17. Kapitel

Der Guru ist der Gottmensch

 

Der Meister ist wahrhaftig die vollendete Offenbarung Gottes. Von göttlichem Licht erfüllt, ist er sein Fackelträger. Er ist der Pol, durch den der Höchste seinen Erlösungsplan vollbringt. Gott, der den Menschen ihm zum Bilde schuf, errichtete wegen der ersten Sünde, des Ungehorsams gegen ihn, eine eiserne Wand zwischen sich und der Seele. So wird gesagt, daß der Mensch aus dem Garten Eden in die physische Welt vertrieben wurde, um im Schweiße seines Angesichts sein Brot zu verdienen und durch einen Erlöser, den Menschensohn, Befreiung zu finden, in dessen Gestalt der Herr selbst mit dem Schlüssel herabkommt, um das Himmelreich für die verlorenen Schafe aufzuschließen.

Das Wort wird Fleisch und wohnt unter uns; das Licht Gottes leuchtet durch seine Augen, die Stimme Gottes spricht durch ihn, und die Gnade Gottes bringt jenen, die nach ihm hungern und dürsten, Erlösung. Er lebt wie ein gewöhnlicher Mensch unter uns, teilt unsere Freuden und Leiden, gibt uns spirituelle Unterweisung und leitet uns auf dem Pfad. Im Vater begründet, führt er seinen Willen aus.

 

                            Alle Dinge sind mir übergeben von meinem Vater.

                            Und niemand kennet den Sohn denn nur der Vater;

                            und niemand kennet den Vater denn nur der Sohn

                            und wem es der Sohn will offenbaren.

                                                                           Matth. 11, 27

 

Auch Maulana Rumi sagt:

 

                            Im Meister wohnen Gott und der Mittler zugleich.

                            Es gibt in der Tat nicht den geringsten Unterschied

                            zwischen ihnen.

                            Verbanne alle Gedanken der Dualität aus deinem

                            Herzen, sonst wirst du dich in der Wildnis verlieren.

                            Ebenso wird es dir mit deinen ersten Lektionen in der

                            Spiritualität ergehen. Wer beide als getrennte Wesen

                            betrachtet, hat noch nichts vom Meister gelernt und

                            weiß nichts von ihm.

 

Der Meister ist die Form des formlosen Gottes, die Erscheinungsform, die wir sehen und mit der wir in Verbindung kommen können. Sie ist es auch, die uns Wissen von Gott vermittelt, uns als strahlende Form auf der Reise zu ihm begleitet und unsere Schritte auf dem Pfad lenkt.

Auf jeder Ebene, der physischen, kausalen und den überliegenden, nimmt die Glorie des Meisters zu, und seine unbegrenzte Macht und Reichweite wird der von ihm geleiteten Seele im Verlauf der Reise mehr und mehr offenkundigt.

Er ist der Gottmensch, und seine Erscheinungsform in der Welt ist die Kibla und Kaaba der Moslems, der Altar der Christen, das ewige Licht der Anhänger Zoroaster, der Tempel, die Synagoge und der Gurdawara, denn er allein ist die Verehrung würdig.

Wie die Atmosphäre mit Elektrizität, so ist das ganze Universum von Gott durchdrungen. Es gibt keinen Ort, wo er nicht wäre, und doch ist er den Augen verborgen. Der Guru oder Meister ist der mächtige Schalter, die Quelle und der Ursprung, der uns seine Größe und Schimmer seiner Kraft wahrnehmen läßt.

Der Meister ist also der Pol, durch den der Herr wirkt. man kann ihn darum mit Recht den polarisierten Gott nennen, im Unterschied zu dem verborgenen Zustand, in dem er mit allen eins ist und wir ihn doch nicht erkennen.

Seine Macht und Erhabenheit offenbart sich im Meister in Fülle. Solange man nicht mit einem Gottmenschen in Verbindung kommt, bleibt Gott ein bloßer Begriff, eine der vom Menschen ersonnenen alltäglichen Vorstellung, ein Schatten ohne jede Wirklichkeit.

Im Meister begegnet man dem lebendigen Gott auf Erden, der wie irgendein anderer mit uns s0pricht und unsere Freude teilt, der uns mit Wort und Beispiel führt und von Stufe zu Stufe weiterhilft. Ja, gesegnet ist die Seele, die einen lebendigen Kontakt mit einem lebenden Meister, dem größten Geschenk Gottes für die Menschheit, herstellen kann.

Der Mensch ist der Lehrer des Menschen. Wenn uns nicht der Gottmensch Licht gibt, bleibt uns das Licht der Wirklichkeit fremd, und wie Blinde irren wir völlig im Dunkeln.

Mit den leiblichen Augen können wir in der Welt, die uns umgibt, nur physische Dinge sehen. Mit dem subtilen Sehvermögen erkennt man die feinstoffliche Welt, mit kausalen wiederum das kausale Universum. Als Meister aller drei Welten und der noch darüber liegenden gewährt er das innere Licht, das die Finsternis im Innern erhellt. Ein endloses Panorama der spirituellen Schau tut sich einem auf, dehnt sich immer mehr aus und erschließt einem auf Schritt und Tritt neue Freuden. Das alles bewirkt er mit Hilfe des Tonstromes oder der Stimme Gottes, durch welche die Toten, wenn sie sie hören, zum Leben erweckt werden und ewiges Leben erhalten. Er ist das Bindeglied zwischen der Seele und der Überseele. Er ist in Gott verwurzelt; seine Zweige, beladen mit den Blüten und Früchten des Paradieses, breiten sich über die ganze Welt aus; so versorgt er alle, die zu ihm kommen, mit spiritueller Nahrung. Maulana Rumi sagt in diesem Zusammenhang:

 

                            O Freund, setze dich zu einem, der den Zustand deines

                            Herzens kennt (und es ganz machen kann). Ruhe eine

                            Weile im Schatten eines Baumes, der voll frischer,

                            duftender Blüten ist. Säume nicht wie Müßiggänger,

                            die auf dem Marktplatz von einem Stand zum anderen

                            schlendern. Begib dich gleich zu einem, der einen

                            Honigvorrat bei sich hat.

 

                            O tapfere Seele, halte dich fest am Gewand von einem,

                            der die verschiedenen Ebenen, die physischen, mentalen,

                            supramentale und die darüberliegenden, gut kennt

                            und imstande ist, wie ein treuer Freund bei dir zu

                            bleiben, sei es im Leben oder im Tod, in dieser oder in

                            der nächsten Welt.

 

Die physische Welt oder astrale Form des Meisters, des Gott- im- Menschen,, die uns auf der Reise zu ihm beisteht, ist weit besser als seine ursprüngliche, unsichtbare Form, die sich jeglichem Denken und Betrachten entzieht.

Brahma, Vishnu, Shiva, Ishwar (Niranjan) und Parmeshwar (Verkörperung Brahmas) sind alle unserer Achtung und Verehrung würdig.

Ehrfürchtig haben wir in den heiligen Schriften eine Menge über sie gelesen. Sie erscheinen als Helden und Heldinnen im mystischen Erzählungen, sind als solche aber nichts anderes als Erfindungen der menschlichen Phantasie.

Wenn der Satguru oder Meister der Wahrheit eine Seele (im Gaggan) in seine Obhut nimmt, offenbart er allmählich die wahre Bedeutung und Eigenart jeder dieser Inkarnationen. Sie alle sind seit Anbeginn der Schöpfung da und erfüllen die ihnen zugewiesenen Pflichten.

Wir können aber weder sie selbst noch ihr Wirken oder ihren Einfluß erkennen, wenn er uns nicht von einem Satguru gezeigt wird, der uns das Wesen dieser geheimnisvollen Hierarchie enthüllt.

Gott selbst unterrichtet uns in Menschengestalt (durch Heilige und Propheten) von der Natur seines eigenen ursprünglichen Seins. Guru Amar Das hat deshalb erklärt:

 

                            Es ist das Grundprinzip Gottes, da ohne einen

                            Meister der Wahrheit niemand auch nur an ihr denken

                            kann.

 

Ebenso sagt uns Kabir:

 

                            Der Meister ist größer als Gott. Ihr mögt gut über

                            dieses Wort nachdenken. Hingabe an Gott hält den

                            Menschen auf dieser Seite (der physischen Ebene)

                            gefangen, aber Hingabe an den Guru bringt ihn

                            darüber hinaus zu Gott.

 

Die Größe des Meisters liegt darin, daß er die Seele mit der unbekannten Wirklichkeit verbindet und dem Kreislauf der Geburten und Tode ein Ende setzt. Die Überseele könnte sich, auch wenn sie bei uns ist, nicht direkt offenbaren noch die Seele aus der physischen Ebene herausnehmen und befreien.

Nur durch die Unterweisung eines Gurus (einer Meisterseele oder eines Gottmenschen) und die Verbindung mit Shabd (dem Wort oder dem waltenden Gott) erzielt man diese wunderbaren Ergebnisse.

 

                            Ohne das Wort entrinnt man der Knechtschaft nicht.

                            Der Meister ist das personifizierte Wort, und er kann

                            es in uns offenbaren.

 

                            Gott mag sich abwenden und man selbst darüber

                            unbekümmert sein, aber wenn es der Meister tut, kann

                            keiner die Versöhnung zustande bringen.

                                                                           Kabir

 

                            Wenn wir Shivas Gunst verlieren, kann sie uns der

                            Meister zurückgewinnen. Wer aber söhnt uns mit dem

                            Meister aus?

 

Sehjo Bai, eine ergebene, kündet uns hierüber in melodischen Weisen, die die Größe ihres Meisters, Charan Das, besingen:

 

                            Ich mag Gott preisgeben, aber nicht einen Augenblick

                            kann ich den Meister vergessen, denn Gott selbst

                            kommt ihm nicht gleich.

 

                            Gott trieb mich in die Öde der Welt, doch der Meister

                            hat den endlosen Kreislauf meiner Seelenwanderung

                            durchbrochen.

 

                            Gott hat mir die fünf Todsünden (Wunschhaftigkeit,

                            Zorn, Habgier, Verblendung und Selbstsucht) an die

                            Fersen geheftet, aber der Meister erbarmt sich meiner

                            Hilflosigkeit und bewahrt mich vor ihnen.

 

                            Gott verstrickt mich im Netz familiärer Bindungen,

                            doch der Meister hat sie zerschnitten.

                           

                            Gott liefert mich Leiden, Verfall und Tod aus, der

                            Meister aber hat mich mit seinen Yoga- Kräften davon

                            befreit.

 

                            Gott band mich an Händen und Füßen im Netzwerk

                            karmischer Rückwirkungen, doch der Meister ent-

                            hüllt mir mein wahres Wesen. So weiß ich nun, daß

                            ich Seele bin, der Geist des Universums.

 

                            Gott in mir verbarg sich hinter einem Vorhang, der

                            Meister hingegen offenbart ihn mir mit seiner Fackel

                            der Wahrheit.

 

                            Gott war es auch, der Knechtschaft und Befreiung

                            schuf, doch der Meister hat all diesem trügerischen

                            Wahn ein Ende gemacht.

 

                            Ich opfere Charan Das, meinem Meister, Körper und

                            Seele und würde selbst Gott um des Meisters willen

                            aufgeben.

 

 

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