Die Anwendung der drei Beschränkungen und ihr Vorgang

 

Die drei Beschränkungen kann man anwenden, indem man die Kräfte daran gewöhnt, innen zu wirken. Die erste Beschränkung, nämlich die der Rede, besteht im Ausüben von Simran, der beständigen Wiederholung des Namens Gottes mit der Zunge des Gedankens. Lippen und Zunge sind dabei nicht vonnöten. Anwendung und Wirkung von Simran wurden auf den vorhergehenden Seiten beschrieben.

 

Die zweite Beschränkung bezieht sich auf die Fähigkeit des Sehens und besteht in der Betrachtung der spirituellen Bilder im Innern, welche in vollem Glanz durchbrechen. Wenn man Tratak übt oder Konzentration auf einen schwarzen Fleck, der sich außen befindet, und die Augen fest darauf heftet, wir das eigene innere Licht nach außen projiziert. Entsprechend kann man, wenn man den inneren Blick genau in der Mitte und hinter den beiden Augenbrauen fixiert (dem Sitz der Seele im Menschen) sein eigenes Licht im Innern sehen. Dieses Licht ist dein eigenes, und es ist bereits dort, doch du mußt deinen inneren Blick darauf heften. Wo das Wort ist - das heilige Naam - , dort ist Licht; wo Ton ist, da ist auch der Glanz, denn beide sind unzertrennlich. Die Lichtreflexe sind von fünferlei Art, die mit den fünf verschiedenen Tonarten korrespondieren, welche man sehen und hören kann, sobald der Geist in die fünf unterschiedlichen Ebenen aufsteigt. Die Manduk Upanishad spricht von den „fünf Feuern im Kopf“.

 

Es gibt Schriften, die das Fixieren des inneren Blickes auf das Gesicht des Meisters vorschreiben; doch darf man nicht über das Fleisch und die Knochen im Gesicht des Meisters meditieren, sondern über das, was durch das Gesicht hindurchscheint. Gesicht und besonders Augen und Stirne bilden den Sitz, wo der Geist des Meisters voll wirksam ist. Daher bereitet das Meditieren über die Augen des Meisters eine Seele für das Aufdämmern der Gottheit vor, indem sein Wesen aufgenommen wird. Dies hilft dem Schüler viel. Während du an den Meister denkst, erhebst du dich in ihn. Wie du denkst, so wirst du.

                       

Die Form des Heiligen erstrahlt in vollem

                        Glanze. Weise und Seher leben in dem zeitlosen

                        Einen, und darum kann man über sie meditieren.

                                                                                                          Sarang M.6

 

Des Meisters Form ist das der Gottheit Nächstliegende, denn er ist der Sohn Gottes. Einer, der den Sohn nicht kennt, kann auch den Vater nicht kennen. Deswegen heißt es:

                       

Meditiere über die Form des Meisters und nimm seine

                        Worte als buchstäbliche Wahrheit. Laß die Schritte des

                        Meisters in den Tiefen deines Herzens widerhallen.

                        Der Meister ist der Unendliche, beuge dich ihm.

                                                                                                          Gond M.5

 

                        Denke an die Füße des Meisters in deinem Herzen.

                        Durch ständiges Denken an ihn wirst du das Meer der

                        täuschenden Materie überqueren.

                                                                                                          Gond M.5

                        Durch die Meditation über die Form des Meisters,

                        wirst du hier und im Jenseits geehrt.

                                                                                                          Gond M.5

 

Und wieder heißt es:

 

                        Gedenke des wahren Meisters in dir und wiederhole das

                        von ihm gegebene Wort im Geiste. Mit den Augen stelle dir

                        die Gestalt des wahren Meisters vor, und mit den Ohren

                        höre das heilige Naam - des Ewigen Sang. Wer innen und

                        außen vom wahren Meister, dem personifizierten Wort,

                        erfüllt ist, erwirbt den Ehrensitz in seiner Gegenwart.

                        Nanak sagt: wem auch immer der Herr Seine Gnade

                        schenkt, dem verleiht er diesen Zustand. Doch wenige

                        nur sind die Auserwählten, die diese Gnade erlangen.

 

                                                                                                          Gujri War M.5

 

Hierbei müssen wir auf der Hut sein, denn wenn der Meister, über dessen Form du meditierst, nicht wirklich spirituell ist, wirst du zu dem, was er ist. Dieser Weg ist darum gefährlich; es sei denn, du bist dir der Vollkommenheit des Meisters sicher. Du kannst jedoch nicht den Rechten vom Falschen unterscheiden, und deswegen ist es besser, den inneren Blick auf das Licht zu heften, das dir ein kompetenter Meister bei der Initiation gibt. Nach einer Zeit der Übung wird im Verlaufe des Fortschritts der wahre Meister im Innern in seiner strahlenden Form erscheinen. Die Echtheit der Erscheinung läßt sich immer durch das Wiederholen der geladenen Worte, die der Meister gegeben hat, prüfen. Nur ein kompetenter Meister kann bei der Initiation oder später, während der Meditation (nach einiger Praxis), im Innern erscheinen. Dies wird vor jeder Täuschung oder Versuchung bewahren.

 

Die dritte Beschränkung bezieht sich auf die Fähigkeit des Hörens. Dieses sollte auf die ewige Musik abgestimmt werden, die in allem und durch alles ertönt. Der Ton ist die wahre Substanz Gottes.

 

Der Meister sagt:

 

                        O meine Ohren, eilt, eilt und hört die Wahrheit,

                        deretwegen ihr an den Körper gebunden wurdet,

                        und lauscht der ewigen Musik - dem wahren Bani.

                                                                                                          Ramkali M.5

 

Das bedeutet nicht, daß wir den Gebrauch dieser Organe im Bezug auf die äußere Welt vernachlässigen sollten. Sie sollten jedoch so trainiert werden, daß sie positive Hilfe auf dem Weg der spirituellen Entfaltung sind und somit doppelten Nutzen bringen. Die Übung soll dazu verhelfen, daß sich das Gemüt in sich selbst festigt und seine Substanz daran hindert, unnütz nach außen zu fließen. Der erste Vorgang, Simran, bildet die Grundlage des spirituellen Strebens. Man muß damit fortfahren, bis das Ziel erreicht ist.

 

Der zweite und dritte Vorgang, Dhyan und Bhajan, folgen von selbst.

 

                        Hindere den Gemütsstoff daran, durch die neun Tore

                        des Körpers hinauszuströmen; denn dies wird dir

                        Zugang zum zehnten Tor verschaffen, das zur wahren

                        Heimat des Vaters führt. Dort erklingt die unendliche

                        Musik bei Tag und Nacht; durch Gurmat (die Weisungen

                        eines Gottmenschen) wird dieser Gesang im Innern hörbar.

 

                                                                                                          Mahi M.5

 

Wajhan Sahib sagt:

 

                        Wieso sagst du, der Gatte sei fort? Du kannst ihn sehen,

                        wenn du die zehn Tore verschließt. Dann wird die ewige

                        Musik an dein Ohr klingen, und du wirst dich von einem

                        Sklaven in einen König verwandeln. Alle Melodien sind im

                        Körper, und bezaubernder, lieblicher Gesang ertönt.

                        O Wajhan! Wie groß ist das Glück dessen, der diese

                        Musik hört!

 

Diese drei Beschränkungen helfen im höchsten Grade bei der Konzentration. Als erstes bringt der „Simran“ der geladenen Worte, die vom Meister gegeben wurden, das Gemüt von außen nach innen und zieht den Geist vom Körper zum Sitz der Seele zurück. Er sinkt von der Peripherie unseres Wesens zu seinem Mittelpunkt. Dies läßt uns immer an das höchste Ideal, das dem Menschen vor Augen gehalten wird, denken, nämlich an die Selbsterkenntnis und Gotterkenntnis.

 

Der zweite Vorgang, der „Dhyan“ , hilft ebenso bei der Konzentration und festigt die Seele im Innern. Der letzte Prozeß, „Bhajan“, oder das Hören auf die innere Musik im Menschen, leitet die Seele ins Jenseits, zum Ursprung, von dem der Lebensstrom, oder das Tonprinzip des heiligen Naam, die ewige Musik,  ausgeht. Genau wie in einer pechschwarzen Nacht, in der man nichts sieht und weder hinten noch vorne etwas erkennen kann, einem das ferne Bellen eines Hundes oder das von weitem sichtbare Aufflackern eines Lichtes bei der Weiterreise hilft, so hilft auch die spirituelle Musik und das strahlende Licht einer suchenden der Seele auf dem Pfad bei ihrem einsamen Aufstieg in die wahre Heimat des Vaters.

 

Der lange Entwicklungsgang beginnt mit der Konzentration am Sitz der Seele im Körper, der genau zwischen und hinter den beiden Augenbrauen liegt, wo der geistige Simran mit voller Ernsthaftigkeit zu üben ist. Dies macht das Zurückziehen des Geistesstromes möglich, der sich gegenwärtig über den ganzen Körper ausbreitet, und sammelt ihn am Sitz der Seele, was zur Folge hat, daß die Grenzen der groben Materie des Körpers und der äußeren Welt aufgehoben werden. Wenn der Geist einmal von seinen Fesseln und somit von seinem endlichen Dasein befreit ist, hat er Zugang zu Til (Nukta-i-Sweda - oder dem „Dritten Auge“) und geht von da aus mit der Hilfe einen Gott-Menschen weiter in die höcheren Regionen. Nachdem man die Astralebene voller Zuversicht durchquert hat, erreicht man Daswan Dwar mit der heiligen Quelle des Nektars, das wahre Amritsar (Mansarover oder Prag-Raj) im Menschen. Die Moslems nennen es „Hauz-i-Kausar“. Ein Bad oder eine Taufe darin, befreit den Geist von den astralen und kausalen Körperhüllen und der feineren Materie. Es ist die wahre und wirkliche Taufe mit dem heiligen Wasser der Unsterblichkeit. Der sich nunmehr selbst überlassene Geist erstrahlt in vollem Glanze durch ein Licht, das leuchtender ist als das von mehreren Sonnen. Da er nun Wissen über sein wahres Wesen hat, das das gleiche ist, wie das von Gott selbst, schreitet er mit Hilfe der strahlenden Form des Meisters weiter, bis er die rein spirituelle Region Sach Khand, neues Jerusalem oder Muquami-Haq erreicht, wo Sat Purush - der Formlose - seinen Wohnsitz hat. Von hier aus und unter dem Beistand der Gnade des letzteren geht er Stufe für Stufe weiter dem Namenlosen Einen entgegen. Dieser Aspekt des Aufstiegs der Seele von den materiellen Bereichen in die spirituell-materiellen, bildet das Thema des XXI. Verses des Jap Ji. Der Meister befaßt sich darin mit den drei wichtigsten der fünf spirituellen Stufen: Til (der Startpunkt), Daswan Dwar und Sach Khand. Die fünf Regionen werden ebenfalls am Ende des Jap Ji erklärt.

 

Ein Mensch, der Zugang zu Til hat und im Glanz der strahlenden Astralform des Meisters badet, wird ein Sikh oder Schüler des Meisters (Ergebener) genannt. Wenn er weiter fortschreitet, erreicht er Daswan Dwar, die dritte der Entwicklungsstufen, und wird ein Sadh, eine geschulte Seele. Erlangt er die Region des Reinen Geistes, wird er ein Sant oder Heiliger. Einer, der die höchste spirituelle Region des Namenlosen Einen, des Unerkennbaren und Unerfaßbaren, erreicht hat, wird ein Param Sant, der Heilige der Heiligen, genannt. Diese Begriffe sind im Text der Reden des Meisters zu finden. Es Wörter mit einer wichtigen weiteren Bedeutung; sie haben keinerlei Beziehung zu jenen, die sich mit äußeren Formen und Formeln, dem Ausüben von Riten und Nachtwachen usw. befassen.

 

Guru Nanak war ein Heiliger der höchsten Ordnung, ein Param Sant, welcher die Region des Namenlosen Einen erreichte, was aus seinen eigenen Worten ersichtlich ist:

                       

Fliege über die Region der Wahrheit, des Reinen Geistes,

                        hinaus; dann erreiche die Ebene des Unerkennbaren und

                        Unbegreiflichen. Über dieser liegt die Wohnstatt der

                        Heiligen, und dort weilt der geringe Nanak.

 


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