringt das Universum in Form von Shabd oder dem Gott. Aber solange wir nicht fähig sind, uns mit ihm im Innern zu verbinden, können wir uns nicht glücklich preisen.

Die ganze Atmosphäre ist mit Elektrizität geladen. Man kann sie jedoch erst dann nutzen, wenn man an den Schalter herankommt, der die Energie des Kraftwerks reguliert. 

Ist der Kontakt einmal hergestellt, gibt sie uns Licht, Heiß- und Kaltluft, je nach Bedarf, und hilft uns auf unzählige Weise bei der Reinigung des Hauses, beim Kochen unserer Speisen und dergleichen mehr. In der Industrie bewältigt sie wie der sprichwörtliche Dämon große Lasten, und Tausende von Menschen wären mit vereinten Kräften nicht imstande, ihre Arbeit zu leisten.

In genau derselben Weise würde man wahrlich gesegnet sein und eine unermeßlich reiche spirituelle Ernte einbringen, wenn man nur zu einem menschlichen Pol gelangte, durch den sich die Kraft Gottes in der Form von Shabd offenbart. Heilige, Propheten, Seher und Meisterseelen sind solche offenbarte Pole, die das Licht, das Leben und die Liebe Gottes ausstrahlen.

Sie sind die Kinder des Lichts und kommen, um der in tiefsten Finsternis gehüllten Welt Licht zu geben. Sie sind Shabd personifiziert und sozusagen der in der Welt polarisierte Gott.

... die heiligen Menschen Gottes haben geredet,
getrieben von dem heiligen Geist.
                                                      2. Petr. 1, 21

Der Geist des Herrn hat durch mich geredet,
und seine Rede ist auf meiner Zunge.
                                                  2. Sam. 23, 2

Dein Wort ist meines Fußes Leuchte
und ein Licht auf meinem Wege.
                                  Psalm 119, 105

Der Satguru oder Meister der Wahrheit ist somit der Pol, durch den die Kraft Gottes nach dem göttlichen Willen wirkt. Diese Kraft oder Shabd ist die subtilste Form des großen Unbekannten und Unerkennbaren. Durch den Satguru kann man dies erkennen und mit Shabd in Verbindung kommen.

Wir bewegen uns vom Physischen zum Feinstofflichen. Der Meister und der Tonstrom des Meisters sind die Wege zum Ziel. Sie allein können den Geist zum Höchsten führen. Der Meister löst für uns das Mysterium Gottes und errettet uns aus den Fängen von Gemüt und Materie.

Sein langer und starker Arm hebt die Seele über das Bewußtsein von Körper und Gemüt hinaus und bringt sie durch die Verbindung mit dem Tonprinzip zum Bewußtsein ihrer selbst.

Als nächstes wird die Seele von der strahlenden Musik zur Quelle oder Region, von der sie ausgeht, weitergeführt. Der Meister und der Tonstrom sind nicht voneinander verschieden; sie sind nur zwei Aspekte ein und derselbe Wesenheit.

Wenn er auf der physischen Ebene ist, muß er eine physische Gestalt annehmen und durch sie wirken, denn ohne sie kann keine spirituelle Unterweisung gegeben werden. Sobald er aber eine menschliche Seele von den verschiedenen Hüllen und Bedeckungen befreit hat, nimmt er auch eine feinstoffliche Form an, strahlend und leuchtend, und wirkt durch sie.

Dieser Vorgang dauert an, bis der menschliche Geist mit dem des Meisters eins wird. Das ist der erhabene Zweck, zu dessen Erfüllung die Meister in diese niedrigste Region, die so voller Leid und Elend ist, herabkommen. Ausgerüstet mit der erlösenden Gnade Gottes in Form des heiligen Geistes, der verschiedentlich als Shabd, Wort, Nad, Bani oder Kalma bezeichnet wird, befreit der Meister die Seelen, die für die Erlösung reif sind und diesem Ziel zustreben, indem sie auf ihn hören und seine Anweisungen genau befolgen.

Wenn Gott nicht in Menschengestalt kommt und unter uns wohnt, können wir nichts von ihm wissen, obwohl er überall und in allem gegenwärtig ist.

Es muß erst jemand reine Butter aus der Milch schlagen und Feuer aus dem Granitstein, bevor wir wissen können, daß Butter in der Milch und Feuer im Stein verborgen ist. Das „Wort“ wird daher Fleisch und wohnt unter uns, wie das Evangelium lehrt.

Wenn Seelen durch die lange Verbannung auf der physischen Ebene ruhelos werden, wenn sie hilflos nach der Heimkehr verlangen und kein Entrinnen sehen aus der Gewalt Kals mit seinen alles durchdringenden Begrenzungen von Raum, Zeit und Kausalität, wird die errettende Gnade Gottes durch die mitleiderregenden Rufe bewegt und kommt in Gestalt eines Sant Satguru (Meister der Wahrheit) in die Welt, um ihnen aus der Bedrängnis herauszuhelfen.

Niemand außer dem lebenden Meister kann diese Aufgabe erfüllen. Er spricht durch die Stimme der Stille. Er bedient sich eines ungeschriebenen Gesetzes und einer ungesprochenen Sprache.

Die Schriften, wie heilig und maßgebend sie auch immer sein mögen, enthalten bloß Hinweise auf die spirituellen Bereiche und berichten über die Erfahrungen ihrer Verfasser; sie können weder spirituelle Unterweisung geben noch auf dem Pfad der Meister Führer sein.

Das Wort des Meisters wirkt wie ein „Sesam- öffne- dich“ für die hohen geistigen Sphären. Er hat den Schlüssel zum Reich Gottes, das gegenwärtige eine verlorene Region für uns ist. Aus Barmherzigkeit und Liebe für die verlorenen Schafe verläßt der Hirte seine Herde und geht den steinigen Pfad in endloser Suche, um die verlorenen Seelen hier und dort aufzulesen.

Ich bin das Licht der Welt; wer mir nachfolgt, der wird
nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht
des Lebens haben.
                                                                         Joh. 8, 12

 

7. Kapitel

Frühere Heilige

Einem, der heute krank ist, kann der ärztliche Rat Dhanwantris (des Ahnherrn der medizinischen Wissenschaft) nichts mehr nützen, noch kann jemand bei einem Rechtsstreit Salomon bitten, seinen Fall zu entscheiden, oder eine Frau Adonis heiraten und von ihm Kinder haben.

Ähnlich können Heilige, die zuzeiten in der Vergangenheit kamen und jenen, die mit ihnen in Verbindung waren, spirituellen Gewinn brachten, nichts für die jetzigen Generation tun. Jeder hatte seinen Auftrag. War dieser erfüllt, übertrug er das Werk der Erneuerung seinem Nachfolger. Der Mensch kann nur vom Menschen lernen, und Gott führt sein Werk durch lebende Heilige aus.

Denn der Herr tut nichts, er offenbare denn sein
Geheimnis den Propheten, seinen Knechten.
                                                             Amos 3, 7

Manche meinen, daß frühere Mahatmas in spirituellen Regionen weiterleben und den Strebenden auch jetzt noch von Hilfe sein können. Wir wollen sehen, ob das einer vernünftigen Betrachtung standhält.

Jeder Heilige hat seine Mission im Leben und bringt genaue Anweisungen für sein Wirken mit. Sobald er seine Aufgabe erfüllt hat, zieht er sich von dieser Welt (physischen Ebene) zurück in das spirituelle Meer, aus dem er hervorgegangen warm und überläßt das Werk der weiteren Orientierung seinem Nachfolger.

Selbst wenn der Vorgänger etwas für seine Schüler zu tun hatte, geschieht dies in Übereinstimmung mit dem Naturgesetz durch den lebenden Nachfolger, dem er das Werk übertrug, als er sich zurückzog; und nur der letztere kann als ein Glaubensbruder oder Gur- bhai seinen Brüdern auf der physischen Ebene Hilfe und Führung geben.

Wenn der Meister, der uns initiiert, nicht mehr im Körper ist, können wir mit ihm nur in Verbindung kommen, wenn wir fähig sind, die physischen Ebene nach Belieben zu verlassen; oder aber zur Zeit des Todes. Auch während er auf dieser Ebene lebt, kommt seine strahlende, erhabene Gestalt niemals vom Gaggan (Astralhimmel) herab, denn er erwartet die menschlichen Seelen immer an der Schwelle der materiell- spirituellen Bereiche.

In der Hoffnung und dem Glauben, daß die Heiligen und Weisen früherer Zeit uns auch jetzt noch helfen können, beginnen wir falschen und fehlgeleiteten Gedanken- und Gefühlsströmungen und deren Unterströmungen große Bedeutung beizumessen und versuchen auf die Einflüsterungen unseres unterbewußten Gemüts zu bauen, obwohl wir kaum etwas von seiner wahren Bedeutung verstehen und es als erwiesen annehmen, daß die Eindrücke von diesem und jenem Meister der Vergangenheit kommen.

Derartige Offenbarungen können sogar von einer anderen Kraft als unserem Isht- Dev, dem früheren Meister unserer Wahl, herrühren. Niemand ist in der Lage, dies in der rechten Perspektive zu sehen, solange er nicht die innere Schau (Divya Drishti) entwickelt hat, mit der man den Schleier von Gemüt und Materie erfolgreich durchdringen und das Wesen der falsch gedeuteten inneren Impulse, die unklar an der Oberfläche des Gemüts auftauchen, klar sehen und richtig einschätzen kann.

Ferner ist es uns unmöglich, das Wirken eines Propheten zu verstehen, dem wie nie begegnet sind und den wir nie mit eigenen Augen gesehen haben. Auch fehlen uns die Mittel, seine Wirkungsweise zu prüfen. Unter diesen Umständen werden wir leicht von irgendeinem umherziehenden Geist oder Irrlicht getäuscht oder gar eine Beute für die negative Kraft mit ihren verschiedenen Methoden, unerfahrene Seelen anzulocken.

Auch wenn wir z. B. einen Augenblick gelten ließen, daß uns die alten Weisen noch immer auf dem geistigen Pfad leiten und daher die spirituelle Unterweisung des lebenden Meisters nicht notwendig sei, würde der bloße Gedanke, zur irgendeiner Zeit der Vergangenheit oder Gegenwart einen Guru zu haben; denn es wäre einfach für Gott, den Menschen ohne einen Propheten oder Messias unmittelbar zu lehren.

Allein die Tatsache, daß ein Weiser oder Seher zu der einen oder anderen Zeit erschienen ist und Menschen auf den Weg zu Gott verhalf, ist auch in diesem Zeitalter ein schlüssiger und sicherer Beweis dafür, daß ein solcher Gottmensch nötig ist, denn ohne ihn kann man nichts über den Herrn wissen noch zu ihm kommen.

Gott kann den Menschen nur lehren, wenn er selbst Mensch wird, denn nur der Mensch kann des Menschen Lehrer sein. Er muß daher notgedrungen Menschengestalt annehmen – man nenne ihn, wie man will: einen Sadh, Sant, Propheten, Messias oder Rasul. „Gleiches zieht Gleiches an“ ist ein unbestrittenes Sprichwort.

Gott erscheint als Sadh.
Gott nimmt den Namen eines Sant an.

Dies bedeutet keineswegs, daß die früheren Meister gestorben und dahingegangen sind. Sie haben, ganz im Gegenteil, Unsterblichkeit erlangt. Nachdem sie die physischen, feinstofflichen und kausalen Ebenen überquerten, sind sie mit dem kosmischen Bewußtsein eins geworden. wenn sie trotz all ihrer Hingabe und spirituellen Entfaltung noch auf Erden sein müßten, wären alle ihre Bemühungen umsonst gewesen.

Es hätte keinen Sinn, sich auf eine theoretische Diskussion oder Auseinandersetzung einzulassen. Alles wird klar, wenn man nach einem wahren, in der Kunst und Wissenschaft des Geistes wohlerfahrenen Meister sucht und von ihm einen einfachen und natürlichen Weg erlernt, auf dem Gott zu erreichen ist.

Es wird nicht nötig sein, auf das Ergebnis bis zum Tod zu warten. Wenn die Saat richtig bestellt und bewässert wird, muß sie schon bei Lebzeiten rasch aufgehen und reiche Frucht tragen.

Ein lebender Meister kann immerwährende Glückseligkeit in Fülle gewähren. Eine einfache Berührung mit der dynamischen Kraft des höheren Bewußtseins in ihm genügt, um mit den strahlenden Wogen der Spiritualität geladen zu werden. Der Geist wird nach innen gezogen und erhoben. Von der gleichsam magnetischen, strahlenden Weisen getragen, überquert er eine Ebene um die andere. Wahrlich gesegnet ist der Geist, der sich mit einem solchen Meister verbindet und unter seinen Schutz kommt.

Es ist eine Sache allgemeiner Erfahrung, daß jemand, der in ein fremdes Land will, Reiseführer studiert, Auskünfte über die verschiedenen Schiffsgesellschaften und –verbindungen einholt, nach den Annehmlichkeiten fragt, die im einzelnen geboten werden, den Abgangs- und Anlaufhäfen, der Route jedes Schiffes und wie lange die Fahrt jeweils dauert, welche Sehenswürdigkeiten es unterwegs gibt und schließlich, wo er sich aufhalten wird, wenn das Ziel erreicht ist.

Stehen seine Pläne fest, muß er sich von der zuständigen Behörde seines Landes einen Paßbesorgen, da er ohne diesen nicht ausreisen kann. Ebenso benötigt er eine Einreisegenehmigung des fremden Landes.

Auf genau dieselbe Weise braucht einer, der die physischen Ebene verlassen möchte, um zu einer der spirituellen Ebenen zu gelangen, Paß und Einreisegenehmigung von einer zuständigen Autorität, einem Vizeregenten Gottes (einem Heiligen), der auf allen Ebenen wirkt.

Dies wird ihm bei der Initiation gewährt, wenn er mit den verschiedenen Stationen auf dem Weg, den jeweiligen Zeichen und Signalen zur Unterscheidung und Erkennung jedes Ortes, den Schwierigkeiten der Reise und anderem mehr bekannt gemacht wird. So wird dem Reisenden der erforderliche Paß und die Erlaubnis gegeben, an Land zu gehen. Wenn einmal die Saat von Naam in einen Jiva gelegt wurde, kann sie nicht anders als Frucht tragen, und er muß eines Tages ins verlorene Reich, den Garten Eden, aus dem er seit undenklichen Zeiten verbannt ist, zurückgelangen. Keine Macht auf Erden oder im Jenseits kann es ihm verwehren.

Als nächstes legt der Mesiter den richtigen Weg für die Heimkehr fest. Wie ein erfahrener Seemann bestimmt er die ganze Route, denn ohne seine Hilfe kann der Reisende trotz aufrichtiger Hingabe und beharrlicher Bemühung das Ziel nicht erreichen.

Die rechte Führung zu Gott ist die zweite Vorbereitungsstufe für dieses gewagte Unternehmen auf den unbekannten Meeren. Der Meister selbst stellt das Schiff bereit und haftet für die Sicherheit des Schülers auf der Fahrt. Er macht ihn unterwegs auf die Sandbänke, versunkenen Felsenklippen und anderen während der Reise drohenden Gefahren aufmerksam und zeigt ihm, wie er sie am besten umgehen kann.

Er macht hier nicht halt. Als ein Meister des Himmels und der Erde durchquert er täglich nach Belieben die verschiedenen spirituellen Regionen. Sach Khand oder Muqam-i-Haq ist seine bleibende Wohnstatt, von der er jeden Tag auf die irdische Ebene herabkommt, um auch die niedrigsten ihm auferlegten Pflichten zu erfüllen.

Das Urbild der Weisen, die sich erheben, doch niemals
umherziehen; den verwandten Orten des Himmels
und der Heimat treu.

Da er die Reise, die er täglich so oft unternimmt, selbst kennt und tatsächlich Erfahrung von ihr hat und ein Bewohner der höchsten Ebene ist, ruft er den Weltmüden ermunternd zu:

Kommt alle, meine unglücklichen Brüder und
Schwestern, ins Reich des Himmels und in die gnädige 
Gegenwart.

Er gewährt uns nicht nur eine Ersthand- Erfahrung vom Reich Gottes, plant unsere Reiseroute und bucht unsere Heimfahrt, sondern erbietet sich auch, unser Begleiter und Führer zu sein. Ja, er lenkt unsere Schritte und gibt sich nicht eher zufrieden, bis er uns ins Haus des Herrn zurückgebracht hat.

Wir können einige bemerkenswerte Punkte seines Berichts anhand der Informationen selbst prüfen. Und sollten diese ihn im wesentlichen bestätigen, fassen wir Mut und bauen vertrauensvoll auf ihn und seine Kompetenz.

Die Schriften sind nichts anderes als Richtlinien, die auf den persönlichen Erfahrungen jener Weisen und Seher beruhen, die früheren diesen Pfad beschritten haben. Und ein lebender Meister bezieht sich in seinen Gesprächen und Darlegungen darauf, weil wir von Natur aus die Neigung haben, dogmatisch an sie zu glauben, und er den Weg des geringsten Widerstandes geht.

Wir können den trockenen Boden durch sorgfältiges Studium der Schriften auflockern, aber sie allein befähigen uns nicht, den Geist vom Bewußtsein des Körpers und Gemüts zu befreien und ihn darüber hinaus in die spirituellen Bereichen zu führen. Nur der starke und lange Arm des lebenden Meisters kann die Herkulesarbeit tun und den Augiasstall reinigen, den Geist über alle Begrenzungen und Vorstellungen erheben, ihn den sicheren Weg leiten und das verlorene Reich für ihn zurückgewinnen.

Es ist das fundamentale Gesetz Gottes, daß keiner an
ihn denken kann, wenn er nicht durch eine
Meisterseele an ihn erinnert wird.
                                                                  Guru Nanak

Bhai Gurdas sagt:

Endloses Fragen, ohne den Pfad zu beschreiten,
kann dich nicht zu deinem Geliebten bringen.

Man kann Gott nicht allein mit dem Verstand begreifen, wie scharf und durchdringend er auch sein mag. Wie kann ein Instrument, das naturgemäß in seiner Reichweite begrenzt ist, das Unbegrenzte ermessen? Ein höheres Bewußtsein kann das kleine Bewußtsein zu dem großen Bewußtsein führen, denn es dient als Bindeglied zwischen beiden.

Wenn man Gott allein erreichen könnte,
warum dann der Trennungsschmerz?
Verbinde dich mit ihm durch einen Sadh,
und erlange Glückseligkeit, o Nanak.

Ein Sucher in der falschen Richtung kann nicht zum Erfolg führen. O Kabir, nimm einen Führer mit dir und entdecke das kostbare Juwel. Ein sicherer Führer wird dir helfen, das Ziel bald zu erreichen, wie fern es auch immer scheinen mag.

Bei jedem Schritt wird uns die Notwendigkeit eines Lehrers bewußt. So muß ein Lehrling der Kochkunst bei einem Küchenmeister lernen. Ein Medizinstudent muß die Hilfe eines Professors der Medizin suchen. Ein Neuling auf dem Gebiet der Chirurgie hat diese Kunst bei einem erfahrenen Chirurgen zu meistern. Entsprechendes gilt für Studenten des Ingenieurwesen, der Malerei usw. Bücher und gelehrte Abhandlungen über die verschiedenen Sachgebiete können allein noch keinen Studenten zum Kenner seines Faches machen.

Was zählt, ist die praktische Durchführung, das Experiment am Tisch und der tatsächliche Eingriff im Operationssaal unter der Leitung eines Experten.

Wenn alle Wissensgebiete, die in den Bereich von Apara Vidya gehören und auf der Sinnesebene studiert und erfolgreich praktiziert werden, die Hilfe eines Lehrers erfordern, gilt dies viel mehr noch für die spirituelle Wissenschaft (Para Vidya). Sie ist ein inneren, weit über dem Wirkungsfeld der Sinne liegender Vorgang, der in den Tiefen des menschlichen Geistes erforscht und im Laboratorium der Seele erprobt werden muß.

Seit langen Zeiten war diese Wissenschaft verschlossen und in völliges Dunkel gehüllt, ohne sichtbaren Zugang. Tatsache ist, daß jemand, der die Notwendigkeit eines Meisters der Wahrheit leugnet und darüber lacht, aber dennoch aus eigener Kraft Erkenntnis und Wahrheit begehrt, nicht wirklich nach ihr verlangt. Er ist genau wie ein Mensch, der lieber selbst nach einer Quelle gräbt, anstatt seinen Durst an einem nahen Brunnen zu löschen, wo ihm jemand mit kühlem und erfrischendem Wasser zu Diensten steht.

Bhai Nandlal sagt in diesem Zusammenhang:

Nur ein Liebhaber von Rubinen kann den Wert eines 
Rubins ermessen. Nur der Juwelier sieht auf den 
ersten Blick, wie wertvoll er ist.

Ein Guru oder Meister ist absolut notwendig, und von dieser Regel kann es keine Ausnahme geben. Nehmen wir beispielsweise an, jemand möchte zu seinem Vergnügen eine Flugreise machen. Niemand wird ihm erlauben, allein in ein Flugzeug zu steigen. Selbst, wenn er es heimlich tut, wird er die Pilotkanzel verschlossen finden. Überwindet er auf irgendeine Weise dieses Hindernis, weiß er nicht, wie die verschiedenen Teile der Maschine zu bedienen sind. Sollte er auch damit zurechtkommen und das Flugzeug starten, kann er es nicht abheben oder landen, noch es richtig lenken, weil ihm dazu die nötige Ausbildung fehlt. Folglich wird er früher oder später abzustürzen und ums Leben kommen. Der Mechanismus der menschlichen Körpers ist weit komplizierter und empfindlicher als der irgendeiner Maschine. Darum wird ein spiritueller Adept erst recht gebraucht, wenn man bei dem praktischen Vorgang der Selbstanalyse erfolgreich sein will; und auch, um Gott selbst näher zu kommen und das Wirken seines Willen zu verstehen. 

Die im Körper gefangene Seele kann sich nicht aus eigener Kraft von ihm trennen. Da ihr Sitz oberhalb des Augenbrennpunktes liegt, durchdringt sie das ganze System, und beide sind unlösbar miteinander verflochten. Sollte sie sich auf irgendeine Weise vorübergehend befreit und an ihrem Zentrum gesammelt und konzentriert finden, kann sie trotzdem das Flugzeug von Shabd nicht besteigen. Falls sie einen Weg ins Innere entdeckt, weiß sie nicht, wie und wohin es gehen soll, noch, wie sie zurückkehren kann.

Wenn aber der Meisterpilot (der Sant Satguru) da wäre, sie mitzunehmen, und beide das Flugzeug beträten und gemeinsam einige beglückende Flüge im spirituellen Gebiet unternähmen, könnte auch die Seele lernen, dieses Flugzeug zu bedienen und die spirituellen Experimente zu wiederholen.

Einer , der den Mechanismus des menschlichen Körpers (welcher aus drei Hüllen besteht – der physischen, mentalen und kausalen – und dem lebendigen, empfindenden Wesen darin) ganz genau kennt und gewohnt ist, sich täglich in die höheren geistigen Bereichen zu erheben, kann eine Seele in die Mysterien des spirituellen Wissens initiieren und ihr durch praktische Erfahrung einen Ausweg zeigen.

Durch wirkliche Hilfe und Führung leitet sie der Meister selbst schützend von Ebene zu Ebene und erklärt auf dem Weg die bedrohlichen Stellen und Warnzeichen, die engen Windungen, die Gefahren des unbekannten und unbetretenen geistigen Gebietes. Wahrhaft begünstigt ist die Seele, die einem solchen Adepten in der Kunst und Wissenschaft der Spiritualität begegnet.

Nichts als Unglück würde ihr auf Schritt und Tritt folgen, wenn sie sein Angebot zurückwiese und versuchte, die erhabene Reise ohne die Begleitung und Hilfe einer Meisterseele zu unternehmen.

Maulana Rumi warnt davor in unmißverständlichen Worten:

Suche eine Meisterseele, denn ohne ihre wirksame
Hilfe und Führung ist diese Reise voll unzähliger
Schrecken, Wagnisse und Gefahren.

Naam oder der Dhun Atmik Shabd (das Wort) ist seiner Natur nach ein ungeschriebenes Gesetz in einer ungesprochenen Sprache und kann daher nicht den Schriften und anderen heiligen Büchern entnommen werden. Diesen Reichtum kann man nur von einem Adepten in Naam erlangen, denn er ist das personifizierte Wort. Er allein vermag es der Seele zu enthüllen; kein anderes ist dazu imstande.

Es ist ein fundamentales Gesetz Gottes, daß niemand
außer dem Satguru (Meister der Wahrheit) Naam
geben kann. Der Shabd einer Meisterseele wird nur
durch seine Gunst gehört werden. Kein anderer kann 
ihn jemals offenbaren.

Ein Meister der Wahrheit ist mit allen Geheimnissen der Spiritualität gänzlich vertraut. sein Zeugnis hat deshalb Gewicht; seine geladenen Worte dringen ein und erweisen ihre Wirksamkeit.

Hört auf das wahre und unfehlbare Zeugnis der
Heiligen, denn sie haben eine Ersthand- Erfahrung von
dem, was sie sagen.

auch der Gurbani legt in klaren Worten nachdrücklich dar, daß eine Meisterseele unbedingt notwendig ist. Viele Zeitalter hindurch haben die verkörperten Seelen ein Leben der Sinne geführt und nichts gewußt, daß es auch eine andere Seite der Medaille gibt. Die Wahrheit kann weder erkannt noch erfahren werden, es sei denn durch die Gnade eines Meisters der Wahrheit.

Ohne einen Meister hat weder heute noch in der
Vergangenheit jemals einer die Wahrheit gefunden.
Das Kronjuwel von Naam ist in den Händen eines 
Meisters, und er ist kompetent, es den Jivas zugänglich 
zu machen.

Durch Gottes Wohlwollen begegnet man einem 
Meister der Wahrheit. Nachdem eine Seele Zyklen von
Geburten durchlaufen hat, läßt sie der Meister den
Tonstrom vernehmen.
Hört alle aufmerksam zu und wisset, daß es keinen 
größeren Menschenfreund gibt als den Satguru, denn 
er gewährt den Jivas die kostbare Gabe von Naam.
Wer bereit ist, sein Leben zu verlieren (das heißt, sich
über das physische Leben der Sinne zu erheben), wird
durch die Verbindung mit einer Meisterseele die
Wahrheit finden.

Alle heiligen erklären einmütig, daß man ohne einen Gottmenschen weder Gott noch die Gottheit erreichen kann. Der Herr selbst hat es in aller Klarheit kundgetan:

Es ist ein Grundprinzip Gottes, daß ohne die Gnade
eines Satgurus niemand auch nur an ihn denken kann.

Nanak hat von Gott erfahren, daß man ohne die 
wirksame Hilfe eines Meisters keine Erlösung finden.

Der Satguru ist ein großer und erfahrener Augenarzt. Wir sind alle völlig blind. Obwohl Gott in uns ist, suchen wir im Äußeren nach ihm. Die Verbindung mit einem Satguru gibt uns das verlorene Augenlicht wieder, und wir beginnen, Gott im Laboratorium des menschlichen Geistes zu erkennen und zu erfahren.

Die ganze Menschheit ist verblendet. Blindlings in
dunkle Taten verstrickt, findet sie keinen Ausweg.
O Nanak! Wenn die Seele einem Meister der Wahrheit
begegnet, fängt sie an, mit eigenen Augen zu sehen
(den inneren natürlich), und erkennt in ihren Tiefen
die Wahrheit.

Wir sind wirklich vollkommen blind, denn trotz der physischen Augen sehen wir nicht. Blindheit besteht nicht im Verlust des Augenlichts, sondern darin, daß man sich von Gott fernhält. Nanak sagt:

Nicht den nenne blind, der keine Augen hat, o Nanak!
Wirklich blind sind jene, die nicht das Licht Gottes
sehen.

Guru Arjan sagt uns, daß einer sogar sehenden Auges blind sein kann, wenn er den Herrn nicht sieht, der die Seele seiner Seele ist, und er infolgedessen der Sünde verfällt.

Ein Mensch im Vollbesitz seiner Sinne kann dennoch
blind sein, wenn er meint, daß Gott, die Seele seiner
Seele, weit von ihm entfernt ist, und er sich dabei
schamlos dem Bösen hingibt.

Mit den physischen Augen sehen wir die physischen Welt um uns her. Doch Shiv Netra oder das dritte Auge ist in jedem von uns geschlossen. Wenn sich dieses Auge öffnet, können wir die Wunder der feinstofflichen und kausalen Welten sehen und selbst die der rein geistigen Welt jenseits davon.

Blind ist, wer in Blindheit handelt, weil sein inneres 
Auge geschlossen ist.

Wir befassen uns alle mit der Materie und fragen uns noch, ob es noch etwas anderes gibt.

Immer von Gemüt und Materie in Anspruch
genommen, denkt er nicht einmal an Gott. Dem
Hades bestimmt, lebt er in ständigem Elend. Blind
und taub, sieht er nicht darüber hinaus; ein Sklave des 
Gemüts, ist er in Sünden verstrickt.

Es ist niemandem möglich, durch eigene Bemühungen in die höheren Bereiche zu gelangen. Wer sie erstrebt, muß unbedingt einen Adepten bei sich haben, der auf seinen Reisen durch die himmlischen Sphären täglich Sonne und Mond betritt.

Maulana Rumi sagt:

Wenn du auf Pilgerreise gehen willst, dann nimm dir
einen erfahrenen Pilger als Begleiter mit. Es hat dabei 
nichts zu sagen, ob er ein Hindu, ein Türke oder ein
Araber ist.

Der Satguru kann gleich einem Meisterchirurgen dem inneren Auge die Sehkraft wiedergeben.

Shamaz-i-Tabrez läßt uns wissen:

Solltest du Gott sehen wollen, lege den Staub der Füße 
eines Gottmenschen auf deine Augen, denn er kann 
selbst den Blindgeborenen das Augenlicht geben.

Naam oder Shabd ist der Balsam, der einen zur spirituellen Schau befähigt. Nimmt man ihn nicht, bleibt man ewig blind, und die menschliche Geburt ist umsonst.

Ohne die Verbindung mit Shabd ist man blind und taub
und hat keinen Gewinn von der menschlichen Geburt.

Das größte Gut ist der beglückende Bani, der das
Sehvermögen wiederherstellt, mit dem man Gottesmenschen 
erkennen kann.
                                                                                  Nanak

Gott durchdringt alles, aber wir sehen ihn nicht, weil wir unter Kurzsichtigkeit leiden.

Verflucht ist der Mensch, der ihn nicht sieht, obwohl er
in ihm ist.
Die Augen aller Menschen, o Tulsi, leiden an grauem
Star.

Die Augen sind ein großer Segen, denn ohne sie tappt der Mensch im Dunkeln. Die ganze physische Welt ist dem Blinden lediglich ein unbeschriebenes Blatt. Wie dankbar wäre er, wenn ihm ein erfahrener Chirurg durch eine Operation das Augenlicht wiedergäbe.

Das innere Auge ist tausendmal nützlicher als das äußere, denn ohne es kann man nichts außerhalb der physischen Ebene sehen. Zu allen Zeiten, seit Beginn der Schöpfung, irrte der Mensch blind umher. Der Meister der Wahrheit macht dieses dritte Auge sehend, das lange verschlossen war, weil es nie benutzt wurde. Ist es nicht bedauerlich, daß ein Organ von so unschätzbarem Wert unnütz wird und wir uns nicht einmal die Zeit genommen haben, über diesen hilflosen Zustand, in dem wir uns befinden, nachzudenken? So überwältigend ist in der Tat der Einfluß von Gemüt und Materie auf den verkörperten Geist.

Nicht nur die Menschen, sondern auch die Götter bedürfen des Lichts für das dritte Auge, denn ohne es können auch sie nicht sehen, was außerhalb ihrer und ihres Umkreises liegt. Da sie in der hierarchischen Ordnung einer unter dem anderen stehen, können sie nicht einmal ihre eigene Mutter – Shakti (kraft) – sehen, von der sie alle ausgegangen sind.

Die ganze Schöpfung ist aus Shakti (Energie)
hervorgegangen, die durch drei bestimmte Kräfte 
wirkt: Brahma (der Schöpfer), Vishnu (der Erhalter)
und Shiva (der Zerstörer). So seltsam es auch scheinen
mag, kennen sie sie nicht, obgleich sie alle unter ihrer 
Führung und Kontrolle stehen.

Auch Tulsi Sahib sagt uns, daß ohne die Gunst eines Gurus niemand das Meer des Lebens heil überqueren kann.

Ohne die Hilfe eines Gurus hat niemand je den
furchtbaren Strom des Lebens überquert,
selbst wenn er ein intellektueller Riese wie
Shankara war.

Wenn große Persönlichkeiten wie diese der Führung und Hilfe eines Gurus bedürfen, kann das schwache Erdenkind schon gar nicht ohne eine Meisterseele auskommen.

Ohne einen wohltätigen Guru findet niemand einen
Ausweg, auch wenn er Myriaden hilfreicher Werke und
verdienstvoller Taten verrichtet.

So sagt Tulsi Sahib:

Tulsi, ohne die Hilfe eines Murshid-i-Kamil
(vollendeten Meister) kannst du keine Erlösung
erlangen noch den Weg dahin ausfindig machen.

Im Gurbani wird nachdrücklich auf die Notwendigkeit eines Gurus hingewiesen.

Keiner sollte im geringsten daran zweifeln, denn noch
nie hat jemand das stürmisch bewegte Meer des
Lebens ohne einen Guru überquert.

Die Welt ist ein furchtbares Meer. Das Wort des Gurus ist das Schiff und er selbst der Kapitän. Durch seine Gnade kann man den Herrn erreichen, einen anderen Weg gibt es nicht.

Der Guru ist das Schiff und zugleich der Kapitän.
Ohne ihn kann niemand hinübergelangen.
Gott ist wahrlich das Geschenk des Gurus,
und der Weg zur Erlösung führt über ihn.

Auch in den Hindu- Schriften finden sich viele solcher Hinweise. In der Katha Upanishade 1, 2 heißt es:

Es sind in der Tat sehr wenig, die das Glück haben,
von Gott zu hören, und noch weniger, die von ihm 
wissen können. Gesegnet ist der Hochbeseelte, der
von ihm spricht, und gesegnet jene, die mit einer 
solchen Persönlichkeit in Verbindung stehen.
Wahrlich gesegnet ist, wer mit seiner Hilfe und
Führung Gott in sich findet.
Bloßes Denken und Betrachten ist von keinem 
Nutzen. Ohne die Initiation kann man nichts
von Gott wissen. Solange ihr nicht durch eine 
Meisterseele von Gott hört, werdet ihr ihm
nicht erfahren.

er ist so subtil, daß Gedanken ihn nicht
erreichen und der Verstand ihn nicht begreifen kann.

In der Chandogya Upanishade IV, 9/3 lesen wir:

Von den Heiligen und Gottesfürchtigen, die den Gurus
gleich sind, haben wir gehört, daß wir ohne eine
Meisterseele die wahre Natur unseres Selbst weder
kennen noch erfahren können.

In der Mandukya Upanishade (I Mandukya, Khand 2, Shalok 7, 12) heißt es:

Ein Brahmane hat den Wunsch nach den Früchten der
Karmas zu entsagen und einen Geist der Losgelöstheit
zu erlangen, denn Gott existiert in sich selbst, und
verdienstvoller taten können ihn nicht anziehen. Um 
ihn zu erkennen, muß er wie ein wahrer Sucher und
Schüler zu einem Guru gehen, einem Adepten im
Wissen von Brahma, der völlig in Brahma verwurzelt
ist.

Ohne einen Guru kann man nicht einmal den wahren Sinn der Schriften verstehen. In der Svetasvatara Upanishade der Schriften verstehen. In der Svetasvatara Upanishade VI, 23 wird berichtet:

Wer Gott sehr ergeben ist und eine ebenso große 
Hingabe für seinen Guru hat, der allein kann den Sinn
des hier Geschriebenen erfassen.

Wenden wir uns nun dem zweiten Kapitel der Manusmriti zu:

Ein Schüler muß in völliger Ausgeglichenheit vor
seinen Guru treten, mit voller Kontrolle über seinen
Körper und die Körperorgane.
                                                                  Shalok 192

Ein Schüler muß jeden Tag vor und nach seinen
täglichen Übungen zu den Füßen seines Gurus
Ehrerbietung bezeigen und nach seinen Anweisungen
handeln.
                                                                      Shalok 71

Wer den Veden nur als Autorität vom Hörensagen zu 
folgen sucht, erweist ihnen einen schlechten Dienst,
denn ohne einen Guru kann niemand die Veden
wirklich verstehen – und solche fahren zur Hölle.
                                                                   Shalok 116

Wer dir auch immer Wissen vermittelt, esoterisches
oder esoterisches, ist deiner Achtung würdig.
                                                               Shalok 117

In der Bhagavad Gita (IV, 34) finden wir:

Die Praxis (der Spiritualität) kann man am besten zu
Füßen einer Meisterseele ausüben, die mit der
Wirklichkeit völlig vertraut ist; denn nur eine solche
vermag die rechte Führung zu geben.

Es ist nicht möglich, den spirituellen Pfad ohne die Hilfe eines Gottmenschen zu kennen; daher sollten wir zuerst nach einem solchen suchen. In den Evangelien heißt es:

Niemand kommt zum Vater denn durch mich.
                                                        Joh. 14, 6

Und niemand weiß, wer der Vater sei, denn nur der
Sohn und welchem es der Sohn will offenbaren.
                                                               Luk. 10, 22

Es kann niemand zu mir kommen, es sei denn,
daß ihn ziehe der Vater, der mich gesandt hat.
                                                          Joh. 6, 44

Wer euch aufnimmt, der nimmt mich auf; und wer
mich aufnimmt, der nimmt den auf, der mich gesandt
hat. 
                                                               Matth. 10, 40

Die heiligen Bücher aller Regionen sagen immer wieder, daß der Mensch nur durch einen Meister der Wahrheit Erlösung finden kann.

Die Shastras, Veden und Smritis stimmen alle in einem Punkt überein: Niemand kann erlöst werden, es sei denn durch Gnade. Die rechte Betrachtung wird auch euch diese universale Wahrheit erschließen.

Der leichteste und schnellste Weg, Gott zu erreichen, ist die Hingabe an eine Meisterseele. Der Prophet von Arabien sagte zu Ali mit ermahnenden Worten:

O Ali, du bist ein Löwe in der Sache der Wahrheit
mutig und standhaft, aber verlasse dich nicht auf deine
Tapferkeit und Stärke! Weit besser wäre es für dich,
unter einem blüten- und fruchtbeladenen Baum
Zuflucht zu nehmen.

O Ali, von allen Wegen, die zu Gott führen, wähle den 
des Geliebten Gottes, denn lang und stark ist sein
Arm, und er kann die Wahrheitssucher leicht in seine 
heilige Gegenwart bringen.

Maulana Rumi mahnt in gleicher Weise:

Das immer bewegte Gemüt kann erst dann beruhigt
werden, wenn es unter den mächtigen Einfluß eines
Heiligen kommt. Wenn du einem begegnest, halte
unbeirrbar an ihm fest. Suche Ruhe unter dem Schutz 
eines Erwählten, denn die Nähe einer befreiten Seele
wird auch dich befreien. Wie die Taube seufze Tag und
Nacht, und forsche nach dem verborgenen Schatz bei
einem Heiligen (Gottmenschen).

Ferner:

Es gibt keinen größeren Freund als den Satguru; er ist
der Beschützer hier und überall. Nach einem solchen 
suche rechts und links, oben und unten, und ruhe
nicht, ehe er gefunden ist.
Wende dich niemals ab von den Heiligen und
Gottesfürchtigen, sondern sei eifrig bestrebt, sie und
ihre wahre Größe zu verstehen.

Der Pfad der Spiritualität ist voller Gefahren und Schwierigkeiten und kann nur mit der Hilfe und Führung eines Meisters getrost beschritten werden.

Jede Seele ist in drei verschiedene Hüllen gekleidet: die physische, astrale und kausale. Durch sie ist es ihr möglich, auf den drei entsprechenden Ebenen zu wirken. Ihre Heimat liegt jedoch jenseits von diesen.

Die physische Ebene selbst hat überall bedrohliche Fallgruben und zahllose Plagen. Im astralen oder feinstofflichen Bereich gibt es eine Fülle ungeahnter Versuchungen, denen ein Jiva unmöglich heil entrinnen kann.

Ähnlich ist es auf der kausalen Ebene, wo den Jiva ein noch verlockenderer Zauber erwartet. Ebenso ist es kein geringstes Wagnis, die spirituellen Ebenen ganz allein zu betreten. Dieser Pfad ist mit Dornen übersät und scharf wie des Messers Schneide.

Und die Pforte ist eng, und der Weg ist schmal, 
der zum Leben führet; und wenige sind ihrer,
die ihn finden.
                                                       Matth. 7, 14

daher ist es für den Wahrheitssucher umso nötiger, zuerst einen Adepten der Wahrheit zu finden, welcher mit dem spirituellen Pfad, der zur Wirklichkeit führt, völlig vertraut ist und von dem er Anweisungen erhält, nach denen er unter seiner direkten Aufsicht, Führung und Kontrolle praktiziert. Ohne diese Voraussetzungen besteht nicht die geringste Aussicht auf Erfolg. In der Katha Upanishade finden wir den Ausspruch:

Erwache, erhebe dich und ruhe nicht,
bis das Ziel erreicht ist.

Wissen über Gott kann man von einem Menschen Gottes erlangen. Bei jedem Schritt wird dem Sucher bewußt, wie sehr er den langen und starken Arm des Meisters braucht, der allein ihn erreichen, retten, auf dem Pfad halten und richtig führen kann.

Maulana Rumi sagt:

Suche zuerst einen Pir (einen Adepten auf dem
Gebiet), denn ohne ihn ist der Pfad voller Gefahren,
Schwierigkeiten und Drangsale. Wer immer versucht,
diesen Weg allein zu gehen, kann sicher sein, daß er 
durch Satan irregeführt und in den Abgrund geworfen
wird. Ohne den mächtigen Einfluß eines Gott-
menschen wird man durch die heulenden Schreie übler 
Geister verwirrt. Manch kluger und intelligenter
Mensch wagte sich allein auf den Pfad, nahm aber 
durch die List der negativen Kraft ein trauriges Ende.
Oft ahmen Dämonen die Töne des Meisters nach, und
diese können dich ins Verderben stürzen.

Nur durch die liebevolle Gnade des Meisters kann eine Seele dem Gefängnis des Körpers entkommen. Von da an nimmt die strahlende Form des Meisters sie direkt in ihre Obhut und beschützt sie bei jedem Schritt mit wohlwollender Güte.

Die verwickelten und irreführenden Windungen und
Krümmungen des Pfades werden leicht gemeistert mit
der Hilfe des Satgurus.

Die feinstoffliche und kausale Ebenen sind für die Seelen eine ungeheure Wildnis, und es ist gefährlich für sie, diese allein zu durchqueren. Maulana Rumi sagt in diesem Zusammenhang:

Nimm einen Weggefährten mit, bereise diesen Pfad
nicht ohne Geleit. Wage dich nicht allein in die Wildnis.

Den gleichen Rat gibt auch Hafiz Sahib:

Versuche nicht, allein in diese Bereiche zu gelangen. In 
dem beklemmenden Dunkel wirst du dich bestimmt
verirren.

 

8. Kapitel

Ohne einen Guru ist alles dunkel

Ohne einen Guru befinden wir uns in äußersten Finsternis. Die Wirklichkeit bleibt ein leerer Wahn, eine Fata Morgana. Sie ist ein ungeschriebenes Gesetz und eine ungesprochene Sprache, die völlig unverständlich bleibt, wenn nicht die persönliche Aufmerksamkeit einer Meisterseele ihre Bedeutung erschließt. Der Zauber der Welt ist so goß und überwältigend, daß flüchtige Erscheinungen für dauerhaft und wesentlich gehalten werden, das Unwahre sich unter dem Deckmantel der Wahrheit verbirgt und wir außerstande sind, den magischen Schleier zu zerreißen und dem falschen Blendwerk, das uns umgibt, zu entrinnen. Nur das Wohlwollen des Meisters kann eine Seele aus der physischen Hülle herausziehen und über die Sinnesebene erheben, wodurch ihr eine höhere geistige Schau zuteil wird und sie ungehindert ihre ursprüngliche Gottheit wiedergewinnt.

Ohne einen Meister ist alles dunkel, und man
versinkt in bodenlose Tiefen.

Eine verkörperte Seele kann nicht glücklich werden, wenn sie nicht durch die Gnade eines lebenden Meisters eine Erfahrung ihrer selbst erlangt. Er weiht sie in das esoterische Wissen ein, das im Laboratorium des menschlichen Geistes praktiziert werden muß.

Ohne einen Meister herrscht undurchdringliches
Dunkel, in dem man überhaupt nichts erkennen kann.
Ohne einen Meister wird der Geist nicht wirklich 
Geist, und Erlösung ist unmöglich. 

Wahrlich, wahrlich, ich sage dir, daß du einen Meister
haben muß. O Gemüt, du mußt dich einer
Meisterseele zuwenden!

Nimm als Meister einen Adepten des Tonprinzips, und 
er wird dich von allen Unreinheiten säubern. Der Meister
vermittelt durch seine Aufmerksamkeit und 
Unterweisung des Wissen von der Wahrheit.

Wer weder eine Meisterseele gesehen noch sie
angenommen hat, vergeudet sein Leben in dieser Welt.

ein Jiva befindet sich immer in völliger Finsternis. Wenn er die Augen schließt, ist es innen dunkel. Auch ist er gänzlich in Unwissenheit gehüllt. wer diese Dunkelheit der Jivas zerstreuen kann, wird ein Guru genannt. Der Begriff Guru besteht aus zwei Wörtern: Gu heißt Dunkelheit und Ru Licht, vom Wahn zur Wirklichkeit und vom Tod zur Unsterblichkeit führen kann. Der berühmte Dichter Kalidasa sagt über ihn:

Er verwandelt Dunkelheit in Licht und macht
den unsichtbaren Gott sichtbar.

Da ein Jiva unwissend ist, gehen auch alle seine Handlungen aus der Unwissenheit hervor und halten ihn gebunden. 

Die Heiligen erklären, daß ohne die Führung einer Meisterseele alle mildtätigen Werke und verdienstvollen Taten wie das Studium der Schriften, Fasten und Nachtwachen, Pilgerfahrten, die Betrachtung sozialer Bräuche und Rituale und das gewissenhafte festhalten an streng religiösen Vorschriften aus alter Zeit für die Befreiung der Seele von keiner Hilfe sind. Kabir Sahib warnt uns daher mit sehr nachdrücklichen Worten vor solchen Handlungen:

Das Beten des Rosenkranzes und mildtätiger Werke
sind ohne die Führung einer Meisterseele vergeblich.

Nichts davon trägt Frucht. Bulleh Shad sagt:

O Bulleh, ohne einen Meister wäre deine ganze 
Hingabe fruchtlos!

Solange nicht das innere Auge geöffnet und die Verbindung mit der inneren Kraft hergestellt ist, kann nichts von irgendeinem Nutzen sein. Wir müssen unbedingt nach einem Meister suchen, der die Fähigkeit hat, uns von allen äußeren Bestrebungen zu lösen, die Seele aus dem Sinnesbereich herauszuziehen und sie Schritt für schritt von einer Ebene zur anderen führen, bis sie in ihre vorgeburtliche Heimat, Sach Khand oder Muqam-i-Haq, zurückgekehrt ist. Er zerstreut alle aus der Finsternis geborenen Zweifel und gibt uns des Himmels Licht als unerschütterlicher, unfehlbarer Führer.

Durch den Guru wird das Dunkel zerstreut.
Wohin immer man sich wenden mag, er ist überall.

Ohne die Sehkraft der Augen kann uns das Licht von Hunderten von Monden und tausenden von Sonnen nichts nützen. Mit Sicherheit würde dieser strahlende Glanz unsere blinden Augen nicht sehend machen können. Auf genau dieselbe weise bleibt uns die wunderbare Leuchtkraft der Seele verborgen, wenn das innere Auge blind ist und wir weiterhin in pechschwarzer Finsternis verharren.

Hunderte von Monden und Tausenden von Sonnen
mögen zugleich aufgehen; selbst bei einem
solchen Glanz ist nicht ein Fünkchen Licht
zu sehen.

 

9. Kapitel

Geschichtliches Zeugnis

Die Vergangenheit beweist uns, daß man nicht von sich aus Zugang zu den spirituellen Regionen haben kann. In den Shastras wird erwähnt, daß es Narada verwehrt war, Vishnupuri – das Reich Vishnus – zu betreten, als er dies allein versuchte, denn er war nicht von einem Guru initiiert worden.

Auch Sukh Dev Swami, der Sohn von Ved Vyasa, fand trotz seines großen spirituellen Wissen und seiner Gelehrsamkeit, der er schon im Mutterleib besaß, keinen Einlaß ins Reich Vishnus, bis er Raj Rishi Janaka als seinen spirituellen Lehrmeister anerkannte.

Nirgends stoßen wir auf ein Beispiel dafür, daß ein nicht- initiierter Jiva eigenem Vermögen dieses Vorrecht besessen hätte.

Alle geborenen Heiligen, wenngleich es nur sehr wenige gibt, kommen von Anfang an mit esoterischem Wissen in die Welt, müssen aber der Form halber einen Meister haben.

So mußte zum Beispiel Kabir Sahib Shiri Ramananda als Meister annehmen. Trotz ihres vollendeten spirituellen Hintergrundes hatten sie, gleichsam zur Auffrischung ihres Wissens, die Gemeinschaft von Heiligen zu suchen.

Nach den Worten von Guru Amar Das ist es Gottes Gesetz, daß niemand auch nur an ihn denken kann, wenn er nicht von einem Meister der Wahrheit an ihn erinnert wird. 

Gott selbst hat verfügt, daß man nur an ihn denkt, 
wenn man einen Meister der Wahrheit (einen
Gottmenschen) findet.

In der Bibel heißt es:

Es kann niemand zu mir kommen, es sei denn,
daß ihn ziehe der Vater, der mich gesandt hat;
und ich werde ihn auferwecken am Jüngsten Tag.
                                                               Joh. 6, 44

Die Menschen kann ganz allgemein nicht ohne eine Meisterseele auskommen. Selbst Lord Rama und Lord Krishna, die Verkörperungen Vishnus, mußten sich jeweils vor Maharishi Vashisht und Ingris Rishi beugen. Wenn solche hochbeseelten Persönlichkeiten, deren Herrschaftsbereich sich so weit wie die Kausalebene erstreckt, einem spirituellen Führer folgen müssen, können wir gewöhnlichen Menschen diese grundlegende, absolute Notwendigkeit nicht umgehen.

Guru Nanak erklärt nachdrücklich, daß man die große Bedeutsamkeit eines Gurus am Beispiel Brahmas, Naradas und Ved Vyasas erkennen kann.

O Bruder, ohne einen Guru wirst du die absolute
Wahrheit (im Gegensatz zum relativen Wissen durch
die Sinneswahrnehmung) nicht erlangen!
Durch Brahma, Narada und Ved Vyasa kannst du es 
bestätigt finden.

Tulsi Sahib sagt:

Wer ist größer als Rama und Krishna? Auch sie mußten
zu einem Meister gehen. Obwohl sie Herr der drei
Regionen waren (der physischen, astralen und
kausalen), hatten sie sich doch vor einem Meister zu
beugen.

Jeder, der zu spiritueller Bedeutung kam, erlangte sie unter der Führung einer Meisterseele. Raj Rishi Janaka erhielt eine praktische Erfahrung der Spiritualität von Maharishi Ashtavakra. Gorakh Nath wurde von Machinder Nath initiiert. Arjuna, der Kriegerprinz der Pandavas, lernte seine spirituellen Lektionen bei Lord Krishna. Swami Vivekananda saß zu Füßen von Paramhansa Ramakrishna, dem Heiligen von Dakshineswar.

Unter den Sikhs war es Guru Nanak, der Lehna formte und ihn zu Angad (seinem arg oder Glied) machte, und dieser wiederum erhob Amar Das in den Stand eines Gurus usw.

Von Maulana Rumi hörten wir, daß er seinen spirituellen Anstoß von Shamas-i-Tabrez erhielt:

Ein Maulvi (Schullehrer) hätte kein Maulana (Führer
der Theologie) werden können, wäre es nicht durch die
Gunst von Shamas-i-Tabrez geschehen.

Und ferner:

O Saqi (Meister), komm und schaue gnädig auf
Maulana! Von den Dächern ruft er, daß er der Sklave 
von Shamas-i-Tabrez ist.

Viele Mahatmas haben in ihren Darlegungen ihrem göttlichen Lehrer gehuldigt; und wenngleich sich bei einigen keine solche Erwähnung findet, kann doch die Tatsache nicht geleugnet werden, daß Licht von Licht und Leben von Leben kommt und daß die von Gemüt und Materie beherrschten Jivas weder erwachen noch sich ins kosmische Bewußtsein erheben können, es sei denn, sie werden von einer Meisterseele emporgezogen.

 

10. Kapitel

Vor und nach Guru Nanak

Es gibt immer Nahrung für die Hungrigen und Wasser für die Durstigen. Die Natur hat ein vor hundert Jahren geborenes Kind ebenso mit Milch von der Mutterbrust ernährt wie eines, das vor tausend Jahren zur Welt kam. Die in der heutigen Zeit Geborenen werden auf die gleiche Weise versorgt.

Das Gesetz von Bedarf und Versorgung ist in der Natur unveränderlich. Genauso wirkt dieses Gesetz überall im spirituellen Bereich.

Sei es für Sucher vor Guru Nanak, solche der Gegenwart oder jene der Zukunft, die Natur kann nicht anders, als die Mittel für die Befriedigung ihres Verlangens bereitzustellen.

Die Zeit der Grus auf eine bestimmte Epoche von ein oder zwei Jahrzehnten zu beschränken und zu sagen, daß es vor und nach dieser Zeit keine Meisterseele gegeben habe, widerspricht dem fundamentalen Gesetz von Bedarf und Versorgung und ist deshalb unrichtig.

Die Lehren der Meister sind für alle Zeiten gedacht, nicht nur für eine besondere Epoche. Sie vermitteln ewige Wahrheiten von unwandelbarer Gütigkeit und sind das gemeinsame Erbe der ganzen Menschheit. Der Kern ihrer Aussagen ist zum Beispiel, daß Gott einer ist und das Geschenk eines Gottmenschen. Dies ist eine unumstößliche, sich selbst bezeugende Wahrheit, die kaum einer Erläuterung bedarf.

Im Anurag Sagar läßt uns Kabir Sahib wissen, daß er in allen vier Yugas oder Zeitaltern in die Welt kam.

Den Bhagat Bani gab es lange vor dem Gurbani. Aus dem Guru Granth Sahib und den Versen von Bhai Gurdas erfahren wir, daß Shabd oder Bani den Menschen aller Zeiten Nutzen brachte.

Krishna und Balbhadra neigten sich beide vor einem 
Guru. Namdev, der Kattundrucker, und Kabir, der
Weber, lernten die esoterische Wissenschaft von einem
Guru.
Bani existiert in allen vier Zeitaltern und bringt die 
Botschaft der Wahrheit.
Shabd ist wahr, und Bani ist wahr.
Die Gottmenschen haben es zu allen Zeiten erklärt.

Nach der Biographie Guru Nanaks von Bhai Bala soll Guru Nanak geäußert haben, daß in diesem Kali Yuga (eisernen Zeitalter), mancher Heiliger komme, um die Menschen zu Gott zu führen.

Siebzig Bhagats und vierzehn Heilige kämen während 
dieser Zeit. Die Heiligen würden ganze 
Schiffsladungen von Menschen heimwärts bringen.
Jene, die nicht glauben, müßten sich hilflos abquälen,
und die Sklaven ihres niederen Selbst würden nicht
angenommen.

Aus dem Gesagten wird deutlich, daß der Guru und Gurban immer zusammen da waren. Stets ist der Guru der Mittler gewesen, um den Wahrheitssuchern zu helfen.

O Gott, deine Heiligen waren zu allen Zeiten in der
Welt! O Gott, zu allen Zeiten sind die Gurus einander
nachgefolgt! Die Reihe der Satgurus setzt sich
weiterhin fort, und immer haben sie die Lehre von 
Naam verkündet.

 

11. Kapitel

Der Wert der heiligen Schriften

Der Guru ist ein Wesen von hoher Spiritualität, dessen Machtbereich sich bis Sach Khand erstreckt. Er hat ein Ersthand- Wissen von And, Brahmand und Sach Khand, den drei großen Aufteilungen von der physischen Ebene bis zu den rein spirituellen Bereichen.

Von der Umklammerung des Körpers und Gemüts befreit, ist er mit reiner Spiritualität geladen. Nur wenn der Jiva mit einem solchen Wesen in Verbindung kommt, wird das in ihm schlummernde spirituelle Verlangen geweckt. Der Guru ist wahrlich eine brennende Kerze, die viele erloschene Lichter neu entfacht. Durch eine Übertragung seines eigenen Lebensimpulses kann er andere beleben. Manche Leute sind der Ansicht, allein das Studium der Schriften reiche aus, spirituelles Licht zu erlangen. Dazu sei kann Meister nötig. Wir wollen hier einhalten, um Wert und Bedeutung der heiligen Bücher und Schriften zu erwägen. 

Sie sind im Grunde nichts anderes als Berichts über die persönlichen inneren Experimente und Erfahrungen von Weisen, Sehern, Propheten und gottesfürchtigen Menschen der Vergangenheit. Es ist gut, sie mit liebevoller Hingabe zu lesen. Wir sollten alle Achtung für sie haben, da sie ein großes Schatzhaus der Spiritualität bilden, das unsere Vorfahren zu unserem Nutzen hinterlassen haben.

Die Bücher und Biographien hochbeseelter Persönlichkeiten erwecken ein spirituelles Verlangen in uns und erfüllen uns mit Mut und Hoffnung. Wir mögen in einem gewissen Ausmaß mit den allgemeinen Grundsätzen der Spiritualität vertraut werden, können aber weder ihren wahren Sinn erfahren noch den Lebensimpuls bekommen, was man beides nur von einem lebenden Meister erhält.

Bücher sind letztlich materielle Dinge, und Materie kann kein Leben vermitteln.

Wie Licht von Licht, so kommt Leben von Leben. Nur eine erwachte Seele kann uns aus dem tiefen Schlaf rütteln. Selbst wenn wir jahrhundertelang die Schriften lesen und zahllose aufopferungsvolle Werke tun, werden wir dennoch nicht zu geistigem Erwachen und geistiger Einsicht gelangen.

Spiritualität kann weder gekauft noch gelehrt werden, aber einer, der selbst von ihr durchdrungen, ja von ihr besessen ist, kann sie wie eine Infektion übertragen.

Die Lehrer der Heiligen müssen nicht nur studiert, sondern auch offenbart werden. Es genügt nicht, die Theorie des Pfades zu kennen, man muß ihn sehen, erfahren und prüfen. Es ist zugleich eine Wissenschaft und eine Kunst, in deren Geheimnisse uns nur ein Adept sicher einführen kann, der uns leitet und ans Ziel bringt.

Gott dient man am besten in der Hingabe
an einen Gottmenschen, denn durch seine
Barmherzigkeit können ihr Gott erreichen.

Selbst die heiligen Schriften und Meister der Vergangenheit ermahnen uns nachdrücklich, einen lebenden Meister zu suchen.

Trinke das Waschwasser von den Füßen eines Sadh.
Bringe dich um seinetwillen zum Opfer dar.
Wasche dich im Staub seiner Füße und opfere
dich ihm.
Sei ein Sklave der Heiligen – 
das ist alles, was du wissen mußt. 

Auch Bhai Gurdas sagt uns:

Der Guru birgt in sich alle Veden und heiligen
Schriften. Eine Verbindung mit ihm ist Hilfe genug, 
um das Meer des Lebens heil zu überqueren.
Wir können die Wahrheit nicht ohne den Meister der
Wahrheit erkennen. Gott selbst muß zu diesem Zweck
zu uns herabkommen.

Es gibt Menschen, die ihr ganzes Leben lang das religiöse Schrifttum eifrig und gewissenhaft studieren. Sie wissen eine Menge auswendig und können gelehrten Vorträge und hochtrabende reden über spirituelle Themen halten, sind aber glückseligerweise bar jedes spirituellen Wissen und jeglicher spiritueller Erfahrung. Ihr Leben und Verhalten ist genauso leer wie das aller anderen Menschen. Sie haben weder von Grund auf gelernt noch das Wasser des Lebens an seine Quelle getrunken, dem lebenden Meister. Im Shri Asa Ki War lesen wir:

Man mag eine große Menge Wissen anhäufen und
noch soviel davon in seinen Kopf hineinzwängen. Man 
bringt eine regelrechte Ernte der Gelehrsamkeit ein 
und studiert unentwegt sein ganzes Leben lang, Jahr 
um Jahr, Monat für Monat, jeden Augenblick. Eines 
ist sicher, o Nanak: man wird nur ein aufgeblasener 
Esel!

O Nanak, man mag die heiligen Lehren ach Gewicht 
studieren und immerzu in diese Arbeit vertieft sein.
Doch welcher Wert hat letzten Endes die
Gelehrsamkeit, wenn Naam weit über allen heiligen 
Büchern liegt?

Bücher enthalten allenfalls eine Beschreibung des Wissens von Gott, können aber dieses Gut nicht wirklich geben.

Seid dessen sicher, daß der Kern allen Wissens und
aller Weisheit in Dhuni (dem Tonprinzip) liegt und als
solcher unbeschreiblich ist.

Dieser Kern ist in uns. Aber solange wir nicht innen anzuklopfen verstehen, wie es Emerson nennt, können wir ihn nicht besitzen.

Der Parapsychologe und Forscher Dr. J. B. Rhine sagt in seinem Buch „Neuland der Seele“, daß es etwas im Menschen gibt, das alles Materie übersteigt. Wenn man spirituelles Wissen aus Büchern haben könnte, wären alle gebildeten Leute inzwischen Heilige geworden.

Aber tatsächliche Erfahrungen zeigt, daß sie trotz aller Buchgelehrtsamkeit weiterhin so materiell sind wie die Bibliotheken, in denen diese Bücher aufbewahrt werden. 

Mit dem Balast des Buchwissens beladen, sind sie einem Esel vergleichbar, der wankend eine Bürde Sandelholz trägt und nicht den süßen Duft wahrnimmt, der davon ausströmt.

Wie ein Löffel im Pudding wissen wir nichts von seinem Geschmack. In diesem Zeitalter der Gelehrtsamkeit, da die Welt der Bücher geradezu überschwemmt ist, gibt es bedauerlicherweise keine spirituelle Flut, ja nicht einmal eine Handvoll spirituell gesinnter Menschen.

Erst wenn ein Meister der Wahrheit kommt, der die Spiritualität ans Licht der Öffentlichkeit bringt, werden viele in diesen Farben gefärbt. Ein bewußter Geist kann nur durch jemanden angespornt und belebt werden, der ein größeres Bewußtsein hat. Weder Bücher noch intellektuelles Wissen können das zuwege bringen. Keiner, wie klug er auch sei, kann einen anderen mit Leben erfüllen, wenn er es selbst nicht hat.

Über Spiritualität zu reden ist viel einfacher, als sie zu leben. Solche Menschen befassen sich nur oberflächlich mit ihr, machen eine Schau daraus und können nichts Gutes tun. Maulana Rumi rät:

Begib dich unter den allumfassenden Einfluß eines
Heiligen. Bei einem, der bloß nachahmt, kannst du
den Pfad nicht finden.

Im Evangelium lesen wir die Worte Christi:

Sehet euch vor vor den falschen Propheten, die in
Schafskleidern zu euch kommen, inwendig aber sind
sie reißende Wölfe.
                                                               Matth. 7, 15

Die Gemeinschaft mit einem Heiligen ist dazu angetan, im Jiva ein Verlangen nach Spiritualität zu wecken. Dies ist in der Tat der Prüfstein für die Weltklugen. Ein solcher Mensch ist würdig, daß wir ihn von ganzem Herzen und ganzer Seele achten und verehren. Wer immer mit ihm in Verbindung kommt, wird von der spirituellen Kraft magnetisch angezogen und aufgeladen und in die geistigen Bereiche geführt.

Mein Körper, mein Herz und mein Besitz, alles gehört
dem Meister. Seine Gnade hat den heiligen Gral
gereicht und ein Ganzes aus mir gemacht. Die Welt hat
keinen größeren Wohltäter als ihn. Wer sich mit einem
Sadh verbindet, wird heil hinübergebracht.

Das Ideal des Meisters ist spiritueller Natur. Er ist nicht auf seinen physischen Körper beschränkt wie wir. Es ist das personifizierte Wort.

Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns.



Der physische Körper ist wie ein Kleid, das sowohl vom Schüler als auch vom Meister im Augenblick, wo die innere Reise beginnt, abzulegen ist; denn der Geist muß diesen Pfad ungehindert beschreiten. Aber solange der Meister als Lehrer für die verirrten Bücher auf der physischen Ebene wirkt, ist seine Gestalt voll der göttlichen Barmherzigkeit wahrlich zu preisen, da sie das Licht Gottes um sich verbreitet und alle mit starken spirituellen Strahlen durchdringt. Der Mensch ist der Lehrer des Menschen, und der ideale Mensch war immer des Menschen Leitbild.

Die es als Abgötterei bezeichnen, kennen das Geheimnis der Größe des Meisters nicht. Dieser „Menschenkult“, wie sie es nennen, ist weit besser als „Bücherkult“ oder „Idolverehrung“, da es eine Verbindung des niederen Bewußtseins für das höhere ist. Leben kann nur von Leben kommen, nicht von der trägen Materie. Hazrat Khusro, ein großer Sufi- Dichter, sagt in seinen bekannten Versen:

Die Leute erklären, Khusro sein ein Götzendiener.
In der Tat, ich gebe es zu,
denn was hat die Welt mit mir zu tun?

Ein anderer persischer Dichter hat auf seinem Krankenbett gesagt:

O unwissender Arzt, nimm Abschied, denn du 
weißt nicht, daß es für den Liebeskranken kein
anderes Heilmittel gibt als den Anblick seines
Geliebten.

Als Guru Nanak in seiner Kindheit unter den Qualen der Liebe litt, bat er den ihn betreuenden Arzt auf ähnliche Weise, zu gehen, da er die Krankheit seines Herzens nicht finden könne.

Ein Weltkluger und ein Ergebener haben nichts miteinander gemein. Wer niemals die Hingabe kenngelernt hat, weiß nichts vom Wert eines Meisters, der ein Pol Gottes ist und in seiner Güte Licht auf die Welt ausgießt.

Tatsächlich ist der Begriff ‚Guru‘ nicht die Benennung für irgendeine Person. Er bezeichnet und bedeutet eine dynamische Kraft, die in einer bestimmten menschlichen Form und durch sie wirkt und das Ideal für uns alle ist.

Es ist die den spirituellen Fortschritt fördernde Kraft. Mit seinem Licht des Geistes überflutet die Welt, und man sieht nichts als Licht. Die Sucher nach der Spiritualität scharen sich wie Motten um ihn und bringen sich in seiner heiligen und Ehrfurcht gebietenden Gegenwart selbst zum Opfer dar. Kabir Sahib sagt:

Die Unwissenden betrachten den Meister als einen
Menschen; sie werden vom Wirbelwind der Welt erfaßt
und gehen unter. Ihr Körper und Gemüt sind
bedeutungslos, und sie können nichts erreichen. Sie 
sind außerstande, in sich Hingabe zu entwickeln und 
der Gebundenheit zu entrinnen. Solche Jivas stürzen
kopfüber ins Höllenfeuer und drehen sich unaufhörlich
mit dem gewaltigen Rad der Schöpfung.

 

12. Kapitel

Der Guru ist ein Übermensch oder Gottmensch

Als Mensch verkörpert der Guru das Ideal eines Menschen: in ihm erstrahlt die Sonne der Spiritualität. Er ist der Urquell des Lebens, der Inbegriff der gesamten sichtbaren und unsichtbaren Schöpfung, von Sat Lok angefangen bis herunter zur physischen Ebene. Keiner kann ihn ganz erkennen, so wie es unmöglich ist, das Meer zu durchschwimmen. Für ein kurzes Bad begibt man sich nicht in die Mitte des Meeres, sondern begnügt sich mit dem Wasser am Strand oder Badeplatz. Durch den vollendeten Menschen kann man sich der Liebe, des Lichts und Lebens Gottes erfreuen.

Wenn wir nach seiner Größe und Herkunft fragen, wie er herabkommen und welches seine Mission im Leben ist, kann nur soviel gesagt werden, daß er direkt von Sat Lok oder dem Reich Gottes kam und nach den verschiedenen Zwischenebenen (Tap Lok, Jan Lok, Swar Lok, Bhanwar Lok usw.) die physische Welt oder Bhu Lok erreicht hat, allein um den Weltmüden seine Gottheit zu offenbaren. 

Kommet her zu mit alle, die ihr mühselig und
beladen seid; ich will euch erquicken.
Matth. 11, 28

Denn des Menschen Sohn ist gekommen, zu suchen
und selig zu machen, was verloren ist.
Luk. 19, 10

Der Murshid-i-Kamil (vollendete Meister) ist eine wahre Wohnstatt der Eigenschaft Gottes, die er in reichem Maße besitzt. Das gültige Licht des Himmels scheint in ihm, und er verbreitet es unter den Menschen. In ihm wogt die Liebe Gottes gleich einem bewegten Wasser des Meeres ...

... das Priesterwerk der Reinigung, das die See rund
um die Erde wirkt am Menschenstrand ...
Keats

Vor allem ist er das Leben des Lebens, und seine größte Mission ist es, den ganz in weltliche Bestrebungen vertieften Jivas, die völlig erstarrt und für höhere Regungen tot sind, den Lebensimpuls zu übertragen. Der Höchste kann im Gottmenschen wohl erkannt werden. Es heißt, daß Gott den Menschen ihm zum Bilde schuf und den Engeln befahl, sich vor diesem zu beugen. Maulana Rumi sagt:

Er hat fürwahr die Sonne in den Menschen
hineingelegt.

Wenn sich einer ins kosmische Bewußtsein erhebt, erkennt er, daß der Meister der Mittelpunkt des ganzen Universums ist. Er ist die personifizierte Wahrheit vom reinen Wesen Gottes und der Verehrung aller würdig.

Er ist der Führer und Lenker des Menschen, der größte, höchste und vollendete unter ihnen. Er ist wirklich die Verkörperung alles Guten und Edlen. Er ist das Urbild Gottes und wirkt als sein Vizeregent, der seine Gesetze auf allen Ebenen (der physischen und der spirituellen) handhabt. Ihn zeichnen richterlicher Scharfsinn, große Unterscheidungskraft und ein gesundes Urteilsvermögen aus. Er mag ungebildet sein, ist aber dennoch der Gelehrteste. Auch als Mensch ist er der Heiligste der Heiligen, von höchster Frömmigkeit und Liebe, einer Liebe, die über die Grenzen sozialer Gemeinschaften, Länder und Nationen weit hinausreicht. Sein Selbst ist so alt wie die Menschheit. Er ist der Weltbürger, und sein Aufruf hat universale Bedeutung. Er ist, mit einem Wort, der gesandte Gottes, der in die Welt kam, um seine Liebe, sein Licht und Leben mit der irrenden Menschheit zu teilen.

In dieser Welt lebt er wie jeder andere. Obgleich in der Welt, ist er nicht von der Welt. Er liebt alle Menschen viel mehr als Eltern ihre Kinder. Er kennt unsere Fehler, schaut aber über sie hinweg und hilft uns lächelnd, sie zu überwinden. Voller Barmherzigkeit und einem unstillbaren Verlangen in der Seele, geht der Menschensohn wie Christus mit wunden, schmerzenden Füßen endlos umher und sucht hingebungsvoll wiederzufinden und zu retten, was verloren ist: den Menschen, seinen Bruder, die verlorengegangene Seele.

Er mag wie ein Mensch aussehen, ist aber in Wirklichkeit weit mehr, mehr sogar als ein Übermensch. Er ist in jeder Hinsicht vollendet: physisch, geistig, moralisch, spirituell und als Offenbarung Gottes. Bei aller Größe tut er sein Werk als Niedrigster unter den Niedrigen, als Bescheidenster unter den Bescheidenen. Er vereinigt in sich Macht und Armut, Verstandeskraft und Liebe, Größe und Demut.

Als Meister der Wahrheit übertritt er selbst den Übermenschen bei weitem. Sein Einfluß erstreckt sich bis in die rein spirituellen Regionen, die jeweils der menschlichen Begrenzungen von Raum, Zeit und Kausalität liegen. Er kann den physischen Körper willentlich verlassen, Sonne und Mond betreten, die feinstofflichen und kausalen ebenen durchqueren wie auch Par Brahm und was darüber liegt.

Die wissenschaftliche Forschung mit ihren materiellen Errungenschaften tappt im dunkeln. Sie befindet sich noch völlig in der materiellen Welt, wo die Wissenschaftler mit all der ihnen zu Gebote stehenden geistigen und moralischen Kraft hart arbeiten. Sie haben keine Vorstellung von den verschiedenen Ebenen, die dem Meister der Wahrheit nach seinem freien Willen und Wohlgefallen zugänglich sind.

Wer die Lehren des Meisters annimmt und nach seiner Weisung arbeitet, kann mit eigenen Augen sehen. Alle Heiligen stimmen darin überein:

Das Reich Gottes liegt im Innern.

Christus sagt uns:

Das Reich Gottes kommt nicht mit äußerlichen
Gebärden; man wird auch nicht sagen: Siehe hier!
oder: da ist es! Denn sehet, das Reich Gottes ist
inwendig in euch.
                                                         Luk. 17, 20-21

Auch im Gurbani finden wir:

Alles in euch, nichts ist außerhalb von euch.
Die Suche im Äußeren ist fruchtlos, o Bruder, da ihr 
das Kronjuwel in euch habt.
Wer außen sucht, befindet sich noch in der Wildnis.

Der menschliche Körper ist der Tempel Gottes. Er ist die wirkliche, von Gott geschaffene Kirche, Synagoge und Moschee. Wie beklagenswert, daß wir ihn in von Menschen gebauten Häusern suchen! Wer tief in die Höhe des menschlichen Gemüts einzudringen und im Laboratorium der Seele zu experimentieren weiß, ist imstande, Wunderbares und Erhabenes zu schauen und die himmlischen Melodien der göttlichen Harmonie zu hören.

Alles ist im Körper: Khand, Mandal und Patal (hohe und niedrige innere Ebenen einschließlich der Unterwelt). Er birgt den Kronschutz der Spiritualität, und ein Ergebener kann ihn in Fülle haben. Der ganze Makrokosmos ist im Mikrokosmos. In diesem Körper kann man Naam (das Wort) erlangen, wenn man den Weisungen des Meisters folgt.

Der große Philosoph Sannai sagt uns:

Im Reich des menschlichen Körpers gibt es zahllose 
Firmamente und geordnet wirkende Kräfte. Der Geist
muß so manche hohe und niedrige Bereiche, Berge 
und Flußtäler durchqueren. Es gibt da viele Ebenen,
Meere, Wüsten und schwindelnde Höhen, von denen
man sich kaum eine Vorstellung machen kann. In die-
sem gewaltigen Irrgarten ist die physische Welt nur ein
winziger Fleck auf dem großen Meer.

Als der Tempel Gottes ist der Menschenkörper ein Abbild der großen Schöpfung, und wer ihn ergründet, wird das Geheimnis der Schöpfung.

Brahmand und Pind wurden gleich gestaltet. Die
Erforschung des einen offenbart von selbst, wie ein
aufgeschlagenes Buch, das Mysterium des anderen.

Wirklich groß ist der Mensch, da er zahllose Möglichkeiten hat. Der ganze Makrokosmos befindet sich im Mikrokosmos des Körpers. Wir aber schauen auf die äußere Hülle, mit der wir ständig beschäftigt sind, und wissen wenig, was sich hinter dieser verbirgt. Wir hegen und pflegen den Körper, lassen jedoch seine Wurzeln vertrocknen. Die Wurzeln der gesamten Schöpfung nehmen ihren Ausgang in der feinstofflichen Region, in die wir durch einen Prozeß der Umkehr gelangen können.

Wahrlich, ich sage euch: Wer das Reich Gottes nicht
empfängt als ein Kindlein, der wird nicht
hineinkommen.
Mark. 10, 15

Aber unglücklicherweise haben wir nie einen Blick nach innen getan, weil es uns widerstrebt, wie ein kleines Kind zu werden. Auch Emerson, ein großer Philosoph, ermahnt uns, „innen anzuklopfen“. Bergson gibt uns den Rat, „innerlich einen Todessprung“ zu machen, um zur Quelle aller Erkenntnis vorzudringen.

Den Prozeß der Umkehr, das innere Anklopfen, de inneren Todessprung oder – nach den Worte Jesu – wie ein kleines Kind zu werden, lehrt uns im einzelnen der Meister der Wahrheit durch das gesprochene Wort und durch Unterweisung auf den verschiedenen Ebenen, wenn die Seele unter seiner persönlichen Führung und Obhut fortschreitet.

Heilige sind Wissenschaftler der Welt des Geistes und Meister des Para Vidya, des Wissens vom Jenseits, also von dem, was jenseits des Verstandes und der Vernunft liegt und durch das Wahrnehmungsvermögen erlernt und erkannt werden kann.

Es handelt sich mit einem Begriff moderner Psychologen und Parapsychologe um eine außersinnliche Wahrnehmung (ASW). Sie haben, wie Dr. J. B. Rhine in seinem Buch „Neuland der Seele“ schreibt, durch ihre Forschungen entdeckt daß im Menschen etwas unabhängig von den Gesetzen der Materie wirksam ist. Der Meister der Wahrheit ist mit diesem Etwas völlig vertraut und kompetent, die volle außersinnliche Wahrnehmung zu gewähren, so wie ein Augenchirurg die Sehkraft der physischen Augen wiederherstellen kann. Der Meister sagt gleich Buddha, daß die physische Existenz nur ein Leben im Elend ist, daß aber jenseits davon zahllose feinstoffliche Ebenen sind, wo man nur Licht und Glückseligkeit erfährt. Er begibt sich täglich dorthin und berichtet uns über seine Erfahrungen. Wer seinen Weisungen folgt und im Laboratorium des menschlichen Geistes unter seiner Anleitung experimentiert, sieht die feinstofflichen Welten, so wie wir die physische sehen, und die Ergebnisse sind absolut sicher und bestimmt, wie zwei mal zwei vier ist.

 

13. Kapitel

Der Meister und die Heimkehr der Jivas

Der Meister kommt von seiner spirituellen Wohnstatt, um die Jivas in ihrer Heimat zurückzuführen.

Es kann niemand zu mir kommen, es sei denn,
daß ihn ziehe der Vater, der mich gesandt hat.
                                                          Joh. 6, 44

Unsere Seele ist völlig wesenseins mit Gott. Seit Ihrer Trennung von diesem Meer der Glückseligkeit ist sie im Gefängnis des Körpers und Gemüts eingekerkert. Auch die Heiligen kommen von ihrer hohen Wohnstatt herab, um die zur Rückreise bereiten Seelen nach Hause zu bringen.

Es ist in der Tat Gott selbst, der in Menschengestalt kommt, um die Jivas, wenn sie ihre Probezeit bestanden haben, aus den Fängen der negativen Kräfte zu befreien. Dies ist die Erfüllung der große Verheißung oder des erhabenen Gesetz: der Mensch muß der Lehrer des Menschen sein, der von der wahren Erlösung und der freudigen Heimkehr kündet.

Es kommt die Stunde und ist schon jetzt, daß die Toten
werden die Stimme des Sohnes Gottes hören; und die
sie hören werden, die werden leben.
                                                                       Joh. 5, 25

Der dich in die Welt sandte, ruft dich wieder zu sich.
Kehre in deine ursprüngliche Heimat in Sahaj (jenseits
der drei Bereiche, des physischen, mentalen und
kausalen) zurück.

sie sind eins mit dem Herrn und kommen auf sein Geheiß als Bevollmächtigte in diese Welt, um sein Gesetz, das über die Heimkehr bestimmt, zu handhaben. Dies ist ihre edle Mission, und voller Würde erfüllen sie einen Plan. Shamas-i-Tabrez sagt über sich:

Ihr könnt euch schwerlich vorstellen, welche Art
Wesen wir sind und was wir allezeit preisen. Wir mögen
einem Bettelmann gleichen, aber unsere Handlungen 
sind mehr als königlich. Auch wenn wir arm er-
scheinen, ist unser Reichtum doch größer als die Funde 
der größte Goldmine. Als König der Könige machen
wir uns nichts aus dem kurzen Aufenthalt in diesem
Gefängnis der Welt. Wir sind hier nur Pilger und
können nicht lange bleiben. Wir haben einen Bund mit 
dem Herrn und sind unserem Gelöbnis treu. Solange
wir uns im physischen Gewand befinden, gibt es
keinen, der uns ein Ärgernis wäre oder den wir
beunruhigen würden. Wie ein wahres Paradies sind wir
immer von gütigen Licht und himmlischer Gnade
erfüllt. Glücklich leben wir mit heiterem Herzen und
einem Lächeln auf den Lippen.

Guru Gorbind Singh sagt uns in gleicher Weise über sich:

Nachdem ich die Dualität überwunden hatte, ward ich
eins mit dem Herrn. Niemals begehrte ich, wieder in
die Welt herabzukommen, doch auf sein Geheiß mußte
ich mich fügen, und ich kam, um seinen Plan zu
erfüllen.

Auch Kabir läßt uns wissen:

Kabir kommt von der himmlischen Wohnstatt des
Herrn und hat einen direkten Auftrag (Anweisungen
für sein Wirken) von ihm.

Im Evangelium heißt es:

Ich tue nichts von mir selber, sondern, wie mich mein
Vater gelehrt hat, so rede ich.
                                                                   Joh. 8, 28

Im Gurbani haben wir ähnliche Hinweise:

O Lalo, ich rede nichts aus mir selbst. Ich sage einfach,
was mir der Geliebte in den Mund legt.
Der geringe Nanak spricht nur, wenn ihm so zu tun
geheißen wird.

 

14. Kapitel

Der Meister und seine Mission

Meisterseelen kommen in die Welt aus reiner Barmherzigkeit für die leidende Menschheit.

Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen 
seid; ich will euch erquicken.
                                                                Matth. 11, 28

Sie müssen notgedrungen das stoffliche Kleid in seiner ganzen Unreinheit anlegen, da sie auf der physischen Ebene unter menschlichen Wesen zu wirken haben.

Gott selbst kleidet sich in des gemeinen Menschen
Fleisch, um schwach genug zu sein, Leid zu erdulden.
                                                                   John Donne

Die Art und Weise, wie sie in die Welt kommen und diese wieder verlassen, ist jedoch ganz anders als die unsere. Sie kommen und gehen aus eigenem, freiem Entschluß, während wir es unter dem unerbittlichen Druck karmischen Zwangs tun, so wie ein Verurteilter im Gefängnis seine Strafe verbüßt. Sie erscheinen zum Segen der Menschheit um den Lebensimpuls solchen verkörperten Seelen zu gewähren, die nach dem wirklichen Leben verlangen. Nicht an den Körper gebunden und auf ewig frei, sind sie hier, um die Seelen zu erlösen.

Die Starken bedürfen des Arztes nicht, sondern die
Kranken. Ich bin gekommen, zu rufen die Sünder zur
Buße, und nicht die Gerechten.
                                                                  Mark. 2, 17

Geburt und Tod berühren sie nicht, denn ihre Mission
ist, die Sünder zu erlösen. Indem sie ihre eigene
Lebenskraft übertragen, verwandeln sie die Schüler in
Heilige.

Eine Meisterseele ist der größte Wohltäter auf Erden. Sein Werk nimmt den höchsten rang ein und besteht darin, die Seelen aus dem großen Gefängnis von Gemüt und Materie zu befreien, sie aus der Verbannung in ihre unvergängliche Heimat zu bringen und ihnen ihr reiches Erbe zurückzugeben. Ein wohlwollender Mensch mag beim Gefängniswärter erreichen, daß die unter seiner Aufsicht stehenden Gefangenen mit schmackhafter Nahrung versorgt werden. Ein anderer gibt ihnen Genußmittel. Ein dritter setzt sich für gute Kleidung und Unterbringung ein. Zweifellos trägt jeder von ihnen etwas dazu bei, ihr gegenwärtiges Los zu erleichtern.

Wenn aber jemand das Gefängnistor öffnete und sie aufforderte, dem Schutz und Elend des Kerkers zu entfliehen, würde natürlich seine Tat die der anderen bei weitem übertreffen.

Genau dieser Art ist das Werk einer Meisterseele. Sie macht uns das verlorene Reich zugänglich und bringt uns ins Paradies zurück, aus dem Adam und durch ihn seine Nachkommen wegen des ersten Ungehorsams gegen Gottes Gebot vertrieben wurden.

Der Fall des Menschen im Garten Eden war schändlich, und niemand außer dem Menschensohn kann ihm die Gnade des Vaters zurückgeben und die Versöhnung erwirken. Er nimmt stellvertretend die Verantwortung für die Sünden des Menschen auf sich, reinigt ihn von aller Schmach und erhebt ihn durch Übertragung seines eigenen Lebensimpulses ins kosmische Bewußtsein, wodurch er ewiges Leben erlangt.

 

15. Kapitel

Der Meister und sein Werk

Der Meister gleicht einem wunscherfüllenden Baum, denn stets erfüllt er den Suchern die Wünsche, welcher Art sie auch sein mögen. Die Reichen und Armen, Hoch- und Niedriggestellten, jeder will etwas von ihm haben. Den größten Gefallen aber findet er daran, die Seelen aus der Umklammerung des Körpers und Gemüts zu befreien. Ungeachtet der Glaubensgemeinschaft, aus der er kommt, kümmert er sich um die spirituellen Bedürfnisse aller.

Er begründet keine neuen „Ismen“, noch brandmarkt er die bestehenden. Er kommt nicht, das Gesetz aufzulösen, sondern um es zu erfüllen. Alle (geistigen) „Ismen“ beziehen tatsächlich ihre Kraft und Gemeinsamkeit von ihm.

In seiner unvergleichlich liebevollen Weise begegnet er jedem auf dem Wege des geringsten Widerstandes. Er mischt sich nicht in persönliche Glaubensansichten und –bekenntnisse oder in die soziale Ordnung der Dinge ein. Er spricht nur über die Seele, ihre eigentliche Natur, ihren Sitz im Körper, über die verschiedenen Wege ihres Wirkens, ihre verborgenen Fähigkeiten; und er erklärt, wie sie sich im Zusammenhang mit Körper, Gemüt und Gott entfalten und dadurch frei und ausgeglichen werden kann.

Sein Aufruf richtet sich an die Seele, und seine Worte dringen in ihre innersten Tiefen. Er zahlt mit barem Geld und vertröstet die Menschen nicht auf ihr Lebensende oder des Jenseits. Er lehrt:

Glaube nicht den Worten einer Meisterseele,
bis du das, wovon er spricht, mit eigenen 
Augen siehst.

Um des Experimentierens willen müssen wir zunächst die Worte eines Meisters annehmen. Aber wenn wir die Wahrheit dessen, was er sagt, wirklich nachprüfen und sie bestätigt finden, wird das zunächst nur Angenommene zur Gewißheit.

Wenn man einmal das Licht der Sonne sieht, kann man ihre Existenz nicht leugnen, selbst wenn alle Blinden der Welt zusammenstünden, um ihr Dasein zu bestreiten.

Solange man noch nicht die innere Schau hat, kann die Erkenntnis der Wirklichkeit nicht aufdämmern, und die Jivas oder verkörperten Seelen befinden sich weiter in tiefster Finsternis und in einer Unwissenheit größten Ausmaßes.

Immer wenn ein Meister der Wahrheit in die Welt kommt, scharen sich jene, die nach höherer Erkenntnis hungern und dürsten, um ihn und stillen ihr Verlangen mit dem Manna und Elixier des Lebens, das er den Suchern großzügig gewährt.

Allmählich entwickelt sich ihre Liebe zu beständiger Hingabe und macht sie mehr und mehr für die erlösende Gnade des Meisters geeignet, was dem Jiva hilft, alsbald heimzukehren.

 

16. Kapitel

Der Meister und seine Verpflichtungen

Die Aufgaben und Verpflichtungen eines Meisters sind zahllos. Seine erste und wichtigste Arbeit ist, das Geschöpf wieder mit dem Schöpfer zu verbinden, ihm das Reich Gottes zu gewinnen und es auf Grund seiner einstigen, doch vergessenen Herkunft wieder in sein Erbe einzusetzen. Dies bewirkt er durch Shabd oder das Wort, das die Seele in ihre ursprüngliche Heimat zurückführt.

Wie elektromagnetische Wellen pulsiert Shabd oder das Wort überall, aber unglücklicherweise sind wir gegen der gewaltigen Schwere und dichte der Materie auf der physischen Ebene nicht imstande, dies wahrzunehmen und zu unserem Vorteil zu nutzen.

Ein Meister befreit die Seele durch seine persönliche Führung von der drückenden Last der Materie, löst sie von den Sinnesorganen, zieht ihre sich ständig verbreitenden Strahlen zurück und sammelt sie an ihrem Zentrum hinter den beiden Augenbrauen. Dadurch befähigt er sie, ein wenig vom Licht Gottes zu erfahren und Shabd, die Stimme Gottes, zu hören, die beide im Lauf der Zeit durch stetige Übung entwickelt werden können.

Der Jiva wird von dieser magnetischen Kraft, dem Tonprinzip, angezogen, die ihn Schritt für Schritt zu seinem letzten Ziel bringt. Die bloße Kenntnis der Wissenschaft der Meister und intellektuelles Denken allein, wie scharfsinnig es auch immer sei, sind dabei von keinerlei Hilfe.

Ein ethisches Leben ist das Sprungbrett zur Spiritualität. Man sagt, daß Reinheit der Gottesfurcht am nächsten kommt. Ein Meister beginnt daher sein Werk mit der Heranbildung zum Menschen. Reinheit in Gedanken, Worten und Taten ist ein wesentlicher Punkt, der nicht genug betont werden kann. Da Selbsterkenntnis der Gotterkenntnis vorausgeht, muß ein Meister als erstes das Wissen über den Geist in Theorie und Praxis vermitteln, um ihn von den Fesseln des Körpers und Gemüts zu lösen.

Nach und nach gelingt es dem Geist, die verschiedenen ihn umgebenden Hüllen und Bedeckungen abzulegen, bis er rein, frei und unbefleckt ist und voller Glück ausruft: „Ich bin Geist!“

Darauf erfolgt die Schulung in der Gotterkenntnis, die der Höhepunkt und das Kronjuwel der spirituellen Wissenschaft ist und die Seele befähigt, die Gottheit zu erlangen.

Wenn sich der Hirte eines verlorenen Schafes annimmt und es in seine Herde bringt, lädt er die ganze Verantwortung auf sich. Wer einmal Meister ist, bleibt es nach einem bekannten Ausspruch für immer. Er ist nicht nur ein Meister auf Erden, sondern auch in den feinstofflichen, kausalen und noch darüber liegenden Regionen. Er ruht nicht, bis er die Seele heil in die himmlischen Wohnstatt des Vaters zurückgebracht hat.

Der verlauf der Heimkehr und das Fortschreiten auf dem Pfad liegen ganz in seinem Ermessen. Er allein bestimmt den Zeitpunkt und die Reichweite eines jeden Schrittes, der zu Gott führt.

Sobald die Seele in die Astralebene kommt und sich der selbstleuchtenden Form des Meisters gegenüber, hat der Jiva nichts mehr zu tun oder anzustreben. Es ist fortan die Aufgabe des Meisters.

Des weiteren ist der Meister ein Kind des Lichts, und wie ein Leuchtturm über der stürmischen See strahlt er sein gütiges Licht in die ganze Welt aus. Wie der gute Hirte muß er viele Schafe hüten und über sie wachen. Wer immer mit einer Meisterseele in Verbindung kommt, wird schließlich für den Pfad vorbereitet und hilfreich durch seine Lehr- und Probezeit geführt.

 

17. Kapitel

Der Guru ist der Gottmensch

Der Meister ist wahrhaftig die vollendete Offenbarung Gottes. Von göttlichem Licht erfüllt, ist er sein Fackelträger. Er ist der Pol, durch den der Höchste seinen Erlösungsplan vollbringt. Gott, der den Menschen ihm zum Bilde schuf, errichtete wegen der ersten Sünde, des Ungehorsams gegen ihn, eine eiserne Wand zwischen sich und der Seele. So wird gesagt, daß der Mensch aus dem Garten Eden in die physische Welt vertrieben wurde, um im Schweiße seines Angesichts sein Brot zu verdienen und durch einen Erlöser, den Menschensohn, Befreiung zu finden, in dessen Gestalt der Herr selbst mit dem Schlüssel herabkommt, um das Himmelreich für die verlorenen Schafe aufzuschließen.

Das Wort wird Fleisch und wohnt unter uns; das Licht Gottes leuchtet durch seine Augen, die Stimme Gottes spricht durch ihn, und die Gnade Gottes bringt jenen, die nach ihm hungern und dürsten, Erlösung. Er lebt wie ein gewöhnlicher Mensch unter uns, teilt unsere Freuden und Leiden, gibt uns spirituelle Unterweisung und leitet uns auf dem Pfad. Im Vater begründet, führt er seinen Willen aus.

Alle Dinge sind mir übergeben von meinem Vater.
Und niemand kennet den Sohn denn nur der Vater;
und niemand kennet den Vater denn nur der Sohn
und wem es der Sohn will offenbaren.
                                                              Matth. 11, 27

Auch Maulana Rumi sagt:

Im Meister wohnen Gott und der Mittler zugleich.
Es gibt in der Tat nicht den geringsten Unterschied
zwischen ihnen.
Verbanne alle Gedanken der Dualität aus deinem
Herzen, sonst wirst du dich in der Wildnis verlieren.
Ebenso wird es dir mit deinen ersten Lektionen in der
Spiritualität ergehen. Wer beide als getrennte Wesen 
betrachtet, hat noch nichts vom Meister gelernt und
weiß nichts von ihm.

Der Meister ist die Form des formlosen Gottes, die Erscheinungsform, die wir sehen und mit der wir in Verbindung kommen können. Sie ist es auch, die uns Wissen von Gott vermittelt, uns als strahlende Form auf der Reise zu ihm begleitet und unsere Schritte auf dem Pfad lenkt.

Auf jeder Ebene, der physischen, kausalen und den überliegenden, nimmt die Glorie des Meisters zu, und seine unbegrenzte Macht und Reichweite wird der von ihm geleiteten Seele im Verlauf der Reise mehr und mehr offenkundigt.

Er ist der Gottmensch, und seine Erscheinungsform in der Welt ist die Kibla und Kaaba der Moslems, der Altar der Christen, das ewige Licht der Anhänger Zoroaster, der Tempel, die Synagoge und der Gurdawara, denn er allein ist die Verehrung würdig.

Wie die Atmosphäre mit Elektrizität, so ist das ganze Universum von Gott durchdrungen. Es gibt keinen Ort, wo er nicht wäre, und doch ist er den Augen verborgen. Der Guru oder Meister ist der mächtige Schalter, die Quelle und der Ursprung, der uns seine Größe und Schimmer seiner Kraft wahrnehmen läßt.

Der Meister ist also der Pol, durch den der Herr wirkt. man kann ihn darum mit Recht den polarisierten Gott nennen, im Unterschied zu dem verborgenen Zustand, in dem er mit allen eins ist und wir ihn doch nicht erkennen.

Seine Macht und Erhabenheit offenbart sich im Meister in Fülle. Solange man nicht mit einem Gottmenschen in Verbindung kommt, bleibt Gott ein bloßer Begriff, eine der vom Menschen ersonnenen alltäglichen Vorstellung, ein Schatten ohne jede Wirklichkeit.

Im Meister begegnet man dem lebendigen Gott auf Erden, der wie irgendein anderer mit uns s0pricht und unsere Freude teilt, der uns mit Wort und Beispiel führt und von Stufe zu Stufe weiterhilft. Ja, gesegnet ist die Seele, die einen lebendigen Kontakt mit einem lebenden Meister, dem größten Geschenk Gottes für die Menschheit, herstellen kann.

Der Mensch ist der Lehrer des Menschen. Wenn uns nicht der Gottmensch Licht gibt, bleibt uns das Licht der Wirklichkeit fremd, und wie Blinde irren wir völlig im Dunkeln.

Mit den leiblichen Augen können wir in der Welt, die uns umgibt, nur physische Dinge sehen. Mit dem subtilen Sehvermögen erkennt man die feinstoffliche Welt, mit kausalen wiederum das kausale Universum. Als Meister aller drei Welten und der noch darüber liegenden gewährt er das innere Licht, das die Finsternis im Innern erhellt. Ein endloses Panorama der spirituellen Schau tut sich einem auf, dehnt sich immer mehr aus und erschließt einem auf Schritt und Tritt neue Freuden. Das alles bewirkt er mit Hilfe des Tonstromes oder der Stimme Gottes, durch welche die Toten, wenn sie sie hören, zum Leben erweckt werden und ewiges Leben erhalten. Er ist das Bindeglied zwischen der Seele und der Überseele. Er ist in Gott verwurzelt; seine Zweige, beladen mit den Blüten und Früchten des Paradieses, breiten sich über die ganze Welt aus; so versorgt er alle, die zu ihm kommen, mit spiritueller Nahrung. Maulana Rumi sagt in diesem Zusammenhang:

O Freund, setze dich zu einem, der den Zustand deines
Herzens kennt (und es ganz machen kann). Ruhe eine
Weile im Schatten eines Baumes, der voll frischer,
duftender Blüten ist. Säume nicht wie Müßiggänger,
die auf dem Marktplatz von einem Stand zum anderen
schlendern. Begib dich gleich zu einem, der einen
Honigvorrat bei sich hat.

O tapfere Seele, halte dich fest am Gewand von einem,
der die verschiedenen Ebenen, die physischen, mentalen,
supramentale und die darüberliegenden, gut kennt
und imstande ist, wie ein treuer Freund bei dir zu
bleiben, sei es im Leben oder im Tod, in dieser oder in
der nächsten Welt.

Die physische Welt oder astrale Form des Meisters, des Gott- im- Menschen,, die uns auf der Reise zu ihm beisteht, ist weit besser als seine ursprüngliche, unsichtbare Form, die sich jeglichem Denken und Betrachten entzieht.

Brahma, Vishnu, Shiva, Ishwar (Niranjan) und Parmeshwar (Verkörperung Brahmas) sind alle unserer Achtung und Verehrung würdig.

Ehrfürchtig haben wir in den heiligen Schriften eine Menge über sie gelesen. Sie erscheinen als Helden und Heldinnen im mystischen Erzählungen, sind als solche aber nichts anderes als Erfindungen der menschlichen Phantasie.

Wenn der Satguru oder Meister der Wahrheit eine Seele (im Gaggan) in seine Obhut nimmt, offenbart er allmählich die wahre Bedeutung und Eigenart jeder dieser Inkarnationen. Sie alle sind seit Anbeginn der Schöpfung da und erfüllen die ihnen zugewiesenen Pflichten.

Wir können aber weder sie selbst noch ihr Wirken oder ihren Einfluß erkennen, wenn er uns nicht von einem Satguru gezeigt wird, der uns das Wesen dieser geheimnisvollen Hierarchie enthüllt.

Gott selbst unterrichtet uns in Menschengestalt (durch Heilige und Propheten) von der Natur seines eigenen ursprünglichen Seins. Guru Amar Das hat deshalb erklärt:

Es ist das Grundprinzip Gottes, da ohne einen
Meister der Wahrheit niemand auch nur an ihr denken
kann.

Ebenso sagt uns Kabir:

Der Meister ist größer als Gott. Ihr mögt gut über 
dieses Wort nachdenken. Hingabe an Gott hält den
Menschen auf dieser Seite (der physischen Ebene)
gefangen, aber Hingabe an den Guru bringt ihn
darüber hinaus zu Gott.

Die Größe des Meisters liegt darin, daß er die Seele mit der unbekannten Wirklichkeit verbindet und dem Kreislauf der Geburten und Tode ein Ende setzt. Die Überseele könnte sich, auch wenn sie bei uns ist, nicht direkt offenbaren noch die Seele aus der physischen Ebene herausnehmen und befreien.

Nur durch die Unterweisung eines Gurus (einer Meisterseele oder eines Gottmenschen) und die Verbindung mit Shabd (dem Wort oder dem waltenden Gott) erzielt man diese wunderbaren Ergebnisse.

Ohne das Wort entrinnt man der Knechtschaft nicht.
Der Meister ist das personifizierte Wort, und er kann
es in uns offenbaren.

Gott mag sich abwenden und man selbst darüber
unbekümmert sein, aber wenn es der Meister tut, kann
keiner die Versöhnung zustande bringen.
                                                                              Kabir

Wenn wir Shivas Gunst verlieren, kann sie uns der
Meister zurückgewinnen. Wer aber söhnt uns mit dem
Meister aus?

Sehjo Bai, eine ergebene, kündet uns hierüber in melodischen Weisen, die die Größe ihres Meisters, Charan Das, besingen:

Ich mag Gott preisgeben, aber nicht einen Augenblick
kann ich den Meister vergessen, denn Gott selbst
kommt ihm nicht gleich.

Gott trieb mich in die Öde der Welt, doch der Meister
hat den endlosen Kreislauf meiner Seelenwanderung
durchbrochen.

Gott hat mir die fünf Todsünden (Wunschhaftigkeit,
Zorn, Habgier, Verblendung und Selbstsucht) an die
Fersen geheftet, aber der Meister erbarmt sich meiner
Hilflosigkeit und bewahrt mich vor ihnen.

Gott verstrickt mich im Netz familiärer Bindungen,
doch der Meister hat sie zerschnitten.

Gott liefert mich Leiden, Verfall und Tod aus, der
Meister aber hat mich mit seinen Yoga- Kräften davon
befreit.

Gott band mich an Händen und Füßen im Netzwerk
karmischer Rückwirkungen, doch der Meister ent-
hüllt mir mein wahres Wesen. So weiß ich nun, daß 
ich Seele bin, der Geist des Universums.

Gott in mir verbarg sich hinter einem Vorhang, der
Meister hingegen offenbart ihn mir mit seiner Fackel
der Wahrheit.

Gott war es auch, der Knechtschaft und Befreiung
schuf, doch der Meister hat all diesem trügerischen 
Wahn ein Ende gemacht.

Ich opfere Charan Das, meinem Meister, Körper und
Seele und würde selbst Gott um des Meisters willen
aufgeben.

 

18. Kapitel

Guru Dev

(Die astrale oder selbstleuchtende Form des Meisters)

Die Bezeichnung Dev ist von der Sanskritwurzel Div abgeleitet und bedeutet „Licht“. Mit der Wortverbindung Guru Dev wird daher die astrale oder leuchtende Form des Meisters benannt, in der er nach dem Verlassen der physischen Ebene in den Astralenregionen erscheint, um die Seele zu führen, wenn sie sich über den physischen Körper erhebt.

Die theosophische Literatur weist auf den Glanz der Meisterseele in den feinstofflichen und kausalen Ebenen hin, der über große Entfernung wahrzunehmen ist. Tulsi Sahib erwähnt, daß die Fußnägel des Gurus dem Mani gleichen (dem Kronjuwel im Kopf einer Schildkröte, das aufleuchtet wie ein Blitz in der Nacht). Dieses Astrallicht verleiht dem dritten Auge Sehvermögen.

Blendendes Licht leuchtet von den Fußnägeln
des Meisters und erhellt fürwahr die Seele des
Ergebenen.

Maulana Rumi sagt darüber:

Wenn das Licht des Meisters in der Seele aufdämmert,
erfährt man die Geheimnisse beider Welten.

Ein wirklicher Guru ist die wahrhaftige Offenbarung Gottes. Er ist in der Tat der Satguru oder Meister der Wahrheit und enthüllt in der Welt das Licht der Wahrheit.

O Nanak, der Guru ist der Satguru!
Ich möchte die Füße des Satgurus berühren.

Das Wort Guru Dev bezeichnet also die selbstleuchtende Form des Meisters, die frei von seinem physischen Körper ist und weit über diesem steht. Sie wird mit dem inneren, feinstofflichen Licht der Seele wahrgenommen. Wenn sie dem astralen Meister von Angesicht zu Angesicht begegnet, vergehen alle Zweifel, und ihre Mühen werden mit dem höchsten Gut des Lebens gekrönt.

Der Guru Dev macht die Augen sehend.
Alle Zweifel lösen sich in nichts auf,
und der Liebe Mühen werden mit ewiger
Seligkeit belohnt.

Jesus Christus hat gesagt:

Wenn dein Auge einfältig ist, wird dein
ganzer Leib licht sein. 
                                           Matth. 6, 22

Nach den Worten Guru Arjans offenbart sich die gesegnete Form des Meisters in der Stirn eines Ergebenen.

Die gesegnete Form des Meisters ist in meiner 
Stirn. Wenn immer ich nach innen schaue, er-
blicke ich ihn dort.

Ein Moslem- Heiliger sagt ebenso:

Das Bild des Geliebten ist im Spiegel meines
Herzens. Ich sehe ihn, wenn ich den Kopf nur ein
wenig nach unten neige.

In dieser astralen oder selbstleuchtenden Form führt der Meister die Seele gottwärts durch verschiedene Ebenen jenseits der physischen bis hin zu Sat Lok oder dem Bereich der Wahrheit. Zwischen Guru, Guru Dev, Satguru und Gott besteht kein Unterschied.

Es ist ein und derselbe Strom göttlicher Barmherzigkeit, der in verschiedenen Regionen unterschiedliche Namen annimmt.

Nach dem Gesetz der Entsprechung wird dieser Strom, wenn er sich auf der physischen Ebene zum Nutzen der Gottsucher verkörpert, Guru oder Meister genannt, der wie jeder andere Lehrer mit Hilfe des gesprochenen Wortes spirituelle Anleitung gibt.

Sobald die strebende Seele den Körper verläßt und reif ist, die Reise in den astralen oder feinstofflichen Ebenen zu beginnen, erscheint der geistige Strom in feinstofflicher Form zu ihrem Vorteil und ihre Führung.

Diese subtile, von der physischen Gestalt des Gurus losgelösten Form wird Guru Dev genannt. Sie ist selbstleuchtend und von einem strahlenden Glanz, der sich in unübersehbare Weiten erstreckt. Der Satguru oder Meister der Wahrheit ist die durch den Guru und Guru Dev wirkende Kraft der Wahrheit oder Gotteskraft. Fest in Sat oder der Wahrheit verwurzelt, nimmt er seine Inspiration unmittelbar aus Sat oder der ewigen, unwandelbaren Dauer und ist daher als Satguru bekannt. 

So sehen wir, wie Sat Dhara oder der Strom von Sat weit nach unten fließt und dabei eine Ebene nach der anderen hervorbringt, bis er schließlich mit der physischen Ebene endet.

Derselbe Strom, der auf den verschiedenen Ebenen jeweils als Guru, Guru Dev und Satguru bekannt ist, hilft auch den Jivas bei ihrer Heimkehr, bis die Wurzeln von Sat erreicht sind und die Seele erstaunt. „Wah-i-Guru“ ausruft, was bedeutet: „Wie groß ist deine Herrlichkeit, o Guru!“ 

All das ist unbeschreiblich und unfaßbar! So lesen wir im Gurbani:

Der Guru Dev ist der Satguru, Par Brahm und
Parmeshwar. O Nanak, dem Guru Dev zu huldigen
heißt Hari oder Gott huldigen.

Diese Wahrheit oder Sat ist eins mit dem Guru, wenn er auf der physischen Ebene wirkt. Darum hören wir:

Gesegnet ist die physische Form des Meisters, in der
die ganze Kraft von oben in vollem Maße wirksam ist.

Die Größe des Meisters ist unbeschreiblich und über 
allem Begreifen, denn er ist Par Brahm Parmeshwar,
jenseits aller Wahrnehmungen und Erkenntnis.

Der Guru Dev kann weder erkannt noch ergründet
werden. Wenn man den Anweisungen folgt, kann man
tief in die Mysterien der Vergangenheit, Gegenwart
und Zukunft eindringen. Es ist nur seiner Gnade zu
verdanken, wenn einer etwas von dem Unbekannten
und Unerkennbaren zu verstehen beginnt.

In der physischen Welt wirkt und handelt er wie ein Guru oder Meister. Aber wenn der Jiva nach einer gewissen Zeit der spirituellen Praxis und Disziplin fähig ist, Pind oder den Körper zu verlassen und And (die feinstoffliche Ebene) zu betreten, kommt ihm der Guru in der feinstofflichen, leuchtenden Form als sein Guru Dev zu Hilfe. Er wirkt hier als Bindeglied zwischen Guru und Satguru, da er von dem Guru im Körper die Verantwortung für die Seele übernimmt und sie zum Satguru und Sat Purush führt.

Der Guru Dev empfängt die Seele, wenn sie die Grenze zwischen der physischen und den feinstofflichen Regionen überschreitet und Sterne, Sonne und Mond durchquert, wovon in den Veden als Devian und Pitrian Margs (Wege) gesprochen wird. Die astrale Form ist genau wie die physische Form des Meisters, doch sehr viel schöner, leuchtender und anziehender. Maulana Rumi sagt uns:

Solltet ihr den Wunsch haben, dieses strahlende Licht
zu sehen, so geht heimwärts wie Ibrahim. Nehmt euren
Weg durch den großen Stern, das Firmament und das 
Blau darüber. geht unentwegt weiter, über Sonnen und
Mond hinweg, dann seid ihr in den himmlischen
Sphären.

Guru Nanak bezieht sich auf diesen erleuchtenden Pfad mit folgenden Worten:

Die strahlende Form des Meisters bezaubert und
beglückt in wunderbarer Weise. Nur ein vollendeter
Meister kann dies der Seele offenbaren.

Diese Strahlende Form des Meisters ist der ständige Begleiter der Seele in den verschiedenen Ebenen, die in Sach Khand oder der Wohnstatt der Wahrheit enden. Wenn diese Form zum Augenbrennpunkt herabkommt, braucht sich ein Ergebener um nichts mehr zu mühen. Hierin besteht seine Hingabe. Die Hälfte der Arbeit ist erfolgreich getan. Von nun an behütet die astrale Form des Meisters die Seele mit der ganzen Verantwortung, sie zum letzten Ziel zu führen. Selbst die Heiligen verehren diese Form und werden durch sie mit Freude und Begeisterung erfüllt.

Die gesegneten Füße des geliebten Guru Dev werden
von den Heiligen, den Geliebten Gottes, verehrt.

Auch Khawaja Moin-du-Din Christi spricht von der leuchtenden Form des Meisters:

O Meister, die Sonne kann dem Glanz deines Antlitzes
nicht standhalten.

Auch der Mond hat sich in Wolken gehüllt, um deinem 
blendenden Licht zu entgehen.

Die Sonne entflieht ihre Leuchtkraft dem Staub deiner
Füße und hat ihr goldenes Zelt am blauen Firmament
aufgeschlagen. Dränge ein einziger Strahl deines
Angesichts in den Himmel, würde sich die Sonne
beschämt hinter einem Schleier verbergen. So wie das
Licht der Sonne im Körper des Mondes, hat das Licht
der Sonne in der Person des Nabi (Propheten) leibliche
Gestalt angenommen.

Maulana Rumi sagt über die strahlende Form seines Meisters folgendes:

Was weißt du vom König der Könige, der immer bei
mir ist? Wirf einen Blick in mein Inneres, und lasse 
dich nicht durch meine äußere Erscheinung täuschen.

Auf ähnliche Weise hat Johannes in der Offenbarung seine innere Erfahrung mit der strahlenden Form beschrieben:

Ich war im Geist ... und hörte hinter mir eine große
Stimme wie eine Posaune ...

Und ich wandte mich um, zu sehen nach der Stimme,
die mit mir redete.

Und als ich mich umgewandt hatte, sah ich ... einen,
der war eines Menschen Sohne gleich, der war angetan
mit einem langen Gewand und begürtet um die Brust
mit einem goldenen Gürtel.

Sein Haupt aber und sein Haar waren weiß wie weiße 
Wolle, wie der Schnee, und seine Augen wie eine 
Feuerflamme,

und seine Füße gleich wie Messing, das im Ofen glüht,
und seine Stimme wie großes Wasserrauschen ... und
sein Angesicht leuchtet wie die helle Sonne.
                                              Offenbarung 1, 10, 12-16

Im Sar Bachan von Soami Ji Maharaj finden wir folgenden Hinweis:

Ungewöhnlich und wunderbar war die Form. Worte
können diese Herrlichkeit nicht beschreiben.

Hafiz, ein berühmter Dichter der Mystik, sagt uns:

... wie den neugeborenen Mond nur die 4 reinen Auges
sehen. Nicht jedem offenbart sich diese Pracht.

Die astrale Form der Meisterseele ist von unwandelbarer Dauer. Es ist die Form, die die Strebenden zu ihrem Ziel leitet.

Der Guru Dev ist im Anbeginn der Schöpfung. Er ist 
am Anfang eines jeden Zeitalters und besteht zu allen
Zeiten fort. Durch den Guru Dev allein kann man
Hari erreichen.

Guru Arjan sagt über den Guru Dev:

Heil dem ewigen Guru (Har Rai);
heil dem Guru des Zeitalters (Sat Purush oder Ram
Rai); heil dem Satguru (der Offenbarung des Sat
Purush); und heil dem Guru Dev (der strahlenden,
selbstleuchtenden Form des Gurus, dem Bindeglied
zwischen Guru und Satguru, das für die Führung und
Leitung der Seele durch die verschiedenen Ebenen
verantwortlich ist).

Der Guru Dev ist die größte und höchste Offenbarung des Sat Purush. Er ist die kontrollierende Gotteskraft, die Erlösung bringen kann. Durch Hingabe an ihn wird einem jede Erleichterung gewährt.

Der Guru Dev ist nichts als Sat; alle Verehrung, die nicht ihm gilt, ist trügerisch.

Guru Arjan hat mit denkwürdigen Worten die Größe des Guru Dev gerühmt:

Der Guru Dev ist der Vater, der Guru Dev ist die
Mutter, er ist der Meister und Gott selbst.

Der Guru Dev ist ein wirklicher Freund, der das 
Dunkel der Unwissenheit zerstreut und alle Bindungen
aufhebt.

Der Guru Dev gibt Naam, ein Zauberwort, das alle
Übel vertreibt.

Der Guru Dev ist die Verkörperung des Friedens, der 
Wahrheit und höchsten Intelligenz, fürwahr ein Stein
der Weisen.

Der Guru Dev ist ein Pilgerort, eine Quelle des
Lebenselixier und das Licht der Vernunft.

Der Guru Dev bestimmt alles, macht den Sünden ein
Ende und reinigt die Sünder.

Der Guru Dev ist immer und ewig seit dem Anbeginn
der Schöpfung und eines jeden Zeitalters; und sein
Wort ist errettende Gnade.

Der Guru Dev ist das größte Geschenk Gottes, das, 
wenn es gewährt wird, die ärgsten Sünder erlöst.

Der Guru Dev ist der Satguru, Par Brahm und
Parmeshwar. Heil ihm, o Nanak!

Im Gurbani wird gesagt, welch unermeßlichen Vorteils man sich erfreut, wenn man dem Guru Dev begegnet:

Die fünf Todsünden – Wunschhaftigkeit, Zorn, Habgier, Verblendung und Sehnsucht – schwinden dahin.

Myriaden karmischer Eindrücke aus unzähliger Zeitaltern werden unwirksam gemacht. Er nimmt den Jiva aus dem physischen und mentalen Bewußtsein heraus und führt ihn ins kosmische Bewußtsein, wo er nicht länger die Leidenschaft der Welt erfährt, in die die ganze Menschheit verstrickt ist.

Selbst in der Welt werden alle Wünsche der Seele erfüllt. Danach ist ihr Weg einfach und eben, und sie erhält von allen Seiten Zustimmung.

In diesem Kali Yuga (eisernen Zeitalter) der Verderbtheit und Finsternis dient der Guru Dev als Leitstern auf dem stürmischen Meer des Lebens, der die Sünder sicher ins Reich des Friedens und der Glückseligkeit führt. Eine befreite Seele wird wiederum alle mit sich ziehen, die ihr nahestehen.

Die Offenbarung des Guru Dev hängt allein von Gottes Gnade ab und den besonderen Verdiensten beim Fortschreiten auf dem spirituellen Pfad.

 

19. Kapitel

Der vollendete Meister

Um vollen Nutzen aus Para Vidya (der Wissenschaft der Spiritualität) zu ziehen, ist die Führung durch einen lebenden Meister oder Adepten in der Kunst und Wissenschaft der Spiritualität unbedingt notwendig. Er muß ein Murshid-i-Kamil oder vollendeter heiliger sein, der die Sucher zur Vollendung führen kann. „Wenn aber der Blinde den Blinden führt, fallen beide in die Grube“ ist eine allgemeine Redewendung, zu bekannt, um irgendeiner Erläuterung zu bedürfen.

Es gibt verschiedene Grade und Stufen auf dem geistigen Pfad. Nur ein Heiliger der höchsten Ordnung kann die Jivas heil zum Gipfel der höchsten Spiritualität bringen. Ein Anfänger oder jemand, der den Weg erst zur Hälfte erklommen hat, ist dazu nicht fähig.

An einer Lehranstalt unterrichten verschieden Lehrer in den einzelnen Klassen. Auch in dieser Wissenschaft gibt es eine Reihe von Graden und Rangbezeichnungen, wie zum Beispiel Sadh, Sant und Param Sant.

Für das rechte Verständnis der Spiritualität in Theorie und Praxis benötigen wir zumindest die Hilfe eines Sant oder Heiligen. Ein Sadh (einer, der die physischen, astrale und kausale Ebene erfolgreich überschritten hat und über dem Bewußtsein des Körpers und Gemüts steht) kann uns Führung geben und auf die weitere Schulung durch einen Heiligen vorbereiten. Wer aber noch kein Sadh ist, kann nicht von Hilfe sein. Die völlige Befreiung vom Zyklus der Geburten und Tode erlangt man allein von einem Meister- Heiligen.

Ein vollendeter Meister trägt keinen Echtheitsstempel an sich. Nur durch die persönliche Verbindung mit ihm beginnt man allmählich etwas von seiner Größe zu verstehen; so wie ein Student mit fortschreitendem Studium nach und nach einiges vom Wissen und Können seines Lehrers erwirbt.

Wie schon gesagt, kann der Meister nicht seine ganze Größe auf einmal enthüllen, sondern nur in dem Maße, wie der Strebende auf dem Pfad seinen Eifer zeigt und vorwärtskommt. Der Meister beginnt wie ein gewöhnlicher Lehrer und gibt Anleitungen wie ein Freund und Gönner. Im verlauf der Zeit beweist er die Autorität eines Murshid oder Meister auf dem Pfad; und schließlich erkennt man, daß er in Sat oder der Wahrheit als Satguru oder Meister der Wahrheit verankert ist, bis zuletzt eine Stufe kommt, wo er und Gott ohne jede Grenze zwischen als ein und derselbe gesehen werden.

 

20. Kapitel

Wie findet und erkennt man einen vollendeten Meister?

Ein vollendeter Meister zu finden ist nicht so leicht, wie es scheinen mag. Da wir die ganze Zeit auf der Sinnesebene leben, haben wir nicht die Augen, um den menschlichen Pol zu erkennen, durch den die Gotteskraft in der Welt wirkt. Doch wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg. Alles, was von einem Sucher verlangt wird, ist eine lautere Absicht und vor allem große Sehnsucht und brennendes Verlangen nach dem Herrn. Wo Feuer ist, kommt Sauerstoff von selbst zu Hilfe. Das Prinzip von Bedarf und Versorgung ist in allen Lebensbereichen, von den physischen bis zu den spirituellen, gleichermaßen wirksam. Es gibt immer Nahrung für die Hungrigen und Wasser für die Durstigen.

Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr
finden; klopfet an, so wird euch aufgetan.
                                                              Matth. 7, 7

Niemand kann zwei Herren dienen: entweder er wird
den einen hassen und den anderen lieben, oder er wird 
dem einen anhangen und den anderen verachten. Ihr
könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.
                                                                   Matth. 6, 24

... ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifriger Gott ...
                                                           2. Mose 20, 5

Ebenso wie Gott fordert auch der Gottmensch von denen, die ihn lieben, eine ausschließliche und unbegrenzte Liebe. Solange man nicht bereit ist, alles zu opfern – Körper, Gemüt und Besitz - , bleibt der Weg zu ihm verschlossen, und wir können uns nicht dem Gottmenschen nähern, der uns den Weg zeigt.

„Wenn der Chela (Schüler) bereit ist, erscheint der Guru“; ist das Gesetz des Herrn. Wie kann man mit verbundenen Augen ohne Hilfe ans Ziel kommen?

Es kann niemand zu mir kommen, es sei denn, daß ihn
ziehe der Vater, der mich gesandt hat.
                                                                      Joh. 6, 44

Wem es Gott bestimmt hat, wird von selbst zum Gottmenschen hingezogen, oder der Gottmenschen findet ihn, wo immer er gerade ist.

Ähnlich ist es dem Menschen nicht gegeben, den Gottmenschen in seiner Fülle zu erkennen. Wir können seine Größe nur soweit erfassen, als er es gewährt. Er allein entscheidet über Zeit und Ausmaß jeden Fortschritts und enthüllt uns nach seinem Ermessen allmählich und stufenweise soviel von seinem spirituellen Reichtum, wie er uns davon zu verstehen, zu erfassen und sicher zu bewahren möglich macht. Wenn man in seiner Gemeinschaft auf dem spirituellen Pfad fortschreitet, erkennt man ihn mehr und mehr, indem man seine Kraft auf allen inneren Ebenen, von einem Ende zum anderen, wirken sieht, bis er in der rein spirituellen Region (Muqam-i-Haq oder Sach Khand) in seiner ursprünglichen Offenbarung (Ek- Ankar) erscheint. Auf Erden ist er das fleischgewordene Wort, das im Einklang mit den Gesetzen der irdischen Ebene unter uns wohnt und uns wie jeder andere weltliche Lehrer belehrt; natürlich nicht hinsichtlich dieser Welt, sondern über eine von ihr völlig verschiedene, eine Welt, die aus sich selbst leuchtet und mit Sternen, Monden und Sonnen in unermeßlicher Zahl übersät ist. Während er offensichtlich die Freuden und Leiden der Welt mit uns teilt, steht er doch weit über allen Gegensätzen, gibt uns außen und innen unermüdlich seine spirituellen Worten der Weisheit, entfacht in uns auf unendlich vielfältige Art die Liebe zu Gott und hält uns an, ihn zu verherrlichen.

Wie gütig der Meister auch immer ist, hat doch
niemand einen Anspruch auf seine Gnade. Sie fließt
allen auf gleiche Weise zu, aber jeder erhält soviel, wie
er es bestimmt.
Der Satguru ist Sat personifiziert und kennt alle. In
allen gegenwärtig, steht er dennoch über aller Gunst 
und Haß.

 

21. Kapitel

Sein Leben und seine Lebensführung

Das Leben und die Lebensführung eines vollendeten Meisters zeichnen ihn als einzigartige Persönlichkeit unter allen anderen Menschen aus.

  1. Er ist immer der Gebende, nie der Empfangende. Er erwartet von seinen Anhängern nicht den geringsten Dienst, bestreitet seinen Lebensunterhalt selbst und fällt niemanden zur Last. Wenn er persönliche Ersparnisse hat, gibt er sie, um das Los der Bedürfnisse zu erleichtern.

    Berührt nicht die Füße eines Menschen,
    der von den Spenden anderer lebt.
    O Nanak, wer sein Brot selbst verdient
    und den Notleidenden hilft, kennt den Pfad!

  2. Er verlangt nichts für seine Unterweisung, sondern gewährt die Spiritualität gratis wie irgendeine andere Gabe Gottes – Licht, Luft, Wasser usw.

  3. Er ist eine lebendige Verkörperung der Demut. Obwohl er mit all seinen Kräften und in seiner Größe dem Herrn gleich ist, beansprucht er keine Ehre für sich, sondern schreibt alles Gott mit seinem Meister zu. Wie der fruchtbeladenen Zweig eines Baumes beugt er sich vor dem Geringsten und bewegt sich mit einfacher Würde, die ihm allein eigen ist.

    Wer sich selbst als den Geringsten betrachtet,
    ist fürwahr der Höchste.

  4. Er ist keinem böse, sondern lebt mit allen in Frieden. Lächelnd vergibt er denen, die schlecht über ihn reden, und sucht nicht nach Schwächen bei anderen. Seine Liebe umfaßt die ganze Menschheit. wie Christus verkündet und praktiziert er die fundamentale Wahrheit: „Liebet eure Feinde!“

  5. Reinheit, Frömmigkeit und Spiritualität fließen von ihm wie glitzernde Quellen kühlen und erfrischenden Wassers, das die verdorrten und ausgetrockneten Herzen der Sucher belebt, die freudig den hohen geistigen Pfad unter seiner kundigen Führung gehen.

  6. Er trägt keine auffallende Kleidung. Er hält sich an den einfachen Mittelweg. Auf seiner erhabenen Straße meidet er Härten und Bußen einerseits, bloße Formen und Förmlichkeiten andererseits. Seine Lehre besteht aus der Verkündigung natürlicher Wahrheiten, die tief in die Seele dringen, und jeder kann sich ungeachtet des Geschlechts oder Alter seiner spirituellen Schulung unterziehen.

  7. Er glaubt nicht an „Wunder“, noch vollbringt er welche, um wie ein Gaukler die Menschen anzuziehen und ihre Gläubigkeit zu gewinnen. Er hält seine Schätze in seinem tiefsten Innern wohlverborgen. Er kann, wenn besondere Umstände es erfordern, von seinen Kräften Gebrauch machen. Die Schüler nehmen natürlich täglich die verborgene Hand des Meisters wahr, die für ihr Wohlergehen und ihren Fortschritt am Werk ist.

 

22. Kapitel

Die physische Form des Meisters

Wir lesen über Besonderheiten, welche die physische Form eines vollendeten Meisters aufweist. Auch physisch ist er ohne jede Mißbildung und frei von Mängeln. Sein Gang ist voller Harmonie und Würde. Seine Augen funkeln wie die eines Löwen. Er hat eine breite Stirn, ein Lotoszeichen an den Füßen und gewöhnlich ein dunkles Mal in seinem strahlend leuchtenden Antlitz.

Hafiz, ein großer Sufi- Dichter aus Shiraz, sagt uns:

Wenn sich diese Schönheit von Shiraz (der Meister)
meines wandernden Gemüts annähmen, würde ich
beide Welten (Himmel und Erde) am Alter des
wunderbaren Mals in seinem Antlitz wegwerfen.

 

23. Kapitel

Der Einfluß des Meisters

1. In seiner Gegenwart wird das Gemüt bezähmt und fühlt sich geborgen.

Wie können wir die Gemeinschaft eines solchen finden,
bei dessen Anblick sich das immer rastlose Gemüt
verliert und die Seele von Lebensimpulsen überflutet 
wird? Der geliebte Meister erweist sich als wahrer
Freund und gewährt göttliche Trunkenheit.

Er verbreitet um sich Strahlen der Reinheit, die aus würdevoller Demut kommen und einen mächtigen Einfluß auf die Jivas haben. Seine Worte sind mit Spiritualität geladen, ziehen die Seele ins Jenseits und vermitteln eine Art lebendiger, berauschender Heiterkeit.

Wenn er seine Geheimnisse enthüllt, würde sich
meine Seele eilends zu Gott erheben.
Maulana Rumi

2. Ein steter Blick auf seine Stirn und in seine Augen offenbart ein einzigartiges Licht, das der Seele Kraft gibt und sogleich die alles durchdringenden Sinnesströme sammelt, wodurch man sich in einem höheren Bewußtseinszustand befindet.

3. Er ist ein Friedensfürst und steht über aller Gegensätzlichkeit. Die Gemeinschaft mit ihm befreit in uns Ströme des Segens und der Glückseligkeit. Er vertreibt alle Gedanken der Feindschaft und Rivalität und verleiht der Seele statt dessen Gleichmut, was nach und nach zur Gottheit führt.

In wessen Gemeinschaft man sich gesegnet fühlt, der
ist der Meister der Wahrheit. Er reinigt das Gemüt und
erlöst die Seele.

4. Er ist im Vollbesitz der Ojas- Kraft (Frucht der Keuschheit), und seine Stirn leuchtet in göttlichem Licht. Durch den Magnetismus seiner geladenen Worte wird man unwiderstehlich angezogen. Aus seinen Augen strahlt ein besonderes Licht, welches das Gemüt wie ein Fischadler lähmt. Er ist gleich einem Sauerteig und erweckt das Leben im dürren Lande des Gemüts.

5. Mit scharfen Augen dringt er tief in die Gefühle und Empfindungen eines Menschen, und er paßt seine Weisungen der Zeit und den individuellen Bedürfnissen an. Das physische Gewand eines Jivas oder einer Seele ist für ihn wie ein durchsichtiges Glas. Obwohl er leicht feststellen kann, was sich darin befindet, enthüllt er es niemals der Öffentlichkeit, sondern behält sein Wissen über jeden für sich. Wer immer zu ihm geht, empfängt süßen Wohlgeruch, so wie ein Käfer oder eine Wespe von einer Blume. Im Hause des Meisters gibt es alles in Fülle, und jeder bekommt, was er wünscht. Wer Verbindung mit einer Meisterseele aufnimmt, erhält spirituelle Eindrücke, die im Laufe der Zeit Frucht tragen müssen. Von dem Augenblick an, wo ein Mensch einem Meister begegnet, sind ihm bessere Zeiten gewiß.

6. Ein Sant Satguru ist fürwahr der Sohn Gottes. Er hat echte Liebe für die Menschen aller Religionen, Länder und Nationalitäten gleicherweise und sieht in allen das Licht Gottes. Sein Anruf ist deshalb universal und an die ganze Menschheit gerichtet.

Alle sind aus demselben Licht geboren, und es gibt, so
gesehen, keinen Unterschied zwischen den Menschen.
O Nanak, Angehörige aller Glaubensrichtungen
versammeln sich in der Herde des Satgurus. Der
Satguru ist alle Barmherzigkeit, und ihm ist nichts
verborgen. Er behandelt jeden gleich und tut das Werk
aller, die an ihn glauben.

Er zerstört nicht die alte Kirche, noch gründet er eine neue. Er ist ein Meister der Wahrheit und fragt nicht danach, zu welcher Gemeinschaft oder welchem Glauben jemand gehört. Alles, was zählt, ist das spirituelle Verlangen, denn dadurch allein eignet sich Jiva für den Pfad des Meisters.

Wenn sich einer an Shabd oder dem Wort erfreut,
vergißt er sich selbst gänzlich.
Für den, der klar sieht, gibt es nur einen Pfad,
sei er nun ein Pandit oder ein Sheikh.

Er spricht unerschrocken über den spirituellen Pfad, der sich trotz der religiösen Unterschiede in jedem von uns befindet. Wer imstande ist, die Verbindung mit einem solchen Meister herzustellen, ist wirklich ein Pilger auf dem Pfad und hat durch ihn den größten Nutzen. Maulana Rumi sagt daher:

Wenn ihr eine Pilgerreise machen wollt,
müßt ihr als Führer und Begleiter einen
erfahrenen Pilger mit euch nehmen, wobei
es nichts zu sagen hat, ob er ein Hindu, 
Türke oder Araber ist. Kümmert euch nicht um sein
Aussehen, aber achtet darauf, daß 
er kompetent ist und den Weg kennt.

Schließlich sei gesagt, daß wir nicht irgendeine weltliche Verbindung mit dem Meister herzustellen haben. Was wir von ihm brauchen, ist die spirituelle Unterweisung und Führung; und wenn er diese geben kann, sollte uns das genug sein.

7. Meister- Heilige sind die Offenbarung der Gottheit. So wie sich ihnen die himmlischen Wahrheiten lautlos und subtil erschließen, wirken auch ihre Anweisungen im Stillen und dringen ohne Worte tief in die Jivas ein.

Ein Sheikh (Meister) ist wie Gott in das formlose
Jenseits eingebettet, und er vermittelt seine Lehren,
ohne eine einzige Silbe zu sprechen.

Die Weisungen des Meisters werden in einer ungesprochenen Sprache erteilt und lassen sich daher weder mündlich noch schriftlich weitergeben.

Warum kennet ihr denn meine Sprache nicht?
Denn ihr könnt ja mein Wort nicht hören.
Joh. 8, 43

Die Zunge des Gedanken ist sein einziges Werkzeug. Es ist eine Sache der inneren Erfahrung der Seele. 

Maulana Rumi sagt:

Die Seele ist wesenseins mit Gott. Sie ist ein Abbild
Gottes und kann sich ohne alle äußeren Hilfsmittel
(wie Sprechorgane) zum Ausdruck bringen.

In der Lehre der Meister sind die physischen Sinne von keinem großen Nutzen. Alle geschieht von selbst, unabhängig von den Sinnen.

Man sieht ohne Augen, hört ohne Ohren, geht ohne
Füße, wirkt ohne Hände und spricht ohne Zunge;
denn dies ist genau wie der Tod im Leben.
O Nanak, erst dann kann man den kosmischen Willen
erkennen und dem geliebten begegnen!

Maulana Rumi sagt dasselbe:

Ich fliege in jene Regionen ohne Flügel,
wandere dorthin ohne Füße, erfreue mich des
Mannas und des Elixiers ohne Lippen und Gaumen
und sehe die Herrlichkeit all dessen, wenn ich die 
Augen schließe.

8. Die Strebenden brauchen den Meister selten bitten, ihre Zweifel zu beheben, denn er erklärt von sich aus, was die Gedanken der Zuhörer am meisten bewegt.

9. Immer wieder drehen sich die Lehren des Meisters um das Thema: Naam oder den Surat Shabd Yoga. In klaren Worten sagen sie uns, daß man Gott nicht durch äußere Bestrebungen finden noch ihn erreichen kann, denn er ist wahrlich der Herr unserer Seele und muß daher durch den Prozeß der Umkehr innen gesucht werden.

Im Matthäus- Evangelium lesen wir:

Wahrlich, ich sage euch: Es sei denn, daß ihr euch 
umkehret und werdet wie die Kinder, so werdet ihr
nicht ins Himmelreich kommen.
                                                               Matth. 18, 3

Auch im Lukas- Evangelium heißt es:

Wahrlich, ich sage euch: Wer nicht das Reich Gottes
annimmt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen.
                                                                  Luk. 18, 17

Groß ist der Mensch, denn sein Körper ist in der Tat der Tempel Gottes, und das Kronjuwel der Erkenntnis leuchtet darin auf. Wiederum lesen wir bei Lukas:

Das Reich Gottes kommt nicht mit äußerlichen 
Gebärden ..., das Reich Gottes ist inwendig in euch.
                                                           Luk. 17, 20-21

Ein Moslem- Heiliger sagt auf ähnliche Weise:

Das menschliche Herz ist die Moschee (Masjid), und
der Körper ist der Ort der Verehrung.

Ferner heißt es:

Es ziemt sich nicht für den Geist (die Seele), für den
Bewohner der von Gott geschaffenen Moschee (des
Menschenkörpers), nach dem Geliebten in den von
Menschen erbauten Tempeln zusuchen. 
                                                              Tulsi Sahib

Auch Magribi Sahib sagt uns:

Dein Geliebter ist in dir, und du weißt nichts davon. Er 
ist wirklich die Seele deiner Seele, aber auf der Suche 
nach ihm wanderst du im Äußeren umher.

Maulana Rumi sagt in diesem Zusammenhang:

Im Innern deines Kopfes sind wunderbare Gärten und
schöne Orte. Willst du dich daran erfreuen, eile zu
einem Murshid (Meister), damit er dich unterweist.
Jene, die außen nach dem kostbaren Schatz suchen,
befinden sich in völliger Unwissenheit. Von Trugbildern
genarrt, wandern sie durch das Ödland der Welt wie
umherstreifendes Wild, das im Gebüsch nach Moschus
sucht.

Pind (der menschliche Körper) ist ein genaues Abbild von Brahmand (dem Universum). Derselbe Geist wirkt im Mikrokosmos wie im Makrokosmos. Wir können den kosmischen Geist weder sehen noch empfinden, noch eins mit ihm sein, wenn wir nicht die Harmonie herstellen und mit dem uns innewohnenden Geist in Verbindung kommen.

Solange der verkörperte Geist nicht entkörpert und verfeinert wird und sich über die Sinnesebene erhebt, kann er schwerlich mit dem universalen Geist in Einklang sein.

Trotz allem suchen wir Gott oder den universalen Geist ständig auf der physischen Ebene. Wir forschen nach ihm im Erdinnern, auf schneebedeckten Bergen, im Wasser der heiligen Flüsse und im Wüstensand, in von Menschen erbauten Tempeln und Moscheen, in Kirchen und Synagogen und darum finden wir ihn nicht.

Wenn wir den inneren Pfad im Körper kennen, dürfen wir hoffen, die Wirkung der großen Kraft in ihm zu erfahren und zu empfinden. Doch diese Umkehr oder Wandlung ist nicht möglich ohne die Hilfe eines Adepten in Para Vidya (der Wissenschaft der Seele), denn er allein hat den Schlüssel zum Reich Gottes, und seine Worte erweisen sich als „Sesam- öffne- dich“, das die geheime Pforte auftut.

Schaue nur nach innen, wie es der Meister anrät, und
du wirst in dir wahrhaftig den Tempel Gottes finden.

10. Die Lehren der Meisterseelen sind vollkommen, und ihre Entdeckungen lassen sich nachprüfen wie in jeder anderen exakten Wissenschaft.

Diese Erfahrung und Erkenntnis ist jedoch etwas ganz anderes als Buchgelehrtsamkeit und Verstandeswissen oder gar die Einbildungen eines Besessenen, wie manche meinen.

Die Heiligen sprechen immer mit Überzeugungskraft und Autorität, denn was sie sagen, kommt aus der Tiefe ihrer Seele. Ihr Wissen stammt weder aus Büchern, noch beruht es auf Zeugnissen vom Hörensagen. Sie geben uns selbst eine unverfälschter Form. Sie verlangen keinen blinden Glauben oder daß man jemanden als Autorität anerkennt. Im Gegenteil, jeder Sucher wird aufgefordert, das Resultat selbst zu prüfen.

Die Wahrheit muß man sofort erfahren, nicht erst nach langer Zeit, wie gering diese Erfahrung anfangs auch sein mag. Die Meister durchschauen die Dinge bis auf den Grund, bevor sie sprechen.

Nanak sieht Gott direkt vor sich.

Als Shri Ramakrishna von Naren (später bekannt als Swami Vivekananda) gefragt wurde, ob er Gott sehe, antwortete er: „Ja, mein Kind; ich habe Gott gesehen, wie ich dich sehe.“

In der tat haben alle Meisterseelen eine wirkliche Erfahrung von der Gottheit. Sie erfreuen sich ihres Lichts und Lebens und werden gewissermaßen Gottes bewußte Mitarbeiter. 

Shamas-i-Tabrez sagt:

Es ist weitaus besser, Gott mit eigenen Augen zu sehen
und die Stimme Gottes mit eigenen Ohren zu hören.
Seine Glorie ist hinter dem Dunkel auf der Rückseite
der Augen verborgen, und seine Größe kann im Innern
erkannt werden.

Bei Johannes lesen wir:

Es kommt die Stunde und ist schon jetzt, daß die Toten
werden die Stimme des Sohnes Gottes hören; und die
sie hören werden, die werden leben.
                                                                       Joh. 5, 25

Solche großen Seelen sind nie von den Schriften oder heiligen Überlieferungen abhängig, in denen die Erfahrungen von Seelen gleich ihnen aufgezeichnet wurden. Sie sind die personifizierte Wahrheit, das fleischgewordene Wort, das unter uns wohnt. Alle Veden und Shastras gehen ursprünglich von der Quelle in ihnen aus. Sie sind weit mehr als die Schriften, die nur einen unendlichen kleinen Teil ihrer Persönlichkeit bilden. Die Lehren der Meister sind sehr frei und helfen den verkörperten Seelen bei ihrer Aufgabe der Befreiung und Erlösung.

Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den
wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird
nimmermehr dürsten.
                                                                        Joh. 6, 35

Im Melar-ki-war hören wir von Guru Nanak, wie man eine Meisterseele erkennt:

Wer uns das Reich in diesem Körper zeigen
kann, ist eine Meisterseele. Er kann unsere Ohren für
die Stimme Gottes empfänglich machen.

Selbst die großen und kleinen Aufteilungen des
Universums sind in dauernder Verzückung, denn sie
leben durch die vom Thron Gottes ausgehenden Musik.

Der Meister ermahnt die Jivas, dieser Musik im
Sukhman, dem Hauptkanal zwischen den
Augenbrauen, zu lauschen und sich dann in Sunnya
(der Region des Schweigens) zu festigen, so daß alle
Schwankungen des Gemüts aufhören.

Wenn sich auf diese Weise der Kelch des Gemüts nach
der richtigen Seite neigt, wird er mit dem Elixier des
Lebens gefüllt, welches das Gemüt stetig und
ausgeglichen macht.

Die immerwährende Musik der Ewigkeit wird zum
ständigen Begleiter.

Alle Strebenden hören auf diese fünf Melodien,
werden im Laufe der Zeit ein Gurmukh (das 
Sprachrohr des Gurus) und erreichen die ewige
Wohnstatt der Wahrheit.

Wer mit Hilfe dieser Musik den Garten Eden (aus dem
er verbannt wurde) wiedergewinnt, ist der Geliebte
Gottes, und Nanak möchte für immer sein Sklave sein.

er läßt seine Anhänger nie in der Täuschung über die Unwirksamkeit äußerer Bestrebungen. Der Kern seiner Lehre gilt einzig der Verbindung mit Shabd und der Hingabe an Shabd. Die Offenbarung der unaufhörlichen Musik im Innern ist das Geschenk einer Meisterseele.

O Nanak, wer sich mit dem vollendeten Meister
verbindet, hört in sich die göttlichen Melodien!

Der Satguru ist immer in Naam vertieft. Wie ein erfahrener Lotse bringt er die wahrhaft Strebenden sicher hinüber und leitet sie zurück ins reich Gottes, das sie in ihrem Innern verloren haben.

Wer in der Farbe von Naam gefärbt ist, der ist ein
Satguru. Im Kal Yuga gleicht er einem Schiffskapitän.
Wer auf ihn vertraut und in ihm ruht, wird
hinübergebracht und findet die Wahrheit in ihm
offenbart.

11. Eine Meisterseele tut manchmal ungewöhnliche Dinge, die gewöhnlichen Menschen bedenklich scheinen. Damit will er die weltlichen Gesinnten fernhalten, wie man es mit Fliegen macht, damit sie nicht den Weg der wirklichen Sucher behindern.

Ein Darvesh (Gottesfürchtiger) braucht keinen
Darwan (Torhüter). Doch er braucht einen, der die
Hunde der Welt fernhält.

Böse Zungen oder Verleumder sind für den Darvesh wie Darwans, so daß ihn die Weltklugen meiden.

Nach der Biographie von Bhai Bala hat Guru Nanak einmal gesagt:

Im Kal Yuga werden viele Heilige oder Offenbarungen
Gottes zum Wohl der leidenden Menschheit
herabkommen.

Bhai Ajita stellte die Frage:

Meister, wollt Ihr uns sagen, wie wir einen vollendeten
Heiligen erkennen können; welcher Art wird seine
Ausdrucksweise sein, und wie werden wir ihn
identifizieren?

Der Meister antwortete:

Wenn immer ein Heiliger in Erscheinung tritt, sprechen
führende Leute der Gesellschaft, religiöse Eiferer und
solche, die dem Kastengeist verhaftet sind, schlecht
über ihn. es sind in der Tat wenige, die zu ihm gehen.
Die Masse aber schmäht den Meister wie auch seine
Schüler. Die meisten Menschen geben sich äußeren
Bestrebungen hin – sie lesen die heiligen Schriften, 
bringen in Kirchen, Tempeln und Moscheen öffentliche
Gebete dar, sagen Mantras auf und so weiter. Sie
praktizieren nicht den Surat Shabd Yoga durch
Einstimmen auf den ursprünglichen Tonstrom. Wenn
solche Verhältnisse vorherrschen, werde ich immer
wieder kommen, um den Pfad der Meister neu zu 
beleben und die Menschen mit Anhad Bani zu
verbinden.

12. Mit dem Kommen eines Heiligen bewässern erfrischende Ströme der Spiritualität die dürren, ausgetrockneten Herzen, die vom Staub der Zeiten überkrustet sind. Wer immer zu ihm geht, Ergebener oder Sünder, hat auf seine Weise Nutzen davon und wird von ihm getröstet. Schon mancher Räuber, Mörder und Wegelagerer hat in seiner Gesellschaft eine vollständige Umwandlung erlebt. Wie ein erfahrener Waschmann befreit er unsere Seele durch und durch von allen körperlichen, mentalen und kausalen Unreinheiten, bis sie wieder in ihrer ursprünglichen Glorie erstrahlt und ein leuchtendes, lebendiges Selbst wird.

In einem Heiligen begegnet uns die Verkörperung selbstloser Liebe und Aufopferung. Sein Ruf ist universal und an die Seele des Menschen gerichtet. Die Sucher versammeln sich zu Tausenden um ihn und ziehen Vorteil aus seinen Lehren.

13. Der Heilige ist wahrhaftig ein Sohn Gottes und teilt mit ihm all seine Macht. Sein langer und starker Arm umfaßt das Universum, um seine helfende Hand reicht in alle Gegenden der Welt. Entfernung spielt für ich keine Rolle. Seine rettende Gnade wirkt auf unbekannte, nicht vorauszusagende Weise große Wunder, und die Menschen entgehen unbeschadet manch schwieriger und hoffnungsloser Situation, ja selbst dem Rachen des Todes.

Als Meister des Himmels und der Erde führt er die Selen auf ihrer Heimreise durch die spirituellen Regionen, und seine strahlende Form ist immer mit der Pilgerseele, wenn sie den Körper übersteigt.

Maulana Rumi erklärt:

Die Hand einer Meisterseele reicht nicht weniger weit
als die Gottes. Sie ist wirklich Gottes eigene Hand. Ja,
sie reicht über sieben Himmel hinweg und erfüllt die 
Seelen mit Hoffnung und Vertrauen.

Dies sind nur wenige der unzähligen Merkmale eines Heiligen.

Maulana Rumi sagt in diesem Zusammenhang:

Ein Aulia (Übermensch) hat wunderbare Kräfte und
Möglichkeiten in sich, die nur ein Gottesfürchtiger
sehen und erfahren kann.

Die Größe und Herrlichkeit eines Gottmenschen wird dem Geist immer mehr offenbar, wenn er über die körperlichen und mentalen Begrenzungen hinausgelangt und in seiner Gemeinschaft weitergeht. Die strahlende Form des Meisters ist nun immer und überall bei ihm. Sie lenkt eine Schritte innen und außen, antwortet auf all seine Fragen und ist der einzige Herr seines Schicksals, in der Tat sein Erlöser. Auf dieser Stufe ist der Mensch fest in ihm begründet und ruft aus: „Der Meister ist immer bei mir“, denn jetzt erkennt er die Wahrheit in den Worten des Meisters:

Jedermann, ich will mit dir gehen
und dein Führer sein. In der größten Not
will ich dir zur Seite stehen.

Die Welt ist voll von solchen, die erklären, Meister und Lehrer der Menschheit zu sein. Aber all jene, die nach Geld und Macht, Rang und namen aus sind, können unmöglich diese Rolle übernehmen und eine so schwierige Pflicht erfüllen. Man muß solchen falschen Propheten, die nichts anderes als Wölfe in Schafskleidern sind, aus dem Weg zu gehen suchen.

Es lohnt sich nicht, einen wirklichen Meister auf die Probe zu stellen. Seine Gegenwart wird die Aufmerksamkeit von selbst anziehen. Maulana Rumi erklärt:

Niemand kann des bewegten Gemüts Herr werden
und es zur Ruhe bringen, es sei denn durch den
mächtigen Einfluß eines Pir (Gottmenschen).
Halte dich an einem solchen fest. Wenn du das 
vermagst, so nur durch seine Gnade, und seine Kraft 
wird in dir wirken.

Er ist ein reines und wunschloses Wesen. Legt alles, was ihr habt, zu seinen Füßen nieder: Körper, Gemüt und alle Bindungen, und er wird euch nach seiner Art formen. Die Frage ist, wie das erreicht wird. Kabir Sahib schildert uns den Weg:

Gib Körper und Gemüt dem, der nichts für sich
begehrt. Ohne jeden Gedanken an dich selbst festigt
dich in ihm. Was bleibt nach dem Gemüt nach übrig?
Nicht einmal der Körper. Nichts bleibt zurück, was
hinzugeben wäre, sagt Kabir.
Wer Körper und Gemüt übergeben hat, braucht keine 
Bürde mehr zu tragen.
Ist einer stolz auf dieses Opfer, muß er mit Strafe 
rechnen; denn wer kann sich vom Saatgemüt im Innern 
freimachen?
O Kabir, wie kann dieses Gemüt bezwungen und
hingegeben werden?
Zusammen mit dem Körper und Gemüt gib auch das
Saatgemüse auf.
O Kabir, erst wenn man auf den Meister hört, wird 
man furchtlos! Opfere das Saatgemüse auf dem Altar
der Lotosfüße des Meisters.
O Kabir, dann sieht man nichts als die strahlende Form 
des Meisters!

 

24. Kapitel

Die Einheit von Guru, Guru Dev, Satguru und Malik

(Die verschiedenen Formen der Wahrheit)

In den Schriften lesen wir, daß Gott formlos ist. Er sieht ohne Augen, tut sein Werk ohne Hände, geht ohne Füße und hört ohne Ohren.

Er durchdringt alles, ist aber unsichtbar. Er übersteigt alles Denken, Begreifen und alle Fassungskraft. Der Mensch mit seinem begrenzten Verstand und Erkenntnisvermögen kann ihn nicht erreichen. Wie können wir dann Gott sehen und ihn lieben? Liebe und Verlangen gibt es immer unter Geschöpfen derselben Gattung und auf gleicher Ebene. Die Vögel in der Luft fliegen in Scharen zusammen. Tiere lieben ihre Artgenossen und ziehen in Herden umher. Der Mensch ist von Natur aus gesellig und kann nur in Gemeinschaft mit seinen Mitmenschen leben.

Kontemplation bedeutet Konzentration der menschlichen Kräfte an einem Zentrum oder Brennpunkt. Wie aber ist Kontemplation überhaupt möglich, wenn das Zentrum und der Brennpunkt unsichtbar sind? Um dieses grundlegende Bedürfnis der Menschen überhaupt zu befriedigen, mußten Lord Rama und Lord Krishna (die Verkörperungen von Kal oder der negativen Kraft [Dieselbe Kraft offenbart sich auf mannigfaltige Weise, um das Leben auf den verschiedenen Ebenen zu erhalten; so wie die Elektrizität an einer Stelle Feuer und an einer anderen Eis hervorbringt.] in Menschengestalt kommen. Ebenso taten es die Meister- Heiligen, die Sat Purush – die positive Kraft oder Weisheit – offenbaren, die Grundlage alles Sichtbaren und Unsichtbaren, des ganzen Universums mit seinen gro0en Aufteilungen und Unterteilungen, angefangen von Sach Khand oder Muqam-i-Haq bis Kal Desh, der physische Welt, die Verfall und Tod unterworfen ist. Ein Moslem- Heiliger hat ihn wunderbar beschrieben:

Wenn er Khud-aa (der sich selbst bewegende Gott) ist,
mag er selbst kommen (uns zu lehren).

Er muß in der Tat auf die Ebene des Menschen herabkommen, denn nur dann kann der Mensch von ihm wissen.

In Gestalt eines Meister- Heiligen wirkt er nach seinem Willen, indem er die Seelen unterweist, die nach ihm Verlangen haben, ihn aber nicht erreichen können.

Er sagt ihnen, daß er nicht der physische Körper ist, und lehrt alle verkörperten Seelen, wie man sich über die Begrenzungen des physischen Körpers erhebt. Durch eine allmähliche Übertragung seiner Kraft nimmt er sie aus dem physischen Kleid heraus und wird ihr Freund und Führer.

So muß der Formlose eine Form, einen Pol, annehmen, um seine Gottheit der leidende und hilflosen Menschheit zu offenbaren. Er macht uns unseren eigentlichen Wert bewußt und sagt uns, wie wir das verlorene Paradies, den Garten Eden, wiedergewinnen können, aus dem wir seit dem Beginn der Zeiten vertrieben wurden.

Die Kraft Gottes wirkt in Fülle durch den Pol einer Meisterseele. Daher kann man diese zu Recht als polarisierten Gott bezeichnen, der mit froher Botschaft in die Welt gekommen ist, ihn und das Reich Gottes zu verkünden, die beide, wie er sagt, nahe sind und mit ein wenig Praxis in der rechten Richtung leicht erlangt werden können.

Wer die Wahrheit erkannt hat, ist ein Satguru. Der Satguru ist wirklich Sat oder das personifizierte Wahrheit. Das Wort wird tatsächlich Fleisch und wohnt unter uns. Durch seine Führung und Unterweisung nimmt er uns mit sich, bis wir, gleich ihm, das Wort werden, ein bewußtes Prinzip, das in Harmonie mit dem göttlichen Willen auf der Ebene des Höchsten wirkt.

 

25. Kapitel

Das Wesen der Einheit

Ein Satguru (Meister der Wahrheit) ist eins mit Sat oder der Wahrheit, da er in sie eingebettet und von ihr erfüllt ist. Die Wahrheit ist unbegrenzt und durchdringt alles, obschon sie sich den Menschen offenbart und durch einen menschlichen Pol unter ihnen wirkt, man nenne ihn, wie man will: Meister, Satguru usw.

Er ist ein Leitstern, der das Licht der Wahrheit über das aufgewühlte Meer des Lebens ausbreitet, um die sich sehende Menschheit zu führen. Man kann ihn mit einem lebenden Schalter vergleichen, der an die Energie des ganzen Kraftwerks angeschlossen ist, aber nur soviel davon spendet, wie jeder einzelne seinen Bedürfnissen entsprechend braucht.

Gleich einem magnetischen Pol oder lebenden Schalter hat er eine Umhüllung, ist aber in Wirklichkeit nicht mit dieser identisch, sondern ist die Kraft in ihr. Genauso verhält es sich mit den Jivas oder verkörperten Seelen.

Auch wir sind keinesfalls das, was wir haben und äußerlich zu sein scheinen, nämlich physische Wesen, vielmehr der den physischen Körper belebende Geist, die Seele.

Der Geist oder die Seele ist völlig wesenseins mit der im Meister wirkenden Kraft, obwohl sie, in zahllose Gewänder oder Hüllen gekleidet, durch so viele Begrenzungen eingeschlossen ist.

Aber wenn sie die Fähigkeit hat, über die verschiedenen Körper hinausgelangen und ein freier, ungehinderter Geist zu werden, kann sie die Größe und Herrlichkeit des Meisters bezeugen, denn er ist der Horizont, an dem sich Himmel und Erde begegnen und die Sonne des Lichts Gottes aufgeht, die den ganzen Raum erhellt.

Eine Sonne verbirgt sich wahrhaftig in ihm.

Wir können uns keine hinreichende Vorstellung von Gottes Schönheit, Größe und Erhabenheit machen, indem wir die physische Form des Meisters betrachten. Um eine wirkende Erfahrung von ihm zu haben, müssen wir uns auf seine Höhe erheben.

Solange wir nicht die Ebene Gottes
erreichen, können wir nichts von ihm wissen.

Da Gott Geist ist, müssen auch wir den Geist in uns durch Selbstanalyse von der materiellen Gewändern oder Bedeckungen, die ihn umgeben, befreien, weil nur der Geist den Geist sehen und erfahren kann – nicht die physischen Sinne und auch nicht der Verstand oder das Gemüt.

Die Augen eines Meisters sind bezaubernde Fenster, die sich nach innen hin der Unendlichkeit öffnen und nach außen der Endlichkeit. Durch sie kann man Schimmer göttlichen Lichts erhalten, für die es in dieser Welt nichts Vergleichbares gibt – ein schattenlose Licht, das weder auf dem Land noch auf dem Meer zu finden ist. Maulana Rumi sagt über ihn:

Ein Gottmensch ist immer in einem Zustand der
Trunkenheit, ohne einen Tropfen Wein.
Er ist immer gesättigt, ohne einen Bissen Nahrung.

Seine Augen sind die Augen Gottes,
seine Hände sind die Hände Gottes.

Während er in der Welt lebt, ist er doch nicht von der Welt, noch ist er wie wir ein Gefangener im Gefängnis des Körpers. Als eine freie Wesenheit, die sich willentlich in die spirituellen Bereiche erhebt, ist er kompetent, diese Kraft und Fähigkeit Tausenden von Jivas zu gewähren, wenn er es will.

Ein lebender Meister der Wahrheit ist eins mit der Wahrheit und bringt sie in Fülle, wodurch er das ihm anvertraute Wer der Erlösung ausführt.

trotz seiner Form ist er formlos. Er ist das personifizierte Wort, ein gewaltiger Urquell der Liebe, der Glückseligkeit und des Friedens. Der Mensch muß vom Menschen lernen. Nach diesem Naturgesetz wird das Wort Fleisch und wohnt unter uns, um spirituelle Unterweisung und Führung zu geben. Durch Übertragung seines eigenen Lebensimpulses befähigt er uns heimzukehren.

Während er dieses Werk unter uns tut, geht er täglich nach Belieben in seine erhabene Wohnstatt der Wahrheit, um in Nij-anand oder der unvergänglichen Glückseligkeit auszuruhen.

Der Meister der Wahrheit und die Wahrheit sind eins, denn er ist der Pol der Wahrheit.

Er steht über allem, jenseits von Brahma, dem
Urprinzip. Nanak hat einen solchen Guru gefunden.
Der Meister der Wahrheit ist ewig derselbe. Weder
kommt er, noch geht er.

Er ist das unvergängliche, alles durchdringende
Lebensprinzip.

Ungeachtet unserer vielen Loblieder auf den Meister können wir ihm niemals gerecht werden. Denn er war, als da nichts war, und bei jedem Schöpfungszyklus kam alles durch ihn ins Sein.

Wer kann den Meister rühmen?
Er ist die Quelle der Wahrheit,
Er ist der ewig Unwandelbare,
der Ursprung allen Lebens

von einem Zeitalter zum anderen.

Im Gurbani wird erwähnt, daß man nach genauer innerer Prüfung zu dem unwiderlegbaren Schluß kommt: der Meister ist die Wahrheit und die Wahrheit ist der Meister, ohne irgendeinen Unterschied.

Als ich das große Meer im Innern aufwühlt, wurde
eines offenbar: der Guru ist Gorbind, und Gorbind ist 
der Guru.
O Nanak, zwischen ihnen gibt es keinen Unterschied!

Der Allmächtige erscheint im Gewand eines Heiligen und führt durch ihn seinen Plan aus.

Kartar (das Urprinzip) wohnt im Meister, und durch
ihn finden viele Seelen die Erlösung.

Ohne einen Meister weiß man nichts von Liebe, denn
jeder ermangelt der Liebe.
Hari wohnt im Meister, und der gesegnete Meister
wird zum Bindeglied zwischen dem Jiva und Hari.

Kabir Sahib sagt uns, daß er eins ist mit Gott:

Nun bin ich eins mit dir und fühle mich gesättigt und
gesegnet. Da ich die höchste Wohnstatt erreicht habe,
bin ich so sehr eins mit ihm, daß man Kabir von Ram
nicht unterscheiden kann.

Ähnlich drückt es Shamas-i-Tabrez aus.

Wir sind jetzt vereint wie Körper und Seele, so daß
keiner mehr sagen kann: Ich unterscheide mich von dir.

Auch Christus sagt:

Ich und der Vater sind eins.
                           Joh. 10, 30

Wer mich sieht, der sieht den Vater.
                                        Joh. 14, 9

Gott und der Gottmensch sind fürwahr wie das Meer und seine Gezeiten. Wenn die Flut steigt und fällt, scheinen sie für den Augenblick verschieden zu sein, sind jedoch wesenseins wie das Meer und sein Wasser.

Dasselbe gilt für einen Wassertropfen. Vom Meer getrennt, ist er ein Tropfen, aber sobald er ins Meer kommt, verliert er seine scheinbare Sonderheit und wird ein Teil des Meeres.

Gott ist formlos, nimm aber im Gottmenschen zur Unterweisung und Führung der Menschen Gestalt an.

Nanak ist nach sorgfältigem Studium der Veden und
heiligen Schriften zu dem Schluß gekommen, daß es 
zwischen Parbrahm und dem Guru keinen Unterschied 
gibt.

Gott ist das ursprüngliche Tonprinzip, das er denen, die nach ihm dürsten, durch einen Gottmenschen gewährt.

Gott wohnt im Guru und gibt den Suchern das
Tonprinzip.

Der Meister ist in der Wahrheit begründet und erfreut
sich ihrer.
Er ist der Meister der Wahrheit und zugleich die
Wahrheit selbst.
In jedem Zeitalter kommt er herab zum Segen der
Ergebenen. 

Die Heilige Schrift sagt:

Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns ...
voller Gnade und Wahrheit.
                                                                     Joh. 1, 14

Im Gurbani heißt es:

Es besteht nicht der geringste Unterschied zwischen
dem Satguru und Soami (dem waltenden Gott und
Gott).
Eine Verbindung mit dem ersteren ruft Hingabe für
den letzeren hervor.

Ein Mensch Gottes wird Satguru oder Sat Purush
genannt, und er spricht nur von Hari. Wer immer auf
ihn hört, wird errettet.

Eins mit dem Allmächtigen, ist der Guru der alles Bewirkende, der Erhalter der ganzen Schöpfung, einschließlich der Jivas.

Der Guru ist der Handelnde, der alles lenkt.
Er ist der wahre Gurmukh.
Der Guru ist ein bewußter Mitarbeiter Gottes, der die 
ganze Schöpfung erhält.

Der Guru gewährt Frieden und Trost, und er ist Kartar
(die große Antriebskraft), o Nanak! Wir leben und
haben unser Sein in ihm allein.

Gosain Tulsi Das, der bekannte Verfasser des Hindi Ramayana- Epos sagt über den Guru:

Heil dem Lotos des Gurus, der das Meer der
Barmherzigkeit und Gott in menschlicher Gestalt ist.
Seine gütigen Worte vertreiben in uns die aus blindem 
Sinneswahn geborene Dunkelheit.

In der Bibel wird berichtet, daß Jesus einmal seine Jünger fragte: Wer sagen die Leute, daß des Menschen Sohn sei? ... Da antwortete Simon Petrus und sprach: Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn! Und Jesus antwortete und sprach zu ihm:

Selig bist du, Simon, Jonas Sohn; denn Fleisch und
Blut hat dir das nicht offenbart, sondern mein Vater im
Himmel.

Und ich sage dir auch: Du bist Petrus, auf diesen
Felsen will ich bauen meine Gemeinde, und die Pforten
der Hölle sollen sie nicht überwältigen.
Matth. 16, 13; 16-18

Bei anderer Gelegenheit redete er deutlicher zu ihnen:

Spricht zu ihm Philippus: Herr zeige uns den Vater, so
genüget uns.
Jesus spricht zu ihm: So lange bin ich bei euch, und du
kennst mich nicht, Philippus? Wer mich seht, der sieht
den Vater; wie sprichst du denn: Zeige uns den Vater?
Glaubst du nicht, daß ich im Vater und der Vater in mir
ist?
                                                                       Joh. 14, 8-10

Guru Arjan hat in ganz klaren Worten sein Einssein mit Gott kundgetan:

Meine Tempel sind im höchsten Himmel, und mein
reich ist grenzenlos. Meine Herrschaft ist ewig und
unermeßlich mein Reichtum. Alle Zeiten künden
meinen Ruhm, und mein Volk lebt überall. Ich werde
von allen verehrt, und jeder ist mir ergeben. Mein
Vater ist in mir offenbart, und Vater und Sohn wirken
nun zusammen.
O Nanak, der Sohn ist ein bewußter Mitarbeiter des
Vaters geworden, und zwischen ihnen gibt es keinen 
Unterschied mehr.

In den Hindu- Schriften steht:

der Guru ist Brahma, der Guru ist Vishnu, der Guru
ist Shiva, und er ist der wahrhaftige Parbrahm. Wir 
bringen dem Guru unsere Huldigung dar.

In der Mandukya Upanishade heißt es:

Wie die verschiedenen Gebirgsflüsse durch die Ebenen
fließen und ins Meer münden, wo sie ihren Namen und
ihr gesondertes Sein verlieren, so werden jene, die
Brahma erkannt haben, formlos und namenlos, eins
mit der erhabenen, selbstleuchtenden Wesenheit.

Hier stellt sich die Frage, wie der allgegenwärtige Geist in den Begrenzungen des menschlichen Körpers Raum findet. Im 7. Gesang der Bhagavad Gita gibt Lord Krishna auf diese Frage befriedigende Antwort:

Die Toren wähnen, daß das Offenbare und Sichtbare
das Selbst der Dinge sei; sie kennen das Nichtoffenbare
nicht, das unvergänglich und das Höchste ist.

Verborgen durch das Blendwerk der Erscheinung, bin
ich (der Geist) nicht jedem offenbar, und die betörte
Welt erkennt mich nicht, der ich der Ungebor’ne 
Ew’ge bin.
                                                                  Shalok 24-25

Und im 9. Gesang, Shalok 11, sagt der Erhabene:

Vom Schleier der Materie verhüllt, wird mein
verborg’nes Wesen schwer erkannt. Die Toren sehen 
die Erscheinung, doch nicht des hohen Geistes
Gegenwart, wenn ich in menschlicher Gestalt
erscheine.

Auch die Moslem- Heiligen scheinen dies zu bestärken. So Maulana Rumi:

Die Macht eines Pir (Meisters) ist in keiner Weise
geringer als die Gottes, und wahrlich, die Kraft Gottes 
wirkt durch ihn. Sein langer Arm reicht soweit wie die
sieben Himmel, seine Hand ist in Gottes Hand, und
keiner außer ihm offenbart seine Größe. Eine Sonne
strahlenden Glanzes liegt in ihm verborgen, und das
höchste Gut ist, ihn in seinem Wesen zu erkennen.

Der Maulana sagt ferner:

Das Licht der Wahrheit leuchtet im Herzen eines Wali
(Gottmenschen). Wenn ihr ein Momin (Mensch des
Gurus) seid, seht ihr dies so, wie es ist.

Der Prophet verkündet einst, Gott selbst habe ihm
gesagt, daß er weit über die höchsten Höhen, die
tiefsten Tiefen, die Erde, das Firmament und alle
Himmel hinausreiche. Aber so seltsam es auch scheine,
habe er vollauf Platz im Herzen seiner Ergebenheit, und
wer ihm begegnen wolle, könne ihn dort finden.

Obwohl er (der Murshid) auf Erden lebt, dehnt sich
seine Seele weit ins grenzenlose Jenseits aus, das allem
Denken und Philosophieren frommer Gelehrsamkeit
unzugänglich ist.

Shamas-i-Tabrez sagt so:

Der König der Könige hat hinter einem dichten
Schleier seinen Thron in uns. Im gemeinen Körperkleid
kommt er zu uns, damit wir zu ihm gelangen können.

Bulleh Shah erklärt:

Maula (Gott) wird Mensch, um die Menschen (aus
ihrem tiefen Schlaf) aufzurütteln.

Im Gurbani finden wir viele Hinweise dieser Art:

Gott selbst hat den Namen Ram Das* angenommen.
Von höchster Intelligenz ist unser Gott. Er nimmt für
sich die Bezeichnung eines Heiligen an.

O Pipa! Pranva (der Tonstrom) ist die einzige
Wirklichkeit, sie verkörpert sich als Satguru zu unserer
Führung und Unterweisung.

Der Satguru ist Niranjan (rein, unbefleckt). Betrachtet 
ihn nicht als einen Menschen.

Ein Ergebener des Herrn wird selbst der Herr, doch
die Menschen wissen nichts von diesem Geheimnis.

* Der vierte Guru der Sikhs

Bhai Gurdas sagt ebenfalls:

Ek Onkar (der eine, unoffenbarte Gott) wird Akar 
(der Offenbarte) und nimmt den Namen eines Gurus 
an.

Wer die (unpersönliche) Wirklichkeit kundtun und euch mit ihr (der ewige Wahrheit und unwandelbaren Dauer) verbinden kann, ist selbst die persönliche Wirklichkeit (personifizierte Wahrheit). Er ist fürwahr der ursprüngliche Tonstrom, der von dem höchsten ausgeht.

Um die Menschheit zu lehren, materialisiert sich dieser Tonstrom in Gestalt der Heiligen. wie sonst können die Menschen spirituelle Unterweisung erhalten, wenn nicht der Geist Gottes, der Tonstrom, menschliche Form annimmt, unter ihnen lebt und zu ihnen von Angesicht zu Angesicht über die menschlichen und göttlichen Geheimnisse spricht? Deshalb sagt Kabir:

Brahma kann nicht nur als Brahma sprechen. Auch er
braucht einen Menschen als Mittler, um sich (unter
den Menschen) zum Ausdruck zu bringen. Wir in
Fleisch und Blut gehüllten Menschen können von
diesem form- und gestaltlosen Einen keine Vorstellung
haben, wenn er nicht, uns gleich, auf diese materielle
Ebene kommt und zum lebendigen Gott für uns wird
den man sehen, hören und verstehen kann. Er ist Gott
und Mensch in einem, somit ein Gottmensch. er ist
der weg zum Ziel, ein Bindeglied zwischen Mensch
und Gott. Er ist das personifizierte Wort, damit er uns
über Gott belehrt und uns zu ihm führt.

Der russische Zar Peter der Groe war eifrig bestrebt, den Schiffsbau und die Kunst der Navigation zu erlernen, und reiste daher in Verkleidung eines gewöhnlichen Arbeiters nach Holland. In den holländischen Werften waren noch viele anderen Russen, die dort ihren Lebensunterhalt verdienten, und Peter arbeitete mit ihnen, sprach mit ihnen über russische Heimat und forderte sie viele male auf, mit ihm heimzukehren.

Diese armen Leute waren aus ihrem Vaterland verbannt und klagten, weil sie nicht heimkehren konnten, wie sehr sie auch wollten. Peter erklärte ihnen, daß er den mächtigen Zaren selbst kenne und vielleicht eine Begnadigung für sie erreichen werde. Aber nur sehr wenige konnten sich vorstellen, daß einer in zerschlissenen Kleidern wie sie irgend etwas mit dem Zaren zu tun haben könnte.

Als Peter nach abgeschlossener Ausbildung die Heimreise antrat, begleiteten ihn nur die wenigen, die seinen Worten glaubten. Bei seiner Ankunft in Rußland wurde er allerorts königlich empfangen. Als die des Landes verwiesenen Arbeiter sahen, wie Peter geehrt wurde, faßten sie Mut und vertrauten darauf, daß er den Zaren zu seinem Erlaß der Verbannungsstrafe bewegen werde. Aber wie erstaunt waren sie über die Wandlung ihres Arbeitskameraden, als Peter schließlich in seine Hauptstadt kam und vor ihren Augen den Thron bestieg.

Der Meister ist, ähnlich wie Zar Peter, der König der Könige. Genau wie wir kommt er in die Werft oder das Gefängnis dieser Welt als gewöhnlicher Arbeiter oder Gefangener und verdient wie wir seinen Lebensunterhalt, spricht zu uns über unsere Heimat, weckt in uns das Verlangen und den Wunsch heimzukehren und ist bereit, unser Weggefährte und Führer zu sein. Einige wenige, die seinen Worten glauben, folgen seinem Rat; sie werden aus dem großen Gefängnis befreit und zum Thron Gottes gebracht, wo sie den Meister in seiner strahlenden Form sehen, die glänzender ist als tausend Sonnen und Monde zusammen.

Guru Arjan sagt, daß er der uns in die Verbannung schickte, uns nun als wahre Erben in sein Reich zurückruft.

Als die Königin Tara Mati ihren Weg der spirituellen Übung beendet und Sach Khand erreicht hatte, da sie ihren Meister, Kabir, auf dem Thron des Sat Purush (des wahren Gottes). Bei seinem Anblick sagte sie: „Meister, warum sagtet Ihr mir nicht eher, daß Ihr der Sat Purush selber seid? Ich hätte es Euch geglaubt.“ Lächelnd antwortete Kabir: „Ich hätte dich nicht eher überzeugen können.“

Alle Heilgen, die nach Sat Lok oder Anami Desh gelangen, werden eins mit Gott und sind daher einander ebenbürtig. Von keinem kann man sagen, daß er größer als der andere sei.

Wer versucht, zwischen Heiligen Unterschiede zu
machen, fährt blindlings zur Hölle.

Für gewöhnlich versammeln sich Tausende von Menschen um einen Satguru und hören auf seine Reden, doch jeder beurteilt ihn nach seinem eigenen mentalen und spirituellen Entwicklungsstand. Die einen halten ihn für einen gottesfürchtigen, andere für einen Gebildeten oder Philosophen. Wieder andere sagen, daß er das Ideal eines sittlich guten Menschen ist oder einer, der selbstlose Werke tut. Wirklich selten sind die Jivas, die Gott in ihm finden.

Jeder sieht in ihm eine Widerspiegelung dessen, was er selber ist oder weder möchte, und erlangt somit von ihm die entsprechende Eigenschaft, denn er gibt allen nach ihrem Verdienst.

Als Mensch im physischen Körper ist natürlich seine wichtigste Aufgabe die Heranbildung des Menschen; und als personifizierter Gott die Enthüllung oder Offenbarung Gottes. So kommt alles darauf an, wie man sich durch die Zeiten hindurch vorbereitet hat. Gesegnet ist in der Tat, wer für eine direkte Umwandlung in Gott bereit ist, denn einem solchen Menschen enthüllt er seine Gottheit unmittelbar, so wie Krishna sein Einssein mit Kal Arjuna erkennen ließ, als dieser aus Unwissenheit zögerte, die Pflicht des Kshatriya- Prinzen zu tun.

Ein Blinder sieht keinen, der das Augenlicht hat, noch kann er sich an ihm festhalten, wenn ihm nicht der Sehende aus Barmherzigkeit den Arm reicht und ihn richtig führt.

ähnlich kann niemand in einem Meister den Meister der Wahrheit oder die ihm innewohnende Wahrheit erkennen, solange er ihm nicht sein wirkliches Selbst offenbart. Auch jene, die ständig um ihn sind, einschließlich seiner nächsten Verwandten, sind selten imstande, die verborgene Gottheit in ihm zu erkennen.

Ohne die Gabe besonderen Verdienstes kann man niemals etwas vom wirklichen Wesen eines Heiligen (von seiner Gottheit) wissen. Wer Gott in ihm sehen und erkennen kann, hat Gott gefunden, denn er wohnt nicht nur in ihm – offensichtlich wirkt er auch durch ihn.

Er ist der Pol, von dem die Kraft Gotts ihr Licht ausstrahlt und den Willen des Herrn erfüllt.

Bhai Nandlal sagt:

Gott ist immer zugegen,
erblicke seine gesegnete Form.

Guru Nanak drückt es ähnlich aus:

Der Gott Nanaks ist immer vor ihm.

Als Naren (der spätere Swami Vivekananda) zum ersten Mal Shri Ramakrishna begegnete und ihn fragte: „Meister, habt Ihr Gott gesehen?“, antwortete Ramakrishna auf die gleiche Weise: „Ja, mein Kind, ich habe ihn gesehen, wie ich dich sehe.“

So hängt alles von unserer inneren Sicht ab. Wenn einer damit begabt ist oder der Satguru es will, kann man das vom Meister ausgehende strahlende göttliche Licht aufleuchten sehen. Der Zweck aller spirituellen Übung ist, das verlorengegangene Sehvermögen des inneren Auges wiederherzustellen, damit wir sehen können, wie Gott das ganze Universum durchdringt und gleichzeitig ganz hinter dem mächtigen Wall des Meisters konzentriert ist.

Diese Offenbarung hängt also völlig vom Willen des Höchsten ab. Niemand hat ein Anrecht darauf. Sie ist ein reines und einfaches Geschenk von ihm, das er dem gewährt, der sich durch die Zeiten hindurch darauf vorbereitet hat.

 

26. Kapitel

Die Segnung Gottes und des Meisters

Der Pfad der Spiritualität ist keine breite Straße, die man leichten Schrittes gehen kann. Er ist eine harte, mühselige Aufgabe, gewunden und schwierig. In der Katha Upanishade ist zu lesen:

Erwache, erhebe dich und suche Erleuchtung
zu den Füßen der Meister.
Die Weisen sagen, daß dieser Weg so scharf sei wie ein
Rasiermesser und es schwer ist, auf ihm zu gehen.

Farid, ein Moslem- Heiliger von großem Ansehen, erklärte:

O Farid, mache dich auf und durchforsche die ganze
Welt nach einem gottesfürchtigen Menschen. Nur
darin liegt dein wahres Heil.

Im Koran wird dieser Pfad Pul-i-Sirat genannt, von dem es heißt, er sei „so scharf wie eines Messers Schneide“ und „so schmal wie ein Haar“.

Bhai Gurdas beschreibt den Gur Sikhi (Pfad der Meister) mit den gleichen Worten: „schmäler als ein Haar und schärfer als eines Messers Schneide.“

Und die Pforte ist eng, und der Weg ist schmal,
der zum Leben führet;
und wenige sind ihrer, die ihn finden.
                                                        Matth. 7, 14

Auch die Veden enthalten Textstellen mit zahllosen Regeln und Vorschriften für die Ausübung von Yoga Asanas und Sadhans, die so schwierig sind, daß einem, beim bloßen Gedanken an sie, die Haare zu Berge stehen.

Wie kann angesichts solcher Mühen das schwache, unbeholfene Kind aus Lehm, das ständig von Gemüt und Materie beherrscht wird und im Netz blinder Leidenschaft verstrickt ist, von Wünschen, Zorn, Habgier, Verhaftetsein und Selbstsucht bewegt, aus eigener Kraft unversehrt davonkommen und ein erfolgreicher Pilger auf dem Pfad werden?

In einer so schwierigen, verworrenen und ausweglosen Lage nimmt sich Gott seiner an. Er kommt selbst herab in des gemeinen Menschen Kleid, um Leid zu erdulden, auf daß seine Kinder gesegnet sind. Doch unsere Not hat noch keine Ende.

Die Lehren des Meisters zu verstehen und ihnen täglich strikt zu folgen, auf ihn zu vertrauen und sich mit Körper und Seele ganz in seinen Willen zu ergeben ist keine leichte Sache. Wenn sich Gott und der Satguru nicht beide des Jivas erbarmen, wird er schwerlich die Wirklichkeit erkennen und der Knechtschaft entrinnen.

Da er selbst der Meister des Universums ist,
kann er den Jiva nach innen ziehen und eine
Verbindung herstellen.

Mit unserer begrenzten Erkenntnis sind wir nicht einmal fähig, die Worte des Meisters richtig zu verstehen.

Doch zu gegebener Zeit, wenn es Gottes Wille ist, führt er den Jiva zu einem Sant Satguru, der ihm einen Kontakt mit Naam – der Gotteskraft oder dem wirkenden Gott – gewährt, mit dem ursprünglichen Tonstrom, durch den er allmählich weitergeführt wird, bis er die Quelle von Shabd oder dem Tonstrom erreicht hat.

Die nicht der Wahrheit dienen,
welken dahin wie gebrochenes Rohr.

O Nanak, wen der Meister segnet,
der wird mit Naam verbunden!

Nur durch besonderes Verdienst
begegnet man einem Satguru,
der den Surat mit Shabd vereinigt.

Einen Meister zu finden ist ein reines Geschenk
Gottes;
so auch die Verbindung mit Hari Naam (Gott).

Der Meister ist Gott gleich, wenn er auch in physischer Gestalt erscheint. Er verfügt über dieselbe Eigenschaften wie Gott selbst. Er kommt, die Sünder zu erlösen und allen anderen seine rettende Gnade zu erweisen. Er wäscht die Jivas von ihren Sünden rein und verleiht Naam, das ein sehr wirksames Heilmittel gegen alle Über ist, seien sie physischer oder geistiger Art oder durch sonstige Umstände bedingt.

Mein Meister nimmt alle Sünden fort, und ich bin auf
ihn angewiesen. Vergib mir alle Schuld, o Meister! Nur
darum bittet Nanak.

Groß sind die Segnungen eines vollendeten Meisters.
Aus der Verehrung Haris reift ewige Glückseligkeit.

Die Vereinigung mit dem Herrn ist das Geschenk eines
vollendeten Meisters. Mir ist für immer vergeben; Freitag 
und unbegrenzt erhebe ich mich nun.

Dryen, ein englischer Dichter des 17. Jahrhunderts, sagt von Christus:

Sieh, wie Gott in deiner menschlichen Gestalt
herabkommt. der beleidigt wurde, leidet für den
Missetäter. Siehe, alle deine Untaten werden auf ihn
geworfen, und all seine Rechtschaffenheit fällt dir zu.

Die Gnade des Meisters ist genauso unbegrenzt wie seine Größe, so daß er selbst jenen, die schlecht über ihn reden, vergibt und sie als sein eigen annimmt.

Wer schlecht über den Meister redet, kann sich noch
wandeln, um seine errettende Gnade zu finden, die ihn
in seine Herde führt.

Zahllos sind die Menschen, deren Sünden vergeben werden und die er unversehrt über das Meer des Lebens bringt.

Mit Shabd verbrennt er die karmische eindrücke
vieler Seelen zu Asche.

Wie ein Kapitän steuert er das Schiff an vielen Klippen 
vorbei.

Der Meister ist wahrhaftig Gott selbst. er ist ein Meer aufwallender Barmherzigkeit. gaben aller Art gehen von ihm aus wie ewige Quellen kühlen und erfrischenden Wassers.

Narain (der Schöpfer) im Guru ist die verkörperte
Barmherzigkeit und ein wahrer Freund.

Alles geschieht, wie es ihm gefällt, und Nanak bringt
sich ihm zum Opfer dar.

Das größte Geschenk Gottes und des Gurus ist jedoch Naam. Sie gewähren ihren Ergebenen immer die Segnungen von Naam und bringen ihnen so die Erlösung.

Die Ergebenen Gottes schöpfen immer aus Naam.
Durch die befreiende Gnade schreiten sie
unaufhaltsam fort.

Sein bloßer Anblick ist ein seltener Segen, den der
wirkliche ergebene empfängt. Mit der Güte des
Barmherzigen verleiht der Guru das Geschenk von
Naam.

Weder in dieser Welt noch im Jenseits gibt es eine größere Gabe als Naam.

Unvergleichlich ist der Schatz von Naam,
den der Wahre Eine nach Belieben austeilt.

Man erhält Naam und findet dadurch mit Hilfe des Satsangs und des Satgurus den Weg zu Gott.

Wen immer der Meister segnet, der empfängt die
Liebe des Herrn.

Es wird an die Barmherzigkeit Gottes gerührt, wenn
man wirklich die Gunst eines Sadh erlangt, o Nanak.

Die befreiende Gnade geht aus der Verbindung mit Naam hervor, und die beständige Sehnsucht nach ihr und Gottes Liebe ist wiederum von Hilfe. Die Gnade und Naam wirken wechselseitig und fördern die gegenseitige Entwicklung.

O Nanak, Naam kommt allein aus der Gnade!
es gibt keinen anderen Freund als Ram Naam.
erhebe dich über alle Gegensätze, halte fest an Naam,
und er wird dich segnen.

Der Augenblick, in dem ich die Wahrheit vergesse,
dieser Augenblick ist vergeudet.
Gedenkt seiner mit jedem Atemzug,
und seine Gnade wird bei uns sein.

Sie kommt herab, indem wir seinen Willen (Bhana) folgen und sein Gebot (Hukam) anerkennen.

Wer sein Gebot anerkennt, hat nichts zu bereuen. O
Nanak, prägt deiner Seele die Gabe seines Naam ein.

Wenn ein Heiliger die Saat von Naam gelegt hat, muß sie Frucht tragen, und keine Macht kann sie daran hindern. Und der Jiva muß früher oder später das Ziel erreichen, das heißt die Selbstverwirklichung und Gottverwirklichung.

Nur durch Gnade erlangt man die Wahrheit.
Niemand hat die Macht, ihr Wachstum aufzuhalten.

Naam wird durch den Tod im Leben bewässert, was die
Gurmukhs bewirken. Gott verleiht ihnen diesen 
Schatz, und keiner kann ihn entwenden.

Selbst Kal (die Zeit) und Maya (die Täuschung) haben auf die Saat von Naam keinen Einfluß, weil sie aus der Region kommt, die weit über ihrem Herrschaftsbereich liegt.

Außerdem ist der Sämann, der die Saat ausstreut – der Satguru -, Sat Purush selbst (seine offenbarte Form). Deshalb können der Ishwar (Niranjan, der Herr des feinstofflichen Bereichs) und Parmeshwar (Om, der Herr der Kausalregion) nicht in sein Werk eingreifen.

Die Gabe des Gurus ist ewig. Sie birgt die erlösende
Gnade für den, der sie empfängt.

Der Shabd des Meisters ist der hohe Gebieter,
o Nanak! Der Meister ist kein anderer als Gott.

Die Segnungen des höchsten Herrn sind unbegrenzt und jederzeit in reichem Maße vorhanden; doch nur durch ein außergewöhnliches Verdienst hat man daran teil. Eine Spur dieser Gnade genügt, um den Jiva vom endlosen Zyklus der Seelenwanderung zu befreien.

Wenn er seinen Segen in Fülle gibt, hört der ewige
Kreislauf der Geburten auf.

Wenn das kommen und Gehen ein Ende hat, findet
man in der Heimat immerwährende Ruhe.

Nur die Gurmukhs erlangen dieses Vorrecht, nicht die Manmukhs.

O Nanak, er vollbringt alles selbst, und die Gurmukhs 
erfreuen sich seiner Gunst.

Die bitteren Worte des Meisters munden süß;
seine liebevollen Worte sind ein unvergleichlicher
Segen.

Jedes seiner Worte trägt reiche Frucht,
aber die leeren Worte der anderen sind umsonst.

Man entfaltet Naam allein durch seine Gnade.

Nur deine Gnade hilft die Naam- Kraft zu entwickeln.
Frei von allen Mängeln,
ist man immer in Naam vertieft.

Auf sich gestellt, ist der Mensch nur ein hilfloses Geschöpf, das nichts aus eigener Kraft vermag. Deshalb sollte er nicht eitel und stolz auf etwas sein, das er nur scheinbar selber tut.

Gott allein ist der handelnde, der alles bewirkt.
Er kennt die Herzen aller
und weiß um ihre innersten Geheimnisse.

Das Heilmittel für alles Übel und der einzige Weg, Gottes Gnade zu finden, ist vollständige Hingabe in aller Demut zu den Füßen der Meisterseele.

 

27. Kapitel

Die Besorgtheit des Meisters

Die Beziehung zwischen Meister und Schüler ist ihrer Natur nach einzigartig, und wir finden auf Erden nichts, was ihr entspricht. Dennoch haben die Heiligen versucht, uns etwas davon verständlich zu machen. Während alle weltlichen Bekanntschaften und Verbindungen mehr oder weniger von Selbstsucht befleckt sind, ist die Beziehung zwischen dem Meister und dem Schüler von rein selbstloser Liebe.

Nur zum Vergleich wollen wir die Liebe einer Mutter für ihr Kind betrachten. Bei der Geburt ist das Kind nur eine hilflose Masse aus zartem Fleisch und Knochen. es vermag sich und seine Bedürfnisse nicht zum Ausdruck zu bringen, noch kann es sich selbst helfen; aber die Mutter sorgt liebevoll für das winzige Menschenkind. Sie gibt ihm alles, was es braucht und sieht danach, daß es zufrieden ist. Vom Glück des Kindes hängt auch das ihre ab, und wenn es traurig ist, bereitet dies auch ihr Kummer. Tag und Nacht arbeitet sie unermüdlich für das wohl des Kindes, und kein Opfer ist ihr zu groß. Sie gönnt sich selbst nichts, damit alles, was sie geben kann, dem Kind zugute kommt. sie ist selbst bereit, ihr Leben um seinetwillen hinzugeben.

Wenn das Kind heranwächst, nimmt es die Liebe der Mutter auf. Die wohlwollenden, liebenden Strahlen gehen von Auge zu Auge. In stummer Sprache lernt es die ersten Lektionen der Liebe. Allmählich wird ihm das Sprechen beigebracht, zuerst nur einzelne Silben und Wörter. Bei jedem Erfolg ihrer Bemühungen kennt die Freude der Mutter keine Grenzen, bis das Kind schließlich groß genug ist, für sich selbst zu sorgen.

Auf genau die gleiche weise wird ein Mensch, wenn er vom Meister angenommen wurde, ins Haus des Meisters sozusagen zum zweiten Mal geboren. Er kommt zu ihm voll der weltlichen Bindungen und in den dunkelsten Farben des Gemüts und der Materie eingefärbt. Er ist so sehr mit dem Körper und den körperlichen Beziehungen identifiziert, daß er sich gar nicht vorstellen kann, etwas davon Getrenntes zu sein.

Mit all seiner weltlichen Klugheit, seinen Reichtum, Rang und namen, ist er in spirituellen Dingen völlig unbewandert. Da er sein ganzes Leben auf der Sinnesebene zugebracht hat, kennt er nichts als die Sinnesfreuden, die für ihn das ein und alles sind.

Bei seiner Geburt in des Meisters Haus nimmt der Meister eine ungeheure Bürde der Verantwortung auf sich. Durch individuelle Anleitung und Betreuung bringt er den Jiva allmählich von den Sinnesfreuden ab. Er erklärte dem Schüler, daß er weder Körper noch Gemüt oder Verstand ist, sondern etwas weit Erhabenes, nämlich Seele oder Geist, und daß er von der Natur mit verschiedenen Fähigkeiten ausgestattet wurde, um einen hohen Lebenszweck zu erfüllen. Der Meister befähigt ihn, durch spirituelle Schulung sein Gemüt von mentalen Schwankungen zu befreien. Auf diese weise erlangt er einen Zustand der Ausgeglichenheit und beurteilt fortan das Leben von einer anderen warte aus. Seine ganze Betrachtungsweise hat sich geändert, und ein Bewußtsein des Geistes dämmert in ihm auf.

Er ist nicht länger Sklave seiner Sinne, der sinnlichen Bestrebungen nachjagt, sondern findet eine innere Sättigung, Frieden und Heiterkeit, so daß er wirklich immer am Sitz des Selbst vertieft ist. All dies und noch viel mehr ist das Werk des Meisters. Den Jiva von den Unreinheiten der Welt zu säubern ist keine geringe Aufgabe, aber es ist unerläßlich für ein spirituelles Leben.

Der Schüler muß über Sinne, Gemüt und Verstand hinausgelangen, und das kann nur ein Meister bewirken. 

Es ist ein gewaltiges unterfangen, den mächtigen Ansturm der Sinnesströme, die sich in die Welt ergießen, zu hemmen und an einem Zentrum festzuhalten. Noch bedeutsamer aber als diese ist die nächste Arbeit des Meisters.

nach dem einleitenden Reinigungsprozeß entfernt er die schuppen vom inneren Auge und gibt ihm die Sehkraft und das Licht. Ebenso bricht er das Siegel des inneren Ohrs, so daß der Jiva die innere Musik der Seele hört. Durch seine persönliche Aufmerksamkeit und Fürsorge macht er aus etwas, das wert- und nutzlos ist, einen Adepten, der die ungesprochene Sprache und das ungeschriebene Gesetz Gottes versteht, sich daran erfreut und auch imstande ist, ohne die Hilfe äußerer Organe und Fähigkeiten tätig zu sein.

Mit seinem eigenen Lebensimpuls nimmt sich der Meister des Schülers an.

Wahrlich gesegnet ist der Meister, der uns mit seinen
Instruktionen durch und durch reinigt.

Der Satguru schneidet alle fesseln der Schüler entzwei.

Wie Wordsworth seine Schwester, so rühmt ein Schüler seinen Meister:

Sie gab mir Augen, sie gab mir Ohren;
bescheidene Fürsorge, zarte Ehrfurcht.
Ein Herz, die Quelle sanfter Träume,
und Liebe und Verstand und Freude.

Der Meister errettet seine Schüler aus jeder noch so gefährlichen Situation. Seine helfende Hand bietet Schutz und Schirm, und das Leben des Schülers ist gewissermaßen gegen alles gefeit. Der Meister tut dies nur, weil er die Verantwortung für den Jiva übernommen hat. Der Schüler ist dafür zu nichts verpflichtet, ja es ist nicht einmal gesagt, daß er davon weiß.

Auch bürdet sich der Meister die Last für die Sünden und Vergehen des Schülers auf.

... alle deine Untaten werden auf ihn geworfen,
und all seine Rechtschaffenheit fällt dir zu.
                                                               Dryden

Er nimmt den gesamten Abwicklungsprozeß für die karmischen Eindrücke des Jiva selbst in die Hand. Indem er seinen Sinnesstrom umkehrt und aufwärts lenkt, befreit er ihn von der Sinnesebene und macht es ihm unmöglich, neue karmische Saaten für künftige Ernten zu säen. Alle Sünden, die er aus der Schwachheit des Fleisches trotzdem noch begeht, handhabt der Meister behutsam, doch entschlossen hier auf Erden, damit keine Lastschrift zur weiteren Verrechnung übrigbleibt. Auf diese Weise wird das Konto des Kriyaman- Karmas (der gegenwärtigen Handlungen) bereinigt und ausgeglichen. 

Als nächstes ist das Pralabdh- Karma, das Schicksal oder Bestimmung genannt wird, an der Reihe, aufgrund dessen wir in die Welt kommen. Es wird vom Meister nicht berührt, doch ungeachtet des bestrickenden Zauberwerks bahnt sich der Schüler seinen Weg hindurch.

Die Barmherzigkeit des Herrn macht allen
Versuchungen und Drangsalen ein Ende.

Der Satguru selbst bewahrt den Jiva vor allem Leid.

Nicht zuletzt gibt der Meister dem Jiva das Brot des Lebens und stillt seinen Durst mit dem Wasser des Lebens (Naam), bis er spirituell herangewachsen ist und ein gewisses Maß an Selbstvertrauen gewonnen hat. Die Berührung mit dem Funken von Naam (dem wirkenden Gott oder der kontrollierenden Gotteskraft) verbrennt den Vorrat des im lauf der Zeiten gespeicherten, aber noch nicht zur Frucht gelangten Karmas (Sanchit oder Vorratslager) und hindert es so daran, sich in der Zukunft zu entfalten.

Der Satguru erhält seinen Schüler (Sikh) mit dem
Manna und Elixier.
So voller Güte ist der Meister zu seinem Schüler.

Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den
wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird
nimmermehr dürsten.
Joh. 6, 35

Die beschützende Fürsorge des Meisters ist weit größer als die einer Mutter für ihr Kind. Mit liebenden Augen achtet er immer auf seinen Schüler und bewahrt ihn vor allem, was schädlich ist, denn seine Liebe kennt keine Grenzen.

Wie eine Mutter für ihr Kind sorgt, immer nach ihm
sieht und ihm Nahrung für sein allseitiges Wachstum
gibt, so sorgt der Meister für sein geliebtes Kind mit
göttlichen Liebe.

Wie die Mutter ihr Kind liebt und der Fisch das Wasser,
so liebt der meister die Seinen.

Die Entfernung spielt keine Rolle und hat für den Meister keine Bedeutung. Sein langer und starker Arm reicht überallhin, und sein scharfer Blick durchdringt den ganzen Raum.

Seine Hand ist die Gottes, und die
Kraft Gottes wirkt durch ihn.
Maulana Rumi

Wo der Schüler sich auch immer befindet und wie ungewöhnlich die äußeren Umstände sein mögen, der Meister ist immer bei ihm und lenkt jeden seiner Schritte, denn dies ist seine ewige Verheißung:

Jedermann, ich will mit dir gehen und dein Führer
sein, in der größten Not will ich dir zur Seite stehen.

Die Lerche ist ein Himmelspilger, und doch brütet sie ihre Eier aus, indem sie ihnen ihre ganze Aufmerksamkeit schenkt. Ähnlich behält der Meister seinen Schüler ständig im Auge, nährt ihn mit dem Wasser des Lebens – der in die Seele des Schülers gelegten Saat von Naam -, bis der Geist das dreischalige Ei (die physische, die astrale und die kausale Umhüllung) durchbricht und in seinem eigenen Glanz erstrahlt.

O Nanak, der Meister hütet den Schüler mit seinem 
eigenen Lebensimpuls!

Er hält ihn sicher in seinen Händen und gibt immer auf
ihn acht.

Allein die Liebe ist die einende Kraft, die den Meister und seinen Schüler verbindet. In seiner grenzenlosen Barmherzigkeit bringt er der leidenden Menschheit die Botschaft Gottes und bittet um ihre Errettung aus dem unsichtbaren Feuer, das alle verzehrt. Maulana Rumi sagt:

Er ruft die Menschen in das reich Gottes.
Er bittet Gott um Vergebung und Erlösung für sie.

Der Satguru ist der wirkliche Freund des Schülers. Er befreit ihn aus kritischen und ausweglosen Situationen. Er steht ihm bei, wenn er alle Hoffnung auf Hilfe aufgegeben hat und umringt wird von scheinbar mächtigen Kräften, die sich gegen ihn verschworen haben.

Von Zeit zu Zeit spürt der Schüler den gewaltigen, zu seinem Besten wirkenden Einfluß des Meisters. Manchmal geht er dabei Wege, die dem Schüler schwer verständlich sind. Wie eine Mutter in den frühen Morgenstunden darauf wartet, daß ihr schlafendes Kind erwacht, so wartet der Meister – noch mehr als sie – auf die Zeit, wo der Schüler, der in tiefer, aus Materie und Gemüt geborener Unwissenheit steckt, den Kopf hebt, ihn ansieht und sein Herz erfreut.

Die liebevolle Fürsorge des Meisters wird noch offenkundiger zu der Zeit, da der Schüler schließlich seinen Abschied von der Welt nimmt. Wenn alle Verwandten und Freunde hilflos am Krankenbett stehen und die Ärzte den Fall für hoffnungslos erklären, erscheint die strahlende Form des Meisters, um den scheidenden Geist in seine Obhut zu nehmen und in die neue Welt, zum Richterstuhl Gottes, zu führen.

danach bringt er ihn in eine Region, die er für die weitere Schulung und das Vorwärtskommen auf dem Pfad am geeignetsten hält.

Diene dem wahren Satguru, und mache dir den
Reichtum der Wahrheit zum sicheren Besitz. Im letzten
Augenblick wird er zu deiner Rettung kommen.
Er allein ist der Freund, der mich auf meiner letzten
Reise begleitet und mir vor dem Richterstuhl Gottes 
zur Seite steht.

Mein Meister ist alles in allem in die Quellen allen
Trostes.

Er verbindet mich mit dem transzendenten Brahma
und kommt mir am Ende zu Hilfe.

Maulana Rumi sagt:

O unwissender Tor! Nimm dir eilig einen Führer, denn
dann wirst du sicher vor den schrecken des Jenseits
sein.

Alle unsere weltliche Verbindungen und Beziehungen sind vergänglicher Natur. Die einen verlassen uns in Armut, andere in Not und wieder andere, wenn wir krank sind. Ein paar mögen das ganze Leben bei uns bleiben, doch auch sie verlassen uns in der Stunde des Todes. Der Satguru aber ist der wahre Freund, der den Schüler nie aus den Augen läßt und ihn stets schützend umfängt, wo immer er sei. er ist auch angesichts des Todes bei ihm und leitet seinen Geist als Führer zu den anderen Welten.

O Nanak, löse alle weltlichen Bande und suche die
Hilfsbereitschaft eines Heiligen;
die Bindungen der Welt enden schon bei Lebzeiten,
während er dich bis zum Tode und noch darüber hinaus
niemals verläßt.

Wenn die Seele durch einen Satguru zur Wirklichkeit erwacht ist, kann sie den Todesboten nicht zur Beute fallen, sondern muß mit der strahlenden Form des Meisters gehen, von der sie empfangen wird, wenn sie ihr physische Gewand ablegt.

Kabir Sahib sagt uns, daß Gold nicht rostet und stahl nicht von Würmern zerfressen wird. So kommt ein Schüler des Meisters, wie gut oder wie schlecht er auch sei, nie in die Hölle.

Gold zieht keinen Rost an noch Stahl die Würmer.
Der Schüler des Meisters wird nie zur Hölle gehen.

Der Meister ist wirklich der Meister, in dieser wie in der anderen Welt, und hilft dem Jiva hier wie dort. Es gibt keinen größeren Freund.

Ich habe bei meinem Hari Zuflucht genommen.
Mein Erhalter ist immer bei mir.
es ist ein Schutzengel in beiden Welten,
denn allmächtig und immer barmherzig ist der Satguru.
Ich habe den Satguru bei mir, der mir hilft in aller Not.

Gesegnet ist der Satguru, der mit Gott offenbart.

Es gibt keinen größeren Freund als den Satguru.
Er ist der Beschützer, hier und überall.

Wenn der Jiva einem Satguru begegnet, kann er seinem Gott danken, denn der Guru gewährleistet ihm ewiges Leben. Voller Barmherzigkeit hilft er ihm bereitwillig aus schwierigen Situationen, ohne im geringsten an eine Gegenleistung zu denken. Maulana Rumi sagt von ihm:

Gütigen Herzens und selbstlos ist der Freund.
Er hilft in Zeiten äußerster Not und Bedrängnis.

Der Guru hat die Pflicht, den Hilflosen beizustehen. Aus reinem Erbarmen schenkt er der ganzen Menschheit seine errettende Gnade. die Gemeinschaft mit ihm ist von größtem Nutzen. Mit dem Guru zur Seite kann man Millionen von feinden entgegentreten.

Wenn der Guru dein Schutz und Schirm ist,
können dir selbst Millionen Hände nichts anhaben.

Fürwahr gesegnet sind die Jivas, die in den Bannkreis des Satgurus gelangten, denn sie brauchen weder hier noch im Jenseits etwas zu befürchten.

Die Welt beugt sich vor ihm in Verehrung.
In den hohen Regionen des Geistes wird
sein Kommen sehnsüchtig erwartet.

Denn vollendet ist, wer mit dem Vollendeten in
Verbindung steht.

Wie sehr, sehr begünstigt sind die Schüler, die unter dem Schutz seiner heiligen Fichte stehen; zu ihren Lebzeiten und im Jenseits kommen sie auf der hehren Straße der Spiritualität rasch voran.

 

28. Kapitel

Der Meister und die kontrollierende Kraft

Der Satguru ist der Urquell der Gnade. Ungewöhnlich sind die Wege, auf denen er sie wirken läßt. Mit einem einzigen gütigen Blick kann er den jiva für immer segnen. Er gießt Naam in Fülle aus. Sollte er nach seinem Blieben einem Jiva seine gesegnete Hand aufs Haupt legen, hat dieser kein Verlangen mehr nahe irgendeiner Gunst.

Im Nu durchdringt der jiva den dichten Schleier der Unwissenheit und erfährt die Kraft seiner Gnade – das göttliche Licht und die göttliche Musik -, die ihm beide offenbar werden. Die Verbindung mit ihnen lebt sogleich die sonst unauslöschlichen karmischen Eindrücke vieler Zeiten auf, und der Jiva erlangte ewiges Leben voll der Gnade und des Friedens.

Mein Freund hat mich mit Frieden gesegnet,
denn er hat den Tonstrom im Innern offenbart.

Main Freund hat mir durch eine Berührung mit seiner 
Hand Gott gezeigt.

Als mich die Hand des Gurus berührte,
hat mich Gott mit der Perle von Naam erfreut.

Die Sünden langer Zeiten sind getilgt – 
solcherart ist die Macht von Naam.

wirklich sind die Jivas, die den Vorzug haben, auf dieselbe Weise von der Hand des Meisters gesegnet zu werden.

Verehre einen, der den Schatz Gottes bei sich hat.
Begünstigt ist der Jiva, auf dem die Hand des Meisterseele 
ruht.

Fürwahr gesegnet ist die Berührung von der Hand des
Meisters;
dieses Glück widerfährt nur einem unter Millionen.

Auf der ganzen weiten Welt hilft dem Jiva in allen Nöten und Drangsalen die Berührung durch die Hand des Meisters, und er wird aller Sorgen ledig. Die ganze Welt beugt und vereinigt sich zu seinen Füßen in schweigender Verehrung. Er kann sich frei nach seinem Willen und Wohlgefallen in die verschiedenen Bereiche der Schöpfung begeben, denn die Gnade des vollendeten Meisters macht auch ihn vollendet.

Wenn er seine Hand auf einen legt,
erstreckt sich seine Macht überallhin.

Seine Güte öffnet den weg zu den
spirituellen Reichen,
und alles Übel hört nun auf. 

 

29. Kapitel

Ergebung in den Meister

Ergebung zu den Füßen des Meisters bedeutet, den eigenen Willen mit dem Willen des Meisters in Einklang zu bringen und sich ganz seinem Erbarmen zu überlassen. Es ist der sicherste und einfachste Weg, alle Sorgen und Ängste zu umgehen. Dies ist nur gegeben, wenn ein Schüler vollkommenen Glauben und unbedingtes Vertrauen in die Kompetenz des Meisters hat.

Diese Art der Selbsthingabe gleicht der eines völlig hilflosen Patienten, der sich ruhig auf die Kunst eines erfahrenen Chirurgen verläßt, von dessen Messer und Lanzette er sein Leben abhängig weiß.

Oder sie an mit der Zuversicht von einem verglichen werden, der sich hoffnungslos im Dickicht des Waldes verirrt und vom Forstaufseher, der ihn entdeckt, wieder auf den weg geführt wird.

Auf genau die gleiche Weise besteht die Aufgabe des Meisters nicht lediglich in der theoretischen Belehrung über Para Vidya (die Wissenschaft des Jenseits), sondern schließt auch den praktischen Beweis aus den Ergebnissen der spirituellen Experimente ein sowie die Hilfe und Führung für den Schüler in all seinen Schwierigkeiten. Ein wahrer Freund gibt nicht nur theoretische Lektionen darüber, wie man von Gemüt und Materie frei wird, sondern er hilft, tatsächlich davon loszukommen.

Nehmen wir zum Beispiel an, jemand muß eine Auslandsreise machen. Er wird sich zuerst erkundigen, welche verschiedenen Land-, Schiffs- oder Flugverbindungen es gibt, und sich für eine davon entscheiden. Hat er seine Wahl getroffen, steigt er in Flugzeug, Schiff oder Zug ein und setzt sich, vom Können des Piloten, Kapitäns oder Zugführers überzeugt, unbesorgt und bequem auf seinen Platz. Sollte das Schiff in Not geraten oder das Flugzeug von einem Sturm erfaßt werden, hat der verantwortliche Pilot oder Kapitän die Pflicht, alles zu tun, um das Beförderungsmittel und die Passagiere in Sicherheit zu bringen.

Genauso muß sich, wer spirituelle Erkenntnis sucht, nach sorgfältiger Prüfung zuerst über die spirituelle Lauterkeit eines Meisters klarwerden und sich dann ohne jeden Vorbehalt voll und ganz seiner Autorität und Weisung unterstellen. Denn er allein kennt die Windungen und Krümmungen des spirituellen Pfades und kann ein unfehlbarer Führer sein.

Das Wort Ergebung bedeutet also, daß ein Schüler voller Vertrauen in die Fähigkeit und Kompetenz des Meisters haben sollte und gewissenhaft seiner Anweisung, welcher Art auch immer, folgt und danach lebt, ohne Rücksicht darauf, ob er sie versteht oder nicht, denn sein begrenzter Verstand kann sich irren, viel zu wenig in die Tiefe dringen oder sich sonst als unzugänglich erweisen.

Es ist nicht an ihm, die Richtigkeit der Gebote des Meisters in Frage zu stellen. Er muß lernen, wie ein Soldat seinen Anordnungen nachzukommen, ohne das Warum und Wofür der Dinge zu kennen. Denn der Meister weiß, was in jedem fall am besten und geeignetsten ist.

Daher muß man dem Meister aufs Wort gehorchen und sich augenblicklich dem Sadhan, der spirituellen Übung oder Schulung, unterziehen, wie es einem erklärt wurde.

Dies ist der einzige Weg zum spirituellen Erfolg. Es gibt keinen anderen.

In dem Zusammenhang haben wir das Zeugnis von Hafiz, einem großen persischen Sufi- Dichter:

Färbe deinen Gebetsteppich in Wein,
wenn es der Meister wünscht, denn er
kennt die Windungen des vor dir liegenden Weges.

Vertraut der Schüler alles dem Meister an, wird er sorgenfrei, und der Meister muß notwendigerweise die ganze Verantwortung übernehmen; so wie es eine Mutter für ihr Kind tut, das nicht weiß, was gut für es ist.

Wenn sich der Schüler in seinem Sadhan entwickelt, wird er fähig, mehr von der Gnade des Meisters zu empfangen. Unter seinem gütigen und segensreichen Einfluß kommt der Schüler täglich voran, und alle seine Wünsche werden erfüllt, ohne daß er selbst die geringste Mühe hat.

Weise und Seher rufen von den Dächern:

Ihr Sucher nach Frieden,
eilt zu einem Meister- Heiligen.

Im 18. Gesang, Vers 66 der Bhagavad Gita verkündet der erhabene Lord Krishna als Weltlehrer:

Laß alle Formen und Gebräuche fahren,
und komm zu mir als deinem Zufluchtsort.
Von allem Übel wird‘ ich dich erlösen.
Sei eins mit mir und fürchte dich nicht mehr.

Im Koran lesen wir ebenfalls:

Wer immer sein Ziel Allah überläßt,
während er Gutes tut,
dessen Lohn ist bei seinem Herrn,
und keine Furcht wird ihn überkommen,
noch wird er bekümmert sein.
                                             2.112; 10.6

Und in der Bibel heißt es:

Ich muß meine Hand wider dich kehren,
und deinen Schaum aufs lauterste ausfegen,
und all dein Blei ausschneiden.
                                                       Jes. 1, 25

Kommet her zu mir alle,
die ihr mühselig und beladen seid;
ich will euch erquicken.
                                 Matth. 11, 28

Ferner:

Rufe mich an in der Not,
so will ich dich erretten.
                   Psalm 50, 15

Selbsthingabe ist keine leichte Sache. Um sie zu erfüllen, muß man wieder zu einem unschuldigen Kind werden. Sie erfordert eine völlige Umkehr und vollständige Umwandlung, bei der man die eigene Individualität ausschaltet.

Es ist der Pfad der Selbstverleugnung, den nicht jeder gehen kann.

Andererseits ist der Pfad spiritueller Schulung verhältnismäßig leicht. Jedem ist es gegeben, spirituell voranzukommen.

Es ist zweifellos ein langer und mühseliger Weg im Vergleich zu dem der Selbsthingabe, doch wenn man dem Meister vertraut, kann man ihn, Schritt für Schritt, mit Entschlossenheit gehen. Wenn es aber einem gelingt, an der Selbsthingabe festzuhalten, können ihm bald alle Segnungen des Meisters zuteil werden; denn er geht direkt in seinen Schoß und hat selber nichts weiter für sich zu tun.

Er ist nun der Erwählte des Meisters, sein geliebter Sohn, der Sohn Gottes. Aber sehr selten wird sogar eine wirklich begünstigte Seele fähig sein, sich diese Haltung zu eigen zu machen.

Wenn es der Herr so bestimmt, o Nanak, kann einer
den Pfad der Selbsthingabe gehen. Wahrlich gesegnet 
ist, wer sich zu den Füßen des Satgurus ergibt.

Der Wahrheit nahe, berauscht er sich an der Wahrheit 
und wird mühelos eins mit ihr.

Ô Nanak, nur durch die Gnade des Herrn wird man
einem solchen Gurmukh begegnen!

In den Schriften findet sich eine Vielzahl von Vorteilen für den, der diesen Pfad annimmt:

Alle Übel und Sorgen schwinden durch Ergebung zu
den Füßen des Meisters.

Der Welt der Freude und des Leids entkommt nur
einer, der die Füße des Satgurus erreicht.

Ein Gurmukh steht jenseits der drei Gunas und ist
dem Herrn angenehm.

In der Selbsthingabe wird das Gemüt geläutert; aber
einzig Gottes Namen zu preisen ist von keiner Hilfe.

Zum Wohl der Welt kommen jene, die nach des Herrn 
Anblick dürsten.

Wer sich überantwortet, rettet sich und wird völlig frei;
jeder Wunsch wird ihm erfüllt.

Alle Freuden sind mit dem Satguru; neige dich also zu 
seinen Füßen.

Sein bloßer Anblick ist segensreich.

Ohne etwas zu bereuen, singe zu seinem Ruhm.

Ich sehe, wie sich die Welt im Feuer der Selbstsucht
verzehrt.
Rette dich durch Hingabe an den Meister, und dann 
höre auf den wahren Shabd.

Ich ergebe mich einem, der die alleinige, materielle
wie auch bewirkende Ursache ist. Seine Gnade hat die
Heimat im Licht des Mondes offenbart.
Durch den Lebensimpuls eines vollendeten Meisters
weilt Ram Naam in mir.

O Nanak, durch Ergebung zu den Füßen des Meisters
wird der Herr barmherzig.

Im Kal Yuga liegt Naam überall verborgen, und der
Herr durchdringt alles in Fülle.

Doch das unschätzbare Naam wird in der Hingabe an 
den Meister offenbar.

Dank der Segnungen des Gurus verliert man die Frucht vor dem Tod und wird erfolgreich über das Meer des Lebens gebracht.

Glücklich besiegt er den Tod und geht nie zur Hölle.
O Nanak, er wird errettet durch Hingabe, denn Hari
nimmt ihn unmittelbar in seine Obhut.

Von ihm angenommen, werden alle seine Handlungen rein.

O Nanak, nie wird er zur Hölle gehen;
das ist der Lohn der Ergebenheit!

Keiner außer dem Erwählten vertieft sich in die
Hingabe von Naam.
Durch die Ergebung zu den Füßen des Meisters hat das
Kommen und Gehen ein Ende.

Der Herr aller, der das Übel vertreibt, wird erreicht,
wenn man sich einem Sadh ergibt. Und das
aufgewühlte Meer des Lebens ist bald überquert.

Wenn sich ein Jiva dem Satguru ergibt, nimmt ihn der Herr in seinen Schutz und gewährt ihm die Segnungen von Sahaj (dem ewigen Glück). Alle Zweifel und Ängste vergehen nun, und er gelangt zu seinem wirklichen Selbst.

 

30. Kapitel

Die Worte des Meisters

Wenn jemand zu einem Meister kommt, muß er von aufgeschlossener Gesinnung sein. Da er weiß, daß ihm alle bisherigen Handlungen, im persönlichen wie ihm sozialen Bereich, nicht die Erlösung gebracht haben, sollte er ihnen Lebewohl sagen und den Meister hinsichtlich der spirituellen Schulung um Unterweisung bitten.

Hat er seine Instruktionen erhalten, muß er sie gewissenhaft befolgen. einzig darin sollte seine Hingabe bestehen. Was immer der Meister festlegt, muß als unumstößliche Wahrheit genommen werden, ganz gleich, ob es der Prüfung durch die rein menschliche Vernunft standhält oder nicht. Unser Denken und unsere Einsicht sind allemal begrenzt und können die Tiefen, in die der Meister dringt, nicht erreichen. Er kennt das Warum und Wofür seiner Anweisungen und gibt wie ein voll verantwortlicher Feldmarschall seine Befehle.

Wir müssen daher lernen, ihm wie ein treuer Soldat unbedingt zu gehorchen und zu tun, was er gebietet. Hafiz sagt in diesem Zusammenhang:

Färbe deinen Gebetsteppich in Wein, wenn es dein
Meister wünscht,
denn er kennt die Windungen des vor dir liegenden
Weges.

Bloßes Lippenbekenntnis zählt beim Meister nicht. Der Meister will volle Ergebung an das, was er sagt, denn es ist schließlich zum Besten des Schülers. In der Heiligen Schrift ist nachdrücklich gesagt:

Liebt ihr mich, so haltet meine Gebote.
                                            Joh. 14, 15

Seid aber Täter des Wortes und nicht Hörer allein,
dadurch ihr euch selbst betrüget.
                                                                  Jak. 1, 22

Leeres Gerede über Spiritualität ist von keinem Nutzen.

Auf Moses Stuhl sitzen die Schriftgelehrten und
Pharisäer ...
aber nach ihren Werken sollt ihr nicht tun;
sie sagen’s wohl und tun’s nicht.
                                                   Matth. 23, 2-3

Denn das Wort Gottes steht nicht in Worten, sondern
in der Kraft.
                                                               1. Kor. 4, 20

Wie der Körper ohne die Seele leblos ist, so ist auch bloßes reden ein totes Geschwätz.

Paulus sagt:

Wenn ich mit Menschen- und mit Engelszungen redete
und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönend Erz
oder eine klingende Schelle.

Ähnliches kann man über den Darshan oder Anblick des Meisters sagen. Er kann einem zeitweilig Frieden und Gemütsruhe geben, doch wenn man wieder geht, tobt sich das Gemüt von neuem aus und herrscht über Körper und Seele.

Somit zählt auf dem Pfad der Meister allein das Tun und praktische Verwirklichung. Die Worte des Meisters sinken tief ins Herz. Es ist kaum denkbar, ihm nicht zu folgen.

So ihr in mir bleibet und meine Worte in euch bleiben,
werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch
widerfahren.
darin wird mein Vater geehrt, daß ihr viel Frucht
bringet und werdet meine Jünger.
                                                                  Joh. 15, 7-8

Darum an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.
                                                          Matth. 7, 20

Bei dem aber in das gute Land gesät ist, das ist, der das
Wort hört und es versteht und dann auch Frucht bringt;
und der eine trägt hundertfältig, der andere
sechzigfältig, der andere dreißigfältig.
                                                                    Matth. 13, 23

Die Welt wird mit einer Ernte verglichen (Matthäus 13, 30), und die Schnitter achten allein auf die Frucht.

Nehmt des Meisters Worte als absolute Wahrheit,
und erntet wohl die Frucht des Lebens.

Die Worte des Meisters können nicht vom Meister getrennt werden. Wes das herz voll ist, des geht der Mund über. Der Meister ist in das Wort eingebettet, und seine Worte drücken das aus, was in ihm ist, nämlich das Wort, den Lebensimpuls und die Kraft. Wie ließen sich also beide voneinander trennen? Seine Worte durchdringen zweifellos die Herzen der Sucher, und kein anderer kennt den süßen Schmerz, den sie empfinden.

Als die Sehnsucht nach dem Herrn entbrannte,
durchdrangen die Worte des Meisters mein Herz.
Das Herz nur kennt die Qualen; wer sonst kann
um den Schmerz eines anderen wissen?

Je mehr Gewicht man den Worten des Meisters beimißt, desto mehr wächst man in der Gnade. Wahre Hingabe an den Meister besteht im Annehmen und Halten seiner Gebote. Guru Ram Das ermuntert uns, das Gedenken an den Meister zu unserem ständigen Begleiter zu machen, ganz gleich, was wir gerade tun. Der Meister ist in seinen Worten verborgen, und seine Worte sind in der Tat der wirkliche Meister.

Heilig ist das Wort des Meisters, durch welches man
das Elixier des Lebens erlangt;
denn die Annahme seines Wortes gewährt ewiges 
Leben.

Besinne dich stets der Worte des Meisters,
denn hierin liegt echte Ergebung und Wahrheit.
Handle in Übereinstimmung mit dem Wort des
Meisters,
dies führt zu rechter Kontemplation.

Das Wort des Meisters bleibt immer bei den Initiierten. Keine Macht auf Erden kann es rauben. Feuer kann es nicht verzehren und Wasser nicht fortschwemmen. Es ist unzerstörbar und ewig. Es nimmt sich der Vaterlosen an und beschützt uns bei jedem Schritt. Allen Zweifel und Skeptizismus räumt es mit der Wurzel aus. Selbst der Todesengel kann ihm nicht nahekommen.

Durch die Anweisungen des Meisters verbinde dich
mit Ram Naam.

Dieses Nektars kann man sich in der Gemeinschaft
von Heiligen erfreuen.

Erreiche deine Heimat mit der Hilfe des Meisters,
dann gibt es kein weiteres Kommen und Gehen.

Man erwirbt den Schatz von Naam nicht durch Werke auf der Sinnesebene.

Gewiß, jeder reduziert und hört den Gurbani, doch nur die haben Nutzen davon, die wirklich an die Worte des Meisters als unerschütterliche Wahrheit glauben:

Wenn Ergeben und Schüler zum Meister kommen,
singen sie die gottgeweihten Verse aus den heiligen
Schriften.

Von allen, die sie vortragen oder hören, ist nur
willkommen, wer die Worte des Meisters voller
Glauben annimmt.

Solche, die dem Meister immer wieder begegnen, werden ihn immer mehr lieben; und die seine Worte als Wahrheit betrachten, werden die Geliebten des Herrn.

was immer der meister anordnet, muß mit unermüdlichem Eifer befolgt werden, damit man den Shabd ergreifen kann, der einen in seine Heimat zurückbringen wird.

Was auch der Meister sagt, das müßt ihr tun.
Dem Tonstrom folgend, kommt in euer rechtmäßiges
Eigentum und gelangt zu Ehren mit der Hilfe von
Naam.

Wer nach dem Geheiß des Meisters handelt, dessen
Lohn ist wahrer Trost.

Seinen Weisungen folgend, o Nanak,
kommt man furchtlos ans andere Ufer.

Es ist unbedingt notwendig, dem Willen des Willen des Meisters zu entsprechen, denn es ist zum Wohl des Schülers.

wirklich viele Menschen begegnen dem Satguru, aber das ist nicht genug. Um erlöst zu werden, muß man ihm in Gedanken, Worten und Taten Folge leisten.

Jeder, ja die ganze Welt, blickt auf den Meister.

Doch Erlösung findet man nicht durch das bloße
Sehen, ohne Verbindung mit Naam.

Der Meister muß ein Adept des Surat Shabd Yoga sein und Shabd in uns offenbaren können – den Shabd, der sich nicht innerhalb der neun Tore befindet, sondern allein das Kennzeichen des zehnten Tores ist.

Wenn man einen solchen Meister gefunden hat, ist es die Pflicht des Schülers, sich mit ganzem Herzen seinem Joch zu beugen und sich demgemäß zu formen. Wenn man das tut, zieht man den größten Nutzen aus der menschlichen Geburt, erweist seinen Vorfahren wie seinen Nachkommen einen guten Dienst und hat nichts zu fürchten.

In der tat gesegnet ist die Geburt jener, die sich dem
Willen des Meisters fügen.
Sie erretten ihre Familie und machen ihrer Mutter 
Ehre.

Nichts Übles wird dem widerfahren, der sich nach der
Art des Meisters formt.

Auf seinem Weg liegt der See des Nektars, und er kann 
ihn leicht erreichen.

ein Schüler, der dem Willen des Meisters folgt, gelangt in den Besitz des Lebenselixiers und gewinnt das reich Gottes als sein Geburtsrecht.

O Mensch, ergib dich dem Willen des Meisters!
Weile in deiner Heimat und erfreue dich ewigen
Lebens.

Wer versteht den Willen des Meisters und achtet ihn gewissenhaft? Einer, in dem die Gnade des Herrn am Werk ist.

Nur der nimmt die Worte des Meisters an und handelt
nach ihnen, in dem die Gnade des Herrn wirkt.

Es gibt keinen größeren Menschen als den, der die Worte des Meisters annimmt und dadurch Gott erkennt. Wir müssen deshalb nach dem Wort verlangen und uns bemühen, durch den Sat Satguru eine Verbindung mit ihm zu bekommen.

O Gemüt, denke stets an die Worte des Herrn!
Wer durch das Wort in seine Heimat zurückkehrt, ist
das Kronjuwel unter den Menschen.

Die Segnungen von Hari Naam sind zu vielfältig, als daß sie aufzuzählen wären. Wer in der Farbe des Wortes gefärbt wird, rühmt immer die Herrlichkeit Gottes. All sein Tun nimmt im rechten Augenblick von selbst die rechte Form an.

Was er will, muß geschehen, denn die Natur selbst steht ihm jederzeit vollständig zu Gebote. er ist von allen Übeln und Nöten frei, verliert jeden Gedanken an das Ich und Mein und wird nie eitel oder stolz.

Er erhebt sich über alle Gegensätze: Reichtum und Armut, wohl und Weh, Freud‘ und Leid, Ruhm und Unbekanntsein, denn er bleibt in einem Zustand heiterer Gelassenheit.

Das Gift von Gemüt und Materie kann ihm nichts anhaben. Während er in der Welt lebt, ist er nicht länger von der Welt, sondern frei von Sorge und Verhaftetsein. er geht, wohin immer er will.

Die Täuschungen und Verblendungen der Welt berühren ihn nicht. Er entzieht sich dem Machtbereich von Kal, der Zeit, an die er nicht gebunden ist. Weder begrenzt ihn der Raum, noch kann ihn das Gesetz der Kausalität in seinen Bann ziehen.

Er erlangt ewiges Leben und gewinnt das Reich Gottes zurück, den Garten Eden, aus dem er wegen seines ersten Ungehorsam gegen Gott vertrieben wurde.

Er errettet nicht nur seine eigene Seele, sondern durch die Kraft des Wortes viele andere, die mit ihm in Verbindung kommen; ja selbst die Seelen seiner Vorfahren und künftigen Verwandtschaft.

Wahrlich gesegnet ist ein Mensch, der das Glück hat, in die Gemeinschaft eines Sant Satgurus zu gelangen, und so das höchste Gut des Lebens erwirbt.

Ende

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