Kirpal Singh

Gespräche von Herz zu Herz

19. Dezember 1970

Morgen-Darshan/Rajpur

Meister: Ja, heraus mit der Sprache. Gibt es irgendwelche Fragen? Es ist besser, wenn ihr Fragen stellt, als daß ich einen Vortrag halte, wenn euch irgend etwas in den Sinn gekommen ist, das geklärt werden sollte. Im Gespräch gestern morgen wurde erwähnt, alle Sorgen können ausgelöscht werden, wenn ihr mit dem Tonprinzip innen in Verbindung kommt. Habt ihr das Gespräch aufgenommen?

Frage: Ja.

Antwort: Diese Gespräche sollten nicht nur aufgenommen werden, sondern als Heil-mittel für all eure Leiden benutzt werden. Der entscheidende Punkt ist: Nachdem ihr nun mehr Zeit für die Meditation einsetzt, verbessert ihr euch im Vergleich zu früher. Je länger ihr innen verweilen könnt und für längere Zeit ohne Unterbrechung Licht seht, desto mehr Fortschritt erreicht ihr. Verblaßt das Licht, schaut beständig und ohne Unterbrechung weiter. Es wird bleiben, wenn ihr weiter hinschaut. Je länger ihr dabei bleiben könnt, desto besser werden eure Ergebnisse sein. - Ja?

Frage: Kann es nachteilig sein, sich zu längerem Meditieren zu zwingen?

Antwort: Ich spreche nicht davon, länger zu sitzen. Ihr mögt fünf oder zehn Stunden meditieren. Doch wenn ihr Licht seht, dann verbleibt ihr nicht lange genug dabei. Es ist der Zeitpunkt, an dem ihr länger ohne Unterbrechung weiterschauen sollt. Ihr mögt sitzen, doch was ist, wenn das Gemüt außen umherschweift? Euer Körper sitzt zwar an der Tür, aber euer Gemüt schweift nach außen ab. Die Zeit, die ihr sitzend verbringt, trägt keine Frucht, solange euer Gemüt nicht beständig und ohne Unterbrechung dabei ist. Welche Erfahrungen ihr auch haben mögt, sie werden sich täglich weiterentwickeln.

Frage: Sollten wir in unsere Tagebücher nur die Zeit eintragen, die wir in konzentrierter Meditation verbracht haben, oder die gesamte Zeit, die wir gesessen sind?

Antwort: Genaugenommen wird nur die Zeit, die ihr so verbringt, wie ich es eben erklärt habe, Früchte einbringen. Wenn ihr also, sagen wir fünf Stunden gesessen seid und davon während ein oder zwei Stunden Licht gesehen habt, bringen euch diese ein oder zwei Stunden etwas. Ich erkläre nur, wie ihr bessere Ergebnisse erzielen könnt. Als ihr begonnen habt, zu meditieren, wart ihr nicht daran gewöhnt, längere Zeit zu sitzen; nun könnt ihr länger sitzen. Doch euer Gemüt sollte nicht abschweifen. Ich habe oft gesagt, tut eine Sache zu einer Zeit, seid ganz und gar dabei. Wenn ihr bei mir seid, seid es ganz, vergeßt euren Körper und alles andere. Wenn ihr innen bei Gott seid, dann bleibt ganz und gar bei Ihm. Denkt nicht an den Körper oder die Umgebung außen, ganz zu schweigen von anderen Dingen. Wenn ihr meditiert, dann seid von außen, von eurem Körper und Gemüt, völlig abgeschnitten. Gott sei Dank setzt ihr jetzt mehr Zeit ein. Was ist beim Meditieren wesentlich, um bessere Ergebnisse zu erzielen? - So lange wie möglich mit ganzer Aufmerksamkeit dabeizubleiben. Wenn wir z.B. zusammen sind, aber ich in Gedanken nicht dabei bin, so ist das kein wahres Zusammensein. Wenn ich also bei euch sitze, dann ist es ent-scheidend, daß ihr ganz bei mir seid und ich ganz bei euch. So erhaltet ihr bessere Ergebnisse.

Wie bereits erwähnt, ist Gott ganz alleine. Er hat keinen Vater, keinen Bruder, keine Schwester, keinen Freund. Er will, daß jeder ganz alleine zu Ihm kommt. Wer seid ihr? Ihr seid bewußte Wesen, ihr seid nicht der Körper. Er möchte nicht, daß ihr euren Körper mitbringt. Das heißt, denkt nicht einmal an den Körper, in dem ihr steckt, seid nur bei Ihm. Wenn ihr vor Seiner Türe sitzt, überlegt nicht, ob euer Gebet erhört wurde oder nicht. Eure Aufgabe ist es, ganz allein am Tor zu sitzen, völlig von außen abgeschnitten. Es liegt an Ihm, zu geben. Ihr braucht euch nicht zu sorgen. Ihr sitzt an der Schwelle. Eines Tages wird er euch hereinbitten. Es ist wie bei euren Pflichten, die ihr erfüllen müßt - seid voll dabei und wartet. Schließlich muß Er euch fragen, was ihr wollt. Versteht ihr meinen Gesichtspunkt? Es ist also besser, mit ganzer Aufmerksamkeit an der Türe zu sitzen. Wenn ihr dann etwas erhaltet dann vertieft euch völlig darin. Das wird viel bessere Ergebnisse bringen.

Wenn ihr arbeitet, seid ganz dabei. Wenn ihr eßt, dankt Gott dafür. Tut eine Sache zu einer Zeit. Das bringt euch mehr Erfolg in jedem Lebensbereich. Warum verfolgen uns stets andere Gedanken? Ich möchte euch ein Beispiel geben: Jemand kommt zu mir; er will etwas besprechen. Ich widme ihm einen Teil meiner Aufmerksamkeit, nicht die ganze - er wird also warten. Ein anderer kommt, und ihm höre ich nur wenige Minuten zu, ich widme mich ihm nicht voll. Dann kommt noch einer. Nun werden alle drei bei mir herumsitzen. Bevor ihr also etwas Neues beginnt, vergewissert euch, daß das Alte beendet ist.

Welche Gedanken verfolgen uns? Nur die, denen man nicht volle Beachtung schenkt. Wir lenken nicht unsere ganze Aufmerksamkeit auf die Probleme, deshalb warten sie auf uns und verlassen uns nicht. Dies erklärt, warum uns die Gedanken verfolgen. Wenn ihr euch zur Meditation setzt, dann vergeßt die Vergangenheit, vergeßt die Zukunft und vergeßt die Gegenwart. Vergeßt die Gegenwart, aber lebt im jetzigen Augenblick. Was ist wenn ihr jeden Augenblick wachsam seid? Werdet ihr dann nicht wachsam sein bis in alle Ewigkeit?

Die Tagebuchblätter sollen euch auf eure Fehler aufmerksam machen. Warum haltet ihr euch nicht an die Tugenden? Eure Worte würden dann etwas bewirken. Ihr sagt etwas, lebt aber anders. An der Oberfläche erscheint ihr tugendhaft und gut, darunter versucht ihr jedoch, anderen das Wasser abzugraben. Die Menschen könnt ihr täuschen, aber Gott könnt ihr nicht täuschen. Er ist in euch. Seid ihm gegenüber wahrhaftig, dann wird sich alles andere ergeben. Entwickelt zuerst eine Tugend, dann folgen die anderen. Das Tagebuch hat zweierlei Aufgaben: Zum einen, alle Unvollkommenheiten auszumerzen und zum zweiten, mit jener Kraft in Verbindung zu kommen.

Ein Mensch kann im menschlichen Körper nicht beurteilt werden. Wir sind Tiere in Menschengestalt, nicht Menschen in Menschengestalt. Es ist die ursprüngliche Aufgabe aller Religionen, den Menschen zum Menschen zu formen, zum wahren Menschen, zum vollkommenen Menschen. Was ist ein vollkommener Mensch? Ein vollkommener Mensch ist, wer Zugang zum tönenden Licht hat. Es ist das Brot des Lebens, innen und außen. Es ist das Ideal, das ihr anstreben solltet. Ihr seid für einige Zeit hier, um sie möglichst gut zu nutzen. Beachtet das, auch wenn ihr nach Hause geht, lebt danach. Versucht es drei Monate lang, sechs Monate, und ihr werdet sehen, wie ihr euch wandelt - radikal, drastisch wandelt. Gott sucht bei jedem, um einen wahren Menschen ausfindig zu machen. Der Meister, Gott in ihm, sucht ebenfalls und versucht, einen wahren Menschen zu formen. Was ist, wenn ihr vielleicht hundert Jahre beim Meister lebt, aber nicht beachtet, was er sagt? Zuallererst seid ihr Licht, ihr seid Kinder des Lichts, ihr seid Jot Niranjan. Wir wiederholen diese Worte täglich und kennen nicht einmal ihre wahre Bedeutung. Gott ist reines Licht, volle Be-wußtheit. Gott ist Geist, und wir sind Geist. Geist ist Gott und Gott ist innen. Was ist also der Unterschied? Gott ist sehr leicht zu erkennen, ihr seid bei Gott. Gott ist in euch, aber ihr seid nicht in Gott. Das ist alles. Unser Sein liegt in Ihm. Das erkennen wir erst, wenn wir uns über das Körperbewußtsein erheben. Es gibt das große Licht - wir sind nur ein kleines, winziges Licht, aber dieses Licht belebt unseren Körper

Erkennt ihr jetzt, wie groß ihr seid? Ihr seid ein Mikro-Gott. Die nach außen gehenden Kräfte sind nur dazu da, euch zu dienen. Doch ihr seid zu deren Diener geworden. Sie wirken nur durch euch. Wenn eure Aufmerksamkeit nicht auf sie gerichtet ist, hört ihr nicht, seht ihr nicht, auch nicht mit offenen Augen. Eure Aufmerksamkeit ist dann in Höheres vertieft.

Dies ist eine kurze, einfache Zusammenfassung. Ihr müßt danach leben. Wenn die Schale von der Mandel entfernt wird, habt ihr den eigentlichen Kern vor euch. Was ich euch anbiete, ist der wahre Kern. Ihr kennt ihn bereits, es ist nichts Neues. Ich erinnere euch nur an die Tatsachen, die bereits bestehen und um die wir uns nie gekümmert haben.

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