27. Kapitel

Die Besorgtheit des Meisters

 

Die Beziehung zwischen Meister und Schüler ist ihrer Natur nach einzigartig, und wir finden auf Erden nichts, was ihr entspricht. Dennoch haben die Heiligen versucht, uns etwas davon verständlich zu machen. Während alle weltlichen Bekanntschaften und Verbindungen mehr oder weniger von Selbstsucht befleckt sind, ist die Beziehung zwischen dem Meister und dem Schüler von rein selbstloser Liebe.

Nur zum Vergleich wollen wir die Liebe einer Mutter für ihr Kind betrachten. Bei der Geburt ist das Kind nur eine hilflose Masse aus zartem Fleisch und Knochen. es vermag sich und seine Bedürfnisse nicht zum Ausdruck zu bringen, noch kann es sich selbst helfen; aber die Mutter sorgt liebevoll für das winzige Menschenkind. Sie gibt ihm alles, was es braucht und sieht danach, daß es zufrieden ist. Vom Glück des Kindes hängt auch das ihre ab, und wenn es traurig ist, bereitet dies auch ihr Kummer. Tag und Nacht arbeitet sie unermüdlich für das wohl des Kindes, und kein Opfer ist ihr zu groß. Sie gönnt sich selbst nichts, damit alles, was sie geben kann, dem Kind zugute kommt. sie ist selbst bereit, ihr Leben um seinetwillen hinzugeben.

Wenn das Kind heranwächst, nimmt es die Liebe der Mutter auf. Die wohlwollenden, liebenden Strahlen gehen von Auge zu Auge. In stummer Sprache lernt es die ersten Lektionen der Liebe. Allmählich wird ihm das Sprechen beigebracht, zuerst nur einzelne Silben und Wörter. Bei jedem Erfolg ihrer Bemühungen kennt die Freude der Mutter keine Grenzen, bis das Kind schließlich groß genug ist, für sich selbst zu sorgen.

Auf genau die gleiche weise wird ein Mensch, wenn er vom Meister angenommen wurde, ins Haus des Meisters sozusagen zum zweiten Mal geboren. Er kommt zu ihm voll der weltlichen Bindungen und in den dunkelsten Farben des Gemüts und der Materie eingefärbt. Er ist so sehr mit dem Körper und den körperlichen Beziehungen identifiziert, daß er sich gar nicht vorstellen kann, etwas davon Getrenntes zu sein.

Mit all seiner weltlichen Klugheit, seinen Reichtum, Rang und namen, ist er in spirituellen Dingen völlig unbewandert. Da er sein ganzes Leben auf der Sinnesebene zugebracht hat, kennt er nichts als die Sinnesfreuden, die für ihn das ein und alles sind.

Bei seiner Geburt in des Meisters Haus nimmt der Meister eine ungeheure Bürde der Verantwortung auf sich. Durch individuelle Anleitung und Betreuung bringt er den Jiva allmählich von den Sinnesfreuden ab. Er erklärte dem Schüler, daß er weder Körper noch Gemüt oder Verstand ist, sondern etwas weit Erhabenes, nämlich Seele oder Geist, und daß er von der Natur mit verschiedenen Fähigkeiten ausgestattet wurde, um einen hohen Lebenszweck zu erfüllen. Der Meister befähigt ihn, durch spirituelle Schulung sein Gemüt von mentalen Schwankungen zu befreien. Auf diese weise erlangt er einen Zustand der Ausgeglichenheit und beurteilt fortan das Leben von einer anderen warte aus. Seine ganze Betrachtungsweise hat sich geändert, und ein Bewußtsein des Geistes dämmert in ihm auf.

Er ist nicht länger Sklave seiner Sinne, der sinnlichen Bestrebungen nachjagt, sondern findet eine innere Sättigung, Frieden und Heiterkeit, so daß er wirklich immer am Sitz des Selbst vertieft ist. All dies und noch viel mehr ist das Werk des Meisters. Den Jiva von den Unreinheiten der Welt zu säubern ist keine geringe Aufgabe, aber es ist unerläßlich für ein spirituelles Leben.

Der Schüler muß über Sinne, Gemüt und Verstand hinausgelangen, und das kann nur ein Meister bewirken.

Es ist ein gewaltiges unterfangen, den mächtigen Ansturm der Sinnesströme, die sich in die Welt ergießen, zu hemmen und an einem Zentrum festzuhalten. Noch bedeutsamer aber als diese ist die nächste Arbeit des Meisters.

nach dem einleitenden Reinigungsprozeß entfernt er die schuppen vom inneren Auge und gibt ihm die Sehkraft und das Licht. Ebenso bricht er das Siegel des inneren Ohrs, so daß der Jiva die innere Musik der Seele hört. Durch seine persönliche Aufmerksamkeit und Fürsorge macht er aus etwas, das wert- und nutzlos ist, einen Adepten, der die ungesprochene Sprache und das ungeschriebene Gesetz Gottes versteht, sich daran erfreut und auch imstande ist, ohne die Hilfe äußerer Organe und Fähigkeiten tätig zu sein.

Mit seinem eigenen Lebensimpuls nimmt sich der Meister des Schülers an.

 

                            Wahrlich gesegnet ist der Meister, der uns mit seinen

                            Instruktionen durch und durch reinigt.

 

                            Der Satguru schneidet alle fesseln der Schüler entzwei.

 

Wie Wordsworth seine Schwester, so rühmt ein Schüler seinen Meister:

 

                            Sie gab mir Augen, sie gab mir Ohren;

                            bescheidene Fürsorge, zarte Ehrfurcht.

                            Ein Herz, die Quelle sanfter Träume,

                            und Liebe und Verstand und Freude.

 

Der Meister errettet seine Schüler aus jeder noch so gefährlichen Situation. Seine helfende Hand bietet Schutz und Schirm, und das Leben des Schülers ist gewissermaßen gegen alles gefeit. Der Meister tut dies nur, weil er die Verantwortung für den Jiva übernommen hat. Der Schüler ist dafür zu nichts verpflichtet, ja es ist nicht einmal gesagt, daß er davon weiß.

Auch bürdet sich der Meister die Last für die Sünden und Vergehen des Schülers auf.

 

                            ... alle deine Untaten werden auf ihn geworfen,

                            und all seine Rechtschaffenheit fällt dir zu.

                                                                  Dryden

 

Er nimmt den gesamten Abwicklungsprozeß für die karmischen Eindrücke des Jiva selbst in die Hand. Indem er seinen Sinnesstrom umkehrt und aufwärts lenkt, befreit er ihn von der Sinnesebene und macht es ihm unmöglich, neue karmische Saaten für künftige Ernten zu säen. Alle Sünden, die er aus der Schwachheit des Fleisches trotzdem noch begeht, handhabt der Meister behutsam, doch entschlossen hier auf Erden, damit keine Lastschrift zur weiteren Verrechnung übrigbleibt. Auf diese Weise wird das Konto des Kriyaman- Karmas (der gegenwärtigen Handlungen) bereinigt und ausgeglichen.

Als nächstes ist das Pralabdh- Karma, das Schicksal oder Bestimmung genannt wird, an der Reihe, aufgrund dessen wir in die Welt kommen. Es wird vom Meister nicht berührt, doch ungeachtet des bestrickenden Zauberwerks bahnt sich der Schüler seinen Weg hindurch.

 

                            Die Barmherzigkeit des Herrn macht allen

                            Versuchungen und Drangsalen ein Ende.

 

                            Der Satguru selbst bewahrt den Jiva vor allem Leid.

 

Nicht zuletzt gibt der Meister dem Jiva das Brot des Lebens und stillt seinen Durst mit dem Wasser des Lebens (Naam), bis er spirituell herangewachsen ist und ein gewisses Maß an Selbstvertrauen gewonnen hat. Die Berührung mit dem Funken von Naam (dem wirkenden Gott oder der kontrollierenden Gotteskraft) verbrennt den Vorrat des im lauf der Zeiten gespeicherten, aber noch nicht zur Frucht gelangten Karmas (Sanchit oder Vorratslager) und hindert es so daran, sich in der Zukunft zu entfalten.

 

                            Der Satguru erhält seinen Schüler (Sikh) mit dem

                            Manna und Elixier.

                            So voller Güte ist der Meister zu seinem Schüler.

 

                            Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den

                            wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird

                            nimmermehr dürsten.

                                                                           Joh. 6, 35

 

Die beschützende Fürsorge des Meisters ist weit größer als die einer Mutter für ihr Kind. Mit liebenden Augen achtet er immer auf seinen Schüler und bewahrt ihn vor allem, was schädlich ist, denn seine Liebe kennt keine Grenzen.

 

                            Wie eine Mutter für ihr Kind sorgt, immer nach ihm

                            sieht und ihm Nahrung für sein allseitiges Wachstum

                            gibt, so sorgt der Meister für sein geliebtes Kind mit

                            göttlichen Liebe.

 

                            Wie die Mutter ihr Kind liebt und der Fisch das Wasser,

                            so liebt der meister die Seinen.

 

Die Entfernung spielt keine Rolle und hat für den Meister keine Bedeutung. Sein langer und starker Arm reicht überallhin, und sein scharfer Blick durchdringt den ganzen Raum.

 

                            Seine Hand ist die Gottes, und die

                            Kraft Gottes wirkt durch ihn.

                                                                           Maulana Rumi

 

Wo der Schüler sich auch immer befindet und wie ungewöhnlich die äußeren Umstände sein mögen, der Meister ist immer bei ihm und lenkt jeden seiner Schritte, denn dies ist seine ewige Verheißung:

 

                            Jedermann, ich will mit dir gehen und dein Führer

                            sein, in der größten Not will ich dir zur Seite stehen.

 

Die Lerche ist ein Himmelspilger, und doch brütet sie ihre Eier aus, indem sie ihnen ihre ganze Aufmerksamkeit schenkt. Ähnlich behält der Meister seinen Schüler ständig im Auge, nährt ihn mit dem Wasser des Lebens – der in die Seele des Schülers gelegten Saat von Naam -, bis der Geist das dreischalige Ei (die physische, die astrale und die kausale Umhüllung) durchbricht und in seinem eigenen Glanz erstrahlt.

 

                            O Nanak, der Meister hütet den Schüler mit seinem

                            eigenen Lebensimpuls!

                           

                            Er hält ihn sicher in seinen Händen und gibt immer auf

                            ihn acht.

 

Allein die Liebe ist die einende Kraft, die den Meister und seinen Schüler verbindet. In seiner grenzenlosen Barmherzigkeit bringt er der leidenden Menschheit die Botschaft Gottes und bittet um ihre Errettung aus dem unsichtbaren Feuer, das alle verzehrt. Maulana Rumi sagt:

 

                            Er ruft die Menschen in das reich Gottes.

                            Er bittet Gott um Vergebung und Erlösung für sie.

 

Der Satguru ist der wirkliche Freund des Schülers. Er befreit ihn aus kritischen und ausweglosen Situationen. Er steht ihm bei, wenn er alle Hoffnung auf Hilfe aufgegeben hat und umringt wird von scheinbar mächtigen Kräften, die sich gegen ihn verschworen haben.

Von Zeit zu Zeit spürt der Schüler den gewaltigen, zu seinem Besten wirkenden Einfluß des Meisters. Manchmal geht er dabei Wege, die dem Schüler schwer verständlich sind. Wie eine Mutter in den frühen Morgenstunden darauf wartet, daß ihr schlafendes Kind erwacht, so wartet der Meister – noch mehr als sie – auf die Zeit, wo der Schüler, der in tiefer, aus Materie und Gemüt geborener Unwissenheit steckt, den Kopf hebt, ihn ansieht und sein Herz erfreut.

Die liebevolle Fürsorge des Meisters wird noch offenkundiger zu der Zeit, da der Schüler schließlich seinen Abschied von der Welt nimmt. Wenn alle Verwandten und Freunde hilflos am Krankenbett stehen und die Ärzte den Fall für hoffnungslos erklären, erscheint die strahlende Form des Meisters, um den scheidenden Geist in seine Obhut zu nehmen und in die neue Welt, zum Richterstuhl Gottes, zu führen.

danach bringt er ihn in eine Region, die er für die weitere Schulung und das Vorwärtskommen auf dem Pfad am geeignetsten hält.

 

                            Diene dem wahren Satguru, und mache dir den

                            Reichtum der Wahrheit zum sicheren Besitz. Im letzten

                            Augenblick wird er zu deiner Rettung kommen.

                            Er allein ist der Freund, der mich auf meiner letzten

                            Reise begleitet und mir vor dem Richterstuhl Gottes                

                            zur Seite steht.

 

                            Mein Meister ist alles in allem in die Quellen allen

                            Trostes.

 

                            Er verbindet mich mit dem transzendenten Brahma

                            und kommt mir am Ende zu Hilfe.

 

Maulana Rumi sagt:

 

                            O unwissender Tor! Nimm dir eilig einen Führer, denn

                            dann wirst du sicher vor den schrecken des Jenseits

                            sein.

 

Alle unsere weltliche Verbindungen und Beziehungen sind vergänglicher Natur. Die einen verlassen uns in Armut, andere in Not und wieder andere, wenn wir krank sind. Ein paar mögen das ganze Leben bei uns bleiben, doch auch sie verlassen uns in der Stunde des Todes. Der Satguru aber ist der wahre Freund, der den Schüler nie aus den Augen läßt und ihn stets schützend umfängt, wo immer er sei. er ist auch angesichts des Todes bei ihm und leitet seinen Geist als Führer zu den anderen Welten.

 

                            O Nanak, löse alle weltlichen Bande und suche die

                            Hilfsbereitschaft eines Heiligen;

                            die Bindungen der Welt enden schon bei Lebzeiten,

                            während er dich bis zum Tode und noch darüber hinaus

                            niemals verläßt.

 

Wenn die Seele durch einen Satguru zur Wirklichkeit erwacht ist, kann sie den Todesboten nicht zur Beute fallen, sondern muß mit der strahlenden Form des Meisters gehen, von der sie empfangen wird, wenn sie ihr physische Gewand ablegt.

Kabir Sahib sagt uns, daß Gold nicht rostet und stahl nicht von Würmern zerfressen wird. So kommt ein Schüler des Meisters, wie gut oder wie schlecht er auch sei, nie in die Hölle.

 

                            Gold zieht keinen Rost an noch Stahl die Würmer.

                            Der Schüler des Meisters wird nie zur Hölle gehen.

 

Der Meister ist wirklich der Meister, in dieser wie in der anderen Welt, und hilft dem Jiva hier wie dort. Es gibt keinen größeren Freund.

 

                            Ich habe bei meinem Hari Zuflucht genommen.

                            Mein Erhalter ist immer bei mir.

                            es ist ein Schutzengel in beiden Welten,

                            denn allmächtig und immer barmherzig ist der Satguru.

                            Ich habe den Satguru bei mir, der mir hilft in aller Not.

 

                            Gesegnet ist der Satguru, der mit Gott offenbart.

 

                            Es gibt keinen größeren Freund als den Satguru.

                            Er ist der Beschützer, hier und überall.

 

Wenn der Jiva einem Satguru begegnet, kann er seinem Gott danken, denn der Guru gewährleistet ihm ewiges Leben. Voller Barmherzigkeit hilft er ihm bereitwillig aus schwierigen Situationen, ohne im geringsten an eine Gegenleistung zu denken. Maulana Rumi sagt von ihm:

 

                            Gütigen Herzens und selbstlos ist der Freund.

                            Er hilft in Zeiten äußerster Not und Bedrängnis.

 

Der Guru hat die Pflicht, den Hilflosen beizustehen. Aus reinem Erbarmen schenkt er der ganzen Menschheit seine errettende Gnade. die Gemeinschaft mit ihm ist von größtem Nutzen. Mit dem Guru zur Seite kann man Millionen von feinden entgegentreten.

 

                            Wenn der Guru dein Schutz und Schirm ist,

                            können dir selbst Millionen Hände nichts anhaben.

 

Fürwahr gesegnet sind die Jivas, die in den Bannkreis des Satgurus gelangten, denn sie brauchen weder hier noch im Jenseits etwas zu befürchten.

 

                            Die Welt beugt sich vor ihm in Verehrung.

                            In den hohen Regionen des Geistes wird

                            sein Kommen sehnsüchtig erwartet.

 

                            Denn vollendet ist, wer mit dem Vollendeten in

                            Verbindung steht.

 

Wie sehr, sehr begünstigt sind die Schüler, die unter dem Schutz seiner heiligen Fichte stehen; zu ihren Lebzeiten und im Jenseits kommen sie auf der hehren Straße der Spiritualität rasch voran.

 

 

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