2.
Kapitel Der
Guru ist Shabd (Der
Meister ist das personifizierte Wort) Das
Johannes- Evangelium beginnt mit den denkwürdigen Worten: Im Anfang war das
Wort, und das Wort war bei
Gott, und Gott war das
Wort. Dasselbe war im
Anfang bei Gott. Joh.
1, 1-2 Der
Guru ist Shabd oder das personifizierte Wort. „Das Wort ward Fleisch und wohnte
unter uns“, sagt das Evangelium. Shabd oder das Wort ist nur ein Strahl von
Gott oder dem großen Meer des Bewußtseins, und dieser eine Strahl ist für die
Erschaffung und Erhaltung aller Ebenen, die das Universum erhält,
verantwortlich. Im
Johannes- Evangelium lesen wir weiter: Alle Dinge sind
durch dasselbe (das Wort) gemacht, und ohne dasselbe
ist nichts gemacht, was gemacht ist. In ihm war das
Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht
erscheint in der Finsternis, und die Finsternis hat’s
nicht begriffen. Joh.
1, 3-5 Dryden
bezeichnet es in seiner poetischen Vorstellungskraft als Harmonie (Tonprinzip): Aus der Harmonie, der himmlischen Harmonie, entstand dieses
universale Gefüge; sie erklang in allen
Tonbereichen und kam im Menschen
zur Vollendung. Im
Gurbani lesen wir: Das Wort ist der
Meister, und der Geist ist der Schüler des Wortes. Das Wort ist der
Meister und der Prophet, voll tiefer, inhaltsschwerer
Weisheit. Ohne das Wort kann die Welt nicht bestehen. Zwischen dem Wort
und dem Meister gibt es keinen Unterschied. Das
Wort ist wahrhaftig das Elixier des Lebens, und wer
immer dem Wort nach den Weisungen eines lebenden
Meisters folgt, überquert heil das Meer des Lebens. Tulsi
Sahib sagt: Der Geist ist der
Schüler, und das Wort ist der Meister. Erst wenn der Geist
mit dem Wort verbunden ist, findet er den Weg zu
Gott, indem er sich ins Jenseits erhebt und in die
umgekehrte Quelle gelangt. Bhai
Gurdas sagt über den Geist: Nur wenn der Geist
gläubig und gewissenhaft Dhunni (den Tonstrom oder
das Wort) als Meister annimmt, wird er ein Gurmukh
und erkennt, daß das Wort und der Meister in der
Tat eins sind. Kabir
erklärt ebenso: Wo ist der Meister,
und wo weilt der Geist? Wie können die
beiden eins werden? Denn ohne die
Einswerdung findet der Geist keine Ruhe. Und
er selbst antwortet darauf: Der Meister ist im
Gaggan, und der Sitz des
Geistes befindet sich auch dort. Wenn beide eins
geworden sind, gibt es künftig
keine Trennung mehr. Nehmt das Wort als
Meister; alles andere ist
leerer Schein. Jeder, der in
selbstisches Tun verstrickt ist, Wandert von einem
Ort zum anderen. Somit
ist das Wort oder Shabd vom Anbeginn der Zeit ein Weltenlehrer. „Selig
sind, die reines Herzens sind“, denn in ihren offenbart sich des Meisters Wort.
Dieses Wort ist der wahre Heilige und kann als lebender Führer wirken. Es ist
der „wirkende Gott“, der in Meisterseelen, die eins mit ihm sind, in Fülle zum
Ausdruck kommt. Als ich das Meer des
Körpers aufwühlte, kam etwas
Sonderbares ans Licht; Gott und der Meister
waren eins, und Nanak konnte
keinen Unterschied finden. Wer
ein Täter des Wortes ist, wird ein Heiliger oder eine Meisterseele genannt. Die
Wahrheit dämmert erst, wenn man die Bedeutung des Wortes Guru untersucht. Es
ist von der Sanskritwurzel ‚Giri’ abgeleitet, was ‚einer, der ruft‘ heißt; so
wird im Gurbani der, welcher beständig diesen Ruf in sich hört, ihm mit Hingabe
verbunden ist und ihn auch offenbaren kann, als Guru bezeichnet. Nehmt den als
Meister, der die Wahrheit offenbaren kann und dem
Unaussprechlichen durch den Ton Ausdruck verleiht. Wiederum
heißt es: O Nanak, allein die
Wahrheit ist wahr! Kabir
Sahib betont: Wir zollen allen
Lehrern Ehrerbietung, welches auch immer
ihr Bekenntnis sei; aber der Adept des
Tonprinzips ist wirklich der
größte. Ferner
sagt er: Es gibt Lehrer der
verschiedensten Grade; doch dem des
Tonstroms gebührt die höchste Verehrung. Auch
Tulsi Sahib weist darauf hin: Wer den Tonstrom
offenbaren kann, ist wahrlich ein Heiliger; durch Selbstanalyse
findet man den Ton in sich. Kabir
Sahib hat gefordert, daß jeder, der sich Satguru oder Heiliger nennt, uns
ermöglichen sollte, das Ungeoffenbarte offenbart zu sehen. Im
Sar Bachan lesen wir: Der Meister bringt
die Botschaft des Tones; er dient einzig und
allein dem Ton. Ein vollendeter
Meister ist immer in den Ton vertieft; so sei der Staub zu
den Füßen vom Meister des Tons! Der
Satguru ist ein wahrhaftiger Veda. Er gebietet über Sach Naam und besitzt somit
das Elixier des Lebens. Er verteilt Shabd, das als „Sesam- öffne- dich“ für die
höheren geistigen Bereiche wirkt und den Pilgern auf dem Pfad des Meisters
ungehindert Zutritt gewährt. Die
Theosophen nennen ihn die Stimme der Stille; ihr Klang kann von Ebene zu Ebene
vernommen werden. In
der Sprache der Meister ist ein wirklicher Heiliger, wer über Shabd lehrt. Ohne
einen Adepten bekommt niemand die Gabe von Shabd oder Naam. Er läßt sich mit
einer Strickleiter vergleichen, die direkt zu Gott führt; und eine Seele, welche
sie ergreift, wird leicht zu ihm gelangen. Verbindung
mit Shabd ist eine Verbindung mit Gott; und glücklicherweise zu preisen ist,
wer Shabd im Innern berührt. Weiterhin
heißt es: Gott im Guru teilt
Shabd aus. Wenn man sich mit
der Wahrheit verbindet, geht man in ihr auf. Ferner: O Nanak, alle
Heiligen sind seit Anbeginn in Shabd eingebettet! Gesegnet ist der
Meister Ram Das, der sich ebenfalls
mit Shabd verbunden hat. In
der Heiligen Schrift steht: Das Wort ward Fleisch
und wohnte unter uns. Nur
ein Adept in Shabd gibt einen wirklichen Lebensimpuls. Er selbst ist eins mit
diesem wahren Lebensstrom, der alles Lebendige hervorbringt. Er ist ein
Bewohner der Region, wo es kein Ich gibt. Er ist Shabd personifiziert, lebt in
Shabd und hat wahrlich sein Sein in ihm, da er sich über den Machtbereich von
Kal oder der zeit weit erhoben hat. Er ist im Besitz des ewigen Lebens und
kompetent, es anderen, die zu ihm kommen und sich an seine Weisungen halten, zu
übertragen. Der
menschliche Geist liegt gegenwärtig unter einer gewaltigen Last von Maya oder
Materie verschüttet. Er weiß nicht einmal, daß er Geist ist. Nur durch Shabd
kann er zur Wirklichkeit erweckt und sich seiner Größe bewußt werden. Dieses
Lebensprinzip von Shabd befindet sich in jedem von uns, wenn auch nur in
verborgener Form. Es
muß dem Geist zugänglich oder hörbar gemacht werden, so daß er durch die bloße
Wesensgleichheit sein reiches spirituelles erbe erkennt und als sein Eigen
beansprucht. Diese
Verbindung des Geistes mit Shabd kann durch den Meister (der Shabd
personifiziert ist) hergestellt und gefestigt werden. Kein anderer vermag das
zu tun. Shabd ist ein
heiliges Gut des Meisters und wird von ihm gewissenhaft
verwaltet. Nur ein Meister kann eines Meisters Shabd
offenbaren; niemand außer ihm ist dafür kompetent. Dies
bedeutet, daß Shabd oder das Wort unter der Kontrolle des Meisters steht. Er
allein kann es enthüllen und hörbar machen, indem er den Geist aus den
physischen Sinnesorganen herausnimmt. Diese
Verbindung des Geistes mit Shabd ist ein Gnadengeschenk des Meisters. Kein noch
so hohes Maß an verdienstvollen Taten innerhalb der Grenzen von Raum, Zeit und
Kausalität kann eine so einzigartige und unermeßlich große Gabe wie Shabd
aufwiegen. Alle unsere
Gerechtigkeit ist wie ein unflätig Kleid. Jesaja
64. 5 An
anderer Stelle heißt es: Durch des Gesetzes
Werke wird kein Fleisch gerecht. Galater
2, 16 Der
Meister gibt Shabd aus tiefstem Erbarmen und grenzenloser Güte, wenn er es
will. Sobald
ein hilfloses Kind bei der Mutter Zuflucht sucht, eilt sie ihm voller Liebe
entgegen und drückt es zärtlich an sich. Man kann ihn nicht
durch Bemühung und auch nicht durch Dienen
erlangen. Er kann sich jedoch offenbaren, wenn man,
ohne nach etwas greifen zu wollen,
in völliger Ruhe ist. Durch
die große Gnade des Herrn hält man an den Weisungen
des Meisters fest. Dies
bedeutet nicht, daß eigenes Bemühen überflüssig wäre. Vielmehr muß man
hingebungsvoll nach den Weisungen des Meisters arbeiten. Der Erfolg hängt
jedoch einzig von seinem Willen ab, denn er allein entscheidet über die Art und
das Ausmaß seiner Gunst. Christus
hat gesagt: Liebet ihr mich, so
haltet meine Gebote. Auf
dem Pfad des Meisters ist es eine Notwendigkeit, sein Leben im Sinne des
Meisters umzuformen. Wer dem Meister
wirklich nachfolgt, ist immer in die göttliche Musik
vertieft. So, wie sich Naam entwickelt, geht man in ihm auf. Obwohl
dieser Anhad Bani (der unaufhörliche Tonstrom) oder Naam (das Wort) das Leben
ist, können wir es doch nicht selbst enthüllen oder vernehmbar machen; es wird
immer nur durch einen Meister- Heiligen oder Ustad-i-Kamil zugänglich. Der unaufhörliche
Ton ist ein innerer Schatz, den man von einem Heiligen
bekommt. Ohne einen Meister waren nicht einmal
die Siddhas und Sadhaks imstande, Naam zu erlangen. Shabd
ist die Hauptstütze der Heiligen wie aller lebenden Geschöpfe; nur daß sich die
einen dessen völlig bewußt sind, die anderen aber in ihrer Unbewußtheit nichts
darüber wissen. Während die ersteren nicht nur eine Erfahrung von der
„Sohnschaft“ haben, sondern wirklich in dieser Verbindung leben, haben die
letzteren nicht die geringsten Ahnung davon. Christus
sagt: Ich bin der Sohn
Gottes. Ich und der Vater
sind eins. Was immer von mir
kommt, ist vom Vater. Im
Gurbani haben wir ähnliche Hinweise: Hari (Gott) tut, was
seine Heiligen wünschen. Was sie wollen,
das geschieht. Niemand kann ihnen einen Wunsch
versagen. Der Vater und der Sohn sind in derselben
Farbe gefärbt. Von
Maulana Rumi wissen wir: Ein Aulia
(Gottmensch) ist fähig, selbst einen Blitz Von oben abzuwenden. Es
bedeutet nicht, daß Heilige in irgendeiner Weise die Autorität Gottes in Frage
stellen oder neben ihm ein eigenes Regiment führen. Weit davon entfernt,
handelt sie als Bevollmächtigte in seinem Auftrag: In der Welt wirkt Gott durch
sie. Von
Ichheit frei, werden sie geeignete Werkzeuge der göttlichen Kräfte. Durch ihre
enge Verbindung mit Shabd empfangen sie unmittelbare Botschaften von Gott und
geben solche an ihn weiter; und in bezug auf die Welt sind sie nichts
Geringeres als der Pol Gottes: Der Vater und der
Sohn sind eins, und sie handhaben dasselbe Gesetz. O
Paltu! Im Reich Gottes bestimmt nur ein Heiliger. Beide
sind so eng und unlösbar miteinander
verbunden, daß der Heilige das ganze Werk zu tun scheint. Maulana
Rumi drückt es so aus: Aulias und
Gottmenschen sind die Erwählten Gottes. Sie haben volles
Wissen über alles Sichtbare und Unsichtbare. Desgleichen
spricht Gott und Heilige: O Lalo! Ich spreche
nur aus, was Gott mich zu sprechen heißt, sagt
Nanak. Ein Sadh ist das Sprachrohr Gottes. Um
der leidenden Menschheit willen kommt Gott im Gewand des Menschen in die Welt,
und durch seine erlösende Gnade nimmt er stellvertretend die Verantwortung für
ihre Verfehlung auf sich: Sieh, wie Gott in
deiner menschlichen Form herabkommt. Siehe,
all deine Untaten werden auf ihn geworfen, und alle
seine Rechtschaffenheit fällt dir zu. Dryden Ein
lebender Meister ist die einzige Hoffnung für die irrende Menschheit, ein
gnädiges Licht, ihre strauchelnden Schritte zu lenken und die Sünder zu
erlösen. Mit dem grenzenlosen Naam oder Shabd, dessen unermeßliches Schatzhaus
er ist, hilft er den Jivas oder verkörperten Seelen, das Meer des Lebens heil
zu überqueren und ewiges Leben zu erlangen. Während
er im Innern fest in Shabd verankert ist, wirkt er außer als Lehrer oder Guru
und gibt den Suchern auf der physischen Ebene spirituelle Unterweisung. Von da
erhebt er sich zu den feinstofflichen und kausalen Bereichen und darüber
hinaus, so wie der Jiva auf dem spirituellen Pfad fortschreitet, und führt ihn
bei jedem Schritt. Er ruht nicht eher, bis er den Sadhak in seine Heimat zurückgebracht
hat, wo Shabd, der er wahrhaftig selbst ist, seinen Ursprung nimmt, Wer
den Sat Purush (oder die erste Ursache) erkannte hat, ist ein Satguru (Meister
der Wahrheit). Er steht über dem Machtbereich der Auflösung (Kal oder Zeit) und
der großen Auflösung (Maha Kal oder größere Zeit) und ist kompetent, die
Höherstrebenden zu dieser Stufe zu bringen. Nur ein Meister von solcher Größe
kann die Jivas erlösen, niemand sonst. Wer eins ist mit der
Wahrheit, ist der Meister der Wahrheit. Er kann die Seelen
befreien, und Nanak singt zu
seinem Ruhm. Besser und viel
bescheidener ist zu sagen, daß Gott der
Menschheit immer einen Weg zeigt. |