SANT KIRPAL SINGH Das Leben und die Lehren von Babaji Jaimal Singh
Dem Allmächtigen Gott
gewidmet, der durch alle Meister
wirkt, die gekommen sind, und Baba Sawan Singh Ji
Maharaj, zu dessen Lotosfüßen der
Verfasser das Heilige Naam - das Wort
- aufnahm Diese Musik geht von einer
transzendenten Ebene im Innern aus Und wird von einem
Soldaten-Heiligen aufgefangen. I Die große Tradition Der Gottespfad Der Weg zurück zu Gott ist nicht des Menschen,
sondern Gottes Werk und daher frei von allem Künstlichen und Unnatürlichen.
Gott zieht den Menschen durch Seinen Auserwählten, den Gottmenschen, zu sich,
dem das Geheimnis des Pfades (des Gottespfades) durch einen Sant Satguru zum
Segen der Menschen direkt enthüllt und offenbart wird. Die Meister, Erlöser, Lehrer und Propheten der
ganzen Welt werden in zwei Gruppen eingeteilt, von denen jede eine gesonderte
Mission zu erfüllen hat. Die einen haben allein zum Ziel, die Welt harmonisch
in Gang zu halten, während die anderen beauftragt sind, die Seelen
zurückzuführen, die reif sind heimzugehen und danach Verlangen tragen, bald zu
der spirituellen Quelle zu kommen, von der sie sich vor langer Zeit getrennt
hatten und nach unten, auf die materielle Ebene, abgetrieben wurden. Zur ersten
Kategorie gehören alle Reformer, zur zweiten solche Sants und Sadhs, die
kompetent sind, Wissen von Gott zu geben und die Kraft Gottes im Menschen zu
offenbaren. Der Prozeß des Aufstiegs zurück zur Quelle ist die genaue Umkehrung
des Abstiegs zur physischen Ebene. Man muß sich deshalb wieder vervollkommnen,
seine umherschweifenden Sinne am stillen Punkt der Seele zwischen und hinter
den beiden Augen, so sich Zeit und Zeitlosigkeit berühren, sammeln, ehe der
Geist zu sich kommt und sich für die innere Heimreise auf das Meer des Lebens
begibt. Dies ist in der Tat immer das Thema aller Weisen und Seher gewesen.
Keiner von ihnen hatte jedoch den Wunsch, eine neue Glaubensrichtung oder
religiöse Organisation zu gründen. Indem er auf die Existenz der vielen
Religionen mit ihrer Fülle verwirrender Theorien und einander widersprechender
Dogmen hinwies, pflegte Hazoor Baba Sawan Ji Maharaj zu bemerken: “ es gibt
schon so viele Brunnen überall; warum sollte man noch mehr Fallgruben ausheben
und die Verwirrung dadurch nur schlimmer machen? “ Gott schuf den Menschen Ihm zum Bilde; und der
Mensch brachte die Religionen hervor, jede nach seinem eigenen Bilde, und
machte in seinem Eifer aus allen einen Fetisch. Wahre Religion ist in ihren
Anfängen rein und einfach wie ein neugeborenes Kind, das von Leben überschäumt;
aber im Laufe der Zeit wird sie wie alles andere zu einer Institution und beginnt
dadurch ihren Wert einzubüßen. Sie verliert ihre ursprüngliche, vitale
Elastizität, die aus der lebendigen Verbindung mit dem Meister-Geist
hervorging, und nimmt allmählich einen gesellschaftlich-ökonomischen Charakter
an. Statt ein seidenes Band der Liebe zwischen den Menschen zu sein, wird sie
zur Quelle beständigen Streits, der Erbitterung und Mißgunst und trennt
Klassen, Länder und Völker. Wenn dann der Becher menschlichen Elends bis zum
Rande gefüllt ist, kommt der Retter mit der Botschaft der Hoffnung, Erlösung
und Erfüllung für die zerrissene Menschheit. Er sucht die schwärenden sozialen
Wunden zu verbinden und lehrt den Menschen die Einheit und Ebenbürtigkeit, um
das Gleichgewicht auf der Skala der menschlichen Werte wiederherzustellen.
Darüber hinaus ist es sein Hauptziel, die menschlichen Seelen einem höheren
Zweck zuzuführen, dem wahren Leben des Geistes, das sich von dem des Fleisches
unterscheidet. Dies war in der Tat auch das Ziel von großen Meistern wie
Zoroaster, Mahavira, Buddha, Christus, Mohammed, Kabir und Nanak zu ihrer
jeweiligen Zeit, gemäß den damals vorherrschenden Bedingungen und dem Verlangen
der Menschen; denn sie sind immer bemüht, sie auf dem Wege des geringsten
Widerstandes zu leiten, und vermitteln die grundlegende Güte in Worten, die
leicht auf ihren geistigen Entwicklungsstand Einfluß haben und geeignet sind,
einen Schritt weiterzuhelfen im Entwicklungsprozeß oder der Entfaltung des
Geistes. Dies tun sie für die Menschheit allgemein, indem sie ihre Inspiration
aus der unerschöpflichen Quelle des Geistes im Innern ziehen, die für alle
diesselbe ist.
Das reiche Erbe Im religiösen Denken des modernen Indien ist die
Periode von der Mitte des vierzehnten bis zur Mitte des fünfzehnten
Jahrhunderts von überragender Bedeutung. Es ist eine Ära, in welcher der
Versuch gemacht wurde, die Religion den Bedürfnissen der Zeit neu anzupassen
und sie in ihrer einfachsten Form, der Form wahren Glaubens, allumfassender
Liebe und aufrichtiger Ergebenheit, zu lehren, im Gegensatz zur Strenge des
priesterlichen Ritualismus und Fanatismus, die zu Intoleranz und Bigotterie
führen. Zu den großen Lehrern dieser Epoche gehören Persönlichkeiten wie
Ramananda und seine Hauptschüler, die verschiedener Herkunft waren (Raja Pipa;
Ravidas, ein Schuster; Saina, ein Barbier; Kabir, eine Weber; Dhanna, ein
Soldat; Narhari, Sukha Padmavati, Sursura und seine Frau usw.); Vallabhacharya,
der bekannte Vertreter des Krishna-Kults; Chaitanya Mahaprabhu aus Nadia in
Bengalen mit seiner charakteristischen Betonung von Hari-bhole (den Namen des
Herrn preisen); Namdev,der Kattundrucker in Maharashtra, und die großen
Heiligen Kabir und Nanak im Norden. Keiner von ihnen legte besonderen Wert auf
Idol-Verehrung oder die Beachtung äußerer religiöser Formen und Symbole.
Selbstreinigung, Liebe und inneres Verlangen waren ihre ständigen Themen. Namdev sagte: Die
Liebe für ihn, der mein Herz erfüllt, soll
niemals enden; Nama
hat sein Herz dem wahren Namen geweiht.
Gleich der Liebe zwischen einem Kind und
seiner Mutter ist
meine Seele von Gott durchdrungen. Ebenso sagt Kabir: Es
ist unnötig, einen Heiligen zu fragen,
welchem Stand er angehört; Der
Barbier wie der Waschmann haben Gott gesucht und
ebenso der Zimmermann; auch
Ravidas suchte nach Ihm. Der
Rishi Swapacha war Gerber von Beruf.
Hindus und Moslems haben das Ziel
erreicht, wo kein Merkmal eines Unterschiedes bleibt. Ferner erklärt er: Nicht
durch Fasten, Aufsagen von Gebeten und das
Glaubensbekenntnis kommt man in den Himmel. Der
innere Schleier des Tempels von Mekka ist
im Herzen des Menschen, wenn die Wahrheit
erkannt wird. Und Guru Nanak sagte:
Inmitten der Unreinheit der Welt halte am
Reinen fest; so findest du den Weg zur Religion. Diese Bewegung erlangte jedoch die höchsten Höhen
unter der Führung Kabirs (1398-1518) und seines jüngeren Zeitgenossen Nanaks
(1469-1539). Beide erhoben sich über die Fesseln der Welt, überschritten die
religiösen Barrieren und wurden so von Hindus und Moslems gleicherweise
verehrt. Mittelpunkt ihrer Lehren war Gott, der Mensch und die Beziehung
zwischen beiden. Sie waren Vertreter des Surat Shabd Yoga (Yoga des Tonstroms
oder der Verbindung mit dem Heiligen Wort), und ihre Schriften rühmen ihn als
die Krone des Lebens. Wenn wir den Wesenskern einer der religiösen Lehren in
ihrer ursprünglichen Reinheit und Wahrheit studieren würden, so wie er in den
Aussprüchen der Meister dargelegt, von ihnen selbst tatsächlich praktiziert und
ihren auserwählten Schülern - den Gurmukhs oder Aposteln - weitergegeben wurde,
dann erkennen wir zweifellos, daß sie alle in der einen oder anderen Form
Ergebene des transzendenten Hörens und Sehens waren, ganz gleich auf welcher
Stufe. Den Laien freilich vermitteln sie ihre subtilen
Gedanken nur in Gleichnissen, da sie anders ihre subtilen Lehren gar nicht
anhören, geschweige dann verstehen würden. Solche Weltlehrer dienen als
Leitstern auf dem stürmischen Meer des Lebens, und sie suchen die Menschen aus
der Mühsal im Treibsand der Zeit zu erretten. Als Kinder des Lichts kommen sie
in die Welt, um die Finsternis der Seele zu vertreiben, und werden darum Guru
genannt: der die Finsternis zerstreut, eine aus Unwissenheit über die wahren
Werte des Lebens geborene Finsternis. Sie haben grenzenlose Liebe für alle
Religionen und ihre Oberhäupter und gleiche Achtung für alle heiligen
Schriften. Ihre Herde ist universaler Art; sie umfaßt in einem weiteren Rahmen
die ganze Menschheit in all ihren mannigfaltigen Farben und Formen und sättigt
sie gleichermaßen mit der Liebe Gottes. In diesem Zusammenhang sagt Kabir: Alle unsere Weisen sind der Verehrung
würdig, doch meine Ergebenheit gehört einem, der das Wort gemeistert hat. Weiter sagt er uns, daß er sich mit seiner
göttlichen Botschaft von Zeit zu Zeit zum Wohle der Menschheit inkarniert habe.
Er kam in allen vier Yugas oder Zeitzyklen, zuerst als Sat Sukrat, dann als
Karna Mai, danach als Maninder und schließlich als Kabir im Kali Yuga, der
gegenwärtigen Zeitspanne. Auch Guru Nanak läßt uns immer wieder wissen, welche
große Bedeutung und überragende Wirksamkeit die Methode des Surat Shabd Yoga
als Mittel zur Erlösung hat. Wie sich die Lotosblume über den schlammigen Teich
erhebt oder der königliche Schwan sich trocken aus dem Wasser emporschwingt, so
überquert man durch die Verbindung mit dem Wort unversehrt das schreckliche
Meer des Lebens. Das ist kurz die erhabene Botschaft, die seit Beginn
der Schöpfung zu uns herabkommt und den Pfad zu Gott rühmt. Alle indischen
Heiligen und viele christliche Mystiker praktizierten die innere Wissenschaft
und verbanden menschliche Seelen mit der rettenden Lebensschnur im Innern 1).
Immer wieder, wenn die Menschen die Wirklichkeit vergessen, nimmt die Gnade
Gottes einen menschlichen Körper an und wird dann Heiliger genannt, der die
irrende Menschheit auf den altehrwürdigen, ewigen Pfad führt. Es ist ein Vorrecht, das vom Höchsten gewährt und
Seinem Geheiß entsprechend weitergegeben wird. “ Der Wind bläst, wo er will “, und niemand kann
irgendwelche Regeln der Nachfolge, den Ort oder die Zeit festlegen oder
vorhersagen. Diese reiche Erbschaft geht von Auge zu Auge und läßt sich weder
an die üblichen “Gaddis”, die
sogenannten heiligen Stätten oder Orte, binden, noch ist sie von menschlicher
Anerkennung, weltlicher oder geistiger Art, abhängig. Guru Nanak, der seinen
Sitz in Kartarpur hatte, gab sein spirituelles Erbe an Bhai Lehna weiter, der
als Guru Angad nach Khadur Sahib ging, während sein Nachfolger, Guru Amar Das,
seinen Sitz nach Goindwal verlegen mußte. Durch Guru Amar Das entstand Amritsar
und wurde später zum Zentrum von Guru Arjan. So können wir sehen, daß den Orten an sich nichts
Besonderes eigen ist. Sie verdanken ihre Heiligkeit dem heiligenden Einfluß der
Gottmenschen, die sich während ihrer Lebenszeit an dem einen oder anderen Ort
aufhielten. “ Alles ist heilig, wo man in Hingabe kniet. “ Nicht die Orte
bringen den Menschen Ehre, sondern die Menschen den Orten. Der Strom des Lebens fließt unaufhörlich weiter im
endlosen Lauf der Zeit; die Kraft des Zeitlosen erscheint und schwindet im
Bereich der Relativität. Bevor wir mit der Lebensgeschichte von Baba Jaimal
Singh fortfahren, lohnt es sich, einen Blick auf den Hintergrund zu tun, der
ihn zu dem machte, der er war. Es ist in der Tat die Kraft von Soamiji, die ihn
bei allem, was er tat, und wo immer er wirkte, durchströmte, denn er war gänzlich
in sich vertieft und dem Göttlichen in sich hingegeben. Um die Dinge in ihrer rechten Perspektive zu
verstehen und die Geschichte unseres spirituellen Erbes damit zu verbinden,
müssen wir bis Guru Gobind Singh zurückgehen, dem letzten der zehn Gurus in der Nachfolge von Guru Nanak. Die Rani (Königin) eines Ratan Rao Peshwa kam, von
Bhai Nand Lal begleitet, zu den Füßen Guru Gobind Singhs, um bei ihm Zuflucht
zu suchen.²) Guru Gobind Singh reiste weit umher von den
Himalayas im Norden bis zum Dekken im Süden. Während seiner ausgedehnten Reisen begegnete er der
Herrscherfamilie der Peshwas, lebte bei ihr und weihte einige ihrer Angehörigen
in die innere Wissenschaft ein. Es heißt, daß ein Ratnagar Rao der
Peshwa-Familie initiiert wurde und den Auftrag erhielt, das Werk Guru Gobind
Singhs fortzusetzen. Sham Rao Peshwa, der ältere Bruder von Baji Rao
Peshwa, dem damaligen Regierungsoberhaupt, der mit Ratnagar Rao Verbindung
aufgenommen haben muß, zeigt eine bemerkenswerte Eignung für den spirituellen
Pfad und kam rasch vorwärts. Im Laufe der Zeit siedelte sich dieser junge
Nachkomme der königlichen Familie in Hathras an, einer dreißig Meilen von Agra
entfernten Stadt in Uttar Pradesh, und wurde dort als Tulsi Sahib (1763-1843)
bekannt, der berühmte Verfasser des Ghat Ramayana, der Wissenschaft des inneren
Lebensprinzips, das Mensch und Natur gleicherweise durchdringt. Die viva
Lampada (das lebendige Licht) der Spriritualität wurde von Tulsi Sahib an Soami
Shiv Dayal Singh Ji (1818-1878) weitergegeben. Die Verbindung zwischen Tulsi Sahib und Soamiji von
Agra wird leicht übersehen, aber es gibt kaum einen Zweifel daran. Aus dem
handschriftlichen Bericht von Baba Surain Singh, dem Jivan Chariter Soamiji
Maharaj von Chacha Partap Singh und dem Buch Correspondence with Certain
Americans von Shri S.D. Maheshwari erfahren wir, daß Soamijis Eltern Schüler
des Heiligen von Hathras waren, ihn häufig in seinem Heim aufsuchten, um seinen
Darshan zu haben, und seine Reden hörten, wann immer er nach Agra kam. Er war
es, der den Söhnen von Lala Dilwali Singh Seth ihre Namen gab, nämlich Shiv
Dayal Singh, Brindaban und Partap Singh. Vor der Geburt des ältesten Kindes
prophezeite er, daß sich in ihrem Haus ein großer Heiliger offenbaren werde;
und nach der Geburt sagte er den Eltern, daß sie nicht länger nach Hathras zu
kommen brauchten, da der Allmächtige Herr nun in ihrer Mitte sei.³) Der Heilige von Hathras war eifrig und lebhaft daran
interessiert, Soamijis Leben nach seiner eigenen Art zu formen. Er initiierte
das Kind in sehr jungen Jahren, und Soamiji sagte seinen Schülern in den
letzten Tagen seines Lebens, daß er die innere Wissenschaft mit seinem sechsten
Lebensjahr ausübe.4)
Soamijis Verehrung für den Heiligen von Hathras geht
aus seinem Leben klar und deutlich hervor. Er achtete die Schüler Tulsi Sahibs sehr und ehrte
unter ihnen besonders den Sadhu Girdhari Das, den er in seinen letzten Jahren
unterstützte. Als der Sadhu einmal in Lucknow krank wurde, eilte Soamiji aus
Agar herbei und half ihm, die Verbindung mit dem inneren Tonstrom, die er
vermutlich aufgrund alten Karmas verloren hatte, vor seinem Ableben
wiederzuerlangen.5) Des weiteren nannte Soamiji seinen Anhängern häufig
Beispiele aus dem Leben seines großen Vorgängers, um ihnen die Bedeutung von
Tugenden wie Geduld, Nachsicht, Vergebung und Gottesfurcht nahezubringen.6) Vor seinem Hinscheiden im Jahre 1843 hinterließ
Tulsi Sahib sein spirituelles Erbe Soamiji. Sechs Monate lang war Tulsi Sahib im Zustand des
Samadhi (spirituelle Ekstase) in das göttliche Bewußtsein vertieft. Erst
nachdem Soamiji ihn besucht hatte, verließ er seine sterbliche Hülle. Baba Garib Das, einer der ersten Schüler Tulsi
Sahibs, bestätigte, daß der spirituelle Mantel von seinem Meister an Munshi Ji
(wie Soamiji damals wegen seiner umfassenden Kenntnis des Persischen genannt
wurde) übergegangen sei.7) Soamiji verbrachte fünfzehn Jahre seines Lebens in einem
kleinen Raum in nahezu unaufhörlichem Abhyasa (spirituelle Übung). Auch nachdem
Tulsi Sahib nicht mehr war, besuchte Soamiji weiterhin Hathras, um das Andenken
seines Lehrers zu ehren. Bei einem solchen Besuch in Hathras war, wie uns
berichtet wird, die Hitze so groß, daß ihn seine Schüler Rai Saligram und Baba
Jiwan Lal das letzte Stück der Reise zwischen sich nehmen mußten, da kein
Transportmittel verfügbar und der Weg sehr uneben war.8) Die Hochachtung, die Soamiji dem Granth Sahib
entgegenbrachte, welcher die Lehren Guru Nanaks und seiner Nachfolger enthält,
scheint letztlich auf einer Familientradition beruht zu haben. Das Vorlesen aus den Sikh-Schriften war in der
Familie eine Glaubenssache. Sein Vater, Lala Dilwali Singh (ein Sahejdhari
khatri Sikh und Nanak Panti), liebte das Jap Ji, den Raho Ras und Sukhmani
(Sikh-Schriften) sehr, die er täglich mit großer religiöser Inbrunst und tiefer
Verehrung las. Eine Kopie des Sukhmani in persischer Schrift, aus der Hand von
Soamijis Großvater, Seth Maluk Chand, dem zeitweiligen Diwan des Staates
Dholpur, wird noch in den Archiven des Soamibagh aufbewahrt.9) So durchdrang der Geist von Sant Mat Soamijis ganzes
Sein. In späteren Jahren hat Soamiji zumindest bei einer Gelegenheit, als er in
seinem Haus im Punni Gali des Jap Ji erörterte deutlich anerkannt, was er dem
Punjab spirituell verdankte, und dabei auf Guru Nanak und seine Nachfolger als
Quelle der Spiritualität hingewiesen wie auch auf Paltu Sahib und Tulsi Sahib,
die späteren großen Vertreter der inneren Wissenschaft. Mit dieser Begebenheit
werden wir uns befassen, wenn wir im folgenden Kapitel das Leben Baba Jaimal
Singhs zurückverfolgen. Sein jüngerer Bruder, Rai Brindaban Singh, ein
Postmeister in Ajodhia, war ein getreuer Schüler von Baba Madhodas aus Mahant
Dera Rano Pali in Adjodhia. Wie sein älterer Bruder Shiv Dayal Singh glaubte er
fest an den Gurbani und schätzte ihn sehr. Er war beständig in liebevolles
Gedenken an den Herrn (Bishambar) vertieft und rühmte Ihn in schönen Versen,
wie man aus seinen Werken unter dem Titel Wah-e-Guru-Nama in seinem Urdu-Buch
Bahar-i-Brindaban ersehen kann.10)
O Brindaban, laß alles andere beiseite und übe den Japa des großen Namens Wah-e-Guru ! Dies wird dir nicht nur Körper, Gemüt und
Seele reinigen, sondern auch Erlösung, Frieden
und Glückseligkeit bringen.
Wir erfahren außerdem, daß zu der Zeit, als Lala
Dilwali Singhs Ende nahte, sein Sohn Shiv Dayal Singh (Soamiji) bei ihm saß und
den Gurbani aufzusagen begann, um die Aufmerksamkeit seines Vaters in dieser
entscheidenden Stunde darauf gerichtet zu halten. Indem er sich auf Baba Bhola Singhs Radhasoami Mat
Darpan stützt, berichtet uns Giani Partap Singh in seiner Abhandlung über die
Weltreligionen 11), wie Soamiji im Laufe der Zeit ein häufiger Besucher des
Sikh-Heiligtums von Mai Than in Agra wurde, zum Gedenken an den Besuch des
neunten Gurus, Tegh Bahadur, wo Sant Mauj Parkash, ursprünglich als Didar Singh
des Nirmala-Ordens und als großer Sanskrit-Gelehrter bekannt, den Sinn des
Gurbani oder der Sikh-Schriften klar erläutert hat. Aufgrund seiner engen
Verbindung Mit Sant Mauj Parkash studierte Soamiji den Gurbani und seine
Bedeutung für den Surat Shabd Yoga und begann diese heilige Stätte für seine
Vorträge über den Gurbani zu nutzen. In
seinem Lebensbild hat Chacha Partap Singh einen solchen Vortrag mit
begeisterten Worten anschaulich beschrieben:
Es war ungefähr 8 Uhr morgens, als Maharaj eines Tages
zum Gurdawara in Mai Than ging. Nachdem er einen oder
zwei Verse aus dem Granth Sahib vorgetragen hatte, fing er
an, ihre Bedeutung zu klären. Mit einer vollen und sonoren
Stimme schienen die erhabenen Gedanken aus ihm herauszu-
fließen wie endlose Wogen einer unerschöpflichen inneren
Quelle. Ich war so überwältigt durch die Kraft seiner Worte,
daß ich mich plötzlich über den Körper und seine Umgebung
hinausgehoben fühlte, allem verloren, was von dieser Welt
war. Seit jenem Tag war ich ein ganz neuer Mensch und emp-
fand ein starkes Verlangen nach dem Göttlichen, völlig über-
zeugt von der Größe Soamijis und seiner heiligen Mission.12) Nach einiger Zeit verlegte Soamiji den Treffpunkt
für seine Lehrgespräche in seine Privatwohnung im Punni Gali und setzte seine
Vorträge aus dem Granth Sahib fort (die Kopie des von ihm benutzten Buches
brachte Hazoor Sawan Singh aus Agra mit, und sie wird weiter in den Archiven
der Dera Baba Jaimal Singh in Beas, Punjab, aufbewahrt). Diese Einrichtung,
private Versammlungen in seinem Heim abzuhalten, behielt er für lange Zeit bei,
doch am Basant-Panchmi-Tag im Jahre 1861 wurden die Schleusentore des Surat
Shabd Yoga, wie er in diesem Zeitalter von Kabir und seinem Zeitgenossen Guru
Nanak neu belebt und von seinem Nachfolgern im Gurbani fest verankert wurde,
für die Allgemeinheit aufgetan. Damit nicht irgendein Zweifel in skeptischen
Gemütern verblieb, machte Soamiji, der bis zuletzt die Initiation in das
Geheimnis der fünftönigen Melodie (Panch Shabd Dhun-kar Dhun) gegeben hat,
bedeutsamer Weise am letzten Tag vor seinem Weggang von der irdischen Ebene
seinen Standpunkt über jeden Zweifel erhaben deutlich, indem er erklärte:
Mein Pfad war der von Sat Naam und Anami Naam.
Der Radhasoami-Glaube stammt von Saligram,
doch laßt auch ihn gelten. Und laßt den Satsang
wachsen und gedeihen. Unter Soamijis vertrauten und ergebenen Schülern war
Rai Saligram Sahib Bahadur - in späterer Zeit allgemein als Hazur Maharaj
bekannt, nachdem er die spirituelle Leitung übernommen hatte. Während Hazur Maharaj nach dem Hinscheiden von
Soamiji die Vorträge im Pipal Mandi im Zuentrum Agras weiterführte, leitete
Partap Singh, der jüngere Bruder Soamijis, der allgemein Chacha Sahib
(verehrter Onkel) genannt wurde, das Werk im Radhasoami-Garten, drei Meilen von
Agra entfernt. Ein anderer Schüler, Baba Jaimal Singh Ji, einer der
ersten und spirituell fortgeschrittensten Schüler Soamijis, ließ sich, wie es
der große Meister selbst bestimmt hatte, in Beas im Punjab nieder, um das
spirituelle Werk wiederzubeleben und bis zu einem gewissen Grad zu begleichen,
was die Welt Guru Nanak schuldig war. Wir wollen nun Leben und Werk dieses
hervorragenden spirituellen Sohnes von Soamiji einer genaueren Betrachtung
unterziehen. II EINE KURZE BIOGRAPHIE VON
BABAJI Die frühen Jahre Baba Jaimal Singh wurde 1838 in Ghuman, einem Dorf
im Distrikt Gurdaspur des Punjab, in einer Bauernfamilie frommer Sikhs geboren.
Ghuman war ein Dorf wie jedes andere in dieser Gegend. Wenn es sich in irdendeiner Weise von den anderen
unterschied, so nur durch eine heilige Stätte, die sich dort befand und die als
Dera Baba Namdev, der vor vielen Jahrhunderten in diesem Dorf seine letzten
Tage zugebracht hatte. Als der Heilige dorthin kam und in dem Tempel beten
wollte, wurde ihm, wie die Legende berichtet, der Zutritt verwehrt, weil er
nicht derselben Kaste angehörte. Davon unbeirrt, ging er zur Rückseite des
Tempels, setzte sich nieder und war bald in Samadhi versunken. Der Herr,
ungehalten über die Schmach, die seinem Jünger angetan wurde, wandte die
Vorderseite des Tempels dem Platz zu, an dem sich Namdev niedergelassen hatte;
worauf ihm alle Priester und Brahmanen zu Füßen fielen und um Vergebung baten.
Seit jenem Tag soll das Dorf den Namen “Ghuman” erhalten haben, ein
Punjabi-Wort, das “herumdrehen” bedeutet. Die Dorfbevölkerung besuchte die
heilige Stätte, um ihre Ergebenheit zu bekunden, und viele wandernde Sadhus
kamen zur Huldigung des großen Weisen dorthin. Bhai Jodh Singh und Bibi Daya
Kaur, die Eltern Jaimals, waren ebenfalls häufige Besucher, und seine Mutter
betete bei dieser Gelegenheit des öfteren um einen gottesfürchtigen Sohn. Große
Seelen kommen selten unangekündigt, und eines Nachts hatte Bibi Daya Kaur im
Traum den Besuch des großen Namdev, der sie wissen ließ, daß ihre Gebete erhört
worden seien; und zehn Monate später wurde Jaimal zur großen Freude der Familie
und unter häuslicher Festlichkeit geboren. Die Geschichte eines Heiligen ist die Geschichte von
der Pilgerfahrt einer Seele. Es ist ein Bericht, der, um spirituell vollständig
zu sein, unzählige Jahre und zahllose Lebensläufe umfaßt. Die letzte
Erleuchtung mag als eine plötzliche erscheinen, aber ihre vorbereitenden Stufen
sind mühsam und ziehen sich lange hin. Wie Buddha und Jesus zeigte Jaimal von
klein auf eine bemerkenswerte spirituelle Frühreife.
Wenn er mit seinen Eltern die Stätte Baba Namdevs
besuchte, setzte er sich, ungleich anderen Kindern seines Alters, ruhig und
aufmerksam hin, und schon mit drei Jahren konnte er viele Verse aufsagen, die
er bei spirituellen Vorträgen gehört hatte. Die Dorfbewohner wunderten sich
über seine erstaunliche Begabung. Bald erhielt er den Kosenamen Bal-Sadh oder
“kleiner Heiliger”, und seine ländlichen Verehrer drängten die Eltern, ihm die
Möglichkeit einer guten Bildung zu geben. Als Jaimal fünf Jahre alt war, wurde er der Aufsicht
von Bhai Khem Das anvertraut, einem in der Nähe lebenden gelehrten Vedantisten.
Zu jener Zeit war die Erziehung in Indien keine Berufsausbildung. Sie war vor allem eine geistige und spirituelle
Schulung, die auf dem Studium der heiligen Schriften beruhte. Das Kind zeigte
eine große Befähigung dafür und beherrschte bald die Gurmukhi-Schrift.
Innerhalb eines Jahres hatte Jaimal den Punj Granthi, die fünf grundlegenden
Sikh-Schriften, sorgfältig gelesen, darunter das Jap Ji, den Sukhmani Sahib und
Raho Ras. In weiteren sechs Monaten kannte er die Hauptteile dieser
spirituellen Schätze auswendig, und im Alter von sieben Jahren war er zu einem
ausgezeichneten Pathi herangewachsen oder einem, der die Schriften auf
melodische Weise mit berufener Meisterschaft vortragen konnte. Das Jahr darauf
galt dem Studium des Dasam Granth, der vom letzten Sikh-Guru zusammengetragenen
Schriften. Jaimal zeigte große Achtung für seinen Lehrer, der über den Fleiß
und den raschen Fortschritt des Jungen sehr erfreut war. Die beiden verbrachten
viele Stunden zusammen, und Jaimal hörte Bhai Khem Das mit großer
Aufmerksamkeit zu. Sein Wissensdurst war nicht zu stillen, und das Lesen der
Schriften feuerte seine
Vorstellungskraft noch mehr an. Eines Tages nahm er das Jap Ji zur Hand und
begann daraus die zwanzigste Strophe vorzutragen. Nachdem er geendet hatte,
wandete er sich an seinen Lehrer und fragte: “Herr, was bedeutet Naam, von dem
Guru Nanak sagte: <Ist das Gemüt durch die Sünden unrein geworden, kann es
nur durch die Verbindung mit Naam wieder rein werden> und das alle anderen
Großen im übrigen Granth Sahib mit solchen Lobpreisungen besungen haben?” Khem
Das war von dem forschenden und unterscheidenden Geist seines Schülers sehr
beeindruckt, jedoch nicht in der Lage, ihm in diesem Punkt Auskunft zu geben,
weil er selbst mit dem Geheimnis von Naam nicht vertraut war. Einen Tag später, als Bhai Jodh Singh sah, daß sein
nunmehr achtjähriger Sohn alt genug war, ihm zu helfen, ging er in der
traditionellen Kleidung und mit einem Silberstück als Gabe zu seinem Lehrer.
Nachdem er ihm dieses zu Füßen gelegt hatte, bat er darum, Jaimal von seinen
Studien zu befreien, damit dieser seine Ziegenherde hüten könne. Khem Das erhob
keinen Einspruch: “Er ist Euer Sohn, und ihr mögt über ihn verfügen, wie ihr es
für richtig haltet.” Aber sein Schützling konnte ihm nicht so einfach Lebewohl
sagen. “Herr”, versicherte er, “ich werde den ganzen Tag für meinen Vater
arbeiten, aber abends werde ich zu Euch kommen, um die Studien fortzusetzen.” Jaimal blieb seinem Wort treu und hielt die
Gemeinschaft mit seinem kundigen Lehrer ununterbrochen aufrecht. Stolz auf die
Beharrlichkeit und Frömmigkeit seines Schülers, führte ihn Khem Das in den Japa
des Sohang ein, den er selbst übte. Lange vor Tagesanbruch stand der Junge auf,
nahm ein Bad, las in den heiligen Schriften und setzte sich zur Meditation.
Danach führte er seine Ziegen auf die Weide. Seine jungen Freunde bemerkten
bald, daß er, während die Ziegen auf der Wiese grasten, nicht müßig war,
sondern heilige Texte las und aufsagte und oftmals mit bekreuzten Beinen dasaß
und meditierte. Bei Sonnenuntergang kehrte er mit seiner Herde zurück, nahm
etwas Milch und andere Nahrung zu sich, um danach zu seinem Lehrer zu gehen.
Dort saß er aufmerksam und lernte, wie die Schriften zu lesen und darzulegen
waren. Als er den Granth Sahib gemeistert hatte, lernte er im Alter von neun
Jahren Hindi und nahm das Studium der Hindu-Schriften auf. Nach dieser Arbeit
besuchte er die heilige Stätte von Namdev und kehrte erst spät in der Nacht
heim. Wenn er abends fort war, saß er oft in Meditation versunken, und dies so
sehr, daß er einmal eine ganze Nacht meditierte und seine Eltern aufgeregt im
ganzen Dorf nach ihm suchten. Dieses intensive Streben blieb nicht unbelohnt,
und einmal erzählte der Junge seinem Lehrer, daß er Sterne und den Mond im
Innern sehe und das Aufblitzen eines Lichts - die erste spirituelle Erfahrung
der Mystiker-Seele.
Bhai Jodh Singh war weit davon entfernt, mit den
unweltlichen Wegen seines ältesten Sohnes zufrieden zu sein. Wie religiös
gesinnt ein Mensch auch immer sein mag, so ist er doch selten glücklich, wenn
er sieht, daß sich sein Sohn zu einem Entsagenden entwickelt. Jaimal wuchs
heran, aber statt an den familiären Dingen Interesse zu haben, gingen seine
Bestrebungen in die entgegengesetzte Richtung. Er brachte nicht nur einen großen Teil seiner Zeit
mit dem Studium der heiligen Schriften, dem Ausüben spiritueller Praktiken und
den Besuchen bei seinem Lehrer Bhai Khem Das zu, sondern verweilte auch viele
Stunden in der Gemeinschaft von Sadhus und frommen Menschen, die ins Dorf
kamen, um die heilige Stätte von Namdev zu ehren. Da der Vater den Wunsch
hatte, den unmäßigen religiösen Hang seines Sohnes einzudämmen, hielt er es für
das Beste, ihn von Ghuman und den wandernden Sadhus wegzuschicken. So kam er im
Alter von elf Jahren und acht Monaten in das Haus einer seiner beiden
Schwestern namens Bibi Tabo, die in dem Dorf Sathyala wohnte. Jaimal lebte weiter nach seiner alten Gewohnheit; er
kam den religiösen Übungen nach und führte die Ziegen auf die Weide. Viele
Monate vergingen auf diese Weise, ohne daß sich etwas Besonderes ereignete.
Doch eines Tages, als er seiner Herde folgte, begegnete er einem Yogi, der
soeben in das Dorf gekommen war. Glücklich über die Gesellschaft des heiligen
Mannes verneigte er sich ehrerbietig, melkte seine Ziegen und bot dem Yogi von
der Milch an. Der Mann im safranfarbenen Kleid war berührt von der Frömmigkeit
des Jungen und begann ihm Fragen zu stellen. Jaimal erzählte ihm von den
Schriften, die er gelesen, und dem starken Verlangen nach Erleuchtung, das sie
in ihm entfacht hatten. Der Yogi war sehr erfreut über diesen Bericht und
erbot sich, Jaimal zu schulen. Er sagte ihm offen, daß er über das Geheimnis
von Naam wenig wisse, ihm aber gern vermitteln wolle, was er selbst
praktiziere. So ging Jaimal, wie ihm geheißen wurde, am nächsten Morgen, ohne
etwas gegessen zu haben, zu seinem neu entdeckten Lehrer, um von ihm eingeführt
zu werden. Der Yogi war ein Adept in Pranayama und enthüllte dem jungen Schüler
seine Geheimnisse. Da er nun einen spirituellen Führer gefunden hatte,
war Jaimal wieder für die Welt verloren. Seine alte heilige Gleichgültigkeit
gegenüber Familienbanden und weltlichen Angelegenheiten zeigte sich nun eher
doppelt so stark. Oft saß er drei Stunden hintereinander in Meditation. Der
Yogi, dem seine Hingabe gefiel, blieb weiter im Dorf, und Jaimal war meist in
seiner Gesellschaft zu finden. Diese Entwicklung der Dinge bereitete seiner
Schwester viel Kummer, und von Sorge getrieben, gab sie dem Vater schließlich
Nachricht, damit er den Jungen weghole. So kam Bhai Jodh Singh bald darauf
selbst und beorderte seinen Sohn nach Hause zurück. Früh am nächsten Morgen
machten sich die beiden auf den Heimweg; aber als sie am Ende des Dorfes
angelangt waren, bat Jaimal mit Tränen in den Augen den Vater um die Erlaubnis,
den Yogi ein letztes Mal sehen und ihm Lebewohl sagen zu dürfen. Sein Vater war
einverstanden, und der Junge eilte mit etwas frischer Milch zu seinem Lehrer.
Traurig erzählte er diesem von der Ankunft seines Vaters und ihrem
beabsichtigten Weggang. Der Yogi lächelte, segnete ihn und hieß ihn guten Mutes
sein. “Führe deine Übungen zu Hause fort wie bisher”, sagte er, “und alles wird
gut sein. Eines Tages werde ich dich dort besuchen.” In Ghuman nahm Jaimal
seine Verbindung mit Bhai Khem Das wieder auf und begrüßte die dorthin
kommenden Sadhus wie ehedem. Er war nun im vierzehnten Lebensjahr und übte mit
unvermindertem Eifer die Sadhans, die er gelernt hatte. Aber bald hungerte ihn nach mehr. Die Yoga-Übungen,
die er inzwischen beherrschte, vermochten ihn auf die Dauer nicht
zufriedenzustellen, und beim Lesen des Granth Sahib kam er zu der Überzeugung,
daß es eine höhere Wirklichkeit gebe, die es durch andere Mittel zu erlangen galt.
Indem er auf dem Pfad fortschritt, löste er sich in zunehmendem Maße von der
Welt. Er nahm alle esoterischen Hinweise und Fingerzeige, die sich in den
Sikh-Schriften über das fünffältige Wort, den Panch Shabd, finden ließen, zur
Kenntnis und dachte über sie nach. Jeden neuen Yogi oder Sadhu, dem er
begegnete, fragte er, ob er sie ihm nicht erklären könne; aber alles war
umsonst.
Auf dieser Stufe seines Suchens erlitten er und
seine Familie einen schmerzlichen Verlust. Er war noch nicht vierzehn alt, als
sein Vater erkrankte und starb. Für die leidgeprüfte Familie wirkte Jaimals
spirituelle Schulung als ein schützender Schild. Indem er die heiligen
Schriften heranzog, tröstete er seine Mutter und seine beiden jüngeren Brüder
und trat auf diese Weise allem Weinen und Wehklagen entgegen. Wenn die Seele
unsterblich war und alles nach dem Willen des Herrn geschehe, wozu dann all
diese Trauer? Die große Suche Wenn Jaimal Interesse an der Spiritualität nur eine
auf Stein oder Sand gefallene Saat gewesen wäre oder eine in der Wurzel noch
zarte, junge Pflanze, nicht mehr als das Ergebnis bloßer Neugier oder spontaner
Frömmigkeit eines einfachen Dorfjungen, dann hätte beim Tod seines Vaters auch
für sein Suchen die Totenglocke geläutet. Da er das älteste männliche Mitglied
der Familie war, fiel nun die Last der häuslichen Verantwortlichkeit auf seine
Schultern; und vielleicht sind dem Himmel schon mehr Seelen durch die irdische
Pflichterfüllung verlorengegangen als durch direkte Sünde und Übeltat. Jaimals Drang jedoch war eine Pflanze mit zäheren
Wurzeln und von stärkerer Struktur. Unerschrocken und unbewegt teilte er die äußeren
Pflichten unter seinen Brüdern auf, hielt weiter an seinen strengen
Gewohnheiten fest und meisterte innerhalb von sechs Monaten den Yoga Vashishta
und Vichar Sangreb, zwei Standardwerke der Hindu-Theologie. Etwa zur selben Zeit kam ein Sadhu der Udasi
Bewegung ins Dorf. Auch diesen suchte Jaimal auf und erkundigte sich nach der
Bedeutung von Textstellen, die er sich aus dem Granth Sahib herausgeschrieben
hatte. Der Sadhu ließ ihn wissen, daß er ihn zwar nicht in die Geheimnisse des
Panch Shabd einweihen könne, wohl aber in die des Ghor Anhad oder des tief
klingenden Tons, auf den in den Sikh-Schriften hingewiesen wird. Jaimal, der
eifrig bestrebt war, alles zu lernen, was er nur konnte, bot sich als Schüler
an. Doch das Diwali-Fest war nahe, das sein neuer Lehrer in Amritsar feiern
wollte. Da Jaimal diese Gelegenheit nur ungern versäumt
hätte, ging er zu seiner Mutter und bat sie um die Erlaubnis, sich dem Sadhu
anschließen zu dürfen, um so in seiner Suche nach der Wahrheit weiterzukommen.
Aber Bibi Daya hatte für das Wohlergehen der Familie zu sorgen und wollte von
dem Weggehen ihres ältesten Sohnes nichts hören. Sie erinnerte ihn an seine
Pflichten und sagte: “Dein Vater ist nicht mehr, und du mußt alles an seiner
Stelle weiterführen. Was soll aus uns werden, wenn du weggehst?” “Ich bin nicht gleichgültig gegen das, was Ihr sagt,
meine liebe Mutter”, erwiderte er, “aber der Herr ist über uns, und er, der
seine Geschöpfe selbst auf den Felsen und im Meer erhält, wird auch unseren
Bedarf nicht vergessen. Des Menschen erste Pflicht ist es, seinen Schöpfer zu
suchen, alle äußeren Pflichten kommen erst an zweiter Stelle. Seid nicht
bekümmert, sondern guten Mutes, und gebt mir Euren Segen.” Bibi Daya, selbst
tief religiös, war berührt von dem, was Jaimal mit einer solchen Überzeugung
aussprach. Sie sah seine Entschlossenheit und liebte ihn zu sehr, um sein Herz
brechen zu wollen, und so ließ sie sich schließlich erweichen. “Ich weiß, daß ich dich nicht halten kann, und ich
will es auch nicht. Aber wenn du schon gehen mußt, versprich, nach Hause
zurückzukommen, wenn dein Suchen beendet ist.” Jaimal gab sein Ehrenwort, und so nahmen seine
Mutter und seine Brüder tränenreichen Abschied von ihm. Er war kaum fünfzehn Jahre alt und schon auf einer
Suche, die ihn durch viele Städte führen sollte und für ihn große Mühe und
Plage mit sich brachte. Es war zu einer Zeit, als es in Indien noch keine
Eisenbahn gab, geschweige denn moderne Autostraßen und Luftwege. Die Reichen
konnten natürlich auf Pferden reiten, aber das einfachere Volk war auf die
Kraft und Festigkeit seiner Füße angewiesen. Das Reisen war schwierig und mühsam. Es lag nicht
lange zurück, daß die Briten den Punjab eroberten, und die Verhältnisse waren
noch unsicher. Der große Aufstand hatte erst vor einem Jahrzehnt stattgefunden,
aber das Volk zeigte sich widerspenstig, und durch die Unzufriedenheit begann
es im Lande zu gären. Unter solchen Verhältnissen machte sich Jaimal auf
den Weg nach Amritsar. Dort angekommen, wurde er am dritten Tage seines
Aufenthaltes in einem Park von dem Udasi-Sadhu in die Wissenschaft des Ghor
Anhad eingeweiht. Wie seinem Zeitgenossen Shri Ramakrishna (1836-1886) war es
Jaimal bestimmt, zu den Füßen vieler anderer Lehrer zu sitzen, ehe er seinem
wahren Meister begegnete. Wie dieser hatte er sich vielen Sadhans (Übungen) zu
unterziehen und kam in jedem rasch voran. Und gleich diesem war auch er dazu ausersehen, nicht
wie andere Yogis an einen von ihnen gebunden zu sein, sondern immer weiter
vorwärtszudrängen, einem immer höheren Ziel entgegen. Die frühzeitige
Beherrschung des Granth Sahib kam ihm dabei sehr zustatten. Er diente ihm als
unfehlbarer Prüfstein, mit dem er alles neu Erreichte untersuchen konnte, was
ihn zugleich erkennen ließ, daß sein wahres Ziel noch weit entfernt lag.
Nachdem er Japa und Pranayama geübt und die Ekstase des Ghor Anhad voll
erfahren hatte, wurde die Suche nach dem Geheimnis des fünffältigen Wortes zu
Jaimals vorherrschender Leidenschaft. Als er sich in Amritsar aufhielt,
versäumte er nicht, mit anderen Yogis und Sadhus Verbindung aufzunehmen und sie
nach Anhaltspunkten zu fragen für das, was er suchte. Einer von ihnen erwähnte,
er könne den Gegenstand seines Suchens möglicherweise zu den Füßen von Baba
Gulab Das ausfindig machen, der in dem Dorf Chatyala lebte. Der Junge bedurfte
keiner weiteren Anregung, und bald versuchte er mit Hilfe der Schüler von Gulab
Das zu ihrem Meister zu gelangen. Seine Bitte wurde erfüllt, und so erschien er
eines Tages bei dem ehrwürdigen Sadhu. Es ergab sich eine lebhafte
Unterhaltung, die einige der älteren Schüler, die dabeiwaren, gegen den
Neuankömmling wegen seines jugendlichen Alters aufbrachte. Doch Gulab Das
versicherte sie, daß Jaimali, wenn auch jung an Jahren, im Geiste reif und ein
echter Gottsucher sei. Er bemühte sich, den Knaben zufriedenzustellen, so gut
er es vermochte, und erklärte ihm, daß Naam nichts anderes sei als der Ton, der
in den Pranas vibriere, und führte ihn noch weiter in die Geheimnisse des
Pranva oder des Prana Yoga ein. Jaimal, der wohl bereit war, alles zu lernen, was er
nur konnte, war jedoch nicht überzeugt von der Erklärung des Sadhu, die, wie er
ihm sagte, a) die Zahl “fünf”, die im Granth Sahib immer wieder im Zusammenhang
mit dem inneren Shabd genannt werde, unberücksichtigt lasse und b) der Tatsache
nicht gerecht werde, daß die Sikh-Gurus wiederholt erklärten, der Pfad von Naam
sei ein anderer als der der übrigen Yoga-Formen, die nicht die höchste
Befreiung geben könnten. Jaimals Suche führte ihn von Chatyala nach Lahore, wo
es Hindu-Sadhus und Moslem-Ergebene aller Art gab. Der junge Sikh suchte immer
ihre Gesellschaft und war ununterbrochen mit ihnen zusammen. Aber soviel er
auch suchen mochte, er erhielt keinen weiteren Hinweis. Obgleich er sich in
einer großen Stadt befand und viele Meilen gewandert war, keinen Heller in der
Tasche hatte und kaum einmal seiner nächsten Mahlzeit sicher sein konnte, ließ
er sich wegen seiner mißlichen Lage nicht im geringsten aus der Fassung
bringen, hinter das Geheimnis zu kommen, das bislang keiner zu lösen wußte. Mit
müden Füßen und schwerem Herzen begab er sich nach Nankana Sahib, dem
Geburtshaus von Guru Nanak, einem Pilgerort der Sikhs.
Aber auch in Nankana konnte er nicht finden, wonach
er verlangte. Die Vorsehung ist oft voller Geheimnisse. Der Weg des Suchers
kann mit unzähligen Hindernissen übersät sein, die ihm fast das Herz zu brechen
scheinen. Doch in dem Augenblick, wo er dem Zusammenbruch nahe ist, kommt ein
Wort der Ermutigung, ein Hoffnungsstrahl leuchtet auf, der ihn vor der großen
Verzweiflung errettet und ihn auf den Weg zum neuen Jerusalem stellt. Und so
traf der Junge, nunmehr fünfzehn Jahre
alt, in Nankana Sahib Bhai Jodha Singh der Namdhari-Schule, der ihn an Baba Balak
Singh von Hazro verwies, einem westlich von Attock gelegenen Ort im
Nordwestlichen Grenzland, wie es später genannt wurde. Mit unverminderter
Entschlossenheit begann Jaimal die lange Reise. Zuerst hielt er in Aminabad an,
von wo aus er nach Shah Daulah ging. Von dort ging es weiter über den Jhelum-Fluß
nach Tila Balnath und dann in Richtung Rawalpindi. In jeder dieser Stätte blieb er ein paar Tage und
versäumte niemals, mit den heiligen Männern und Sadhus, die dort zu finden
waren, Verbindung aufzunehmen. Da er nicht weit von Panja Sahib entfernt war,
der berühmten Stätte, die von einem denkwürdigen Wunder Guru Nanaks kündet 13),
besuchte er den heiligen Ort, obwohl er etwas abseits von seinem eigentlichen
Weg las. Dort hielt er sich für eine Weile auf und erfreute sich der Landschaft
und des klaren Wassers, das sich aus der heiligen Quelle ergoß. Von hier aus
wandte er sich Attock zu und erreichte Hazro, seinen Bestimmungsort. Er war sehr glücklich, den ehrwürdigen Baba Balak
Singh zu sehen, der von dem Eifer und dem starken spirituellen Verlangen seines
jungen Besuchers tief beeindruckt war. Sie lasen, rezitierten und erörterten
den Granth Sahib und verbrachten so einige segensreiche Tage. Balak Singh war
ein Mann von großer Weisheit und Frömmigkeit, aber was die Spiritualität
anbetraf, war er wie Gulab Das nur mit dem Japa durch Prana vertraut und wußte
kaum etwas über Panch Shabdi Naam, von dem Kabir und die großen Sikh-Gurus
gesprochen hatten. Er machte seinem jungen Freund jedoch Hoffnung und sandte
ihn nach Chikker zu einem Familienvater und Sikh von großem spirituellen
Ansehen. Jaimal traf, aus Hazro kommend, in Chikker ein und
hörte sich nach dem Mann um, den er suchte. Er konnte jedoch keinen Hinweis erhalten, bis er
einem alten einsamen Sikh begegnete, der den jungen Fremden fragte, ob er ihm
auf irgendeine Weise dienlich sein könne. Jaimal erzählte, woher er gekommen
war, nannte ihm den Zweck seiner Suche und bat, zu dem am Ort wohnenden
heiligen Mann geführt zu werden. Der alte Mann, der selbst der Gesuchte war,
entgegnete freundlich, daß hier seines Wissens kein solcher Heiliger leben
würde, erbot sich aber, ihm zu helfen, soweit es in seiner Macht läge. Jaimals langes und eifriges Forschen begann endlich
Frucht zu tragen. Der Mahatma, in dessen Haushalt er nun aufgenommen wurde, gab
ihm die ersten bestimmten Anhaltspunkte für das, was er suchte, und stellte ihn
auf die Anfangsstufe der spirituellen Leister. Bald nach seiner Ankunft erhielt
der gotttrunkene Knabe die Initiation. Seine früheren Annahmen bestätigten
sich, und es wurde ihm zur Gewißheit, daß der Pfad von Naam wenig mit anderen
Yoga-Praktiken gemein hatte. Nach der Initiation wies er jedoch darauf hin, daß
die Schriften von einem fünffältigen Wort sprachen, während er nur zwei
erhalten hatte. Als dies sein Gastgeber und Lehrer hörte, erzählte er ihm die
Geschichte seiner eigenen Initiation: “Vor vielen Jahren ging ich nach Peshawar. Dort
begegnete ich einem großen Mahatma und wollte von ihm initiiert werden. Er nahm
mich als Schüler an, erschloß mir die Geheimnisse der ersten beiden Shabdas und
hieß mich zurückkommen, sobald es mir möglich sei. Ich ging in mein Dorf und beabsichtigte, dem Rat zu
folgen. Aber so sind die Fallen von Maya: wegen unvorhergesehener
Verpflichtungen war ich nicht in der Lage, meinen Wunsch in die Tat umzusetzen.
So vergingen zwei Monate, und als ich endlich Peshawar erreichte, war mein
Meister nicht mehr am Leben und hatte den Schlüssel für die übrigen Stufen des
heiligen Naam mit sich genommen.14) Jaimal blieb keine Wahl. Er mußte sich mit dem
zufrieden geben, was er bekam. So hielt er sich noch einige Zeit bei dem
Sikh-Mahatma auf, erfreute sich seiner Gastfreundschaft und inspirierenden
Gesellschaft und entwickelte fleißig die Gabe, die er erhalten hatte. Dann kam
der Tag, an dem er von seinem gegenwärtigen Lehrer bewegt Abschied nahm und
nach Peshawar aufbrach, um seine unerfüllte Suche fortzusetzen. Er hatte die
Befriedigung, auf dem rechten Pfad zu sein, aber er war nicht der Mensch, der
ruhte, solange er nicht sein Ziel erreicht hatte. In der uralten Grenzstadt
hielt er, gleich einem leidenschaftlichen Jäger, erneut Ausschau nach einem
Menschen mit voller Gottverwirklichung. Peshawar war jedoch nicht der Ort, wo sein Suchen
von Erfolg gekrönt und sein Durst gestillt werden sollte. Als er unter Pathans
durch die vielen Straßen wanderte, hielt ihn ein Mastana-Sikh an, welcher durch
die göttliche Trunkenheit der Alltagswelt des vernunftgeleiteten Verhaltens
verloren war, und grüßte ihn mit den Worten: “Warum wendest du soviel Mühe im
Norden auf, wo doch dein Tag vom Osten her dämmern wird?” Obwohl er nichts
weiter von dem fremden Ratgeber herausbringen konnte, folgte er seinem
Fingerzeig und machte sich auf den Weg zurück zum Punjab. Als er Rawalpindi
erreichte, entschloß er sich, das wohlbekannte Kashmir-Tal und den beliebten
Gebirgsort Murree zu besuchen. Da er die Schönheiten der Natur liebte, freute er
sich sehr über diese Bergtour, und in Kashmir begegnete er vielen Sadhus. All
dieser Besichtigungen müde, kehrte er schließlich heim. Zerlumpt und ohne
Schuhe an den Füßen oder Geld in der Tasche kam er schließlich zur großen
Freude seiner lieben Mutter und seiner Brüder, die ihm herzlich zugetan waren,
nach Ghuman zurück. Die Familie feierte seine Rückkehr im traditionellen
Stil. Sie brachte dem Allmächtigen Dankopfer dar, las aus
den heiligen Schriften und sang Hymnen. Sie verteilte Süßigkeiten unter den
Nachbarn und speiste die Armen. Jaimal Singh, der jetzt sechzehn Jahre alt war,
nahm seine familiären Plichten wieder auf und widmete sich der Festigung
dessen, was er auf seiner kürzlichen Reise gelernt hatte. Bald nach seiner
Rückkehr kam der Sathyala-Yogi, der ihn drei Jahre vorher in den Pranayama
eingeführt hatte, seinem Abschiedsversprechen getreu nach Ghuman, um seinen
jungen Schüler zu sehen. Jaimal Singh empfing ihn in Demut und Verehrung, und
der frühere Lehrer erbot sich, ihn mit anderen Praktiken des traditionellen
Yoga bekannt zu machen. Aber der Jüngling war nun kein Kind mehr. Seine weiten
Reisen und die verschiedenen Erfahrungen, von denen sie begleitet waren, hatten
ihn gereift. Was ihm einst erstrebenswert schien, was für ihn nicht länger von
besonderem Wert, denn seine Verbindung mit so vielen Yogis hatte ihn letztlich
zu der Überzeugung kommen lassen, daß die Kriyas des Hatha-Yoga ihm zwar
ungewöhnliche physische und geheime Kräfte verliehen, aber nicht vollkommenen
inneren Frieden und innere Freiheit geben konnten. Jeder neue Tag bestärkte nur
seine alte Überzeugung, daß der Pfad vollständiger Befreiung (Mukti) woanders
lag, und alles was er nun suchte, war die Initiation in die Mystik des Panch
Shabd. Die Zeit eilt dahin auf ihrer flüchtigen Bahn, aber
Jaimal Singh gehörte nicht zu den Menschen, die müßig herumsitzen oder sich mit
dem Nächstbesten zufrieden geben. “Erwache, erhebe dich und ruhe nicht, bis das
Ziel erreicht ist”, schärft ein alter Veden-Text ein, und sein Leben war eine
lebendige Verkörperung dieses Leitsatzes. Knapp acht Monate waren seit seiner
Rückkehr verstrichen, als das innere Drängen, seine Suche nach dem heiligen
Naam von neuem aufzunehmen, so mächtig
wurde, daß er nicht widerstehen konnte und seine Mutter ein weiteres Mal um die
Erlaubnis bat, gehen zu dürfen. “Wie kannst du von mir erwarten, dich auch jetzt fortzulassen? Damals warst du ein Kind, aber heute bist du erwachsen und kennst deine Pflichten. “Ach Mutter, bei meiner Geburt habt ihr gebetet,
einen frommen Sohn zu bekommen. Warum soll ich nun zurückgehalten werden ?” “Wie kannst du so sprechen?” entgegnete die Mutter.
“Habe ich dich jemals an deinen religiösen Neigungen gehindert? Du kannst doch
deine Andachtsübungen und der spirituellen Schulung zu Hause nachgehen.” Doch
Jaimal meinte: “ Wie können ein frommes und ein weltliches Leben
zusammenpassen?” “Du hast doch selbst
gesehen, wie nach dem Tod deines Vaters andere über unser Land verfügt haben.
Wir hatten gerade genug zu essen, und was wird sie daran hindern, das übrige
gewaltsam in Besitz zu nehmen, wenn du weg bist? Deine Brüder sind noch zu jung.” “ Laßt sie nehmen, was immer sie wollen. Diese Welt
ist nicht die unsere, und selbst, wenn uns dieses Land nicht weggenommen wird,
müssen wir es eines Tages doch zurücklassen, wenn unsere Lebensspanne zu Ende
ist. Wir haben nur für unsere Nahrung zu sorgen. Was tut es, wenn unser ganzer
Besitz verlorengeht? Der Herr hat uns starke Arme gegeben, und mit seiner Gnade
werden wir ehrlich unseren Lebensunterhalt verdienen.” Ihn, den nichts von seinem Vorhaben abbringen
konnte, als er noch ein Kind war, konnte auch jetzt nichts abschrecken, und
Bibi Daya hatte keine andere Wahl, als ihn gehen zu lassen. So nahm Jaimal
Singh im Alter von noch nicht siebzehn Jahren seine spirituelle Suche wieder
auf. Nachdem er den Punjab und den Nordwesten nahezu ganz durchquert hatte,
lenkte er, die Worte des Mannes aus Peshawar noch im Ohr, seine Schritte
ostwärts. Die Zeiten waren unsicher, und die Briten hatten ihre Stellung in den
eroberten Gebieten des Nordens noch nicht völlig gefestigt. Nächtliche Reisen
waren daher verboten, und an den Hauptstraßen waren Wachposten stationiert, die
jeden unterwegs anzuhalten hatten. Aber Jaimal Singh war zu eifrig, um sich auf
diese Weise beschränken zu lassen. Die erste Hälfte der Nacht verbrachte er
ruhend und schlafend, und in der zweiten, wenn die Posten eingenickt waren und
schlummerten, setzte er seine Reise, so rasch es ging, fort. In Varaich, einem Dorf an den Ufern des Beas, noch
nicht weit von zu Hause entfernt, begegnete er einem Sadhu namens Kahan, der
damit beschäftigt war, Ziegelsteine zusammenzutragen. “Guten Tag, heiliger Mann”, sprach ihn der Junge an.
“Womit seid ihr so sehr beschäftigt?” “Nichts, mein Sohn, nichts, ich sammle nur Material für deine zukünftige Behausung”, antwortete Kahan lächelnd und vertiefte sich weiter in sein Werk. Wenn andere aus dem Dorf ihn danach fragten, erwiderte er mit charakteristischer Kürze: ”Hier wird sich eines Tages ein Tempel erheben” und verfiel in sein gewohntes Schweigen. Jaimal, der nicht wußte, wohin er gehen sollte,
wandte seine Schritte gen Hardwar an den Ufern des heiligen Ganges, das ein
vielbesuchter Ort frommer Menschen war. Tag und Nacht unterwegs, legte er die
Entfernung mit beachtlicher Geschwindigkeit zurück und erreichte so in zwölf
Tagen den Ganges. Er suchte die Ghats (Stufen zum Fluß) von Hardwar
auf, das damals eine kleine, fast nur von Pandits und Sadhus bevölkerte Stadt
war, hörte gelehrten Yogis zu, stellte ihnen Fragen und erörterte mit ihnen
seine Probleme. Vom Zentrum der Stadt aus wanderte er den Fluß entlang und
besuchte alle heiligen Orte in der näheren Umgebung. In Tappo Ban hörte er von
einem sehr alten Sadhu, der ungefähr 150 Jahre zählte, nicht weit entfernt
mitten im Dschungel lebte und große Kräfte besaß, aber selten zu denen sprach,
die zu ihm kamen. Unbeirrt von dem, was er über das Schweigen des Yogi
gehört hatte, nahm Jaimal Singh seinen Weg in Richtung des Waldes und fand
schließlich die Behausung des Eremiten. Der Sadhu war mit seinen spirituellen Übungen
beschäftigt und zollte denen, die sich bei ihm einfanden, um ihn zu sehen und
durch seinen Anblick gesegnet zu sein, keine Beachtung. Es wurde Abend, und der Himmel und die Zweige oben
erfüllten sich von dem Gezwitscher der heimkehrenden Vögel mit Leben. Die Besucher gingen
wieder, denn im Wald wird es rasch dunkel, und wer konnte sagen, ob nicht im
Dickicht ein wildes Tier auf Beute lauerte. Allein Jaimal Singh blieb. Die
Nacht brach herein, doch der Yogi nahm keine Notiz von ihm. Endlich stand er
auf, ging zu einer Schaukel, die in der Nähe von einem Ast herabhing, stellt
sich dort hin und ließ die Arme auf dem hölzernen Sitz ruhen. Stunde um Stunde
verging, aber der Asket stand bewegungslos und zeigte keinerlei Anzeichen von
Ermüdung. Schließlich wich die Dunkelheit und machte seiner nächtlichen
Geduldsprobe ein Ende. Er verließ den Platz, verschwand im Dschungel und kehrte
nach einem Bad zurück. Jaimal hatte eine lange Nachtwache gehalten und
beobachtete das ungewöhnliche Verhalten dieses seltsamen Mannes. Als der Sadhu
vom Bad zurück kam, war endlich zu erkennen, daß er sich der Gegenwart seines
Besuchers bewußt war. Er fragte ihn, wer er sei und was er wolle. Der Jüngling
nannte seinen Namen und den Ort, woher er kam, und fügte hinzu: “ Heiliger!
Seit vielen Jahren suche ich nach wahrer spiritueller Erleuchtung. Ich hörte
von Eurem Ruhm und Euren großen Kräften und komme als Bittsteller zu Euch. Ich
habe mit Interesse Eure mir unbekannten Übungen beobachtet, und wenn sie
tatsächlich völlige Befreiung von der inneren Ruhelosigkeit bringen, dann weiht
mich bitte in ihre Geheimnisse ein.” Der Sadhu schwieg. Er saß still da und hielt die Augen
geschlossen. Als er sie nach einer Weile öffnete, antwortete er: “Mein Sohn,
meine Schulung ist schwer und verleiht viele Kräfte; aber was die innere
spirituelle Freiheit betrifft, so muß ich leider sagen, daß sie mir diese nicht
gebracht hat.” Jaimal Singh wollte den Yogi noch mehr fragen, doch
dieser blieb still und zog sich von der Welt des äußeren Bewußtseins in die
Meditation zurück. Die Sonne stieg am Himmel empor, und wieder war ein Tag
vorüber. Einige Fromme kamen, um den berühmten Yogi zu sehen, verneigten sich
ehrfurchtsvoll zu seinen Füßen und ließen etwas Nahrung für Jaimal Singh und
einige Gaben für den Asketen da. Dann gingen sie wie tags zuvor. Die Nacht kam,
und abermals blieb der junge Mann aus Ghuman. Der Yogi erhob sich von seinem
Platz und brachte die zweite Nacht auf dieselbe Weise zu wie die erste. Im
Morgengrauen nahm er ein Bad, und bei seiner Rückkehr winkte er Jaimal an seine
Seite. “Mein Sohn”, begann er, “ich kann dir nicht viel sagen. Aber in meiner
Meditation sah ich, daß der Guru, den du suchst, mit seiner Frau in Agra lebt.
Er ist wirklich eine große Seele und spricht über den Granth Sahib. Er wird dir
die Schätze des Panch Shabd erschließen. Wende dich dorthin, und ich selbst
will dir folgen, sobald ich an seinen Gaben teilhaben kann." Welche Last fiel von Jaimal Singhs Schultern! Wie
viele Nächte hatte er sich hin- und hergewälzt, gebetet und sich gefragt, ob
Gott je seine Wünsche erfüllen würde. Der Fremde von Peshawar hatte seine
Hoffnung genährt, aber seine Worte waren unklar, und nichts war gewiß. Jetzt
endlich war ihm ein deutlicher Hinweis gegeben worden, und es schien Erfolg in
Sicht. Der Herr war in der Tat gnädig und übersah nicht die
Bitte seines ergebenen Dieners.Mit neuem Mut und voller Zuversicht verneigte
sich der Knabe vor dem Yogi, der sich nun in Schweigen hüllte, und nahm mit
einem von unaussprechlicher Dankbarkeit überfließenden Herzen demütig Abschied. Das Ziel Es hatt kaum zehn Tage gedauert, bis Jaimal Singh
über Hapur und die heilige Stadt Mathura die Tore von Agra erreichte. Agra ist
berühmt seit den Tagen der großen Mogul-Kaiser, und viele Touristen aus nah und
fern, von jenseits des Atlantik und des Pazifik, sahen ihren prächtigen Taj
Mahal und andere historische Denkmäler und erlebten auch ihre schwüle Hitze und
die staubigen Straßen. Aber der junge Mann aus dem Punjab war nicht gekommen,
um ihre historische Pracht zu besichtigen; er hatte keinen Sinn für die
prunkhaften und mächtigen Mausoleen, Forts und Paläste, die von Kaiser Akbar und
seinen bekannten Nachfolgern erbaut wurden. Was er suchte, waren nicht die
Erinnerungen an Zeit- liches, sondern der belebende Odem des Ewigen. Statt
sich den Taj anzusehen, forschte er nach den örtlichen Heiligtümern und
Tempeln, auf der Suche nach der Gabe, die ihm zugesichert worden war. Aber wie sehr er sich auch bemühte, seine
Erkundigungen schienen zu nichts zu führen. Er fand keinen Hinweis auf den
Mann, den er suchte. War seine Hoffnung unbegründet? War die Verheißung von
Peshawar, die ihm mitten im Dschungel an den Ufern des heiligen Ganges
bestätigt wurde, nichts als ein Trugschluß und Täuschung? Möglicherweise war da
ein Irrtum? Vielleicht war er noch nicht reif für diese Gabe? Viele Gedanken
bedrängten Jaimals Singhs Herz, als er eines Morgens nachdenk- lich am Ufer der Jumna saß, in deren Wassern er
zuvor gebadet hatte. Während er so in seine Betrachtungen versunken war,
näherten sich ihm zwei Männer, die persönliche Dinge erörterten. Zunächst nahm er kaum Notiz, denn viele kamen
täglich, um in dem heiligen Fluß ein Bad zu nehmen. Aber dann schoß ihm
plötzlich ein Wort in die Ohren, das ihn voll aufhorchen ließ. Ja, sie unter- hielten sich über einen Soamiji, einen großen
Weisen, der in seinem Haus öfter vor einer kleinen Zuhörerschaft über die
Sikh-Schriften sprach. Jaimal Singh sprang auf. Er wandte sich an die Fremden
und erkundigte sich bei ihnen nach dem großen Mann, von dem sie gesprochen
hatten, und bat sie, ihn zu seinem Haus zu führen. Sobald die beiden ihr Bad
beendet hatten, gingen sie mit Jaimal Singh zum Punni Gali, wo der große Soamiji lebte. Als die drei
ihr Ziel erreichten, sprach der Meister gerade über das Jap Ji, erklärte seine
tiefgründige Bedeutung und brachte die spirituellen Schätze ans Licht, die
seine ekstasischen Verse bargen. Es waren nur wenige Zuhörer da, und Jaimal
schlüpfte ganz still in eine Ecke. Er hörte die Rede mit gespannter
Aufmerksamkeit und nahm jedes Wort von den Lippen des Heiligen begierig auf. Als die morgendliche Zusammenkunft beendet war,
begrüßte Soamiji seinen neuen Besucher und fragte ihn, was er wünsche. “Ich bin auf der Suche nach der Gabe von Naam und
einem Heiligen, der mir seine Segnungen verleihen kann",”antwortete Jaimal
Singh. "Ich hörte von Eurer Größe und bin nun zu Eurer Tür geeilt.” “Es tut mir leid, aber du wirst hier keinen Heiligen
finden”, sagte der strahlende Soamiji lächelnd. “Ich bin nur ein Diener der Heiligen. Selbst der
große Nanak betrachtete sich nicht als einen Heiligen; wie könnte dann ein
bloßes Nichts, wie ich es bin, von Bedeutung sein? “Er hieß Jaimal nochmals
willkommen und versicherte ihm, daß er bleiben möge, solange es ihm beliebe,
denn allen stehe frei, an der Fülle des Sahib, des Herrn oben, teilzuhaben. Später an diesem Tag sprach Soamiji noch einmal mit
Jaimal Singh. Erfreut über sein tiefes Eindringen in den Granth
Sahib, bat er ihn, eine der Hymnen, die er am meisten liebte, vozutragen. Mit
melodischer Stimme sang der Jüngling den Teil, der begann: Karam hovae Satguru milae
Sewa Surat Shabd chit lae
Durch
Gottes Gnade findet einer den Meister, der ihn in den
Dienst des Surat Shabd Yoga stellt.
Rag Magh M.3 Es war ein bewegender Vortrag, der deutlich erkennen
ließ, daß der Vortragende selbst zutiefst empfunden hatte, was er sang. Als er
geendet hatte, fragte ihn Soamiji, ob er die volle Bedeutung des von ihm
wiedergegebenen Verses verstehe. “O
Heiliger”, war die Antwort, “wenn ich den wahren Sinn verstanden hätte, warum
sollte ich dann auf diese Weise verloren umherwandern?” Und als er diese Worte
gesprochen hatte und sich seiner langen Reisen und der vielen Mühen erinnerte,
füllten sich seine Augen mit Tränen, die ihm still über die Wange liefen. Soamiji legte seine Hand liebevoll auf die Schulter
des Jünglings und versicherte ihm: “Sei guten Mutes, wir sind alte Kameraden,
und es gibt keinen Grund zur Sorge.” Dann nahm er die Hymne wieder auf, die
gerade vorgetragen worden war, erklärte ihre spirituelle Bedeutung und
verflocht sehr fein die Fäden der persönlichen Bemühung und der göttlichen
Gnade, die beide für die Erlösung der menschlichen Seele wesentlich sind. Am nächsten Morgen setzte Soamiji sein Gespräch über
das Jap Ji fort. Als er geendet hatte, wandte er sich Jaimal Singh zu und
meinte: “ Wenn du irgendwelche Zweifel oder Fragen hast, sollten die besser
jetzt geklärt werden. Ich bin nur ein bescheidener Diener des Herrn, und zu
einem Diener kann man alles sagen – alles – Hohes oder Niederes; so habe keine
Bedenken, sondern sprich frei heraus. Ich wäre sehr glücklich, wenn ich dir von Hilfe sein
könnte, denn ich betrachte das als Dienst für meinen Meister.” Später, am Nachmittag, bat Soamiji Jaimal wieder,
eine Hymne aus den Sikh-Schriften vorzutragen, und der junge Mann begann:
Utpat,
Parlae, Shabde hovae Shabde he phir opat hovae Schöpfung und Auflösung
werden durch Shabd bewirkt,
und durch Shabd kommt die Schöpfung von neuem
ins Sein.
Ragh Magh M.3 Dieser Vers war Gegenstand des Nachmittagsgesprächs,
und der Meister sprach ausführlich über das Thema von Shabd oder Naam und
beantwortete ein um das andere Mal Jaimal Singhs unausgesprochene Fragen
hierzu. Er veranschaulichte, wie das Wort die erste Ursache der Schöpfung als
auch ihrer Auflösung ist, zugleich der Mittler des Absoluten und das Absolute
selbst. Ohne seine Kraft wurde nichts geschaffen, und nur, wenn man sich mit
ihr verbindet, kann man zur himmlischen Heimat zurückkehren. Als alle gegangen waren und Jaimal so mit Soamiji
allein blieb, kam er näher und befragte den Heiligen über den Weg zu Erlösung.
Er war davon überzeugt, daß der Weise aus Agra ein wahrer Heiliger war, aber
die Tatsache, daß er kein Sikh war und die Hookah (Wasserpfeife) rauchte,
erzeugte in ihm einiges Unbehagen. Als jedoch Soamiji das Thema der Erlösung erörterte
und enthüllte, daß Shabd das einzige Mittel zur Erlösung (Mukti) sei, daß die
Verbindung damit nur von einem Pooran Sant, einem vollendeten Meister, gegeben
werden könnte, der Mensch ohne Shabd niemals völlig dem Netzwerk von Maya
entkomme und seine Ausübung und Meisterung allen möglich sei, ungeachtet ihrer
unterschiedlichen Glaubensrichtungen, schwanden Jaimals Zweifel, und er bat
darum, initiiert zu werden. Soamiji wies ihn in die Theorie und Praxis des
Surat Shabd Yoga ein, und nachdem er ihm die Instruktionen gegeben hatte,
forderte er den jetzt Siebzehnjährigen auf, sich zur Meditation hinzusetzen,
und verließ den Raum. Sobald sich Jaimal niedergesetzt hatte, verlor er sich im
Samadhi. Die Nacht kam und verging, und der Tag brach an, aber er meditierte
bewegungslos weiter, versunken in die innere Glückseligkeit, die er jetzt
gefunden hatte. Der nächste Tag wurde durch die Nacht verdrängt, und diese
Nacht wich einem weiteren Tag, und der Junge saß da und hatte die Welt
vergessen. Nachdem schon mehr als achtundvierzig Stunden vergangen waren,
fragte Soamiji einige der Schüler, wo der Schüler aus dem Punjab geblieben sei.
“Wir haben ihn vor zwei Tagen beim Satsang gesehen”, erwiderten sie, “aber
seitdem nicht mehr.” Da lächelte Soamiji und ging geradewegs in den kleinen
Raum, in dem er seinen jüngsten Schüler zurückgelassen hatte und er seitdem von
niemandem betreten worden war. Er legte seine Hand auf Jaimal Singhs Kopf, und
als dessen Seele zum normalen physischen Bewußtsein zurückkehrte und er seine
Augen öffnete, sah er, wie sein Guru ihn anstrahlte. “Bist du noch im Zweifel, mein Junge, ob dein
Meister ein wahrer Sikh ist?” fragte er mit einem Zwinkern in den Augen. Der
Junge wollte ihm zu Füßen fallen, aber die lange Zeit im Samadhi hatte seine
Gelenke steif und bewegungslos gemacht. Soamiji riet ihm, seine Beine zu reiben,
und als sich Jaimal bewegen konnte, geleitete er ihn hinaus. Dort gab er ihm
mit seinen eigenen Händen Milch zu trinken, und indem er ihn liebevoll ansah,
meinte er: “Auch du wirst eines Tages die Arbeit zu verrichten haben, die ich
jetzt tue. Unser Pfad befaßt sich nicht mit äußeren Formen und Ritualen, und
jeder von uns sollte in Einklang leben mit den besten Überlieferungen der
Gemeinschaft, in die ihn der Herr nach seinem Wohlgefallen gestellt hat. ”Dann
begann er die Lehren von Guru Nanak und den Sikh-Gurus zu preisen und sagte,
daß jene, die ihnen nachfolgten, wenig Belehrung nötig hätten. “Halte immer an den Vorschriften des Granth Sahib
fest”, fuhr er fort. “Meide Fleisch und Alkohol. Sei niemals von anderen abhängig, was deinen
Lebensunterhalt betrifft, sondern lebe von deiner eigenen Hände Arbeit, und was
du verdienst, teile freigiebig mit den Bedürftigen, und denke immer daran, den
Gottesfürchtigen und Armen zu helfen. Sei vor allem niemals stolz auf deine
guten Werke, noch kritisiere das Tun anderer; wisse dich vielmehr selbst im
Irrtum, und weiche niemals von der Tugend innerer Demut ab”. Mit ehrerbietiger Aufmerksamkeit hörte Jaimal Singh
den Rat seines Meisters und war von nun an immer bestrebt, sich danach zu
formen. Hingebungsvoll besuchte er täglich den Satsang und half auf jede ihm
mögliche Weise. Seine frühere Schulung hatte ihn gut für den spirituellen
Sadhan gerüstet, und er widmete sich nun unermüdlich dem Bhajan (Meditation).
Unter Soamijis Führung und durch seinen außergewöhnlichen inneren Fortschritt
wurden ihm täglich neue Geheimnisse enthüllt, die Geheimnisse, von denen Nanak,
Kabir und Tulsi so begeistert gesprochen hatten. In jenen Tagen, Mitte der fünfziger Jahre des 19.
Jahrhunderts, war die Anhängerschaft Soamijis nicht sehr groß. Er hatte noch
nicht mit seinen öffentlichen Vorträgen begonnen, sondern beschränkte die
Zusammenkünfte auf einen kleinen privaten Hörerkreis in seinem Haus im Punni
Gali, nachdem er nicht mehr im Mai-Than-Gurdawara sprach. Sieben oder acht
seiner Schüler waren ihm besonders ergeben. Sie suchten beständig seine
Gemeinschaft, und es bestand eine große Zuneigung und Harmonie. Jeden Morgen
hielt der Meister eine inspirierende Rede und führte seinen Zuhörern den
spirituellen Reichtum vor Augen, der im Granth Sahib und den Schriften von
Kabir und anderen großen Heiligen verborgen war. Nach dem morgendlichen Satsang
nahmen die Anwesenden ihr Mahl ein. Soamijis Frau, Shrimati Narain Devi, die
später, als Zeichen allgemeiner Achtung und Verehrung, mit Radhaji angesprochen
wurde, bereitete die Speisen, während Soamiji persönlich alle mit liebevoller
Aufmerksamtkeit bediente. Nachmittags und abends fanden oftmals zwanglose
Unter- haltungen und Erörterungen statt und zeitweise
regelrechte Vorträge. Eineinhalb Monate vergingen auf diese Weise. Jaimal
Singh war glücklich, zu den Füßen seines gütigen Meisters leben zu können. In
dieser Zeit, im Jahre 1856, war in Agra ein Regiment indischer Soldaten
stationiert, darunter auch mehrere Sikhs. Auf Veranlassung Soamijis trat Jaimal
Singh dort als Rekrut ein. Er nahm an der Morgenparade teil, eilte aber, sobald
er von seinen Pflichten frei war, zum Hause seines Meisters. Dort wohnte er dem
Satsang bei, hörte die Ausführungen Soamijis, saß in Meditation und kehrte des
Abends in sein Quartier zurück. Seine Kameraden fragten ihn oft, wo er denn
soviel Zeit verbringe. Als er ihnen von der Größe Soamiji erzählte, wollten
einige seiner Sikh-Freunde dem berühmten Heiligen begegnen. So machte sich
Jaimal Singh eines Tages mit sechs von ihnen nach dem Punni Gali auf. Als die Gruppe ankam, sprach Soamiji gerade über
einen Vers aus dem Granth Sahib. Chacha Partap Singh bemerkte humorvoll, daß der
Punjab an diesem Tage zu dominieren scheine. Daraufhin wandte sich Soamiji an
ihn und erklärte: “Die Menschen dieses Landes haben vor allen anderen ein
Anrecht auf die spirituellen Reichtümer, von denen ich spreche. Wer kann je dem
Ruhm des Punjab gerecht werden, das eine Seele wie Guru Nanak hervorbrachte? Er
hat uns vor allem gelehrt, daß Freiheit nicht in der Idolverehrung oder im
Ritual liegt, und während wir in dieser Gegend, ungeachtet der Botschaft von
Kabir und Nanak, noch der Zeremonie und dem Götzendienst verfallen sind, sind
die Seelen des Punjab frei von diesem Übel, und es bedarf nur eines Funkens,
sie zu entflammen. Achtet auf meine Worte, denn sie sind wert, daß man sich
ihrer erinnert: Die Gabe, die mir vom Herrn verliehen wurde, wird eines Tages
in der Ebene des Punjab blühen.” Dann wandte er sich seinen Besuchern zu, begrüßte
und unterhielt sie, so gut er nur konnte, hieß Jaimal Singh, der sie hergeführt
hatte, seinen Dienstpflichten auf die rechte Weise nachzukommen, und als es für
sie Zeit zum Aufbruch war, sagte er ihnen Lebewohl. Die leichten Dienstpflichten ließen Jaimal Singh
reichlich Zeit für die Meditation. Wenn er keinen Nachtdienst hatte, stand er
um zwei Uhr morgens auf, badete und setzte sich hin, um zu meditieren.Am Tage
verbrachte er die Zeit, sobald die Parade und der andere Dienst vorüber waren,
auf dieselbe Weise oder eilte zu Soamijis Haus. Er war dafür bekannt, daß er
nicht einen einzigen Augenblick mit Zerstreuungen vergeudete, wie es seine
Kameraden taten. Mit großer Regelmäßigkeit besuchte er den Punni Gali, wo er
oft als Soamijis Pathi diente (der die Schriften vorträgt), und viele seiner
Freunde wurden durch den Anstoß, den er gab, Schüler seines Meisters. Das Leben
war friedvoll und glücklich und trug beständig Frucht. Doch eines Tages wurde
das Regiment von Agra abkommandiert. Schweren Herzens ging Jaimal Singh zu
seinem Meister und brachte ihm diese traurige Nachricht. “O Herr”, sagte er,
“wie sehr verlange ich danach, mich der Segnungen des Satsang noch etwas länger
zu erfreuen. “Soamiji lächelte und sagte: “Gut, laß uns abwarten und auf den
Willen des Herrn achten.” Am nächsten Tag kamen neue Anweisungen, die den Abzug
des Regiments rückgängig machten. Jaimal Singh hatte einen raschen inneren
Fortschritt. Oft erzählte er Soamiji von seinen verschiedenen spirituellen
Erfahrungen, und sein Guru war über sein Vorwärtskommen erfreut. Als er ihm
einmal erzählte, daß er leichten Zugang zu Daswan Dwar, dem zehnten Tor (der
dritten Hauptstufe der mystischen Seele), habe, aber nicht fähig sei, darüber
hinauszugelangen, rief Soamiji aus: “Oh, das ist ganz verständlich. Wir haben
bei diesem spirituellen Unternehmen schon früher zusammengearbeitet, und in
deinem letzten Leben hast du es bis zur dritten Stufe gebracht. Daher war es so
leicht für dich, bis dorthin zu kommen, und aus demselben Grund bestehen die
Schwierigkeiten im weiteren. “Er beruhigte jedoch seinen jungen Schüler und
ermutigte ihn, in seinem Bemühen fortzufahren. Als dieser eines Tages von dem noch höheren Aufstieg
berichtete, war Soamiji hocherfreut und erklärte begeistert: “Mache so weiter,
dann wird es dir bald möglich sein, anderen Seelen zu Erlösung zu verhelfen. Du
bist geboren, damit du der Menschheit hilfst, und zwischen mir und dir ist kein
wirklicher Unterschied.” “Ich bin solcher Ehrung nicht würdig. O laßt mich
bescheiden zu Euren Füßen sein, fern vom Fangnetz des Stolzes.” “Sorge dich nicht, ein wahrer Heiliger kann niemals
stolz sein.” “O Herr,
laßt mich zu Euren Füßen als Diener der Diener der Heiligen. Das ist alles,
worum ich bitte.” “Du wirst
in der Tat den Dienst eines Heiligen tun: die Menschheit erretten, sie zur
Wahrheit und spirituellen Befreiung bringen. Was besagt es, selbst Millionen
Kühe wegzugeben, gemessen an der Errettung einer einzigen Seele?” “Ihr mögt
handeln, wie ihr es am besten findet, aber was mich betrifft, so bin ich mir
meiner Unwürdigkeit und meiner Begrenzung nur zu gut bewußt.” Die sechs Monate, um die man die Verlegung des
Regiments verschoben hatte, waren zu Ende, und Jaimal Singh mußte gehen. Die
letzten drei Tage nahm er Urlaub und verbrachte sie in der Gesellschaft seines
Meisters. Als schließlich die Zeit des Abschieds näher kam, konnte es Jaimal
Singh nicht länger ertragen. “Mir
bricht das Herz bei dem Gedanken, daß ich gehen muß. Wenn ihr es wollt, kann
ich meinen Namen aus dem Heeresverzeichnis streichen lassen.” Aber Soamiji wollte so etwas nicht hören: “Baue
deine Liebe auf den Shabd im Innern. Das ist dein wirklicher Guru, dir immer
zur Seite. Alles andere ist vergänglich und muß zurückgelassen werden. Du mußt deinen Lebensunterhalt verdienen, wenn du
von der Arbeit anderer abhängig bist, mußt du dafür mit deinem geistigen
Frieden bezahlen, und deine Erkenntnis würde getrübt. Warum die Armee
verlassen, wenn du doch arbeiten mußt?” Jaimal Singh hatte keine Wahl; er mußte sich der
höheren Weisheit seines Meisters beugen. Beim Abschied sprach Soamiji vom Wesen der
Heiligkeit und der Handlungsweise der Heiligen. Er erzählte Anekdoten über ihre große Demut, und zum
Schluß sagte er: “dein Regiment geht jetzt. Wenn immer du einem wahren Sucher begegnest, stelle
ihn auf den inneren Pfad, aber bedenke immer, daß du nur ein bescheidenes
Werkzeug der Heiligen bist.” Tränen füllten die Augen des jungen Soldaten, als
er seinem Guru zu Füßen fiel und von ihm Abschied nahm. Der Soldaten-Heilige Das Regiment kam von Agra nach Delhi. Da Jaimal
Singh nun die Gemeinschaft seines Meisters nicht mehr hatte, begann er nach
einem spirituellen Sucher Ausschau zu halten, mit dem er sich zusammen- tun konnte. Bald entdeckte er einen, Baba Karam
Singh, der auch der Armee angehörte und dem Herrn sehr ergeben war. Er besuchte
ihn häufig in seinem Quartier und hielt sich gern in der Gemeinschaft des Älteren auf. Als Baba Karam Singh
einmal fragte, was Jaimal Singh zu ihm hin- ziehe, antwortete er schlicht: “Ich komme her, weil
ich seit meiner Kindheit gern zu den Füßen derer sitze, die den Herrn lieben.”
Baba Karam Singh freute sich, einen Gleichgesinnten, noch so jung an Jahren,
gefunden zu haben, und es ergab sich eine lebhafte Unterhaltung über die
Spiritualität. Doch bald stellte sich heraus, daß Baba Karam Singh
wie Baba Balak von Hazro den Prana-Rhythmus mit dem Naam-Prinzip, das im Granth Sahib gerühmt
wird, verwechselte. Der junge, nocht nicht voll- jährige Soldat begann den Irrtum mit großer
Bescheidenheit zu berichtigen. Er zitierte entsprechende Stellen aus den Sikh-Schriften, um klarzustellen,
daß der heilige Shabd die ursächliche Kraft sei, die überall am Werk ist, auch
in den Pranas, die aber nicht mit den Pranas gleichgesetzt werden dürfte. Er hob die Tatsache hervor, daß alle großen
Vertreter von Sant Mat oder dem Pfad der Meister klar und eindeutig erklärten,
daß in der jetzigen Zeit Pranayama und ähnliche Praktiken nicht die innere
Befreiung bringen können. Dann sprach er von seinem großen Meister in Agra,
von dessen inspirierenden Lehren und half Baba Karam Singh, auf den rechten
Pfad zu Gott zu kommen. Nach dem großen Aufstand von 1857 wurde das
Regiment, zu dem Jaimal Singh gehörte, aufgelöst; und weil er seit langem seine
Familie nicht mehr besucht hatte, ging er unmittelbar nach Hause. Die Freude
seiner Mutter kannte keine Grenzen, als sie ihn wiedersah. Aber es war ihm
nicht bestimmt, lange bei ihr zu bleiben. Da ihn die Nachricht erreichte, daß
man in Peshawar ein 24. Sikh-Regiment gebildet hatte, sagte er seiner Familie
Lebewohl und trat diesem bei. Nach einiger Zeit, im Januar 1858, wurde das
Regiment aus dem nordwestlichen Grenzgebiet nach Ambala verlegt. Im September
des folgenden Jahres kam es nach Sagar, einer Stadt am Ufer eines großen Sees
in Zentralindien. Mittlerweile hatten sich Jaimal Singhs Kameraden an seine
strenge spirituelle Disziplin gewöhnt; aber die Tage, an denen das Regiment
marschieren sollte, sahen sie zu ihrer Überraschung, daß er einen kleinen
Unterstand aushob, wo er hinterher, mit dem Rücken gegen den Erdwall, in
zurückgelehnter Haltung die ganze Nacht in Meditation saß. Während er in Sagar staioniert war, bat Jaimal Singh
eines Nachts in der Meditation Soamiji, daß das Regiment in die Nähe von Agra
verlegt werden möge, damit er den Vorteil haben könne, zu seinen heiligen Füßen
zu sitzen. Ein Mensch der Gottverwirklichung kann seltene Wunder tun, da er
eins ist mit dem Willen Gottes; und die Liebe eines Guru für einen wahren
Schüler ist so groß, daß er ihm nichts abschlägt. 15) Jaimal Singhs Gebete wurden erhört, und am nächsten
Morgen sagte er beiläufig zu Bhagwan Singh, seinem Gefährten und ergebenen
Bewunderer, daß das Regiment, wenn es einmal verlegt würde, nach Agra käme. Zu
jener Zeit beachtete Bhagwan Singh kaum, was er ihm sagte, aber als die
Nachricht von der nächsten Stationierung eintraf, verbreitete sich die
Geschichte des prophetischen Soldaten wie ein Lauffeuer durch das Regiment. Der Befehl zur Verlegung nach Agra war noch nicht
ergangen, als Jaimal Singh um den Jahresurlaub nachsuchte. Er wurde ihm
bewilligt. Doch als er sich vor der Abreise bei seinem Vorgesetzten meldete,
unterrichtete ihn dieser davon, saß er sich nicht in Sagar, sondern in Agra
zurückmelden solle. Der Soldat war von dieser Nachricht so überwältigt, daß er,
anstatt nach Hause zu gehen, sich sofort nach Agra aufmachte. Soamiji empfing
ihn mit großer Zuneigung, und Radhaji bereitete eigens Halwa (eine Art
Pudding), um das Ereignis besonders hervorzuheben. Der große Guru betrachtete ihn
als Pooran Gurmukh, einen wahren Schüler, und er trug ihm einige seiner
mystischen Gedichte vor, die er während Jaimal Singhs Abwesenheit von Agra
verfaßt hatte und die später von Rai Saligram Ji, einem anderen bekannten und
ausgezeichneten Schüler, mit vielen seiner eigenen Verse in dem Band Sar Bachan
gesammelt wurden. Einer der von ihm gelesenen Verse bezog sich direkt auf
seinen Schüler:
Yeh dhun hai dhur lok adhur ki Koyi pukre Sant sepahi. Diese Musik geht von einer transzendenten
Ebene im
Inneren aus und wird von einem Soldaten-
Heiligen aufgefangen. Sar Bachan,
Shabd 9 (S.94) Jaimal Singh zog den größten Nutzen aus der Zeit bei
seinem Meister. Er besuchte regelmäßig den Satsang und trug oft die Verse vor, über die Soamiji
hinterher sprach. In der Zwischenzeit kam das 24. Regiment in die Stadt, er aber blieb weiter im
Punni Gali, da er noch Urlaub hatte. Eines Abends bat ihn Soamiji, eine Anzahl
Decken und Kleidungsstücke zu nehmen und ihn in eine Ortschaft zu begleiten,
deren Bewohner arm waren. Sie waren voller Dankbarkeit, die sie begeistert zum
Ausdruck brachten, und segneten den groß- zügigen Fremden. Aber es war nicht Soamijis Art, für
sich Lob zu ernten, selbst wenn es ihm zustand. “O belastet mich nicht mit Dank”, rief er denen zu,
die sich um ihn geschart hatten. “Ich handle nur im Auftrag meines großmütigen
Meisters. Ihm allein gebührt alle Ehre.” Nach der abendlichen Mission wandte sich der große
Lehrer an seinen Schüler und sagte: “Jaimal, mein Sohn, diene den Armen immer auf diese
Weise, und schreibe nie dir selber etwas zu.” Als sein Urlaub vorüber war, ging Jaimal Singh
wieder seinem Dienst nach, aber er machte es sich zur Aufgabe, keine
Gelegenheit zu versäumen, um seinen Meister zu besuchen. Oft kam er mittags zum Punni Gali und blieb bis zum
späten Abend. Eines Tages, als er ganz in Satsang und Bhajan vertieft war,
vergaß er völlig, daß er Nachtdienst hatte. Am frühen Morgen erreichte er sein
Quartier und ging direkt zu seinem Kameraden. “Hast du
deinen Dienst beendet?” fragte Bhagwan Singh. “Wieso,
hatte ich letzte Nacht Dienst?” wagte Jaimal Singh zu fragen. “O, du
bist aber spaßig; wie wenn ich dich nicht gesehen hätte, als du gestern abend
in Dienst- kleidung hinausgegangen bist.” Jaimal sagte nichts weiter. Er überdachte die
unfehlbare Fürsorge seines Meisters und war erstaunt über das, was da geschehen
war. Falls er noch irgendwelche Zweifel über dieses Wunder hatte, wurden sie
rasch zerstreut. Der Aufseher, dem er bald danach begegnete und der ebenfalls
auf seinen Nachtdienst zu sprechen kam, erwähnte, daß seine Anwesenheit korrekt
im Nachtregister eingetragen sei. Sobald er nun weg konnte, eilte er zum Punni
Gali und fiel zu seines Meisters Füßen. “Wie wenig verdienen wir irrenden Sterblichen die
Gnade, mit der Ihr uns überschüttet”, rief er aus und erzählte die seltsamen
Begebenheiten der vergangenen Nacht. “Ich
hoffe, du hast darüber nicht zu deinen Kameraden gesprochen.” “O
Meister, ich war zu sprachlos, um auch nur ein Wort herauszubringen.” “ Sehr
gut, sehr gut! Nun behalte es für dich, und merke dir, wenn sich so etwas in
Zukunft je wieder ereignet, beherrsche dich, und mache kein Aufhebens davon.” Dieses Wunder sollte sich wiederholen, als sich
nicht lange danach eine ähnliche Situation ergab. Die eineinhalb Jahre, die das Regiment in Agra
blieb, vergingen wie ein glücklicher Traum. Bevor es wieder den Standort wechselte, hielt sich
Jaimal Singh drei Tage bei Soamiji auf. Am letzten Tag, als er Abschied nehmen mußte, fiel
er seinem Meister demütig zu Füßen, Soamiji hob ihn auf, zog ihn voller Liebe
an sich und bemerkte: “Es gibt keinen Unterschied zwischen uns, denn wir sind
gleicherweise von der Naam-Kraft durchdrungen.” Wie es im Militärleben üblich ist, kam das Regiment
nun nach Peshawar. Es wurde alle zwei oder drei Jahre verlegt. Neben vielen
anderen Orten war es vor allem in Rawalpindi, Abbotabad, Mianmir bei Lahore und
Jhansi stationiert. In Jhansi wurde Jaimal Singh zum Korporal befördert. Zwei Jahre später, im Oktober, befand er sich wieder
einmal auf dem Weg nach Agra, um den Jahresurlaub bei seinem Meister zu verbringen. Wer
kann die Seligkeit beschreiben, die zu den Füßen eines göttlichen Lehrers
erfahren wird? Die Zeit ging dahin, und bevor er es richtig merkte, war für
Jaimal Singh schon wieder der Tag der Abreise gekommen. Er ging zu Soamiji, um
seinen Segen zu erhalten und sich zu verabschieden. “Dies wird unsere letzte
Begegnung sein”, bemerkte der Meister, “Meine Mission auf Erden ist nahezu erfüllt. Ich
brauche wohl nicht zu wiederholen, daß ich dich nach meiner eigenen Art geformt
habe und du von meinem Wesen bist.” Als Chanda Singh, der zu der Zeit auch im
Punni Gali war, hörte, daß Soamiji die Absicht hatte, in Kürze die Welt zu
verlassen, rief er aus: “Was soll dann aus uns werden?” und bat ihn, jemanden
zurückzulassen, um sein Werk im Punjab weiterzuführen. Soamiji lächelte und
sagte: “Deine Bitten sind schon vom Allmächtigen erhört worden, und Jaimal, den
ich bereits ermächtigt habe zu initiieren, wurde mit der Aufgabe betraut.” Dann sprach er wieder zu Jaimal: “Stelle alle
Sucher, die zu dir kommen, auf den Pfad von Naam, aber sieh zu, daß du dich von
den Glaubensbekenntnissen und Sekten fernhältst. Unser Pfad ist von Nanak und Kabir. Wer immer in
spirituellen Eifer entbrannt ist, ob in diesem oder jenem Glauben, hat ein
Anrecht darauf. Arbeite weiter in aller Demut, und was immer du tust, tue als
Diener der Heiligen.” Danach wandte er sich Radhaji zu und erklärte, indem er
seine Hand auf Jaimals Schulter legte: “Er ist wahrhaft unser Gurmukh-Sohn”,
nahm einen Saropa (Kopfbedeckung) und gab es seinem fähigen und getreuen
Schüler als Abschiedsgeschenk. Diese große Liebe und Ehrung war zuviel für den
bescheidenen Gurmukh; sie überwältigte ihn und füllte seine Augen mit Tränen. Das Herz war ihm schwer, als er wegging und daran
dachte, daß sich der irdische Aufenthalt seines Meisters dem Ende nahte, und an
die schwere Last, die ihm auferlegt wurde. Von Agra kehrte Jaimal zu seinem Regiment nach
Jhansi zurück. Der letzte Teil seiner Soldatenlaufbahn ist bald erzählt, wobei
es nicht nötig ist, die vielen Orte anzuführen, an denen das 24. Sikh-Regiment in der Folgezeit stationiert war.
Was immer geschah, wohin immer er ging, Jaimal Singh ließ sich nie davon
abhalten, seinen spirituellen Übungen regelmäßig nachzukommen. Wie ein
Liebender, der von seiner Liebe trunken ist, war er immer in die Freude des
inneren Lebens vertieft. Selbst als sein Regiment 1879 während des
englisch-afghanischen Krieges im nordwestlichen Grenzgebiet im Gefecht lag,
verließ er nachts sein Quartier und ging in die Einsamkeit, wo er eine Grube aushob und sich mit dem Gewehr unter den Knien
der Meditation hingab. Oft spürten ihn Feindliche Schützen auf, aber wenn sie seine
strahlende Gestalt sahen, erkannten sie, daß er kein gewöhnlicher Soldat war,
sondern ein großer Heiliger, und ließen ihn in Ruhe. Es kam vor, daß sie sich
in Verehrung vor ihm verneigten, wenn er sich von der Meditation erhob. Als
Jaimal Singh, der mit 18 Jahren in Agra in die Armee eingetreten war, von der
Jugend ins mittlere Alter kam und zum reifen Mann wurde, gewann er langsam aber
stetig die Herzen aller, die um ihn waren. Zunächst mochten ihn einige seiner
Kameraden als einen strenggläubigen Einzelgänger abtun, der nicht zu leben
verstand, sondern sich in der Lektüre heiliger Schriften und in langweiligen
geistigen Übungen verlor. Aber im Laufe der Jahre erkannten sie, daß sie in ihm
keinen gewöhnlichen Sterblichen unter sich hatten. Was er seinem Gefährten
Bhagwan Singh in Sagar über den nächsten Standort ihres Regiments vorhergesagt
hatte, zog weite Kreise und brachte ihm viele Bewunderer ein. Als sie während
des afghanischen Krieges in Jamrud stationiert waren, wurde Bhagwan Singh, der
in einem Geleitzug Dienst hatte, plötzlich krank und starb. Im selben
Augenblick, wo sein Geist den physischen Körper verließ, rief Jaimal Singh
viele Kilometer von ihm entfernt ganz unvermittelt aus: “Wah Wah nipat gaye” –
“Gut, gut, endlich ist es vorbei.” Inder Singh, der dem Regiment in Jhansi beigetreten
war, eine tiefe Zuneigung zu seinem Vorgesetzten empfand, und sein erster
Initiierter wurde, saß neben ihm. Er war keineswegs erstaunt über diesen
lebhaften Ausruf und fragte seinen Lehrer, was er bedeute. Jaimal Singh war
nicht bereit, darüber zu sprechen. “Warum kümmerst du dich um etwas, womit du
nichts zu tun hast?” fragte er. Da Inder Singh darauf beharrte, sagte er ihm, daß
Bhagwan Singh gestorben sei. Der junge Soldat notierte den Tag und die genaue
Zeit, und als die Nachricht vom Tode seines Kameraden eintraf, sah er die
Übereinstimmung. Ähnliche merkwürdige Begebenheiten kamen bei Jaimal
Singh häufiger vor, und mit der Zeit wurde er im ganzen Regiment bekannt.
Jedermann achtete ihn, und selbst die englischen Offiziere bezeigten ihm große
Verehrung und nannten ihn “Lord Bischof”. Alle, die eine Neigung für
spirituelle Dinge hatten, suchten seine Gemeinschaft; nicht weniger solche, die
unter weltlicher Betrübnis zu leiden hatten. So kam der Bezirkskommissar Kharak
Singh, der seit vielen Jahren kinderlos verheiratet war, und bat, mit einem
Kind gesegnet zu werden. Jaimal Singh machte die Bemerkung, daß es ihm nicht
bestimmt sei, ein Kind zu haben, aber als Kharak Singh ihn weiter drängte,
wurde seine Bitte gewährt. Das Kind wurde geboren; aber der glückliche Vater
versäumte, einen Betrag von 500 Rupien für Wohltätigkeitszwecke zu verteilen,
was ihm Jaimal Singh nachdrücklich eingeschärft hatte. Nicht lange darauf wurde
der Kommissar ernstlich krank. Man rief nach Jaimal Singh, doch der sagte, daß
es nun zu spät sei und dem Übel nicht mehr abgeholfen werden könne. Ein paar Tage später starb Kharak Singh. War es bloßer Zufdall, oder lag es an Jaimal Singh,
daß die Angehörigen dieses 24. Sikh-Regiments ein so außerordentliches Interesse für spirituelle
Dinge an den Tag legten? Es ist keine seltene Erscheinung, daß wirkliche Heilige überall eine
Atmosphäre des Friedens verbreiten, welche die Ergebenen des Herrn zu ihnen
hinzieht und auf jene einwirkt, die um sie sind. Jedenfalls war dieses Regiment
bekannt für seine religiösen Neigungen, und viele Sadhus besuchten es, wo immer
es auch stationiert war. Jaimal Singh wurde stets eingeladen, wenn Sadhus zum
Regiment kamen oder einer der Soldaten mit ihnen zusammentreffen wollte. Als
eines Tages einige der jungen Sikh-Soldaten als Erwachsene in ihrem Glauben
getauft werden sollten, bat man ihn ohne Zögern, die Zeremonie zu leiten, und
er hielt bei einem solchen Anlaß eine erleuchtende Rede über die innere
spirituelle Bedeutung des Rituals. An seinen Vorträgern aus den Schriften
nahmen nach und nach immer mehr Menschen teil, und in späteren Jahren hat
Jaimal Singh, der unterdessen allgemein “Baba Ji”, “Bhai Ji” oder “Sant Sepahi” genannt wurde, des
öfteren kurz über ihren wahren Sinn gesprochen. Durch seine anziehende Persönlichkeit, seinen
untadeligen Charakter, seine spirituelle Meisterschaft und sein wachsendes
Ansehen hatte er bald einen kleinen Kreis sehr ergebener Anhänger aus dem
Regiment um sich, darunter Männer wie Inder Singh, Bagga Singh, Bhagwan Singh
und andere, die seine ersten Initiierten wurden. Aber Jaimal Singhs militärische Laufbahn fiel nicht
nur auf, weil er streng an einem hohen spirituellen Ideal festhielt, sondern
auch wegen seiner ebenso bemerkenswerten Leistungen im Bereich der dienstlichen
Pflichten. Getreu dem Geheiß seines Meisters war Jaimal Singh in der Erfüllung seiner
Aufgaben äußerst genau. Nichts vermochte ihn seiner Arbeit fernzuhalten,
ausgenommen vielleicht, wenn er in das Göttliche versunken war, bei welcher
Gelegenheit Soamiji auf wunderbare Weise die Lücke füllte. Er war bekannt für
seine Ehrbarkeit und Unparteilichkeit
und obgleich selbst ein strenger Vegetarier, zögerte er nicht, an seine
Kameraden Fleisch auszuteilen, wenn er dies einmal pflichtgemäß zu tun hatte.
Einmal erklärte ein Offizier, daß sein Vegetarismus aller Wahrscheinlich- keit nach seine Fähigkeiten als Soldat untergraben
würde, und riet ihm zu einer anderen Kost, damit seine Widerstandsfähigkeit und
seine Muskeln gestärkt würden. Jaimal Singh war jedoch nicht zu überzeugen und
forderte alle “Fleisch essenden starken Männer” heraus, ihn im Felde zu
überbieten. Später baten sie ihn, die Gründe für seine Abstinenz
zu erklären, und so hielt er einen ausführlichen Vortrag an das gesamte
Regiment, worin er eingehend darlegte, warum Fleisch gemieden werden sollte,
und die landläufige Meinung widerlegte, daß die vegetarische Ernährung die
Lebenskraft ver- mindere. Seine Diensturkunde, die 34 Jahre aktiven
Dienst ausweist, bestätigt die Wahrheit seiner Behauptung, denn sie berichtet
nicht von einem einzigen Krankheitsfall. Wie sein großer Meister, so war auch Jaimal Singh in
Swartha und Parmartha – weltlicher Gesinnung und Frömmigkeit – gleicherweise
unangreifbar. Seine vorbildliche Ordnung, Nüchternheit und Tapferkeit, seine
Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, und die gelassene und bescheidene,
ehrenhafte Erfüllung all seiner Pflichten blieben nicht unbemerkt. Während
seiner Stationierung in Jhansi wurde er 1869 mit einer Verdienstmedaille
ausgezeichnet, die ihn in den Rang eines Naik (Korporal) erhob. Genau drei
Jahre später wurde er zum Havildar (Sergeant) befördert, und als das Regiment
von 1880 an in Multan lag, erhielt er eine zweite Auszeichnung für getreue und
anerkennenswerte Pflichterfüllung. Am 15. August 1889 trat er in den Ruhestand,
nachdem er 34 Jahre ergebenen und ehrenvollen Dienst geleistet
hatte. Als er von seinem Regiment Abschied nahm, war allen das Herz schwer, den
Kollegen, Vorgesetzten und Untergebenen, denn sie verloren in ihm nicht nur
einen fleißigen und zuverlässigen Kameraden, sondern einen Freund und Lehrer (
er unterrichtete die Offiziere in Gurmukhi), und was viel seltener ist, einen
inspirierenden, moralisch und spirituell unfehlbaren Führer. Die von seinen Kameraden und anderen hinterlassenen
Berichte über Babaji stimmen mit seinem übrigen Leben und seinem Charakter voll
überein. Bei ihrer Lektüre begegnet man einem Menschen, der trotz seiner
Vertiefung in die göttlichen Mysterien nicht für die Welt verloren war. Einen Regimentskameraden, der ihm während seines
Dienstes als Havildar unterstellt war, verwunderte es, daß der ihn in drei
Jahren ihres Zusammenseins nicht ein einziges Mal ungehalten sah und auch von
anderen nichts dergleichen hörte. Immer freundlich, vermied er einen groben
oder ge- wöhnlichen Umgangston. Er war zeit seines Lebens
strenger Vegetarier und gleicherweise Abstinenzler. Dem läßt sich seine ebenso
unbeugsame Festigkeit in Brahmacharya (Keuschheit) hinzufügen, denn er blieb
ehelos. Durch die Hingabe an Gott gebunden, drängte es ihn nie zu heiraten, und
er widerstand entschlossen jedem Versuch, ihn zum Ehestand zu überreden. Als
sein jüngster Bruder Jiwan Singh ebenfalls in die Armee eintrat und seinen
Wunsch äußerte zu heiraten, sprach sich Jaimal Singh nicht dagegen aus, sondern
sagte nur: “Warum willst du in dieses Gewebe eindringen, wenn es unserer
Familie nicht bestimmt ist weiterzubestehen?” Jiwan Singh heiratete, und ein
Jahr später wurde ihm ein Sohn geboren, der nach kurzer Zeit starb und dem
seine Mutter bald folgte. Dan Singh, der zweite Bruder, der den Hof führte,
war ebenfalls kinderlos, und so hatte sich Jaimals Vorhersage erfüllt. Andere Eigenschaften, die Jaimal Singh von den
meisten Menschen unterschied, waren seine unermüdliche Bereitschaft zu dienen;
seine ebenso große Nächstenliebe und Großzügigkeit. Genau wie Soamiji verteilte
er des öfteren Kleidung und andere unentbehrliche Dinge an Arme und Bedürftige.
Er hatte keine Feinde und betrachtete alle als seine Freunde. Seine besondere
Liebe galt jedoch den Armen und vor allem den Sadhus und Ergebenen des Herrn.
Während andere müßig waren oder Sport trieben, suchte er die Gesellschaft
solcher gottesfürchtiger Menschen, sorgte für ihre Bedürfnisse und erörterte
mit ihnen spirituelle Fragen. Weder in seiner Militärzeit noch danach machte er
Unterschiede zwischen den einzelnen Glaubensanschauungen, sondern behandelte
alle – Moslems, Christen, Sikhs oder Hindus – als ebenbürtig. Obwohl er
jederzeit Willens war zu helfen, materiell oder spirituell, hat er es immer
vermieden, im Mittelpunkt zu stehen. Schon als Kind war er für seine Bescheidenheit
bekannt, wobei sich die Leute zuweilen über seine Schüchternheit lustig
machten. Wenn er Sadhus begegnete, gab er sich damit zufrieden, ihnen
zuzuhören; selten widersprach oder kritisierte er. Traf er einen wahren Sucher,
war er gerne bereit, Probleme zu erörtern und zu klären; doch was immer er
wußte, schrieb er nie seinen eigenen Fähigkeiten zu, sondern der Gnade seines
unvergleichlichen Meisters. Seine Kleidung und Erscheinung waren einfach, aber
fein wie er selbst. Er war von mittlerer Größe, etwa 1,60 m, und kräftig
gebaut. Seine Stirn zeigte über dem rechten Auge eine knotige Erhöhung, und an
der Sohle des rechten Fußes hatte er ein Lotoszeichen, das Symbol wahrer
Spiritualität. Er besaß feine Gesichtszüge und eine helle Haut, ein
strahlendes Antlitz, dessen frische Farbe durch einen langen Vollbart betont
wurde, der sein leuchtend schwarzes Haar, abgesehen von ein paar vereinzelten
weißen Fäden, bis zum Ende beibehielt. Wenn er nicht in Dienstuniform war, trug
er einen weißen Turban nach Art der Jats (Landleute), einen weißen Muslin-Kurta
(loses Hemd) und eng anliegende Beinkleider der gleichen Farbe. Hielt er sich
mit seinen Gefährten im Quartier auf, hüllte er sich meist ganz zwanglos in
einen handgewebten, an der linken Seite befestigten Umhang, wickelte sein Haar
(das ihm lose bis zum Bund herunterfiel) in ein Handtuch und ging in Kharaon
(Holz- sandalen) oder Jooti (indischen Schuhen). Er war
einfach in seinen Gewohnheiten und genügsam hinsichtlich seiner Bedürfnisse.
Milch war sein bevorzugtes Nahrungsmittel, und besonders gern trank er
Ziegenmilch. Für sich selbst brauchte er nur wenig; seinen Verdienst gab er
größtenteils für wohltätige Zwecke oder zur finanziellen Unterstützung seines
Bruders. Der Fackelträger Nachdem Baba Jaimal Singh als Pensionär der
Militärverwltung in den Ruhestand getreten war, beschloß er, das Heim seines
einzigartigen Meisters zu besuchen. Soamiji hatte im Jahre 1878, wie er es
vorausgesagt hatte, die Welt verlassen; aber Babaji fühlte sich seiner Familie
und seinen Schülern sehr verbunden. So nahm er 1890 den Zug nach der alten
Mogul-Hauptstadt und ging von dort geradewegs zum Punni Gali.Radhaji war voller
Freude, Soamijis geliebten Schüler wiederzusehen. Chacha Partap Singh, Soamijis jüngster Bruder, war
ebenso erfreut und hieß ihn herzlich willkommen. Auch Baba Gharib Das, der damals offensichtlich in
Agra war, erhielt Nachricht und eilte herbei, um mit der großen Seele aus dem
Punjab zusammenzusein. Wer vermag die große Freude zu beschreiben, als sie sich
begrüßten, einander umarmten und des großen Meisters gedachten, der zwar nicht
mehr auf der physischen Ebene, wohl aber geistig immer bei ihnen war? Als sich
diese alten spirituellen Kameraden wiedersahen, strahlten sie Liebe aus, und
diese Begegnung zu erleben war in sich eine Lektion aus der Wahrheit, daß Gott
Liebe ist. Radhaji brachte einen roten Turban und einen Aasan oder
Gebetsteppich, den ihr Soamiji vor seinem Weggang als letztes Geschenk an
seinen Gurmukh- Schüler zurückgelassen hatte. Chacha Partap Singh
holte dann noch einen Gaddi (eine Art Polstersitz), in den sich Babaji setzen
sollte. Er wollte aber nichts davon wissen und meinte: “Ich bin nur ein Hund
dieses Hauses, gesegnet, in seinen Mauern verweilen zu dürfen” und blieb
stehen. Da protestierte Chacha Partap Singh und bestand auf seiner Bitee, doch
ohne Erfolg. Schließlich schritt Radhaji ein und beendete den Wortwechsel,
indem sie erklärte: “Jaimal Singh ist wirklich ein würdiger Sohn Soamijis, der
das meiste aus dem ihm anvertrauten Kapitel gemacht hat. Ihm wurde die
Herrschaft über Sat Lok gegeben, warum sollte er sich da um irdische Gaddis
kümmern? Nach dem Mahl bestand Babaji darauf, das Geschirr sauberzumachen.
"Dieses Heim ist für mich ein Tempel, denn hier kam ich zur Erleuchtung.
Mein einziger Ergeiz ist, diesem Haus zu dienen.” Aber Radhaji wollte das
nicht. “Du magst an jedem anderen Tag tun, was dir gefällt,
aber heute mußt du dich dem fügen, was ich sage.” Tags darauf ging Babaji in Begleitung von Chacha
Partap Singh und Baba Gharib Das zu Rai Saligram, einem geliebten Schüler
Soamijis, der nach ihm betraut wurde, das Werk in Agra fortzuführen, und weiter
Vorträge im Pipal Mandi hielt, wo er allgemein als Hazur Maharaj bekannt war.
Er freute sich sehr über diesen Besuch und empfing den hochgeschätzten Gast aus
Ghuman voller Achtung und Zuneigung.Sie umarmten sich, wobei Hazur Maharaj
Babaji zu dem Gaddi zog, auf welchem er gesessen hatte, um ihn neben sich zu
haben. Aber mit der für ihn charakteristischen Be- scheidenheit lehnte Baba Jaimal Singh diese Ehre ab
und setzte sich auf den Boden. Am dritten Tag überreichte Hazur Maharaj Babaji eine
prächtige, mit Gold verbrämte Seidenrobe, doch er wollte sie nicht nehmen. “Wie
könnte sich ein einfacher Landsmann wie ich in ein so kostbares Gewebe kleiden?
Ein Khadi (handgewebtes Tuch) paßt viel besser zu mir.” – “Wie kannst du so
etwas sagen”, wandte der Gastgeber ein, “wo Soamiji dich zum König der
Spiritualität machte und dich mit seiner Mission im Punjab betraute?” Als er
sah, daß Babaji nicht nachgab, machte er den Vorschlag: “Nun gut, wenn du das
Gewand nicht annehmen willst, so erweise mir die Ehre, es wenigstens einmal
anzuziehen, wonach ich es als kostbares Andenken behalten will.” Bei diesen
Worten erklärte Chacha Partap Singh, daß er ein älteres Recht darauf habe und
es darum ihm zugesprochen werden möge, nachdem es Baba Jaimal Singh abgelegt
hatte. Zuletzt kam auch Radhaji herein und verwandte sich dafür. Wie konnte
Jaimal Singh bei einer solchen Liebe und Ehrung noch länger Widerstand leisten?
Welcher Sterbliche verdiente das? Es war alles die Gnade seines Meisters. Mit
Tränen in den Augen nahm er das Gewand aus Radhajis Händen, legte es
ehrfürchtig auf seinen Kopf und trug die Verse aus dem Granth Sahib vor, die
beginnen: Maen av-ghun, gun nahin koi ... Ich bin unwürdig, und keine Tugend ist in
mir ... So verging eine Woche, und nachdem Jaimal Singh dem
Ort seiner spirituellen Erleuchtung alle Liebe und Achtung erwiesen hatte,
bereitete er sich auf den Abschied vor. Er lud Baba Gharib Das ein, mit ihm zu
kommen, und dieser nahm die Einladung dankbar an. Dann machten sie sich auf die
Reise nach dem Punjab. Als sie in Ghuman angekommen waren, wurden ihnen zu Ehre
Ansprachen gehalten und Texte aus den heiligen Schriften gelesen. Zudem stand
Jiwan Singhs Hochzeit bevor -–man feierte Feste und freute sich. Die
Dorfbewohner nahmen regen Anteil an den Vorträgen der beiden spiri- tuellen Freunde, und die Tage gingen dahin, bis Baba
Gharib Das wieder zurück mußte. Jaimal Singh begleitete ihn zur Bahnstation von
Beas, und als der Zug abfuhr, sagte er ihm herzlich Lebewohl. Babaji blieb weiterhin in freundschaftlicher
Verbindung mit Soamijis Schülern und seiner Familie. Es bestand eine große gegenseitige Achtung und
Verehrung, und Babajis Besuch in Murree im Jahre 1894 kam durch die Einladung
einiger Satsangis aus Agra zustande. Doch nach dem Tode von Hazur Maharaj Rai
Saligramji begannen sich die Dinge zu ändern. Es wurden Maßnahmen getroffen, um
alle Tätigkeiten unter die Kontrolle von Pandit Brahm Shankar Misra (alias
Maharaj Sahib) zu bringen, indem ein zentraler Verwaltungsrat des Soamibagh ins
Leben gerufen wurde. Babaji wurde zusammen mit neun anderen für den ersten
Ratsausschuß nominiert. Der Brief, den Chacha Partap Singh bei dieser
Gelegenheit am 4. August 1902 aus Allahabad an Baba Jaimal Singh sandte und der
diese Ernennung bestätigt, liegt vor. 16) Babaji widerstrebte es jedoch, dem
Rat beizutreten, da er spürte, daß die Veränderungen, die man damals unter den
Satsangis von Agra feststellen konnte, nicht zu Soamijis Lehren paßten. Er war
auch nicht mit Maharaj Sahibs Plan einverstanden, zum Gedenken an Soamiji einen
prächtigen Samadh (Gedenkstein) zu errichten, sondern sprach sich dagegen aus,
weil er glaubte, daß ein so demütiger Geist, wie sein Meister es war, ein
derartiges Vorhaben niemals gebilligt hätte. Als er zu dieser Zeit nach Agra
kam, erklärte er offen seine Ansichten, doch ließ sich Maharaj Sahib nicht
davon abbringen. Er wurde dort nicht mehr so wohl aufgenommen wie ehedem, und
seine Worte waren nutzlos. So kehrte er nach Beas zurück und entschloß sich,
der Tätigkeit des Soamibagh- Rates fernzubleiben. Während seiner Militärzeit verbrachte Baba Jaimal
Singh jedesmal einen Teil seines Urlaubs in Ghuman. Obgleich frei von
weltlichen Bindungen, liebte er doch seine Mutter sehr. Bei einer Gelegenheit erzählte er einem Schüler, daß
er und seine Mutter sich in den vergangenen drei Lebensläufen derselben
verwandtschaftlichen Beziehung erfreut hätten. Wenn er nun in seine Heimat kam,
pflegte er seine Zeit nicht mit unnützem Geschwätz und Nichtstun zu vergeuden,
sondern ging ans Ufer des Beas-Flusses und setze sich verborgen in einen der
Gräben, die der eigenwillige Fluß durch den launischen Wechsel seines Laufs
geschaffen hatte, und blieb tagelang in spiritueller Hingabe versunken, indem
er nur von ein paar trockenen Chapatis (indische Brote) lebte, die er von zu
Hause mitgebracht und an einen Kikarbaum gehängt hatte. Manchmal ging er auch,
wenn er in Ghuman war, zu Dera Baba Namdev und setzte dort seine Meditationen
fort. Oder er benutzte für den gleichen Zweck einen Unterstand im Hof des
elterlichen Hauses. Diese Haus und der Unterstand wurden noch lange nach
Babajis Tod erhalten. Sein Nachfolger Hazoor Baba Sawan Singh Ji nahm manchmal
seine engsten Schüler mit nach Ghuman und zeigte ihnen die Stelle, wo sein
großer Meister zur Meditation zu sitzen pflegte. Insbesondere wies er auf den
Pflock an der Wand des Unterstandes hin, an dem Babaji sein Haar festgebunden
hatte, um den Schlaf abzuwehren. Genau wie seine Kameraden Baba Jaimal Singh mit der
Zeit zu achten und verehren lernten, haben nach und nach auch die Bewohner von
Ghuman seine spirituelle Größe erkannt. Seine Hingabe in früher Kindheit war
dort schon zur Legende geworden, und wann immer der Sant Sepahi kam, eilten die
Leute aus der Umgebung herbei, um ihn zu grüßen. Jung und alt – jeder, der für
spirituelle Dinge aufgeschlossen war, suchte ihn auf. Seine Jugendfreunde
Mistri Elahi Baksh und Bhai Lena baten als erste um spirituelle Führung. Er
lobte ihren Eifer, sagte aber, daß die Zeit für ihre Einweisung noch nicht da
sei. Viele Jahre später, als er die rechte Stunde für gekommen hielt, stellte
er sie auf den inneren Pfad; sie gehörten zu seinen ersten Schülern in Ghuman. Nachdem sich Babaji von seinen dienstlichen
Pflichten zurückgezogen hatte und wieder in sein Heimatdorf kam, ging er nach
alter Gewohnheit zum Ufer des Beas, um sich den spirituellen Übungen zu widmen.
Die Jahre unmittelbar nach seiner Militärzeit brachte er größtenteils auf diese
Weise zu. Als er einmal mit Hakim Nand Lal in Amritsar war,
erwähnte er, daß er einen ruhigen Ort in der Einsamkeit suche, wo er sich
niederlassen und weiter seinen Meditationen nachgehen könne. Lala Khazana Mal,
ein Geldverleiher, der auch dabei war, meinte, daß man einen solchen Ort am
Beas-Ufer zwischen Vairach und Balsarai finden würde, wo er sein Geschäft
betreibe. Babaji, der sich von dieser Gegend ohnehin angezogen fühlte, nahm
diesen Vorschlag an. Es war der Ort, wo Kahan, eine gottberauschte Seele,
Babaji in früheren Jahren begegnet war und gesagt hatte, daß er ihm hier für
später eine Stätte bereite. In der Zwischenzeit war Baba Chanda Singh, der die
Unterweisungen ebenfalls zu den Füßen Soamijis erhalten hatte, verstorben. In
seinem letzten Augenblick fragte ihn Bibi Rukko, eine sehr ergebene Schülerin, was nun
aus ihr werden solle. “Fürchte nichts, mein Kind”, erwiderte der Weise, “ein
anderer, größer als ich, wird für dich Sorge tragen.” – “Wo werde ich ihn
finden?” fragte sie. “Ihn finden? Nein, das brauchst du nicht, denn er selbst
wird dich ausfindig machen.” Kurz bevor sich Babaji am Beas-Ufer niederließ,
erzählte Bibi Rukko, die damals in Vairach lebte und spirituell gut
vorangekommen war, den Dorfbewohnern, daß ihr Beschützer in diese Gegend kommen
und dort leben werde. Bei seiner Ankunft fand Baba Jaimal Singh eine kleine
Hütte von etwa zwei mal zwei Metern vor, die aus Stroh und Zweigen für ihn
gebaut worden war und in der er von nun an wohnte. Bald danach erreichte auch
Khazana Mal den Ort. Als er hörte, daß Babaji gekommen sei, ging er zu ihm. Er
ließ die Hütte mit Lehm verputzen und eine Mulde ausheben. Man schrieb nun das
Jahr 1891, und Baba Ji gab sich mit doppeltem Eifer seinen spirituellen Übungen
hin. Er ging in diese Höhlung und blieb dort tagelang, manchmal sogar zwei
Wochen ununterbrochen im inneren Samadhi vertieft, ohne einen Gedanken an
Nahrung. Babaji vermied zwar, öffentlich Aufsehen zu erregen,
aber Moschus kann auch im Dunkeln nicht verborgen bleiben. Er kümmerte sich
nicht um weltlichen Namen und Ruhm, und dennoch fiel ihm beides zu. Der Ruf
seiner spirituellen Größe war bereits von Ghuman in die benachbarten Dörfer
gedrungen, und daß man zu einem Heiligen geht, um seinen Darshan zu haben, ist
in diesem Land der Weisen eine alte Gepflogenheit. Wo erst Einöde war,
erschienen die Menschen in immer größerer Zahl, und bald wurden regelmäßig
Satsangs abgehalten. Wie konnte Babaji jene wegschicken, die zu ihm gekommen
waren? In aller Einfachheit und Demut lehrte er sie die spirituelle Botschaft,
die er zu den Füßen Soamijis erhalten hatte. Viele begüterte Menschen baten um
die Erlaubnis, für ihn ein festes Haus zu bauen; aber reich in seiner
Anspruchlosigkeit, setzte er die einfache, strenge Lebensweise fort. Die Biographie eines Heiligen zu schreiben bedeutet,
etwas beinahe Unmögliches zu versuchen. Wenn sie ihrem Gegenstand wirklich gerecht werden
soll, muß sie den inneren Bewegungen folgen, die sich der Beobachtung, Analyse
und Beschreibung entziehen. Man mag das Leben eines großen Künstlers,
Schriftstellers, Soldaten oder Staatsmannes untersuchen, und wenn einer mit
tiefem Ver- ständnis und Vorstellungskraft begabt ist, kann er
es in Worten wiederaufleben lassen und ein an- schauliches Bild der seelischen Kämpfe und
Entscheidungen geben. Aber die Heiligen haben sich mit einem Mal von dieser in
die andere Welt erhoben und ihre Zelte in unzulänglichen Bereichen
aufgeschlagen. Nur wenige Menschen sind dort hingelangt, und die, welche Zugang
hatten, hüllten sich in Schweigen. Als die Feder ansetzte, diesen Ort zu
beschreiben, brach sie in Stücke, und das Papier
zerriß. Den Fortschritt der mystischen Seele zu studieren
ist gewöhnlichen Sterblichen nicht möglich, und wer die innere Reise kennt,
kann nur in Bildern und Gleichnissen sprechen; denn wie anders sollte man in
der menschlichen Sprache Erfahrungen ausdrücken, für die sie niemals gedacht
war? Darum muß die Geschichte einer von rastlosem Eifer
entflammten Meisterseele, die sich von Ebene zu Ebene begibt, ungeschrieben
bleiben. Sie vermittelt bestenfalls nur die Schale äußerer Geschehnisse und
Begebenheiten, wodurch die ungewöhnliche Natur der spirituellen Erfahrungen,
die sie um- schließt, angedeutet wird. Wenn eine solche Seele zu
voller Erleuchtung gekommen war und mit dem Unendlichen eins wurde, geht es
nicht länger um ihren eigenen Werdegang, sondern um den all jener, die in ihren
Bannkreis kamen und von der Knechtschaft der Welt befreit wurden. Nachdem Babajis große Suche von Erfolg gekrönt war,
ist seine Lebensgeschichte nicht mehr so sehr die Aufzeichnung seiner eigenen
Entwicklung, sondern der vieler Seelen, die durch ihn Vorteil hatten. So erzählte Mian Chirag Din die Geschichte seines
Großvaters mütterlicherseits, Mistri Elahi Baksh, von dem wir schon gesprochen
haben. Elahi, ein Jugendfreund Babajis, zeigte großes
Interesse für spirituelle Dinge und erörterte sie mit ihm, wenn er Urlaub hatte
und von seinem Regiment nach Hause kam. Als sich Babaji, in seinem Heimatort
als “Bhai” bekannt, wieder einmal in Ghuman aufhielt, sah ihn Elahi in
Begleitung eines Sadhu des Weges kommen. Sie führten eine lebhafte
Unterhaltung. Elahi wollte gern das Thema wissen und erfuhr, daß der Sadhu
darauf beharrte, Brahmand sei der höchste aller himmlischen Bereiche, obwohl
ihm Babaji versicherte, daß es noch höhere Regionen gebe. Kaum hatte Elahi das
gehört, wandte er sich dem Sadhu zu und sagte mit feierlicher Überzeugung:
“Ehrwürdiger, Babaji hat vollkommen recht, es gibt wirklich Regionen, die höher
sind, als Ihr sie kennt.” Dies brachte den Sadhu zum Schweigen, und er ging
weg. Als nun die beiden allein waren, dankte Babaji Elahi
für sein freundliches Eingreifen und fügte hinzu: “Doch es ist seltsam, daß du mir nie etwas über
deinen Zugang zu den inneren spirituellen Reichen gesagt hast.” “Wer sagt denn, daß ich Zugang zu ihnen habe?” “Aber wie konntest du dann mit einer solchen
Überzeugung sprechen?” “O Bhai, ich weiß nur, daß ein Mensch der
Verwirklichung niemals etwas Falsches sagen kann. Wie könnte ich somit an dem zweifeln, was ihr sagt?” Babaji war über den spontanen, tief wurzelnden
Glauben seines Freundes so gerührt, daß er zu ihm sagte: “Ich werde dir Schätze
erschließen, die wenige je erträumen und weniger erlangen werden.” Er nahm ihn geradewegs ans Ufer eines nahe gelegen
Teiches mit und gab ihm dort die Initation in den Surat Shabd Yoga. Aber Elahi
mußte den Wert der erhaltenen Gabe erst noch kennenlernen. Sehr interessiert an spirituellen Dingen, setze er
die Praktiken fort, die er einmal von einem Moslem-Heiligen gelernt hatte, und
versäumte, den Anweisungen seines Freundes nachzukommen. Als nun Babaji wieder einmal nach Ghuman kam,
schickte er nach Elahi und erkundigte sich, was er mit dem inneren Schlüssel,
der ihm gegeben worden war, gemacht habe, und da ihm Elahi erzählte, daß er
nichts getan und sogar vergessen habe, was ihm gesagt wurde, war Babaji
ungehalten: "Ich gebe dir den größten Reichtum, den je ein Mensch erhoffen
kann, und du zollst ihm eine solch un- genügende Beachtung?” Er schalt ihn aus und schlug
ihm dreimal ins Gesicht. Sobald seine Hand Elahis reumütiges Gesicht
getroffen hatte, öffnete sich sein inneres Auge, und sein Geist erhob sich in
höhere Welten. Von diesem Tag an gab sich Elahi Baksh ausschließlich dem Surat
Shabd Yoga hin, besuchte täglich seinen Pir oder Meister und verneigte sich
ehrfurchtsvoll vor ihm. Wenn ein großer Meister eine wandernde Seele unter
seine Fittiche nimmt, ist seine Gnade nicht nur auf seinen unmittelbaren
Schüler begrenzt, sondern strahlt auch auf die nächsten Verwandten aus und
jene, die ihm nahestehen. Die Familie von Elahi Baksh kam unter einen solch
mächtigen spirituellen Einfluß, daß trotz Spott und Verachtung seitens ihrer
Moslem-Verwandten und Glaubensbrüder viele ihrer Angehörigen Unterweisung zu
Babajis Füßen suchten. Elahis Schwiegersohn, Hussain Baksh, war unter den
ersten, die den Pfad aufnahmen. Er war Babaji sehr ergeben und bezeigte ihm
große Liebe und Verehrung. Sein Meister war mit ihm zufrieden und behandelte
ihn und seine Söhne Ghulam Qadir und Chirag Din voller Zuneigung. Mian Chirag
Din erzählt in seinem handgeschriebenen Bericht, wie der große Lehrer in ihrer
Kinderzeit mit ihnen gespielt und sie immer zu sich gelassen habe. Als er
einmal wieder nach Ghuman gekommen war und gerade ruhte, spürten die Knaben ihn
auch dort auf. Bibi Daya nahm sie an der Tür in Empfang und war ein wenig
ungehalten darüber, daß sie zu ihrem Sohn wollten. “Ach, wenn ihr einmal
erwachsen seid und selbst Kinder habt, macht nicht den Fehler und laßt sie
ausbilden”, erklärte sie. “Ich bin eine Mutter und weiß nur zu gut aus eigener
Erfahrung, wie schwer es ist, damit fertig zu werden, wenn der Sohn ein Gott
wird.” In diesem Augenblick rief Babaji die Knaben zu sich, und sie gingen
hinein. Er klopfte ihnen liebevoll auf die Schulter und sagte: “Ihr seid immer
willkommen. Denkt euch nichts dabei, was Mutter sagt.” Ein wahrer Meister ist immer mit seinem Schüler und
beschützt ihn nicht nur während des Lebens, sondern auch im Tode: O Nanak, mache dich frei von deinen
weltlichen Gefährten, und suche die Freundschaft eines wahren Heiligen. Jene werden dich schon im Leben verlassen, doch er wird selbst nach dem Tode bei dir
sein.
Nanak Halte dich, o Seele, an einen, der
alle inneren Bereiche kennt, denn er wird dir im Leben wie auch im Tode ein Freund sein. Maulana Rumi Die letzten Augenblicke eines Schülers von Babaji
mitzuerleben, hieß, sich von seiner wahren Größe zu überzeugen. Unzählige Geschichten werden über die
seltsamen Begebenheiten erzählt, die das Ende jener kennzeichneten, die von dem
Beas-Heiligen initiiert waren. Als hervorstechendes Beispiel sei der
Augenzeugenbericht angeführt, den Chirag Din vom Tod seines Vaters hinterlassen
hat. Wir übersetzen einen Auszug aus diesem in Urdu
geschriebenen Manuskript, in er die Beziehungen seiner Familie zu Babaji
schildert und einige Anekdoten wiedergibt, die er von dem großen Meister über
seine frühere Jugend gehört hatte. “Einmal war Babaji, nachdem er seine Pension geholt
hatte, nach Ghuman gegangen. Unser Vater war gerade gestorben. So machten wir
uns auf den Weg, um dem Erhabenen die traurige Nachricht zu bringen. Er
tröstete uns und begab sich sogleich dahin, wo der Leichnam lag. Als er
angelangt war, sagte er: <O Hussain Baksh, warum hattest du solche Eile? Ich
wäre gekommen, und du hättest meinen Darshan haben können.> Bei diesen
Worten öffnete unser toter Vater die Augen und setzte sich auf. Unsere Mutter
erschrak und fragte, was das zu bedeuten habe. <Nichts>, sagte er,
<der Meister ist gekommen, und ich gehe.> Dann legte er sich hin und
verschied.” Eine andere bemerkenswerte Geschichte erzählt, wie
Attar Singh, ein Bewohner des Dorfes Dhaliwal, das Babaji besuchte, ihn über
einen nahe gelegenen Fluß und wieder zurück brachte, als dieser nach starken
Regenfällen Hochwasser führte. Der Weise war über den selbstlosen Dienst des
Bauern so erfreut, daß er zu ihm sagte: “O Attar, du hast mich über diesen
kleinen Fluß gebracht. Dafür werde ich dich über das Meer des Lebens bringen.”
Er initiierte ihn in die heilige Wissenschaft, und von dem Tag an war dieser
ein anderer Mensch. Zwar ging er wie sonst mit seinem Vieh auf die Weide, aber
sobald er dort war, ließ er es frei umherlaufen und wandte sich selbst seinen
spirituellen Übungen zu. Er benutzte auch keinen Stock mehr, um die Herde
zusammenzuhalten, sondern kam mit einem Stück Stoff aus und wurde bald bekannt
für seine ungewöhnlich gütige Art, das Vieh zu behandeln. Eines Tages kehrte er ziemlich früh heim. Als er in
sein Haus trat, sagte er zu seiner Schwieger- tochter, die dort war: “Kind, besorge alles rasch,
denn bald wird ein Sturm aufkommen.” Er nahm ein Bad, dann richtete er auf dem Fußboden
ein Bett und rief alle, die im Haus waren, zu sich, um von ihnen Abschied zu
nehmen, indem er erklärte: “Meine Zeit ist abgelaufen, ich muß gleich gehen.”
Die Anwesenden waren alle bestürzt über diese seltsamen Worte. Wie konnte er
vom Sterben sprechen, da er doch offensichtlich bei guter Gesundheit war.
Schließlich bat seine Schwiegertochter, die sich zuerst gefaßt hatte, um
die Erlaubnis, nach seinem Sohn zu schicken. “Das ist nicht nötig”, antwortete er. “Mein Meister
ist gekommen, und ich kann ihn nicht warten lassen.” Nachdem er das gesagt
hatte, legte er sich nieder, schloß die Augen, und sein Geist ging in seine
himmlische Heimat. Babaji war nicht nur selbst sehr zurückhaltend
damit, seine spirituellen Schätze zu offenbaren, sondern schärfte auch seinen
Schülern mit Strenge ein, dieselbe Zurückhaltung zu beachten. Wenn sie sein
Gebot übertreten hatten, entgingen sie nie der Strafe. So erzählt Chirag Din
die Geschichte eines blinden Hafiz (Gelehrter) aus Dhariwal. Er wohnte einmal
einem Vortrag Babajis in Kapurthale bei, und als dieser zu Ende war und sie
miteinander sprachen, bemerkte er: “Die Weisen haben gesagt, daß der welcher
die Heilige Schrift dreimal gelesen hat, in den Himmel kommt.” “Der Himmel ist sehr weit weg, mein Lieber”,
entgegnete Babaji. “Nur wer darin gewesen ist, kann darüber etwas sagen.” Die Gewißheit in der Äußerung des Weisen bewog den
Hafiz, um die Instruktionen nachzusuchen. Sein Wunsch wurde erfüllt, und er übte eifrig die
ihm erteilte Lektion, bis sie Frucht trug. Sodann ging er zu seinem ehemaligen Lehrer Mian
Sahib in Batala und hielt ihm vor, daß alles, was er ihn gelehrt habe, Täuschung
und Lüge sei. Er besuchte häufig die Moschee, konnte aber den frommen Schein,
der dort zur Schau gestellt wurde, nicht mit ansehen; er zerbrach darum
heimlich die irdenen Töpfe und verbrannte die Gebetsteppiche. Doch bald
entdeckten seine Gefährten den Elenden und beklagten sich bei seinem Guru. Man rief den blinden Mann, und Babaji tadelte ihn. “Herr”, erwiderte der Schüler, “ich kann die
Heuchelei nicht ertragen, und außerdem bin ich im Recht.” Sein Meister sagte
ihm jedoch, daß er in Zukunft lernen müsse, sich zu mäßigen und zu beherrschen.
Aber der Rat blieb unbeachtet, und bald gab der Hafiz wieder seiner
wunderlichen Laune nach. So wurde der Weise von einer Gruppe Moslems
aufgesucht, die bitterlich protestierten und darüber klagten, daß er seinen
Schüler gelehrt habe, heidnisch zu werden. Darauf fragte Babaji: “Beharrt der
Mann immer noch in seiner Torheit? Nun, wenn er nicht aufhört, euch zu stören,
seid nicht böse, ihr werdet bald von ihm erlöst sein.” Tatsächlich starb der
Hafiz ein paar Tage später. Ähnliche Erzählungen hört man über andere
fortgeschrittene Schüler. Ein Sadhu, der nach Beas kam, machte rasche
Fortschritte, und seine Seele erhob sich beliebig bis Daswan Dwar. Er konnte es
aber nicht lassen, zu jedem, der ihm in den Weg kam, von der inneren
Herrlichkeit zu sprechen. Babaji war darüber bestürzt und sagte ihm, daß er
lernen müsse, seine Zunge im Zaum zu halten. Doch der selbstsichere Sadhu fuhr leichtfertig damit
fort. So wurde der innere Vorhang herunter- gelassen, und für volle sechzehn Jahre war ihm der
Zugang nach innen verwehrt, bis ihn in seinen letzten Tagen Babajis weithin
bekannter Nachfolger Baba Sawan Singh wieder damit segnete. Baba Nizam-du-din sollte in gleicher Situation einen
ähnlichen Rückschlag erfahren. In dem sehr schön geschriebenen Urdu-Bericht
seines Sohnes ist zu lesen, wie sein Vater, der nach den Aufzeichnungen von
Beas der sechzehnte Initiierte Babajis war, innerlich sehr rasch fortschritt. In wenigen Monaten verfügte er bereits über große
Kräfte und hatte eine bemerkenswerte Hellsich- tigkeit entwickelt. Anstatt aber seine Gaben in sich
zu verschließen, wie ihn sein Lehrer geheißen hatte, begann er seine
spirituellen Güter zur Schau zu stellen, und erzählte freimütig allen Leuten
zukünftige Ereignisse oder Dinge, die sich gerade in entfernten Städten
zutrugen. Als Babaji davon erfuhr, wandte er sich an Bibi Rukko und sagte:
“Dieser Mann ist wirklich sehr rasch vorwärtsgekommen, konnte aber das, was er
bekam, nicht verkraften.” Von dem Tag an war vor das innere Auge Nizam-du-dins
der Vorhang gezogen, weil er nicht hatte schweigen können. Sein Kummer war
groß, aber im Vertrauen auf die Gnade seines Meisters widmete er sich den
spirituellen Übungen mit doppelter Kraft. Auch seine Frau wurde initiiert, und
im Laufe der Zeit wurden ihnen große Segnungen zuteil. Allen, die mit ihnen
zusammenkamen, war ersichtlich, daß sie keine gewöhnlichen Sterblichen waren.
Doch nie wieder hat Nizam-du-din mit seinen spiri- tuellen Kräften geprahlt. Das ganze Leben Nizam-du-dins und seiner Familie,
wie es von seinem Sohn beschrieben wurde, ist eine lange Geschichte über die
Segnungen, die man durch einen wahren Meister erlangt. Aber die Welt ist einem
lebenden Heiligen nicht wohlgesonnen und auch denen nicht, die von Liebe zu ihm
erfüllt sind. Nizam-du-dins Ergebenheit für seinen Sikh-Meister brachte ihm
bald die Feindseligkeit seiner Verwandten und Moslem-Brüder ein.”Er ist ein
Ungläubiger geworden”, sagten sie und ver- säumten keine Gelegenheit, ihn zu beschimpfen und zu
verfolgen. Er selbst ließ sich dadurch nicht beirren, und wenn immer von
"Moslems" ”der “Nicht-Moslems” die Rede war, sprach er die persischen
Verse: Ishk ra
ba kafir-o-moman, na bashad imtyaj Ein Sukhan bar
mamber-o-mehrab mae bayad nivisht. Liebe kennt keinen Unterschied
zwischen dem Gläubigen und dem Ungläubigen. Mögen diese Worte auf jeder Kanzel
und an jedem Gewölbebogen
zu lesen sein. Mard-e-hujji
Mard-e-hajji ra talab Khah Hindu, Khah Turk-o-Khah
Arab. Willst du auf innere Pilgerreise gehen, suche einen inneren Führer, sei er ein Hindu, ein Türke oder ein Araber. Aber trotz all seiner Geduld wurden die Dinge immer
schlimmer, und als sie nicht mehr zu ertragen waren, riet Babaji seinem
geliebten Schüler, sein Heim nach Multan zu verlegen. So verbrachte er dort das
Ende seines langen Lebens. Er kam häufig nach Beas, um seinen Meister zu sehen.
Nachdem dieser im Jahre 1903 gegangen war, besuchte er Baba Sawan Singh, seinen
spirituellen Nachfolger, bei dem er in großem Ansehen stand. Doch wir wollen
nicht im einzelenen bei den vielen Segnungen verweilen, die ihm, seinen Söhnen,
Enkeln und Urenkeln gewährt wurden. Der Hinweis mag genügen, daß die ganze
Familie Babaji sehr verehrt hat. Wie von ihm nahegelegt, behielten sie alle
Traditionen ihres Glaubens bei, während sie sich den Übungen widmeten, die er
sie gelehrt hatte. Als die letzte Stunde seiner Frau näher rückte, nannte sie
den genauen Tag ihres bevorstehenden Endes vier Wochen vorher. Zu dieser Zeit
befand sie sich bei guter Gesundheit. Als der Tag gekommen war, nahm sie von
ihrem Gatten rührenden Abschied: “ Ich habe dir sechzig Jahre nach meinem
besten Vermögen gedient. Jetzt erlaube mir bitte zu gehen. Mein Meister und Maharaj
Sawan Singh warten auf mich.” Nizam-du-din bat sie, seinen Arm zu nehmen, und
richtete seine Aufmerksamkeit nach innen. Die ganze Familie blickte auf die beiden alten
Leute, die in Meditation vertieft waren. Zwanzig Minuten später öffnete der
Ehemann die Augen. “Nun magst du gehen”, sagte er, und seine Frau ging voller
Frieden. Als sie am nächsten Morgen zur Begräbnisstätte gebracht werden sollte,
weigerten sich einige der Verwandten, die Bahre mit anzuheben, weil die Frau
eine Ungläubige gewesen sei. Aber die Nachbarn kannten sie als gütig und
großmütig, wahrhaft ein Kind Gottes, und halfen den Sarg zur Begräbnisstätte zu
bringen. Baba Nizam-du-din folgte ihr nicht lange danach.
Auch ihm war das Ende vorher bekannt; als seine Bahre weggetragen werden
sollte, war das Herz seiner Brüder weich geworden, und sie begleiteten den
Sarg. Auch viele Sadhus und gottesfürchtige Moslems waren zugegen, und als
seine sterbliche Hülle hinabgelassen wurde, sangen sie die Verse:
Hum nashini saat-e ba aulia Behter
az sad-sala taat be-ria. Ein Augenblick der Verbindung mit einem
Heiligen ist mehr wert als Millionen Bußübungen. Trotz der Teilung des Landes, die die Unabhängigkeit
mit sich brachte, und des kommunalen Hasses, der als Folge davon entfesselt
wurde, haben die Nachkommen Baba Nizam-du-dins bis auf den heutigen Tag ihren
Glauben bewahrt, und sie besuchen oft den Sawan Ashram in Delhi, um die
Verbindung mit dem Pfad der Meister oder Sultan-ul-Azkar, wie ihn ihr
erleuchteter Vorfahre in der Terminologie der Sufi-Heiligen nannte, lebendig zu
halten. Babajis Gnade floß allen zu! Nicht nur seine Schüler
hatten Vorteil durch ihn, sondern auch viele andere, die manchmal nur durch
ihre Einfachheit, Reinheit und ihr selbstloses Dienen seinen Blick auf sich
lenkten. Er hatte in seiner Kindheit und Jugend viele Schriften gelesen, aber
er sprach nicht von diesem Wissen, sondern aus der direkten inneren Erfahrung.
Es lag eine unerklärliche Süße und etwas Bezauberndes in dem, was er sagte,
dazu eine unwiderstehliche Überzeugungskraft und Gewißheit. Einmal kamen vier große Pandits, die sich mit
verschiedenen Yoga-Praktiken befaßt hatten und über die Art der inneren Ebenen
zu streiten und debattieren begannen. Sie stützten sich auf ihr spirituelles
Studium und führten darum eine wirklich lebhafte Auseinandersetzung.Da sie von
dem Soldaten- Heiligen und seiner großen Verwirklichung erfuhren,
suchten sie Babaji auf. Er hörte sie an und erklärte ihnen dann einleuchtend
die Beschaffenheit der spirituellen Regionen, brachte die scheinbar
widersprüchlichen Gesichtspunkte miteinander in Einklang und zerstreute zu
ihrer Zufriedenheit alle Zweifel. Die Pandits gingen wieder, doch einer von
ihnen, ein wahrer Sucher, der sich zu dem Heiligen unwiderstehlich hinzugezogen
fühlte, kehrte zurück und bat um die Initiation. Sie wurde ihm gewährt, und er
befolgte seine Übungen regelmäßig, jedoch mit geringem Nutzen. “O Herr, segnet mich mit einer inneren Schau”, bat
er. “Glaubst du, daß ich dir nicht wohl will?” kam die
Antwort. “Wollte der Herr, daß du heute noch Sat Lok
erreichst, aber du bist noch nicht reif dafür und wärest nicht imstande, die
Anspannung zu ertragen.” Die Bitte wurde oft wiederholt, aber Babaji gab
immer dieselbe Antwort. Als er eines Tages alleine wegging, um seine Pension zu
holen, begegnete ihm der Pandit an einer einsamen Stelle. “Herr, hier ist eine öde Gegend, und niemand sieht
uns. Segnet mich jetzt, oder laßt mich zumindest einen Schimmer der inneren
Bereiche haben – nicht mehr – damit ich sicher sein kann.” “Du wirst es nicht aushalten, und die Anspannung ist
zu groß für dich.” “Was bedeutet es, selbst mein Leben zu verlieren,
wenn ich nur sehen kann, was innen ist!” Babaji konnte es ihm nicht länger abschlagen. Er
forderte den Pandit auf, sich zur Meditation zu setzen, und richtete seinen
Blick auf ihn. Die Seele des Pandits wurde gewaltsam in den höheren Bereich
gezogen. Als Babaji sie durch seinen Willen wieder zum physischen Bewußtsein
zurückbrachte, fiel ihm der Pandit schluchzend zu Füßen. “Ich glaubte, mein
Leben würde aus mir herausgerissen, und eine Million Blitze träfen meinen Kopf.
O Herr, vergebt mir meine Torheit. Wir Sterblichen sind in der Tat unwürdig.” “Was habe ich zu vergeben?” erwiderte der Weise. “Du
mußt dir selbst vergeben; nicht ich habe gelitten. Nun geh und mache das Beste
aus deiner Zeit, denn du hast nur noch drei Jahre zu leben." Von dem Tag an war der Pandit mit ganzer
Aufmerksamkeit bei seinen Meditationen, und starb, wie vorhergesagt, drei Jahre
später. Es gibt eine Fülle solcher Erzählungen, und ganze
Bände würden nicht ausreichen, die Erhabenheit und Gnade eines wahren Heiligen
zu preisen. So wollen wir uns abschließend mit der wichtigsten Begebenheit aus den Annalen von Babajis heiligem Amt
befassen: der Initiation von Sawan Singh Ji, der später seine Mission
weiterzuführen hatte. Die Geschichte wird von dem großen Schüler selbst
erzählt, und wir führen Stellen aus seinen Briefen an, die in den Spiritual
Gems (Beas, 1959) veröffentlicht wurden. “Ich hatte von Kind auf eine Liebe für Satsang und
Parmath (Spiritualität). Oft war ich mit Sadhus und religiösen Menschen
zusammen, zum Teil deshalb, weil mein Vater den Sadhus gerne diente. Während
meiner Militärzeit studierte ich den Vedanta und sprach mit den anderen Leuten
darüber, besonders mit Sadhus, die sich auf ihrem Weg nach Kaschmir in einem
Dharamsala (Rasthaus) auf- hielten, in dessen Nähe ich wohnte. Später wurde ich nach Murree Hills versetzt. Als ich
eines Tages meine Arbeit überprüfte, bemerkte ich einen alten Sahib, der mit
einer Frau mittleren Alters einen Berghang hinaufging. Ich nahm an, daß er in
einer Sache des Kommissariats gekommen war. Kaum hätte ich gedacht, daß er mein
Meister sein würde. Es war aber kein anderer als Babaji, und die Frau war Bibi
Rukko. Das wußte ich zu der Zeit noch nicht. Erst später erfuhr ich, daß
Babaji, indem er sich auf mich bezog, zu Bibi Rukko sagte: “Es ist um seinetwillen, daß wir hierher gekommen
sind”. Worauf Bibi Rukko entgegnete: “ Aber er hat Euch nicht einmal gegrüßt.”
Babaji erwiderte: “Was weiß der arme Bursche davon? In vier Tagen wird er zu
uns kommen.” Am vierten Tag ging ich hin, um den Satsang zu
besuchen. Babaji war gerade dabei, die Bedeutung des Jap Ji Sahib zu erklären.
Da begann ich mit einem Schwall von Fragen, die so zahlreich waren, daß die
Zuhörerschaft allmählich ermüdete und darüber unruhig wurde. Das heilige Buch
Sar Bachan lag da, und ich erhob Einspruch gegen den Namen <Radhasoami>.
So erklärte mir Babaji aus dem Buch selbst, was <Radhasoami> bedeutete: Radha
ad surat ka nam Soami ad Shabd
nij dham. Radha ist der Name des
ersten oder uranfänglichen Strahles von Surat (Bewußtsein) . Soami ist die Urquelle des
Shabd-Stromes. Nun wollte er den Weg darlegen, aber ich hatte den
Vedanta gelesen. Als ich den Gurbani las, war meine Meinung eine andere.
Nachdem ich mich mit der Gita beschäftigt hatte, änderte sie sich erneut. Ich war einfach nicht in der Lage, zu einem Schluß
zu kommen. Schließlich bat ich um acht Tage Urlaub, damit ich die Lehren
Babajis studieren konnte. Er riet mir, Kabir Sahibs Anurag Sagar zu lesen.
Sofort bestellte ich aus Bombay acht Exemplare dieses Buches, um es auch
einigen meiner Freunde, Baba Hari Ram, Gulab Singh und anderen, zum Lesen zu
geben und mit ihnen darüber zu sprechen. Nach mehreren Unterhaltungen mit Babaji war ich
völlig überzeugt und erhielt von ihm am 15.Oktober 1894 die Initiation.” Das folgende ist eine ergreifende Geschichte von
Ergebenheit und Gehorsam auf der einen und unaussprechlicher Liebe und Gnade
auf der anderen Seite. Der Briefwechsel zwischen dem Meister und seinem Schüler
gibt etwas von der esoterischen Schönheit dieses Berichtes wieder. Babajis
Briefe wurden in dem schon erwähnten Band der Spiritual Gems abgedruckt. Wir erfahren darin von der schrittweisen Führung,
die der Guru dem Schüler gewährt, der sich vollkommen seinem Willen unterworfen
hat, und auf welch ungewöhnliche und wunderbare Weise ihm seine schützende Hand
in allen Dingen hilft. Besonders zwei Begebenheiten hat Baba Sawan Singh seinen
Zuhörern sehr gerne erzählt, um die Größe Babajis zu veranschaulichen und den
Segen, der einem zuteil wird, wenn man einen Pooran Guru oder wahren Meister
hat. Wir führen wieder aus seinen Briefen an: “Es war meine Gewohnheit, die
Mähne meines Pferdes festzuhalten und aufzuspringen, wenn es herbeikam. Doch
als ich einmal nicht da war, hatte mein Diener die Mähne des Tieres
abgeschnitten, ohne daß ich davon wußte. Ich bemerkte es nicht, und wie ich
nach ihr griff, fand ich keinen Halt, fiel und brach mir das Bein. Der Bruch
war zweifellos schmerzhaft, aber noch viel schmerzhafter der Umstand, daß ich
weder Darm noch Blase entleeren konnte. Die Ärzte glaubten sogar, daß es
schwierig für mich sei, mit dem Leben davonzukommen. Ein mohammedanischer Aufseher, der zu meinem Bezirk
gehörte, erfuhr von dem Unfall, kam zu mir und sagte <Ich bin der Eure, eine
Art Familienmitglied. Bitte sagt mir, wie ich Euch helfen kann.> Ich erwiderte: <Meine Kinder sind in einem
Internat, etwa acht Meilen von hier. Ich möchte nicht, daß sie etwas davon
erfahren. Ich würde sie aber bitten, ein Telegramm an Maharaj Ji (Babaji) zu
senden.> Er tat es. Als es Babaji erhielt, sagte er: <Nun,
wenn ihn der Meister wegnehmen will, so mag er es tun, hat er doch wenigstens
Naam bekommen.> Aber meine Glaubensschwester Bibi Rukko setzte sich bei
Babaji für mich ein. Babaji pflegte in Meditation zu sitzen oder in
Meditation zu gehen, wenn etwas Besonderes zu erwarten war, und danach zu
sagen, welche Informationen er im Innern erhalten hatte. So saß er seit
ungefähr acht Uhr abends oder noch früher (sobald er das Telegramm erhalten
hatte) in Meditation. Um etwa drei Uhr morgens rief er Bibi Rukko, und sie
fragte: <Soll ich nun das Mal bringen?> (Er hatte kein Abendbrot zu sich
genommen.) Babaji antwortete: <Nein, aber du fragtest etwas wegen Bhai Sawan
Singh. Du kannst ihn nun benachrichtigen, daß er nicht gehen wird, das Karma
jedoch sehr schwer war. Es war ihm bestimmt, fünf Jahre zu leiden, aber nun
wollen wir es in fünf Monaten zu Ende bringen. Ist das nichts? Wir werden nicht
jetzt zu ihm gehen, sondern erst, wenn er aus dem Krankenhaus entlassen ist.
Inzwischen kannst du ihm bestätigen, daß wir sein Telegramm bekommen haben.>
Im Augenblick, als ich Babajis Telegramm erhielt, konnte ich Darm und Blase
leeren... Heilige zeigen ihre Barmherzigkeit, aber sie
sprechen nie darüber. Während ich nun in dieser mißlichen Lage war, hatte ich
auch finanzielle Schwierigkeiten. Ich verlor meine Stellung in der
Unterabteilung, mein Pferd und auch die Hälfte meiner Bezüge. Der leitende
Ingenieur war jedoch sehr freundlich zu mir. Er sagte: <Wenn Sie nur jeden
Tag in einer Sänfte zum Büro kommen könnten, würde ich Sie als im Dienst
betrachten.> Ich hatte aber starke Bedenken und fürchtete, daß ich mit
meinem noch schwachen Bein ausgleiten und einen weiteren Unfall haben
könnte. Daraufhin genehmigte er mir
einen einmonatigen Urlaub. Ich fragte mich, ob ich wohl nach einem Monat wieder
zu Arbeit fähig sei. Am nächsten Morgen kam der vorgesetzte Ingenieur zu mir
und bemerkte: <Sie gehen jetzt nur für einen Monat.> Kurz zuvor hatte
mich Babaji besucht und mir gesagt, daß ich nur noch für einen weiteren Monat
vom Dienst befreit würde. Ich konnte es kaum glauben. Schließlich war der Monat vergangen, und ich erhielt
einen Brief von Babaji, in dem es hieß: <Wir sind nicht in die Welt
gekommen, um unsere eigene Arbeit zu tun; wir sind auf Veranlassung von Maharaj Ji (Soamiji) hier. Wenn er es will, wird die
Arbeit durch uns getan.> Es ist unmöglich, die Reichweite der Macht und der
Heiligen zu beschreiben. Ich bin sicher, daß der Meister sein Werk selbst durch
Steine ausführen kann, wenn er es will.” “Babaji war immer sehr gütig zu mir, und so oft ich
ihn besuchte, gab er mir einen Platz in seinem eigenen Raum. Einmal stieg ich
um zwölf Uhr mittags an der Bahnstation in Beas aus. Da es sehr heiß war, setzt
ich mich eine Weile unter einen Baum. Dann sagte ich mir jedoch, daß ich
gekommen war, um Babajis Darshan zu haben; statt dessen suchte ich hier
Bequemlichkeit und verzögerte die Zusammenkunft mit dem geliebten Meister.
Selbst weltliche Liebhaber hielten das weit besser. Der Gedanke beunruhigte mich. So machte ich mich auf
den Weg vom Bahnhof zur Dera. Dort kam unterdessen Babaji Maharaj aus dem Haus und
ging im offenen Hof vor seinem Raum umher, obwohl er sehr empfindlich gegen
Hitze war. Bibi Rukko protestierte und bat ihn, sich nicht der heißen Sonne
auszusetzen, sondern wieder ins Haus zu gehen, aber er blieb. Erst wenige
Minuten vor meiner Ankunft ging er hinein. Als mich dann Bibi Rukko kommen sah,
rief sie aus: <Oh, jetzt weiß ich, warum Babaji in der heißen Sonne
geblieben ist.< (Er hatte selbst einen Teil der größten Hitze auf sich
genommen, damit ich nicht unterwegs von ihr übermannt würde.) Es gibt so viele
wunderbare Dinge über Babaji zu sagen, daß hundert Jahre nicht ausreichten,
wollte ich alles erzählen.” In der Tat wären “hundert Jahre” nicht genug, und
darum wollen wir die Geschichte von Babajis irdischem Aufenthalt so rasch wie
möglich zu Ende bringen. Die Zahl der Besucher, die zu seiner Hütte in Beas
strömten, nahm ständig zu. Und seine Worte zu Bibi Rukko: “Hier wird eines
Tages eine immer größer werdende Stadt mit vielen Häusern und Bungalows
entstehen” wie auch der Hinweis des gottberauschten Kahan, über den die Leute
gelacht hatten: “Ich sammle diese Steine für die Stadt, die hier einmal erbaut
wird” schienen sich schließlich zu bewahrheiten. Babaji verbrachte den größten
Teil seiner Zeit in Beas, begab sich aber auch des öfteren in nahegelegene
Gebiete oder weiter entfernte Städte, um für die spirituellen Bedürfnisse
seiner Anhänger zu sorgen. Als er einmal auf Wunsch einiger Schüler in Ambala
war, bat Hukam Singh, ein Freund seines ergebenen Schülers Moti Ram, der als Schneider für das dort stationierte
britische Regiment arbeitete, um die Initiation. Babaji lehnte es ab, seine Bitte zu erfüllen. Hukam
Singh hielt sich an seinen Freund, der sich dann bei Babaji dafür einsetzte,
jedoch ohne Erfolg. “Er ist für den Pfad noch nicht geeignet”, bemerkte der
Weise. Aber Moti Ram ließ nicht nach, Immer wieder bat er für seinen Freund. “Ich habe dir doch gesagt, daß sein Karma es nicht
erlaubt. Was kann ich da machen?” “O Heiliger, umso mehr solltet Ihr Mitleid mit ihm
haben, denn wer sonst hätte es, wenn nicht Ihr?” “Moti Ram, dringe nicht weiter in mich. Ich würde
lieber vierhundert andere initiieren als deinen Freund.” Ein Heiliger kann
einem ergebenen Schüler nicht lange etwas abschlagen und würde für ihn selbst
durchs Feuer gehen. Als ihn Moti Ram wiederholt bedrängte, gab er nach und
fügte hinzu: “Doch sobald ich deinen Freund initiiert habe, werde
ich keinen Augenblick länger hierbleiben, sondern sofort nach Hause fahren.”
Getreu seinem Wort packte er, gleich nachdem er die Initiations- anweisungen gegeben hatte, seine wenigen Sachen
zusammen und fuhr wieder nach Beas. Allen, die den Wunsch äußerten, ihm dorthin zu
folgen, wurde gesagt, daß sie zwei Wochen später kommen sollten. Bei seiner
Heimkehr ging Babaji sofort zu Bett. Als ihn Leute aus Beas aufsuchten, waren
sie bestürzt, ihn von einem tödlichen Fieber befallen zu sehen. Man schickte
nach Ärzten und nach Medizin, aber Babaji nahm nichts. Etwa nach vierzehn Tagen
ging das Fieber zurück. Kaum hatte Moti Ram davon gehört, eilte er zu ihm
und bat um Vergebung: “Herr, wenn ich nur gewußt hätte, was es für Euch
bedeutet, würde ich Euch niemals, nicht einmal für das Reich der drei Welten,
gedrängt haben, meinen Freund zu initiieren.” Babaji war in mitteilsamer
Stimmung und erzählte: Das Karma von Hukam Singh war so schwer, daß er ohne
diese Fürbitte in den nächsten sieben Lebensläufen die schwersten Leiden und
Prüfungen hätte erdulden müssen.” Moti Ram dankte ihm demütig für diese
unermeßliche Gnade, aber Babaji entgegnete mit der ihm eigenen Bescheidenheit:
“Es war der Wille des Herrn.” Die Güte Babajis strahlte wie die lebensspendende
Sonne auf alle aus, die mit ihm in Berührung kamen. Seine besondere Zuneigung
aber galt, wie wir schon gesehen haben, Baba Sawan Singh. Die Jahre 1894 bis 1903 waren durch regelmäßige
Besuche von Baba Sawan Singh Ji Maharaj in Beas gekennzeichnet, die
gelegentlich von Babaji erwidert wurden. Der Weise nannte seinen
Lieblingsschüler “Babuji”. Er hatte Bibi Rukko erzählt, daß der stattliche
Regierungsbeamte eines Tages sein Nachfolger würde. Als er einmal in besonders
gütiger Stimmung war, wandte er sich an seinen Gurmukh mit der Bemerkung: “Du
und ich, wir sind zum Wohl der Menschheit gekommen.” Sawan Singh entgegnete: “Sicher seid Ihr für die
Erhebung der Menschheit gekommen, aber ich bin nur ein irrender Sterblicher.” “Babaji wiederholte seine Worte, und Sawan Singh gab
die gleiche Antwort. Da hob Babaji die Augenbrauen und sagte in lauterem
Tonfall: “Babuji, ich spreche zu dir. Wir sind beide zum Wohl der Menschheit gekommen.”
Sawan Singh saß da und schwieg. Ein andermal sagte der Heilige von Beas zu
seinen Schülern: “Ich mußte für das, was ich erreichte, schwer arbeiten, habe
aber nie meine Schätze zur Schau gestellt, sondern sie verschlossen gehalten.
Doch meine Mühen sollen Frucht tragen, und der, welcher meinen Mantel erbt,
wird weit und breit bekannt werden.” Die Tage gingen dahin, und Beas wurde zu einem
strahlenden Zentrum auf der spirituellen Weltkarte. Er, der niemals zugestimmt hatte, daß man Hallen und
Häuser baute, gab schließlich den Bitten seines geliebten Babuji nach, und so
wurde während seiner letzten Jahre ein Brunnen gegraben und eine Satsanghalle
erbaut. “Wozu hier Gebäude errichten, wenn sie der Fluß wegschwemmen kann”,
hatte er protestiert, aber Sawan Singh war nicht davon
abzubringen. “Selbst wenn Ihr hier nur einen einzigen Vortrag
halten könnt und der Bau sofort danach zusammen- bricht, werde ich mein Mühen reichlich belohnt
finden.” Unterdessen waren die letzten Tage des Jat-Guru, wie er sich selbst humorvoll nannte,
nähergerückt. Sechs Monate vor seinem Tode sprach er zu seinen Schülern von dem
nahen Ende. Als er hörte, daß Karam Singh aus Attock die Welt verlassen hatte,
bemerkte er: “Ich traf ihn immer in Delhi. Er war wirklich eine große Seele!
Aber er wird noch- mals geboren werden müssen, um volle Befreiung zu
erlangen, da er in diesem Leben nicht Naam praktiziert hat. Ja, ja, mein Werk
geht auch zu Ende, und ich werde ebenfalls bald gehen.” In seinen letzten Tagen kamen viele Pilger nach Beas.
Der Weise, der einst Tag und Nacht in Meditation vertieft war, diente nun Tag
und Nacht seinen Ergebenen. Er gönnte sich kaum drei oder vier Stunden Ruhe und
widmete die übrige Zeit jenen, die ihn aufsuchten, kümmerte sich um ihre
Probleme und spornte sie zu immer größerem spirituellem Streben an. Die
Schleusentore der göttlichen Gnade waren weit geöffnet, und die, welche während
der Tage unmittelbar vor seinem Hinscheiden mit ihm zusammen in seinem Raum
saßen, wurden innerlich emporgehoben und gingen im Samadhi auf. Der Bau der Satsanghalle war inzwischen
fertiggestellt, und jedermann drängte Babaji, einen Vortrag zu halten. Aber er
war dagegen und sagte: “Nein, nein, Gott will es anders. Mein Nachfolger wird
sich dort an euch wenden.” Bibi Rukko war ebenso unnachgiebig: “Wir werden ihn
natürlich anhören, wenn seine Zeit gekommen ist, aber solange Ihr hier seid,
laßt uns den Vorteil Eurer Gegenwart haben.” Babaji bestand darauf: “Es ist
nicht Gottes Wille. Außerdem möchte ich, daß Babuji zu allen Anwesenden
spricht, während ich noch lebe, damit es später nicht zu Streitigkeiten kommt.” Die Zuhörerschaft hatte sich versammelt und bat, er
möge selbst sprechen. Auch Bibi Rukko bat und flehte, so daß er schließlich
nach vorne ging. Als er aber eine oder zwei Stufen hinaufgestiegen war, hielt
er erneut inne und wiederholte, was er zuvor gesagt hatte. Zum Erstaunen aller,
die die Satsang- Halle betraten, sah man Babajis Gurmukh-Sohn, Hazoor
Sawan Singh, auf der Empore sitzen. Schließlich kam der letzte Tag. Alle engeren Schüler
standen in banger Erwartung beisammen. Es war der 29. Dezember 1903. Vom Beas-Fluß wehte
ein scharfer, kalter Wind herüber. Babaji schien zu warten und warf unruhige
Blicke nach der Tür. Da kam ein Polizeibeamter herein, der um die Initiation
nachsuchte. “Auf Sie habe ich gewartet”, sagte der große Heilige, und ohne
weitere Um- stände begann er Theorie und Praxis des Surat Shabd
Yoga zu erklären. Kurz nachdem er die Unter- weisung gegeben hatte, legte er sich hin, schloß die
Augen und streifte dieses irdische und verwesliche Kleid ab. So ging einer der größten Heiligen der Neuzeit,
dessen Leben eine einzige Lektion der Demut und Liebe war. Er hatte nicht an
Schulen und Universitäten studiert, wohl aber das Buch des Lebens tief
erforscht. Als Kind hatte er die heiligen Schriften vieler Glaubensrichtungen
gelesen und sich frühzeitig vielen Sadhans oder spirituellen Übungen
hingegeben. Im Alter von achtzehn Jahren, in dem andere Menschen kaum eine
geistige Reife erlangt haben, hatte er bereits die Krone des Lebens erworden,
die selbst den strengsten Yogis und eifrigsten Gelehrten versagt bleibt. Und
dennoch brachte er seine übrigen Jahre in vollkommenster Demut zu. Sein
einziges Streben war, seinem Meister zu dienen und dessen Botschaft nach besten
Kräften weiterzutragen. Die letzten aufgezeichneten Worte von ihm sollen
gewesen sein: “Mein ganzes Leben suchte ich nur meinem Meister zu dienen, und
nun ist alle Arbeit, die er durch diese armselige Hülle zu vollbringen hatte,
getan." Noch seine allerletzte Stunde war diesem Dienst geweiht. Er war
mehr als ein Beispiel dessen, was er einmal an seinen zukünftigen Nachfolger
geschrieben hatte: “Heilige werden nicht für sich selbst geboren, sondern für
die Befreiung der Menschheit.” Er sprach aus innerer Erfahrung, nicht aufgrund
von Buchwissen. Er hat ungefähr dreitausend Seelen initiiert, während die Zahl
jener, die unbewußt durch seinen Einfluß begünstigt waren, nicht zu benennen
ist. Konnte man einen anderen finden, der so selbstlos war, so bereit
stellvertretend für die Sünden anderer zu büßen, so grenzenlos in seiner Liebe
und so unberührt von den äußeren Unterschieden einzelner Glaubensgemeinschaften
und Bekenntnisse? Wenn man in der Erinnerung nachforschte, mochte es einen
Namen geben, der einem sogleich in den Sinn kam: der Guru Nanak. Und war es
bloßer Zufall, daß der Soldaten-Heilige von Beas in demselben Bezirk
(Gurdaspur) geboren wurde, in welchem der große Heilige des Mittelalters nach
dem Zeugnis seines ständigen Begleiters und Biographen Bhai Bala vorhersagte,
daß er in künftiger Zeit im Hause eines Jat wiederkommen würde? Babajis Schüler
bermerkten die Ähnlichkeiten schon zu seinen Lebzeiten und befragten ihn einmal
darüber. Der Weise lächelte geheimnisvoll und ging nicht auf die Frage ein.
Doch einige Minuten später bemerkte er beiläufig: “Wenn Seelen wie wir unsere Gedanken äußern wollten,
wer würde uns dann einen Augenblick Ruhe lassen und wer unsere Haut schonen?” III BABAJI UND DIE SPIRITUELLE
WISSENSCHAFT Es ist keine leichte Aufgabe, die Lehren eines
früheren Heiligen darzulegen, der keine Aufzeichnungen hinterlassen hat, sei es
in Versen oder Prosa, und zu dessen Zeit Kurzschrift oder Tonbänder noch
unbekannt waren. Das Bündel Briefe jedoch, das Babaji an seinen geliebten “Babu”
Sawan Singh gerichtet hat, blieb erhalten und ist sehr aufschlußreich.17)
Ferner haben einige von denen, die mit ihm in Verbindung kamen, bedeutsame
Berichte über seine Vorträge zurückgelassen. Aber das Wichtigste von allem ist, daß Hazoor Sawan
Singh Ji Maharaj, dem er die spirituelle Fackel übertrug, die Botschaft seines
großen Gurus in ihrem Wesensgehalt aus der lebendigen Erinnerung erklärt hat.
Indem wir dies alles zusammenstellen, gewinnen wir ein klares Bild von der Art
und Reichweite seiner Lehren. Die Schöpfung Die absolute Wirklichkeit war in ihrer
ursprünglichen Form Nirankar, Nirgun und Anami – formlos, ohne Attribute und
namenlos – und konnte somit nur in Verneinungen ausgedrückt werden: “weder
Licht noch Dunkel”, “weder Ton noch Stille” usw. Sie war unbegreiflich,
unaussprechlich, unendlich und unbeschreiblich. Diese höchste Wirklichkeit war
für alles verantwortlich. Als sie sich selbst in die Form brachte, schuf sie
die rein spirituellen Reiche von Agam, Alakh, Sat Naam usw.: und Licht und Ton,
Ausdruck ihrer ersten Offenbarung, traten ins Sein. Daraus schuf sie, indem sie
sich nach unten ausdehnte, den materiellen Strom oder Kal, der im Verlauf des
immer weiteren Abstiegs die Vorherrschaft gewann. Die zahllosen Regionen, die
unterhalb der rein spirituellen Bereiche von Sat Desh geschaffen wurden, kann
man in drei große Aufteilungen zusammenfassen: Brahmand, And und Pind – den
kausalen, astralen und physischen oder den spirituell-materiellen, den
materiell-spirituellen und den materiellen Bereich. Solange man auf der Ebene der Relativität lebt, ist
man im Netzwerk von Maya gefangen. Ein Wunsch folgt dem anderen, und Freude
wechselt mit Leid. Es kann da keine dauerhafte Ruhe, keine beständige Freude
geben. Als Gott dem Menschen den Becher der irdischen Segnungen füllte, hat er
Glück und Zufriedenheit weggelassen, um sicher zu sein, daß das Geschöpf nicht
ganz vergißt. Der einzige Weg, Glückseligkeit zu erlangen, besteht darin, sich
über den Bereich der Relativität hinaus zu den Regionen des reinen Geistes zu
erheben, wo die Seele im Absoluten aufgeht und sich, von allen Mängeln und
Wünschen befreit, im Meer der Bewußtheit verliert. Der Pfad der Befreiung Wie kann man zu diesen geistigen Höhen gelangen?
Gleich Kabir, Guru Nanak und Soamiji hat Babaji immer wieder nachdrücklich
erklärt, daß äußere Praktiken von geringem Nutzen sind. Das Lesen der Schriften
kann ein Interesse für die Spiritualität wecken, nicht aber an sich schon
Befreiung sichern. Mystische Literatur und religiöses Ritual sind in
vieler Hinsicht nützlich: sie halten im Menschen das Bewußtsein aufrecht, daß
es eine tiefere Wirklichkeit gibt als die im alltäglichen Leben gewohnte. Aber dieser Wirklichkeit muß man durch praktische
Wege näherkommen; sich in verstandesmäßige Probleme und Streitgespräche zu
verlieren zieht nur die Kräfte vom wirklichen Pfad ab.
Khasam na chinae bawr, ka karat barai,
Batan bhagat na hohingay, chhoado chaturai.
“O Mensch, warum prahlst du mit deiner Größe,
wenn du den Allmächtigen nicht erkannt hast?
Gib deine intellektuellen Spitzfindigkeiten auf.”
Kabir Sakhi Shabd Sandes parh mat bhoolo
ghai,
Sant mata kuchh aur hai, khopa so pai.
Täusche dich nicht, indem du dich nur auf
das Lesen und Verfassen von Schriften be-
schränkst. Der Pfad der Meister ist anders.
Wer ihn wirklich erstrebt, der wird ihn finden.
Kabir Auch der Teufel kann Schriften zitieren, und Babaji
erklärte, daß “religiöse Debatten und Auseinandersetzungen, Kastenstolz
(Varnashram), äußere Verehrung, Wallfahrten, bloßes Vortragen aus den
Schriften, Hingabe an Persönlichkeiten, die früher lebten, und andere
Handlungen oder Schulungen” dieser Art alle “eine große Täuschung” seien, eine
von Kal gestellte Falle, um die Seele in den Bereichen der Relativität
festzuhalten. In gleicher Weise sind die äußeren Kriyas oder traditionellen
Yoga-Praktiken – Pranayama, die verschiedenen Mudras und Asanas – ungeeignet,
um zum wirklichen Ziel zu bringen. Wie sein Leben immer wieder bezeugt, hatte
Babaji große Achtung vor gottergebenen Menschen jeden Standes und jeder
Glaubensrichtung, aber er verlor nie das höchste Ideal des menschlichen Lebens
aus den Augen und lebte nach der von Kabir verkündeten Einsicht:
Sadh hamare sab barae apni apni thor, Shabd parkhu jo milae tis aagae sir mor.
Alle Heiligen sind der Verehrung würdig,
aber ich verehre nur einen, der
das Wort
gemeistert hat.
Kabir Er hatte in sehr frühen Jahren viele Yoga-Methoden
erprobt, und immer wenn er über dieses Thema sprach, tat er es nicht auf der
Grundlage akademischer Gelehrsamkeit, sondern als einer, der das, was er sagt,
aus eigener praktischer Erfahrung weiß. Seine Worte hatten Überzeugungskraft,
denn sie waren frei von jeglicher Voreingenommenheit.
Er erklärte einfach, daß er selbst alle diese Wege
erkundet und den Pfad von Sant Mat oder den Surat Shabd Yoga als den höchsten
herausgefunden habe. Er wußte viel von den übernatürlichen Kräften zu sagen,
die durch Yoga-Übungen zu erlangen waren, aber sein einziger Prüfstein war:
führten sie zur Beherrschung des Gemüts durch Befreiung von der Tyrannerei der
Wünsche? Wenn ja, konnte man nichts dagegen sagen, wenn aber nicht (wie es
gewöhnlich der Fall war), hatten sie kaum irgendeinen Nutzen. Als er sich 1894
in Murree aufhielt, ging er in Beantwortung vieler Fragen, die ihm Sawan Singh
Ji gestellt hatte, ausführlich auf das Thema des vergleichenden Yoga ein und
legte schließlich dar, wie Kabir und Nanak das Beste von ihren Vorgängern
angenommen hatten, daß sie weit höher auf dem mystischen Pfad vorgedrungen
waren und eine Methode zur Einswerdung mit dem Formlosen Absoluten entwickelt
hatten, die in jedermanns Reichweite lag. Er zitierte des öfteren frühere
Meister, um seinen Standpunkt zu erhärten, und führte insbesondere an, was sein
eigener großer Guru dazu gesagt hatte: Sant Mata sab se bara yeh nische kar jan Sufi aur Vedanti donon
neeche, man, Sant Diwali nit karen Sat
Lok ke mahin Aur mate sab Kal ke yun he dhur urain.
Der Pfad der Meister ist
allen anderen weit überlegen; glaubt es in vollem
Vertrauen. Sufismus und Vedanta können euch bis zu einer gewissen Stufe bringen, doch nicht bis an das letzte Ziel. Die Heiligen leben für ewig in der Herrlichkeit des Höchsten. Allen anderen Glaubensrichtungen und Gemeinschaften gelingt es nicht, die Bereiche der Relativität zu übersteigen.
Sar Bachan (Verfassung) Was ist die Wissenschaft des Surat Shabd Yoga,
welche die Krone mystischer Vollendung darstellt? Es ist der Pfad, sagt Babaji, der die wenigsten
Mühen erfordert und sich am meisten lohnt, will man zur Quelle allen Lebens und
Lichts zurückgelangen. Sein Geheimnis liegt in der Erkenntnis, daß der Weg des
Aufstiegs derselbe sein muß wie der des Abstiegs, wenn die Seele wieder eins
werden soll mit dem Ursprung, von dem sie ausgegangen ist. Als der Namenlose
Namen und Form annahm, offenbarte er sich in Shabd, Naam, Kalma oder dem Wort.
Dieser spirituelle Strom, dessen erste Attribute Musik und Strahlung waren, ist
für die ganze Schöpfung verantwortlich. In einem Brief vom 21. April 1903
schreibt Babaji:
Alles hat sich durch Shabd offenbart – Ishwar
(Gott als Erhalter der Welt), Jiva (die individuelle
Seele), Maya (das Feinstoffliche und das Grob-
stoffliche) und Brahmand (die physische, astrale und
kausale Ebene) – durch seine Bewegung kam alles in Sein. Alle Weisen haben, wenn auch nach ihrer jeweiligen
Art verschieden, vom Wirken des Wortes oder der Kraft von Naam Zeugnis abgelegt:
Kun kae kehnae sae hoowa alam bapa.
Durch den Ausdruck des Wortes
kamen alle Dinge ins Sein. Ebenso
heißt es: Am Anfang war das Wort, und das Wort
war bei Gott, und Gott war das Wort.
Joh. 1,1 Was die Meister des Surat Shabd Yoga über dieses
Thema sagten, war nichts Neues. Sie legten nur besonderen Nachdruck auf den
Gedanken, daß Shabd, wenn durch sein Wirken alles – selbst der Jiva Atman –
offenbart wurde, das beste und einzige Mittel ist, um unseren Ausgangspunkt –
Nirankar, Nirgun, Anami und das Absolute – wiederzuerlangen. Die Musik und die Glorie des Wortes breiten sich in
der ganzen Schöpfung aus und durchdringen unser Sein. Wenn der Atman nur mit ihm verbunden
werden könnte, wäre er imstande, durch dieses “Band des namenlosen Herrn” seine
Pforte zu erreichen. Aber bei ihrem Abstieg hat die Seele das Bindeglied gelöst
und ihre wirkliche Natur vergessen. In die grobstofflichen Umhüllungen des
Körpers und Gemüts verstrickt, hat sie ihre wahre Heimat aus den Augen verloren
und sich mit ihrem Kerker identifiziert. In
seinem Brief vom 15. Mai 1900 sagt Babaji:
Seit sich der Jiva Atman von Sach Khand (der wahren Heimat)
und von Shabd Dhun trennte, hat er seinen Glauben in den
Sat Purush (den Wahren Einen) und Shabd Dhun verloren.
Aber Shabd gibt ständig auf ihn acht, wenn er auch nichts davon
weiß, da er sich an Gemüt und Maya, die äußerst trügerischen
Objekte Mayas und der Sinne, fest gebunden hat. Er liebt sie so sehr, daß er nicht erkennt, welcher Nachteil ihm
daraus entsteht,
indem er für gut und zuträglich hält, was ihm in Wirklichkeit Schaden
bringt. Die Liebe zum Gemüt hat ihn unbewußt gemacht, und das Gemüt
wiederum ist durch die Sinnesfreuden empfindungslos geworden;
schließlich hat Maya einen solchen Zauber auf ihn ausgeübt, daß er sich
nicht
mehr von seiner Ohnmacht erholen kann. Der vollendete Meister Unsere spirituellen Kräfte sind durch die groben
Hüllen von Gemüt und Maya so umnebelt und ver- borgen, daß wir Shabd, obwohl seine Musik ewig in
und uns her ertönt, nicht hören und seine Glorie nicht sehen können. Nanak sae ankhriyan bae-an jini disindo mapiri. Die Augen, mit denen mein Geliebter zu sehen
ist,
sind anders. Rag Wandhans
577 Wie können diese Fesseln gesprengt werden? Wie kann
der Mensch die Verbindung mit seinem Schöpfer wiederbeleben? Babaji erklärt,
daß man dafür unbedingt die Hilfe eines kompetenten Meisters braucht:
Dhur Khasmae ka hukam paya
Vin Satguru chaitya na jai. Dies ist der Wille des
Herrn-
nur durch einen lebenden Satguru
kann man ihn erkennen.
Var Bihagra 556 Ohne die belebende Berührung mit ihm kann die Seele
nicht aus ihrem Schlummer erwachen und mit Naam in Einklang kommen. Die Jiva
Atman ist zu sehr in der grobstofflichen Materie verirrt, als daß er sich aus
eigener Kraft mit Shabd verbinden könnte. Außerdem ist der innere Weg nicht
leicht; selbst wenn sich die Seele über das Körperbewußtsein erheben und in die
inneren Bereiche gelangen kann, vermag sie von sich aus nicht sehr weit zu
kommen. Die Regionen And und Brahmand sind beinahe unendlich, und ohne einen
spirituellen Führer würde sie sich in deren Wunderwerk verlieren. Ferner gibt
es auf der mystischen Reise, besonders beim Übergang von einer Ebene zur
anderen, so schwierige Punkte, daß die Seele ohne einen Adepten dort für immer
aufgehalten würde.18) Babaji betonte unermüdlich die Notwendigkeit eines
lebenden Meisters, um auf diesem Gebiet Erfolg zu haben. Frühere Heilige mögen
alle Geheimnisse der mystischen Reise erforscht und auch Berichte über ihre
Erfahrungen hinterlassen haben. Aber die inneren Welten sind nicht in Begriffen
der menschlichen Sprache zu beschreiben, und so vermochten sie darüber nur in
Andeutungen und Gleichnissen zu sprechen. Da sich diese aber auf einen
Erfahrungsbereich beziehen, der gänzlich über dem gewohnten menschlichen
Gesichtskreis liegt, können sie ohne die Hilfe von einem, der selbst direkten
Zugang zu den beschriebenen Erfahrungen hat, nicht verstanden werden. Darum
braucht man, allein um die Botschaft früherer Meister richtig zu erfassen,
einen lebenden Meister. Erst als Babaji seinen Meister Soamiji gefunden hatte,
erschloß sich ihm die volle Bedeutung des Granth Sahib und der Schriften Kabirs
und anderer großer Heiliger. Die spirituelle Reise ist keine Sache
intellektueller Erörterungen, sondern eine Frage des praktischen Aufstiegs.
Selbst im Bereich akademischen Wissens kann ein Buch nicht die Schulung durch
einen scharfsichtigen Lehrer ersetzen. Wieviel mehr gilt das auf spirituellem
Gebiet! Nach Babaji ist der Jiva Atman so sehr in Maya verloren, daß er aus
eigenem Antrieb des Shabd Dhun nicht erreichen kann. Nur durch einen Gnadenakt wird er mit dem Licht und
der Musik im Innern verbunden, und diese Gnade ist das Geschenk eines lebenden
Meisters: Radhasoami, der Herr der Seele, kam
voller Mitleid und Erbarmen in der Gestalt eines Heiligen
selbst herab, gab uns Hinweise auf die
spirituellen Regionen und zeigte uns den Weg, um Sach Khand (die
wahre Wohnstatt) durch Shabd Dhun zu erreichen. Die früheren Heiligen sind der Verehrung würdig. Ihr
Leben ist ein leuchtendes Vorbild, das uns ständig auffordert, in unsere
himmlische Heimat zurückzukehren. Aber es ist das Gesetz der Natur, daß der
lebendige Impuls nur vom Lebenden kommen kann; und die Aufgabe, die sie für
ihre eigene Zeit erfüllten, muß in unserer Zeit einer tun, der unter uns weilt
und den Weg, den sie gemeistert hatten, selbst geangen ist. In der Tat kann man durch kritisches Studium ihrer
Schriften feststellen, daß diese eine einzige Bestätigung für die Notwendigkeit
eines lebenden Meisters sind. Wer ist nun ein kompetenter lebender Meister, und
wie ist er zu erkennen? Babaji wußte, daß es zahllose Wölfe im Schafspelz gibt,
und da alles darauf ankommt, einen wahren Führer zu finden, hob er immer wieder
hervor, daß Wachsamkeit und Unterscheidungsfähigkeit sehr wesentlich sind. Seine früheren Erfahrungen hatten ihm nur zu gut
gezeigt, wie selten man solche große Geistwesen findet, von denen es vielleicht
nur eines während eines Menschenalters gibt, manchmal mehrere (wie bei Guru
Nanak und Kabir, bei Maulana Rumi und Shams-i-Tabrez, bei Tulsi Sahib und
Soamiji, die jeweils Zeitgenossen waren), aber leider immer zu wenige, und ein
Mensch ist wirklich gesegnet, wenn er einer solchen Persönlichkeit begegnet.
Man kann die Aufzeichnungen der früheren Heiligen zum Prüfstein nehmen, wie es
Babaji während seiner Suche getan hat. Wenn einer ein wahrer Meister und
außerdem ein Mystiker der höchsten Ordnung ist, werden durch die Verbindung mit
ihm alle Un- klarheiten und Widersprüche, die einen bei der
Lektüre der Schriften verwirrten, beseitigt. Er weiß die Schriften nicht nur
einer, sondern aller Mystikerschulen eindrucksvoll darzulegen, weil er zu allen
inneren Bereichen Zugang hat, nicht lediglich zu einem. Als Knabe war Babaji
vielen Sadhus begegnet, aber erst zu den Füßen Soamijis begann er all die
Schätze, die im Granth Sahib zu finden sind, richtig zu begreifen. Mystiker
einer niedrigeren Ordnung können nur Berichte von Erfahrungen darlegen, die sie
selbst gemacht haben; aber einer, der zu den höchsten Höhen aufgestiegen ist,
kann alles erklären – eine Tatsache, die Babajis Begegnung mit den vier Pandits
deutlich machte. Ein weiteres Merkmal des wahren Heiligen ist seine
ungewöhnliche Demut. Es scheint eine der größten Widersinnigkeiten des
menschlichen Lebens zu sein, daß die, welche sich als Heilige ausgeben, keine
sind, und jene, die es wirklich sind, es niemals von sich behaupten. Guru Nanak
sagte von sich, daß er nichts weiter als der Sklave von den Dienern der
Heiligen sei, und auch Soamiji trug unerschüttert das Kleid der Bescheidenheit.
Nicht durch das, was ein Mensch zu sein vorgibt, sollte er anerkannt werden,
sondern durch das, was er getan hat. Einen Baum erkennt man nicht an seinem
Namen, sondern an seinen Früchten, und ein Heiliger erweist sich durch seine
Vollkommenheit als Mensch, sein Freisein von weltlichen Wünschen, seine Liebe
und Güte, seine anspruchlose Lebens- weise, seine Sorge für das Wohlergehen anderer und
seine Gleichgültigkeit gegenüber Name und Ruhm. Er verteilt seine spirituellen
Gaben frei, so wie jede andere Gabe frei gegeben wird, und verdient seinen
Lebensunterhalt durch seiner eigenen Hände Arbeit. Gur, Pir sadai mangan
jayae Ta ke mool na lagya payae. Beuge dich nicht vor einem,
der sich selbst einen Guru nennt, aber von der Mildtätigkeit anderer abhängig ist.
Sarang Var, 1245 Wenn es auf der menschlichen Ebene seine Vollendung
als Mensch ist, die einen wahren Heiligen von allen anderen unterscheidet,
erkennt man ihn auf der spirituellen Ebene durch die inneren Erfahrungen und
die Führung, die er geben kann. Die Fähigkeit, seinen Schülern bei der
Initiation eine unmittelbare spirituelle Erfahrung zu geben, wie gering sie
auch immer sein mag, so betont Babaji, der letzte Prüfstein für einen wahren
Meister. Er verheißt die spirituelle Verwirklichung nicht erst für ein
künftiges Leben nach dem Tod, sondern gibt hier und jetzt einen Vorgeschmack
davon. Er verbindet die Seele mit dem inneren Licht und Ton, und es ist Aufgabe
des Schülers, diese Saat zu nähren und zu voller Blüte und Frucht zu
entwickeln. Die Gabe von Naam ist das alleinige Vorrecht des Satguru, und seine
lenkende Hand reicht überallhin, in die inneren Ebenen nicht minder als in die
äußere Welt. So groß ist seine Liebe und Fürsorge, daß keine
irdischen Bande jemals damit verglichen werden können. Seine strahlende Form
begleitet die Seele, nachdem sie sich über das Körperbewußtsein erhoben hat,
und führt sie von Ebene zu Ebene, ihrer himmlischen Heimat entgegen, und der
empfäng- liche Schüler erkennt seine Gnade auf Schritt und
Tritt. Der Meister kann natürliche Wunder tun, da er eins
mit dem göttlichen Willen ist, aber es widerstrebt ihm, in den festgelegten
Plan einzugreifen. Selbst wenn seine Gnade die Oberhand gewinnt, läßt er sie im
verborgenen wirken und nimmt nichts für sich in Anspruch, sondern handelt
einzig im Namen seines Meisters. Er gibt sich nicht mit Streitigkeiten und
Wortgefechten ab. Seine ständige Mahnung ist: “Geht nach innen und seht
selbst”, wobei die Betonung stets auf dem Inneren liegt, nicht auf den äußeren
Formen und Ritualen. Glaube, Liebe und Selbsthingabe Es ist in der Tat der größte Segen, einen wahren
Satguru zu finden. Um einen kompetenten Meister zu begegnen, muß ein Sucher
große Ausdauer und Unterscheidungskraft haben. Wurde sein Bemühen mit Erfolg
belohnt, sind die Eigenschaften, deren er am meisten bedarf, Glaube, Liebe und
vollständige Selbsthingabe. Erst als König Janaka Körper, Gemüt und Besitz –
tan, man und dhan – entsagt hatte, kam er zur Erleuchtung. Einen wahren Meister
gefunden zu haben, bedeutet, daß man sich seiner eigenen Begrenztheit bewußt
wird und sieht, was für ein großes Glück es ist, zu seinen Füßen angenommen zu
werden. Es heißt auch zu erkennen, daß seine Liebe und Weisheit unendlich und
ermeßlich sind. Eine solche Erkenntnis muß von Demut, Glauben und der Annahme
seines Willens als des höchsten begleitet sein, wenn einer aus dieser günstigen
Gelegenheit das Beste machen möchte. Babaji bekräftigte in seinen Reden und auch in
Briefen immer wieder, wie wichtig Liebe und Vertrauen für den Schüler sind. Am
16. Mai 1901 schrieb er an Baba Sawan Singh:
Shabd ist die wirkliche Form des Satguru. Durch die Verbindung mit ihm
wirst du dein Ziel erreichen. Vorbedingung ist jedoch, daß du zuerst
Liebe
und Hingabe für die Person des Meisters entwickelst, denn ohne dies ist
nichts möglich. Der Satguru ist eines mit Anami-Radhasoami, der alles
gewährt und zur Erhebung der Jivas eine menschliche Form angenommen
hat. Wer immer große Liebe und Hingabe für ihn entwickelt und ihn als
den
höchsten Herrn betrachtet, wird mit Shabd Dhun in Verbindung kommen und
errettet. Bei anderer Gelegenheit schrieb er: Selbst nach 100 Jahren Bhajan wird man
nicht so rein wie durch das brennende Verlangen
nach dem Darshan (Begegnung mit dem Meister), vorausgesetzt, daß das
Verlangen echt
und wahr ist und die Liebe für den Satguru aus dem innersten Herzen
kommt.. Selbsthingabe ist die natürliche Folge solchen
Glaubens und einer solchen Liebe, und in seinen Briefen kommt Babaji immer
wieder darauf zu sprechen:
Verliere dich nicht in dich selbst. Halte diesen Gedanken beständig und
unerschütterlich in
dir fest: Körper, Gemüt und Besitz, Nirat und Surat, Augen, Ohren, Nase,
Mund, Hände und
Füße – ja alles, was es auf der Welt gibt, gehört dem Satguru. Ich
selbst bin nichts.
Was immer du tust, tu es als des Satgurus Sache, und suche immer das
Beste zu tun.
Vergiß das nicht für einen einzigen Augenblick, sondern nimm es als ein
Hidayat, ein Gebot. (24.
Mai 1901)
Laß den Gedanken “mein” niemals einen Platz in deinem Herzen finden.
Selbst wenn du die
Herrschaft über Brahmand erlangst, denke nicht, du habest irgendeinen
Anteil daran: “Ich bin nur
ein Werkzeug.” Alles gehört dem Satguru. Halte dir immer des Meisters
Gebot vor Augen: Ich bin
nichts, ich bin nichts, ich bin nichts.” Laß die Erinnerung an den Herrn
dein ständiger Gedanke sein,
und bewahre das Bild des Satguru immer in deinem Herzen. (7. September
1900)
Merze alle weltlichen Wünsche aus deinem Innern aus und lege sie deinem
Meister zu Füßen.
Beanspruche nichts für dich selbst, und suche dich auf seinen Willen
abzustimmen, der in deinem
Herzen an erster Stelle stehen sollte. Selbst wenn er verlangt, den
Rasen umzugraben, tue es;
Denn dem Satguru zu gehorchen ist die höchste Tat. Wenn du dein Herz auf
diese Weise formen
kannst, werden dir alle Dinge dazugegeben.
(18. September 1902) Als Baba Sawan Singh Ji schrieb, daß er nicht einmal
nach Sach Khand Verlangen habe, sondern um Liebe und Glauben zu den heiligen
Füßen des Satguru bitte, war Babaji höchst erfreut und erwiderte, daß eine
solche Hingabe “in der Tat die höchste Selbstzucht (Karni) sei, und versicherte
ihm, daß “der, welcher solche Liebe für den Meister habe,
ganz gewiß Sach Khand erreichen werde und, indem er durch Alakh, Agam und
Anami-Radhasoami geht, mit der Region des Wunderbaren eins wird.”
(11. September 1897) Das äußere Leben Der Sucher, der einen wahren Führer gefunden hat und
beginnt, die rechte Art von Liebe und Vertrauen in ihn zu entwickeln, wird
natürlich versuchen, sein Leben dem Willen des Satguru anzugleichen. Babaji hat
mit großem Nachdruck erklärt, daß wir unser Leben umformen müssen. Man braucht jedoch nicht die Welt zu verlassen, um
den inneren Weg zu gehen. Entscheidend für den spirituellen Fortschritt ist die
innere Loslösung. Wer sich seinem Guru vollständig übergeben hat, ist von allen
weltlichen Bindungen frei. Einige seiner Schüler äußerten bisweilen den Wunsch
nach völliger Entsagung, aber er hat solche Neigungen immer in Schranken
gehalten:
Du sagst, daß du dein Heim und deinen Dienst aufgeben willst, um dich
ausschließlich der
Meditation zu widmen. Sind Heim, Dienst und Besitz wirklich dein eigen?
Denke gründlich
darüber nach. Es ist alles das Spiel eines Zauberers, und die Welt ist
ein Traum. Warum sich
also den Kopf zerbrechen über ein Festhalten oder Aufgeben dieser Dinge?
(18. September 1902) Er hielt seinen Schülern immer das Ideal des
königlichen Schwans vor Augen, der zwar im Wasser zu Hause ist, sich aber, ohne
naß zu werden, frei und ungehindert daraus erhebt. Er wollte nicht, daß sie der
Welt verhaftet waren, hieß es aber ebensowenig gut, wenn sie ihre weltlichen
Pflichten vernach- lässigten. Als Baba Sawan Singh einmal schrieb, daß
er einen zehntätigen Urlaub nehmen und ihn in Beas verbringen wolle, schrieb
Babaji zurück:
Wenn du auf einen zehntätigen Urlaub kommst, solltest du in jedem Fall
zuerst nach Hause gehen. Auf dem Rückweg magst du dann am Samstag
nachmittag gegen fünf Uhr zur Dera kommen, von wo aus du am darauffolgenden Tag nach dem
Sonntag-Satsang wieder zum Dienst gehen kannst. Du mußt nach Hause, denn es sind dort viele
Dinge, die seit den letzten zwei oder drei Jahren deine Aufmerksamkeit erfordern. Gehe darum bitte
gleich dorthin. Ich werde mich sehr freuen, wenn du dies als erstes tust und dann hierher kommst.
Als bei anderer Gelegenheit sein geliebter Schüler
keinen Urlaub erhielt, um ihn besuchen zu können, aber dennoch vor hatte zu
kommen, war Babaji alles andere als erfreut darüber und verbot ihm streng,
einen solchen Schritt zu tun, indem er zur Antwort gab: “Schreibe bitte nie
wieder, daß du kommen wirst, ohne Urlaub zu haben”, und er fügte hinzu: “Die
Arbeit, die du verrichtest, ist auch die Arbeit von Radhasoami, die Arbeit des
Herrn.”
Während man in der Welt lebt, muß man sich jedoch
einer sehr strengen Disziplin unterziehen. Der Weg zum Neuen Jerusalem ist eng und schwierig.
“Eure Lebensweise”, sagte der Weise von Beas zu seinen Schülern muß sich von
der anderer Menschen unterscheiden.” Und wie streng diese von ihm verlangte
Disziplin war, macht einer seiner Briefe deutlich: Du
scheinst nicht zu verstehen, daß du dich mit niemandem unterhalten sollst, wenn
deine dienstlichen
Pflichten vorüber sind. Am Abend zwischen sechs und acht solltest du
dich so lange wie möglich zur
Meditation setzen, sei es eine halbe Stunde oder eine ganze, fünfzehn
Minuten oder anderthalb Stunden,
und solltest mit deiner Aufmerksamkeit (Surat) auf den inneren Ebenen
sein. Von acht bis zehn Uhr
halte Satsang. Dann magst du schlafen gehen oder noch etwas reden. Um
4.30 Uhr morgens setze dich
wieder zur Meditation bis 5.30 Uhr. Während des Tages hast du deinen
dienstlichen Pflichten nachzu-
kommen und kannst, wenn du willst, in dieser Zeit reden. Aber sobald der
Dienst beendet ist, vergeude
keine Zeit mit leerem Geschwätz oder in Gesellschaft von Nichtsatsangis.
Lasse in deiner Küche niemals
Speisen von Nichtsatsangis bereiten, besonders wenn sie Fleisch und
Alkohol zu sich nehmen. Wenn du
mit Nichtsatsangis zusammen bist, wirst du unter den Auswirkungen ihrer
Gesellschaft zu leiden haben.
(17. Oktober 1902) Enthaltsamkeit von nichtvegetarischer Nahrung und
Berauschungsmitteln ist eine Vorbedingung für die Aufnahme des spirituellen
Pfades. Ebenso betonte Babaji die Notwendigkeit eines ehrbaren Lebens. In
demselben Brief, der oben angeführt wurde, schrieb er:
Wenn man dir etwas frei anbietet, nimm es niemals an, denn wie willst du
es zurückgeben? Wenn du
nicht streng an dieser Regel festhälst, wirst du nie die höchste
Spiritualität erlangen. Man darf sich von der Welt nicht forttragen lassen,
sondern muß bei allen Dingen die Unter- scheidungskraft gebrauchen. “Die ganze Welt ist in
den Banden der Liebe von Eltern, Kindern, Weib und irdischen Beziehungen
gefesselt” , und man muß sich aus dieser Sklaverei befreien. Es hilft nicht, in
die Wälder zu gehen. Die Loslösung muß eine innere sein, und sie kann nur durch
die Liebe zu einem wahren Meister zustande kommen. Daher auch der große Wert
des Satsang; denn nur durch die Verbindung mit dem Meister kann man sich die
wahren Werte des Lebens zu eigen machen, die Täuschung von Maya kennenlernen
und eine Liebe entwickeln, welche die Liebe der Welt ersetzt. Liebe und Segen strahlen von der Persönlichkeit
eines Heiligen aus, und wer immer in seinen Bann- kreis kommt, wird von weltlichen Spannungen,
ehrgeizigem Streben und Eifersüchteleien frei. Er sieht sich mit allen Geschöpfen wesenseins und
weiß, daß alle weltlichen Ziele vorüberziehende Schatten sind. Nur ein solcher
Mensch kann die Netze von Maya zerreißen und in den Welten des Jenseits Einlaß
finden. Das innere Leben Die Vervollkommnung der äußeren Lebensführung ist
sehr wesentlich, denn ohne sie kann man das innere Ziel nicht erreichen. Liebe
und Vertrauen in den Satguru, Selbsthingabe und ein ethisch untadeliges Leben
müssen sich zu diesem Zweck ergänzen. Die höchste Bestimmung des Menschen ist
das Einssein mit dem Absoluten. Wird das nicht erreicht, ist alles andere von
geringem Wert. Der Frage des wirklichen geistigen Aufstiegs galt
Babajis Hauptinteresse als Lehrer. Er hielt sich nicht lange mit theoretischen
Problemen auf. “Wozu debattieren und argumentieren?” fragte er
häufig. “Wendet euch nach innen, geht hinein und seht
selbst!” Sein Briefwechsel mit Baba Sawan Singh Ji ist eine einzige lange
Ermahnung, die äußere Welt beiseite zu lassen, um sich in die innere Welt
zurückzuziehen; und jeder seiner Briefe sagt etwas wertvolles über die
eigentliche spirituelle Praxis aus. Da die Seele durch das Gemüt und die Sinne Maya zum
Opfer gefallen ist, kann sie nur befreit werden, indem sie sich von ihnen
zurückzieht. Die beiden Sadhans (Übungen), die Babaji wie seine Vorgänger zu
praktizieren empfahl, waren Simran und Bhajan. Den ersten, bei dem die heiligen
Namen des Herrn wiederholt werden, muß man zu jeder Tageszeit ausführen. “Habe
den Simran immer im Bewußtsein, selbst wenn du in Bewegung bist oder deiner
Arbeit nachgehst”, schärfte er ein. Der beständige Gedanke an den Höchsten ist
die größte Sicherheit gegen weltliche Gedanken und Wünsche. Er hilft dem
menschlichen Geist, sich von den gewohnten Beschäftigungen freizuhalten, und
wenn er bei der Meditation (Abhyasa) voller Aufmerksamkeit geübt wird, sichert
dies eine rasche Sammlung der Bewußtseinsströme am spirituellen Zentrum
zwischen und hinter den Augenbrauen. Ist eine solche Konzentration oder Dhyan erreicht,
kann man mit dem Tonstrom in Verbindung kommen, und Dhyan (das Ergebnis von
Simran) führt von selbst zu Bhajan oder Vertieftsein in Shabd Dhun:
Wenn du deinen Bhajan oder Simran übst, sorge dich nicht um weltliche
Dinge, und laß dich nicht
durch irgendwelche Gedanken ablenken. Übe zuerst eine Viertelstunde
Simran, dann lenke deine
Aufmerksamkeit allmählich auf die Musik des Shabd Dhun. Nun halte mit
dem Simran ein, und
verankere Herz und Seele in Shabd. Auf diese Weise wirst du große
Seligkeit erfahren, und uner-
meßliche Gnade wird von der höchsten Region auf dich herabkommen. Das war die übliche Anweisung. Die Einzelheiten
konnten natürlich den jeweiligen Gegebenheiten angepaßt werden. Der Zeitfaktor
mochte verschieden sein, aber die tägliche Meditation mußte unter allen
Umständen ausgeführt werden:
Lausche jeden Tag mit großer Liebe und Hingabe auf den Shabd Dhun, der
in deinem Herzen
ertönt, für fünfzehn, zehn oder fünf Minuten, für eine Stunde oder zwei,
entsprechend der Zeit,
die dir zur Verfügung steht. Aber du mußt jeden Tag eine Weile auf ihn
hören. 19) Große Schönheit ist in Shabd. Er birgt eine Musik,
die jede von Menschen hervorgebrachte weit übertrifft und die Seele zu sich
zieht. Unaufhörlich ruft er den Geist in seine göttliche Heimat, und obwohl er
von den gewöhnlichen Menschen nicht vernommen wird, können jene, die durch
Meditation und die Gnade eines Satguru die Fähigkeit der inneren Wahrnehmung
entwickelt haben; seine Weisen jeden Augenblick des Tages hören, mal stärker,
wenn sich der Geist an einem Punkt sammelt, dann wieder schwächer werdend und
verstummend, wenn sich die Gedanken in verschiedene Richtungen zerstreuen und
die Aufmerksamkeit geteilt ist. Shabd ist der wirkliche Halt des Suchers. Er ist die bewußte Kraft, die alles erschaffen hat,
und zugleich der wirkliche Meister – der Shabd Guru-, denn der Satguru ist
seine physische Offenbarung in menschlicher Gestalt. Babaji sagte einmal:
Shabd Dhun ist unsere wirkliche Form. Der physische Körper ist nur ein
Kleid. Niemand kann
es für immer behalten, und keiner wird es jemals können... So glaubt,
ihr Ergebenen, daß sich die
Shabd-Form des Satguru, die weder Anfang noch Ende hat, im Körper
befindet. Wenn man einmal die ständige Verbindung mit dieser
inneren Musik entwickelt hat, wirkt sie als Schutz gegen weltliche Sorgen und
Nöte. Unglück trifft jeden, denn das frühere Karma muß beglichen werden; aber
für den Menschen, der in Shabd Dhun verwurzelt ist, hat es seinen Stachel
verloren. Babaji, der meistens zu einfachen Bauern sprach, legte seine Lehren
in Beispielen und Gleichnissen aus dem Leben der Landleute dar. So erklärte er
die beschützende Kraft von Shabd mit den Worten:
Der Körper gleicht einem Dorf oder einer Stadt, und Shabd Dhun ist unser
eigenes Haus.
Wenn nun in einem anderen Haus jemand stirbt oder ein großes Leid trägt,
ist jeder in diesem
Haus unglücklich, während wir in dem unseren ganz zufrieden sind. Um die magnetische Kraft und den Einfluß der inneren
Musik darzulegen, schrieb er:
...der Shabd Dhun wird es (das Gemüt) auf dieselbe Weise anziehen und
festhalten, wie
Ziegen, Rinder und andere Tiere mit einem Seil angebunden sind. Die größten Behinderungen des Suchers sind das Gemüt
und die Sinne. Durch ihre Tätigkeit wurde die Seele im Netzwerk von Maya
gefangen, und sie selbst muß sich daraus lösen, um frei zu werden. Die Sinnererfahrung auszuschließen ist nicht so
schwierig; aber auch wenn die Pforten der Sinne geschlossen sind, stört das
Gemüt weiter und lenkt ab. Es ist die Wurzel des Ich-Prinzips und darum die
Hauptursache für die Trennung des Jiva vom Herrn des Universums. Wie kann man
diesen ruhe- losen Drachen besiegen? Babaji vertrat die Ansicht,
daß die größte Hilfe darin liege, über die Form des wahren Meisters zu
meditieren und in Shabd vertieft zu sein.
Du fragst mich, wie du dein Gemüt in Zaum halten kannst.
Man kann es nur durch Shabd bezähmen. Lausche täglich seiner Musik, und
meditiere
über die Form des Satguru. Dann wird das Gemüt zu wandern aufhören und
die Seele,
von Shabd Dhun getragen, eines Tages bis Daswan Dwar gelangen (die
dritte Ebene und
der Sitz des universalen Gemüts). Indem sie so das mentale Werkzeug
zurückläßt, wird sie sich mit dem reinen Shabd
verbinden und durch die Gnade des Satguru Sach Khand erreichen.
Zweifle nicht, sie wird dort hinkommen. (7.
Januar 1901) Wenn das Gemüt einmal unter Kontrolle gebracht ist
und nicht mehr verzweifelt und schwankt:
dann erscheint die strahlende Form des Meisters im Inneren.
Zwischen ihr und der physischen Form besteht kein Unterschied. Sie ist
wie ein klares
Spiegelbild. Solange das Glas nicht rein ist, kann man nichts darin
erkennen. Das Gemüt ist wirklich wie ein Glas, das alles trübt
und verbirgt, wenn es durch Schmutz der weltlichen Bindungen befleckt ist. Aber
in dem Augenblick, wo dieser Schleider entfernt ist, spiegelt es das Universale
wider. Der Surat (die Aufmerksamkeit), durch Simran am Tisra Til gesammelt,
bricht mit Hilfe der Anziehungskraft von Shabd hindurch. Und wenn er in die
inneren Bereiche gelangt, begegnet er der strahlenden Form des Meisters, die
ihn willkommen heißt und ihn von da an Schritt für Schritt auf der inneren
Reise führt. Wenn die Seele erst den Meister in seiner
strahlenden Form im Innern erreicht hat, ist der größte Teil ihrer Aufgabe
getan. Das Übrige ist nur noch eine Frage der Zeit. Der Satguru könnte sie
natürlich sofort zu den höchsten Ebenen bringen, aber er bewirkt den
Fortschritt stufenweise, denn sonst würde, wie es bei dem hartnäckigen Pandit
der Fall war, der Schock und die Anspannung zu groß sein. Die Sanchit-Karmas(die Handlungen vergangener
Lebensläufe, dazu bestimmt in künftigen Geburten Frucht zu tragen) und die
Kriyaman-Karmas (Handlungen aus diesem Leben, die ebenfalls in nach- folgenden Lebensläufen Frucht tragen) sind natürlich
in dem Augenblick unwirksam geworden, wo man vom Meister in seine Herde
aufgenommen wird. Aber das Pralabdh-Karma, auf dem das gegen- wärtige Leben begründet ist, muß sich auswirken, da
sonst der Tod die unmittelbare Folge wäre. Der Meister sucht es so rasch und glatt wie möglich
abzuwickeln. Als sich Baba Sawan Singh das Bein gebrochen hatte, ließ Babaji
ihn wissen, daß dies nicht bloß die Folge eines Unfalls war, sondern auf
früheren Karmas beruhte, deren Rückwirkungen nicht umgangen werden konnten.
Sein Leiden wurde zwar nicht gänzlich aufgehoben, aber durch das Eingreifen
eines Satguru gemildert. “Welches Leid dir auch zugestoßen ist, es ist nur der
fünfte Teil; vier Teile wurden dir erlassen”, und er fuhr fort:
Kummer und Leiden sind Glück im Unglück, denn sie sind durch den Herrn
bestimmt. Wenn uns das
Leid Nutzen bringt, schickt Er uns Leid, hilft uns die Freude, sendet Er
diese. In Freud und Leid wird
unsere Stärke geprüft, und wenn man weder wankt noch abweicht, segnet
der Allmächtige eine solche
Seele mit Naam. In welche Sorgen und Nöte Babajis Schüler kommen
mochten, er hieß sie stets guten Mutes sein. Je eher ihre Schulden beglichen waren, desto besser,
und in Zeiten der Prüfung floß ihnen immer besondere Gnade zu:
Krankheit und Freuden sind die Früchte früherer Handlungen. All jenen,
die krank sind, wird
besondere Gnade gegeben. Mögen sie darum ohne Sorge sein und es mit
Gleichmut tragen.
Im Leid wandert das Gemüt nicht, und in der Bedrängnis wendet es sich
dem Bhajan zu.
So sind die Zeiten des Krankseins, wenn sich das Gemüt dem Bhajan
hingibt, von großem Segen.
Sie sind ein besonderes Geschenk für die Satsangis. Wenn dich also
Krankheit und Schmerz
bedrängen, nimm sie als den Willen des Herrn an und widme dich deinen
spirituellen Übungen.
Solange der Surat in Shabd Dhun vertieft ist, wird das Licht nicht
empfunden. Heißt es nicht:
“Freude ist Krankheit und Leid das Heilmittel?”
(17. Oktober 1902) “Wenn man einen kompetenten Satguru findet, lernt
man den ganzen inneren Weg kennen und begibt sich auf die spirituelle Reise”,
sagte Babaji. “Es muß nur noch die Rechnung von Geben und Nehmen beglichen
werden, die den Flug der Seele hemmt. Sie ist nicht rein genug, den göttlichen
Shabd zu ergreifen, und muß daher zunächst von allen karmischen Rückwirkungen
frei werden. Der Satguru hat sie in diesem Leben von den Fesseln des Karmas zu
lösen, damit sie davor bewahrt wird, dieses in weiteren Geburten ausgleichen zu
müssen. Leid ist also unvermeidbar; aber glücklicherweise
werden bei Satsangis “Jahre des Leidens als eine Sache von Tagen abgetragen”.
Shabd Dhun ist der den Menschen leitende Engel, das Zaubermittel, das ihn
beschützt. Wer zu seinem Reichtum Zuflucht nimmt, dessen Karma wird in seiner
reinigenden Flamme allmählich verbrannt. Wenn das Gemüt ruhiger wird und sich
das Karma erschöpft, wird die Seele mehr und mehr von Maya befreit und durch
die strahlende Form des Meisters innen zu immer höheren Ebenen geleitet. Der
Schüler braucht sich nicht zu sorgen. Seine Aufgabe ist es nur, an den Geboten
seines Meisters festzuhalten und sich nach seinem Willen zu bemühen. Es liegt
in der Hand des Satguru, seine Bemühungen mit Erfolg zu krönen, wenn er es für
gut und angemessen hält, denn er kann das am besten beurteilen und tut, was dem
Schüler am meisten nützt.
Der Herr tut, was er für das Beste hält. Bringe dich nicht selbst
dazwischen. Lebe nach den Worten
des Meisters und komme weiterhin deinen weltlichen Pflichten nach. Wenn
die Frucht reif ist, fällt
sie von selbst ab, ohne sich oder den Zweig, der sie trägt, zu
verletzen, und auf diese reife Frucht
wird großen Wert gelegt. Wenn wir die unreife Frucht gewaltsam vom Baum
nehmen, wird der
Zweig beschädigt, und sie selbst schrumpft und ist von geringem Wert.
Einen kompetenten Meister
zu finden ist die Erfüllung der menschlichen Geburt. Es ist die Frucht
des Lebens. Nach seinen Geboten zu leben sichert ihr rechtes
Gedeihen. Der tägliche Simran und Bhajan, soviel wie möglich
geübt, sind die beste Nahrung und Pflege, und das Aufgehen in Shabd ist
ihr Reifen und Abfallen.
(3. März 1899) Solcherart ist der Fortschritt der Seele. Ihr Reifen
ist eine Sache steten Wachstums. Durch die Worte des Meisters gestützt, durch
Bhajan ernährt und von Shabd Dhun getragen, durchquert sie einen Bereich nach
dem andern, bis sie alle Umhüllungen des Gemüts und der Materie hinter sich
läßt und Sach Khand erreicht. Dies ist ihre wahre Heimat, das Reich reinen
Geistes. Von dort wird sie eins mit dem Göttlichen und geht allmählich in das
Formlose zurück, bis sie über Alakh und Agam hinaus zu Anami gelangt, dem
namenlosen und formlosen Urgrund von allem, was sich bewegt und sein Sein hat. Bei manchen, wie im Fall Babajis, wird die ganze
Reise aufgrund des spirituellen Fortschritts, den sie in früheren Lebensläufen
erzielt hatten, in einer für ihre Zeitgenossen außergewöhnlichen, unfaßbar
kurzen Zeit zu Ende geführt. Es gibt noch andere, die durch ihre große Hingabe
und ihre Meditationen die Früchte aus vielen Geburten in einem einzigen Leben
ernten konnten. Aber der überwältigenden Mehrheit bedeutet die Spiritualität
lediglich eine vorübergehende Phase des Idealismus; sie machen Shabd nicht zum
Notanker ihres Lebens, sondern wenden sich ihm nur dann und wann zu. Für solche
Menschen ist der Erfolg nicht in einem Leben gesichert. Aber die von einem
Meister gelegte Saat kann nicht verloren gehen; was nicht in einer Geburt
Frucht trägt, kann sich in der nächsten entfalten, unter der Führung der
lebendigen menschlichen Offenbarung der Shabd Kraft, die zu der Zeit das Werk
ausführt. Aber selbst das ist nicht nötig, wenn man bereits vor dem Tod
Verbindung mit dem Naam-Strom hat und alle irdischen Wünsche weggewaschen sind,
denn dann kann man den Rest seiner Erlösung von den übersinnlichen Ebenen aus
bewirken. Wenn man einmal in die Herde eines wahren Meisters aufgenommen wurde,
kann man seiner Befreiung sicher sein und wird früher oder später die ewige
Heimat erreichen. Auch wenn er seine irdische Hülle abgelegt hat, bleiben seine
Führung und sein Schutz unvermindert bestehen. Für die von ihm Initiierten ist
es nicht notwendig, von einem anderen nochmals die Initiation zu erhalten; denn
ist auch die physische Form des Guru sterblich, so ist doch seine Shabd-Form
unvergänglich und immer gegenwärtig. Man kann sich natürlich bei dem
Mitschüler, den der Meister zu seinem Nachfolger erwählt hat, über schwierige
Punkte Klarheit verschaffen. Was aber die innere Führung anbelangt, bleibt einzig
der eigene Lehrer verantwortlich, auch wenn er nicht mehr im Körper lebt. Des
Schülers ausschließliche Pflicht besteht darin, die von seinem Guru auferlegten
Übungen durchzuführen, und es ist Sache des Meisters, sie mit Erfolg zu krönen.
Hat Jesus nicht gesagt: “Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt
Ende”? Und gab nicht Soamiji am letzten Tag seiner Mission
auf Erden seinen Ergebenen die Versicherung: “Habt keine Furcht. Ich bin für ewig bei jedem von
euch, und der euch gegebene Schutz und die Fürsorge werden sogar größer sein
als vorher”? 20) Eine uralte Wissenschaft Baba Jaimal Singh verkündete seine spirituelle
Botschaft nicht als etwas Neues, sondern als eine uralte Wissenschaft. Ihre
Spuren finden sich im Schrifttum aller Glaubensrichtungen, aber zu voller Blüte
kam sie in der uns bekannten Geschichte erst durch Kabir und Guru Nanak. Die
von ihm verfaßten Schriften lassen eindeutig erkennen, daß sie die innere
Wissenschaft in der ganzen Reichweite verwirklicht haben. Die große Tradition,
die diese Meisterseelen begründet haben, wurde von den Nachfolgern Guru Nanaks
fortgesetzt und, wie wir schon an früherer Stelle dieser Untersuchung sahen, an
Tulsi Sahib von Hathras und von ihm an Soamiji aus Agra weitergegeben, ehe sie
mit Baba Jaimal Singh zum Punjab zurückkam. Der Surat Shabd Yoga ist nicht einfach ein Glaube,
sondern eine Wissenschaft. Er war über die Grenzen Indiens hinaus auch bei den
größten Sufis bekannt, und historische Zeugnisse deuten darauf hin, daß sich
beide Bewegungen in Indien und dem Mittleren Osten vielfach berührt und
miteinander verbunden haben. Es war ein Pfad, der allen Menschen offenstand und
für unsere Zeit am besten geeignet ist. Als Soamiji seine Botschaft verkündete,
lehrte er nichts Neues. Er tat dasselbe, was seine großen Vorgänger getan
hatten: er erfüllte die alten Wahrheiten wieder mit Leben und erklärte sie neu
für seine Zeit. Babaji widersprach strikt allen Vermutungen, sein Meister habe
einen völlig neuen Pfad entdeckt, wie es einige Leute später wissen wollten.
Hatte er nach Darlegung seiner Lehre im Sar Bachan nicht selbst
erklärt:
Jo mun maen pateet na dekhe
To Kabir, Gur Bani Pekhe,
Tulsi Sahib ka mat Joi,
Paltu, Jagjivan kahen soi.
In santan ka daeon parmana In ki Bani sakh bakhana. Wer diese Tatsache nicht
erkennen kann,
möge die Lehren Kabirs und der Sikh-Gurus studieren.
Auch Tulsi Sahib hat diese Wahrheiten bekundet;
Ebenso wurden sie von Paltu und Jagjiwan aufgezeigt. Ich weise die
Skeptiker
auf die Zeugnisse solcher Mystiker hin, denn ihre Lehren stimmen mit dem
überein, was ich sage. 21) Und hat er seinen Ansprachen nicht häufig die
Schriften Kabirs, Tulsi Sahibs, Bhikhas und besonders Guru Nanaks zugrunde
gelegt? Jede Annahme, daß Soamiji, während er in den
Fußstapfen seiner Vorgänger begonnen hatte, nach 1858-61 plötzlich zu
irgendwelchen höheren Bereichen aufgestiegen sei, die keiner vor ihm gekannt
habe, könnte bestenfalls nur eine falsche Vorstellung von ihm geben. Seine
Verse waren die Frucht der letzten Lebensjahre, und in ihnen hat er, verbunden
mit der Feststellung, daß der Satguru und Sat Purush dasselbe sind, erklärt:
Sewa kar puja kar un ki,
Unhi ko Guru Nanak jan,
Vohi Kabir Vohi Satnama
Sab santan ko vohi pahchan. Tera kaj unhi se hoga, Mat bhatke zu taj abhiman.
Diene dem Guru und verehre ihn,
denn er ist Nanak, Kabir ist auch
in ihm und ebenso Sat Naam.
Fürwahr, jeder Heilige ist die verkörperte
Form des Formlosen.
Deine Befreiung wird durch ihn
und ihn allein bewirkt. Wie konnte man im Lichte dieser aufgezeichneten
Darlegungen – nicht zu sprechen von dem, was Soamiji seien Schülern direkt
sagte – so fehlgehen zu behaupten, er habe eine neue Entdeckung gemacht? Wie Babaji betonte, hat der Heilige von Agra
entgegen dem, was später (ungefähr zehn Jahre nach seinem Tod) verbreitet
wurde, seine Schüler immer in den Simran des Panch Shabd initiiert. Dies war in
der Tat der Hauptgrund für die Meinungsverschiedenheit, deretwegen Babaji im
Jahre 1902 nicht bereit war, dem Zentralrat Soamibagh beizutreten. Er erklärte, daß die größten Heiligen der
Vergangenheit ihre Schüler auf den Pfad
des Panch Shabd gestellt hätten, was eindeutig aus ihren Schriften hervorgeht:
Kabir ist durch die Mittlerschaft der fünf Wort nun für
immer mit dem Schweigen des Formlosen vereint: Kabir Erkenne ihn als den wahren Meister,
der in dir den Weg zurück zu Gott
offenbaren kann und dich mit dem
lauten Ruf der fünf Töne
auf dem spirituellen Pfad leitet.
Guru Nanak, War M. 1 Ohne den Satguru kann man das Geheimnis von
Naam
nicht finden. Süß ist das Elixier von Shabd, das durch den
Simran der fünf Worte strömt.
Guru Amar Das, Maru M. 3
Wahrlich gesegnet ist, wer durch die Gnade
des Meisters die
ewige Melodie der fünf Töne entfaltet. Guru Arjan, Ramkali M. 5 Ebenso bezieht sich Tulsi Sahib in seine Schriften
ausdrücklich darauf. Soamiji achtete und verehrte sie und beschritt den
gleichen Pfad. Im Sar Bachan brachte er an einer Stelle klar zum Ausdruck: Panch Shabd ka Simran karo
Siam set main surat dharo. Wiederhole unaufhörlich die
fünf heiligen Worte und kon-
zentriere dich auf die dunkle Stelle im Innern. Als Soamiji den Begriff Radhasoami zu verwenden
begann, den sein ergebener und geliebter Schüler Rai Saligram eingeführt hatte,
begründete er deswegen keinen neuen Glauben oder ein neues Bekenntnis, wie
Babaji versicherte. Er ließ diese Worte als einen weiteren Namen für den
Unnennbaren Unendlichen gelten und erklärte, daß er auf der äußeren Ebene den
Schüler (Radha) und den Guru (Soami) bedeute und auf der inneren Ebene den
Seelenstrom (Radha) und seinen Ursprung (Soami). Als es Baba Sawan Singh Ji
1894 in Murree ablehnte, dieses neue Wort zu gebrauchen, nahm Babaji, wie wir
bereits wissen, den Sar Bachan zur Hand und las daraus die Verse: Radha
aad Surat naam Soami aad Shabd nij dham. Radha ist der Name des
ursprünglichen Seelenstroms (Suart);
Soami ist der Name des Ursprungs von Shabd oder dem Wort. Er legte dar, daß der Absolute in Seiner höchsten
Form formlos und unbeschreiblich sei; doch hätten ihm die Heiligen, in dem
Bestreben, ihre Schüler auf Ihn hinzuweisen, zahllose Namen gegeben. Hatten nicht die Verfasser des Vishnu Sahasranama
und des Jap Sahib Hunderte Namen für den Allbarmherzigen Schöpfer geprägt?
Weshalb sollte man gegen die Bezeichnung “Radhasoami” etwas einzuwenden haben? Auf die Wirklichkeit, die Soamiji durch den Begriff
“Radhasoami” zu benennen suchte, deuteten seine Vorgänger mit andern Namen hin,
wie Khasam oder Soami (Höchster Herr). Maha Dayal (alle Gnade), Nirale (der
Geheimnisvolle), Nirankar (der Formlose) und Anami (der Namenlose), So sagte Kabir einmal: Kal Akal Khasam ka keena
Eh parpanch badhawan. Das Zeichen und das Zeitlose haben
dieselbe Quelle und sind für seine Offenbarung wesentlich. Guru Nanak sagte: Kot
Brahmand ka thakur Soami Sarabh jian ka data
reh. Soami ist der Herr der
ganzen Schöpfung und der Meister aller Seelen. Tulsi Sahib sprach auf ähnliche Weise: Sab ki aad kahun main Soami. Ich nenne den Schöpfer alles Seienden
“Soami”. Soamiji selbst hat wie sein Meister die höchste
Wirklichkeit als “Soami” öfter noch als “Sahib Soami” und “Satguru Soami”
angerufen. Er benutzte diese Begriffe häufig in seinen Reden und Briefen, mehr
als das Wort “Radhasoami”. Es ist sehr wahrscheinlich, daß sie auch in seiner
ursprünglichen Versdichtung vorkamen, aber um der Einheitlichkeit willen durch
die Bezeichnung “Radhasoami” ersetzt wurden, als diese Gedichte etwa sechs
Jahre nach seinem Tode mit vielen anderen von Hazur Maharaj Rai Saligram in dem
mit Sar Bachan betitelten Sammelband (Versfassung) erschienen, worin das Wort
“Radhasoami” entweder für das höchste Ziel – Soami oder Anami – oder für den
Guru verwendet wird. Soweit war Babaji einverstanden, jedoch nicht darüber
hinaus. Er achtete den Begriff “Radhasoami” wie jeden anderen Versuch, den
Namenlosen zu benennen, konnte aber die besondere mystische Bedeutung, die ihm
nach Soamijis Tod allmählich gegeben wurde, nicht anerkennen. Hatte doch der
Heilige aus Agra selbst im Bachan 115, Teil II des Sar Bachan (Prosafassung)
gesagt: Naam ist von zweierlei Art:
Varanatmak und Dhunatmak. Zahllos sind die Vorteile von
Dhunatmak Naam und kaum nennenswert die von Varanatmak
Naam. 22) Alle Namen, die man sprachlich ausdrücken kann, sind
Varanatmak und darum äußerlich, der Veränderung von Mensch zu Mensch und von
Volk zu Volk unterworfen. Der innere Shabd ist zu allen Zeiten und für alle
Menschen derselbe.
Er ist ganz melodischer Natur, nicht durch Worte
auszudrücken oder zu beschreiben. Er ist der Ursprung aller Schöpfung und daher
der einzige Gegenstand für die Meditation des Suchers. Jedes Wort, das sich dem menschlichen Denken
eingeprägt hat, scheint in diesem Tonprinzip widerzuklingen. Babaji, der dem
Geist eines großen Meister treu blieb, erklärte unbeirrt: “Jedes Wort, das sich aussprechen und schreiben
läßt, kann kein innerer spiritueller Ton sein, der das ungesprochene und
ungeschriebene Gesetz und die Ordnung der ganzen Schöpfung ist.” Wie sollte
also das Wort “Radhasoami” Dhunatmak sein, wenn es sprachlich zum Ausdruck
kommt; und wie kann man von ihm sagen, daß es in der höchsten spirituellen
Ebene “erklingt”, wo es gar keine Form gibt und selbst Shabd noch nicht
offenbart ist? Sein Meister, so erklärte Babaji, habe immer
vertreten, daß seine Lehren dieselben wie die von Kabir und Guru Nanak seien,
und nie den Anspruch erhoben, in Bereiche gelangt zu sein, die vor ihm noch
keiner in der menschlichen Geschichte gekannt habe. Hatten nicht die größten
Mystiker der Vergangenheit klar bezeugt, daß ihnen alle acht der inneren Ebenen
zugänglich waren? Und konnte man nicht bei Nanak lesen: Sat Lok ke oopar dhave Alakh, Agam ki tab gat
pave Tis ke oopar Santan dham Nanak das kio bisram. Nur wer Sat Lok überschreitet, kennt das
Wesen von Agam und Alakh. Die Heiligen haben ihre Stätte jenseits
davon, und auch der geringe Nanak weilt dort. Soamijis letzte Worte ließen nicht den geringsten
Zweifel daran, daß er an dem traditionellen Pfad festgehalten hat. Er machte
deutlich, daß er nichts mit dem Kult entwickelten “Radhasoami” zu tun hatte.
Sein Pfad war der von Sat Naam und Anami, und wenn er die Bezeichnung “Radhasoami”
gelten ließ, so nur als einen weiteren Varanatmak-Namen für den Unnennbaren
Einen. Alle Namen, wie Sat Naam, Onkar usw., die als Simran
gegeben wurden, sind gleicherweise Varanatmak. Ihr einziger Zweck ist: a) beim
Zustandekommen von Dhyan oder der zielbewußten Konzentration zu helfen und b) als Paßworte zu dienen, mit denen man von
einer Ebene zur anderen gelangen kann. Die Aufgabe der Seele (und des Satguru)
ist, die fünfte Ebene, Sat Lok, zu erreichen, und dazu sind diese fünf
Paßworte, eines für jeden Bereich, notwendig. Wenn sich die Seele einmal in die
Region des reinen Geistes erhoben hat, sind keine Paßworte mehr erforderlich.
So wie sie den Sat Purush, die Gottheit von Sat Lok oder Sach Khand erblickt,
die erste Offenbarung des Formlosen und Namenlosen in Naam und Form, erkennt
sie, daß Er (der Sat Purush) und der Satguru nicht verschieden, sondern ein und
derselbe sind und daß auch sie mit ihnen wesenseins ist. Ihre Suche nach dem
Absoluten ist nunmehr zu Ende, und sie beginnt mit ihm eins zu werden. Indem
sie immer tiefer von der Form ins Formlose eindringt, gelangt sie durch Alakh
(das Unbeschreibliche) und Agam (das Unfaßbare), bis sie sich schließlich
selbst verliert im Meer der Glückseligkeit und des Bewußtseins, daß die höchste
Wirklichkeit jenseits von Name und Form ist, unaussprechlich, makellos, unbe- schreiblich und unermeßlich. Sie ist, was sie ist;
mehr kann über sie nicht gesagt werden. Als einziges bleibe zu beschreiben, was
sie nicht ist. Sie ist weder Licht noch Dunkel, weder Laut noch Stille. Man
kann nicht einmal sagen, daß Shabd dort erklingt, da Shabd noch nicht offenbart
wurde; und zu erklären, man könne dort die melodischen Vibrationen von
“Radhasoami” hören, ist ein Wider- spruch in sich selbst. Alle früheren Adepten des Surat Shabd Yoga haben es
so gelehrt. Wer immer ihre Schriften aufmerksam studiert, kann feststellen, daß
sie alle den Zugang zur fünften Ebene als das Ziel betrachten, das der Schüler
wie auch der Guru erreichen müssen. Um dorthin zu kommen, ist der Simran der fünf heiligen Namen unerläßlich; und wenn
sich die Seele bis Sat Lok erhoben hat, bleibt es die Aufgabe des Sat Purush,
sie mit sich zu vereinen und zu gewähren, daß sie immer weiter im Formlosen und
Namenlosen aufgeht. Es sind diese beiden Entwicklungsstufen, die Soamiji
hervorhob, wenn er sagte:” Mein Pfad ist der Pfad von Sat Naam und Anami Naam”.
Am Ende von Bachan 26 des Sar Bachan (Versfassung), worin er die Ankunft der
Seele in Sat Lok und ihre weitere Reise beschreibt, hat er den ganzen Weg sehr
klar und über jeden Zweifel erhaben dargelegt:
Pushap madh sae uthi avaza Kau tum hoe kaho kaja
Satgur milae bhed sub dina Tis ki kripa daras hum lina
Darshan kar ut kar magnani
Sat Purush tub bola bani Alakh
lok ka bhed sunaya Bal upna dae surat pathaya Alakh Purush ka roop anoopa Agam Purush nirkha kul bhoopa Dekh acharaj kaha na jaya Kaya kaya sobha varan paye
Vom Lotos erhob sich eine Stimme:
“Sprich, wer bist du, und was bringt dich hierher?”
“Mein Satguru gab mir den Schlüssel
zu diesem Reich, und durch seine Gnade
bin ich mit deinem Darshan gesegnet.”
Den Herrn schauend, ward sie entrückt.
Sodann sprach der Sat Purush und gab ihr
die Geheimnisse von Alakh Lokh preis;
Durch Seine Kraft erhob sie sich weiter.
Die Form von Alakh Purush ist unbeschreiblich.
Der wunderbare Anblick von Agam Purush,
des Herrn aller Schöpfungen, läßt sich nicht
schildern, und Seine Herrlichkeit nicht
in Worte fassen. Babaji hielt streng an den ursprünglichen Lehren
seines Meisters fest und versicherte seinen Schülern, sie würden, wenn sie nach
seinen Weisungen lebten, ganz sicher “Sach Khand erreichen und über Alakh, Agam
und Anami Radhasoami hinaus mit der Wunderbaren Region eins werden.” In der
Vergangenheit waren die Heiligen mit Hilfe der fünf Namen zur höchsten Stufe
gelangt, warum sollte man sie also nun ändern? Wozu Soamijis Botschaft
entstellen, um lediglich einen neuen Kult einzuführen? Der Surat Shabd Yoga war
eine uralte Wissenschaft und hatte sich nicht über Nacht verändert. Am Tag vor
seinem Weggang rief Babaji alle seine Schüler, die damals in Beas waren, zusammen
und erklärte: “Es ist der Wille von Din Dayal Soami Ji Maharaj, daß ich die
Tore des spirituellen Schatzhauses noch weiter öffne als bisher. Mein Meister
wünscht, daß ich euch ausführlicher als je zuvor einen Bericht über die inneren
Bereiche gebe, von den ersten fünf und den letzten drei, damit ihr nicht in
Zweifel geratet und sagt, daß einer, der in Soamijis Gunst stand, schweigend
gegangen sei.” Er sprach dann ausführlich über die Herrlichkeit der inneren
Welten und endete mit den Worten, die wir bereits am Schluß der Biographie
zitiert haben: “Mein ganzes Leben suchte ich nur, meinem Meister zu
dienen und nun ist alle Arbeit, die er durch diesen armseligen physischen
Körper zu vollbringen hatte, getan.” Es ist unmöglich die äußeren Lehren eines
großen Menschen als bloße Worte zu betrachten. Die Aufgabe wird doppelt schwierig bei einem
Heiligen vom Rang Baba Jaimal Singh Jis. Solche Geistwesen sprechen aus einer Weisheit, die
wir nicht verstehen könen; sie handeln nicht als begrenzte Menschen, sondern als
Mittler des Herrn.
Jaisi maen aavae Khasam ki bani
Taisra kari gian wey Lalo. Was mein Herr in mir
spricht,
o Lalo, das allein sage ich.
Guru Nanak,
Tilang M.1, 722 Ihre Botschaft lebt in jedem kleinen Wort, das sie
aussprechen, und in jeder kleinen Geste. Die abstrakte Darstellung ihrerPhilosophie ist nur
das Knochengerüst und die Knorpel, denen das Fleisch und das Blut der
unmittelbaren Einwirkung auf ihre Schüler gänzlich fehlt. Wer kann sich heute
jene Worte der Weisheit, des Friedens, des Trostes, der Beruhigung und
liebevollen Zurechtweisung vergegenwärtigen, die Babaji sprach, als er unter
seinen Schülern weilte? Und wer kann nun von den kleinen Werken selbstloser
Güte und übermenschlicher Liebe berichten, durch die jene, die ihn umgaben,
unbewußt von der Wahrheit dessen, was der Geist lehrte, völlig überzeugt
wurden? Wenn je ein Problem aufkam, das nicht gelöst werden konnte, saß er in
Meditation versunken. Und kehrte er dann von den inneren Ebenen zurück, brachte
er die Antwort mit. Doch all das ist, mit Ausnahme ein paar kurzer, niedergeschriebener
Briefe, für immer verloren; der ausgesprochene Sinn und der unausgesprochene,
der sich durch die Augen mitteilte, die beratenden Worte an den nie endenden
Strom von Schülern und Suchern in jeder nur denkbaren Angelegenheit sind
unwiderruflich dahin. Wir können nur das Äußere, das Gerippe, geben und
überlassen das übrige dem Leser. Um sie besser und leichter in die Erinnerung
zurückzurufen, fassen wir hier einige Grundzüge seiner Botschaft zusammen,
welche die älteste und doch in seinen wie in den Händen jedes großen Heiligen
die neueste und lebendigste ist. Der
Surat Shabd Yoga Er ist die höchste Form des Yoga, der die Seele zu
ihrem wahren Ursprung zurückbringt, zum Ursprung allen Lebens und alles
Erschaffenen, dem formlosen und namenlosen Anami. Es ist der einfachste und schnellste Weg und kann
von allen – Jungen und Alten, Kindern und Frauen, Familienvätern und Ledigen
praktiziert werden. Er ist in der Tat der für unsere Zeit geeignetste Yoga,
während andere Methoden sehr langwierig und anspruchsvoll, ja kaum durchführbar
sind. Es unterlief ihm kein Fehler, als Soamiji an seinem letzten Tag auf Erden
sagt: “In diesem Yuga (Zeitzyklus) kann nichts anderes helfen als die Hingabe
an einen wahren Meister und die Praxis von Naam.” 23) Der Satguru oder der wahre Meister Es ist eine Verkörperung des Sat Purush in
menschlicher Gestalt, mit dem er eins wurde. “Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns.” Ohne
die wirksame Hilfe eines solchen lebenden Meisters ist nichts zu erreichen.
Frühere Meister mögen ihre Zeitgenossen über das Meer des Lebens gebracht
haben, aber uns können sie nicht viel nützen. Die Verbindung mit dem Shabd Guru
muß immer durch seine lebende Offenbarung hergestellt werden. Der einzige
unfehlbare Prüfstein für die Kompetenz auf diesem Gebiet ist die Fähigkeit des
Satguru, einer Ersthand-Erfahrung zu geben, die dann weiter entwickelt werden
kann. Wenn man einmal einen wahren Meister gefunden hat,
sollte man sich auf die innere Schulung konzentrieren. Seine Führung ist immer
da und hört dann auch nicht auf, wenn er die physische Ebene verlassen hat. Der Gurmukh oder der echte Schüler Hat man nach Beseitigung aller Zweifel einen wahren
Meister gefunden, muß man nach dem Ideal eines vollkommenen Schülers leben. Und
was heißt es, ein vollkommener Schüler zu sein? Es bedeutet, vollen Glauben in
den Satguru zu haben, indem man seine Weisheit und Autorität nie in Frage
stellt. Ferner muß man immer, bei der Arbeit oder während der Freiheit, in die
Liebe zu ihm vertieft sein, denn nur eine solche Liebe kann das Herz von den
unvollkommenen Neigungen der Welt reinigen. Sind dieser Glaube und diese Liebe
gegeben, muß man nach besten Kräften seine Anweisungen befolgen: “Liebet ihr
mich, so haltet meine Gebote.” Wenn ein Schüler diese Eigen- schaften entwickelt und sich ganz dem Willen des
Satguru unterwirft, wird er frei von weltlichen Wünschen und ein geeignetes
Gefäß für Shabd Dhun. Die Gnade und Großmut des Meisters werden auf ihn
herabkommen wie eine Flut, die die inneren Schleusentore öffnet und alle
Hindernisse beseitigt. Das Äußere und das Innere Der Weg zur Erlösung liegt nicht außen, sondern
innen. Äußere Rituale sind ohne Nutzen, und wenn- gleich es wünschenswert ist, der früheren Meister in
Ehrfurcht zu gedenken, kann es jedoch nicht wirklich helfen, wenn man sich in
der Verehrung ihrer Samadhs (Grabmäler), Statuen und Bilder verliert. Man muß
sich ihre Leben zum Vorbild nehmen und sich wie sie auf die innere Welt
konzentrieren. Babaji selbst verbrachte Wochen in Bhajan und Simran, mit nur
kurzen Unterbrechungen, um Nahrung zu sich zu nehmen. Er hielt seine Schüler
immer dazu an, soviel Zeit wie irgend möglich den spirituellen Übungen zu
widmen, die er sie gelehrt hatte. Das ständige Gedenken des Herrn ist der beste
Schutz gegen Verhaftetsein und Maya, und man sollte den fünffältigen Simran zu
jeder Zeit üben. Nicht weniger wichtig ist Bhajan, was eine größere
Konzentration der Aufmerksamkeit erfordert. Was immer kommen mag und wie sehr
der Schüler mit äußeren Pflichten beschäftigt ist, er muß täglich eine Zeit für
Bhajan finden, und sei es noch so wenig. Nur wenn man die Verbindung mit Shabd aufrecht
erhält, kann man alles erreichen, und wenn der Schüler dieses Bindeglied durch
ständige Übung verstärkt hat, wird die innere Musik unaufhörlich zu jeder
Tageszeit hereinströmen, zum lauten Ruf werden und ihn geschickt, wie ein
Seidenkleid, von den Dornen irdischer Wünsche befreien. Mit anderen Worten, Babaji lehrte die Spiritualität
als eine innere Schulung, die nichts Sektiererisches an sich hatte und allen
zugänglich war. Er betonte immer, daß es dabei nicht um äußere Formen und
Glaubensrichtungen gehe, sondern ausschließlich um die innere Reinigung und
Praxis. Wer einen wahren Meister findet und sich zu einem fähigen Schüler
entwickelt, der zuverlässig an den Übungen, die ihn gelehrt wurden, festhält,
wird mit Sicherheit früher oder später Sat Lok erreichen. Die Aufgabe des
Satguru ist es, die Seele zum Sat Purush zu bringen, bei dessen Anblick sie
sich als wesenseins mit Ihm erkennt und sieht, daß der Satguru und der Höchste
Herr eins und unteilbar sind. Dort geht sie in Sat Naam auf, mit dessen Hilfe
sie weiter in Alakh, Agam und Anami (oder Radhasoami) eindringt und selbst in
die Wunderbare Region darüber, wie aus einem Brief Babajis (abgedruckt in den
Spirituals Gems) zu entnehmen ist. Jede dieser Stufen bedeutet einen weiteren
Schritt der Vertiefung der Seele aus Naam und Form in den Namenlosen und
Formlosen, das letzte Ziel, das jenseits aller Formen von Licht und Ton liegt
und sich darum unmöglich in Worten der menschlichen Erfahrung beschreiben läßt. Man kann auf diesem Pfad ungeachtet seines sozialen
und religiösen Hintergrundes Erfolg haben. Den Anweisungen Soamijis getreu, suchte Babaji die
Spiritualität auf eine Weise zu erklären, die sie von Sektierertum möglichst
freihielt. Er hob viele der äußeren Praktiken aus früherer Zeit auf, darunter
besonders Bhaint oder Gaben für den Guru, und überließ es ganz den Wünschen des
Schülers, zur Deckung der laufenden Ausgaben des Satsang beizutragen. Auch
unterstützte er keine besonderen Begrüßungsformen als Ausdruck der Verehrung,
die leicht zum Kennzeichen einer neuen Glaubensrichtung werden können. Als er
einmal in Murree war, wies Bibi Rukko (unter dem Einfluß eines kurz vorher in Agar
gemachten Besuches) die Satsangis an, Babaji bei seiner Rückkehr mit dem Wort
“Radhasoami” zu begrüßen. Babaji war alles andere als erfreut darüber und
mahnte sie: “Seht zu, daß ihr in Zukunft diesen Fehler nicht
wiederholt. Wir Geistwesen kommen nicht, um neue Sekten und Bekenntnisse zu
schaffen. Wir sind hier, um alle Unterschiede aufzuheben. Wozu diese einfachen
Leute mit solchen äußeren Schlagworten verwirren? Meine Aufgabe ist es, sie
nach innen zu bringen. Darum laß sie mich nach den Bräuchen ihrer jeweiligen
Gemeinschaft grüßen.” Wie wir schon gesehen haben, hatte er einen Kern
Moslem-Schülern, bei denen er nie das Gefühl aufkommen ließ, daß sie ihrer
eigenen Religion in irgendeiner Weise zu entsagen hätten. Es war nur ein
Wissensgebiet wie Mathematik oder Astronomie, das Menschen in aller Welt
studieren und meistern können. Was er sie lehrte, waren genau dieselben
Wahrheiten, die die größten Sufis wie Jalal-du-Din Rumi, Hafiz, Shamas-i-Tabrez
oder Inayat Khan ihren Schülern verkündet hatten. Diese Aufgabe wurde durch Babajis spirituellen Sohn,
Hazoor Sawan Singh Ji, weitergeführt. In der Zeit seines Wirkens vergrößerte
sich der Satsang ungeheuer, womit sich Babajis Vorhersage erfüllte. Die Botschaft des großen Meisters wurde über Länder
und Meere getragen, und Menschen aller Glaubensrichtungen suchten in seiner
Herde Zuflucht. In Übereinstimmung mit dieser neuen Entwicklung und um dem
geistigen Wandel der Zeit gerecht zu werden, begann Hazoor Sawan Singh Ji die
zeitlose Botschaft als eine innere Wissenschaft darzulegen. Das äußere Ritual
wurde immer mehr fallengelassen und Praktiken wie Charan-amrit, Mukh-amrit oder
Arti ganz abgeschafft. Wie Babaji war er immer geneigt, mit geistigen Führern
aller Glaubensrichtungen zusammenzukommen. Dr. Johnson, einer seiner amerikanischen Schüler,
berichtet von ihm in seinen Aufzeichnungen “With a Great Master in India”, daß
er überall, wo er hinkam, die heiligen Stätten der verschiedenen
Glaubensrichtungen aufgesucht habe. Die wissenschaftliche Tendenz hat sich weiter
verstärkt, und die Menschen sind nicht länger bereit, die Spiritualität wie in
früheren Tagen als eine Sache ergebenen Glaubens anzunehmen. “Wir müssen überzeugt sein”, sagen sie, “wir müssen
Beweise haben. Wir können uns nicht damit zufriedengeben, blindlings zu tun,
was unsere Vorfahren taten.” Um sich dieser Entwicklung anzupassen, hat der
Ruhani Satsang in Delhi in Übereinstimmung mit den Wünschen Hazoor Sawan Singh
Jis die letzten Spuren eines Rituals beseitigt. Es werden nicht einmal Fotografien
des lebenden Meisters aufgestellt. Von allem äußeren Ballast befreit, erweist
sich die Spiritualität als eine Wissenschaft, die genauso exakt und nachprüfbar
in ihren Ergebnissen ist wie jede andere. Mögen alle Sucher diese Wissenschaft
aufnehmen und im Laboratorium der Seele die nötigen Vorbedingungen schaffen,
dann werden sie – so sicher, wie der Tag der Nacht folgt – ins Reich Gottes
gelangen. |