Die Wiederentdeckung verlorener Gestade Der Strom des Lebens fließt unaufhörlich weiter im
endlosen Lauf der Zeit; die Kraft des Zeitlosen erscheint und schwindet im
Bereich der Relativität. Bevor wir mit der Lebensgeschichte von Baba Jaimal
Singh fortfahren, lohnt es sich, einen Blick auf den Hintergrund zu tun, der
ihn zu dem machte, der er war. Es ist in der Tat die Kraft von Soamiji, die ihn
bei allem, was er tat, und wo immer er wirkte, durchströmte, denn er war
gänzlich in sich vertieft und dem Göttlichen in sich hingegeben. Um die Dinge in ihrer rechten Perspektive zu
verstehen und die Geschichte unseres spirituellen Erbes damit zu verbinden,
müssen wir bis Guru Gobind Singh zurückgehen, dem letzten der zehn Gurus in der Nachfolge von Guru Nanak. Die Rani (Königin) eines Ratan Rao Peshwa kam, von
Bhai Nand Lal begleitet, zu den Füßen Guru Gobind Singhs, um bei ihm Zuflucht
zu suchen.²) Guru Gobind Singh reiste weit umher von den
Himalayas im Norden bis zum Dekken im Süden. Während seiner ausgedehnten Reisen begegnete er der
Herrscherfamilie der Peshwas, lebte bei ihr und weihte einige ihrer Angehörigen
in die innere Wissenschaft ein. Es heißt, daß ein Ratnagar Rao der
Peshwa-Familie initiiert wurde und den Auftrag erhielt, das Werk Guru Gobind Singhs
fortzusetzen. Sham Rao Peshwa, der ältere Bruder von Baji Rao
Peshwa, dem damaligen Regierungsoberhaupt, der mit Ratnagar Rao Verbindung
aufgenommen haben muß, zeigt eine bemerkenswerte Eignung für den spirituellen
Pfad und kam rasch vorwärts. Im Laufe der Zeit siedelte sich dieser junge
Nachkomme der königlichen Familie in Hathras an, einer dreißig Meilen von Agra
entfernten Stadt in Uttar Pradesh, und wurde dort als Tulsi Sahib (1763-1843)
bekannt, der berühmte Verfasser des Ghat Ramayana, der Wissenschaft des inneren
Lebensprinzips, das Mensch und Natur gleicherweise durchdringt. Die viva
Lampada (das lebendige Licht) der Spriritualität wurde von Tulsi Sahib an Soami
Shiv Dayal Singh Ji (1818-1878) weitergegeben. Die Verbindung zwischen Tulsi Sahib und Soamiji von
Agra wird leicht übersehen, aber es gibt kaum einen Zweifel daran. Aus dem
handschriftlichen Bericht von Baba Surain Singh, dem Jivan Chariter Soamiji
Maharaj von Chacha Partap Singh und dem Buch Correspondence with Certain
Americans von Shri S.D. Maheshwari erfahren wir, daß Soamijis Eltern Schüler
des Heiligen von Hathras waren, ihn häufig in seinem Heim aufsuchten, um seinen
Darshan zu haben, und seine Reden hörten, wann immer er nach Agra kam. Er war
es, der den Söhnen von Lala Dilwali Singh Seth ihre Namen gab, nämlich Shiv
Dayal Singh, Brindaban und Partap Singh. Vor der Geburt des ältesten Kindes
prophezeite er, daß sich in ihrem Haus ein großer Heiliger offenbaren werde;
und nach der Geburt sagte er den Eltern, daß sie nicht länger nach Hathras zu
kommen brauchten, da der Allmächtige Herr nun in ihrer Mitte sei.³) Der Heilige von Hathras war eifrig und lebhaft daran
interessiert, Soamijis Leben nach seiner eigenen Art zu formen. Er initiierte
das Kind in sehr jungen Jahren, und Soamiji sagte seinen Schülern in den
letzten Tagen seines Lebens, daß er die innere Wissenschaft mit seinem sechsten
Lebensjahr ausübe.4)
Soamijis Verehrung für den Heiligen von Hathras geht
aus seinem Leben klar und deutlich hervor. Er achtete die Schüler Tulsi Sahibs sehr und ehrte
unter ihnen besonders den Sadhu Girdhari Das, den er in seinen letzten Jahren
unterstützte. Als der Sadhu einmal in Lucknow krank wurde, eilte Soamiji aus
Agar herbei und half ihm, die Verbindung mit dem inneren Tonstrom, die er
vermutlich aufgrund alten Karmas verloren hatte, vor seinem Ableben
wiederzuerlangen.5) Des weiteren nannte Soamiji seinen Anhängern häufig
Beispiele aus dem Leben seines großen Vorgängers, um ihnen die Bedeutung von
Tugenden wie Geduld, Nachsicht, Vergebung und Gottesfurcht nahezubringen.6) Vor seinem Hinscheiden im Jahre 1843 hinterließ
Tulsi Sahib sein spirituelles Erbe Soamiji. Sechs Monate lang war Tulsi Sahib im Zustand des
Samadhi (spirituelle Ekstase) in das göttliche Bewußtsein vertieft. Erst
nachdem Soamiji ihn besucht hatte, verließ er seine sterbliche Hülle. Baba Garib Das, einer der ersten Schüler Tulsi
Sahibs, bestätigte, daß der spirituelle Mantel von seinem Meister an Munshi Ji
(wie Soamiji damals wegen seiner umfassenden Kenntnis des Persischen genannt
wurde) übergegangen sei.7) Soamiji verbrachte fünfzehn Jahre seines Lebens in
einem kleinen Raum in nahezu unaufhörlichem Abhyasa (spirituelle Übung). Auch
nachdem Tulsi Sahib nicht mehr war, besuchte Soamiji weiterhin Hathras, um das
Andenken seines Lehrers zu ehren. Bei einem solchen Besuch in Hathras war, wie
uns berichtet wird, die Hitze so groß, daß ihn seine Schüler Rai Saligram und
Baba Jiwan Lal das letzte Stück der Reise zwischen sich nehmen mußten, da kein
Transportmittel verfügbar und der Weg sehr uneben war.8) Die Hochachtung, die Soamiji dem Granth Sahib
entgegenbrachte, welcher die Lehren Guru Nanaks und seiner Nachfolger enthält,
scheint letztlich auf einer Familientradition beruht zu haben. Das Vorlesen aus den Sikh-Schriften war in der
Familie eine Glaubenssache. Sein Vater, Lala Dilwali Singh (ein Sahejdhari
khatri Sikh und Nanak Panti), liebte das Jap Ji, den Raho Ras und Sukhmani
(Sikh-Schriften) sehr, die er täglich mit großer religiöser Inbrunst und tiefer
Verehrung las. Eine Kopie des Sukhmani in persischer Schrift, aus der Hand von
Soamijis Großvater, Seth Maluk Chand, dem zeitweiligen Diwan des Staates
Dholpur, wird noch in den Archiven des Soamibagh aufbewahrt.9) So durchdrang der Geist von Sant Mat Soamijis ganzes
Sein. In späteren Jahren hat Soamiji zumindest bei einer Gelegenheit, als er in
seinem Haus im Punni Gali des Jap Ji erörterte deutlich anerkannt, was er dem
Punjab spirituell verdankte, und dabei auf Guru Nanak und seine Nachfolger als
Quelle der Spiritualität hingewiesen wie auch auf Paltu Sahib und Tulsi Sahib,
die späteren großen Vertreter der inneren Wissenschaft. Mit dieser Begebenheit
werden wir uns befassen, wenn wir im folgenden Kapitel das Leben Baba Jaimal
Singhs zurückverfolgen. Sein jüngerer Bruder, Rai Brindaban Singh, ein
Postmeister in Ajodhia, war ein getreuer Schüler von Baba Madhodas aus Mahant
Dera Rano Pali in Adjodhia. Wie sein älterer Bruder Shiv Dayal Singh glaubte er
fest an den Gurbani und schätzte ihn sehr. Er war beständig in liebevolles
Gedenken an den Herrn (Bishambar) vertieft und rühmte Ihn in schönen Versen,
wie man aus seinen Werken unter dem Titel Wah-e-Guru-Nama in seinem Urdu-Buch
Bahar-i-Brindaban ersehen kann.10)
O Brindaban, laß alles andere beiseite und übe den Japa des großen Namens Wah-e-Guru ! Dies wird dir nicht nur Körper, Gemüt und
Seele reinigen, sondern auch Erlösung, Frieden
und Glückseligkeit bringen. Wir erfahren außerdem, daß zu der Zeit, als Lala
Dilwali Singhs Ende nahte, sein Sohn Shiv Dayal Singh (Soamiji) bei ihm saß und
den Gurbani aufzusagen begann, um die Aufmerksamkeit seines Vaters in dieser
entscheidenden Stunde darauf gerichtet zu halten. Indem er sich auf Baba Bhola Singhs Radhasoami Mat
Darpan stützt, berichtet uns Giani Partap Singh in seiner Abhandlung über die
Weltreligionen 11), wie Soamiji im Laufe der Zeit ein häufiger Besucher des
Sikh-Heiligtums von Mai Than in Agra wurde, zum Gedenken an den Besuch des
neunten Gurus, Tegh Bahadur, wo Sant Mauj Parkash, ursprünglich als Didar Singh
des Nirmala-Ordens und als großer Sanskrit-Gelehrter bekannt, den Sinn des
Gurbani oder der Sikh-Schriften klar erläutert hat. Aufgrund seiner engen
Verbindung Mit Sant Mauj Parkash studierte Soamiji den Gurbani und seine
Bedeutung für den Surat Shabd Yoga und begann diese heilige Stätte für seine
Vorträge über den Gurbani zu nutzen. In
seinem Lebensbild hat Chacha Partap Singh einen solchen Vortrag mit
begeisterten Worten anschaulich beschrieben:
Es war ungefähr 8 Uhr morgens, als Maharaj eines Tages
zum Gurdawara in Mai Than ging. Nachdem er einen oder
zwei Verse aus dem Granth Sahib vorgetragen hatte, fing er
an, ihre Bedeutung zu klären. Mit einer vollen und sonoren
Stimme schienen die erhabenen Gedanken aus ihm herauszu-
fließen wie endlose Wogen einer unerschöpflichen inneren Quelle. Ich war so überwältigt durch
die Kraft seiner Worte,
daß ich mich plötzlich über den Körper und seine Umgebung
hinausgehoben fühlte, allem verloren, was von dieser Welt
war. Seit jenem Tag war ich ein ganz neuer Mensch und emp-
fand ein starkes Verlangen nach dem Göttlichen, völlig über-
zeugt von der Größe Soamijis und seiner heiligen Mission.12) Nach einiger Zeit verlegte Soamiji den Treffpunkt
für seine Lehrgespräche in seine Privatwohnung im Punni Gali und setzte seine
Vorträge aus dem Granth Sahib fort (die Kopie des von ihm benutzten Buches
brachte Hazoor Sawan Singh aus Agra mit, und sie wird weiter in den Archiven
der Dera Baba Jaimal Singh in Beas, Punjab, aufbewahrt). Diese Einrichtung,
private Versammlungen in seinem Heim abzuhalten, behielt er für lange Zeit bei,
doch am Basant-Panchmi-Tag im Jahre 1861 wurden die Schleusentore des Surat
Shabd Yoga, wie er in diesem Zeitalter von Kabir und seinem Zeitgenossen Guru
Nanak neu belebt und von seinem Nachfolgern im Gurbani fest verankert wurde,
für die Allgemeinheit aufgetan. Damit nicht irgendein Zweifel in skeptischen
Gemütern verblieb, machte Soamiji, der bis zuletzt die Initiation in das
Geheimnis der fünftönigen Melodie (Panch Shabd Dhun-kar Dhun) gegeben hat,
bedeutsamer Weise am letzten Tag vor seinem Weggang von der irdischen Ebene
seinen Standpunkt über jeden Zweifel erhaben deutlich, indem er erklärte:
Mein Pfad war der von Sat Naam und Anami Naam.
Der Radhasoami-Glaube stammt von Saligram,
doch laßt auch ihn gelten. Und laßt den Satsang
wachsen und gedeihen. Unter Soamijis vertrauten und ergebenen Schülern war
Rai Saligram Sahib Bahadur - in späterer Zeit allgemein als Hazur Maharaj
bekannt, nachdem er die spirituelle Leitung übernommen hatte. Während Hazur Ma |