STROPHE 13


                        Durch die Praxis des Wortes erhebt man sich ins

                        universale Bewußtsein und entwickelt rechtes Verstehen;

                        durch die Praxis des Wortes gelangt man zu Hellsichtigkeit

                        und Übersicht über die ganze Schöpfung;

                        durch die Praxis des Wortes wird man von Sorgen und

                        Leiden befreit;

                        durch die Praxis des Wortes braucht man nach dem Tode

                        nicht zu Yama1) zu gehen.

                        O, groß ist die Macht des Wortes, aber wenige gibt es,

                        die das wissen.

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1) Yama: den Menschen, welche die jenseitige Welt kennen, ist bekannt, daß die Seelen, wenn sie ihr sterbliches Kleid ablegen, durch bestimmte Boten, die Todesengel (Yamduts), in die andere Welt gebracht werden. Sünder werden von ihnen schlecht behandelt; während die übrigen unterschiedslos vor „Yama“, den König des Todes, kommen. Doch einer, der die Praxis des Wortes übt, entgeht „Yama“ ganz; denn er wird in der Astralwelt von der strahlenden Form des Meisters empfangen und durch ihn in die spirituellen Ebenen geleitet.

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STROPHE 14

                        Durch die Praxis des Wortes gelangt man ungehindert

                        in die höheren spirituellen Ebenen;

                        durch die Praxis des Wortes erreicht man die spirituellen

                        Bereiche offen und ehrenvoll;

                        durch die Praxis des Wortes entrinnt man den Seitenwegen

                        Yamas, des Königs des Todes;

                        durch die Praxis des Wortes kommt man in

                        enge Berührung mit der Wahrheit.

                        O, groß ist die Macht des Wortes, aber wenige gibt es,

                        die das wissen.

 

 

STROPHE 15

                        Durch die Praxis des Wortes erlangt man am Ende

                        Erlösung;

                        durch die Praxis des Wortes führt man seine

                        Freunde und Verwandten ebenfalls in die Freiheit;

                        durch die Praxis des Wortes erlöst man nicht nur sich selbst,

                        sondern, wenn man ein Adept wird, viele andere,

                        die man leitet;

                        durch die Praxis des Wortes entkommt man, befreit

                        von Wünschen, dem Rad der Seelenwanderung.

                        O, groß ist die Macht des Wortes, aber wenige gibt es,

                        die das wissen.

 

Die heilige Verbindung mit dem Wort oder „Naam“ ist das alleinige Mittel, um Einssein mit dem höchsten Herrn zu erlangen, sagt Nanak. Nichts anderes kann dem Menschen zu diesem Ziel verhelfen. Es ist der Geistesstrom, der von dem einen Sein ausgeht und dabei alle spirituellen und materiellen Ebenen bildet und in und außerhalb von ihnen erklingt. Er kommt von den reinsten spirituellen Ebenen herunter zu den materiell-spirituellen und dann zu den materiellen Welten, indem er jeweils den Ton ändert, wenn er durch die verschiedenen Sphären dringt. Die Hauptunterteilungen der spirituellen und astralen Ebenen sind fünf an der Zahl, wie durch die verschiedenen Schriften dargelegt wird. Es sind somit fünf unterschiedliche Töne. Diese fünf Töne werden von den Meistern oder den Adepten in dieser Wissenschaft Panch Shabd (fünf Worte) genannt: „Panch“ bedeutet wörtlich auch „Kopf“, und Guru Nanak bezieht sich an dieser Stelle auf beide Bedeutungen. Das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns. Alle Heiligen sind sich ein und desselben Wortes bewußt, welches als das „Fünftönige Wort“ bezeichnet werden mag. Naam, Bani (oder Wort) und Hukam (der Wille) werden von Guru Nanak als nahezu identisch gebraucht. Diejenigen, welche sich immer des göttlichen Wortes oder der Gottheit bewußt sind, werden zu Seinem Sprachrohr, und man nennt sie Sants. Sie sind geehrt in Seinem Reich und sind Seine Hauptarbeiter. Es ist durch die Verbindung mit diesem „Fünftönigen Wort“, daß man die Vereinigung mit Gott erlangt. Alle anderen Mittel versagen.

 

Durch dieses Wort kam die ganze Schöpfung zustande, und sie geht bei ihrer Auflösung wieder zu Ihm zurück. Es ertönt in jedem von uns, und des Menschen Körper ist wahrhaftig ein lebendiger Tempel Gottes. Die Heiligen aller Glaubensrichtungen sprechen vom Wort als dem einzigen Mittel, durch welches man die letzte Wirklichkeit erlangen kann.

Die Mohammedaner nennen es Bang-i-Asmani oder die Stimme, die vom Himmel kommt. Shamas Tabrez und Khawaja Hafiz Shirazi sprechen von ihm, wie in der Einführung bereits zitiert wurde. Die Hindus drücken es mit den Worten Nad (Sphärenmusik), Akash Bani (die Stimme vom Himmel) und Udgit (Musik des Jenseits) aus.

 

Der heilige Johannes sagt in der Bibel:

                       

Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott,

                        und Gott war das Wort. Dasselbige war im Anfang bei Gott.

                        Alle Dinge sind durch dasselbige gemacht, und ohne

                        dasselbige ist nichts gemacht, was gemacht ist.

 

STROPHE 16

                        Der Heilige (oder das personifizierte Wort) ist angesehen

                        in Seinem Reich und der Haupterwählte darin;

                        der Heilige ziert Gottes Schwelle und wird selbst von

                        Königen geehrt.

                        Er lebt durch das Wort und meditiert über das

                        eine Wort.

                        Wer immer das Mysterium Seiner Schöpfung erörtert und

                        erklärt, erkennt, daß die Werke des Schöpfers jenseits

                        aller Beurteilung sind.

                        „Dharm“ oder das Wort, aus Seiner Gnade geboren,

                        ist der sprichwörtliche Bulle1), der die Schöpfung in

                        Harmonie erhält.

                        Wer dies erkennt, dem ist die Wahrheit sicherlich bekannt.

                        Es ist nichts als das Wort, das die überwältigende Last

                        der ganzen Schöpfung trägt;

                        denn würde die Erde von einem Bullen getragen, müßte

                        dieser wieder von einem anderen Planeten gestüzt werden

                        und dieser von einem weiteren und so fort bis ins Endlose.

                        Welch ungeheure Last!

                        Welche andere Kraft könnte sie tragen?

                        Keine außer dem Wort.

                        Es gibt kein Ende der Schöpfung.

                        Es gibt zahllose Lebensformen, verschieden in

                        Name, Art und Farbe,

                        für die objektive Welt durch die ewig dahinfließende

                        Feder des Schöpfers bestimmt.

                        Wer vermag die Werke Seiner Schöpfung aufzuzählen,

                        und könnte es einer, wie groß wäre dann die Zahl?

                        Wie groß ist Seine Macht und wie herrlich Sein Werk!

                        Wer kann das Maß Seiner liebenden Gnade ermessen?

                        Nur mit einem einzigen Wort2) brachte Er diese gewaltige

                        Schöpfung ins Sein,

                        Und tausend Lebensströme sind ihr entsprungen.

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1) Dhaul: ein erdichteter Bulle, der angeblich Himmel und Erde trägt.

2) Die Hindus glauben, daß das Wort „Eko-Aham Bahu Syam“ es war, was bedeutet:

    „Ich bin einer und will viele werden“. Die Mohammedaner sagen, daß es das Wort „Kun- fi-   Kun“ gewesen sei, nämlich: „Er wollte, und siehe, das ganze Universum erstand.“

 

                        Welche Kraft habe ich, Dein wunderbares Wesen

                        zu begreifen?

                        Zu gering bin ich, mein Leben Dir zu opfern.

                        Was immer Dir gefällt, ist gut.

                        Du bist immer und ewig,

                        o Formloser Einer.

 

In dieser Strophe gibt Guru Nanak ein Bild von jenen, die gute Werke verrichten, und von solchen, die Ihn auf verschiedene Weise zu erreichen suchen. Diese festgelegten Wege sind, obgleich lobenswert, doch nicht zu vergleichen mit der Gottesschau, welche durch die Verbindung mit dem heiligen Wort und die Praxis desselben möglich wird und wodurch man allein Gottes Willen zu seinem eigenen machen kann.

 

STROPHE 17

 

                        Zahllos sind jene, die an Dich denken und

                        zahllos jene, die Dich lieben.

                        Zahllos sind die, die Dich anbeten und zahllos jene,

                        die Dich in Härten und Bußen suchen,

                        zahllos sind die, die Deinen Ruhm aus

                        heiligen Büchern künden, und

                        zahllos jene, die in Yoga vertieft, der Welt

                        mit Gleichmut gegenüberstehen.

                        Zahllos jene Deiner Ergebenen, die über Deine

                        Eigenschaften und Deine Weisheit sinnen;

                        und zahllos jene, die Wahrheit und Barmherzigkeit üben.

                        Zahllos sind jene, die dem Schwert des Feindes

                        mutig ins Gesicht schauen, und

                        zahllos jene, die Schweigen gelobten und mit

                        stetiger Liebe über Dich meditieren.

                        Welche Kraft habe ich, Dein wunderbares Wesen

                        zu begreifen?

                        Zu gering bin ich, mein Leben Dir zu opfern.

                        Was immer Dir gefällt, ist gut;

                        Du bist immer und ewig,

                        o Formloser Einer.

 

Während Nanak erst von den Gottesfürchtigen gesprochen hat, wendet er sich nun den Gottlosen zu.

 

STROPHE 18

                        Unzählbar sind die Toren, völlig blind

                        in ihrer Unwissenheit, und

                        unzählbar die Diebe und Schwindler, die durch

                        unrecht erworbenes Gut gedeihen.

                        Unzählbar jene, die Tyrannei und Unterdrückung ausüben,

                        und unzählbar die Halsabschneider, die durch

                        ruchlose Verbrechen leben.

                        Unzählbar jene, die in schamlosen Sünden schwelgen, und

                        unzählbar die Lügner, die in Trug und Falschheit leben.

                        Unzählbar die Gottlosen, die sich von verderblicher1)

                        Speise nähren,

                        unzählbar die Verleumder, die ihre Last vermehren, indem

                        sie andere schmähen.

                        Zu viele an der Zahl für den geringen Nanak,

                        sie zu beschreiben.

                        Welche Kraft habe ich, Dein wunderbares Wesen

                        zu begreifen?

                        Zu gering bin ich, mein Leben Dir zu opfern.

                        Was immer Dir gefällt, ist gut.

                        Du bist immer und ewig,

                        o Formloser Einer.

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1) Die im Original gebrauchten Worte sind „Mal“ und „Bhakh“ und bedeuten:

verderbliche, ungesunde Nahrung aufnehmen; sie beziehen sich auf nicht vegetarische Speise und Rauschmittel. Selbst vegetarische Speisen und andere harmlose Getränke, die durch unrechte Mittel beschafft sind, gelten als schädlich, und so erweist sich ihre Verwendung als unbedingtes Hindernis auf dem Pfad.

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Mannigfaltig ist Seine Schönheit, und gewaltig ist Seine Schöpfung. Man kann sie unmöglich beschreiben. Worte können sie nicht angemessen schildern. Aber selbst wenn Worte unzulänglich sind, so sind sie doch das einzige, uns zur Verfügung stehende Mittel. Gott selbst ist namenlos, und die verschiedenen Namen, mit welchen Er benannt wird, wurden von den Meisterseelen gebraucht; und obschon sie dem, der unbeschreiblich ist, niemals gerecht werden können, geben sie doch eine vage Vorstellung und einen Ansporn für den Pfad.

 


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