Das Äußere und das Innere

 

Der Weg zur Erlösung liegt nicht außen, sondern innen. Äußere Rituale sind ohne Nutzen, und wenn-

gleich es wünschenswert ist, der früheren Meister in Ehrfurcht zu gedenken, kann es jedoch nicht wirklich helfen, wenn man sich in der Verehrung ihrer Samadhs (Grabmäler), Statuen und Bilder verliert. Man muß sich ihre Leben zum Vorbild nehmen und sich wie sie auf die innere Welt konzentrieren. Babaji selbst verbrachte Wochen in Bhajan und Simran, mit nur kurzen Unterbrechungen, um Nahrung zu sich zu nehmen. Er hielt seine Schüler immer dazu an, soviel Zeit wie irgend möglich den spirituellen Übungen zu widmen, die er sie gelehrt hatte. Das ständige Gedenken des Herrn ist der beste Schutz gegen Verhaftetsein und Maya, und man sollte den fünffältigen Simran zu jeder Zeit üben. Nicht weniger wichtig ist Bhajan, was eine größere Konzentration der Aufmerksamkeit erfordert. Was immer kommen mag und wie sehr der Schüler mit äußeren Pflichten beschäftigt ist, er muß täglich eine Zeit für Bhajan finden, und sei es noch so wenig.

Nur wenn man die Verbindung mit Shabd aufrecht erhält, kann man alles erreichen, und wenn der Schüler dieses Bindeglied durch ständige Übung verstärkt hat, wird die innere Musik unaufhörlich zu jeder Tageszeit hereinströmen, zum lauten Ruf werden und ihn geschickt, wie ein Seidenkleid, von den Dornen irdischer Wünsche befreien.

Mit anderen Worten, Babaji lehrte die Spiritualität als eine innere Schulung, die nichts Sektiererisches an sich hatte und allen zugänglich war. Er betonte immer, daß es dabei nicht um äußere Formen und Glaubensrichtungen gehe, sondern ausschließlich um die innere Reinigung und Praxis. Wer einen wahren Meister findet und sich zu einem fähigen Schüler entwickelt, der zuverlässig an den Übungen, die ihn gelehrt wurden, festhält, wird mit Sicherheit früher oder später Sat Lok erreichen. Die Aufgabe des Satguru ist es, die Seele zum Sat Purush zu bringen, bei dessen Anblick sie sich als wesenseins mit Ihm erkennt und sieht, daß der Satguru und der Höchste Herr eins und unteilbar sind. Dort geht sie in Sat Naam auf, mit dessen Hilfe sie weiter in Alakh, Agam und Anami (oder Radhasoami) eindringt und selbst in die Wunderbare Region darüber, wie aus einem Brief Babajis (abgedruckt in den Spirituals Gems) zu entnehmen ist. Jede dieser Stufen bedeutet einen weiteren Schritt der Vertiefung der Seele aus Naam und Form in den Namenlosen und Formlosen, das letzte Ziel, das jenseits aller Formen von Licht und Ton liegt und sich darum unmöglich in Worten der menschlichen Erfahrung beschreiben läßt.

 

 

Man kann auf diesem Pfad ungeachtet seines sozialen und religiösen Hintergrundes Erfolg haben.

Den Anweisungen Soamijis getreu, suchte Babaji die Spiritualität auf eine Weise zu erklären, die sie von Sektierertum möglichst freihielt. Er hob viele der äußeren Praktiken aus früherer Zeit auf, darunter besonders Bhaint oder Gaben für den Guru, und überließ es ganz den Wünschen des Schülers, zur Deckung der laufenden Ausgaben des Satsang beizutragen. Auch unterstützte er keine besonderen Begrüßungsformen als Ausdruck der Verehrung, die leicht zum Kennzeichen einer neuen Glaubensrichtung werden können. Als er einmal in Murree war, wies Bibi Rukko (unter dem Einfluß eines kurz vorher in Agar gemachten Besuches) die Satsangis an, Babaji bei seiner Rückkehr mit dem Wort “Radhasoami” zu begrüßen. Babaji war alles andere als erfreut darüber und mahnte sie:

“Seht zu, daß ihr in Zukunft diesen Fehler nicht wiederholt. Wir Geistwesen kommen nicht, um neue Sekten und Bekenntnisse zu schaffen. Wir sind hier, um alle Unterschiede aufzuheben. Wozu diese einfachen Leute mit solchen äußeren Schlagworten verwirren? Meine Aufgabe ist es, sie nach innen zu bringen. Darum laß sie mich nach den Bräuchen ihrer jeweiligen Gemeinschaft grüßen.” Wie wir schon gesehen haben, hatte er einen Kern Moslem-Schülern, bei denen er nie das Gefühl aufkommen ließ, daß sie ihrer eigenen Religion in irgendeiner Weise zu entsagen hätten. Es war nur ein Wissensgebiet wie Mathematik oder Astronomie, das Menschen in aller Welt studieren und meistern können. Was er sie lehrte, waren genau dieselben Wahrheiten, die die größten Sufis wie Jalal-du-Din Rumi, Hafiz, Shamas-i-Tabrez oder Inayat Khan ihren Schülern verkündet hatten.

Diese Aufgabe wurde durch Babajis spirituellen Sohn, Hazoor Sawan Singh Ji, weitergeführt. In der Zeit seines Wirkens vergrößerte sich der Satsang ungeheuer, womit sich Babajis Vorhersage erfüllte.

Die Botschaft des großen Meisters wurde über Länder und Meere getragen, und Menschen aller Glaubensrichtungen suchten in seiner Herde Zuflucht. In Übereinstimmung mit dieser neuen Entwicklung und um dem geistigen Wandel der Zeit gerecht zu werden, begann Hazoor Sawan Singh Ji die zeitlose Botschaft als eine innere Wissenschaft darzulegen. Das äußere Ritual wurde immer mehr fallengelassen und Praktiken wie Charan-amrit, Mukh-amrit oder Arti ganz abgeschafft. Wie Babaji war er immer geneigt, mit geistigen Führern aller Glaubensrichtungen zusammenzukommen.

Dr. Johnson, einer seiner amerikanischen Schüler, berichtet von ihm in seinen Aufzeichnungen “With a Great Master in India”, daß er überall, wo er hinkam, die heiligen Stätten der verschiedenen Glaubensrichtungen aufgesucht habe.

Die wissenschaftliche Tendenz hat sich weiter verstärkt, und die Menschen sind nicht länger bereit, die Spiritualität wie in früheren Tagen als eine Sache ergebenen Glaubens anzunehmen.

“Wir müssen überzeugt sein”, sagen sie, “wir müssen Beweise haben. Wir können uns nicht damit zufriedengeben, blindlings zu tun, was unsere Vorfahren taten.”

Um sich dieser Entwicklung anzupassen, hat der Ruhani Satsang in Delhi in Übereinstimmung mit den Wünschen Hazoor Sawan Singh Jis die letzten Spuren eines Rituals beseitigt. Es werden nicht einmal Fotografien des lebenden Meisters aufgestellt. Von allem äußeren Ballast befreit, erweist sich die Spiritualität als eine Wissenschaft, die genauso exakt und nachprüfbar in ihren Ergebnissen ist wie jede andere. Mögen alle Sucher diese Wissenschaft aufnehmen und im Laboratorium der Seele die nötigen Vorbedingungen schaffen, dann werden sie – so sicher, wie der Tag der Nacht folgt – ins Reich Gottes gelangen.    



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