Kirpal Singh

Gespräche von Herz zu Herz

26. Dezember 1970

Morgen-Darshan/Rajpur

Meister: Wie bist du gestern nacht und heute morgen mit deinen Meditationen zurechtgekommen?

Frage: Ich habe verschlafen. Dann ging ich zum Arzt und er gab mir eine Medizin. Ich schlafe etwa fünf oder sechs Stunden weniger.

Antwort: Die Schläfrigkeit kommt daher, daß dein Magen nicht in Ordnung ist. Iß weniger, das ist das einzige Gegenmittel. Meine Anweisungen sind, einen Bissen weniger zu essen, als man wirklich braucht. Steh vom Tisch auf, solange du noch etwas Hunger hast. Arbeite hart an deiner Meditation und deinen sonstigen Pflichten. Solange du diese Regeln befolgst, wirst du nicht krank. Ein Arzt gibt dir etwas gegen Verdauungsstörungen. Es ist jedoch besser, einen Bissen weniger zu essen. Das ist das beste Heilmittel. Wenn Tiere, z.B. Hunde, krank sind, hören sie auf zu fressen. Daran sieht man, daß sie einen Instinkt dafür haben. Sie suchen sich ein bestimmtes Kraut, das sie fressen und das ist ihre Medizin. Das beste Rezept ist, einen Bissen weniger zu essen, als man wirklich braucht. Verlaßt den Tisch mit einem leichten Gefühl des Hungers, nicht mit einem Völlegefühl. Du warst also beim Arzt und mußtest ihm ein Honorar bezahlen.

Frage: Ja.

Antwort: Wieviel?

Frage: Nur zehn Rupien.

Antwort: Zehn Rupien! Hättest du es mir gesagt, hätte ich dich vor diesen zehn Rupien bewahrt.

Frage: Das ist wahr, wirklich wahr.

Antwort: Du hättest nicht hingehen sollen, sondern es mir sagen sollen. Du bist hier - man kümmert sich doch um dich.

Frage: Meister, während der letzten Jahre hatte ich den starken Wunsch, Gott zu erkennen, weil ich nicht immer glücklich war und weil mein Leben voll Kummer war. Doch jetzt ist mein irdisches Leben sehr schön und der Wunsch, Gott zu erkennen, ist sehr viel schwächer geworden.

Antwort: Weil du den äußeren Dingen gegenüber zu nachgiebig warst, das ist alles.

Frage: Aber vielleicht, wenn ich wieder krank werde ...

Antwort: Schau, die äußeren Dinge sind zu deiner Hilfe da, nicht zu deinem Vergnügen. Mach das beste daraus! Du freust dich nun an ihnen, natürlich hat sich da deine Neigung geändert. Wenn deine Wünsche mehr auf die weltlichen Dinge gerichtet sind, wird die andere Seite vernachlässigt. Das beste Motto ist: ”Gott zuerst und dann die Welt.”

Frage: Ich will nichts Äußeres. Ich will nichts von der Welt ...

Antwort: Du widersprichst dir selbst. Du sagst, dein Verlangen nach Gott habe nachgelassen, nicht wahr? Habe ich das richtig verstanden? Vorher war es sehr stark. Die Ursache ist offensichtlich: Deine Neigung hat sich mehr den weltlichen Dingen zugewandt. Wenn alle Wünsche aufhören, ist das gut. Aber das geschieht erst, wenn du in Verbindung mit der zum Ausdruck kommenden Gotteskraft bist, vorher nicht. In den Upanishaden heißt es: ”Was ist das, durch dessen Erkenntnis alles andere Begehren verstummt?” Dies geschieht durch die Verbindung mit dem Weg, der dir gezeigt worden ist.

Vollendung entwickelt sich nur langsam, man braucht Zeit dazu. Übe regelmäßig weiter und nach einiger Zeit wirst du sehen, daß du vorankommst. Manchmal geht es vorwärts, dann fällst du wieder zurück, und dann machst du wieder Fortschritte. Führe dein Tagebuch sehr genau. Sei wie ein strenger Arbeitgeber und schone dich nicht. So wie du andere kritisierst, mußt du dich auch selbst kritisieren. In zwei oder drei Monaten wirst du dich ganz bestimmt ändern. Aber wir schonen uns immer Wenn wir sehen, daß wir etwas falsch gemacht haben, denken wir: ”Nur nicht zugeben. Wer weiß es schon?” Doch Gott in euch weiß es, Ihn könnt ihr nicht täuschen. Des-halb sage ich immer, seid euch selbst gegenüber aufrichtig. Gott ist in euch und ebenso die Meisterkraft. Ihr könnt Ihn nicht täuschen. Seid euch selbst gegenüber ehrlich. Ich sage nicht, seid mir gegenüber ehrlich. Die Gotteskraft ist in euch, und Ihn könnt ihr nicht täuschen.

Warum vertrödelt, vergeudet, verzettelt ihr die Zeit mit nutzlosen Beschäftigungen? Mehr als ein dutzendmal habe ich euch das schon gesagt. Nutzt die Zeit hier Hört mit den Gedanken an die Vergangenheit und die Zukunft auf. Vergeßt. Seid voll und ganz hier. Lebt in der lebendigen Gegenwart. Aber wenn ihr so weitermacht, geht das bis in alle Ewigkeit.

Reinheit des Gemüts liegt darin, daß kein Gedanke, außer dem an Gott in ihm ist. Gott ist überall, in jedem Herzen. Wir schwimmen wie ein Fisch im Wasser des Lebens. Ihr mögt viele Dinge im Kopf haben, euer Gehirn mit Bibliotheken und allen Schriften der Welt vollstopfen, aber es wird euch doch nicht helfen. Nur das, was ihr zu einem echten Teil eures Lebens gemacht habt, wird euch helfen.

Die Nahrung, die ihr verdaut, gibt euch Kraft, Schwung, Frische. Was ihr nicht verdaut, macht euch schläfrig. Euer Gemüt wandert umher Einmal kam ein Mann zu Shiv Lal, einem Ergebenen von Rai Saligram und sagte: ”Ich werde immer schläfrig.” ”Achte auf deinen Magen.”, entgegnete Shiv Lal. Ein anderer beklagte sich: ”Mein Gemüt wandert stets umher.” Er erhielt dieselbe Antwort: ”Achte auf deinen Magen.” Am selben Tag kam ein dritter Mann und klagte: ”Ich kann nicht richtig meditieren.” ”Achte auf deinen Magen.”, wiederholte Shiv Lal. Sheik Saadi sagt, wer in der Medi-tation vorankommen will, fülle seinen Magen halb mit Nahrung, ein Viertel mit Was-ser und lasse das restliche Viertel leer.

Verdauungsstörungen verursachen Träume. Sie bringen alles wieder hoch und beein-flussen das Gehirn. Sie bewirken Trägheit. Das einzige Rezept dagegen ist, wie be-reits gesagt: Steht vom Tisch leicht hungrig auf. Eßt nicht, bis ihr voll seid. Soamiji sagt: ”Wer sich auf dem Weg gut entwickeln will, sollte nur einmal am Tag es-sen.” Das gilt für die, die das Höchste anstreben, für die, die sich ganz diesem Ziel widmen - eine Mahlzeit am Tag. Der Mensch ist in seiner Entwicklung zuerst ein Fleischesser, dann ein Pflanzenesser, und dann lebt er von der Luft. So kann er sich erheben. Zu unserem Meister kam einmal eine Frau von etwa dreißig Jahren. Sie nahm weder Wasser noch Nahrung zu sich und arbeitete doch den ganzen Tag über. Das wahre Brot des Lebens ist in euch. Doch das erreicht ihr erst, wenn die Zeit dafür da ist, nicht sofort. Diese Schwierigkeiten könnten also vermieden werden, wenn ihr bei Tisch einen Bissen weniger essen würdet. Wenn etwas gut schmeckt, nehmt ihr zu viel, und die Folgen davon kennt ihr.

Frage: Gestern bat ich um ein Chapati. Du kamst und sagtest: ”Nimm die Hälfte für mich.”

Antwort: Richtig.

Frage: Das war doch ein Beispiel, mit dem du uns sagen willst: ”Lebt euren Lebensstil so, wie man im Westen lebt, aber laßt ein kleines bißchen übrig, so wie ich.”

Antwort: Ja.

Frage: Somit bedeutet die Nahrung nichts.

Antwort: Das ist deine Art, es zu verstehen, das ist richtig. Das ist in Ordnung.

Frage: Ich verstehe hier so vieles, was ich schon vorher praktizierte, aber jeder meint, ich würde mich irren. Doch ich fühle mich wohl dabei, die anderen aber nicht, und nun bestätigst du diese Dinge.

Antwort: Danke Gott, danke Gott, das ist alles, was ich dazu sagen kann. Noch jemand sonst? Du, bitte?

Frage: Willst du etwas über meine Meditationen wissen?

Antwort: Wofür bin ich sonst da? Geht es dir heute besser nach der gestrigen Weihnachtsfreude? Wenn ja, dann ist es gut. Und du? Darf ich dich fragen? Ich glaube, du hättest nichts essen dürfen - es geht um das Brot des Lebens, sei regelmäßig. (Sehr ernst.) Laß keinen Tag vergehen, ohne deiner Seele Brot zu geben. Es ist bereits in dir. Deshalb sagte Christus: “Der Mensch lebt nicht vom Brot allein ...” (Matth. 4,4). Das materielle Brot dient dazu, euren Körper zu erhalten; er ist ein gutes Reitpferd. Wenn das Pferd stark ist, zieht es selbst einen beschädigten Wagen. Beides ist also von der spirituellen Gesundheit abhängig, das Leben des Gemüts und des Körpers. Wir geben dem Körper und dem Intellekt Nahrung, doch wir kümmern uns wenig um die Seele. Hier seid ihr nur um das Brot des Lebens willen, um das Wasser des Lebens willen. Es ist nicht außerhalb von euch, es ist in euch; es ist Sache der inneren Einkehr. Kostet es euch irgend etwas? Kein weltliches Honorar. Alles ist ein Geschenk der Natur, so wie andere Geschenke der Natur auch.

Frage: Es scheint, daß die Menschen, die die Wahrheit kennen, sie leidenschaftlich gerne anderen mitteilen.

Antwort: Gott hat sie nur zu dem Zweck gesandt, sie Seinen Kindern zu bringen. Der Koran sagt: ”Gott ändert nicht das Leben eines Menschen, der nicht selbst möchte, daß es geändert wird.” Wir sind also alle Kinder Gottes. Der Meister ist dazu da, um euch zu helfen - Gott in ihm.

Frage: Die Geschenke Gottes sind Leben und freier Wille.

Antwort: Ja. Das ist es, was ich sage.

Frage: Ich meine, nachdem der Mensch einen freien Willen hat, sollte seine Einstellung so sein, daß er ein Leben will, das dem Lob Gottes dient und gottgefällig ist.

Antwort: Das geschieht dann, wenn ein Mensch die äußeren Dinge satt hat, wenn in ihm schließlich dieser Drang entsteht. Das wird der glücklichste Tag in seinem Leben sein. Dann bekommt er natürlich auch Hilfe. Es ist also eure Entscheidung, den einen oder den anderen Weg zu gehen. Als ich die Schule verließ, meine Ausbildung beendet war, mußte ich mich entscheiden. Zweierlei lag vor mir: Gott und die Welt. Ich brauchte sieben oder acht Tage und Nächte, in denen ich ganz allein an einem sehr einsamen Ort war, um mich zu entscheiden, was das Ziel meines Lebens sein sollte. Das war 1912. Ich entschied: Gott zuerst und dann die Welt.
Hat man also ein bestimmtes Ziel vor sich und geht auch nur einen Schritt darauf zu, so ist man dem Ziel näher gekommen. Aber manchmal strebt ihr nach Gott, manchmal nach der Welt - und plus und minus heben sich gegenseitig wieder auf. Deshalb entscheidet euch endgültig, was euer Ziel im Leben sei.

Frage: Die Entscheidung ist wichtig.

Antwort: Jede Entscheidung, sicherlich. Wir haben uns noch nicht entschieden. Wir schwanken auf dem Weg, manchmal hierhin, manchmal dorthin. Und das Gemüt schaltet sich sehr vornehm ein und flüstert: ”Schau, das ist doch deine Pflicht, willst du sie nicht erfüllen?”

Helft euren Kindern, das ist richtig. Ich werde euren Kindern auch helfen. Gott hat euch verbunden. Es ist die Hand Gottes, die euch als Brüder, Schwestern, Ehefrauen und Ehemänner verbunden hat. Gebt ihnen genügend Aufmerksamkeit. Zahlt eure Schulden ab, gleicht Geben und Nehmen aus. Ihr habt das menschliche Leben, um Gott zu erkennen. Das ist unser letztes Ziel. Sät keine weiteren Saaten. Wickelt alle eure Angelegenheiten ab. Der Meister hilft euch dabei, Geben und Nehmen auszugleichen. Ihr braucht nur nach dem zu leben, was er sagt.

Frage: Es scheint so leicht: Einfachheit führt zur Ewigkeit und Kompliziertheit zur Verwirrung, weil zu viel mit ihr verbunden ist, was uns ablenkt.

Antwort: Einfache Nahrung, einfache Lebensweise, einfaches Leben sind wichtige Faktoren, die uns helfen. Ein einfaches Leben ist das erste. Wir brauchen Stunden, um uns herzurichten, Stunden, um uns herauszuputzen, dieses und jenes anzuziehen und vieles andere. Gönnt dem Körper Ruhe, schützt ihn vor Kälte oder Hitze, das ist gut. Gebt ihm Nahrung und laßt ihn ruhen, damit er gut arbeiten kann, aber nicht vierundzwanzig Stunden am Tag. Er ist euer Pferd. Wenn ihr von einem Pferd zu viel Arbeit verlangt, wird es euch nicht mehr nützlich sein.

Frage: Wenn man zu schwer arbeitet, ist das nicht gut?

Antwort: Nicht zu schwer - nur so viel, wie der Körper leisten kann. Manchmal müßt ihr euch zum Wohl anderer opfern, das ist eine andere Sache. Das ist das Gesetz des Opferns. Liebe kennt nur Dienen und Opfern. Laßt den Körper ausruhen, schützt ihn vor Hitze und Kälte, damit er stark genug ist, eure Arbeit zu erledi-gen. Aber all die Zeit, die ihr dafür aufwendet, euch zurechtzumachen, ist vergeudet. Haltet euch sauber, das ist in Ordnung. Der Körper ist der Tempel Gottes, deshalb haltet ihn rein, außen und auch innen. Seht die Dinge in der rechten Perspek-tive. Einfaches Leben und hohe Denkungsart werden sich schnell auswirken. Das alles sind nur untergeordnete Fragen - die Hauptsache ist, ihr kommt in Verbindung mit Gott, der bereits in euch ist. Ihr müßt nirgendwo hingehen. Gott wohnt in dem Tempel, den Er selbst erschaffen hat. Dieser Tempel wurde im Schoß der Mutter erschaf-fen. Gibt es dort irgendeine Maschine? Es ist allein Gottes Werk.

Eßt also ein bißchen weniger, einen Bissen weniger. Hebt euch das, was besonders gut schmeckt auf und eßt es später, nicht unbedingt alles zur gleichen Zeit. Wenn ihr ewas falsch macht, müßt ihr büßen, aber gut verdaute Nahrung wird euch Kraft geben.

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