Kirpal Singh

Gespräche von Herz zu Herz

15. Dezember 1970

Morgen-Darshan/Rajpur

Meister: Wenn die Zeit des Abschieds kommt, will man gerne für immer hier bleiben und nicht nach Hause zurückkehren. Ihr seid hierhergekommen, doch ist es unvermeidlich, daß ihr zurück müßt.

Wenn wir nach Hause, in unsere Heimat, kommen, sollten wir nicht wieder gehen, versteht ihr. Unsere wahre Heimat ist die Heimat des Vaters. Von dort seid ihr gekommen, deshalb müßt ihr dorthin zurückgehen. Vielleicht werdet ihr wieder hierher -geschickt, das ist etwas anderes. Es sollte jedoch nicht von uns aus geschehen. Ihr seid traurig, wenn ihr geht. Natürlich habe ich kein Herz aus Stein. Ich habe ein Herz aus Fleisch und Blut und empfinde ebenso, Doch es ist unvermeidlich, wir müssen gehen. Habt ihr eine besondere Frage?

Frage: Über selbstlosen Dienst, finanziell gesehen, im Tagebuch. Wenn wir in die Stadt gehen, tauchen kleine Kinder und Bettler auf und wollen Geld. Ich möchte nicht sagen: ”Geht weg!” Und dennoch möchte ich ihnen kein Geld geben, wenn ich nicht soll.

Antwort: Betteln ist hier zum Beruf geworden. Wenn ihr dem nachgeht, werdet ihr entdecken, daß die Bettler oft Hunderte, Tausende besitzen. Ich habe hier Bettler gesehen, die bei ihrem Tod Zwanzigtausend und mehr hinterließen. Es wurde zum Beruf.

Frage: Wie ist es mit den verkrüppelten Kindern? Da ist ein Junge in Delhi, dem ein Bein fehlt und der erst sieben Jahre alt ist.

Antwort: Das ist eine Rückwirkung aus der Vergangenheit. Wir können nichts dagegen tun, was sollen wir tun?

Frage: Sollen wir nichts geben? Ist es besser, nichts zu geben?
Antwort Wir müssen es prüfen. Ihr könnt herausfinden, ob sie es wirklich brauchen, und wenn ja, dann könnt ihr geben. Im allgemeinen ist es hier ein Beruf. Wenn ihr wahllos gebt und gebt und gebt, ist das Unsinn. im Fall jener, die wirklich bet-dürftig sind - es gibt einige davon - ist es recht. Ihr müßt das mit Mitgefühl in euerem Herzen beurteilen - beurteilen, wie ihr in diesem Augenblick empfindet. Wirklich Bedürftige betteln nicht. Sie sterben eher, als daß sie betteln. Von diesen Menschen gibt es viele, sie schämen sich zu betteln. Ihnen sollte am ehesten geholfen werden. Ist Betteln aber ein Beruf geworden, dann ziehen die Kinder bettelnd umher und bringen das Geld nach Hause, wo es aufgeteilt wird. Sie erhalten etwas davon, aber nicht alles, was sie bringen.

Frage: Gilt das auch für den Grundsatz, daß man Menschen, die sich selbst nicht helfen, nicht fortwährend Hilfe geben soll?

Antwort: Helft ihnen, auf eigenen Beinen zu stehen, das ist alles. Das ist in Ordnung. Es ist für jeden besser, auf seinen eigenen Beinen zu stehen. Ihr könnt ihm vorübergehend helfen, aber ihn das ganze Leben hindurch von euch abhängig zu machen, schafft einen Krüppel. Die Absicht sollte gut sein. Ich habe Menschen gesehen, die eher sterben würden als betteln. Ist jemand in Schwierigkeiten, am Verhungern, dann helft ihm. Es gibt keine strenge Regel, die das Geben untersagt. Soamiji sagte deshalb, gebt alles dem Meister. Er will nichts für sich selbst, er verteilt es an die wirklich Bedürftigen. Das bringt euch sein Wohlgefallen. Er behält weder Geld, noch weltliche Dinge für sich. Er teilt aus und lebt von seinem eigenen Einkommen. Wenn ihr dazu beitragt, daß jemand herunterkommt, hat das karmische Folgen. Wenn ihr Geld zum öffentlichen Nutzen oder den Bedürftigen und Kranken gebt, dann ist es richtig eingesetzt. Nehmen wir jedoch an, jemand ist ein Trunkenbold und Gotteslästerer. Was ist, wenn ihr ihm helft, ihm Geld gebt? Ihr verhelft ihm dazu, mehr zu trinken, nicht wahr? Ihr könnt ihm helfen, sich zu besinnen, vom Trinken abzulassen, das ist etwas anderes. Was man auch tut, das Ergebnis wird der Absicht entsprechen, die dahinter liegt. Anderen zu helfen, ihnen zu dienen und zu opfern ist gut. Manchmal helfen wir jedoch mit dem Ergebnis, daß der andere tiefer sinkt. Wenn ihr jemanden seht, der hungert oder bedürftig ist, ein Familienvater vielleicht oder auch ein Alleinstehender - gebt ihm, aber schenkt es ihm. Gebt keine Almosen, schenkt, teilt mit ihm. Mit anderen zu teilen ist gut. Almosen zu geben ist nicht gut, denn sie wirken zurück.

Alle zwölf Jahre wird am Ganges das Kumbha Mela gefeiert. Tausende von Menschen aus ganz Indien finden sich zusammen. Letztes Mal war in Hardwar (1968) eine riesige Versammlung. Ich wurde eingeladen, den Vorsitz zu führen. Man sagte: ”Sie können einige Ansprachen halten und dann den Vorsitz übernehmen. Es wäre günstig, eine Woche oder zehn Tage dort zu bleiben.” Ich ging hin. In großen Buchstaben schrieb ich eine Ankündigung an der Außenseite unseres Zeltes “Bitte keine Almosen.” und ”Ein-tritt frei.” Als Ergebnis war unser Zelt mit 6000 bis 7000 Menschen gefüllt. Wir hielten eine zweistündige Meditation am Morgen, eine zweistündige am Abend und eine einstündige im Laufe des Tages, fünf Stunden Meditation täglich! Fünftausend Menschen waren da. Morgens und abends wurde je eine zwei stündige Ansprache gehalten. Alles war ruhig und still. Wir hatten eine öffentliche Küche. Ein Minimalpreis von acht Annas, einer halben Rupie, wurde erhoben. Ihr wißt, wie viel das umgerechnet ist - sehr wenig! Wir boten Reis und Pudding an und noch vieles mehr. Das Ergebnis war, daß auch die Menschen aus den anderen Zelten kamen. Sehr viele Essen wurden kostenlos verteilt. Alles in allem gab es keinen Gewinn, aber auch keinen Verlust. Die Polizisten, die die Aufsicht hatten, kamen ebenfalls. Sie hörten der Ansprache zu und waren so vertieft, daß sie ihren Dienst bis 11 Uhr vergaßen, obwohl sie ihn um 8 Uhr hätten antreten müssen. Die Menschen, die unser Zelt besuchten, erhielten kostenloses Essen, es gab weder Arger noch sonst eine Behinderung. Der Erfolg zeigte sich am 13. April, am härtesten Tag. An diesem Tag kommen immer Tausende von Menschen und nehmen ein Bad im Ganges, und es ist niemandem erlaubt zu predigen. Es wurde ein spezielles Zelt für Vorträge errichtet, Ich hielt eine dreistündige Ansprache und sagte: ”Teilt mit anderen.” Einige Leute meinten, man sollte mir nicht erlauben, während des Kumbha Mela anwesend zu sein. Ihre Geschäfte gingen dann nicht mehr so gut.

Betteln ist also nicht gut. Teilen ist in Ordnung. Alle sind eure Brüder und Schwestern in Gott, und es ist eure Pflicht, ihnen zu dienen. Wer zum Bettler geworden ist, hat daraus einen Beruf gemacht. Durchschaut sie, prüft, was los ist. In einem Fall bindet euch die Handlung, aber unter anderen Umständen bindet euch dieselbe Handlung nicht. Gebt anderen, teilt mit ihnen, das ist gut. ”Er ist ein Sohn Gottes, ich bin ein Sohn Gottes.” Wenn ihr Geld gebt, hat das seine Rückwirkung - ihr müßt es eines Tages zurückbekommen. Bindet das nicht? Die Sache ist sehr klar. Doch die Menschen machen weiterhin ein Geschäft daraus. ”Gebt, gebt, gebt!” ”Gut”, sagt ihr, ”ich habe Mitleid.” Habt zuerst Mitleid mit euch selbst, dann könnt ihr auch eurem Bruder helfen. Wir sind alle Brüder und Schwestern in Gott, oder nicht? Der Meister vereinigt uns in dieser wahren Verwandtschaftsbeziehung, die bereits besteht und selbst den Tod überdauern wird. Sie zerbricht nicht. In Hindi heißt das Wort dey ”geben”, aber auch ”Körper” Ein Wort, zwei Bedeutungen. Kabir sagt: ”So lange du im Körper (dhey) bist: gib, gib, gib (dey). Wenn du nicht mehr im Körper bist, wer wird dich dann um eine Gabe bitten?” Versteht ihr?

Frage: Baba Sawan Singh sagte stets: ”Entwickelt zuerst das Licht der Spiritualität in euch selbst, dann könnt ihr es anderen geben.”

Antwort: Es ist besser, Rückwirkungen zu vermeiden. Das ist ein grundlegendes Prinzip. Wenn ihr mit anderen teilt, ist das in Ordnung. Wenn ihr gebt, müßt ihr es zurücknehmen. Die Menschen geben oft nur, um dafür wieder etwas zu erhalten, hier oder im Jenseits. Das ist ein Geschäft. Wer kann auf die richtige Art geben? - Nur wer spirituell fortgeschritten ist. Ein wahrer Mensch ist, wer für andere lebt. Tiere leben für sich allein. Sie bekämpfen sich mit ihren Hörnern. Was ist, wenn sich ein Mensch ebenso verhält? Was ist er dann? Er ist kein Mensch, er ist das Tier im Menschen. Der Mensch muß sich seinen Unterhalt im Schweiße seines Angesichts verdienen. Führt ein einfaches Leben, so gut ihr könnt, und lebt dann für andere. Verläßt ein Mensch seinen Körper, läßt er seine Millionen und alles, was er besitzt, zurück. Warum sollte man seinen Besitz nicht nutzen und damit anderen dienen? Dient anderen, nein, nicht anderen, sie sind eure Brüder und Schwestern in Gott. Deshalb dient ihnen physisch, finanziell und auch intellektuell, um sie zu erwecken - und schließlich auch spirituell. Teilt mit anderen, was euch gegeben wurde, und es wird sich vermehren. Was man zurückhält, vermehrt sich nicht. Liebt alle. Das ist sehr einfach. Man braucht dazu keine Philosophie, nur den gesunden Menschenverstand.

Einmal zog unser Meister Hazur Baba Sawan Singh in den Krieg. Er war Offizier einer Unterabteilung für Bauwesen. Es dauerte etwa ein Jahr, bis er aus dem Kampfgebiet zurückkam. In Peshawar, wo ich in die Schule ging, lebte ein Heiliger, den er immer besuchte. Er gab ihm jedesmal, wenn sie sich sahen, zehn Rupien. Aber als er nun zu ihm ging, sagte der Heilige: ”Ich will zwanzig Rupien.” Baba Sawan Singh antwortete: ”Aber Baba, bist du habgierig geworden?” ”Nein, nein” antwortete dieser, ”ich will sie nur, um dir etwas von dem Teil deines Verdienstes zu nehmen, der dir nicht zusteht. Du hast deine Pflicht nicht voll erfüllt. Das nimmt das Gift aus deinem Einkommen. Ich werde es nicht behalten, ich werde es verteilen.” Baba Sawan Singh gab ihm die zwanzig Rupien.
Zuerst müssen wir alles allmählich aufgeben, Körper, Gemüt und Seele. Das kommt mit der Zeit. Wenn ihr alles gebt, was bleibt euch dann übrig? Dann seid ihr ganz allein mit Gott. Alles andere sind Verwicklungen, die uns durch Geben und Nehmen an die Welt binden. Unsere menschliche Existenz ist wahrhaftig eine goldene Gelegenheit, die wir erhielten, um unser Geben und Nehmen abzuwickeln, zu beenden und in unsere Heimat zurückzukehren. Sät keine weiteren Samen, die ihr ernten müßt. Gebt, gebt für immer, und denkt nicht einmal im Traum an eine Gegenleistung. Das ist nur möglich, wenn ihr mit anderen teilt, auch wenn ihr vielleicht nur zwei Laib Brot habt. Wer Millionen besitzt, hat eigentlich auch nicht mehr. Wieviel kann er essen? Auch wenn hundert Kleider im Schrank hängen, man kann nur eines tragen. Man kann sie mit anderen, die bedürftig sind, teilen. Das Selbst entwickelt sich durch dienen und opfern.

Frage: Gibt es ein besonderes Problem beim Geben und Nehmen unter lnitiierten?

Antwort: Wenn ihr alles dem Meister überlaßt, denkt ihr nicht an euch selbst. Versteht ihr? Aber mit wie vielen wirklich bedürftigen Menschen könnt ihr teilen? Ihr könnt es dem Meister statt den Initiierten geben. Was ihr einem Initiierten gebt, werdet ihr zurücknehmen müssen. Die Rechnung bleibt schließlich bestehen. Der Meister kann es innerhalb eines unmittelbaren, persönlichen Bereichs wieder in Ordnung bringen. Beschenkt ihr jedoch Menschen, die nicht auf dem Pfad sind, wird jene Kraft darüber Buch führen. Helft dem anderen, auf eigenen Beinen zu stehen. Jemandem in Not zu helfen ist in Ordnung. Wenn es einem Menschen schlecht geht und ihr beachtet ihn nicht, sondern helft stattdessen einem Initiierten, der von seinem eigenen Verdienst gut leben könnte, dann ist das nicht richtig. Schließlich hat jener Mensch auch eine Seele und trägt ebenso die Gotteskraft in sich. Der einzige Unterschied ist, daß ihr auf den Weg gestellt seid und dieser nicht. Doch dasselbe Vorrecht schlummert schließlich in jedem Menschen.

Dies sind die Lehren der Meister. Alle Menschen sind Satsangis. Der einzige Unterschied ist, ihr seid auf den Weg gestellt und die anderen nicht. Derselbe Schatz ist jedoch auch in ihnen. Euch ist ein bißchen bewußt, daß da etwas ist, ihnen nicht. Das ist der einzige Unterschied. Wenn ihr alle Menschen als gleich erkennt, werdet ihr jeden lieben. Aus einem solchen Herzen kommt der Wunsch: ”Friede sei in der ganzen Welt, nach Deinem Willen, o Herr.” Christus sagte dem Reichen, daß er all seinen Besitz verkaufen und verteilen und dann zu ihm kommen solle. Wir sitzen wie Kobras auf dem Reichtum. Wir verwenden ihn selbst nicht richtig und erlauben auch niemandem anderen, ihn zu verwenden. ”Laß alles zurück und folge mir nach.” Ihr kennt die Bibel. In ihr steht, daß der ganze Reichtum verteilt werden soll. Das bedeutet, daß wir alles aufgeben sollten. Wir werden jedoch davon beherrscht und sind dadurch gebunden.

Dunkelheit kann man nicht durch Kampf vertreiben. Sie verschwindet nur, wenn man ein wenig Licht hereinläßt. Alles wird dann so klar wie Tageslicht. Wir sind jedoch eingeschlossen, gefangen in unserer eigenen Art zu denken. Wir können über sie nicht hinaus. Wir sollten uns über sie erheben und erkennen, was wirklich ist. So wie euch eure Denkweise binden kann, kann sie euch auch befreien. Es gehört alles euch, ich gebe es euch zurück. Angenommen, ein Bankier gibt euch 1000 oder 10 000 Dollar. Ihr sagt: ”Ich brauche nicht alles, ich gebe diesem 5000 und jenem 2000.” Was ist eure Aufgabe? - Zu geben. Es ist Sein Geld, nicht wahr? Alles wird von Gott gegeben, es ist Seine Gnade. Teilt mit anderen. Könnt ihr jetzt erkennen, was nötig ist? Dies ist eine Lebensweise, die euch hier und im Jenseits glücklich macht und euch auf dem spirituellen Weg hilft. Deshalb gebt, gebt, gebt und gebt, solange ihr im Körper seid. Das ist es, was Kabir meinte: ”Wenn du nicht mehr im Körper bist, wer wird dich dann um etwas bitten?” Nur durch die Gnade Gottes sind wir in Seinem Namen beisammen. Wenn wir in Seinem Namen beisammen sind, ist Er da. Christus sagt, wenn wir in Seinem Namen versammelt sind, ist Er mitten unter uns. Die Gotteskraft ist da. Auf diese Weise werdet ihr Glückseligkeit empfinden. Selbst in der Atmosphäre hat das eine Wirkung, eine Aufladung.

Noch etwas? Irgendwelche Fragen? Wir brauchen das alles sehr. Es ist nicht neu, es steht bereits in den Schriften. Aber wir haben es nicht richtig verstanden, das ist alles. Ich muß gehen, ich danke euch.

Weiter