Kirpal Singh

Gespräche von Herz zu Herz

11. Dezember 1970

Morgen-Darshan/Rajpur

Meister: Werft keine Perlen vor die Säue. Wer sich wirklich danach sehnt, es mögen zwei, zweihundert oder dreihundert sein, dem wird die Theorie offen erklärt. Was ihr im Verborgenen erfahren habt, das predigt von den Dächern. Doch eine Erfahrung sollten nur die erhalten, die wirklich danach verlangen. Nicht jeder will sie. Manche kommen nur aus Neugierde. Zum Sonntagssatsang kommen zwei-, drei-, vier- oder fünftausend Menschen hierher; und bei den drei besonderen Feierlichkeiten sind es fünfundzwanzig-, dreißig- oder sogar vierzigtausend. Ich setze alle eine Stunde in Meditation, ob sie neu sind oder bereits erfahren, ohne Ausnahme. Bei diesen Anlässen kann ich nicht jeden einzeln nach seinen Erfahrungen fragen und ihn beraten. Ich kann nur einigen einen Rat geben und ihnen sagen, was falsch ist und was sie tun sollen. Aber sie haben eine Erfahrung, selbst die Neuen haben eine Erfahrung.

Frage: Meister, darf man in einem Bus meditieren?

Antwort: Dieselbe Frage ist schon früher gestellt worden. Hast du davon gehört? Wenn du in der Welt jemanden liebst, wie könntest du diese Liebe entwickeln, ohne sie anderen zu zeigen? Deine Liebe zu Gott ist etwas anderes. Warum sie zeigen? Christus sagte, gehe in das Kämmerlein deines Körpers. Für eine Weile ist es dir möglich, nach innen zu gehen; dann beeinflussen dich äußere Dinge nicht. Wie ich gestern schon sagte, sind Zurückgezogenheit und Einsamkeit notwendig. Laßt die wildwachsende Blume im Verborgenen gedeihen; laßt es niemanden wissen. Wenn sie in voller Blüte steht, laßt sie alle sehen. Wenn der Baum mit Früchten beladen ist, laßt jeden davon essen. Doch anfangs, bevor er ausgewachsen ist, trägt er keine Frucht. Ihr solltet euren spirituellen Übungen nachgehen, ohne es jemandem zu sagen. Es heißt, drei Dinge sollten im Verborgenen geschehen. Erstens: Simran und Bhajan. Zweitens: Essen - es ist das beste, allein zu essen, außer mit Gleichgesinnten, das ist etwas anderes. Doch dankt Gott für die Nahrung. Und drittens: Weltliche Vereinigung. Diese drei tut im Verborgenen.

Frage: Die drei Dinge sind Simran und Bhajan, Nahrungsaufnahme und ...?

Antwort: Die eheliche Vereinigung, soweit notwendig. Ein eheliches Leben ist kein Hindernis für die Spiritualität, wenn es entsprechend den Schriften geführt wird. Sogar die Heiligen hatten Kinder. Wenn sie ihre Aufgabe übernahmen, gaben sie diese Dinge auf. Es gibt einiges, was nicht heimlich geschehen sollte. Achtet dabei auf zwei Dinge, nämlich wenn ihr etwas ganz für euch alleine tun wollt, und wenn ihr denkt, es stimmt etwas nicht. Abgesehen von den drei oben genannten Fällen sollte nichts im Verborgenen geschehen. Das sind Tips. Wenn ihr auf der Hut seid, werdet ihr euch viel Kummer ersparen.

Unsere Kinder ahmen uns nach, sie beobachten genau, was wir tun. Wenn ihr wollt, daß eure Kinder keusch sind, müßt ihr das Zölibat einhalten. Glaubt ihr nicht, daß die Kinder euch beobachten? Sie ahmen eure Lebensweise nach. Ihr mögt sagen “nein, nein, nein,” aber sie sehen, was ihr tut. Wer seine Kinder keusch haben will, muß selbst Vorbild sein. Das hat mit Spiritualität nichts zu tun, doch es bewahrt euch vor vielen Fehlern. Wir sind für die kommende Generation verantwortlich. Wenn wir wollen, daß die kommende Generation den Ansprüchen gewachsen ist, müssen wir ein Beispiel geben. Wer sich selbst reformiert, dem folgen die anderen nach. Was bekommt ihr dafür? - Göttlichkeit. Das ist die Belohnung oder der Ausgleich, den ihr erhalten werdet.

Frage: Meister, wenn ich laute Musik höre, ist der Tonstrom danach manchmal sehr laut. Gibt es dafür einen Grund? Es war der Fall, nachdem ich Schallplatten gehört habe.

Antwort: Vermeide das, so gut es geht. Äußere Musik ist nur dazu da, Menschen zusammenzuführen, weiter nichts. Äußere Musik bringt euch an die Grenzen der Materie, aber nicht darüber hinaus. Ihr seid vielleicht eine Zeitlang konzentriert, aber kommt nicht weiter nach oben. Die innere Musik beginnt, wenn ihr euch über die Materie erhebt. Zwischen beiden ist ein großer Unterschied. Gib dich nicht der äußeren Musik hin. Mach das Beste daraus. Menschen, die von äußerer Musik gefesselt sind, sollten ein sehr keusches Leben führen. Die Materie zieht euch nach außen. Das Gemüt ist materiell. Worin besteht der Unterschied zwischen Ost und West? Der Osten nimmt an, daß das Gemüt stofflich ist und sein Leben von der Seele erhält. Der Westen hält das Gemüt für bewußt. Das ist der Unterschied. Das Gemüt zieht euch immer auf die materielle Seite. So wie ein Klumpen Erde, den ihr in die Luft werft, wie hoch es auch sein mag, immer auf die Erde zurückfällt, weil Mutter Erde ihn anzieht. Wenn ihr eine Kerze anzündet, geht die Flamme nach oben, ihre Quelle ist die Sonne oben. Selbst wenn ihr sie nach unten kehrt, zeigt die Flamme weiterhin nach oben. Die Seele ist von Gott. Schirmt man sie von außen ab, geht sie nach oben - das ist ihre natürliche Neigung. In der äußeren Welt führen euch materielle Dinge zum Materiellen. Die Kraft ist vorhanden, sie ermöglicht euch einiges an Konzentration, läßt euch aber über die Materie nicht hinausgehen. Das ist ein sehr subtiler Punkt. Die Menschen achten sehr selten darauf. Daher haben Heilige Musik wohl benutzt, aber nur, um die Menschen zusammenzuführen. Heute ist die innere Musik in allen Religionen vergessen, und man überläßt sich der äußeren Musik, ekstatisch und gefühlvoll. Das führt nicht über das Körperbewußtsein hinaus. Eine Weile beruhigt euch vielleicht die Verzückung, aber sie läßt euch nicht darüber hinaus gelangen. Wenn er sich irgendwo niederließ, sagte Guru Nanak stets: “Gut, da sind wir, Musik! Musiker, spielt auf!” Wenn dann die Menschen kamen, begann er zu predigen. Das ist nur eine gute Möglichkeit, Menschen zusammenzubringen. Wäre hier Musik, würden alle kommen, zum Nachteil derer, die sich wirklich nach der wahren Musik sehnen. Sie spielen Musik in Kirchen und Tempeln, aber es wird ihr eine falsche Bedeutung beigemessen, sie kennen die wahre Bedeutung nicht. Äußere Musik führt zu äußeren Dingen, das ist alles. Ihr könnt sie nutzen, wie ich es erklärt habe, um Menschen zu versammeln. Im allgemeinen werden wir jedoch von ihr davongetragen. Wir müssen sehr vorsichtig sein. Hafiz sagt: ”Wenn ich meditiere, erklingt meine Musik ohne Bezahlung. Wenn ich meditiere, kommt mein Musikant und spielt ohne jede Bezahlung.” Weiter sagt er: ”Ein Dieb kommt in der Dunkelheit, mit einer Lampe in der Hand.” Das sind Anspielungen auf die Meditation. Jeden Augenblick ist Führung notwendig. Das Gemüt ist immer bereit, Übles zu tun.
Eine Stunde bei einem Heiligen bringt euch mehr als alle Bücher und jahrelanges Studium. Er gibt sehr direkt. Bücher können das im einzelnen nicht vermitteln. Wenn er alles niederschriebe, welch lange Geschichte würde das werden! Das sind praktische Dinge.

Frage: Ich dachte über Menschen nach, die an Orten leben, an denen es unmöglich ist, sich vegetarisch zu ernähren, wie z.B. bei den Eskimos. Ich wundere mich nur über ihr Karma, weil sie im Winter keine vegetarische Nahrung finden können.

Antwort: Was fressen Tiere im Winter? Fressen sie Mandeln? Überlaß es den Eskimos, was sie essen, auch wenn sie nichts anderes haben. Wenn du in dieses Land gehst, kannst du dich darum kümmern, wie du dieses Problem für dich löst. Ich glaube nicht, daß du, wie sagt man, ein Fürsprecher für die ganze Welt bist. Kümmere dich um dich selbst. Überlaß es den Eskimos, was sie essen oder tun. Überlaß es den anderen, was sie tun. Bring dein eigenes Haus in Ordnung. Wenn du dich selbst reformierst, Wird die ganze Welt reformiert. Wir arbeiten wie unbezahlte Lehrlinge der Kriminalpolizei Gottes. Oder nicht? Kümmert euch um eure eigenen Angelegenheiten. Ihr werdet euch entwickeln. Alles wird sich ergeben. Beispiel ist besser als Vorschrift. Wir wissen so vieles, nur tun wir es nicht. Wir fragen nur ”warum”, ”warum.” Warum wächst ein Baum und trägt keine Früchte? Ihr könnt nicht wissen, warum er wächst. Der Mensch kann nicht alles wissen. Gott trifft die Vorkehrungen. Wo ihr im Leben auch hingestellt seid, ihr müßt es bestmöglichst nutzen und euch über das Körperbewußtsein erheben. Das ist das letzte Ziel. Der wichtigste Grundsatz ist, niemanden zu verletzen. Das entwickelt sich mit der Liebe. Wo Liebe ist, ist auch der Wille, niemanden zu verletzen. Wer liebt, will dienen und opfern und nicht andere um seinetwillen opfern.

Im Jahre 1957 wurde die erste Konferenz der Weltgemeinschaft der Religionen abc-gehalten. Ich war ihr Präsident. Ein Repräsentant kam aus Pakistan, und es tauchte die Frage der Gewaltlosigkeit und des Opfers auf. Mohammedaner bringen Opfer dar, sie opfern Ziegen und Schafe und ähnliches. Als der Grundsatz der Gewaltlosigkeit verabschiedet werden sollte, stand ein Mohammedaner auf: ”Wir stimmen nicht zu. Wir bringen Opfer dar.” Die Repräsentanten aller Länder, mehr als einhundert Menschen aus Ost und West, kamen dadurch in Schwierigkeiten. Als sie zu keiner Einigung kommen konnten, sagte ich: ”Seht, wenn ihr euch selbst für andere opfert ist das gut. Aber opfert nicht andere für eure eigenen Interessen. Opfern ist gut, doch der Unterschied liegt darin, wie ihr es tut. Wenn ihr andere für eure persönlichen Interessen opfert, ist das selbstzerstörerisch. Fügt anderen keinen Schaden zu um eures persönlichen Vorteils willen - ihr mögt euch selbst zum Nutzen anderer opfern.”

An einer Konferenz in Kalkutta nahmen buddhistische Delegierte teil. Es gibt zwei Arten von Buddhisten - die einen glauben an Gott, die anderen nicht. Die Resolution, die verabschiedet werden sollte, schloß das Wort ”Gott” mit ein und die Buddhisten sagten: ”Nein, wir stimmen dem Wort Gott nicht zu.” Wieder entstand ein großer Tumult. Ich sagte: ”Glaubt ihr an die Worte Buddhas?” Ich wandte mich an ihr Oberhaupt. Er sagte: ”Können Sie erläutern, was Buddha sagte?” Ich zitierte aus den Reden Buddhas. Er sagt: ”Du mußt in dein Überselbst aufsteigen. Unser Selbst findet Zuflucht im Überselbst. Welche andere Zuflucht könnte es geben? Aber es ist schwierig, das zu erreichen. Dieses Überselbst ist Gott.” Damit wurde die Resolution verabschiedet. So etwas geschieht. Es sind heikle Punkte. Sie kennen die eigenen Lehren nicht.

Wir käuen die Schriften nur wieder und gehen nicht in die Tiefe ihrer Bedeutung. Man sagt, Buddha glaubte nicht an Gott, doch in Wirklichkeit glaubte er an Gott. In dem Buch Naam oder das Wort zitiere ich fünfundzwanzig Seiten lang aus der buddhistischen Literatur. Am Ende seines Lebens rief Buddha seine Schüler alle zusammen, Ananda und die anderen, und fragte sie, wie sie das Goldene Samadhi erreichten. Al-le sprachen von Licht. Zum Schluß sagte Buddha: ”Inneres Hören ist der einzige Weg zurück zum Goldenen Samadhi.” Leider wissen wir nicht, was in unseren eigenen Schriften steht, wir kennen sie nur oberflächlich. Wir müssen zu ihrem Kern vordringen. Dort ist die Wahrheit. Warum folgen die Menschen den Religionen zu Tausenden? Sie haben eine gewisse Anziehungskraft, sie verkörpern einen Teil der Wirklichkeit. Wie weit ihre Anhänger allerdings kommen, ist eine andere Frage. Aber sie sind auf dem Weg. Die grundlegenden Lehren sind dieselben. Wenn es so aussieht, als bestünden Unterschiede, dann deshalb, weil man nicht in die Tiefe geht, nicht bis zum Grund vordringt.

So ist es also gut, sich für andere zu opfern. Nehmt an, einige Menschen kämen hierher, um euch anzugreifen. Ich würde mich selbst opfern, um euch zu retten. Wäre das nicht richtig? Schleicht man sich weg, würden alle getötet. Das ist das Gesetz des Opferns. Es ist zum Schutz der anderen, versteht ihr. Wir müssen doch den Körper eines Tages verlassen, nicht wahr? Warum nicht im Dienst für andere?

Das Hauptziel ist Gewaltlosigkeit. Wenn ihr Ahimsa beachtet, Gewaltlosigkeit in Gedanken, Worten und Taten, seid ihr gesegnet. Vor allem, wer sich nach einem spirituellen Leben sehnt. Manchmal küßt man dann seinen eigenen Körper, aus heiterem Himmel. Gesegnet ist der Körper, durch den das Wasser des Lebens fließt. All das entwickelt sich, wenn ihr euch ganz und gar der Verbindung widmet, die euch gegeben wurde.

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