Kirpal Singh

Herz zu Herz Gespräche

8. September 1970

Abend-Darshna/Sawan-Ashram, Delhi

Frage: Seit einiger Zeit hoffe ich, wir können dir eine Frage stellen, so wie Jesus gefragt wurde: „Herr, wenn wir beten, wie sollen wir beten?“ Und dann nannte er das Vaterunser. Wenn wir dich fragen würden, was würdest du antworten?

Antwort: Ich habe große Achtung vor Jesus. Er gab eine Antwort, die den Bedürfnissen weltlicher Menschen entsprach. Sie denken und beten: „Unser täglich Brot gib uns heute.“ Es gibt jedoch verschiedene Stufen des Gebets. Ich habe das in meinem Buch Das Gebet ausführlich erörtert. Es gibt Menschen, die ungefähr folgendermaßen beten: „O Gott, wir wünschen nichts sehnlicher als ein Pferd, um darauf zu reiten, ein Haus, um darin zu wohnen, genug zu essen und genug zu trinken und dieses und jenes. Kannst du diese Bitten nicht erfüllen, so können wir nicht beten.“ Manche sprechen so mit Gott. Das ist das ABC, es entspricht der Stufe des Menschen. Das ist in Ordnung. Weltliche Menschen brauchen alles. Diesen Punkt habe ich in meinem Buch klar herausgearbeitet. Vielleicht braucht der Durchschnittsbürger mindestens zweihundert Dollar im Monat. „Das möchte ich unbedingt haben und wenn du es mir nicht geben kannst, kann ich nicht beten.“ sagt er. Das ist der Standpunkt eines weltlichen Menschen. Wenn ihr aber auf dem Weg fortschreitet, werdet ihr alles loslassen. Seit undenklichen Zeiten ist es üblich, den Zehnten zu geben. Zuerst gebt ihr ein Zehntel, dann gebt ihr mehr und noch mehr, bis ihr schließlich alles für Ihn gebt. Als Mensch, als Sohn eines Menschen, als weltlicher Mensch brauchen wir alles. Auf dieser Stufe ist das Vateruser gut. Andere Meister und Heilige haben ähnliche Gebete gelehrt. Es gibt verschiedene Arten des Gebets, die den weltlichen Menschen wie uns entsprechen.

Frage: Wie uns?

Antwort: Wie uns. Als weltliche Menschen können wir dem Körper nicht entkommen. Ich bin auch ein Mensch wie ihr. Die Gotteskraft zieht den besten Nutzen aus meinem Körper, das ist alles.

Ein weltlicher Mensch braucht alles. Wenn wir aber fortschreiten, lassen wir alles los. Zuletzt sagen wir: „Gibst Du, ist es gut, gibst Du nicht, macht es auch nichts.“ Das ist die letzte Stufe, die völlige Hingabe.

Frage: Wir beginnen, von Gott Dinge zu erbitten, aber wahres Gebet ist es, wenn wir alles Gott überlassen?

Antwort: Ja. „Ob Du gibst oder nicht, beides ist gut.“ Ich will ein Beispiel nennen. Es entspricht vielleicht nicht der Situation im Westen, aber es paßt für den Osten. Eine frischvermählte Frau zieht zu ihrem Ehemann. Zuerst sagt sie: „Ich will dies und ich will das.“ Das ist nur natürlich. Dann denkt sie: „Er liebt mich.“ Wenn eine Frau weiß, daß ihr Mann sie liebt, denkt sie: „Ich brauche dies. Gibt er es mir, ist es gut, wenn nicht, ist es auch gut.“ Sie schmollt nicht: „Du mußt es mir geben, sonst kann ich nicht weitermachen.“ Die erste Form des Gebets ist, wenn ich bitte: „Ich wünsche dies, ich wünsche jenes, bekomme ich es nicht, kann ich nicht beten, kann ich nicht leben. Gib uns unser tägliches Brot.“ Die Zeit kommt, in der die Frau erkennt: „Mein Mann liebt mich auch in Lumpen und zerrissenen Kleidern. Er sieht meine Lage und er kauft mir keine neuen Kleider, doch er muß mich wohl lieben. Wenn ihm diese Lumpen gefallen, ist es gut.“ Das ist das höchste Ziel. „Wenn er mich so haben möchte und es ihm gefällt, wenn er es weiß, es sieht und mir nichts gibt, heißt das, daß ich ihm so gefalle. Meine einzige Aufgabe liegt darin, ihm zu gefallen, nicht wahr?“ Das ist also das höchste Ziel. Dazwischen gibt es natürlich verschiedene Stufen.

Frage: De Osten hat das offensichtlich erreicht, aber im Westen wird das durch die Reklame erschwert. Die Ehefrau hört vielleicht etwas im Radio oder sieht etwas im Fernsehen und glaubt, sie müsse unbedingt diesen oder jenen Wunsch haben und ...

Antwort: Das ist eben am Anfang so. Als Mensch wünscht sich jeder etwas. Wenn aber eine Frau jemandem begegnet, der sie zur Lebensgefährtin erwählt, zur Gefährtin in guten und schlechten Tagen, dann sollte sie sein Wohlgefallen gewinnen.

Frage: Im Westen ist die Lage anders. Die sogenannte Emanzipation der Frau spielt eine große Rolle. Man hält nichts davon, sich dem Ehemann derart anzupassen, wie du es dargestellt hast.

Antwort: Streng genommen sollten Ehemann und Ehefrau die gleichen Rechte haben. Sie müssen eine Seele in zwei Körpern sein, andernfalls ist das Familienleben gestört. Gott hat sie aus karmischen Gründen zusammen-gefühlt. Meine Worte sind jetzt sehr streng und entsprechen den Grundsätzen. Stört euch das? Wenn eine Mann eine Frau heiratet und sie verlassen einander, spielt es keine Rolle, ob die Ehefrau oder der Ehemann erneut heiratet, sie sind beide Ehebrecher. Das waren die Worte von Moses. Aber wir vernachlässigen diese Gebote. Wirkliches Glück gibt es nur, wenn man während des ganzen Lebens einem Menschen zugeneigt bleibt. In Indien war das bekannt. Im Westen hingegen gibt es Scheidungsgerichte. Jeden Tag entsteht Ärger. „Gut, ich gehe“, sagt die Ehefrau oder der Ehemann. Wo bleibt der Frieden? Es gibt keinen Frieden. Seht sie euch nach sechs Jahren an. Ein Sohn wurde hier geboren, ein anderer dort. Wer hat das Recht auf diese Kinder? Darin liegt die Schwierigkeit. Indiens Stabilität der Familie war früher sprichwörtlich, doch diese Krankheit hat sich jetzt auch hier eingeschlichen. Geschiedene Leute meinen fortschrittlich zu sein, aber meiner Meinung nach erniedrigen sie sich, wenn sie so denken. So kann es keine dauerhaften Frieden, keine Eintracht, keine Lauterkeit geben. Könnt ihr mir folgen? Auch in Indien gibt es heute Scheidungsgerichte, zwar nicht viele, aber man beginnt, sie einzurichten. Zum Schaden der Nation. Ihr werdet feststellen, daß dieses Problem im Westen täglich auftritt. Es gibt sehr wenige, die ehrlich zueinander sind. Gott hat euch aufgrund von Rückwirkungen aus der Vergangenheit verbunden, deshalb überlaßt auch Gott die Trennung. Beide Partner sollten gleichberechtigt zusammenleben. Ehe bedeutet, eine Lebensgefährten zu haben,, der in Wohl und Weh während dieses irdischen Lebens bei uns ist. Wir sollten einander helfen Gott zu finden. Eine der Pflichten mag sein, Kinder zu zeugen. Aber wenn es zur Scheidung kommt, sagt jeder: „Das ist mein Sohn, du kannst den anderen behalten.“ Und dann gehen die Probleme weiter: Zuerst lebt ein Sohn bei seinem Vater, zwei Jahre später lebt er bei seiner Mutter. Verzeiht, wenn ich sage, daß das unverantwortlich ist. Scheidung ist eine Hauptursache der westlichen Probleme. Sie ist leider auch bis Indien vorgedrungen. Mit einigen Vorbehalten ist sie auch den Mohammedanern erlaubt: Möchte ein Mann die Scheidung einreichen, gibt er dies der Monate vorher bekannt und hat dann noch einmal sechs Monate Bedenkzeit. Das ist die Regel. Kann er sich mit seiner Ehefrau nicht aussöhnen, wird die Ehe nach etwa einem Jahr geschieden. Kommt die Scheidung zustande, zahlt der Mann. So weit ist es im Islam gekommen. Im Hinduismus war das früher nicht üblich. Mancher mag die Scheidung billigen, ich bin jedoch der Meinung, daß sich mit ihr ein Übel eingeschlichen hat. Wenn der Mensch weiß, daß er sich anpassen muß, dann wird er das auch tun. In meinen Briefen findet ihr den Rat: „Bitte versucht doch, euch anzupassen.“ Viele Paare haben wieder zueinander gefunden, nachdem sie die Scheidung eingereicht hatten und führen heute ein friedliches Leben. Wenn beide wissen, daß sie weitermachen müssen, renkt sich die Sache ein. Andernfalls geht der eine diesen Weg und der andere jenen Weg und damit gibt es kein friedliches Zuhause. Deshalb ist meine Aufforderung: „Seid höflich zu eurer Frau, seid wahrhaftig und liebevoll, paßt euch an und beherrscht euch.“ Den Ehefrauen sage ich: „Wenn dein Ehemann dich nicht mag, so mußt du trotzdem aufrichtig und ehrlich bleiben.“ In vielen Fällen habe ich gesehen, wie Paare zu einem normalen Leben zurückgefunden haben. Versucht also täglich, euch anzupassen.
Ein junger Mann heiratet, wie das oft geschieht. Nach zwei Jahren läßt er sich scheiden. Er nimmt eine andere Frau und die Frau nimmt einen anderen Mann. Nach zwei weiteren Jahren wird er wieder geschieden und jedesmal, wenn er wieder heiratet, muß er wieder die Rolle des jungen Mannes übernehmen. So kommt er nie aus dem Sinnenleben heraus. Ich erkläre euch jetzt den spirituellen Gesichtspunkt: Wer geschieden ist und wieder heiratet, ist ein Ehebrecher. Man kann nicht einfach alles als gut oder böse abstempeln. Wir müssen jedoch einen Weg einschlagen, der mehr Gutes als Böses bringt. Verheiratete Paare sollten sich sagen: „Wir beide müssen irgendwie weitermachen, wir haben uns noch nicht angepaßt. Wir wollen versuchen, uns anzupassen.“ Wenn aber ein Partner mit Scheidung droht, dann will sich der andere oft rächen. Aber das ist kein Weg, denn es herrscht kein Frieden, solange solche häßlichen Gedanken im Gehirn herumspuken. Ich sehe das von der praktischen Seite. Einmal hatte ich einen sehr langen Briefwechsel zu diesem Thema. Hin und wieder gibt es Fälle von hoffnungslosen Ehen, aber das ist sehr selten. Heute kann jeder unter einem Vorwand sagen: „Ich verlasse dich.“ Wie kann man aber gleichzeitig zwei Männer oder Frauen lieben? Darüber hinaus gibt es schließlich Verpflichtungen. Das ist keine tiefe Philosophie, sondern nur gesunder Menschenverstand. Jedenfalls würde so mehr Frieden herrschen. Wer mich darüber gefragt hat, hat seine Meinung geändert. Für den, der sich bereits hat scheiden lassen, war es zu spät, aber die, die sich erst scheiden lassen wollten, haben sich die Situation noch mal überlegt und führen heute ein friedliches Leben.

Ich gebe euch ein Beispiel: Wenn ihr einen einzelnen Armreif tragt, aus Eisen oder aus Gold, entsteht kein Geräusch. Tragt ihr aber zwei oder drei, klimpern sie immer! Wo kann ein Herz, das an vielen Orten hängt, Ruhe finden? Einmal wird es in die eine, dann in die andere Richtung getrieben. Das ist eine sehr wichtige, sehr ernste Frage, die man beachten muß. Leider hat sich das Übel der Scheidung auch in Indien eingeschlichen. Schon jetzt betrifft es, glaube ich, zehn Prozent aller Ehen. Wenn eine Sitte einmal einreißt, bleibt es so. Wenn einmal damit begonnen wurde, wird damit der Zeit alles verdorben. Was die Familienplanung betrifft, so hat Indien heute die höchste Geburtenrate.

Frage: In Indien sieht man überall Plakate, die für Familienplanung werben. Billigst du das?

Antwort: Offen gesagt, nein. Es wäre besser, Enthaltsamkeit und Keuschheit zu üben. Das wäre wirklich viel wert. Aber heute wird alles verdorben. Ich bin nicht für Familienplanung. Die sexuelle Kraft zu bewahren, hilft euch physisch, intellektuell und spirituell. Ich habe eine Spalte in das Tagebuch aufgenommen für Keuschheit in Gedanken, Worten und Taten. Zu diesem Punkt habe ich klar gesagt, was ich meine ...

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