Der Fackelträger

 

Nachdem Baba Jaimal Singh als Pensionär der Militärverwltung in den Ruhestand getreten war, beschloß er, das Heim seines einzigartigen Meisters zu besuchen. Soamiji hatte im Jahre 1878, wie er es vorausgesagt hatte, die Welt verlassen; aber Babaji fühlte sich seiner Familie und seinen Schülern sehr verbunden. So nahm er 1890 den Zug nach der alten Mogul-Hauptstadt und ging von dort geradewegs zum Punni Gali.Radhaji war voller Freude, Soamijis geliebten Schüler wiederzusehen.

Chacha Partap Singh, Soamijis jüngster Bruder, war ebenso erfreut und hieß ihn herzlich willkommen.

Auch Baba Gharib Das, der damals offensichtlich in Agra war, erhielt Nachricht und eilte herbei, um mit der großen Seele aus dem Punjab zusammenzusein. Wer vermag die große Freude zu beschreiben, als sie sich begrüßten, einander umarmten und des großen Meisters gedachten, der zwar nicht mehr auf der physischen Ebene, wohl aber geistig immer bei ihnen war? Als sich diese alten spirituellen Kameraden wiedersahen, strahlten sie Liebe aus, und diese Begegnung zu erleben war in sich eine Lektion aus der Wahrheit, daß Gott Liebe ist. Radhaji brachte einen roten Turban und einen Aasan oder Gebetsteppich, den ihr Soamiji vor seinem Weggang als letztes Geschenk an seinen Gurmukh-

Schüler zurückgelassen hatte. Chacha Partap Singh holte dann noch einen Gaddi (eine Art Polstersitz), in den sich Babaji setzen sollte. Er wollte aber nichts davon wissen und meinte: “Ich bin nur ein Hund dieses Hauses, gesegnet, in seinen Mauern verweilen zu dürfen” und blieb stehen. Da protestierte Chacha Partap Singh und bestand auf seiner Bitee, doch ohne Erfolg. Schließlich schritt Radhaji ein und beendete den Wortwechsel, indem sie erklärte: “Jaimal Singh ist wirklich ein würdiger Sohn Soamijis, der das meiste aus dem ihm anvertrauten Kapitel gemacht hat. Ihm wurde die Herrschaft über Sat Lok gegeben, warum sollte er sich da um irdische Gaddis kümmern? Nach dem Mahl bestand Babaji darauf, das Geschirr sauberzumachen. "Dieses Heim ist für mich ein Tempel, denn hier kam ich zur Erleuchtung. Mein einziger Ergeiz ist, diesem Haus zu dienen.” Aber Radhaji wollte das nicht.

“Du magst an jedem anderen Tag tun, was dir gefällt, aber heute mußt du dich dem fügen, was ich sage.”

Tags darauf ging Babaji in Begleitung von Chacha Partap Singh und Baba Gharib Das zu Rai Saligram, einem geliebten Schüler Soamijis, der nach ihm betraut wurde, das Werk in Agra fortzuführen, und weiter Vorträge im Pipal Mandi hielt, wo er allgemein als Hazur Maharaj bekannt war. Er freute sich sehr über diesen Besuch und empfing den hochgeschätzten Gast aus Ghuman voller Achtung und Zuneigung.Sie umarmten sich, wobei Hazur Maharaj Babaji zu dem Gaddi zog, auf welchem er gesessen hatte, um ihn neben sich zu haben. Aber mit der für ihn charakteristischen Be-

scheidenheit lehnte Baba Jaimal Singh diese Ehre ab und setzte sich auf den Boden.

Am dritten Tag überreichte Hazur Maharaj Babaji eine prächtige, mit Gold verbrämte Seidenrobe, doch er wollte sie nicht nehmen. “Wie könnte sich ein einfacher Landsmann wie ich in ein so kostbares Gewebe kleiden? Ein Khadi (handgewebtes Tuch) paßt viel besser zu mir.” – “Wie kannst du so etwas sagen”, wandte der Gastgeber ein, “wo Soamiji dich zum König der Spiritualität machte und dich mit seiner Mission im Punjab betraute?” Als er sah, daß Babaji nicht nachgab, machte er den Vorschlag: “Nun gut, wenn du das Gewand nicht annehmen willst, so erweise mir die Ehre, es wenigstens einmal anzuziehen, wonach ich es als kostbares Andenken behalten will.” Bei diesen Worten erklärte Chacha Partap Singh, daß er ein älteres Recht darauf habe und es darum ihm zugesprochen werden möge, nachdem es Baba Jaimal Singh abgelegt hatte. Zuletzt kam auch Radhaji herein und verwandte sich dafür. Wie konnte Jaimal Singh bei einer solchen Liebe und Ehrung noch länger Widerstand leisten? Welcher Sterbliche verdiente das? Es war alles die Gnade seines Meisters. Mit Tränen in den Augen nahm er das Gewand aus Radhajis Händen, legte es ehrfürchtig auf seinen Kopf und trug die Verse aus dem Granth Sahib vor, die beginnen:

 

                     Maen av-ghun, gun nahin koi ...

 

                          Ich bin unwürdig, und keine Tugend ist in mir ...

 

So verging eine Woche, und nachdem Jaimal Singh dem Ort seiner spirituellen Erleuchtung alle Liebe und Achtung erwiesen hatte, bereitete er sich auf den Abschied vor. Er lud Baba Gharib Das ein, mit ihm zu kommen, und dieser nahm die Einladung dankbar an. Dann machten sie sich auf die Reise nach dem Punjab. Als sie in Ghuman angekommen waren, wurden ihnen zu Ehre Ansprachen gehalten und Texte aus den heiligen Schriften gelesen. Zudem stand Jiwan Singhs Hochzeit bevor -–man feierte Feste und freute sich. Die Dorfbewohner nahmen regen Anteil an den Vorträgen der beiden spiri-

tuellen Freunde, und die Tage gingen dahin, bis Baba Gharib Das wieder zurück mußte.

Jaimal Singh begleitete ihn zur Bahnstation von Beas, und als der Zug abfuhr, sagte er ihm herzlich Lebewohl.

Babaji blieb weiterhin in freundschaftlicher Verbindung mit Soamijis Schülern und seiner Familie.

Es bestand eine große gegenseitige Achtung und Verehrung, und Babajis Besuch in Murree im Jahre 1894 kam durch die Einladung einiger Satsangis aus Agra zustande. Doch nach dem Tode von Hazur Maharaj Rai Saligramji begannen sich die Dinge zu ändern. Es wurden Maßnahmen getroffen, um alle Tätigkeiten unter die Kontrolle von Pandit Brahm Shankar Misra (alias Maharaj Sahib) zu bringen, indem ein zentraler Verwaltungsrat des Soamibagh ins Leben gerufen wurde. Babaji wurde zusammen mit neun anderen für den ersten Ratsausschuß nominiert. Der Brief, den Chacha Partap Singh bei dieser Gelegenheit am 4. August 1902 aus Allahabad an Baba Jaimal Singh sandte und der diese Ernennung bestätigt, liegt vor. 16) Babaji widerstrebte es jedoch, dem Rat beizutreten, da er spürte, daß die Veränderungen, die man damals unter den Satsangis von Agra feststellen konnte, nicht zu Soamijis Lehren paßten. Er war auch nicht mit Maharaj Sahibs Plan einverstanden, zum Gedenken an Soamiji einen prächtigen Samadh (Gedenkstein) zu errichten, sondern sprach sich dagegen aus, weil er glaubte, daß ein so demütiger Geist, wie sein Meister es war, ein derartiges Vorhaben niemals gebilligt hätte. Als er zu dieser Zeit nach Agra kam, erklärte er offen seine Ansichten, doch ließ sich Maharaj Sahib nicht davon abbringen. Er wurde dort nicht mehr so wohl aufgenommen wie ehedem, und seine Worte waren nutzlos. So kehrte er nach Beas zurück und entschloß sich, der Tätigkeit des Soamibagh-

Rates fernzubleiben.

Während seiner Militärzeit verbrachte Baba Jaimal Singh jedesmal einen Teil seines Urlaubs in Ghuman. Obgleich frei von weltlichen Bindungen, liebte er doch seine Mutter sehr.

Bei einer Gelegenheit erzählte er einem Schüler, daß er und seine Mutter sich in den vergangenen drei Lebensläufen derselben verwandtschaftlichen Beziehung erfreut hätten. Wenn er nun in seine Heimat kam, pflegte er seine Zeit nicht mit unnützem Geschwätz und Nichtstun zu vergeuden, sondern ging ans Ufer des Beas-Flusses und setze sich verborgen in einen der Gräben, die der eigenwillige Fluß durch den launischen Wechsel seines Laufs geschaffen hatte, und blieb tagelang in spiritueller Hingabe versunken, indem er nur von ein paar trockenen Chapatis (indische Brote) lebte, die er von zu Hause mitgebracht und an einen Kikarbaum gehängt hatte. Manchmal ging er auch, wenn er in Ghuman war, zu Dera Baba Namdev und setzte dort seine Meditationen fort. Oder er benutzte für den gleichen Zweck einen Unterstand im Hof des elterlichen Hauses. Diese Haus und der Unterstand wurden noch lange nach Babajis Tod erhalten. Sein Nachfolger Hazoor Baba Sawan Singh Ji nahm manchmal seine engsten Schüler mit nach Ghuman und zeigte ihnen die Stelle, wo sein großer Meister zur Meditation zu sitzen pflegte. Insbesondere wies er auf den Pflock an der Wand des Unterstandes hin, an dem Babaji sein Haar festgebunden hatte, um den Schlaf abzuwehren.

Genau wie seine Kameraden Baba Jaimal Singh mit der Zeit zu achten und verehren lernten, haben nach und nach auch die Bewohner von Ghuman seine spirituelle Größe erkannt. Seine Hingabe in früher Kindheit war dort schon zur Legende geworden, und wann immer der Sant Sepahi kam, eilten die Leute aus der Umgebung herbei, um ihn zu grüßen. Jung und alt – jeder, der für spirituelle Dinge aufgeschlossen war, suchte ihn auf. Seine Jugendfreunde Mistri Elahi Baksh und Bhai Lena baten als erste um spirituelle Führung. Er lobte ihren Eifer, sagte aber, daß die Zeit für ihre Einweisung noch nicht da sei. Viele Jahre später, als er die rechte Stunde für gekommen hielt, stellte er sie auf den inneren Pfad; sie gehörten zu seinen ersten Schülern in Ghuman.

 

Nachdem sich Babaji von seinen dienstlichen Pflichten zurückgezogen hatte und wieder in sein Heimatdorf kam, ging er nach alter Gewohnheit zum Ufer des Beas, um sich den spirituellen Übungen zu widmen. Die Jahre unmittelbar nach seiner Militärzeit brachte er größtenteils auf diese Weise zu.

Als er einmal mit Hakim Nand Lal in Amritsar war, erwähnte er, daß er einen ruhigen Ort in der Einsamkeit suche, wo er sich niederlassen und weiter seinen Meditationen nachgehen könne. Lala Khazana Mal, ein Geldverleiher, der auch dabei war, meinte, daß man einen solchen Ort am Beas-Ufer zwischen Vairach und Balsarai finden würde, wo er sein Geschäft betreibe. Babaji, der sich von dieser Gegend ohnehin angezogen fühlte, nahm diesen Vorschlag an. Es war der Ort, wo Kahan, eine gottberauschte Seele, Babaji in früheren Jahren begegnet war und gesagt hatte, daß er ihm hier für später eine Stätte bereite. In der Zwischenzeit war Baba Chanda Singh, der die Unterweisungen ebenfalls zu den Füßen Soamijis erhalten hatte, verstorben. In seinem letzten Augenblick fragte ihn

Bibi Rukko, eine sehr ergebene Schülerin, was nun aus ihr werden solle. “Fürchte nichts, mein Kind”, erwiderte der Weise, “ein anderer, größer als ich, wird für dich Sorge tragen.” – “Wo werde ich ihn finden?” fragte sie. “Ihn finden? Nein, das brauchst du nicht, denn er selbst wird dich ausfindig machen.” Kurz bevor sich Babaji am Beas-Ufer niederließ, erzählte Bibi Rukko, die damals in Vairach lebte und spirituell gut vorangekommen war, den Dorfbewohnern, daß ihr Beschützer in diese Gegend kommen und dort leben werde. Bei seiner Ankunft fand Baba Jaimal Singh eine kleine Hütte von etwa zwei mal zwei Metern vor, die aus Stroh und Zweigen für ihn gebaut worden war und in der er von nun an wohnte. Bald danach erreichte auch Khazana Mal den Ort. Als er hörte, daß Babaji gekommen sei, ging er zu ihm. Er ließ die Hütte mit Lehm verputzen und eine Mulde ausheben. Man schrieb nun das Jahr 1891, und Baba Ji gab sich mit doppeltem Eifer seinen spirituellen Übungen hin. Er ging in diese Höhlung und blieb dort tagelang, manchmal sogar zwei Wochen ununterbrochen im inneren Samadhi vertieft, ohne einen Gedanken an Nahrung.

Babaji vermied zwar, öffentlich Aufsehen zu erregen, aber Moschus kann auch im Dunkeln nicht verborgen bleiben. Er kümmerte sich nicht um weltlichen Namen und Ruhm, und dennoch fiel ihm beides zu. Der Ruf seiner spirituellen Größe war bereits von Ghuman in die benachbarten Dörfer gedrungen, und daß man zu einem Heiligen geht, um seinen Darshan zu haben, ist in diesem Land der Weisen eine alte Gepflogenheit. Wo erst Einöde war, erschienen die Menschen in immer größerer Zahl, und bald wurden regelmäßig Satsangs abgehalten. Wie konnte Babaji jene wegschicken, die zu ihm gekommen waren? In aller Einfachheit und Demut lehrte er sie die spirituelle Botschaft, die er zu den Füßen Soamijis erhalten hatte. Viele begüterte Menschen baten um die Erlaubnis, für ihn ein festes Haus zu bauen; aber reich in seiner Anspruchlosigkeit, setzte er die einfache, strenge Lebensweise fort.

Die Biographie eines Heiligen zu schreiben bedeutet, etwas beinahe Unmögliches zu versuchen.

Wenn sie ihrem Gegenstand wirklich gerecht werden soll, muß sie den inneren Bewegungen folgen, die sich der Beobachtung, Analyse und Beschreibung entziehen. Man mag das Leben eines großen Künstlers, Schriftstellers, Soldaten oder Staatsmannes untersuchen, und wenn einer mit tiefem Ver-

ständnis und Vorstellungskraft begabt ist, kann er es in Worten wiederaufleben lassen und ein an-

schauliches Bild der seelischen Kämpfe und Entscheidungen geben. Aber die Heiligen haben sich mit einem Mal von dieser in die andere Welt erhoben und ihre Zelte in unzulänglichen Bereichen aufgeschlagen. Nur wenige Menschen sind dort hingelangt, und die, welche Zugang hatten, hüllten sich in Schweigen.

 

                              Als die Feder ansetzte, diesen Ort zu beschreiben,

                              brach sie in Stücke, und das Papier zerriß.

 

 

Den Fortschritt der mystischen Seele zu studieren ist gewöhnlichen Sterblichen nicht möglich, und wer die innere Reise kennt, kann nur in Bildern und Gleichnissen sprechen; denn wie anders sollte man in der menschlichen Sprache Erfahrungen ausdrücken, für die sie niemals gedacht war?

Darum muß die Geschichte einer von rastlosem Eifer entflammten Meisterseele, die sich von Ebene zu Ebene begibt, ungeschrieben bleiben. Sie vermittelt bestenfalls nur die Schale äußerer Geschehnisse und Begebenheiten, wodurch die ungewöhnliche Natur der spirituellen Erfahrungen, die sie um-

schließt, angedeutet wird. Wenn eine solche Seele zu voller Erleuchtung gekommen war und mit dem Unendlichen eins wurde, geht es nicht länger um ihren eigenen Werdegang, sondern um den all jener, die in ihren Bannkreis kamen und von der Knechtschaft der Welt befreit wurden.

Nachdem Babajis große Suche von Erfolg gekrönt war, ist seine Lebensgeschichte nicht mehr so sehr die Aufzeichnung seiner eigenen Entwicklung, sondern der vieler Seelen, die durch ihn Vorteil hatten.

So erzählte Mian Chirag Din die Geschichte seines Großvaters mütterlicherseits, Mistri Elahi Baksh, von dem wir schon gesprochen haben.

Elahi, ein Jugendfreund Babajis, zeigte großes Interesse für spirituelle Dinge und erörterte sie mit ihm, wenn er Urlaub hatte und von seinem Regiment nach Hause kam. Als sich Babaji, in seinem Heimatort als “Bhai” bekannt, wieder einmal in Ghuman aufhielt, sah ihn Elahi in Begleitung eines Sadhu des Weges kommen. Sie führten eine lebhafte Unterhaltung. Elahi wollte gern das Thema wissen und erfuhr, daß der Sadhu darauf beharrte, Brahmand sei der höchste aller himmlischen Bereiche, obwohl ihm Babaji versicherte, daß es noch höhere Regionen gebe. Kaum hatte Elahi das gehört, wandte er sich dem Sadhu zu und sagte mit feierlicher Überzeugung: “Ehrwürdiger, Babaji hat vollkommen recht, es gibt wirklich Regionen, die höher sind, als Ihr sie kennt.”

Dies brachte den Sadhu zum Schweigen, und er ging weg.

Als nun die beiden allein waren, dankte Babaji Elahi für sein freundliches Eingreifen und fügte hinzu:

“Doch es ist seltsam, daß du mir nie etwas über deinen Zugang zu den inneren spirituellen Reichen gesagt hast.”

“Wer sagt denn, daß ich Zugang zu ihnen habe?”

 

“Aber wie konntest du dann mit einer solchen Überzeugung sprechen?”

 

“O Bhai, ich weiß nur, daß ein Mensch der Verwirklichung niemals etwas Falsches sagen kann.

Wie könnte ich somit an dem zweifeln, was ihr sagt?”

Babaji war über den spontanen, tief wurzelnden Glauben seines Freundes so gerührt, daß er zu ihm sagte: “Ich werde dir Schätze erschließen, die wenige je erträumen und weniger erlangen werden.”

Er nahm ihn geradewegs ans Ufer eines nahe gelegen Teiches mit und gab ihm dort die Initation in den Surat Shabd Yoga. Aber Elahi mußte den Wert der erhaltenen Gabe erst noch kennenlernen.

Sehr interessiert an spirituellen Dingen, setze er die Praktiken fort, die er einmal von einem Moslem-Heiligen gelernt hatte, und versäumte, den Anweisungen seines Freundes nachzukommen.

Als nun Babaji wieder einmal nach Ghuman kam, schickte er nach Elahi und erkundigte sich, was er mit dem inneren Schlüssel, der ihm gegeben worden war, gemacht habe, und da ihm Elahi erzählte, daß er nichts getan und sogar vergessen habe, was ihm gesagt wurde, war Babaji ungehalten: "Ich gebe dir den größten Reichtum, den je ein Mensch erhoffen kann, und du zollst ihm eine solch un-

genügende Beachtung?” Er schalt ihn aus und schlug ihm dreimal ins Gesicht.

Sobald seine Hand Elahis reumütiges Gesicht getroffen hatte, öffnete sich sein inneres Auge, und sein Geist erhob sich in höhere Welten. Von diesem Tag an gab sich Elahi Baksh ausschließlich dem Surat Shabd Yoga hin, besuchte täglich seinen Pir oder Meister und verneigte sich ehrfurchtsvoll vor ihm.

Wenn ein großer Meister eine wandernde Seele unter seine Fittiche nimmt, ist seine Gnade nicht nur auf seinen unmittelbaren Schüler begrenzt, sondern strahlt auch auf die nächsten Verwandten aus und jene, die ihm nahestehen. Die Familie von Elahi Baksh kam unter einen solch mächtigen spirituellen Einfluß, daß trotz Spott und Verachtung seitens ihrer Moslem-Verwandten und Glaubensbrüder viele ihrer Angehörigen Unterweisung zu Babajis Füßen suchten.

 

Elahis Schwiegersohn, Hussain Baksh, war unter den ersten, die den Pfad aufnahmen. Er war Babaji sehr ergeben und bezeigte ihm große Liebe und Verehrung. Sein Meister war mit ihm zufrieden und behandelte ihn und seine Söhne Ghulam Qadir und Chirag Din voller Zuneigung. Mian Chirag Din erzählt in seinem handgeschriebenen Bericht, wie der große Lehrer in ihrer Kinderzeit mit ihnen gespielt und sie immer zu sich gelassen habe. Als er einmal wieder nach Ghuman gekommen war und gerade ruhte, spürten die Knaben ihn auch dort auf. Bibi Daya nahm sie an der Tür in Empfang und war ein wenig ungehalten darüber, daß sie zu ihrem Sohn wollten. “Ach, wenn ihr einmal erwachsen seid und selbst Kinder habt, macht nicht den Fehler und laßt sie ausbilden”, erklärte sie.

“Ich bin eine Mutter und weiß nur zu gut aus eigener Erfahrung, wie schwer es ist, damit fertig zu werden, wenn der Sohn ein Gott wird.” In diesem Augenblick rief Babaji die Knaben zu sich, und sie gingen hinein. Er klopfte ihnen liebevoll auf die Schulter und sagte: “Ihr seid immer willkommen.

Denkt euch nichts dabei, was Mutter sagt.”

Ein wahrer Meister ist immer mit seinem Schüler und beschützt ihn nicht nur während des Lebens, sondern auch im Tode:

 

                        O Nanak, mache dich frei von deinen weltlichen

                        Gefährten, und suche die Freundschaft eines

                        wahren Heiligen.

                        Jene werden dich schon im Leben verlassen,

                        doch er wird selbst nach dem Tode bei dir sein.

                                                                                                              Nanak

 

 

                        Halte dich, o Seele, an einen, der alle

                        inneren Bereiche kennt, denn er wird dir im

                        Leben wie auch im Tode ein Freund sein.

                                                                                                Maulana Rumi

 

 

Die letzten Augenblicke eines Schülers von Babaji mitzuerleben, hieß, sich von seiner wahren Größe

zu überzeugen. Unzählige Geschichten werden über die seltsamen Begebenheiten erzählt, die das Ende jener kennzeichneten, die von dem Beas-Heiligen initiiert waren. Als hervorstechendes Beispiel sei der Augenzeugenbericht angeführt, den Chirag Din vom Tod seines Vaters hinterlassen hat.

Wir übersetzen einen Auszug aus diesem in Urdu geschriebenen Manuskript, in er die Beziehungen seiner Familie zu Babaji schildert und einige Anekdoten wiedergibt, die er von dem großen Meister über seine frühere Jugend gehört hatte.

“Einmal war Babaji, nachdem er seine Pension geholt hatte, nach Ghuman gegangen. Unser Vater war gerade gestorben. So machten wir uns auf den Weg, um dem Erhabenen die traurige Nachricht zu bringen. Er tröstete uns und begab sich sogleich dahin, wo der Leichnam lag. Als er angelangt war, sagte er: <O Hussain Baksh, warum hattest du solche Eile? Ich wäre gekommen, und du hättest meinen Darshan haben können.> Bei diesen Worten öffnete unser toter Vater die Augen und setzte sich auf. Unsere Mutter erschrak und fragte, was das zu bedeuten habe. <Nichts>, sagte er, <der Meister ist gekommen, und ich gehe.> Dann legte er sich hin und verschied.”

Eine andere bemerkenswerte Geschichte erzählt, wie Attar Singh, ein Bewohner des Dorfes Dhaliwal, das Babaji besuchte, ihn über einen nahe gelegenen Fluß und wieder zurück brachte, als dieser nach starken Regenfällen Hochwasser führte. Der Weise war über den selbstlosen Dienst des Bauern so erfreut, daß er zu ihm sagte: “O Attar, du hast mich über diesen kleinen Fluß gebracht. Dafür werde ich dich über das Meer des Lebens bringen.” Er initiierte ihn in die heilige Wissenschaft, und von dem Tag an war dieser ein anderer Mensch. Zwar ging er wie sonst mit seinem Vieh auf die Weide, aber sobald er dort war, ließ er es frei umherlaufen und wandte sich selbst seinen spirituellen Übungen zu.

Er benutzte auch keinen Stock mehr, um die Herde zusammenzuhalten, sondern kam mit einem Stück Stoff aus und wurde bald bekannt für seine ungewöhnlich gütige Art, das Vieh zu behandeln.

 

Eines Tages kehrte er ziemlich früh heim. Als er in sein Haus trat, sagte er zu seiner Schwieger-

tochter, die dort war: “Kind, besorge alles rasch, denn bald wird ein Sturm aufkommen.”

Er nahm ein Bad, dann richtete er auf dem Fußboden ein Bett und rief alle, die im Haus waren, zu sich, um von ihnen Abschied zu nehmen, indem er erklärte: “Meine Zeit ist abgelaufen, ich muß gleich gehen.” Die Anwesenden waren alle bestürzt über diese seltsamen Worte. Wie konnte er vom Sterben sprechen, da er doch offensichtlich bei guter Gesundheit war. Schließlich bat seine

Schwiegertochter, die sich zuerst gefaßt hatte, um die Erlaubnis, nach seinem Sohn zu schicken.

“Das ist nicht nötig”, antwortete er. “Mein Meister ist gekommen, und ich kann ihn nicht warten lassen.” Nachdem er das gesagt hatte, legte er sich nieder, schloß die Augen, und sein Geist ging in seine himmlische Heimat.

Babaji war nicht nur selbst sehr zurückhaltend damit, seine spirituellen Schätze zu offenbaren, sondern schärfte auch seinen Schülern mit Strenge ein, dieselbe Zurückhaltung zu beachten. Wenn sie sein Gebot übertreten hatten, entgingen sie nie der Strafe. So erzählt Chirag Din die Geschichte eines blinden Hafiz (Gelehrter) aus Dhariwal. Er wohnte einmal einem Vortrag Babajis in Kapurthale bei, und als dieser zu Ende war und sie miteinander sprachen, bemerkte er: “Die Weisen haben gesagt, daß der welcher die Heilige Schrift dreimal gelesen hat, in den Himmel kommt.”

“Der Himmel ist sehr weit weg, mein Lieber”, entgegnete Babaji. “Nur wer darin gewesen ist, kann darüber etwas sagen.”

Die Gewißheit in der Äußerung des Weisen bewog den Hafiz, um die Instruktionen nachzusuchen.

Sein Wunsch wurde erfüllt, und er übte eifrig die ihm erteilte Lektion, bis sie Frucht trug.

Sodann ging er zu seinem ehemaligen Lehrer Mian Sahib in Batala und hielt ihm vor, daß alles, was er ihn gelehrt habe, Täuschung und Lüge sei. Er besuchte häufig die Moschee, konnte aber den frommen Schein, der dort zur Schau gestellt wurde, nicht mit ansehen; er zerbrach darum heimlich die irdenen Töpfe und verbrannte die Gebetsteppiche. Doch bald entdeckten seine Gefährten den Elenden und beklagten sich bei seinem Guru.

Man rief den blinden Mann, und Babaji tadelte ihn.

“Herr”, erwiderte der Schüler, “ich kann die Heuchelei nicht ertragen, und außerdem bin ich im Recht.” Sein Meister sagte ihm jedoch, daß er in Zukunft lernen müsse, sich zu mäßigen und zu beherrschen. Aber der Rat blieb unbeachtet, und bald gab der Hafiz wieder seiner wunderlichen Laune nach. So wurde der Weise von einer Gruppe Moslems aufgesucht, die bitterlich protestierten und darüber klagten, daß er seinen Schüler gelehrt habe, heidnisch zu werden. Darauf fragte Babaji: “Beharrt der Mann immer noch in seiner Torheit? Nun, wenn er nicht aufhört, euch zu stören, seid nicht böse, ihr werdet bald von ihm erlöst sein.” Tatsächlich starb der Hafiz ein paar Tage später.

Ähnliche Erzählungen hört man über andere fortgeschrittene Schüler. Ein Sadhu, der nach Beas kam, machte rasche Fortschritte, und seine Seele erhob sich beliebig bis Daswan Dwar. Er konnte es aber nicht lassen, zu jedem, der ihm in den Weg kam, von der inneren Herrlichkeit zu sprechen.

Babaji war darüber bestürzt und sagte ihm, daß er lernen müsse, seine Zunge im Zaum zu halten.

Doch der selbstsichere Sadhu fuhr leichtfertig damit fort. So wurde der innere Vorhang herunter-

gelassen, und für volle sechzehn Jahre war ihm der Zugang nach innen verwehrt, bis ihn in seinen letzten Tagen Babajis weithin bekannter Nachfolger Baba Sawan Singh wieder damit segnete.

Baba Nizam-du-din sollte in gleicher Situation einen ähnlichen Rückschlag erfahren. In dem sehr schön geschriebenen Urdu-Bericht seines Sohnes ist zu lesen, wie sein Vater, der nach den Aufzeichnungen von Beas der sechzehnte Initiierte Babajis war, innerlich sehr rasch fortschritt.

In wenigen Monaten verfügte er bereits über große Kräfte und hatte eine bemerkenswerte Hellsich-

tigkeit entwickelt. Anstatt aber seine Gaben in sich zu verschließen, wie ihn sein Lehrer geheißen hatte, begann er seine spirituellen Güter zur Schau zu stellen, und erzählte freimütig allen Leuten zukünftige Ereignisse oder Dinge, die sich gerade in entfernten Städten zutrugen. Als Babaji davon erfuhr, wandte er sich an Bibi Rukko und sagte: “Dieser Mann ist wirklich sehr rasch vorwärtsgekommen, konnte aber das, was er bekam, nicht verkraften.” 

 

Von dem Tag an war vor das innere Auge Nizam-du-dins der Vorhang gezogen, weil er nicht hatte schweigen können. Sein Kummer war groß, aber im Vertrauen auf die Gnade seines Meisters widmete er sich den spirituellen Übungen mit doppelter Kraft. Auch seine Frau wurde initiiert, und im Laufe der Zeit wurden ihnen große Segnungen zuteil. Allen, die mit ihnen zusammenkamen, war ersichtlich, daß sie keine gewöhnlichen Sterblichen waren. Doch nie wieder hat Nizam-du-din mit seinen spiri-

tuellen Kräften geprahlt.

Das ganze Leben Nizam-du-dins und seiner Familie, wie es von seinem Sohn beschrieben wurde, ist eine lange Geschichte über die Segnungen, die man durch einen wahren Meister erlangt. Aber die Welt ist einem lebenden Heiligen nicht wohlgesonnen und auch denen nicht, die von Liebe zu ihm erfüllt sind. Nizam-du-dins Ergebenheit für seinen Sikh-Meister brachte ihm bald die Feindseligkeit seiner Verwandten und Moslem-Brüder ein.”Er ist ein Ungläubiger geworden”, sagten sie und ver-

säumten keine Gelegenheit, ihn zu beschimpfen und zu verfolgen. Er selbst ließ sich dadurch nicht beirren, und wenn immer von "Moslems" ”der “Nicht-Moslems” die Rede war, sprach er die persischen Verse:

 

                          Ishk ra ba kafir-o-moman, na bashad imtyaj

                          Ein Sukhan bar mamber-o-mehrab mae bayad nivisht.

 

                          Liebe kennt keinen Unterschied zwischen

                          dem Gläubigen und dem Ungläubigen.

                          Mögen diese Worte auf jeder Kanzel

                          und an jedem Gewölbebogen zu lesen sein.

 

                           Mard-e-hujji Mard-e-hajji ra talab

                           Khah Hindu, Khah Turk-o-Khah Arab.

 

                           Willst du auf innere Pilgerreise gehen,

                           suche einen inneren Führer,

                           sei er ein Hindu, ein Türke oder

                           ein Araber.

 

 

Aber trotz all seiner Geduld wurden die Dinge immer schlimmer, und als sie nicht mehr zu ertragen waren, riet Babaji seinem geliebten Schüler, sein Heim nach Multan zu verlegen. So verbrachte er dort das Ende seines langen Lebens. Er kam häufig nach Beas, um seinen Meister zu sehen. Nachdem dieser im Jahre 1903 gegangen war, besuchte er Baba Sawan Singh, seinen spirituellen Nachfolger, bei dem er in großem Ansehen stand. Doch wir wollen nicht im einzelenen bei den vielen Segnungen verweilen, die ihm, seinen Söhnen, Enkeln und Urenkeln gewährt wurden. Der Hinweis mag genügen, daß die ganze Familie Babaji sehr verehrt hat. Wie von ihm nahegelegt, behielten sie alle Traditionen ihres Glaubens bei, während sie sich den Übungen widmeten, die er sie gelehrt hatte. Als die letzte Stunde seiner Frau näher rückte, nannte sie den genauen Tag ihres bevorstehenden Endes vier Wochen vorher. Zu dieser Zeit befand sie sich bei guter Gesundheit. Als der Tag gekommen war, nahm sie von ihrem Gatten rührenden Abschied: “ Ich habe dir sechzig Jahre nach meinem besten Vermögen gedient. Jetzt erlaube mir bitte zu gehen. Mein Meister und Maharaj Sawan Singh warten auf mich.”

Nizam-du-din bat sie, seinen Arm zu nehmen, und richtete seine Aufmerksamkeit nach innen.

Die ganze Familie blickte auf die beiden alten Leute, die in Meditation vertieft waren. Zwanzig Minuten später öffnete der Ehemann die Augen. “Nun magst du gehen”, sagte er, und seine Frau ging voller Frieden. Als sie am nächsten Morgen zur Begräbnisstätte gebracht werden sollte, weigerten sich einige der Verwandten, die Bahre mit anzuheben, weil die Frau eine Ungläubige gewesen sei. Aber die Nachbarn kannten sie als gütig und großmütig, wahrhaft ein Kind Gottes, und halfen den Sarg zur Begräbnisstätte zu bringen.

 

Baba Nizam-du-din folgte ihr nicht lange danach. Auch ihm war das Ende vorher bekannt; als seine Bahre weggetragen werden sollte, war das Herz seiner Brüder weich geworden, und sie begleiteten den Sarg. Auch viele Sadhus und gottesfürchtige Moslems waren zugegen, und als seine sterbliche Hülle hinabgelassen wurde, sangen sie die Verse:

 

               Hum nashini saat-e ba aulia

               Behter az sad-sala taat be-ria.

 

               Ein Augenblick der Verbindung mit einem

               Heiligen ist mehr wert als Millionen Bußübungen.

 

 

Trotz der Teilung des Landes, die die Unabhängigkeit mit sich brachte, und des kommunalen Hasses, der als Folge davon entfesselt wurde, haben die Nachkommen Baba Nizam-du-dins bis auf den heutigen Tag ihren Glauben bewahrt, und sie besuchen oft den Sawan Ashram in Delhi, um die Verbindung mit dem Pfad der Meister oder Sultan-ul-Azkar, wie ihn ihr erleuchteter Vorfahre in der Terminologie der Sufi-Heiligen nannte, lebendig zu halten.

Babajis Gnade floß allen zu! Nicht nur seine Schüler hatten Vorteil durch ihn, sondern auch viele andere, die manchmal nur durch ihre Einfachheit, Reinheit und ihr selbstloses Dienen seinen Blick auf sich lenkten. Er hatte in seiner Kindheit und Jugend viele Schriften gelesen, aber er sprach nicht von diesem Wissen, sondern aus der direkten inneren Erfahrung. Es lag eine unerklärliche Süße und etwas Bezauberndes in dem, was er sagte, dazu eine unwiderstehliche Überzeugungskraft und Gewißheit.

Einmal kamen vier große Pandits, die sich mit verschiedenen Yoga-Praktiken befaßt hatten und über die Art der inneren Ebenen zu streiten und debattieren begannen. Sie stützten sich auf ihr spirituelles Studium und führten darum eine wirklich lebhafte Auseinandersetzung.Da sie von dem Soldaten-

Heiligen und seiner großen Verwirklichung erfuhren, suchten sie Babaji auf. Er hörte sie an und erklärte ihnen dann einleuchtend die Beschaffenheit der spirituellen Regionen, brachte die scheinbar widersprüchlichen Gesichtspunkte miteinander in Einklang und zerstreute zu ihrer Zufriedenheit alle Zweifel. Die Pandits gingen wieder, doch einer von ihnen, ein wahrer Sucher, der sich zu dem Heiligen unwiderstehlich hinzugezogen fühlte, kehrte zurück und bat um die Initiation. Sie wurde ihm gewährt, und er befolgte seine Übungen regelmäßig, jedoch mit geringem Nutzen.

“O Herr, segnet mich mit einer inneren Schau”, bat er.

“Glaubst du, daß ich dir nicht wohl will?” kam die Antwort.

“Wollte der Herr, daß du heute noch Sat Lok erreichst, aber du bist noch nicht reif dafür und wärest nicht imstande, die Anspannung zu ertragen.”

Die Bitte wurde oft wiederholt, aber Babaji gab immer dieselbe Antwort. Als er eines Tages alleine wegging, um seine Pension zu holen, begegnete ihm der Pandit an einer einsamen Stelle.

“Herr, hier ist eine öde Gegend, und niemand sieht uns. Segnet mich jetzt, oder laßt mich zumindest einen Schimmer der inneren Bereiche haben – nicht mehr – damit ich sicher sein kann.”

“Du wirst es nicht aushalten, und die Anspannung ist zu groß für dich.”

“Was bedeutet es, selbst mein Leben zu verlieren, wenn ich nur sehen kann, was innen ist!”

Babaji konnte es ihm nicht länger abschlagen. Er forderte den Pandit auf, sich zur Meditation zu setzen, und richtete seinen Blick auf ihn. Die Seele des Pandits wurde gewaltsam in den höheren Bereich gezogen. Als Babaji sie durch seinen Willen wieder zum physischen Bewußtsein zurückbrachte, fiel ihm der Pandit schluchzend zu Füßen. “Ich glaubte, mein Leben würde aus mir herausgerissen, und eine Million Blitze träfen meinen Kopf. O Herr, vergebt mir meine Torheit. Wir Sterblichen sind in der Tat unwürdig.”

“Was habe ich zu vergeben?” erwiderte der Weise. “Du mußt dir selbst vergeben; nicht ich habe gelitten. Nun geh und mache das Beste aus deiner Zeit, denn du hast nur noch drei Jahre zu leben."

 

 

 

Von dem Tag an war der Pandit mit ganzer Aufmerksamkeit bei seinen Meditationen, und starb, wie vorhergesagt, drei Jahre später.

Es gibt eine Fülle solcher Erzählungen, und ganze Bände würden nicht ausreichen, die Erhabenheit und Gnade eines wahren Heiligen zu preisen. So wollen wir uns abschließend mit der wichtigsten

Begebenheit aus den Annalen von Babajis heiligem Amt befassen: der Initiation von Sawan Singh Ji, der später seine Mission weiterzuführen hatte. Die Geschichte wird von dem großen Schüler selbst erzählt, und wir führen Stellen aus seinen Briefen an, die in den Spiritual Gems (Beas, 1959) veröffentlicht wurden.

“Ich hatte von Kind auf eine Liebe für Satsang und Parmath (Spiritualität). Oft war ich mit Sadhus und religiösen Menschen zusammen, zum Teil deshalb, weil mein Vater den Sadhus gerne diente. Während meiner Militärzeit studierte ich den Vedanta und sprach mit den anderen Leuten darüber, besonders mit Sadhus, die sich auf ihrem Weg nach Kaschmir in einem Dharamsala (Rasthaus) auf-

hielten, in dessen Nähe ich wohnte.

Später wurde ich nach Murree Hills versetzt. Als ich eines Tages meine Arbeit überprüfte, bemerkte ich einen alten Sahib, der mit einer Frau mittleren Alters einen Berghang hinaufging. Ich nahm an, daß er in einer Sache des Kommissariats gekommen war. Kaum hätte ich gedacht, daß er mein Meister sein würde. Es war aber kein anderer als Babaji, und die Frau war Bibi Rukko. Das wußte ich zu der Zeit noch nicht. Erst später erfuhr ich, daß Babaji, indem er sich auf mich bezog, zu Bibi Rukko sagte:

“Es ist um seinetwillen, daß wir hierher gekommen sind”. Worauf Bibi Rukko entgegnete: “ Aber er hat Euch nicht einmal gegrüßt.” Babaji erwiderte: “Was weiß der arme Bursche davon? In vier Tagen wird er zu uns kommen.”

Am vierten Tag ging ich hin, um den Satsang zu besuchen. Babaji war gerade dabei, die Bedeutung des Jap Ji Sahib zu erklären. Da begann ich mit einem Schwall von Fragen, die so zahlreich waren, daß die Zuhörerschaft allmählich ermüdete und darüber unruhig wurde. Das heilige Buch Sar Bachan lag da, und ich erhob Einspruch gegen den Namen <Radhasoami>. So erklärte mir Babaji aus dem Buch selbst, was <Radhasoami> bedeutete:

 

                               Radha ad surat ka nam

                               Soami ad Shabd nij dham.

 

                             

                               Radha ist der Name des ersten oder

                               uranfänglichen Strahles von Surat

                               (Bewußtsein) .

                               Soami ist die Urquelle des Shabd-Stromes.

 

 

Nun wollte er den Weg darlegen, aber ich hatte den Vedanta gelesen. Als ich den Gurbani las, war meine Meinung eine andere. Nachdem ich mich mit der Gita beschäftigt hatte, änderte sie sich erneut.

Ich war einfach nicht in der Lage, zu einem Schluß zu kommen. Schließlich bat ich um acht Tage Urlaub, damit ich die Lehren Babajis studieren konnte. Er riet mir, Kabir Sahibs Anurag Sagar zu lesen. Sofort bestellte ich aus Bombay acht Exemplare dieses Buches, um es auch einigen meiner Freunde, Baba Hari Ram, Gulab Singh und anderen, zum Lesen zu geben und mit ihnen darüber zu sprechen.

Nach mehreren Unterhaltungen mit Babaji war ich völlig überzeugt und erhielt von ihm am 15.Oktober 1894 die Initiation.”

Das folgende ist eine ergreifende Geschichte von Ergebenheit und Gehorsam auf der einen und unaussprechlicher Liebe und Gnade auf der anderen Seite. Der Briefwechsel zwischen dem Meister und seinem Schüler gibt etwas von der esoterischen Schönheit dieses Berichtes wieder. Babajis Briefe wurden in dem schon erwähnten Band der Spiritual Gems abgedruckt.

 

Wir erfahren darin von der schrittweisen Führung, die der Guru dem Schüler gewährt, der sich vollkommen seinem Willen unterworfen hat, und auf welch ungewöhnliche und wunderbare Weise ihm seine schützende Hand in allen Dingen hilft. Besonders zwei Begebenheiten hat Baba Sawan Singh seinen Zuhörern sehr gerne erzählt, um die Größe Babajis zu veranschaulichen und den Segen, der einem zuteil wird, wenn man einen Pooran Guru oder wahren Meister hat. Wir führen wieder aus seinen Briefen an: “Es war meine Gewohnheit, die Mähne meines Pferdes festzuhalten und aufzuspringen, wenn es herbeikam. Doch als ich einmal nicht da war, hatte mein Diener die Mähne des Tieres abgeschnitten, ohne daß ich davon wußte. Ich bemerkte es nicht, und wie ich nach ihr griff, fand ich keinen Halt, fiel und brach mir das Bein. Der Bruch war zweifellos schmerzhaft, aber noch viel schmerzhafter der Umstand, daß ich weder Darm noch Blase entleeren konnte. Die Ärzte glaubten sogar, daß es schwierig für mich sei, mit dem Leben davonzukommen.

Ein mohammedanischer Aufseher, der zu meinem Bezirk gehörte, erfuhr von dem Unfall, kam zu mir und sagte <Ich bin der Eure, eine Art Familienmitglied. Bitte sagt mir, wie ich Euch helfen kann.>

Ich erwiderte: <Meine Kinder sind in einem Internat, etwa acht Meilen von hier. Ich möchte nicht, daß sie etwas davon erfahren. Ich würde sie aber bitten, ein Telegramm an Maharaj Ji (Babaji) zu senden.>

Er tat es. Als es Babaji erhielt, sagte er: <Nun, wenn ihn der Meister wegnehmen will, so mag er es tun, hat er doch wenigstens Naam bekommen.> Aber meine Glaubensschwester Bibi Rukko setzte sich bei Babaji für mich ein.

Babaji pflegte in Meditation zu sitzen oder in Meditation zu gehen, wenn etwas Besonderes zu erwarten war, und danach zu sagen, welche Informationen er im Innern erhalten hatte. So saß er seit ungefähr acht Uhr abends oder noch früher (sobald er das Telegramm erhalten hatte) in Meditation.

Um etwa drei Uhr morgens rief er Bibi Rukko, und sie fragte: <Soll ich nun das Mal bringen?> (Er hatte kein Abendbrot zu sich genommen.) Babaji antwortete: <Nein, aber du fragtest etwas wegen Bhai Sawan Singh. Du kannst ihn nun benachrichtigen, daß er nicht gehen wird, das Karma jedoch sehr schwer war. Es war ihm bestimmt, fünf Jahre zu leiden, aber nun wollen wir es in fünf Monaten zu Ende bringen. Ist das nichts? Wir werden nicht jetzt zu ihm gehen, sondern erst, wenn er aus dem Krankenhaus entlassen ist. Inzwischen kannst du ihm bestätigen, daß wir sein Telegramm bekommen haben.> Im Augenblick, als ich Babajis Telegramm erhielt, konnte ich Darm und Blase leeren...

Heilige zeigen ihre Barmherzigkeit, aber sie sprechen nie darüber. Während ich nun in dieser mißlichen Lage war, hatte ich auch finanzielle Schwierigkeiten. Ich verlor meine Stellung in der Unterabteilung, mein Pferd und auch die Hälfte meiner Bezüge. Der leitende Ingenieur war jedoch sehr freundlich zu mir. Er sagte: <Wenn Sie nur jeden Tag in einer Sänfte zum Büro kommen könnten, würde ich Sie als im Dienst betrachten.> Ich hatte aber starke Bedenken und fürchtete, daß ich mit meinem noch schwachen Bein ausgleiten und einen weiteren Unfall haben könnte.  Daraufhin genehmigte er mir einen einmonatigen Urlaub. Ich fragte mich, ob ich wohl nach einem Monat wieder zu Arbeit fähig sei. Am nächsten Morgen kam der vorgesetzte Ingenieur zu mir und bemerkte: <Sie gehen jetzt nur für einen Monat.> Kurz zuvor hatte mich Babaji besucht und mir gesagt, daß ich nur noch für einen weiteren Monat vom Dienst befreit würde. Ich konnte es kaum glauben.

Schließlich war der Monat vergangen, und ich erhielt einen Brief von Babaji, in dem es hieß: <Wir sind nicht in die Welt gekommen, um unsere eigene Arbeit zu tun; wir sind auf Veranlassung von

Maharaj Ji (Soamiji) hier. Wenn er es will, wird die Arbeit durch uns getan.> Es ist unmöglich, die Reichweite der Macht und der Heiligen zu beschreiben. Ich bin sicher, daß der Meister sein Werk selbst durch Steine ausführen kann, wenn er es will.”

“Babaji war immer sehr gütig zu mir, und so oft ich ihn besuchte, gab er mir einen Platz in seinem eigenen Raum. Einmal stieg ich um zwölf Uhr mittags an der Bahnstation in Beas aus. Da es sehr heiß war, setzt ich mich eine Weile unter einen Baum. Dann sagte ich mir jedoch, daß ich gekommen war, um Babajis Darshan zu haben; statt dessen suchte ich hier Bequemlichkeit und verzögerte die Zusammenkunft mit dem geliebten Meister. Selbst weltliche Liebhaber hielten das weit besser.

Der Gedanke beunruhigte mich. So machte ich mich auf den Weg vom Bahnhof zur Dera.

  

Dort kam unterdessen Babaji Maharaj aus dem Haus und ging im offenen Hof vor seinem Raum umher, obwohl er sehr empfindlich gegen Hitze war. Bibi Rukko protestierte und bat ihn, sich nicht der heißen Sonne auszusetzen, sondern wieder ins Haus zu gehen, aber er blieb. Erst wenige Minuten vor meiner Ankunft ging er hinein. Als mich dann Bibi Rukko kommen sah, rief sie aus: <Oh, jetzt weiß ich, warum Babaji in der heißen Sonne geblieben ist.< (Er hatte selbst einen Teil der größten Hitze auf sich genommen, damit ich nicht unterwegs von ihr übermannt würde.) Es gibt so viele wunderbare Dinge über Babaji zu sagen, daß hundert Jahre nicht ausreichten, wollte ich alles erzählen.”

In der Tat wären “hundert Jahre” nicht genug, und darum wollen wir die Geschichte von Babajis irdischem Aufenthalt so rasch wie möglich zu Ende bringen. Die Zahl der Besucher, die zu seiner Hütte in Beas strömten, nahm ständig zu. Und seine Worte zu Bibi Rukko: “Hier wird eines Tages eine immer größer werdende Stadt mit vielen Häusern und Bungalows entstehen” wie auch der Hinweis des gottberauschten Kahan, über den die Leute gelacht hatten: “Ich sammle diese Steine für die Stadt, die hier einmal erbaut wird” schienen sich schließlich zu bewahrheiten. Babaji verbrachte den größten Teil seiner Zeit in Beas, begab sich aber auch des öfteren in nahegelegene Gebiete oder weiter entfernte Städte, um für die spirituellen Bedürfnisse seiner Anhänger zu sorgen. Als er einmal auf Wunsch einiger Schüler in Ambala war, bat Hukam Singh, ein Freund seines ergebenen Schülers

Moti Ram, der als Schneider für das dort stationierte britische Regiment arbeitete, um die Initiation.

Babaji lehnte es ab, seine Bitte zu erfüllen. Hukam Singh hielt sich an seinen Freund, der sich dann bei Babaji dafür einsetzte, jedoch ohne Erfolg. “Er ist für den Pfad noch nicht geeignet”, bemerkte der Weise. Aber Moti Ram ließ nicht nach, Immer wieder bat er für seinen Freund.

“Ich habe dir doch gesagt, daß sein Karma es nicht erlaubt. Was kann ich da machen?”

“O Heiliger, umso mehr solltet Ihr Mitleid mit ihm haben, denn wer sonst hätte es, wenn nicht Ihr?”

“Moti Ram, dringe nicht weiter in mich. Ich würde lieber vierhundert andere initiieren als deinen Freund.” Ein Heiliger kann einem ergebenen Schüler nicht lange etwas abschlagen und würde für ihn selbst durchs Feuer gehen. Als ihn Moti Ram wiederholt bedrängte, gab er nach und fügte hinzu:

“Doch sobald ich deinen Freund initiiert habe, werde ich keinen Augenblick länger hierbleiben, sondern sofort nach Hause fahren.” Getreu seinem Wort packte er, gleich nachdem er die Initiations-

anweisungen gegeben hatte, seine wenigen Sachen zusammen und fuhr wieder nach Beas.

Allen, die den Wunsch äußerten, ihm dorthin zu folgen, wurde gesagt, daß sie zwei Wochen später kommen sollten. Bei seiner Heimkehr ging Babaji sofort zu Bett. Als ihn Leute aus Beas aufsuchten, waren sie bestürzt, ihn von einem tödlichen Fieber befallen zu sehen. Man schickte nach Ärzten und nach Medizin, aber Babaji nahm nichts. Etwa nach vierzehn Tagen ging das Fieber zurück.

Kaum hatte Moti Ram davon gehört, eilte er zu ihm und bat um Vergebung: “Herr, wenn ich nur gewußt hätte, was es für Euch bedeutet, würde ich Euch niemals, nicht einmal für das Reich der drei Welten, gedrängt haben, meinen Freund zu initiieren.” Babaji war in mitteilsamer Stimmung und erzählte: Das Karma von Hukam Singh war so schwer, daß er ohne diese Fürbitte in den nächsten sieben Lebensläufen die schwersten Leiden und Prüfungen hätte erdulden müssen.” Moti Ram dankte ihm demütig für diese unermeßliche Gnade, aber Babaji entgegnete mit der ihm eigenen Bescheidenheit: “Es war der Wille des Herrn.”

Die Güte Babajis strahlte wie die lebensspendende Sonne auf alle aus, die mit ihm in Berührung kamen. Seine besondere Zuneigung aber galt, wie wir schon gesehen haben, Baba Sawan Singh.

Die Jahre 1894 bis 1903 waren durch regelmäßige Besuche von Baba Sawan Singh Ji Maharaj in Beas gekennzeichnet, die gelegentlich von Babaji erwidert wurden. Der Weise nannte seinen Lieblingsschüler “Babuji”. Er hatte Bibi Rukko erzählt, daß der stattliche Regierungsbeamte eines Tages sein Nachfolger würde. Als er einmal in besonders gütiger Stimmung war, wandte er sich an seinen Gurmukh mit der Bemerkung: “Du und ich, wir sind zum Wohl der Menschheit gekommen.”

Sawan Singh entgegnete: “Sicher seid Ihr für die Erhebung der Menschheit gekommen, aber ich bin nur ein irrender Sterblicher.”

 

 

“Babaji wiederholte seine Worte, und Sawan Singh gab die gleiche Antwort. Da hob Babaji die Augenbrauen und sagte in lauterem Tonfall: “Babuji, ich spreche zu dir. Wir sind beide zum Wohl der Menschheit gekommen.” Sawan Singh saß da und schwieg. Ein andermal sagte der Heilige von Beas zu seinen Schülern: “Ich mußte für das, was ich erreichte, schwer arbeiten, habe aber nie meine Schätze zur Schau gestellt, sondern sie verschlossen gehalten. Doch meine Mühen sollen Frucht tragen, und der, welcher meinen Mantel erbt, wird weit und breit bekannt werden.”

Die Tage gingen dahin, und Beas wurde zu einem strahlenden Zentrum auf der spirituellen Weltkarte.

Er, der niemals zugestimmt hatte, daß man Hallen und Häuser baute, gab schließlich den Bitten seines geliebten Babuji nach, und so wurde während seiner letzten Jahre ein Brunnen gegraben und eine Satsanghalle erbaut. “Wozu hier Gebäude errichten, wenn sie der Fluß wegschwemmen kann”, hatte er

protestiert, aber Sawan Singh war nicht davon abzubringen.

“Selbst wenn Ihr hier nur einen einzigen Vortrag halten könnt und der Bau sofort danach zusammen-

bricht, werde ich mein Mühen reichlich belohnt finden.” Unterdessen waren die letzten Tage des

Jat-Guru, wie er sich selbst humorvoll nannte, nähergerückt. Sechs Monate vor seinem Tode sprach er zu seinen Schülern von dem nahen Ende. Als er hörte, daß Karam Singh aus Attock die Welt verlassen hatte, bemerkte er: “Ich traf ihn immer in Delhi. Er war wirklich eine große Seele! Aber er wird noch-

mals geboren werden müssen, um volle Befreiung zu erlangen, da er in diesem Leben nicht Naam praktiziert hat. Ja, ja, mein Werk geht auch zu Ende, und ich werde ebenfalls bald gehen.”

In seinen letzten Tagen kamen viele Pilger nach Beas. Der Weise, der einst Tag und Nacht in Meditation vertieft war, diente nun Tag und Nacht seinen Ergebenen. Er gönnte sich kaum drei oder vier Stunden Ruhe und widmete die übrige Zeit jenen, die ihn aufsuchten, kümmerte sich um ihre Probleme und spornte sie zu immer größerem spirituellem Streben an. Die Schleusentore der göttlichen Gnade waren weit geöffnet, und die, welche während der Tage unmittelbar vor seinem Hinscheiden mit ihm zusammen in seinem Raum saßen, wurden innerlich emporgehoben und gingen im Samadhi auf.

Der Bau der Satsanghalle war inzwischen fertiggestellt, und jedermann drängte Babaji, einen Vortrag zu halten. Aber er war dagegen und sagte: “Nein, nein, Gott will es anders. Mein Nachfolger wird sich dort an euch wenden.” Bibi Rukko war ebenso unnachgiebig: “Wir werden ihn natürlich anhören, wenn seine Zeit gekommen ist, aber solange Ihr hier seid, laßt uns den Vorteil Eurer Gegenwart haben.” Babaji bestand darauf: “Es ist nicht Gottes Wille. Außerdem möchte ich, daß Babuji zu allen Anwesenden spricht, während ich noch lebe, damit es später nicht zu Streitigkeiten kommt.”

Die Zuhörerschaft hatte sich versammelt und bat, er möge selbst sprechen. Auch Bibi Rukko bat und flehte, so daß er schließlich nach vorne ging. Als er aber eine oder zwei Stufen hinaufgestiegen war, hielt er erneut inne und wiederholte, was er zuvor gesagt hatte. Zum Erstaunen aller, die die Satsang-

Halle betraten, sah man Babajis Gurmukh-Sohn, Hazoor Sawan Singh, auf der Empore sitzen.

Schließlich kam der letzte Tag. Alle engeren Schüler standen in banger Erwartung beisammen.

Es war der 29. Dezember 1903. Vom Beas-Fluß wehte ein scharfer, kalter Wind herüber. Babaji schien zu warten und warf unruhige Blicke nach der Tür. Da kam ein Polizeibeamter herein, der um die Initiation nachsuchte. “Auf Sie habe ich gewartet”, sagte der große Heilige, und ohne weitere Um-

stände begann er Theorie und Praxis des Surat Shabd Yoga zu erklären. Kurz nachdem er die Unter-

weisung gegeben hatte, legte er sich hin, schloß die Augen und streifte dieses irdische und verwesliche Kleid ab.

So ging einer der größten Heiligen der Neuzeit, dessen Leben eine einzige Lektion der Demut und Liebe war. Er hatte nicht an Schulen und Universitäten studiert, wohl aber das Buch des Lebens tief erforscht. Als Kind hatte er die heiligen Schriften vieler Glaubensrichtungen gelesen und sich frühzeitig vielen Sadhans oder spirituellen Übungen hingegeben. Im Alter von achtzehn Jahren, in dem andere Menschen kaum eine geistige Reife erlangt haben, hatte er bereits die Krone des Lebens erworden, die selbst den strengsten Yogis und eifrigsten Gelehrten versagt bleibt. Und dennoch brachte er seine übrigen Jahre in vollkommenster Demut zu. Sein einziges Streben war, seinem Meister zu dienen und dessen Botschaft nach besten Kräften weiterzutragen.   

 

Die letzten aufgezeichneten Worte von ihm sollen gewesen sein: “Mein ganzes Leben suchte ich nur meinem Meister zu dienen, und nun ist alle Arbeit, die er durch diese armselige Hülle zu vollbringen hatte, getan." Noch seine allerletzte Stunde war diesem Dienst geweiht. Er war mehr als ein Beispiel dessen, was er einmal an seinen zukünftigen Nachfolger geschrieben hatte: “Heilige werden nicht für sich selbst geboren, sondern für die Befreiung der Menschheit.” Er sprach aus innerer Erfahrung, nicht aufgrund von Buchwissen. Er hat ungefähr dreitausend Seelen initiiert, während die Zahl jener, die unbewußt durch seinen Einfluß begünstigt waren, nicht zu benennen ist. Konnte man einen anderen finden, der so selbstlos war, so bereit stellvertretend für die Sünden anderer zu büßen, so grenzenlos in seiner Liebe und so unberührt von den äußeren Unterschieden einzelner Glaubensgemeinschaften und Bekenntnisse? Wenn man in der Erinnerung nachforschte, mochte es einen Namen geben, der einem sogleich in den Sinn kam: der Guru Nanak. Und war es bloßer Zufall, daß der Soldaten-Heilige von Beas in demselben Bezirk (Gurdaspur) geboren wurde, in welchem der große Heilige des Mittelalters nach dem Zeugnis seines ständigen Begleiters und Biographen Bhai Bala vorhersagte, daß er in künftiger Zeit im Hause eines Jat wiederkommen würde? Babajis Schüler bermerkten die Ähnlichkeiten schon zu seinen Lebzeiten und befragten ihn einmal darüber. Der Weise lächelte geheimnisvoll und ging nicht auf die Frage ein. Doch einige Minuten später bemerkte er beiläufig:

“Wenn Seelen wie wir unsere Gedanken äußern wollten, wer würde uns dann einen Augenblick Ruhe lassen und wer unsere Haut schonen?”



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