5.
Kapitel Der
gegenwärtige Meister Der
Meister der jeweiligen Zeit ist ein lebender Meister, der seinen Anhängern
spirituelle Unterweisungen gibt. Aber alle Meister früherer Zeiten sind Meister
einer vergangenen Epoche oder ehemalige Meister. Jeder von ihnen hatte seine
Aufgabe zu erfüllen. Die Berichte der einstigen alten Meister und ihre Lehren
leisten eine Art Vorarbeit, indem sie Neuland erschließen und in uns ein
Interesse für die esoterischen Fragen des Geistes wecken. Jeder von ihnen hebt
mit Nachdruck die Notwendigkeit des lebenden Meisters hervor und berichtet von
seinen eigenen spirituellen Erfahrungen. Ihre Ermahnungen geben uns einen
Anstoß, mit der Suche zu beginnen. Der uns eingeborene Drang wird belebt und
treibt uns an, nach jemanden zu forschen, der uns zu Gott führen kann. Wirkliche
spirituelle Führung und Unterweisung zu geben ist jedoch das Werk eines
lebenden Meisters. Voll des höheren Bewußtseins flößt er den Jivas seinen
Lebensimpuls ein. Spiritualität kann weder gekauft noch gelehrt werden, aber
man kann sie wie eine Infektion von jemandem auffangen, der selbst in hohem
Maße davon durchdrungen ist. Wie Licht von Licht, so kommt Leben von Leben, und
eine vom Körper beherrschte Seele kann nur von einem durch Körper und Gemüt
unbehinderten Geist bewegt werden. Dies ist der einzige Weg für die spirituelle
Schulung; einen anderen gibt es nicht. Ohne
einen lebenden Meister kann die Seele der Knechtschaft nicht entrinnen. Maulana
Rumi erklärt daher nachdrücklich: Traue nicht deinem
Wissen, deiner Schlauheit und deinem Geschick;
trenne dich nicht vom Rettungsanker des
lebenden Propheten. Auch
der Prophet Mohammed sagt: Wer sich nicht
aufrichtig dem Imam der Zeit (dem lebenden Meister)
genährt hat, dem Statthallter Allahs, dem
vollendeten Führer, kann nichts zuwege bringen. Ferner
sagte der große Maulana: Eile zu deinem Gott
durch den Gottmenschen. Laß dich nicht nutzlos
auf den trügerischen Fluten der Ichsucht treiben. Ohne
einen lebenden Meister kann man nicht die gottergebene Geisteshaltung
entwickeln, die auf dem spirituellen Pfad so sehr nötig ist. Wir können uns von
einem Menschen oder einer Sache nicht angezogen fühlen, die wir nie sahen und
von denen wir keine Vorstellung haben. schon das Wort „Anziehung“ deutet darauf
hin, daß ein Gegenstand der Anziehung da ist. Manche
Leute glauben, diese im Gurbani so nachdrücklich hervorgehobene Notwendigkeit,
zu einem lebenden Meister zu gehen, beziehe sich nur auf die Zeit der zehn
Gurus. Das ist aber nicht der Fall. Die Lehren der Meister waren an die
Menschheit allgemein gerichtet und galten für alle Zeiten. Ihr Aufruf war
universal und nicht auf eine bestimmte Glaubensgemeinschaft oder Zeit
beschränkt: Die Lehren der
Meister sind das Gemeingut aller. Ferner
heißt es: Bani (das Wort oder
Tonprinzip) ist der Guru, und der Guru ist Bani
personifiziert; das Elixier des Lebens ergießt sich aus
Bani*. Wer das annimmt, was der Gurbani sagt, kann
durch die Gunst des lebenden Meisters befreit werden. *
Es besteht ein großer Unterschied zwischen Gurbani und Bani. Während sich das
erstere auf die Aussprüche der Gurus bezieht, wie sie in den heiligen Schriften
(besonders im Granth Sahib) überliefert sind, bezeichnet das letztere den
ewigen Tonstrom, der manchmal Gur-ki-Bani genannt wird und in der ganzen
Schöpfung erklingt. Er geht von Gott selbst aus, und Gott allein kann ihn
offenbaren. Ferner ertönt dieser Bani (Naam oder das Wort) durch alle vier
Yugas (Zeitalter) und kündet seine Botschaft der Wahrheit. Bhai
Gurdas sagt in diesem Zusammenhang: Die Veden und
anderen heiligen Schriften sind das Gut der Meister und eine
Hilfe, das Meer des Lebens zu überqueren; doch
ohne daß der Meister der Wahrheit herabkommt und unter
uns lebt, können wir die Wirklichkeit nicht
erfassen. Die
esoterischen Mysterien können in den Schriften nicht vollständig erklärt
werden, weil der innere Prozeß seine eigenen Schwierigkeiten und Behinderungen
hat. In seiner feinstofflichen Form hilft der Meister dem Geist auf seiner
Reise von Ebene zu Ebene in vieler Hinsicht. Dieses Werk der inneren und
äußeren Führung kann nicht durch frühere Meister getan werden. Der
namen- und formlose Shabd erhält eine Form, nimmt einen Namen an und wohnt
unter uns. Im Evangelium lesen wir: Das Wort ward
Fleisch und wohnt unter uns. Wenn
Gott nicht in der Gestalt des Menschen herabkommt, können wir den Unerkennbaren
nicht erkennen. Die Lehrer der heiligen Schriften bleiben unter dem Ballast
uralter Sprachen und altertümlicher Ausdrucksweisen versiegelt, bis eine
Meisterseele mit wirklicher Erfahrung von der Wissenschaft des Geistes die
Wahrheit dieser Schriften erklärt. Selbst
die offensichtlich einfachen Lehren der früheren Meister können wir nicht in
ihrer Bedeutung verstehen, wenn uns
nicht ein lebender Adept dieser Lehre ihren wahren Sinn erschließt und uns die
gleichen Erfahrungen zuteil werden läßt, über die in den Schriften berichtet
wird. Indem
er seinen eigenen Lebensimpuls überträgt, belebt er die Seele, die unter der
erdrückenden Last von Gemüt und Materie im Körper verkümmert. Wie ein kluger
Führer lenkt er sie auf seine unnachahmliche Weise in eine neue Richtung. Als
nächstes enthüllt er der Seele neue Reiche von wunderbaren Anblick, stellt ihr
ein Flugzeug (Shabd) bereit und bringt sie selbst zu Gott. Tag für Tag wird sie
an gefährlichen Stellen vorbeigeführt, kommt an neue Orte und erfährt ein
unbekanntes Erhobensein und eine Freude, die zu subtil ist, als daß man sie
beschreiben könnte. Das
alles und noch weit mehr gehört zu der Aufgabe, die ein lebender Meister zu
erfüllen hat. Der
Geschichte des Sikhismus entnehmen wir, daß der Granth Sahib zum ersten Mal von
dem fünften Guru, Guru Arjan, zusammengestellt wurde. Trotz des wohlbekannten
und oft zitierte Ausspruchs, daß Bani der Guru ist, demzufolge keine weiteren
Gurus mehr notwendig seien, führten die Gurus die Mission, Menschen zu
initiieren, fort; und auch heute ist der Khalsa (der Reine) mit dem
vollendeten, strahlenden Licht im Innern ermächtigt, das Werk spiritueller
Unterweisung und Führung der Wahrheitssucher fortzusetzen. Guru
Gorbind Singh sagt: „Wir sind die Verehrer des großen bewußten Lichts“, und er
erklärt das Wort Khalsa so: „Der reine Khalsa ist einer, in dem das Licht
Gottes völlig offenbart ist.“ Er sagt weiter: Der Khalsa ist meine
wahre Form; ich wohne im Khalsa, er ist das
Leben meines Lebens und fürwahr meine Lebensenergie
(Prana). der Khalsa ist mein
tapferer Freund, er ist mein Satguru Pura (völlig
kompetenter Meister). Ich habe keine Unwahrheit
gesprochen. Ich sage dies in Gegenwart von Par
Brahm und Guru Nanak. |