Das Jap Ji von Guru Nanak

 

Einführung

 

Was ist das „ Jap Ji“? Das „Jap Ji“ ist die schönste Hymne Guru Nanaks, die als Prolog zum Guru Granth Sahib erscheint, dem umfangreichen biblischen Schatz der Sikhs, welcher 1400 Seiten umfaßt. Das „Jap Ji“ legt die fundamentalen Prinzipien der Lehren Guru Nanaks dar und erklärt die Mittel und Wege, durch die man Einssein mit dem Einen Wesen, dem Schöpfer von allem, erlangt. Der Titel  „Jap Ji“, wie allgemein bekannt, ist im Original nur ein Wort, nämlich „Jap“, was Meditation über ein bestimmtes Objekt bedeutet, und zwar in einem Ausmaß, daß man seine individuelle Bewußtheit verliert und sich mit dem Gegenstand der Meditation vereint. Bei diesem „Japa“ verwandelt sich der Meditierende in das Objekt und verliert jeden Sinn für seine eigene, getrennte Existenz. Hier vermittelt das „Wort“ die    Vorstellung einer tiefen Konzentration oder innerlichen Wiederholung des „Wortes“, und dies so weit, daß jegliche Färbung des Ego im Menschen ausgelöscht und die Gottheit (Gott, der bereits in ihm ist) in ihrem vollen Glanz hereingelassen wird - wobei das spirituelle Leben den Platz der physischen Existenz einnimmt. Das bedeutet ein neues Leben - ein Leben, das durch Meditation über das „ Wort“ erlangt wird, was uns in enge Verbindung mit der „Ewig Seienden Quelle des Lebens“ bringt. Somit birgt dieser Titel die Lösung des Mysteriums des Lebens selbst. Er ist wirklich lebenspendend - wahres Leben gebend - durch den Kontakt mit dem göttlichen Wort im Innern.

 

                                    Der allein lebt, o Nanak,

                                    der mit Ihm in Einklang ist;

                                    alle anderen sind tot.

                                                                                    Majh War M.1

 

Wenn du also nach einem Leben Verlangen trägst, das wert ist, gelebt zu werden, dann verbinde dich mit dem göttlichen Wort, das bereits in dir ist. Ohne die Verwirklichung Gottes im Innern ist der Körper nur ein Blasebalg, der ohne Sinn und Zweck ein- und ausatmet. In Gemeinschaft mit Ihm zu leben ist das Hauptziel, das der große Meister kundtut. Das  „Jap Ji“ beginnt mit den Grundprinzipien des Lebens und schließt, indem es die Substanz seiner Lehren vermittelt: Die Gleichheit der Menschen in der Sicht Gottes, da alle mit gleichen Vorrechten ausgestattet sind; ihre Annäherung und Absonderung zufolge ihrer jeweiligen Handlungen; ihre endliche Befreiung durch die Verbindung mit dem göttlichen Wort, der ewigen Musik; und die Kompetenz der Meisterseele andere zu erheben, damit sie den ewig-aktiven Willen finden, der die Welt durchdringt. Es befaßt sich mit den Ansichten verschiedener Geistesrichtungen, und durch Fragen und Gegenfragen sucht es die eine Wirklichkeit, die hinter der ganzen Schöpfung am Werk ist, zu bestätigen.

 

Guru Nanak beginnt, indem er (in Vers. I, II und III des Textes) den Grundsatz niederlegt, daß wir Seinen Willen zu dem unseren machen müssen, um Einssein mit Ihm zu erlangen. Die Verbindung mit seinem heiligen Naam - dem göttlichen Wort, das eine Emanation des Einen Wesens ist - offenbart und Seinen Willen.

 

Das heilige Naam ist die ewige göttliche Musik, die durch die ganze Schöpfung hindurch erklingt.

 

Das einzige, was dabei hilft, diese Verbindung zustande zu bringen, ist Simran, das beständige Denken an Gott. Zusammen mit den Anfangsschritten, welche den Erfolg sichern, um das Ziel zu erreichen (die Befähigungen, die es dem Strebenden möglich machen, den Pfad der Wahrheit zu beschreiten), und mit den verschiedenen spirituellen Ebenen, welche die Seele zu überqueren hat, bevor sie Einssein mit dem Herrn erlangt, bildet dies das Hauptthema der achtunddreißig Strophen de Textes vom  „Jap Ji“.

 

Das  „Jap Ji“ ist eine Kompendium der Lehren des Meisters. Der Guru Granth Sahib, der größte Schatz der Sikh-Literatur, ist in gewissem Sinne eine ausführliche Darlegung dieser einleitenden Worte. Wir wollen jedes Thema, mit dem sich der Meister befaßt, der Reihe nach aufnehmen und zu erklären suchen, wie er das Rätsel des Lebens gelöst hat, das so viele schon verwirrte. So laßt uns die Geduld aufbringen, alles sorgfältig zu studieren, denn dann können wir sehen, zu welchen spirituellen Höhen der Meister jeden von uns ruft.

 

Religion objektiv und subjektiv gesehen

 

So wie die Religion heutzutage aufgefaßt wird, ist sie in hohem Maße mißverstanden. Gebete, die aus festgelegten Redewendungen bestehen, gezwungenes Zeremoniell, zeitraubende Rituale, Festhalten an äußeren Symbolen auf Kosten ihrer inneren spirituellen Bedeutung und Überlegenheit eines Religionsbekenntnisses über das andere -, solche und ähnliche Sinnwidrigkeiten haben sich den Namen der Religion widerrechtlich angeeignet. Eine Religion führt gegen die andere Krieg; unter dem Vorwand von Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der Mittel zur Erlösung kämpfen Brüder gegen Brüder. Wie oft wurden im Namen der Religionen Blutvergießen, Falschheit, Haß, Intoleranz und Bigotterie gepredigt, indes die wesentliche Aufgabe der Religion, die Vaterschaft Gottes und die Bruderschaft der Menschen zu verkünden, gänzlich unbeachtet blieb.

 

Die Vernunft wurde völlig verbannt, und Religion wurde zu einem bloßen Bekenntnis von Glaubensanschauungen und Dogmen. Worte sind an die Stelle von Taten getreten. Die Religion scheint sich heute nicht mehr mit veredelnden Fragen zu befassen, wie z.B. mit dem Wissen um das eigene Selbst und der Verbindung mit dem göttlichen Ursprung. Das Suchen nach Gott durch Anwendung äußerer Mittel, Wiederholungen von Wortformeln, Besuchen von Wallfahrtsorten und Synagogen inmitten gefühlloser Herzen, läßt die Tiefe deutlich erkennen, zu der die Religion herabgesunken ist. Viele gottbegnadete Menschen der früheren Zeit empören sich über diese verhärteten Religionen und ritualistischen regeln der Priesterschaft, wenn sie solchen Situationen gegenüberstanden.

Ist das nicht zutiefst bedauernswert? Es ist wirklich ein trauriges Schauspiel. Zum Glück ist all das auf die menschliche Unwissenheit bezüglich wahrer Religion zurückzuführen, die nichts gekünsteltes und Gemachtes kennt. Eine Versklavung durch die Priesterschaft ist nicht das Ziel der Religion. Ihr Ziel ist es nicht, den Menschen zu binden, vielmehr ihn aus der Sklaverei zu befreien.

 

Der Meister kündet eine Religion, welche die Gleichheit der Menschen lehrt. Die Natur unterscheidet nicht zwischen einem Hindu, einem Mohammedaner und einem Christen. Sie alle gehören der Menschenfamilie auf Erden an. Guru Nanak ermahnt uns, dies, das heißt die Bruderschaft der Menschen, als höchste Religion anzusehen (Vers XXVIII).

 

Wir sollten alle Menschen als uns ebenbürtig betrachten, ungeachtet ihrer Rasse und ihres Glaubens. Genau wie in einer Schulklasse Kinder aller Glaubensrichtungen zusammensitzen, miteinander spielen, einander lieben, dieselben Lektionen von ein und dem selben Lehrer erhalten, so sollte auch die ganze Welt wie eine Klasse sein, und man sollte keinen Unterschied machen bezüglich Rasse und Stand. Die Vaterschaft Gottes und die Bruderschaft der Menschen ist das Wesentliche der Religion.

Alle Menschen sind gleich, und es hat dabei nichts zu sagen, ob sie im Kleid eines Hindu, Sikh, Mahammedaners, Juden, Christen, Buddhisten oder Materiallisten gehen.

 

                                    Alle lebenden Wesen sind zu Deinen Füßen,

                                    o Herr, und Du sorgst für sie alle.

                                    Was Dir gefällt, ist gut.

                                    Nanak betet auf diese Art zu Dir.

                                                                                                Bilawal M.1

 

Der Meister liebt die Natur und paßt sich ihren Gesetzen in jeder Weise an. Er kennt nichts Gemachtes oder Gekünsteltes. Die Natur an sich ist wunderschön, wenn sie nicht durch den Menschen gepeinigt wird. Aus diesem Grunde überläßt er es der Natur, für den äußeren Menschen zu sorgen und ihn so gut es geht zu behüten. Die Mehrheit der Weisen des Ostens wie des Westens: Christus, Buddha, Ramakrishna, und andere, wirkten nicht im geringsten auf die Körperform ein, die ihnen die Natur gegeben hatte. Es gibt tatsächlich keine höhere Religion als diese. Das ist nun der eine Gesichtspunkt der Religion, die objektive Seite. Aber es gibt auch noch einen anderen, welcher der subjektive genannt werden kann - die innere Seite davon, über die wir überhaupt nichts wissen. In dieser Hinsicht lehrt uns der Meister, zu den natürlichen Mitteln Zuflucht zu nehmen, um dadurch das subjektive Leben zu entwickeln, das darin besteht, daß man in der Gottheit lebt und die Gegenwart Gottes in der Seele verwirklicht. Dies ist Religion ihrer wahren Natur nach. Es ist nicht nur ein mündliches Bekenntnis, sondern ein höchst praktischer Wesenskern.

 

Die erste Lektion, die es zu lernen gilt, ist, die Existenz Gottes im Menschen zu verwirklichen und zu empfinden, nein - Seine Gegenwart überall zu sehen. Es ist eine immer-aktives und bewegendes Prinzip, das die ganze Schöpfung durchdringt und für das Bestehen des Universums einsteht. Die Natur mit ihren unwandelbaren Gesetzen, ihrer Menge an Formen und Erscheinungsarten, ist kein bloßes Zufallsgebäude. Dieses Universum wird von einem höchsten Herrscher durchdrungen, der es lenkt und in Ordnung hält.

 

Was immer der Mensch sät, muß er hier oder in künftigen Leben ernten. Jeder ist dem Gesetz des Karma unterworfen, und keine kann ihm entgehen. Das einzige hinreichende Mittel, um Befreiung von der Gebundenheit an die unerbittlichen karmischen Gesetze zu erlangen, ist die Verbindung mit dem heiligen Naam - dem göttlichen Wort, über das man zu den Füßen eines Gurmukh, das heißt eines Meisters, belehrt wird. Sobald man das verstanden hat, kann man den nächsten Schritt tun.

 

Alle Menschen sind gleich und tragen den Funken göttlichen Lichts in sich, der immer und ewig erstrahlt. Die Synagoge und die Moschee, die Art, wie die Hindus Gott verehren, die Gebete der Moslems oder die Gottesdienste der Christen sind alles nur verschiedenen Wege, um dem einen höchsten Herrn Liebe zu erweisen.

 

Wir alle spielen im Schoß von Mutter Natur und werden von zwei Dienern betreut - dem männlichen und dem weibliche, Tag und Nacht, eines das immer Aktive und das andere, das passive. Alle leben auf derselben Erde und unter demselben azurblauen Himmelsgewölbe, atmen dieselbe Luft und trinken dasselbe Wasser. In wenigen Worten: Alle werden durch dieselben Elemente von Erde, Wasser, Feuer, Luft und Äther erhalten.

 

Und wiederum erfreuen sich alle derselben Vorzüge. Alle haben die gleichen Augen, um zu sehen, die gleichen Ohren, um zu hören, die gleichen Glieder, um sich zu bewegen und die Kraft der Artikulation, um zu sprechen. Keiner ist der natürlichen Werkzeuge beraubt, denn die Natur gewährt allen die gleichen Möglichkeiten und bietet jedem denselben Schutz.

 

Alle menschlichen Wesen, hier, dort und überall, sind Kinder des einen Vaters und bilden die Glieder der unzerbrechlichen Kette der Gottheit, wie die Perlen an der Schnur. Versucht man, nur eine von ihnen zu beschädigen, wird die ganze Kette davon betroffen. Darum gebieten die Heiligen nachdrücklich, niemanden zu verletzen.

 

                                    Wenn du nach Vereinigung mit dem Herrn verlangst,

                                    dann quäle keines Menschen Herz.

                                                                                                                        Shalok Farid

 

Guru Nanak sagt: Laßt jeden von uns Gleichheit mit der ganzen Schöpfung atmen und mit grenzenlosem Mitleid, das aus dem Innersten unseres Herzens kommt, auf die Welt schauen. Dies hat er in schönen Worten kundgetan:

                                   

O Nanak - mögen wir uns auf dem Strom des heiligen Naam

(dem göttlichen Wort) in Deine Gegenwart erheben und der

ganzen Welt nach Deinem Willen Frieden wünschen.

 

 

Warum existiert dann all diese Verschiedenheit in den äußeren Symbolen und dem Brauchtum der einzelnen Religionen? Der meister erklärt, daß dies auf die jeweiligen Umstände und Sitten, die in den verschiedenen Ländern herrschen, zurückzuführen ist. Es heißt:

                                   

Die Hindutempel und die Moscheen der Moslems,

                                    sind ein und dasselbe.

                                    Die Verehrungsweise der Hindus und das Namaz

                                    der Moslems sind Ihm gleich.

                                    Die ganze Menschheit ist nur eine Emanation

                                    derselben Lebensquelle.

                                    Die Unterschiede zwischen den Menschen verschiedener

                                    Glaubensrichtungen - den Moslems, Hindus und anderer -

                                    beruhen auf den Sitten und der Lebensweise in ihren

                                    jeweiligen Ländern.

                                                                                                                        Guru Gobind Singh

 

Nehmen wir ein Beispiel - den Hut abzunehmen, ist im Westen ein Zeichen der Achtung, wohingegen es im Osten als Mißachtung angesehen wird. Dies bringt offensichtlich den äußeren Unterschied in der Verehrungsweise hervor. Die Christen wohnen ihren Gottesdiensten in der Kirche barhäuptig bei, während die Gläubigen des Ostens ihre Gebete immer bedeckten Hauptes verrichten.

 

Auch die klimatischen Einwirkungen bestimmen die Art des Rituals in erheblichem Maße. In Arabien, der Wiege des Islams, wird z.B. wegen der dort herrschenden Wasserknappheit Namaz (das Gebet) nach Wazu (Waschen von Gesicht, Händen und Füßen) verrichtet; aber wo es überhaupt kein Wasser gibt, müssen sie mit Tayumum zufrieden sein, das heißt, mit dem Gebrauch von Sand, um ihre Glieder vor dem Gebet zu säubern. Bei den Hindus in Indien wiederum wird reichlich Wasser gebraucht, da es in Fülle zu haben ist, und so gilt ein Bad vor der Ausübung religiöser Bräuche als unentbehrlich. Ähnlich liegt der Fall mit der Kleidung und anderen Dingen. Diese örtlichen Sitten haben sich auch auf die Religionen übertragen, die dort in Erscheinung getreten sind, und das ist der Grund für die Unterschiede im Ritual und Brauchtum, denen wir heute in den verschiedenen Religionen begegnen. Wiederum gibt es Unterschiede im Temperament der Menschen in den verschiedenen Teilen der Welt. Da jeder seinen eigenen Neigungen und seine eigene Denkweise hat, wäre es einfach grausam, wenn man allen dieselben Ansichten aufzwingen wollte. Dieser Tendenz zufolge haben wir die vielen Systeme und Geistesrichtungen, wie sie heute existieren und sich im Laufe der zeit weiter vermehren werden. Alle sind natürlich dafür gedacht, die Entwicklung des menschlichen Intellekts zu fördern. Die Menschen müssen darum selbst wählen, was das beste für sie ist, bis sie zuletzt zum subjektiven Aspekt der Religion kommen, der für die gesamte Menschheit derselbe ist.

 

Die subjektive oder wahre Religion bezieht sich auf ein ewiges Prinzip und nicht auf äußere Formen und Sitten, und darum ist sie universal. Sie besteht auf dem inneren spirituellen Fortschritt und heftet den Geist nicht an äußere Formen. Es ist der eine Aspekt, wo sich alle Religionen begegnen. Die gleiche Seite wird in den Lehren aller spiritueller Meister angeschlagen, die bisher unsere Erde besucht haben. Auf den folgende Seiten werden wir die Wahrheit bestätigt finden, indem wir Beispiele und Zitate bringen, welche diese Ansicht stützen.

 

Es gibt also zwei Aspekte der Religion: der eine ist der äußere, welcher die Schale darstellt, und der andere der subjektive, welcher den Kern oder die Substanz bildete. Der Mensch hat angefangen zu erkennen, daß die äußere Religion nur eine soziale Reform für eine bestimmte Klasse von Menschen anstrebt. Deren Fortschritt im Hinblick auf Religion, wobei sich jede ihre eigenen Regeln und Gesetze, die es zu beachten gilt, aufstellt, macht die Lebensführung leicht in Wohl und Weh. Es besagt, daß man alles allein für den Dienst an dieser Klasse Menschen aufgibt. Dies ist erforderlich für den Menschen, um in der Welt zu leben. Es hat die verschiedenen Gesellschaften und Gemeinschaften, die man heute vorfindet, zur Folge. Man kann sie als soziale Religion definieren.

 

Die subjektive Religion hingegen ist ganz unabhängig von irgendwelchen Gesellschaften und Gemeinschaften, obgleich diese den Oberbau bilden, der auf dieser festen Grundlage steht. Entartung ist das Merkmal der Zeit. Jene, von denen die sozialen Religionen ausgegangen sind und die sich der subjektiven Seite ganz bewußt waren, haben Spuren der Wahrheit hinterlassen, die durch die äußeren Riten und Bräuche hindurchscheinen, auf welchen sie begründet sind. Im Verlaufe der zeit überliefern die Nachfolger einfach diese Regeln und werden der großen und edlen Wahrheiten, um deretwillen sie einst ins Leben gerufen wurden, immer mehr unkundig. Unter diesen Umständen nimmt das Haften an äußeren Ritualen und Formen unvermeidlich den Platz der inneren Bedeutung ein, die sie einmal symbolisierten. Somit verbleibt der materielle Aspekt, und die Essenz geht verloren. Fanatismus, Bigotterie, Kastengeist und Sektierertum sind die unaufhaltbare Folge, wie die Anhänger aller Religionen in der einen oder anderen Form in ihrer Lebensweise verraten. Dies erklärt die Korruption, die in die Religion eingedrungen ist und sie statt zu einem Band der Vereinigung zum Zankapfel macht.

 

Der subjektive Aspekt der Religion scheint durch die lehren aller großen Schriften der Welt. Es gibt keine Religion, die nicht wenigstens einen Funken Wahrheit in sich hätte. So müssen alle Glaubensbekenntnisse von diesem Gesichtspunkt aus respektiert werden. Es ist die subjektive Seite der Religion, die von allen Meistern gelehrt wurde. Sie ist ein und dieselbe für alle; es gibt da keinen Unterschied zwischen irgendwelchen Klassen und Glaubensgemeinschaften. Alle sind willkommen, an der Wahrheit, ohne daß es ihrer jeweiligen Glaubensgemeinschaft schaden oder irgendeinen Abbruch tun könnte. Sie ist ein wesentlicher Bestandteil aller Religionen und gewährt den Menschen eine tiefe Einsicht in ihre eigene Glaubensrichtung. Die subjektive Religion ist nicht Sache der Bücher. Unsere eigenen Erfahrungen sollen die Wahrheiten, welche in den verschiedenen Religionen gelehrt werden, bestätigen.

 

Wir wollen fortfahren, die innere Phase der Religion zu untersuchen, so wie es Guru Nanak gemeint hat.

 

Der Meister erklärt die grundlegenden Prinzipien. Es gibt ein Wesen, welches der Schöpfer ist und der grundlose Urgrund von allem ist. Durch seinen ewig-aktiven Willen, der alles durchdringt, hat Er das ganze Universum geschaffen. Die Wissenschaftler sind nunmehr dabei, in der Vielfalt der großen Welterscheinungen eine Einheit herauszufinden. Sie verfolgen die ganze Schöpfung zurück zu dem einen ersten Urgrund, aus dem heraus sich alles entfaltet hat. Daraus folgt unweigerlich, daß es nur eine Ursache gibt, die die ganze Schöpfung erhält. Gleich der Sonne, welche die verantwortliche Kraft für den Wechsel der Jahreszeiten und das Gedeihen der Pflanzenwelt ist, gibt es auch ein Wesen, das für all die Phänomene der Welt verantwortlich ist. Der Meister sagt: „Es gibt ein Wesen“. Das Zahlwort „eins“ wird nur angewandt, um den Absoluten .- den Unaussprechlichen - zu bezeichnen. Da wir begrenzt sind, drücken wir Ihn in begrenzten Worten aus.

 

                                    Du bist jenseits aller Begrenztheit,

                                    doch wir, die wir begrenzt sind,

                                    rühmen Dich mit begrenzten Worten.

                                    Wie können wir wissen, wie groß Du bist?

                                                                                                            Sorath, M.5

 

                                    Wer immer das Mysterium kennt, das durch die

                                    Zahl „Eins“ ausgedrückt ist, wird eins mit Ihm.

                                                                                                           

Ramkali M.1

 

Was ist der göttliche Wille und wie wird er offenbart?

 

„Seinen Willen zu dem eigenen zu machen“ ist das Mittel, durch das man Ihn erreichen kann. Der Wille selbst macht jede Beschreibung unmöglich. Aber um uns wenigstens einen Begriff davon zu geben, erklärt ihn Guru Nanak bis zu einem gewissen Grad in Vers II. Er kann als etwas definiert werden, das das Universum erschafft und auflöst und das eine bewußte Wesenheit im Hintergrund hat. Das Absolute ist unaussprechlich, unvorstellbar und namenlos. Als Es ins Dasein kam, wurde Es „Wort“ oder „Naam“ genannt, das der Urgrund aller Schöpfung ist. Das Wort kann als der alles durchdringende Geist betrachtet werden, welcher die großen Erscheinungen der Welt zustande bringt. Der Wille ist mit dem alles durchdringenden Geist identisch; aber wir dürfen uns ihn nicht als blind vorstellen, denn er ist intelligent, empfindlich und zielbewußt. Dieser immer aktive Wille, der durch die täuschende Materie verhüllt ist, kann nur enthüllt werden, wenn man seinen persönlichen Willen auf ihn abstimmt. Alle anderen Mittel versagen. Des Menschen Wege sind alle vergebens.

 

 

 

So sagt der Meister:

                       

Wer sich selbst Seinem höchsten Willen überläßt,

                                    gelangt zum Ziel; nichts anderes hilft,

                                    um dieses Ziel zu erreichen.

                                                                                                            Ramkali War M.1

 

Der göttliche Wille wird dem Menschen durch die Verbindung mit dem heiligen Naam - dem göttlichen Wort - enthüllt. Die Wörter Naam, Bani, Akath katha (unbeschreiblicher Gesang), Nad, Shabd, Gurmat wurden vom Meister in seinen Gesprächen für die „eine bewußte Wesenheit“ gebraucht, die hinter der ganzen Schöpfung wirkt.

 

Der objektive und der subjektive Aspekt von Naam

 

Dieses Prinzip hat wiederum zwei Aspekte, von denen der eine objektiv und der andere subjektiv ist. Der objektive bezieht sich auf die verschiedenen Eigenschaften, die seiner Offenbarung zugehören. Er hat seinen besonderen Wert, mit dem wir uns später unter dem Abschnitt Simran befassen werden. Der subjektive Aspekt ist die „grundlegende Wirklichkeit“, die in allen religiösen Schriften im Kern enthalten ist. Ohne sie kann es keine Schöpfung und keinen spirituellen Fortschritt geben. Ohne sie kann auch nichts ins Dasein treten. Dies kann durch ein einfaches Beispiel, sagen wir das des Wassers, verständlich gemacht werden. Das Wort „Wasser“ ist der Name, aber nicht die Sache selbst, die es bezeichnet. Genau so hat Naam oder das Wort seine zwei Aspekte, von denen der eine der Name und der andere der bewußte Geist ist, der damit bezeichnet wird und der hinter aller Schöpfung am Werk ist. Es ist sehr schwer, dies alles in Worten auszudrücken.

 

Naam, die subjektive Wirklichkeit, oder das Wort, war von allem Anbeginn und vor aller Schöpfung. Es war ein „Namenloses Etwas“, welches Gott war, von dessen bewußter Offenbarung ein Wunsch projiziert wurde, was eine Vibration ergab und diese Vibration brachte sich selbst durch das Licht- und Tonprinzip zum Ausdruck. Indem der bewußte Strom herabkam, bildete er die spirituellen Ebenen. Beim weiteren Abstieg wurde er zum Urheber der spirituellen-materiellen und der materiellen Schöpfungsebenen. Dieser Bewußtseinsstrom ging von Gott aus und er ist der Schöpfer und Erhalter des gesamten Universums mit seinen verschiedenen Ebenen und Unterebenen. Der Begriff Shabd oder Wort wie Nanak ihn gebraucht, bezeichnet den spirituellen Strom, der sich durch das Lichtprinzip zum Ausdruck bringt und in seiner ganzen Fülle in den subtilen spirituellen Bereichen ertönt. Dieses Naam oder Wort hilft bei der Erhebung des Geistes, der dem Wesen nach von der gleichen Substanz wie Naam ist und durch das letztere angezogen wird; denn „der Geist ist der Odem Gottes“ (Bibel). „Der Geist ist die Seele Gottes“ (Koran). Alle Heiligen, die entweder vor oder nach Guru Nanak in die Welt gekommen sind, haben zum Ruhme dieses schöpferischen Lebensprinzips oder des Wortes gesungen. Ein paar Zitate werden den Leser von der grundlegenden Wahrheit überzeugen, die in allen religiösen Büchern niedergelegt ist.

 

Zeugnisse aus den verschiedenen Religionen

 

CHRISTENTUM:

 

 

 

 

Johannes sagt darüber in seinem Evangelium:

 

                        Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott,

                        und Gott war das Wort. Dasselbige war im Anfang bei

                        Gott. Alle Dinge sind durch dasselbige gemacht,

                        und ohne dasselbige ist nichts gemacht, was gemacht ist.

                                                                                                           

Joh.1, 1-3

 

                        Der Himmel ist durchs Wort des Herrn gemacht.

                        Denn so er spricht, so geschieht´s;

                        so er gebeut, so stehet´s da.

                                                                                                           

Psalm 33,6 u.9

 

                        ... und trägt alle Dinge mit seinem kräftigen Wort...

                                                                                                           

Hebr.1,3

 

                        Das Gras verdorret, die Blume verwelkt;

                        aber das Wort unseres Gottes bleibet ewiglich.

                                                                                                           

Jes.40,8

 

                        Herr, dein Wort bleibt ewiglich, soweit der Himmel ist.

                                                                                                           

Psalm 119,89

 

Und Paulus sagt:

 

                        Denn das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer

                        denn kein zweischneidig Schwert, und dringt durch,

                        bis daß es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein,

                        und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens.

                                                                                                           

Hebr.4,12

 

HINDUISMUS:

 

Nach den theologischen Schriften der Hindus ist die ganze Schöpfung durch Nad entstanden. Sie nennen es auch Akash Bani (eine Stimme, die vom Himmel herunterkommt); auch in den Veden, den ältesten Schriften der Welt, finden wir Hinweise darauf. In den Upanishaden lesen wir ebenfalls darüber wie z.B. in der Nad-Bind Upanishad, die sich damit in sehr anschaulicher Weise befaßt. Die Hatha-Yoga Pradipika (Schrifttum über Hatha Yoga) spricht ebenfalls über dieses Tonprinzip.

 

                        Er hat den Beistand des Wortes genommen,

                        das heißt den wohlklingenden Ton.

 

                                                                                                Chandogya Upanishad

 

                        Möge der Yogi im Sidh Asan sitzen, und während er

                        Vaisnavi mudra übt, soll er den Ton durch sein rechtes Ohr

                        hören.

                                                                                                Nad-Bind Upanishad

 

                        Durch die Verbindung mit dem Wort wird er taub für die

                        äußeren Töne, und er wird Turiya Pad oder einen Zustand

                        des Gleichgewichts innerhalb von vierzehn Tagen erlangen.

 

                                                                                                Nad-Bind Upanishad

 

                        Zuerst gleichen die brausenden Töne jenen der

                        Meereswogen, dem Fallen des Regens, dem Rauschen des

                        Baches, und dann wird Bheri gehört, untermischt mit

                        den Klängen der Glocke und der Muschel etc.

 

                                                                                                Nad-Bind Upanishad

 

Madame Blavatsky, die Begründerin der Theosophischen Gesellschaft, hat in ihrem Buch „Die Stimme der Stille“ erklärt, daß verschiedene Töne gehört werden, wenn die Verbindung aufrechterhalten wird:

 

                        Die erste ist gleich der süßen Stimme der Nachtigall,

                        die ihrem Gefährten ein Abschiedslied singt. Die zweite naht

                        wie der Klang einer  Silberzymbel der Dhyanis,

                        die die funkelnden Sterne erweckt. Dem folgen die

                        Klagelieder des Meeresgeistes, der in einer Muschel ge-

                        fangen ist. Und dann erklingen die Weisen der Veena.

                        Die fünfte ertönt im Ohr gleich dem Ton einer Bambus-

                        flöte. Diese wandelt sich alsbald in Trompeten-

                        geschmetter; es zittert wie das dumpfe Rollen einer

                        Gewitterwolke. Der siebente schluckt alle anderen Töne;

                        sie ersterben, und dann wird nichts mehr gehört.

 

ISLAM:

 

Unter den Moslem Sufis ist es als Sultan-ul-azkar (König der Gebete) bekannt. Ein anderer Sufi-Orden nennt es Sauti-i-Sarmadi (göttlicher Gesang). Sie nenen es auch Nida-i-Asmani (der Ton, der vom Himmel herunterkommt), Kalam-i-qadim (der uralte Ton) und Kalma oder Wort. Die vierzehn Regionen wurden durch Kalma oder das Wort erschaffen.

 

Khawaja Hafiz, ein großer Heiliger, sagt:

 

                        Vom Himmelsstürmchen ruft es dich nach Hause;

                        doch gefangen in der Falle hörst du es nicht.

                        Keiner weiß, wo die Wohnstatt des Geliebten liegt,

                        doch bestimmt kommt das Geläut der Glocken

von dort her...

 

                        Nimm den Stopfen aus deinen Ohren

                        und höre die Stimme der Befreiung, die zu dir dringt.

                        Hänge nicht an der materiellen Welt;

                        das Elixier des Lebens kommt von oben.

                        Der Pulsschlag der Liebe, der in den Himmeln ertönt,

                        sendet den Seelen der Ergebenen seine Segnungen.

 

Maulana Rumi sagt in seinem Masnavi:

 

                        Verbanne alle Skepsis aus deinem Herzen und

                        stimme dich ab auf die himmlischen Weisen;

                        so erlangt deine Seele Botschaften von weither.

                        Welche? - Schimmer des Ungeoffenbarten.

                        Wollte ich sprechen von diesen süßen Melodien,

                        würden sich selbst die Toten aus ihren Gräbern erheben.

 

Und wieder heißt es:

 

                        Erhebe dich über den Horizont, o tapfere Seele,

                        und lausche den Melodien, die aus den höchsten Himmeln

                        herunterklingen.

                       

Der Prophet Mohammed sagt:

 

                        Die Stimme Gottes dringt an meine Ohren

                        wie alle anderen Töne auch.

 

Shah Niaz, ein anderer Moslem-Heiliger, erklärt:

 

                        Die Seele ist der Wille und das Geheimnis Gottes. Ihre

                        Meditation geschieht ohne Hilfe von Zunge und Gaumen.

                        Doch leider bist du festgebunden im physischen Kerker

                        und kannst Gottes Wort nicht hören! Mein Geliebter

                        spricht die ganze Zeit zu dir; doch wehe, du hörst Seine

                        Stimme nicht. Das ganze Universum klingt wider von

                        dem Ton, und du brauchst nur die Tür deines Ohres zu

                        öffnen. Um das Ohr zu öffnen, genügt es, nicht auf die

                        äußeren Töne zu hören. Machst du es, so wirst du den

                        unaufhörlichen, endlosen Gesang vernehmen. Er ist ewig,

                        hat weder Anfang noch Ende, und darum wird er Anhad

                        (ohne Grenzen) genannt. Ohne dieses Wort - die ewige

                        Musik -, ein Ausdruck des Unendlichen, wäre die Welt

                        nicht entstanden. So verbinde dich mit dem melodischen

                        Klang und verliere dich in Ihn, o kluger Mensch.

 

Kabir Sahib kündet:

 

                        Ohne das Wort, den Ton, oder des Ewigen Sang

                        kann die Seele nicht sehen. Wohin könnte sie gehen?

                        Da sie das Mysterium des Wortes nicht ergründen kann,

                        wandert sie von Ort zu Ort.

                                                                                                            Kabir

                        Das Gemüt verlangt nach dem Bösen, aber durch

                        das Wort hält es der Meister davon ab.

                                                                                                            Guru Teg Bahadur

                        Mit der Hilfe des Wortes überquert die Seele das

                        endlose Meer der Materie; darum verherrlicht der

                        geringe Nanak Sein Naam (das Wort).

                                                                                                            Ram Kali M.1

                        Das Wort ist Erde und auch Äther.

                        Beide haben ihr Sein durch das Wort.

                        Dieses Wort drückt sich auch noch durch andere Aspekte aus.

                        Die ganze Schöpfung existiert durch das Wort.

                        O Nanak! Dieses endlose Wort

                        klingt in jedem Herzen wider.

                                                                                                            Janamsakhi M.1

 

                        Das alles durchdringende Wort hat meinen Geist angezogen.

                        Was habe ich noch zu bedenken? Die Verbindung der Seele

                        mit dem Wort bringt ewige Wonne mit sich. Einssein mit

                        dem Herrn bewirkt das Wesen von Freude und Frieden.

 

                                                                                                            Sri Rag M.1

 

                        Ich bin befreit, der Gottmensch hat meine Fesseln gelöst.

                        Durch die Verbindung der Seele mit dem Wort erwarb ich

                        den prächtigen Ehrensitz. O Nanak! Das alles durchdrin-

                        gende Naam oder Wort wohnt allen Herzen inne. Die

                        Gemeinschaft mit dem Gurmukh schafft die Verbindung

                        mit Ihm.

                                                                                                            Malar M.1

                       

                        Weit entfernt, am anderen Ufer ist mein Geliebter.

                        Des Gottmenschen Wort allein bringt die Seele hinüber.

                        In der Gemeinschaft der Heiligen hat der Mensch alles

                        und bereut niemals.

                                                                                                            Tukhari M.1

 

                        Wie kann der Unwissende an das Prinzip der Vereinigung

                        der Seele mit dem Wort gelangen? Ohne die Verbindung

                        mit dem Wort kommt und geht die Seele immer wieder.

                        O Nanak! Der Gurmukh, der selbst befreit ist, wird dem

                        barmherzigen Gesetz des Herrn gerecht.

                                                                                                            Maru M.1

 

                        Die Schöpfung wie die letztliche Auflösung des Universums

                        wird durch das Wort verursacht; und durch das Wort tritt

                        es von neuem in Erscheinung.

                                                                                                            Majh M.3

 

                        Durch pures Glück wird der Herr unser.

                        Das endlose Lied (das Wort) erklingt überall und weist

                        den Weg zu Seinem Reich.

                                                                                                            Bilawal N.5

 

                        Das Wort schuf alle weltlichen und himmlischen Systeme.

                                                                                                            Gauri M.5

 

                       

Tulsi Das sagt:

 

                        Der ist der wahre Heilige, der über das Geheimnis des

                        göttlichen Wortes (des Ewigen Sang) spricht. Er hat das

                        Unerkennbare und Unausdenkbare erforscht und hat Bani

                        (des Ewigen Sang) verwirklicht.

           

Doolan Sahib erklärte:

 

                        Das Wort ist das Schloß und auch der Schlüssel dazu.

                        Mit den Ketten des Wortes sind alle verbunden. Der Herr

                        wohnt der Form des Wortes inne, und ich verneige mich zu

                        seinen Füßen.

 

Und von Charan Das hören wir:

 

                        Seit ich das grenzenlose göttliche Lied (Anhad) hörte, das

                        durch alles hindurch ertönt, sind die „Indriyas“ (Sinnes-

                        organe) des Wanderns müde, und das Gemüt gab all seine

                        Verzweigungen auf. Alle Wünsche sind erfüllt. Wie von

                        Sinnen habe ich mich an das Wort verloren und völliges

                        Einssein mit Ihm erlangt.

 

Soami Shiv Dayal Singh Ji beschreibt das Wort wie folgt:

 

                        Der Ton oder das Wort ist die Grundursache

                        und der Inbegriff von allem.

                        Die drei Regionen und auch die vierte

                        hat das Wort hervorgebracht.

                        Wort und Geist sind desselben Ursprungs,

                        sie kommen beide aus dem Namenlosen Einen.

                        Es ist die Ursache und auch die Wirkung;

                        alles wurde durch das Wort gemacht.

                        Das Wort ist der Lehrer wie auch der Schüler,

                        und es erklingt in jedermanns Herz.

                        Das Wort ist das Wasser, und es ist auch der Fisch.

                        Kabir sprach nur von diesem Wort.

                        Nanak und Tulsi taten dieselbe Wahrheit kund.

                        Der König und Sein Gesandter

                        sind personifiziertes Wort.

 

Radha Soami (der Herr des Geistes) sagt:

 

                        Mein tapferer Sohn, lausche dem Wort.

 

Das Wort (der Ton) erschallt und tönt in der ganzen Schöpfung wider. Es gibt keinen Ort, an dem es nicht ist. Es klingt im lebendigen Tempel des menschlichen Körpers. Das Wort ist das Bindeglied zwischen Mensch und Gott. So ist jeder Körper die Wohnstatt des Allmächtigen.Es ist das heilige Naam - das Wort -, das alle Poren unseres Körpers durchdringt. Mit seiner Hilfe müssen wir unsere Schritte zurückverfolgen zu der Quelle, von der wir ausgegangen sind. Dies ist wahrhaftig der einzige Weg zurück zu Gott. Einen anderen gibt es nicht.

 

Der Meister sagt:

 

                        Wenn wir und den unzähligen äußeren Formeln und

                        Ritualen hingeben, können wir dem inneren Feuer des

                        Verhaftetseins nicht entkommen. Du magst Millionen

                        Wege gehen und zahllose Systeme schaffen; doch nicht ein

                        einziges findet Geltung in Seinem Reich.

 

Das Wort zieht uns von den äußeren Bindungen weg und geht wieder zu seinem Ursprung zurück. Es ist der Weg, den Guru Nanak lehrte und ebenso die neun Sikh-Gurus, die nach ihm kamen. Namdev, Ravidas, Kabir und andere, deren Schriften im Guru Granth Sahib ihren Platz fanden, waren alle Lehrer des Surat Shabd Yoga oder der Wissenschaft von der Verbindung der Seele mit dem Wort. Es gab noch weitere, wie Dhruva, Prehlad, Tulsi, Shamas Tabrez, Maulana Rumi, Hafiz Shirazi und Soami Shiv Dayal Singh lehrten jeder zu seiner Zeit dieselbe Wahrheit.

 

Das heilige Naam oder das Wort, kann von jedermann praktiziert werden, und zwar ohne die Tätigkeit der Zunge oder des Gaumens. Es erfordert keine Bindung an die äußeren Vorschriften einer sozialen Religion. Das Wort kann definiert werden als der Geistes-Strom, der von dem Einen Wesen ausgeht. Während seines Abstiegs bildet es alle spirituellen und materiellen Ebenen und ertönt innerhalb und außerhalb derselben. Da die niedrigeren Ebenen weniger subtil sind und stofflicher als die oberen, wechselt das Wort dementsprechend im Ton, indem es herabsteigt. Es muß durch fünf Ebene hindurch und nimmt demzufolge fünf verschiedene Ton-Arten an. Es sind somit fünf Aspekte ein und desselben Wortes.

 

Guru Nanak befaßt sich in Vers XV des Jap Ji sehr ausführlich damit. Der ganze Guru Granth Sahib ist voll von schönen Schilderungen, die das Wort erläutern. Es gibt da keine Hymne, die nicht von Ihm spricht. Ein paar Zitate mögen an dieser Stelle genügen. Für erschöpfende aussagen wird dem Leser nahegelegt, die umfangreiche Schatzkammer selbst in Anspruch zu nehmen.

                       

Durch den Ratschluß der ewig dahingleitenden Feder des

                        Schöpfers wurden wir nach den Unterweisungen des

                        Meisters mit dem Herrn verbunden. Wir hörten die fünf

                        Töne, die in Seiner Gegenwart erklangen, und so erfreuten

                        wir uns der Verbindung mit dem Herrn.

                                                                                                            Mali M.5

 

                        Tag und Nacht bin ich mit dem Herrn verbunden, und

                        dies mit völlig überzeugtem Herzen. Der Tempel meines

                        Körpers wurde dadurch verschönt. Es erklingen die fünf

                        Töne der grenzenlosen Musik - des Wortes.

                                                                                                            Suhi M.1

 

                        Die fünf Töne werden hörbar nach den Unterweisungen

                        eines Gurmukh - des personifizierten Wortes. Groß ist das

                        Glück dessen, der sie hört. Ich sehe, wie die Quelle des

                        Friedens und der Freude (das Wort) alles durchdringt.

                        Durch das Wort trat der Herr in Erscheinung und offen-

                        barte sich.

                                                                                                            Kanra M.4

 

                        Die fünf Töne der unbegrenzten Musik (das Wort) er-

                        klingen in mir. Ich werde von ihnen angezogen wie der

                        Sarang (Seevogel) beim Anblick von Wasser. So wird

                        Dein Sklave Kabir in Dir, o Herr, dem Unerkennbaren,

                        der jenseits des menschlichen Begreifens liegt, verherrlicht.

 

                                                                                                            Parbhati Kabir

 

                        Der Herr, der sich in den fünf Tönen des Wortes offenbart,

                        ist gekommen.

 

Guru Nanak sagt:

 

                        Er ist der wirkliche Lehrer, der die wahre Heimat im

                        Tempel des Körpers zeigt, in dem fünf verschiedene Ton-

                        stöme erklingen, und der einen Hinweis auf das heilige

                        Naam gibt.

                                                                                                            Malar War M.1

 

                        Das Wort ist der Guru. Die Seele ist der Schüler

                        des Wortes - des wohlklingenden Gesangs.

                                                                                                            Ramkali M.1

 

                        Alle Diener, die den fünf Tönen begegnen, werden

                        Gurmukhs (oder ergebene Schüler) und erreichen ihre

                        wahre Heimat im Innern. Wer durch die Praxis des Wortes

                        seine wahre Heimat findet, dem wird Nanak wahrhaft

                        dienen.

                                                                                                            Malar War M.1

 

Bhai Gurdas, ein Sikh-Weiser, sagt uns in unmißverständlichen Worten:

 

                        Diese fünf Töne werden gehört, wenn wir uns über den aus

                        fünf Elementen geschaffenen Körper erheben.

                        Wenn die Sphäre der fünf Elemente überschritten ist,

hörst du die fünf Töne mit ihrer lieblichen und machtvollen Melodie.

 

Die anderen Heiligen haben über dasselbe Thema auf gleiche Weise gesprochen.

 

So sagt Shamas Tabrez:

 

                        Tagtäglich ertönen die fünf Trommeln an Seiner Schwelle,

                        die von Seiner Größe künden.

                        Wer dieses Trommelschlagen hört, ist befreit von Neid

                        und Egoismus und überschreitet die Endlichkeit.

 

Hafiz Sahib erklärt:

 

                        Bringe dich selbst zum Schweigen und lausche dem Klang

                        der fünf Trompeten, der aus dem Himmel herunter-

                        dringt - vom Himmel, der über allen Himmeln liegt.

                        Ich legte das Ohr meiner Seele an die Schwelle

                        meines Herzens und hörte das verhüllte Mysterium;

                        aber ich sah keinen, der seinen Mund auftat.

                                                                                                            Kanra M.4

 

Die unterschiedlichen Töne

 

Es gibt viele Töne, die in den verschiedenen Regionen der Schöpfung erklingen und widerklingen. Sie lassen sich in zwei Kategorien einteilen:

 

1) Töne, die von der linken Seite kommen. Dies sind negative und materielle Töne, die mit den jeweiligen eingewurzelten Keimen der inneren Neigungen zusammenhängen. Der Ergebene wird von diesen Tönen wohl oder übel angezogen. Wenn man von einem dieser verführerischen Töne, die von der linken Seite kommen, bezaubert wird, findet man sich in die tiefste Tiefe eines bodenlosen Abgrunds der Leidenschaft geworfen, dem der bestimmte Ton, dem man folgt, zugeordnet ist. Denn diese Töne haben einen Zug nach außen und nach unten. Durch eine solch mißliche Lage wird die Arbeit von Jahren fruchtlos, und die Umstände sind gegen die Pilgerseele. Deswegen muß man diesen Tönen unbedingt ausweichen, denn sie führen vom spirituellen Pfad weg.

 

2) Die anderen Töne kommen von der rechten Seite. Sie gehören den spirituellen Ebenen an und sind somit positiver Natur und rein spirituell, mit dem charakteristischen Zug nach innen und oben.

 

Diese zwei Ton-Arten sind sich sehr ähnlich und gleichen einander so sehr, daß man sie tatsächlich nur schwer voneinander unterscheiden kann.

 

Maulana Rumi ermahnt uns daher, in der Unterscheidung der rechten Töne Sorgfalt walten zu lassen, und sagt:

 

                        Es gibt Töne niedrigerer Natur, welche den höheren Tönen sehr

                        ähnlich sind; doch sie haben einen Zug nach unten und

                        treiben einen in den Abgrund.

 

Die besonderen Töne, die den Zug nach oben haben, sind fünf an der Zahl, wie die verschiedenen Heiligen festgestellt haben; sie können durch ihre Gnade erfaßt und in Gemeinschaft mit ihnen berührt werden. Diese Töne tragen die Wirkung der spirituellen Ebenen in sich, von welchen sie ausgehen, und rufen so bei dem, der mit ihnen in Verbindung kommt, die gleiche Wirkung hervor. Sie haben dazu ihre eigenen himmlischen Melodien. Ihre berauschenden Weisen entpersönlichen die Seele, indem sie sie von den Geschehnissen des irdischen Lebens befreien.

 

Wer sich dem Feuer nähert, wird gewärmt, und dabei hat es nichts zu sagen, ob er es aus eigenem Antrieb tut oder nicht. So kann das heilige Naam oder der göttliche Gesang dich nur dann beeinflussen, wenn du ihm nahe kommst, ob du es willst oder nicht und ganz gleich, ob es zur rechten oder zur unrechten Zeit ist. Die Kraft Gottes kann nicht anders als dich beeinflussen, wenn du einmal mit ihr in Verbindung kommst.

 

Die äußere Musik hat auf alle lebenden Wesen einen unglaublichen Einfluß. Sie nimmt die schwere Last der bedrückenden Sorgen und der Ratlosigkeit weg, unter welcher man unaufhörlich stöhnt, und vertreibt jeden Gedanken an sie. Sie wäscht durch die wohlklingenden Melodien den Schmutz des Alltags fort und nimmt die Seele gefangen. Sie zieht das Gemüt von dem lärmenden Trubel der objektiven Welt zurück und sammelt es auf natürliche Weise, ohne Zuflucht zu irgendwelchen künstlichen Methoden zu nehmen. Musik ist wahrlich immer die Kunst der Heiligen gewesen.

                       

Welche Leidenschaft kann Musik nicht

                        erwecken oder stillen?

                                                                                                Dryden

 

So wunderbar ist die Wirkung der äußeren Musik. Wie groß wird dann erst der Zauber der inneren göttlichen Melodien sein? Sie haben ihren eigenen, unnachahmlichen Reiz. Sie sind überreich an spiritueller Vitalität, welche die Menschen über alle Leiden und Schmerzen hinweghebt, die das Fleisch ererbte. In Sturm und Drangsal kann man sich auf die inneren Töne abstimmen und unversehrt durch die drückenden Auswirkungen des weltlichen Lebens kommen.

 

Die spirituellen Töne sind eine Hilfe auf dem spirituellen Pfad, und ein kompetenter Meister gibt bei der Initiation vollgültige Instruktionen darüber, wie sie sich von einer Ebene zur anderen unterscheiden und wie man sie auf der Weiterreise zu den höchsten spirituellen Bereichen ergreifen kann. Hierin liegt die Notwendigkeit für eine Meisterseele, denn sie ist es, die Hari Naam, das göttliche Wort, in die Tiefen der Seele einflößt.

 

Ohne den Meister bleibt der Ewige Gesang immer ein verhülltes Mysterium, zu dem es keinen Zugang gibt. Da er die personifizierte Musik ist, liegt es innerhalb seiner Zuständigkeit, sie zu offenbaren und hörbar zu machen und so den Menschen zum Thron des Allmächtigen zu leiten.

                       

Ein Gurmukh (Heiliger) kann durch die belebende

                        Einwirkung seines eigenen Lebensimpulses

                        (das heilige Naam) Millionen Seelen befreien.

                                                                                                            Sorath M.3

 

 

Definition von Trübsal und Freude

 

Es ist eine Sache allgemeiner Erfahrung, daß wir uns selbst vollkommen vergessen, wenn wir von etwas gänzlich in Anspruch genommen sind. Diesen gesegneten Zustand des Selbstvergessenens erreichen wir nur, wenn wir die Aufmerksamkeit festigen; und in dem Augenblick, in dem wir wieder davon abgekommen sind, empfinden wir unsere Umwelt und lassen uns selbst durch bedeutungslose Dinge des Lebens erregen. Da wir unser ganzes Leben lang Freude in den weltlichen Dingen suchten, haben wir uns mit ihnen identifiziert. So wissen wir auch nichts von der echten und dauerhaften Glückseligkeit, die entfernt von diesen in den Tiefen unseres eigenen Selbst oder der Seele liegt. Es wird niemals gelingen, uns der sogenannten weltlichen Freude zu entwöhnen, solange wir uns nicht nach innen kehren, um etwas Besseres zu kosten.

 

Die ganze Welt geht irre in der Suche nach dem Zentrum wahrer Glückseligkeit und Wonne. Die materiellen Dinge können uns wegen des beständigen Wandels, dem sie ihrer Natur nach unterworfen sind, kein Glück geben. Zudem haben die äußeren Dinge als solche keine Freude in sich; es ist vielmehr unsere eigene Bindung an sie, die uns angenehme Empfindungen bereitet. Aber die Dinge haben ihrer vergänglichen Natur entsprechend dem wechselnden Panorama des Lebens zu folgen. Durch diesen kaleidoskopischen Wechsel wird natürlich das Gemüt verwirrt und zerstreut und ist darum sehr häufig unglücklich. Ewige Wonne und wahres Glück kann man nur erlangen, wenn man sich mit etwas verbindet, das in sich beständig, unwandelbar und ewig ist.

 

Die schwindenden Reize von „Mutter Natur“ können dem Menschen kein Glück im wahren Sinne des Wortes verschaffen.

 

Darum sagt Guru Nanak:

                       

Wer auch immer nach ewiger Freude sucht, möge sie

                        im alles durchdringenden Geist (Naam) suchen.

                                                                                                            Shalok M.9

 

Um das Gemüt von den nach außen strebenden Sinnen zu befreien, muß es mit den lieblichen Symphonien der inneren Musik der Seele, dem Wort, das in und durch alles hindurch erklingt, in Einklang gebracht werden. Da die Musik ewig ist, wird unsere Bindung an sie eine ewige sein, und wir werden dabei keinen Wandel und keinen Schmerz erleiden. Das Gemüt wird nicht weiter den äußeren Dingen nachlaufen, wenn es einmal von den Tönen der ewigen Musik gefangen genommen ist. Mit ihrer Hilfe erhebt sich die weltmüde Seele in die höheren spirituellen Regionen. Das Wort hat sein eigenes, ihm angeborenes strahlendes Licht und seinen Klang, der unbeschreiblich süß ist. Wo eine Vibration ist, hört man einen Ton. Auch das Licht ist eine unvermeidliche Folge der Vibration, denn Licht und Ton gehen Hand in Hand.

 

                        Wo funkelndes Licht ist, dort ertönt die endlose Musik.

 

                                                                                                            Sorath Namdev

 

Guru Nanak hat sich mit den zahllosen Wohltaten, die einem aus der Verbindung mit dem inneren Ton, dem Wort, zukommen, in Vers VIII bis XV des Jap Ji befaßt.

 

Vorteile, die sich aus der inneren Verbindung der Seele mit Naam oder dem Surat Shabd Yoga ergeben

 

Diese Segnungen können nach physischen, moralischen, mentalen und spirituellen Gesichtspunkten eingeteilt werden.

 

Naam hält Körper und Gemüt in einem Zustand der Ausgeglichenheit. Seine Ergebenen haben vollkommenen Frieden, und die Verästelung des Gemüts werden für alle Zeiten beseitigt. Alles Begehren verliert seinen Einfluß auf das Gemüt. Der Verstand wird beruhigt, er setzt der verheerenden Hast ein Ende, und damit schwinden alle nervösen Spannungen und alle mentalen Mühen und Belastungen. Naam verleiht Immunität gegen alle körperlichen und weltlichen Leiden und Sorgen. Wenn man die Aufmerksamkeit nach innen zurückzieht, wird das Gemüt ruhig, und die Seele wird von allen mentalen Konflikten frei. Selbst die Ichsucht - die älteste Krankheit des Menschen - verliert sich in nichts, und damit nimmt der beständige Tanz des Kommens und Gehens in dieser Welt ein Ende. Der Prozeß der Seelenwanderung ist nur der natürliche Begleitumstand des selbstbestimmenden Willens oder der Ichsucht.

 

Guru Nanak sagt darum:

                       

Immer wenn man glaubt, daß das kleine „Ich“ die Dinge

                        tut, nimmt man die nie endende Rolle eines immer-aktiven

                        Handelnden an, der für sein Tun verantwortlich ist,

                        und verfängt sich in dem verwickelten Netz der Seelen-

                        wanderung.

                                                                                                            Gauri Sukhmani M.5

 

Das einzige Mittel, um diesem endlosen Zyklus der Geburten und Tode zu entgehen, ist somit das Ausmerzen des Ego. Es ist ein eindeutiger Prüfstein derjenigen, die das Einssein mit der ewig-existierenden Gottheit, dem spirituellen Strom, der die Welt durchdringt, verwirklicht haben. Alle unternommene Arbeit, die der gänzlichen Selbstbtötung dient, ist darum ein Bemühen in der rechten Richtung. Man nennt es Loslösung der Seele von den Wechselfällen des Lebens oder Befreiung von allem, was weltlich ist. Mit einem Wort, das Geheimnis liegt in der Entpersonifizierung der Seele von allem, was an ihr persönlich ist, denn dann trifft man die Wurzel allen Übels. Die Empfehlungen, welche für dieses Verlieren des „Ich-Bewußtseins“ heutzutage die Welt überfluten, lassen uns das Ziel, die Befreiung, nicht erlangen. Denn mit solchen Methoden nährt sich nur das Ego und wird immer stärker, ohne das es ausgelöscht würde. Solange man nicht ein bewußter Mitarbeiter am göttlichen Plan ist, kann man nicht selbstlos werden.

 

Die bloße Tatsache, daß wir da sind, erweckt den Wunsch in uns, den Lebensvorgang zu begreifen. Wieso und woher sind wir gekommen, und was geschieht nach dem Tode, ist die Frage. Die Entdeckung der Evolutionstheorie durch die moderne Wissenschaft befriedigt uns nicht ganz, denn sie befaßt sich nur mit dem Physischen und gibt keine Rechenschaft über die höheren Schöpfungsebenen, das heißt über die spirituellen Bereiche. Die alten Weisen erkannten, daß es keine Evolution ohne Involution geben kann. Die Wahrheit dessen, daß nichts aus dem Nichts kommen kann, beweist, daß die Involution der Evolution vorausgeht. Um die letztere zu erkennen, müssen wir die erstere verstehen; so wie wir die Ursache kennen müssen, damit wir um die Auswirkung wissen. Beides ist voneinander untrennbar.

 

 

Der grobstoffliche Körper ist nicht alles. Er hat noch zwei andere, feinstoffliche Körper in sich, den astralen und den mentalen, die aus feinerem und weniger zerstörbarem Stoff zusammengesetzt sind. Diese Körper bestehen aus Gemüt, Intellekt und dem Sinn des kleinen Ego „Ich“. In ihnen sind alle in den verschiedenen Lebensläufen gesammelten Eindrücke aufgespeichert. Nur wenn man den inneren Menschen studiert, kann man das Geheimnis der Evolution verstehen. Die Seele kämpft ständig, um die Bindung an die Materie und das Gemüt von sich abzuschütteln und sich zu Gott emporzuschwingen, von dem sie ausgegangen ist. Dieser Kampf kann nur ein Ende finden, wenn sie sich über die drei Regionen - die physische, astrale und kausale - erhebt und jeden Sinn für die Ichheit verliert, der die Ursache der Seelenwanderung ist.

 

Huxley sagt:

                        Wie die Lehre der Evolution selbst, so hat auch die

                        Seelenwanderung ihre Wurzeln im Bereich der Wirklichkeit.

Nur übereilige Denker werden dies mit der Begründung der

ihr anhaftenden Vernunftwidrigkeit ablehnen.

 

Das Auslöschen des Ich kann nur durch die Verbindung mit Shabd, dem Wort, vollbracht werden, wie es durch den Meister dargelegt wurde; ein anderes Mittel gibt es nicht.

 

Er sagt:

                        1) O Nanak! Durch die Gnade des Meisters wurden wir

                             errettet, und das Ego wurde in der Verbindung mit

                             Shabd (dem Wort) verzehrt.

 

                                                                                                                        Vadhans War M.5

 

                        2) Die ganze Welt wird in der Ichsucht verzehrt -

                            so geht sie immer durch den Zyklus der Geburten

                            und Tode. Die Unwissenden (jene, die dem kriecherischen

                            Wesen des Gemüts verhaftet sind) erkennen Shabd

                            nicht. Sie werden als Entehrte in die andere Welt gehen.

 

                                                                                                                        Sri Rag M.3

 

                        3) Die ganze Welt geht irre in der selbstischen

                            Behauptung ihrer Ichheit. Ohne Shabd (das Wort)

                            gibt es keine Befreiung vom Ego. O Nanak, durch

                            die Verbindung mit Naam wird das Ego ausgelöscht

                            und Einssein mit dem wahren Herrn erreicht.

                                                                                                                        Asa M.3

 

                        4) Die ganze Welt liegt in den Banden von Freude und

                            Leid, und all ihr Tun wird durch die Ichsucht beeinflußt

    und gelenkt. Ohne Shabd (das Wort) hört

                            der Aberglaube nicht auf zu bestehen, und das Ego

                            kann nicht vergehen.

                                                                                                                        Sri Rag M.3

 

 

                        5) Alle Wunschhaftigkeit und alle Gebundenheit wird

                            durch Shabd aufgelöst. Der Gurmukh findet das

    himmlische Licht im Innern.

                                                                                                                        Ramkali M.1

 

Wahrer innerer Verzicht gelingt nur durch die Verbindung mit Shabd. Die Natur mit all ihren dahinschwindenen Reizen verfehlt, auf den Entsagenden anziehend zu wirken. Wenn man alles aufgibt, dringt man in den alles durchdringenden Geist ein. Die Fesselung an die Umwelt wird zunichte, und die Bindung an die Materie hört auf. So erwarten den Menschen keine weiteren Geburten und Tode mehr. Das Sinnenleben und der Zauber der Welt faszinieren ihn nicht mehr auf seinem Weg zu Gott.

 

Der Meister sagt:

 

                        Durch die Sättigung mit dem wahren Shabd (Wort) entsagt

                        der Mensch wirklich der Welt, und sein Kommen und Gehen

                        nimmt eine Ende.

                                                                                                                        Maru M.3

 

Diese Loslösung aus der Gebundenheit wird ebenfalls allein mit Hilfe von Shabd erlangt. Was immer einer tut, ist dann nur im Sinne der Pflichterfüllung getan und ohne Bindung an die sich daraus ergebenden Früchte. Die Grundursache allen Elends beruht auf der Tatsache des Verhaftetseins des Menschen. In unserer Unfähigkeit, uns von allem loszusagen, werden wir durch alles, was wir tun, gefangen gehalten. Wir müssen uns die Kraft, von allen Dingen losgelöst zu bleiben, vorbehalten, seien sie auch noch so kostbar oder mögen wir auch noch so sehr nach ihnen verlangen.

 

In der Bhagavad Gita heißt es:

 

                        Arbeite unaufhörlich, arbeite, ohne an die Frucht

                        gebunden zu sein. Lerne so das Geheimnis der Arbeit

                        kennen.

 

Was ist es, das uns zu der Kraft, uns loszulösen, verhilft? Nichts anders als die Verbindung mit Shabd.

 

Der Meister sagt darum:

 

                        Nur der ist wahrlich ungebunden,

                        der sich mit Shabd verbindet.

                                                                                                Majh M.5

 

Und wieder:

                        Die Seele ist bis zum Rande angefüllt mit dem Lebensstrom,

                        der aus dem Ursprung aller Dinge kommt, was sie von

                        Tag zu Tag feiner werden läßt. Dies setzt sie in die Lage

                        sich auf höhere spirituelle Ebenen zu erheben, bis sie an

                        ihrem göttlichen Ziel in Sach Khand angelangt. Hier, über

                        den Grenzen der Zerstörung durch Pralaya (Auflösung)

                        und Maha Pralaya (Große Auflösung), wird ihr die

vollkommene Einswerdung mit dem Formlosen Ewigen zuteil.

 

Nunmehr ist der Mensch mit allen höheren und übernatürlichen Kräften ausgestattet. Er kennt den Geist der Schriften, als Geheimnis der Einswerdung, des Mysteriums vom Selbst und von  Gott und wird so zur Wohnstatt aller Tugenden. Er ist überglücklich zur Todeszeit, ungleich jenen, die dann in schrecklichen Todesqualen liegen; denn er war daran gewöhnt, die Lebensströme vom Körper aus freien Stücken zurückzuziehen. Er wird vor all dem qualvollen Leid, das den Todesprozeß begleitet, bewahrt.

 

Es ist dieser Vorgang des Zurückziehens des Geistes vom physischen Körper, der uns durch alle Heiligen eingeschärft wird, und er ist absolut notwendig für den Sucher, um Zugang zu den höheren Bereichen zu finden.

 

Guru Nanak sagt:

                       

Erreiche die Heimat, die es nach dem Tode zu erreichen

                        gilt, bei Lebzeiten durch das Zurückziehen des Geistes vom

                        Körper.

                                                                                                            Sri Rag M.3

 

                        Nanak, stirb (ziehe den Geist zurück) noch während du

                        lebst; einen solchen Yoga sollst du üben.

                                                                                                            Suhi M.1

 

Und Dadu erklärt:

 

                        Dadu, stirb (ziehe deinen Geist zurück), bevor du tot bist.

                        Alle Menschen sterben auf die gewöhnliche Weise.

Lerne zu sterben, auf daß du zu leben beginnen kannst.

                                                                                                           

Dadu Ji

 

                        Stirb, (ziehe deinen Geist zurück) bevor du tot bist.

                                                                                                            Koran

 

Maulana Rumi hat genau erklärt, was dieser Tod bedeutet, wenn er sagt:

 

                        Stirb o Freund, bevor du tot bist, wenn du das ewige Leben

                        willst; allein durch einen solchen Tod erreichte Adris (ein

                        Heiliger) den Himmel vor uns.

                        Du hast dich sehr bemüht, aber noch ist der Schleier der

                        Materie nicht entzwei; denn den wirklichen Tod hast du

                        nicht gefunden.

                        Solange du nicht stirbst, kann dein Kommen und

                        Gehen nicht enden.

                        Bist du nicht die höchste Sprosse der Leiter erklimmst,

                        kannst du den Gipfel nicht erreichen.

                        Oder wie einer, der nur 99 Meter Schnur hat, nicht Wasser

                        in seinen Eimer bekommen kann, wenn der Brunnen

                        hundert Meter tief ist.

                        Bis du den Geist nicht völlig vom Körper zurückziehst,

                        ist der Zyklus der Geburten und Tode nicht beendet.

                        Laß das flammende Licht deiner Lampe (Seele) sich im

                        Glanz des Morgens verlieren.

                        Solange die Sterne nicht verborgen sind, sei

                        versichert, bleibt auch die Sonne außer Sicht.

                        Genau so, o kluger Mensch, tritt der Herr nicht in

                        Erscheinung, solange der Schleier der Materie nicht

                        zerrissen ist.

                        Darum wähle den Tod und reiße den Schleier

                        dadurch entzwei.

                        Dieser Tod ist nicht derselbe, der dich ins Grab bringt.

                        Er ist nur ein Zurückziehen des Geistes - eine Umwand-

                        lung, um dir ein nach oben ausgerichtetes Leben zu

                        verleihen.

 

Mustafa sagt zu dem Sucher des Mysteriums:

 

                        Er wünscht dich tot zu sehen, damit du das ewige

                        Leben haben kannst. Auf daß du dich während des

                        Lebens auf Erden bewegst und deine Seele beim Tod

                        himmelwärts fliegt.

                        Die Seele hat ihre Heimat in den hohen Himmeln;

                        und wenn sie sich einmal zurückgezogen hat,

                        erwartet dich keine Wiedergeburt mehr.

                        Weil er gelernt hat, seinen Geist bei Lebzeiten

                        zurückzuziehen, kann dieser Tod nicht mehr als eine

                        Möglichkeit verstanden werden.

                        Solange du nicht stirbst, welchen Vorteil kannst

                        du haben? Geh hin und stirb, damit du die Frucht

                        deines Erdenlebens ernten kannst.

                        Dies ist das Mysterium vom Sterben vor dem Tod, und

                        daß durch einen solchen Tod die Gnade des Herrn

                        herabkommt.

 

Kabir läßt uns wissen:

 

                        Der Tod, vor dem die ganze Welt zurückschrickt,

                        ist mir willkommen; ich freue mich darüber, denn

                        er ist ein Vorbote vollkommenen Friedens und

                        Glücks.

                                                                                                Shalok Kabir

 

Eine so befreite Seele geht dem Tod mehr als den halben Weg entgegen. Zur Zeit des Scheidens vom Körper zieht der Mensch die Sinnesströme freudig zurück, denn er hat sich in täglicher Übung daran gewöhnt. Ein solcher Tod ist dann nicht von Leid und Schmerz begleitet, wie es alle anderen im letzten Augenblick erwartet. Die Hindu-Schriften beschreiben den Schmerz beim Verlassen des Körpers als einen von tausend Skorpionen, die alle zusammen zur selben Zeit stechen. Die Moslems vergleichen ihn mit dem Schmerz, der empfunden würde, wenn man ein Dornenbüschel durch den Verdauungskanal vom Rektum bis zum Mund hindurchziehen würde. Natürlich war jeder einmal Augenzeuge der Todesqualen an einem Sterbebett. Zuletzt erlangt er Zugang zur Wohnstatt des Herrn. Somit ist er durch die Verbindung mit Shabd errettet und kompetent, vielen anderen zu den höchsten Höhen der Spiritualität zu verhelfen.

 

Die Anwendung dieser Praxis wird Surat Shabd Yoga -, Yoga des Tonstromes-, die Verbindung mit dem Herrn genannt. Sie ist das einzige wirksame Mittel, das Guru Nanak für die Befreiung der Seele von der Gebundenheit an das Gemüt und die Materie angegeben hat und womit das letzte völlige Eissein mit Gott erreicht wird.

 

 Er sagt:

                        Lebe in der Welt, unberührt von ihr wie eine Lotosblume,

                        die den Kopf über den schlammigen Teich hält; oder wie ein

                        Wasservogel, der sich in die Lüfte erhebt, ohne daß seine

                        Schwingen vom Wasser benetzt sind. O Nanak, der

                        Surat Shabd Yoga (die Verbindung der Seele mit dem

                        Wort) ist das einzige Mittel, durch welches man sicher über

                        das endlose Meer der Materie gelangen kann - so bring

                        dich in Einklang mit ihm. Ohne Verbindung mit Shabd

                        (das Wort) kannst du Gott nicht finden, und dein Kommen

                        in die Welt war vergebens.

                        Ohne Shabd kann keiner das göttliche Ziel erreichen.

 

Alle Mühe, die darauf verwandt wird, eine Verbindung mit Shabd zu erlangen, ist eine Anstrengung in der rechten Richtung.

 

So heißt es im Guru Granth Sahib:

                       

Ist man mit Shabd verbunden, hat man den Herrn

                        gefunden. Alles Mühen des Menschen in dieser Richtung ist

                        von Erfolg gekrönt. Es gibt keinen anderen Weg als diesen.

 

Was Simran ist, und wozu er dient

 

Die Verbindung mit dem Wort - der ewigen Musik - wird durch ein Leben des Simran ermöglicht oder durch das beständige Denken an Gott. Damit ist jedoch nicht ein bloßes mechanisches Gemurmel gemeint, denn dies lehnt der Meister ab.

 

Kabir sagt:

                       

Während man den Rosenkranz in der Hand hält und die

                        Zunge sich im Mund bewegt, gehen die Gedanken nach

                        draußen zu den äußerlichen Dingen. Das ist kein Simran.

 

Und nochmals:

                       

Einmal zankte der Rosenkranz mit mir und sagte:

                        Warum, o Mensch, drehst du mich dauernd in der Runde?

                        Dreh´doch die Perle deines Geistes, dann werde ich dich

                        mit dem alles durchdringenden Gott verbinden.

„Du sollst den Namen Gottes nicht mißbrauchen“, sondern ihn mit einer bestimmten Absicht nennen. Die beständige Erinnerung an den Herrn ist nur eine andere Form der Liebe.  Wenn du jemanden innig liebst, denkst du immer an ihn. Dieses beständige Denken an Gott ist es, was der Meister allen nahelegt; denn - wie du denkst, so wirst du.

 

Simran ist das Denken an Gott mit der „Zunge des Gedankens“ und mit einem von hingebungsvoller Liebe erfüllten Herzen, wobei man sich auf ein bestimmtes Zentrum im Körper konzentriert. Es ist ein Tun, bei dem man das Selbst auf einen Punkt sammelt und den Geist mit dem dauernden Gedanken an Gott beschäftigt, indem man jede Vorstellung an die objektive Welt ausschaltet. Das stete Verweilen in unserer Umwelt hat unser Gemüt so sehr erfaßt, daß wir das Denken an äußere Dinge auch nicht für einen einzigen Augenblick aufgeben können. Von Kindheit an haben wir diese Praxis in vollen Schwung betrieben, so daß sie sich nun zu einer regelrechten Lebensgewohnheit herausgebildet hat.

 

Gewohnheit ist die zweite Natur des Menschen, heißt es. In einer solchen Lage ist es nicht so einfach, das Gemüt von allem Äußeren abzuziehen. Je mehr man es versucht, desto widerspenstiger wird es und um so mehr läuft es den weltlichen Dingen nach. Es hat mit allem, was äußerlich ist, ein festes Bündnis geschlossen. Immer denkt es an das Ferne und Fremdartige und wird vom Zauber und Reiz der Welt fortgetragen. Welche Gewohnheit wir uns auch immer gebildet haben, wir können sie genauso gut wieder umbilden. Das Denken an die Welt und alles Weltliche ist der Ursprung der Bindung an diese äußerlichen Dinge. Der Meister gebraucht dieselben Mittel und Wege, wie Mutter Natur es tut, um uns an die äußere Welt zu binden: er richtet den Geist gänzlich auf ein Ziel aus. Der stete Gedanke an Gott, während man geistig bei dem heiligen Naam verweilt, zieht das Gemüt von der Welt ab und hält es an einer Stelle fest. Anfangs ist es schwierig, sich zu konzentrieren, denn es braucht Zeit, bis das Gemüt unter Kontrolle gebracht ist. Aber man sollte deswegen nicht entmutigt sein. Fehlschläge sind Schrittsteine zum Erfolg. Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg. Wir müssen an den Vorgang festhalten, bis das Gemüt diesen Weg nimmt. Die Glorie von Naam erinnert immer an das höchste Ideal des menschlichen Lebens. Das Gemüt wird besänftigt und daran gehindert, in die Irre zu laufen.

 

Die fortwährende Erinnerung an Naam zieht das Gemüt von den äußeren Gegenständen ab und konzentriert es auf das Göttliche und Übernatürliche. Es festigt den Geist in sich, so daß ihn die Wünsche nicht nach außen ziehen können und die verführerischen Klänge der Welt ihre magische Anziehungskraft für ihn verlieren. Dieser Teil der Übung wird von Guru Nanak als Simran bezeichnet. Er hilft ferner beim Zurückziehen des Geistesstromes vom Körper zu seinem Sitz zwischen und hinter den beiden Augenbrauen, der Ajna Chakra genannt wird. Solange der Seelenstrom nicht vollkommen an einem Brennpunkt gesammelt ist, gibt es keinen weiteren Aufstieg der Seele. Der Vorgang des Zurückziehens vom Körper ist beim spirituellen Fortschritt unbedingt notwendig. Er wird durch die einfache vorbereitende Methode des Simran zustande gebracht. Und mit Hilfe eines Gurmukh-Meisters ist der Prozeß der Umkehrung und Selbstanalyse ganz leicht und einfach durchzuführen.

 

Die Saat, die bei der Entfaltung der Seele hilft, liegt im Simran. Nanak offenbart dieses Geheimnis im Schlußteil des Verses V, VI und XXIII und ausführlich in Vers XXXIII des Jap Ji. Wahrhaft begünstigt ist der, welcher sich immer der Segnungen seines Meisters erfreut.

Die Bindung an die äußere Welt kommt daher, daß wir uns in Gedanken dauernd mit ihr beschäftigen; denn der Mensch wird durch das Gesetz von Ursache und Wirkung an seine Umwelt gebunden. Alle Eindrücke, die in den Gemütsstoff eingegraben sind, müssen zu gegebener Zeit Frucht tragen. Dem kann keiner entgehen! Wir müssen diese Eindrücke auslöschen, indem wir dauernd an Gott denken und dies zum bindenden Grundsatz unseres Lebens machen. Bei der Seelenwanderung wird der Mensch in die Unterwelt gebracht, die ihn am meisten angezogen hat. Wenn du immer nur an den Herrn denkst, kann dich nichts an die Materie binden, und so hast du keine weitere Wiedergeburt zu erwarten.

 

Denn es ist gesagt:

                       

Mit Hilfe des Simran des Herrn brauchst du nicht durch

                        den Mutterleib zu gehen.

                                                                                                            Gauri Sukhmani M.5

 

Simran macht den Menschen beschaulich und gesammelt. Eine unvermeidliche Folge der Konzentration des Geistes in den inneren Ebenen sind außergewöhnliche Kräfte;

 

denn Ridhis und Siddhis (außergewöhnliche Kräfte) sind

                        Sklaven von Naam.

                                                                                                            Gauri M.5

 

Der Meister jedoch warnt den Schüler vor dem Gebrauch solcher Kräfte, da sie ihn zu äußeren Streben leiten und vom Ziel, das er sich gesetzt hat, ablenken. Durch Simran gelangt man zu wahrem Wissen, hoher Meditation und unfehlbarem Denken. Außerdem bewirkt Simran, daß man allmählich jeden Sinn für die Individualität verliert, die sich dann in dem grenzenlosen Sein auflöst und eine Art „bewußter“ Trance herbeiführt. Dieser Zustand ist unmöglich mit Worten zu beschreiben, aber er ist eine unbedingte Realität, die über dem Bereich des Todes liegt. Das Ego hat dann keinen Halt mehr, der Geistesstrom ist zurückgezogen, und man erhebt sich in einen Lichtschein. Der Körper scheint uns nicht mehr zu gehören. Unser Leben kann mit dem höheren Leben wie ein Funke mit der Sonne verglichen werden.

                       

Simran wäscht den Schmutz der Sünden

                        von der Seele weg.

                                                                                                            Gauri M.5

 

Man sollte Simran üben, um den süßen Nektar von Naam zu erhalten und sich seiner zu erfreuen.

 

Guru Nanak erklärte dies im einzelnen durch seine Schilderung in Vers XX des Jap Ji.

                       

Zuletzt hört man durch Simran die süßen Melodien

                        der unendlichen Musik des Universums (das Wort)

                        und macht unbeschreibliche Erfahrungen.

                                                                                                            Gauri M.5

 

Tennyson beschreibt in seiner Dichtung „Der alte Weise“, was allein schon durch die Wiederholung des eigenen Namens erfahren werden kann. In einem Brief verweist er auch auf das erhabene Leben, das er durch die Meditation über seinen eigenen Namen erlangte.

 

Er sagt:

                        Schon von Kindheit an erlebte ich eine Art Wach-Trance,

                        die ich hervorrief, indem ich tief in meinem Innern meinen

                        eigenen Namen so lange wiederholte, bis plötzlich

                        - gleichsam aus der Intensität des individuellen Bewußt-

                        seins - die Individualität selbst sich aufzulösen schien

                        und sich in ein grenzenloses Sein ergoß. Dieser Zustand

                        war keineswegs verwirrt, sondern ungewöhnlich klar und

                        wirklich, wenn auch in Worten nicht auszudrücken:

                        In diesem Zustand wäre der Tod eine Unmöglichkeit, eine

                        lächerliche Zumutung, und der Verlust der Persönlichkeit,

                        wenn es eine solchen gäbe, schien kein Auslöschen, sondern

                        das Leben an sich zu sein...ich fühle mich beschämt

                        ob dieser schwachen Beschreibung.

 

Aus dem Memoirs von Lord Tennyson

 

Der russische Zar Peter der Große war ebenfalls an Konzentration gewöhnt. Er verlor das Bewußtsein seiner Individualität völlig, wenn er sich auf seinen eigenen Namen konzentrierte. Der Meister jedoch empfiehlt den Simran des Herrn und nicht seines eigenen Namens. Meditationen über den eigenen Namen führen zum Eintauchen in das eigene Bewußtsein, das sehr klein ist im Vergleich zum höheren Bewußtsein Gottes.

 

Es gibt viele Arten von Simran. Mit Hilfe der Zunge ausgeübt, wird es 1.Beikhri genannt; in der Kehle, indem man mit der Zunge den Gaumen berührt, ist es als 2. Madhma bekannt; wenn im Rhythmus des Herzschlages, nennt man es 3. Pashhanti, und mit dem Atemzug geübt, kennt man es als 4. Para. Die letzte Art wird von den Yogis praktiziert.

 

Die Meister jedoch empfehlen sie nicht. Die ersten drei Methoden führen auch nicht zu völliger Konzentration, weil das Gemüt häufig umherschweift, während die Wiederholung rein mechanisch geschieht. Der Meister empfiehlt deswegen den mentalen Simran, der mit der Zunge des Gedankens ausgeführt und Zikre-i-Ruhi genannt wird.

 

Die Praxis des Simran beginnt mit der langsamen Wiederholung der objektiven Namen Gottes in einem geistigen Gleichgewicht. Zunächst ist der Vorgang rein objektiv, aber im Verlauf der Zeit wird er subjektiv. Dann hält der stetige Gedanke an Gott ohne Unterbrechung an.

 

Und darauf bezieht sich der Meister, wenn er sagt:

                       

O Nanak, ein Gurmukh beginnt die Wiederholung

                        von Naam nur einmal.

                                                                                                Gauri Sukhmani M.3

 

Hat man einmal damit begonnen, wird dieses Gedenken automatisch, dauernd und beständig, und man vergißt Gott niemals mehr.

                       

O Kabir, es liegt ein großes Geheimnis in der

                        Wiederholung des Gottesnamens, und das muß man

                        zu entdecken trachten;

                        denn viele sagen den Namen, ohne daß es fruchtet;

                        andere wieder mit erstaunlichen Ergebnissen.

                                                                                               

Shalok Kabir

 

Und wieder wird gesagt:

 

                        Alle wiederholen den Namen Gottes, aber keiner

                        kann sein Geheimnis ergründen. Nur wenn er dem

                        Geist durch die Gnade eines Gottmenschen eingeprägt

                        wird, erntet man die Frucht.

                                                                                                Gauri M.5

 

Laßt uns anhalten und zusammenfassen, was gesagt wurde, bevor wir fortfahren. Nach des Meisters Worten ist es der Sinn des menschlichen Lebens, völliges Einssein mit Gott zu erlangen. Ja, wir müssen uns mit der Quelle, von der wir einstmals ausgegangen sind, wieder vereinen. Doch wie das geschehen soll, ist die Frage.

                       

Das völlige Einswerden mit dem Herrn kommt zustande,

                        indem man Seinen Willen erkennt; Sein Wille aber wird

                        offenbar durch die Verbindung mit dem heiligen Naam;

                        Dies wiederum kommt durch ein Leben des Simran.

 

Frei werden von Egoismus, oder Demut, ist der Weg, welcher uns Seinen Willen durch Simran erkennen läßt. Es wurde bereits erwähnt, daß Simran beim Zurückziehen des Geistesstromes vom Körper hilft. Nur wenn man den Geist vollständig zurückgezogen hat, ist es der Seele möglich, in die höheren Bereiche aufzusteigen. Damit man dieses sowie das Mysterium des Selbst und des Universums versteht, ist eine kurze Erklärung erforderlich.

 

Drei große Aufteilungen und ihre Grundzüge

 

Guru Nanak sagt, daß die Schöpfung in drei große Hauptbereiche aufgeteilt ist.

                        Der erste ist die „Region der Wahrheit und des reinen

                        Geistes“, die nicht mit Materie vermischt ist.

                                                                                                            Ramkali M.5

 

Hier gibt es nur Geist, und die Materie fehlt gänzlich. Es ist der Bereich, in dem der Herr selbst weilt, und er kann als die rein spirituelle Region bezeichnet werden. Diese ist frei von der Heimsuchung durch Tod und Zerstörung. Wer dieses Gebiet erreicht, erlangt die wahre Erlösung.

 

Der Meister sagt:

 

                        Wenn du einmal die wahre Region des Formlosen erreichst,

                        kommst du in die Wohnstatt ewiger Freude und immer-

                        währenden Friedens.

                                                                                                            Sorath M.1

 

                        Der Formlose weilt in der rein spirituellen Region.

                                                                                                            Jap Ji, Vers XXXVII 

 

Die zweite große Aufteilung besteht aus reinem Geist und einer subtilen Form von Materie in variierendem Grad. Der obere Teil wird Par Brahmand genannt, und man kann den Geists darin mehr mit den subtilen Formen der Materie vergleichen. Im niederen Teil, genannt Daswan Dwar, sind beide (Geist und Materie) zu gleichen Teilen vertreten. Es ist die Region des Universalen  Bewußtseins, und wird von den verschiedenen Meistern mit unterschiedlichen Namen bezeichnet. Hier sind Geist und Materie in subtilster Form vermischt, und letztere ist dem vorgenannten völlig untergeordnet. Der Geist dominiert in dieser Region und ist die höchste Kraft darin. Diese Region unterliegt der Umwandlung bei der Zerstörung des Universums in der Auflösung (Praylaya1). In dieser Region ist der Mensch sicherer als in der darunter liegenden.

 

Die dritte Region ist die große Aufteilung von Geist und Materie in ihrer gröbsten Form; sie wird And genannt. Sie umschließt Trikuti und die Sahasrar-Ebenen. Es ist der Bereich von Maya oder der Materie. Hier hat die Materie die Oberhand, und der Geist ist ihr so sehr untergeordnet, daß er sich von ihr für seine Offenbarungen abhängig glaubt. Wegen seiner Verbundenheit mit der Materie hat er auf dieser Ebene ungeahntes Leid zu erdulden und ist dem Gesetz der Wiederverkörperung unterworfen. Diese beiden Unterteilungen werden auch als Kal und Maha Kal bezeichnet.

 

Wenn man sich über das Körperbewußtsein erhebt, befindet man sich zunächst in And (der dritten großen Aufteilung), überall von Materie umgeben. Danach muß man zu Brahmand, der Region des Universalen Bewußtseins, aufsteigen. Dort fühlt man sich bedeutend wohler, aber noch ist man gefeit gegen Gefahr und Verderbnis. Die erste Region, oder der sichere Hafen ist Sach Khand oder der Bereich der Wahrheit, der für Maha Kal oder die große Auflösung unerreichbar ist.

 

Dies ist kurz eine Skizze des Makrokosmos, des großen Weltuniversums. Die gleichen drei Aufteilungen sind im Menschen in einem Miniaturausmaß zu finden. Wenn man etwas über den Makrokosmos wissen will, muß man erst den Mikrokosmos kennen.

 

So sagt Guru Nanak:

                       

Alles ist im Körper: die spirituelle Region, die

                        himmlischen Ebenen und die materiellen Bereiche.

                        Im Körper weilt der höchste Herr, der alles erhält.

                        Im Körper lebt der Formlose, der Unbegreifliche, jenseits

                        des menschlichen Gsichtskreises. Jene, die nur körperliche

                        Augen haben, suchen Ihn vergeblich in den äußeren Dingen.

                        Im Körper ruhen die kostbaren Kleinodien der Gottheit.

                        Im Körper gibt es alle materiellen Reiche und Ebenen.

                        Der Körper birgt den Schatz des heiligen Naam, der nur

                        durch Meditation über das Wort des Meisters erlangt wird.

                        Im Körper findet man alle Gottheiten:

                        Brahma, Vishnu und Shiva,

                        wie die ganze Schöpfung selbst.

                                                                                                            Rag Suhi M.3

 

1: Im Pralaya wird die materielle Welt aufgelöst; im Maha Pralaya die feinstofflichen Welten.

 

Ein anderer Heiliger sagt:

 

                        Brahmand befindet sich im Menschen in einem

                        Miniaturausmaß, und wer es sucht, wird es finden.

                        O Pipa, die höchste Wahrheit kann nur durch den

                        Meister erkannt werden.

                                                                                                            Dhanasri Pipa

Diese Tatsache wird auch von den Moslem-Heiligen verkündet:

                        Der Makrokosmos ist im Mikrokosmos, und so gelangst du

                        zu Gott.

 

Im menschlichen Körper finden sich die Aufteilungen, auf die oben Bezug genommen wurde, in einem Miniaturausmaß wieder.

 

Der Mensch ist ein Abriß der drei großen Schöpfungsbereiche 

 

1. Der Geist oder die Seele repräsentiert die Region des spirituellen Bereichs.

 

2. Das Gemüt oder die Mentalebene bezieht sich auf den Bereich des Universalen Bewußtseins.

 

3. Der physische Körper und die materiellen Ebenen bestehen aus drei Körpern: dem kausalen, dem australen und dem grobstofflichen.

 

·      Der grobstoffliche ist das fleischliche Kleid, das wir tragen. Es besteht aus grober Materie und groben Sinnes- und Betätigungsorganen: Augen, Ohren, Nase, Zunge, Haut, Ausscheidungs- und Zeugungsorgane. Es wird beim Tod abgelegt.

 

·      Der Astralkörper besteht aus feiner Materie und feinstofflichen Organen und wird im Traumzustand aktiv. Innerhalb dieses Körpers befindet sich das Gemüt.

 

·      Der Kausalkörper ist die Grundursache der vorher erwähnten beiden Körper. Seine Betätigung ist auf den Tiefschlaf beschränkt.

 

Die letzteren beiden Körper zusammen mit dem Gemüt existieren nach dem Tode weiter und schaffen bei jeder Wiedergeburt eine neue Form oder ein anderes physisches Kleid. So existiert der Makrokosmos im Mikrokosmos des menschlichen Körpers. Das Wissen um den letzteren dient als Mittel, den ersteren zu verstehen. Wenn einer darin fortschreitet, die Region des Geistes in seinem Innern zu erlangen, indem er diese Umhüllung ablegt, kann er jeglichen Schmerz und alles Leid abwerfen und sich immerwährender Wonne und unsagbaren Friedens erfreuen. Ein materielles Leben ist lauter Elend, dem man nicht entgehen kann, solange man nicht in der Lage ist, sich davon zu lösen.

 

Somit ist es erforderlich, die spirituelle Region zu erreichen, denn dies allein kann zur Stätte ewiger Freude und höchster Glückseligkeit führen, selbst wenn man noch in diesem physischen Körper lebt. Nur wenn man vom Tonstrom des heiligen Naam (der ewigen Musik im Menschen) getragen wird, kann dieser Zustand mit Hilfe eines wahren Meisters erreicht werden. Das heilige Naam - das Wort - kommt von der höchsten spirituellen Ebene, der Region der Wahrheit, auf die materiellen Ebenen herunter. Es ist die „Rettungsschnur“, welche die Seele in die Ebene, die jenseits des Bereichs der Auflösung liegt, führt. Alle anderen Mittel reichen nicht aus, um das Ziel zu erlangen.

 

Das Reich Gottes ist in deinem Innern, so suche es dort! Es ist in deinem begrenzten Körper, wo die Verbindung mit dem Wort hergestellt werden kann; und dies bringt dich zuletzt in die Region der ewigen Wahrheit „Sach Khand“.

 

 

Die Möglichkeit der Verbindung der Regionen des Mikrokosmos mit denen des

Makrokosmos

 

Nun wollen wir sehen, ob die Möglichkeit besteht, den Mikrokosmos und den Makrokosmos zu verbinden. Wie festgestellt wurde, ist der Mensch ein Abriß des Makrokosmos. Es gibt Nervenzentren im Menschen, die sich in einem schlafenden Zustand befinden und die durch die Praxis des göttlichen Wortes - das Tonprinzip - belebt werden können.

 

Es sind sechs reflektierende Zentren in Pind oder dem physischen Körper, die mit den sechs Zentren in Brahmand oder dem Kosmos übereinstimmen. Diese sind wiederum Reflektionen derer in Par Brahm oder der rein spirituellen Region.

 

Die niedrigen sechs Zentren sind die Ganglien im Rektum, Zeugungsorgan, Nabel, Herz, Kehle und das sechste in der Mitte zwischen den beiden Augenbrauen, das Til oder Ajna (siehe Vers XXI des Jap Ji) genannt wird und der Sitz der Seele im Menschen ist. Von hier aus kommt der Geistesstrom in den Körper und gibt der physischen Form und seinen einzelnen Gliedern Kraft und Leben. Dieser Geistesstrom spielt in der Erhaltung des Körpers eine wichtige Rolle, und wenn er von irgendeinem Teil abgeschnitten ist, verliert dieser alles Leben und arbeitet nicht mehr.

 

Die sechs Zentren von Brahmand und den spirituellen Regionen liegen ebenfalls in uns. Wenn der Tonstrom mit diesen Zentren in Einklang kommt, kann man mit den ihnen entsprechenden Ebenen Verbindung aufnehmen.

 

Konzentration des Geistesstromes ist unerläßlich, bevor man in die höheren spirituellen Bereiche gelangen kann

 

Diese Zentren entsprechen denen des Makrokosmos in Brahmand und den spirituellen Regionen. Der Geistesstrom befähigt dazu, einen Blick in jene großen Aufteilungen zu tun. Darum ist die Entfaltung der elementaren Kräfte des Geistes besonders wichtig. Die Konzentration des Geistesstromes spielt bei diesem Bestreben die größte Rolle. Wendet man ihn auf den physischen Körper an, gewinnt man an Stärke, wenn auf den Intellekt, entwickelt man große mentale Kräfte. Wird andererseits der Geist zum Gegenstand der Konzentration gemacht, führt dies unweigerlich zu spirituellem Leben und höchster Glückseligkeit. Es gibt einen unsichtbaren Nerv, der alle diese Zentren miteinander verbindet und Sushumna Nari oder Shah-rug genannt wird. Durch diesen gelangt der Geistesstrom von der niedrigsten Ebene bis zur höchsten Region der Wahrheit.

 

Die Konzentration des Geistesstromes ist der Vorgang, mit dem das Fortschreiten des Geistes in die höheren Regionen beginnt. Solange man nicht alle nach außen gehenden Kräfte in sich gesammelt und konzentriert hat, erhält der Geist nicht ausreichend Kraft, um sich zu erheben. Es gibt zehn nach außen strebende Kräfte oder Indriyas: fünf grobe, wie Augen, Ohren, Nase, Zunge und Haut, durch welche die fünf anderen, subtilen Indriyas - nämlich Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Fühlen - den Menschen an die äußere Welt festgebunden halten. Es erscheint somit, daß es der stete Gedanke an diese Kräfte ist, der den Menschen veräußerlicht.

 

Durch die drei Hauptquellen denken wir beständig an die Welt. Zunächst durch die Augen, welche uns die äußere Erscheinungswelt sichtbar werden lassen und sie in unser mentales Blickfeld bringen. Durch sie nehmen wir nicht weniger als 83 Prozent unserer äußeren Eindrücke auf. Die zweite Quelle sind die Ohren, welche die Aufmerksamkeit auf die äußeren Laute ziehen und uns an die Dinge der objektiven Welt erinnern. Durch diese nehmen wir 14 Prozent der äußeren Eindrücke auf. Die dritte Quelle ist die Zunge (der Gaumen), welche durch Geschmack und Sprache die Erinnerung an die äußere Welt immer frischhält. Die übrigen 3 Prozent der äußeren Eindrücke werden zum Teil durch die Zunge und der Rest durch die Sinnesorgane aufgenommen. Durch diese Hauptfähigkeiten bleibt der Mensch in ständiger Verbindung mit der äußeren Welt und befaßt sich stets damit, entweder äußere Eindrücke aufzunehmen oder durch seine eigenen Gedanken andere Menschen zu beeindrucken. Auf diese Weise wird dem Gemüt Kraft entzogen, wird der Mensch kraftlos. Der Meister ermahnt uns, diese Kraft nicht zu verschwenden.

 

Wir müssen sie ansammeln und bewahren, auf daß wir imstande sind, die verschiedenen materiellen Hüllen, die unsere Seele umgeben, zu sprengen:

 

Der Geist oder die Seele ist wegen der objektiven Eindrücke, die ständig aufgenommen werden, an die äußere, objektive Welt gebunden. Solange die nach außen strebenden Kräfte nicht unter Kontrolle gehalten werden können und der Geist von den Gegebenheiten des Lebens nicht befreit ist, kann er sich nicht über das Körperbewußtsein erheben. Die drei Fähigkeiten der Sprache oder des Geschmacks, des Gesichts oder des Gehörs verursachen ein dauerndes Ausfließen von Kraft durch ihre jeweiligen Sinnesorgane. Um die Seele zu entpersonifizieren, ist es jedoch notwendig, daß wir unsere Energie einwärts und aufwärts lenken, und dies durch einen Prozeß der Umkehrung und Selbstanalyse.

 

Der Meister erklärt diesen Vorgang mit nachfolgenden Worten:

                       

Durch ständige Beschränkung der drei Organe

                        kann man die Anhad hören. O Nanak, in tiefer

                        Versunkenheit kennt man nicht Abend noch Morgen.

 

Boo Ali Qalandar, ein mohammedanischer Heiliger, sagt darüber:

 

                        Schließe deine Augen, Ohren und Mund; und wird dir dann

                        trotzdem das Geheimnis der Wahrheit nicht kund, magst

                        du mich verlachen.

 

Kabir beschreibt das gleiche auf seine eigene unnachahmliche Weise:

 

                        Der Meister hat mir die Kanäle gezeigt,

                        durch die der Gemütsstoff nach außen geht.

                        Wenn ich den nach außen strebenden Kräften

                        Einhalt gebiete, höre ich die Weisen des

                        Ewigen Gesangs.

                                                                                                            Sorath Kabir

Und Guru Arjan sagt:

 

                        Wer seine zehn Sinne unter Kontrolle hält,

                        wird das Licht Gottes im Innern aufdämmern sehen.

                                                                                                            Gauri Sukhmani M.3

 

Die Organe wie Zunge, Augen und Ohren usw. sind im physischen Körper am Werk, während man sich im Wachzustand befindet, und sie arbeiten ebenso in der Astralebene, wenn man im Traumzustand ist. Die Wirkungsweise dieser Organe wird erhöht und verstärkt, wenn ihr Ausströmen beschränkt wird. Auf diese Weise erlangt man Kraft, um die subjektive Welt zu ergründen; denn ohne den belebenden Impuls der Seele liegen sie ungenutzt.

 

Die Anwendung der drei Beschränkungen und ihr Vorgang

 

Die drei Beschränkungen kann man anwenden, indem man die Kräfte daran gewöhnt, innen zu wirken. Die erste Beschränkung, nämlich die der Rede, besteht im Ausüben von Simran, der beständigen Wiederholung des Namens Gottes mit der Zunge des Gedankens. Lippen und Zunge sind dabei nicht vonnöten. Anwendung und Wirkung von Simran wurden auf den vorhergehenden Seiten beschrieben.

 

Die zweite Beschränkung bezieht sich auf die Fähigkeit des Sehens und besteht in der Betrachtung der spirituellen Bilder im Innern, welche in vollem Glanz durchbrechen. Wenn man Tratak übt oder Konzentration auf einen schwarzen Fleck, der sich außen befindet, und die Augen fest darauf heftet, wir das eigene innere Licht nach außen projiziert. Entsprechend kann man, wenn man den inneren Blick genau in der Mitte und hinter den beiden Augenbrauen fixiert (dem Sitz der Seele im Menschen) sein eigenes Licht im Innern sehen. Dieses Licht ist dein eigenes, und es ist bereits dort, doch du mußt deinen inneren Blick darauf heften. Wo das Wort ist - das heilige Naam - , dort ist Licht; wo Ton ist, da ist auch der Glanz, denn beide sind unzertrennlich. Die Lichtreflexe sind von fünferlei Art, die mit den fünf verschiedenen Tonarten korrespondieren, welche man sehen und hören kann, sobald der Geist in die fünf unterschiedlichen Ebenen aufsteigt. Die Manduk Upanishad spricht von den „fünf Feuern im Kopf“.

 

Es gibt Schriften, die das Fixieren des inneren Blickes auf das Gesicht des Meisters vorschreiben; doch darf man nicht über das Fleisch und die Knochen im Gesicht des Meisters meditieren, sondern über das, was durch das Gesicht hindurchscheint. Gesicht und besonders Augen und Stirne bilden den Sitz, wo der Geist des Meisters voll wirksam ist. Daher bereitet das Meditieren über die Augen des Meisters eine Seele für das Aufdämmern der Gottheit vor, indem sein Wesen aufgenommen wird. Dies hilft dem Schüler viel. Während du an den Meister denkst, erhebst du dich in ihn. Wie du denkst, so wirst du.

                       

Die Form des Heiligen erstrahlt in vollem

                        Glanze. Weise und Seher leben in dem zeitlosen

                        Einen, und darum kann man über sie meditieren.

                                                                                                            Sarang M.6

 

Des Meisters Form ist das der Gottheit Nächstliegende, denn er ist der Sohn Gottes. Einer, der den Sohn nicht kennt, kann auch den Vater nicht kennen. Deswegen heißt es:

                       

Meditiere über die Form des Meisters und nimm seine

                        Worte als buchstäbliche Wahrheit. Laß die Schritte des

                        Meisters in den Tiefen deines Herzens widerhallen.

                        Der Meister ist der Unendliche, beuge dich ihm.

                                                                                                            Gond M.5

 

                        Denke an die Füße des Meisters in deinem Herzen.

                        Durch ständiges Denken an ihn wirst du das Meer der

                        täuschenden Materie überqueren.

                                                                                                            Gond M.5

                        Durch die Meditation über die Form des Meisters,

                        wirst du hier und im Jenseits geehrt.

                                                                                                            Gond M.5

 

Und wieder heißt es:

 

                        Gedenke des wahren Meisters in dir und wiederhole das

                        von ihm gegebene Wort im Geiste. Mit den Augen stelle dir

                        die Gestalt des wahren Meisters vor, und mit den Ohren

                        höre das heilige Naam - des Ewigen Sang. Wer innen und

                        außen vom wahren Meister, dem personifizierten Wort,

                        erfüllt ist, erwirbt den Ehrensitz in seiner Gegenwart.

                        Nanak sagt: wem auch immer der Herr Seine Gnade

                        schenkt, dem verleiht er diesen Zustand. Doch wenige

                        nur sind die Auserwählten, die diese Gnade erlangen.

 

                                                                                                            Gujri War M.5

 

Hierbei müssen wir auf der Hut sein, denn wenn der Meister, über dessen Form du meditierst, nicht wirklich spirituell ist, wirst du zu dem, was er ist. Dieser Weg ist darum gefährlich; es sei denn, du bist dir der Vollkommenheit des Meisters sicher. Du kannst jedoch nicht den Rechten vom Falschen unterscheiden, und deswegen ist es besser, den inneren Blick auf das Licht zu heften, das dir ein kompetenter Meister bei der Initiation gibt. Nach einer Zeit der Übung wird im Verlaufe des Fortschritts der wahre Meister im Innern in seiner strahlenden Form erscheinen. Die Echtheit der Erscheinung läßt sich immer durch das Wiederholen der geladenen Worte, die der Meister gegeben hat, prüfen. Nur ein kompetenter Meister kann bei der Initiation oder später, während der Meditation (nach einiger Praxis), im Innern erscheinen. Dies wird vor jeder Täuschung oder Versuchung bewahren.

 

Die dritte Beschränkung bezieht sich auf die Fähigkeit des Hörens. Dieses sollte auf die ewige Musik abgestimmt werden, die in allem und durch alles ertönt. Der Ton ist die wahre Substanz Gottes.

 

Der Meister sagt:

 

                        O meine Ohren, eilt, eilt und hört die Wahrheit,

                        deretwegen ihr an den Körper gebunden wurdet,

                        und lauscht der ewigen Musik - dem wahren Bani.

                                                                                                            Ramkali M.5

 

Das bedeutet nicht, daß wir den Gebrauch dieser Organe im Bezug auf die äußere Welt vernachlässigen sollten. Sie sollten jedoch so trainiert werden, daß sie positive Hilfe auf dem Weg der spirituellen Entfaltung sind und somit doppelten Nutzen bringen. Die Übung soll dazu verhelfen, daß sich das Gemüt in sich selbst festigt und seine Substanz daran hindert, unnütz nach außen zu fließen. Der erste Vorgang, Simran, bildet die Grundlage des spirituellen Strebens. Man muß damit fortfahren, bis das Ziel erreicht ist.

 

Der zweite und dritte Vorgang, Dhyan und Bhajan, folgen von selbst.

 

                        Hindere den Gemütsstoff daran, durch die neun Tore

                        des Körpers hinauszuströmen; denn dies wird dir

                        Zugang zum zehnten Tor verschaffen, das zur wahren

                        Heimat des Vaters führt. Dort erklingt die unendliche

                        Musik bei Tag und Nacht; durch Gurmat (die Weisungen

                        eines Gottmenschen) wird dieser Gesang im Innern hörbar.

 

                                                                                                            Mahi M.5

 

Wajhan Sahib sagt:

 

                        Wieso sagst du, der Gatte sei fort? Du kannst ihn sehen,

                        wenn du die zehn Tore verschließt. Dann wird die ewige

                        Musik an dein Ohr klingen, und du wirst dich von einem

                        Sklaven in einen König verwandeln. Alle Melodien sind im

                        Körper, und bezaubernder, lieblicher Gesang ertönt.

                        O Wajhan! Wie groß ist das Glück dessen, der diese

                        Musik hört!

 

Diese drei Beschränkungen helfen im höchsten Grade bei der Konzentration. Als erstes bringt der „Simran“ der geladenen Worte, die vom Meister gegeben wurden, das Gemüt von außen nach innen und zieht den Geist vom Körper zum Sitz der Seele zurück. Er sinkt von der Peripherie unseres Wesens zu seinem Mittelpunkt. Dies läßt uns immer an das höchste Ideal, das dem Menschen vor Augen gehalten wird, denken, nämlich an die Selbsterkenntnis und Gotterkenntnis.

 

Der zweite Vorgang, der „Dhyan“ , hilft ebenso bei der Konzentration und festigt die Seele im Innern. Der letzte Prozeß, „Bhajan“, oder das Hören auf die innere Musik im Menschen, leitet die Seele ins Jenseits, zum Ursprung, von dem der Lebensstrom, oder das Tonprinzip des heiligen Naam, die ewige Musik,  ausgeht. Genau wie in einer pechschwarzen Nacht, in der man nichts sieht und weder hinten noch vorne etwas erkennen kann, einem das ferne Bellen eines Hundes oder das von weitem sichtbare Aufflackern eines Lichtes bei der Weiterreise hilft, so hilft auch die spirituelle Musik und das strahlende Licht einer suchenden der Seele auf dem Pfad bei ihrem einsamen Aufstieg in die wahre Heimat des Vaters.

 

Der lange Entwicklungsgang beginnt mit der Konzentration am Sitz der Seele im Körper, der genau zwischen und hinter den beiden Augenbrauen liegt, wo der geistige Simran mit voller Ernsthaftigkeit zu üben ist. Dies macht das Zurückziehen des Geistesstromes möglich, der sich gegenwärtig über den ganzen Körper ausbreitet, und sammelt ihn am Sitz der Seele, was zur Folge hat, daß die Grenzen der groben Materie des Körpers und der äußeren Welt aufgehoben werden. Wenn der Geist einmal von seinen Fesseln und somit von seinem endlichen Dasein befreit ist, hat er Zugang zu Til (Nukta-i-Sweda - oder dem „Dritten Auge“) und geht von da aus mit der Hilfe einen Gott-Menschen weiter in die höcheren Regionen. Nachdem man die Astralebene voller Zuversicht durchquert hat, erreicht man Daswan Dwar mit der heiligen Quelle des Nektars, das wahre Amritsar (Mansarover oder Prag-Raj) im Menschen. Die Moslems nennen es „Hauz-i-Kausar“. Ein Bad oder eine Taufe darin, befreit den Geist von den astralen und kausalen Körperhüllen und der feineren Materie. Es ist die wahre und wirkliche Taufe mit dem heiligen Wasser der Unsterblichkeit. Der sich nunmehr selbst überlassene Geist erstrahlt in vollem Glanze durch ein Licht, das leuchtender ist als das von mehreren Sonnen. Da er nun Wissen über sein wahres Wesen hat, das das gleiche ist, wie das von Gott selbst, schreitet er mit Hilfe der strahlenden Form des Meisters weiter, bis er die rein spirituelle Region Sach Khand, neues Jerusalem oder Muquami-Haq erreicht, wo Sat Purush - der Formlose - seinen Wohnsitz hat. Von hier aus und unter dem Beistand der Gnade des letzteren geht er Stufe für Stufe weiter dem Namenlosen Einen entgegen. Dieser Aspekt des Aufstiegs der Seele von den materiellen Bereichen in die spirituell-materiellen, bildet das Thema des XXI. Verses des Jap Ji. Der Meister befaßt sich darin mit den drei wichtigsten der fünf spirituellen Stufen: Til (der Startpunkt), Daswan Dwar und Sach Khand. Die fünf Regionen werden ebenfalls am Ende des Jap Ji erklärt.

 

Ein Mensch, der Zugang zu Til hat und im Glanz der strahlenden Astralform des Meisters badet, wird ein Sikh oder Schüler des Meisters (Ergebener) genannt. Wenn er weiter fortschreitet, erreicht er Daswan Dwar, die dritte der Entwicklungsstufen, und wird ein Sadh, eine geschulte Seele. Erlangt er die Region des Reinen Geistes, wird er ein Sant oder Heiliger. Einer, der die höchste spirituelle Region des Namenlosen Einen, des Unerkennbaren und Unerfaßbaren, erreicht hat, wird ein Param Sant, der Heilige der Heiligen, genannt. Diese Begriffe sind im Text der Reden des Meisters zu finden. Es Wörter mit einer wichtigen weiteren Bedeutung; sie haben keinerlei Beziehung zu jenen, die sich mit äußeren Formen und Formeln, dem Ausüben von Riten und Nachtwachen usw. befassen.

 

Guru Nanak war ein Heiliger der höchsten Ordnung, ein Param Sant, welcher die Region des Namenlosen Einen erreichte, was aus seinen eigenen Worten ersichtlich ist:

                       

Fliege über die Region der Wahrheit, des Reinen Geistes,

                        hinaus; dann erreiche die Ebene des Unerkennbaren und

                        Unbegreiflichen. Über dieser liegt die Wohnstatt der

                        Heiligen, und dort weilt der geringe Nanak.

 

Ohne einen Gott-Menschen wird das Mysterium der Seele niemals enthüllt

 

Bei allem, was hier gesagt wurde oder noch gesagt werden mag, bleibt das Mysterium der Seele ein versiegeltes Buch. Keine sprachliche Wendung vermag die Wahrheit zu enthüllen, die sich hinter der Schöpfung verbirgt. Ein Aufstieg der Seele zu den höheren Regionen ist unmöglich, solange man nicht in diese Ebenen hineingeführt wird. Man kann natürlich den inneren Geistesstrom durch „Simran“ vom Körper hinter die beiden Augenbrauen zurückziehen, oder zeitweilig ein Licht sehen, aber es ist nichts da, das einen nach oben bringen wird. Viele schon wurden auf diesen Anfangsstufen für lange Zeit festgehalten, und es kam keine Hilfe, die sie aufwärts führte. Manche nannten diese Stufe das Ein und Alles; aber noch halten sie sich lediglich am Rande der gröberen Materie auf und im Bollwerk der feineren. Hier ist die Hilfe einer kompetenten Persönlichkeit vonnöten, um die Ergebenen aus dem eisernen Griff der feineren Materie zu befreien. Es muß ein Mensch sein, der selbst durch die verschiedenen Entwicklungsstufen hindurchgegangen und zur Region des Reinen Geistes, des Sat Naam, gepilgert ist, die weit über dem Einflußbereich der Materie liegt.

 

Der Meister sagt:

 

                        Der, welcher den Sat Purush erkannt hat, ist der

                        wahre Meister; in seiner Gemeinschaft allein wird

                        ein Sikh (ein Ergebener) befreit. O Nanak! Er wird

                        den Herrn sehn und zum Ruhme des Allmächtigen singen.

 

                                                                                                            Gauri Sukhmani M.5

 

Drei Kernpunkte für den Fortschritt der Seele zu Gott

 

Es gibt drei wesentliche Punkte für den Fortschritt der Seele, die sie befähigen, sich mit Gott zu vereinen. Sie können folgendermaßen zusammengefaßt werden:

 

                        1. Satguru oder der wahre Meister,

                        2. Sat Sangat oder die Gemeinschaft der Initiierten, unter

                            dem Vorsitz des Meisters,

3.   Sat Naam oder das wahre Naam.

 

Die Meister bilden eine heilige Bruderschaft in Gott. Sie sind das Kostbarste, was die Menschheit hat; sie haben ihre Evolution beendet und sich ins Gottesbewußtsein erhoben. Sie haben völliges Einssein mit Gott erreicht und fließen über vom heiligen Wort, oder dem göttlichen Leben in all seiner Fülle. Sie sind Inkarnationen in menschlicher Gestalt, um die Geschicke der Menschenkinder zum Ziel des Lebens zu leiten. Sie bilden gleichsam das verbindende Glied zwischen Mensch und Gott. Sie gehören der Ordnung der „Großen“ an, die mit der Pflicht beauftragt sind, über die Menschheit zu wachen. Sie nehmen aufrichtige Sucher nach Gott unter ihre Obhut, um die Verwirklichung ihrer Einswerdung mit dem Einen Wesen zu beschleunigen.

 

Die Qualifikation eines Gott-Menschen

 

Ein wahrer Meister kann nicht sogleich erkannt werden. Er ist ein Gottmensch. Nur ein Gottmensch kann einen Gottmenschen wirklich erkennen. Man kann ihn beschreiben als einen, der von Spiritualität überfließt und weit über dem Leben der Sinne steht. Er hat sich selbst von den verschiedenen Umhüllungen der groben und feinen Materie befreit und den Allwahrhaftigen innen und außen mit seinen eigenen Augen gesehen. Er ist kompetent, die spirituellen Möglichkeiten, die latent im Menschen liegen, zu entfalten. Alle sind im Innern mit derselben Energie ausgestattet, genau wie eine bereits geladene Batterie. Er ist aber derjenige, der sich mit der großen Batterie des Herrn verbunden hat und direkte Botschaften von ihm empfängt. Er ist das Sprachrohr des Ewigen. Jeder von und hat dieselbe Kraft in sich, aber unsere Batterien sind nicht angeschlossen. Wir müssen erst wieder verbunden werden, damit wir ebenfalls als geladene Batterien dienen können und imstande sind, direkte Botschaften vom Herrn zu erhalten. Wir brauchen also einen, der selbst angeschlossen ist und der umgekehrt unsere Batterien mit dem Höchsten verbinden kann. Er hat das strahlende Licht des Unendlichen in sich und ist in der Lage, unsere ausgegangenen Lampen wieder mit Licht zu versehen. Eine Lampe ohne Licht kann andere Lampen nicht entzünden. Alle sind spirituell blind, wenn sie sich zu den Füßen eines Meisters niederlassen. Er öffnet das verborgenen innere Auge und setzt sie instand, das Licht Gottes zu schauen. Gleichfalls öffnet er ihre Ohren, um sie die lieblichen Weisen der göttlichen Musik, das Wort oder Naam, vernehmen zu lassen. Christus sagte: „Seid vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist.“ Alle Menschen sind dazu bestimmt, vollkommen zu werden, und am Ende werden sie die Vollkommenheit erreichen. Was wir gegenwärtig auch immer sind, ist die Folge unserer früheren Gedanken und Handlungen. Das, was wir jetzt denken und tun, wird unsere Zukunft formen und bestimmen; aber dieses Formen unserer Zukunft schließt nicht aus, daß wir von außen Hilfe bekommen. Genau wie ein Obstbaum, der sich für gewöhnlich selbst überlassen ist, zu gegebener Zeit, beispielsweise nach fünf oder sechs Jahren, Frucht trägt, der aber, wenn er auf sachgemäße Weise mit Dünger usw. behandelt wird, um zwei oder drei Jahre eher und in Fülle Frucht bringt. So wird auf ähnliche Weise die Entfaltung spirituellen Lebens durch die Hilfe eines Meisters beschleunigt.

Ein solcher Beistand ist von unschätzbarem Wert. Die äußere Hilfe belebt die inneren Möglichkeiten der Seele. Sie erweckt das spirituelle Leben in uns und bringt uns schließlich zum höchsten Ziel.

 

 

Schriften können die Spiritualität nicht erwecken!

 

Dieser belebende Impuls kann nicht aus heiligen Büchern abgeleitet werden. So wie Licht von Licht kommt, geht Leben von Leben aus. Eine Seele muß die Lebensimpulse durch die innigen Blicke einer Meisterseele erhalten. Bloßes Buchwissen, ja intellektuelle Entfaltung, kann Spiritualität nicht erwecken. Der Intellekt ist gewiß vollgestopft durch Buchgelehrsamkeit, aber der Geist ist ohne Nahrung. Das ist der Grund, warum jeder von uns so wunderbar über spirituelle Dinge sprechen kann; aber unser eigentliches Leben verrät wirklich nicht das geringste davon.

                       

Wir mögen endlos lesen und können es hingebungsvoll

                        Monate und Jahre, ja unentwegt unser ganzes Leben lang

                        tun; aber, o Nanak, dies alles füttert und mästet nur

                        das Ego allein und ist sonst von keinem Nutzen.

                                                                                                                        Asa War M.1

 

Ein lebendiger Geist kann nur durch die lebendigen Impulse einer Meisterseele belebt werden. Man mag einen solchen Menschen nennen wie man will, er ist jedenfalls eine Notwendigkeit. Jede Religion hat bezeugt, daß eine solche Existenz erforderlich ist.

 

Wir leugnen nicht die Notwendigkeit äußerer Hilfe in allen unseren objektiven Belangen. Gewöhnlich suchen wir sie bei einem, der in einer bestimmten Sache erfahren ist. Warum sollten wir uns dann schämen, Hilfe zu suchen in einer Sache rein subjektiver Natur - nämlich Hilfe für den spirituellen Pfad, der unserer äußeren Sicht verborgen und ganz in Geheimnis gehüllt ist? Wie dankbar sollten wir sein, wenn uns einer in die inneren Tiefen der subjektiven Welt führen will. Wer auch immer sich zu den höchsten spirituellen Ebenen erhoben hat, die weit über den Gesichtskreis der grob- und feinstofflichen Materie liegen, kann uns Kraft übertragen und uns heil über das Meer der täuschenden Materie geleiten.

 

Maulana Rumi, ein Moslem-Heiliger, sagt:

 

                        Wenn du eine Pilgerreise (zum Göttlichen) machen willst,

                        so nimm einen mit dir, der sie bereits kennt; es hat dabei

                        nichts zu sagen, ob er ein Hindu, ein Türke oder ein

                        Araber ist.

 

Allseitige Entartung ist das Merkmal unserer Zeit. Die buchstäblichen Worte der Schriften, ohne den Geist oder die Bedeutung, die hinter ihnen stehen, haben die Stelle des lebendigen Lebens für die meisten von uns eingenommen. In völliger Unwissenheit sind die meisten von uns der Meinung, alles zu wissen, und bieten sich an, andere auf ihre Schultern zu nehmen. So führen Blinde die Blinden, und beide fallen in den Graben. Die Welt ist voll von sogenannten Lehrern. Solche Lehrer haben die Welt in Unwissenheit getaucht. Diese Geschöpfe der Finsternis, klug in ihrer Einbildung, geben vor, unermeßliche Schätze der Gottheit zu verteilen. Sie gleichen einem Bettler, der ein Geschenk von einer Million machen will.

 

Somit kann ohne einen solchen, der die Wahrheit des Jenseits in sich aufgenommen hat, kein Fortschritt auf dem Pfad der Spiritualität gemacht werden.

 

Der Meister hat gesagt:

 

                        Wahrlich, unvergleichlich ist der Mensch, der die

                        Gottheit kennt. Wenn einer von Tür zu Tür betteln

                        geht, dessen Leben wird verflucht sein und verflucht

                        die Gemeinschaft, zu der er gehört.

                                                                                                                        Bihagra War M.3

 

Und nochmals sagt der Meister:

 

                        Wer sich selbst einen spirituellen Lehrer nennt und

                        betteln geht, dem wirf dich nie zu Füßen. Ein wahrer

                        Meister verdient seinen Lebensunterhalt selbst und

                        teilt ihn mit anderen. O Nanak! Nur ein solcher

                        kann den Weg zu Gott kennen.

                                                                                                                        Sarang War M.1

 

Die Notwendigkeit eines Gott-Menschen

 

„Wer einen König sehen will, muß zuerst die Gemeinschaft eines solchen suchen, der in des Königs Gunst steht. Wer auch immer schmerzlich nach dem Herrn verlangt, sollte nach einem forschen, der eins mit ihm geworden ist.“

 

Wieder heißt es:

                       

Möge sich kein Mensch auf der Welt der Täuschung

                        hingeben; ohne einen Gott-Menschen kann keiner das

                        andere Ufer erreichen.

                                                                                                                        Gond M.5

 

Maulana Rumi sagt:

 

                        Wenn einer die Gegenwart Gottes sucht, so sage ihm,

                        er solle in die Gemeinschaft der Heiligen gehen.

 

Die Heiligen sind kompetent, unseren Lebensablauf von Grund auf zu wandeln; sie können uns gottwärts leiten. Sie empfangen Offenbarungen vom Höchsten, und was sie auch immer sagen, ist tatsächlich die Wahrheit.

 

Der Meister sagt:

 

                        Hört auf das wahre Zeugnis der Heiligen, denn sie

                        sagen das, was sie tatsächlich mit ihren eigenen

                        Augen gesehen haben.

                                                                                                                        Ramkali M.5

 

Ihr braucht euch nicht um ihre äußere Erscheinung zu kümmern. Bleibt aus Ergebenheit zu ihren Füßen. Alle, die Gott lieben, seien es Hindus, Moslems, Christen oder Menschen anderer Glaubensrichtungen, sind eins für sie. Sie haben die Sonne der Gottheit hinter ihrer äußeren Gestalt verborgen. Sie sind die Musik des Ewigen Gesangs.

 

Der Meister erklärt diese Tatsache im fünften Vers des Jap Ji. Solcher Art sind die Meister, welche den Ewigen Gesang in uns offenbaren und ihn für uns hörbar machen. In ihnen ist alle Erleuchtung und Vollendung. Ein solcher Meister verkörpert alles, was gut und vortrefflich ist. Er ist ein Gott-Mensch, nein, Gott polarisiert - ein Pol, von dem aus die Kraft Gottes in der Welt wirkt.

 

Wer ist der Guru?

 

In der Heiligen-Terminologie wird der Heilige, der die Wissenschaft des Wortes anwendet und lehrt, ein „Guru“ genannt.

 

Das Wort „Guru“ stammt von der Sanskritwurzel „Giri“ ab, was „tönen“ oder „sprechen“ bedeutet. Das Wort „Guru“ weist somit auf einen hin, der das Tonprinzip praktiziert, der damit in Einklang steht und der es im Menschen hörbar macht.

Paltu Sahib erklärt den Guru als das Wesen, welches das Wort - die Ewige Musik - von den himmlichen Sphären herunterbringt und uns hören läßt.

 

Auch Guru Nanak sagt:

 

                        Der, welcher die wirkliche Heimat in diesem Körper zeigt,

                        ist der wahre Guru - der Allmächtige. Er läßt das

                        fünftönige Wort im Menschen widerklingen, und so tönt

                        es weiter als Schlüssel zum Wort.

                                                                                                            Malar War M.1

Soami Shiv Dayal Singh Ji beschreibt den Guru so:

 

                        Ein Guru ist der, welcher das Wort liebt.

                        Er verehrt nichts anderes als das Wort. Derjenige,

                        welcher das Wort praktiziert, ist der allmächtige Guru.

                        Sei glücklich im Staub seiner Füße und halte demütig

                        an ihm fest.

 

Und Kabir sagt:

 

                        Alle Sadhs sind groß, jeder auf seine eigene Weise.

                        Aber der, welcher sich mit dem Wort verbindet,

                        ist der Anbetung würdig.

 

Doch einem solchen Guru zu begegnen,

ist allein durch göttliche Fügung möglich.

                        Im Überschwang Deiner Gnade läßt Du uns einen

                        Gottmenschen finden.

 

Ohne die Anweisung eines Gottmenschen kann man sich nicht mit dem Wort verbinden; und wenn diese Verbindung zustande kommt, führt es die Seele zum Herrn, von dem das Wort ausgeht, und all unser Mühen hat seinen vollen Lohn.

                       

Verbindung mit dem Wort bedeutet Verbindung mit

                        dem Herrn, und alles Mühen sprießt weiter dem

ersehnten Ziel zu.

                                                                                                            Sri Rag M.3

 

Wenn man durch ein unfaßbares Glück eine solchen Heiligen findet, dann sollte man beharrlich mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele an ihm festhalten, denn durch ihn kann man das Ziel des Lebens erlangen - die Selbstverwirklichung und Gottverwirklichung. Seht nicht auf den Glauben oder auf die Rasse. Lernt von ihm die Wissenschaft des Wortes, und weiht euch mit Herz und Seele der Praxis des Wortes. Der Guru ist eins mit dem Wort. Das Wort ist in ihm und inkarnierte sich im Fleisch, um der Menschheit Weisungen zu erteilen.

 

Im Evangelium heißt es:

                       

Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns.

 

Wenn wir lernen, das sterbliche Kleid nach Belieben abzustreifen, uns über das Körperbewußtsein zu erheben und die Astralwelt zu betreten, erscheint der Meister in seiner strahlenden Astralform und hilft uns weiter zu den darüber liegenden Ebenen. Er verläßt uns nicht, bis wir den Allmächtigen erreicht haben.

 

Christus hat in klaren Worten gesagt:

 

                        Ich will dich nicht verlassen, noch versäumen,

                        bis an das Ende der Welt.

 

Mit den Worten des Meisters:

 

                        Bani oder das Wort ist der wahre Lehrer, und der

                        wahre Lehrer ist das personifizierte Wort.

                                                                                                Nat M.4 und Ramkali M.1

Und wieder heißt es:

 

                        Im Innern ist das himmlische Licht, und aus ihm

                        geht Bani oder der Ton hervor. Er stimmt die Seele

                        auf den wahren Herrn ab.

                                                                                                Sorath M.1

 

                        Dort, in der verborgenen Quelle, brennt ein Licht

                        ohne Öl und Docht; und von diesem strahlenden Licht

                        gehen erhabene Symphonien aus.

                                                                                                Paltu Sahib

 

Nun erhebt sich die Frage: Wo können wir das Licht und den Ton finden? Es ist weit entfernt vom Blick des Sterblichen und von mehreren materiellen Schichten umgeben. Wir müssen uns über die Festung der Materie erheben, wenn wir es zu finden trachten. Es kann wohl gesehen und empfunden werden, aber mit Augen, die anders sind als die sterblichen Augen des Fleisches. Wir haben alle Achtung und Anerkennung für die heiligen Schriften, weil wir darin die Lehren vom Wort - Bani - finden. Aber, um es genau zu nehmen, sind Tinte, Papier und der Druck nicht Gegenstand unserer Verehrung; mit ihnen jedoch wird das Wort - der Weltlehrer - beschrieben. Auf ähnliche Weise verehren wir im physischen Körper des Heiligen das personifizirerte Wort in seiner Person. Aus diesem Grund sind beide ungetrennt zu respektieren. Es ist genauso, als ob ein Geliebter im Innern eines Hauses sitzt, dessen Türen fest verschlossen sind. Wir wollen uns verneigen, aber wie können wir es? Wir wissen, daß es der Geliebte ist, vor dem wir uns verneigen wollen, und nicht der Lehm, Kalk und Mörtel des Hauses, in dem er weilt. Vor wem verneigen wir uns, wem liegen wir zu Füßen? Nun, vor dem Bewohner des Hauses, der sich hinter den Mauern befindet; wenn es auch den Anschein hat, als ob unsere Verehrung den Lehmmauern gelten würde.

 

Das Wort oder Bani ist der wahre Lehrer für die ganze Menschheit. Es ist der eine Lehrer für alle. Es war der wahre Lehrer in der Vergangenheit, ist es in der Gegenwart und wird es in allen zukünftigen Zeiten sein. Es gibt keinen zweiten Lehrer oder Guru der Menschheit. Der Mensch, der ihn (das Wort - den Guru) gefunden hat und der eins mit ihm - dem Wort in ihm - geworden ist, ist mit uns auf dieselbe Weise verbunden wie der Geliebte, auf den oben Bezug genommen war. Es ist die aus sich selbst leuchtende, strahlende Form im Innern des Fleisches und der Knochen des äußeren Menschen, die der wahre Lehrer ist und eins mit dem Herrn. Es ist kein anderer als der Herr selbst, denn

 

                        Gott erscheint wahrhaftig in Gestalt eines Sadh.

                                                                                                            Gauri Sukh M.5

 

Die großen Schätze des Guru Granth Sahib, wie alle anderen heiligen Schriften, rühmen einen solchen Gott-Menschen, der uns mit dem Herrn verbinden kann und uns über das Meer der Materie bringt.

 

Wir lesen in diesem Zusammenhang:

                       

Der, welcher seinen Sitz über den Himmeln hat,

                        bringt die Ewige Musik hervor; o Nanak! Den Ruhm

                        eines Sadh können die heiligen Schriften nicht ergründen.

                        Ohne das Wort herrscht völliges Dunkel im Innern.

                        Der Mensch hat es nicht; und er entgeht nicht dem endlosen

                        Zyklus der Geburten. Der Schlüssel ist in den Händen

                        eines Gott-Menschen, und kein anderer darf das Tor

                        aufschließen. Ein seltenes Glück bringt den Gott-Menschen

                        zur Rettung herbei.

                                                                                                            Majh M.5

 

                        Der Gott-Mensch und der Herr betrachten sich als eines;

                        sei darüber nicht bestürzt in deiner Unwissenheit.

                                                                                                            Gond M.5

 

                        Ihr alle, die ihr nach innerer Ruhe, genannt Sahaj, verlangt,

                        seid sicher, ohne einen Gott-Menschen führt kein Weg dahin.

 

                                                                                                            Sri Rag M.3

 

                        Wer immer den Gott-Menschen verherrlichte,

                        kennt den Herrn.

                        Alle Not wird zunichte, alles Leid aufgehoben,

                        wenn man den wahren Shabd - das Wort - findet.

                                                                                                            Asa M.1

 

                        Kommt man mit einem Gott-Menschen zusammen,

                        läßt das Gemüt von allen Verzweigungen ab, und man

                        erhält Zugang zur wahren Heimat im Innern.

                                                                                                            Asa M.3

 

                        Groß ist der Gott-Mensch - der Sat Purush,

                        denn er verleiht Sättigung und Befriedigung.

                                                                                                            Wadhans War M.4

 

                        Das köstliche, erfrischende Wasser kosten, für das du

                        in die Welt kamst, kannst du nur durch die Gnade eines

                        Gott-Menschen.

                                                                                                            Sorath M.1

 

                        Der Dienst für den Meister macht den Tonstrom hörbar,

                        und dann erfährt man die Erlösung.

                                                                                                            Sorath M.3

 

                        Das Wort des Meisters offenbart das göttliche Licht.

                                                                                                            Bilawal M.5

 

                        Hat man einen Gott-Menschen gefunden, tritt der Herr

                        in Erscheinung.

                                                                                                            Bhairon Nam Dev

 

                        Durch die Gnade eines Gott-Menschen wirst du den Tempel

                        des Herrn in dir schauen.

                                                                                                            Parbhati M.3

 

                        Bei aller Geschicklichkeit kannst du dich auf dein Geheiß

                        nicht mit Naam verbinden; denn es kommt als ein

                        Geschenk des Gott-Menschen.

                                                                                                            Malar M.5

 

                        Betrachte den Gott-Menschen und den Herrn als ein und

                        denselben; denn was dem einen wohlgefällt, ist auch

                        für den anderen annehmbar.

                                                                                                            Gond M.5

 

                        Die Schätze von Naam - der spirituelle Strom - sind im

                        Tempel Gottes (dem Körper). Die Unwissenden erkennen

                        sie nicht. Durch die Gunst des Meisters werden sie uns

                        gewahr, und der Herr wird ins Innerste des Herzens

                        gebettet.

                                                                                                            Parbhati M.3

 

Der Prophet sagt, daß Gott verkündet habe:

                        Die Erde, der Himmel und die höheren Regionen reichen

                        alle nicht aus, Mich aufzunehmen. Ich kann nicht in

                        ihnen sein, wisset dies, ihr Lieben. Doch so seltsam es auch

                        scheinen mag, Ich wohne im Herzen eines Heiligen.

                        So wenn ihr mich also sucht, dann sucht mich dort.

                                                                                                            Maulana Rumi

 

Darum lerne, den Satguru zu verehren. Guru Amar Das Ji sagt:

 

                        Verehrung des wahren Meisters ist Verehrung des Herrn.

                        Aus grenzenlosem Mitleid verbindet er dich mit Naam

                        und leitet dich über das Meer der täuschenden Materie.

                        Jene, die das Leblose und die Gräber verehren,

                        mühen sich umsonst.

                                                                                                            Malar M.4

 

Der Gott-Mensch ist der einzige wahre Freund

 

Alle menschlichen Verbindungen hören beim Tod auf. Alle Freunde und Verwandten, Frau und Kinder müssen sich trennen. Wer ist nun da, um mit dir in die andere Welt zu gehen? Nicht einer! Aber das Wort - das im Gott-Menschen personifizierte Wort - geht mit dir. Es hilft dir bei allen Unternehmungen hier und im Jenseits. In der Todesstunde, wenn ihn alle anderen im Stich lassen, empfängt der Gottmensch den Initiierten. Wie ein nie versagender Freund streckt er dir in Wohl und Weh immer seine helfende Hand entgegen.

 

Der Meister sagt:

 

                        O Nanak! Löse alle Verbindungen, die vergänglicher Natur

                        sind, und suche die feste Freundschaft eines Heiligen;

                        denn alle anderen verlassen dich schon bei Lebzeiten,

                        während er bis zuletzt und noch darüber hinaus

                        unerschütterlich zu dir steht.

                                                                                                            Maru War M.5

 

                        Wer auch immer die Geburts- und Todesqualen fürchtet,

                        sollte nach einem Heiligen suchen.

                                                                                                            Gauri Sukh M.5

 

Wer sich selbst dem Willen des Meisters ergibt, stellt sich unter die beschützende Kraft des Meisters, der sich beeilt, die Gottheit in ihm zu erwecken. Der Meister verläßt den Schüler, den er einmal angenommen hat, niemals, bis dieser Gott erreicht, dessen Urbild der Meister auf Erden ist. Er spricht mit seinem Ergebenen von Angesicht zu Angesicht und gibt ihm in Zeiten der Not seinen Rat. Er formt den Schüler Gott ähnlich und macht ihn zum lebendigen Tempel göttlichen Bewußtseins.

                       

Der mich nicht in Wohl noch in Weh verläßt, nicht am

                        Anfang, jetzt, noch am Ende, nach einem solchen Freund

                        verlangt mein Herz.

                                                                                                            Gauri M.5

 

                        Ergreife den Saum des Kleides dessen, o mutige Seele,

                        der das Geheimnis aller Ebenen kennt; der oberen und

                        der unteren; und der hier und in alle Ewigkeit bei dir ist.

 

                                                                                                            Maulana Rumi

 

Es gibt drei Dinge, die von einem Sikh oder Schüler in Bezug auf seinen Meister verlangt werden und die ihn befähigen, eine Empfänglichkeit für des Meisters Gunst zu schaffen. Er muß Körper, Gemüt und alles, was ihm gehört, opfern - nein, sein bloßes Leben sollte er dem Meister zu Füßen legen. Es ist nicht deswegen, weil der Meister irgendeinen Dank von dem Schüler erwarten würde, sondern damit der Schüler ihm alles, was ihm in diesem Leben teuer ist, opfert. Der Meister nimmt nicht das Geringste davon, sondern gibt es unberührt als eine Opfergabe zurück. Er weist den Schüler an, sich nicht zu beschmutzen, indem er seinen Besitz mißbraucht, sondern den bestmöglichen Gebrauch davon zu machen zum Wohle seiner Brüder, der Armen und Bedürftigen, der Kranken und Schwachen, um so zu der harmonischen Entwicklung von allem, was um ihn ist, beizutragen.

 

Mag der Schüler vor seinem Meister stehen und ihm alles zu Füßen legen, so würde der Meister doch nichts davon nehmen. Aber er hätte auf diese Weise alles aufgegeben, bereit, die Gnade des Meisters zu empfangen und einen Teil der Verwirklichung. Er muß sich selbst zum Werkzeug des Meisters machen, so wie eine Violine oder eine Leier, die gespielt wird und liebliche Symphonien des heiligen Naam hervorbringt. Alle gesellschaftlichen Verbindungen, alles Haften an weltlichen Besitz, alles Festhalten an Name und Ruhm, aller physische Komfort und alle üblen Gedanken, die sich im Gemüt erheben, sollten vor den Meister gelegt werden, auf daß er seinen Willen durch ihn wirken läßt.

 

Wahre Schülerschaft besteht in nicht nachlassender Hingabe und Unterwerfung unter den Willen des Meisters. Sie besteht jedoch nicht darin, daß man des Meisters Gestalt sieht, vielmehr darin, daß man sich auf seinen göttlichen Willen abstimmt. Bei völliger Hingabe wird das mentale Geschwätz über Bord geworfen, und es gibt kein Begehren und kein Verlangen mehr. Der ungestüme Trubel des Sinnenlebens wird durch Ruhe und gesammelter Heiterkeit ersetzt, welche aus der Unterwerfung und wahren Entsagung geboren ist. In diesen stillen Stunden beginnt das spirituelle Bewußtsein aufzudämmern.

Die Bande der Beziehung zwischen Meister und Schüler sind die stärksten der Welt. Selbst der Tod vermag sie nicht zu lösen, denn sie sind durch den Heiligen und allmächtigen Willen Gottes geknüpft.

 

                        O Herr, es ist allein durch Deine Gnade, daß wir zum

                        Satguru geführt werden.

                                                                                                            Suhi Asptpadian M.4

 

Der Meister ist immer mit dem Ergebenen, wo dieser auch sein mag. Entfernung und Tod sind in der Beziehung zwischen Meister und Schüler unwesentlich. Er ist immer an seiner Seite, sei es hier oder im Jenseits.

 

Der Meister wirkt als Leitstern in allen spirituellen Bestrebungen. Er gewährt dem Schüler alle nur mögliche Hilfe durch seine äußeren und inneren Ermahnungen; er hält ihn stets auf dem rechten Weg und bringt ihn zurück, sollte er einmal in falscher Richtung gegangen sein. Örtliche Entfernung ist dabei kein Hindernis. Des Meisters helfende Hand streckt sich dem Ergebenen  immer entgegen, sei er nah oder fern, im brennenden Wüstensand, auf schneebedeckten Bergeshöhen oder selbst in einer öden Wildnis. Er übt einen gesunden und verbessernden Einfluß auf die spirituellen Aspiranten aus, indem er Kräfte innerhalb seines Einflußbereiches frei macht, so wie ein mächtiger Leitstern, der innerhalb seines magnetischen Feldes eine erstaunliche Anziehungskraft ausübt.

 

                        Der wahre Meister nährt die Ergebenen mit seinem

                        eigenen Lebensblut. Der dem Meister nachfolgt,

                        ist stets in einem Zustand anhaltender Glückseligkeit.

 

                                                                                                            Gauri Sukhmani M.5

Maulana Rumi wiederholt dasselbe:

 

Die Hand des Meisters ist die Hand des Herrn. Weit-und hochreichend durchdringt sie die sieben Himmel.

 

Der Meister spricht mit seinen Ergebenen auf allen Ebenen von Angesicht zu Angesicht und gibt seinen weisen rat immer, wenn sie dessen bedürfen.

 

Guru Nanak sagt:

                       

Der Meister ist immer mit mir und so auch der Herr.

                        Alle meine Arbeit verrichte ich in ständiger Erinnerung an ihn.

 

                                                                                                            Asa M.2

                        Der Meister schaut nach mir an allen Orten,

                        welche Furcht sollte ich dann unterhalten?

                                                                                                            Majh M.5

 

Wie erkennt man einen Gott-Menschen?

 

Aber wie sind solche erhabenen Persönlichkeiten zu unterscheiden, die auf die Welt der Sterblichen herniederkommen, um der Menschheit auf ihrer Reise zur höchsten Quelle des Geistes zu helfen! Wann immer wenn sie kommen, offenbaren sie sich selbst, und diejenigen, die mit der spirituellen Schau begabt sind, wissen, wie man sie erkennt.

                       

Ein Mensch der Verwirklichung allein kann

                        eine verwirklichte Seele erkennen.

                                                                                                            Gauri M.5

 

Doch nicht jeder ist spirituell fortgeschritten. Es gibt natürlich einige bestimmte und hervor-

stechende Merkmale im Leben und Gebaren der Heiligen. Mit diesem Wissen mag ein fleischliches Auge imstande sein, sie von der gewöhnlichen Art zu unterscheiden.

 

Ein wirklicher Meister ist ein Welt-Lehrer, und nicht Lehrer einer bestimmten Sekte oder Glaubensrichtung. Er schaut auf die Menschheit von der Ebene der Seele aus und wendet sich an alle beseelten Körper gleicherweise.

 

Ein wahrer Meister ist bekannt für die Universalität seiner Lehren, denn sein Aufruf ist ein universaler und gilt allen. In seiner Herde sitzen alle als Glaubensbrüder zusammen, ungeachtet der Rasse und der Religion.

 

Ferner ist ein wahrer Meister nicht hinter äußeren Pomp und Zurschaustellung her, sondern lebt von seinem eigenen Einkommen und ist niemals abhängig von anderen, was seinen Lebensunterhalt betrifft.

                       

Wer auch immer sich selbst einen Lehrer nennt und

                        von der Mildtätigkeit anderer lebt, vor ihm beuge

                        dich niemals. Einer, der seinen Unterhalt im Schweiße

                        seines Angesichts verdient und mit anderen teilt,

                        o Nanak! Nur der allein kann den Weg kennen.

                                                                                                            Sarang War M.1

 

                        Wie können wir in die Gemeinschaft des Einen kommen,

                        in dessen Gegenwart das Gemüt ruhig wird? Die Heiligen

                        sind die wahren Freunde, denn sie allein flößen göttliche

                        Trunkenheit ein.

                                                                                                            Suhi M.3

 

                        Wenn man mit all-liebender Hingabe einen Gottmenschen

                        sieht, wird nicht nur das Gemüt still, auch alles Leid

                        wendet sich ab.

                                                                                                            Suhi M.5

 

 

Wann immer jemand mit offenem Herzen in die Gegenwart eines wirklichen Meisters gelangt, findet er Wellen des Trostes, die ihm entgegenströmen und fühlt dadurch eine Woge der Erhebung in sich. Seine persönliche Aura hat diese wunderbare Wirkung auf uns. Seine Worte, so wie sie sind, sind mit hoher Spiritualität geladen, sie sinken tief in die Herzen der Zuhörer hinein und sind niemals ohne Wirkung.

 

Gott-Menschen sprechen immer mit einer Autorität, die aus der Überzeugung geboren ist, denn sie besitzen Wissen von allem, das aus der direkten Verbindung mit der ursprünglichen Quelle oder dem universalen Urgrund herrührt. Sie sprechen vom Standpunkt der Seele aus, zu welchem die gelehrte Philosophie keinen Zugang hat. Alle Heiligen haben diese Wahrheit verkündet. Je mehr man sich literarischen Bestrebungen zuwendet, desto mehr wird man sich im Irrgarten des Buchwissens verlieren. Es ist mehr Wahrheit in seiner Rede, als alle Worte gelehrter Philosophie jemals aufzeigen können. Wir sollen, so gut es geht, den besten Gebrauch davon machen, aber wir dürfen uns nicht in sie verlieren, denn „der Verstand ist zwar eine Hilfe, aber er ist auch ein Hindernis“.

 

Der wahre Meister ist einer, der selbst vom Wasser des Lebens - die Wahrheit - in Fülle trinkt und es auch anderen anbietet. Er ist kompetent, das innere Auge der Sucher zu öffnen, damit sie das Licht Gottes schauen können, und er kann ihr inneres Ohr entsiegeln, um sie die Stimme Gottes - das Tonprinzip - hören zu lassen, das in der ganzen Schöpfung erklingt.

                       

Wahrlich, ein wirklicher Meister nimmt den Schleier

                        vom Auge weg und gewährt einen Schimmer von der

                        wahren Wohnstatt.

                                                                                                                       

Und wieder:

                        Wer uns Gottes Wohnstatt im Körper zeigen kann,

                        o, nehmt ihn in der Tat als den wahren Meister an.

                                                                                                            Gauri M.5

 

                       

 

Die Glorie eines Sadh umfassen selbst die Veden

                        nicht vollständig, sie ist bar jeglicher Beschreibung.

                                                                                                            Gauri M.5

 

So legen die Heiligen natürlicherweise mehr Nachdruck auf persönliche Erfahrung. Sie kommen zu den grundlegenden oder zentralen Standpunkt aller Religionen, welcher die Aussagen der Heiligen aller Glaubensrichtungen betrifft. Gott-Menschen schauen nicht auf die äußeren Erscheinungen noch auf die unterschiedliche Kleidung der verschiedenen Orden, vielmehr akzeptieren sie die wahren Werte des Lebens. Sie mischen sich nicht in altherkömmliche Glaubensansichten, zu denen sich ihre Schüler bekennen, und auch nicht in die Art ihres sozialen Lebens. Im Gegenteil: Sie legen allen nahe, in ihren sozialen Religionsgemeinschaften zu verbleiben und zu lernen, den spirituellen Sinn dieser zu leben. Sie gründen keine neuen Glaubensgemeinschaften oder Religionen. Jene, die nach innerer spiritueller Erhebung trachten, können von Gott-Menschen Nutzen ziehen, ohne daß sie die Religionsgemeinschaft, der sie angehören, verlassen. Jedoch befürworteten die Heiligen nicht die Ansicht, daß man das höhere Leben durch objektives Streben suchen sollte. Sie sehen den menschlichen Körper als den lebendigen Tempel Gottes und weisen ihre Schüler an, Gott darin zu suchen durch die Praxis der Wissenschaft vom heiligen Wort.

                       

Wahrlich dieser Körper ist der Tempel Gottes,

                        und das Wort wird in ihm offenbar. Für den Unwissenden

                        lebt Gott getrennt vom Menschen und ist unerreichbar.

                                                                                                                        Parbhati M.3

                       

                        Gott selbst schuf den Tempel des Menschen und wohnt

                        darin. Durch die Gnade des Meisters kann man Gott finden,

                        nachdem alles äußere Verhaftetsein ausgemerzt ist.

                                                                                                                        Shalok M.3

                        Suche Gott niemals in der äußeren Welt, denn Seine

                        Wohnstatt liegt in deinem Haus (dem Körper).

                        Der Unwissende kennt nicht den Wert des Tempels Gottes,

                        und er verliert sein irdisches Leben für nichts.

                                                                                                                        Ramkali War M.3

 

Gottmenschen messen Pilgerorten keine große Heiligkeit zu, wohl aber der Gemeinde der Heiligen. Sie lenken unsere Aufmerksamkeit auf die großen Seelen, welche die Plätze, die heute Pilgerorte genannt werden gesegnet haben.

 

                        Heiligen zu begegnen und in ihrer Gemeinschaft zu sein,

                        ist die größte Pilgerfahrt. Einen Heiligen zu sehen,

                        vermittelt einem den Segen von allen 68 Pilgerorten

                        zugleich.1)

 

1) Es gibt 68 Pilgerort in Indien.

 

Heilige schreiben keine andere Form der Verehrung oder Ausübung eines Rituals vor als die der Verbindung mit dem Wort - dem heiligen Naam. Sie legen uns die Verehrung des Göttlichen im lebendigen Tempel des menschlichen Herzens nahe.  Dies ist in der Tat die wahre Verwirklichung des universalen, segenspendenden spirituellen Stromes in diesem Erdenleben, welcher die ganze Schöpfung durchdringt.

                       

Die Schätze von Naam sind im Tempel Gottes

                        (dem Körper), aber die Unwissenden finden sie nicht darin.

                                                                                                            Parbhati M.3

 

                        Die Reinen sind diejenigen, welche in Verbindung mit

                        dem Wort sind. Ohne das Wort gibt es keine Verehrung.

                        Die ganze Welt steckt in abergläubiger Unwissenheit.

                                                                                                            Ramkali M.3

 

Das Zweitwichtigste beim Fortschreiten der Seele auf dem Pfad ist die heilige Gemeinschaft (Sat-Sangat), da diese eine erhebende Wirkung auf sie ausübt. Die ganze Atmosphäre ist mit dem Lebensimpuls, der vom Meister übertragen wird, geladen, und die Ergebenen, welche an dieser Zusammenkunft teilnehmen, ziehen ungeheuren Nutzen daraus, wenn der Meister den Vorsitz führt. Es ist praktisch eine Schule, in der den Schülern durch Worte und Gedanken geholfen wird. Das ganze Mysterium des Wortes wird erklärt und den Ergebenen als das Ein und Alles für sie verständlich gemacht.

                       

Sat-Sangat (oder die heilige Gemeinschaft) ist der Ort,

                        an dem kein anderes Thema als das heilige Naam oder

                        des Wortes gelehrt und erklärt wird.

                                                                                                            Sri Rag M.1

 

Es wird dort keine Buchgelehrsamkeit der philosophischen Schulen verschiedener Geistesrichtungen vertreten. Ein Leben in der Gottheit ist die einzige Sache von Wert in dieser Richtung. Die Seele, die sich in ihm erhoben hat und sich Seiner allezeit bewußt ist, ist die bewegende Kraft der ganzen Gemeinschaft. Die innigen Blicke solcher gottberauschten Menschen erwecken nicht nur das schlummernde Empfindungsvermögen der Schüler, sondern bringen es nach und nach völlig in Gang. Ihre Augen sind voller Leben, da sie in Einklang sind mit der Großen Urquelle des Lebens. Sie übermitteln denen, die zu ihnen um Hilfe kommen, lebensspendende Strahlen. Ihre gnadenreichen Blicke befähigen die Schüler, die himmlische Musik - das Wort - zu fassen, welche in ihnen ertönt. Sie erlangen leicht den Reichtum der Spiritualität, wenn sie in dieser heiligen Gemeinschaft sind. Durch Ermahnungen und Praxis wird ihnen auf ihrem Weg zum göttlichen Ziel geholfen. Sie sind die Sucher nach dem höheren Leben durch den Einfluß vorbereitet, den sie von der magnetischen Auswirkung erlangen, welche durch die persönliche Aura gottberauschter Eingeweihter in der heiligen Gemeinschaft hervorgerufen wird. Jeder hat ein bestimmtes Einflußgebiet, innerhalb dessen er alle, die in dieses hineinkommen, beeindruckt. Dieser Bereich des persönlichen Magnetismus ist der Kraft der jeweiligen Persönlichkeit entsprechend größer oder kleiner.

 

Es wird besonderer Nachdruck darauf gelegt, an diesen heiligen Gemeinschaften teilzunehmen, und dies so sehr, daß der Sat-Sangat oftmals etwas höher bewertet wird als der Gottmensch selbst. Dies wird durch die Tatsache offenbart, daß er außer dem Gottmenschen auch noch andere gottberauschte Ergebene einschließt. Die heilige Gemeinschaft ist ein Ort, an dem die nach außen gehenden Neigungen und üblen Regungen des Menschen, der sie besucht, leicht gewandelt, geformt und der magnetischen Kraft des Meisters oben unterworfen werden. Der Meister bezeichnet den Sat-Sangat als den einzig wahren Pilgerort, wo die Schüler dem göttlichen Ziel - der höchsten spirituellen Ebene - Sach Khand - entgegenschreiten.

                       

In einem wahren Sangat wird die Verbindung mit dem

                        heiligen Naam- dem Wort - hergestellt. O Nanak,

                        pflege keinen Umgang mit Menschen, die selbstische

                        Ziele haben!

                                                                                                            Gujri War M.5

 

Wo keine solche Persönlichkeit ist, die den Vorsitz führen kann, können die Vorteile eines Satsang nicht genutzt werden.

 

Der Meister sagt:

 

Ohne einen Gott-Menschen gibt es keinen Sangat, und ohne das Wort kann keiner das andere Ufer erreichen.

                                                                                                            Gond Kabir

 

Ist der Meister abwesend und die Ergebenen sitzen in Gedenken an ihn zusammen, erlangen sie die Segnungen des Meisters.

 

Christus hat gesagt:

                        Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem

                        Namen, da bin ich mitten unter ihnen.

                                                                                                            Math 18,20

 

Die dritte Notwendigkeit beim Fortschreiten der Seele ist das wahre Naam - Shabd oder das göttliche Wort -, das der wahre Meister lehrt. Das heilige Naam hat zwei Aspekte: Der eine kann in gesprochenen und geschriebenen Worten mit Hilfe der Lippen und der Zunge oder mittels einer Feder erklärt werden und wird Varn-Atmak genannt. Der andere Aspekt kann als solcher nicht ausgedrückt werden und ist bekannt als Dhun-Atmak. Die Wiederholung von Varn-Atmak Naam wird für Simran-Zwecke auf vier verschiedene Arten gebraucht:

 

                        1) mit der Zunge,

                        2) in der Kehle,

                        3) im Herzen und

                        4) im Nabel.

 

Diese Methoden werden entsprechend folgendermaßen benannt:

 

                        1) Baikhri,

                        2) Madhima,

                        3) Paschanti und

                        4) Pra.

 

Durch die Wiederholung auf eine der oben genannten vier Arten wird Antish Karan (das Gewissen) gereinigt, und man erlangt einige übernatürliche Kräfte, wie die Verausschau und Hellsehen; aber der Gebrauch derselben wird ausdrücklich mißbilligt und untersagt. Glückseligkeit, Demut und Liebe für das Wort werden auf diese Weise ebenfalls ein wenig hervorgebracht. Da es sich hier um die niedrigen Zentren oder Chakras handelt, die zur Meditation im menschlichen Körper benutzt werden, wird dem wahren Sucher angeraten, den konzentrierten Simran mit der Zunge des Gedankens am Zentrum hinter den beiden Augen (welches das sechste und höchste der sechs Zentren in Pind oder dem menschlichen Körper ist) zu üben. Naam, das über diesem Zentrum ertönt, zieht die Seele an wie ein mächtiger Magnet und bringt sie aus den niedrigen physischen Ebenen in die feinstofflichen und spirituellen Bereiche empor. Der Aufstieg der Seele in die spirituellen Regionen ist nur durch die Verbindung mit Naam möglich.

 

Dhun Atmak ist etwas in seinem wahren Aspekt. So wird zum Beispiel der Ton, der von einer Glocke ausgeht, „tun-tun“ genannt. Man kann es nicht so einfach mit Worten erklären, doch das Wort oder der Ton erklingt in den lebendigen Tempeln aller physischen Körper. Das Tonprinzip hat die Macht, die Seele den Menschen zur höchsten spirituellen Region zu bringen, von der es ausgeht. Diese himmlische Musik rührt vom inneren Licht her und geht aus von ihm hervor.

 

Mit den Worten des Meisters gesagt:

 

                        Im Innern ist das himmlische Licht, und aus ihm geht

                        ein Ton (Bani) hervor; eine Verbindung mit ihm bringt

                        die Seele in Einklang mit dem Herrn.

                                                                                                                        Sorath M.1

 

Er darf aber nicht dem Ton verwechselt werden, der durch den Blutkreislauf etc. entsteht und durch die Ohren vernommen wird; denn dieser bezieht sich einzig und allein auf die Elemente. Dieser Aspekt von Naam ist, obgleich man ihn nicht zum Ausdruck bringen kann, dennoch sehr real und ewig. Es ist ein transzentender spiritueller Strom, der von Gott ausgeht und die ganze Schöpfung durchdringt. Es gibt keine Worte, die seine wahre Bedeutung genau bezeichnen oder beschreiben.

 

Der Meister aber beschreibt es folgendermaßen:

 

                        Die 52 Buchstaben des Alphabets und die drei großen

                        Aufteilungen - die rein spirituelle Region, die spirituell-

                        materielle und die materiell-spirituelle Region - sind in

                        diesem Wort. Alle Buchstaben können wegfallen, aber

                        diese Wort wird ewig bestehen.

                                                                                                            Gauri Kabir

 

Das heilige Wort oder Naam ist allein ein Geschenk des Meisters. Ohne dieses kann Gott nicht erkannt werden.

                       

Wahr ist sein Wort und wahr Seine Ewige Musik (Bani).

                        Ein wahrer Gurmukh kann es vernehmen. Durch Sättigung

                        mit dem wahren Wort wird Verzicht erreicht, und das

                        Kommen und Gehen hat ein Ende.

                                                                                                            Maru M.3

 

Kabir sagt:

                        Das Wort zieht die Seele wie ein Magnet zu den spirituellen

                        Bereichen empor. Ohne Hilfe des Wortes kann sich

                        keiner über den Körper erheben, mag er versuchen, was

                        immer er will.

 

Und:

                        Wenn das Wort berührt wird, hat man den Herrn gefun-

                        den, und dann ist alles Mühen von Erfolg gekrönt.

                                                                                                            Sri Rag M.3

 

                        Ohne das Wort ist die ganze Welt entfremdet, und keiner

                        kann etwas daran ändern. Wen auch immer der Herr

                        erretten will, wird auf das Wort abgestimmt.

                                                                                                            Shalok M.3

 

                        Ohne das Wort kann man den Geliebten nicht finden,

                        und die menschliche Geburt war dann umsonst.

                                                                                                            Sri Rag M.3

 

                        Mein Herr, der Ewig-Seiende, wird durch die Praxis des

                        Wortes (des heiligen Naam) gefunden. Er ist unvergänglich;

                        weder kommt Er noch geht Er. Bleibe in Verbindung mit

                        Ihm, der alles durchdringt, und meditiere nicht über einen,

                        der an das vergängliche Rad gebunden ist.

                                                                                                            Gujri War M.3

 

Soami Shiv Dayal Singh Ji sagt, indem er von Shabd spricht:

                       

Wahrlich wunderbar ist die Kraft von Shabd,

                        wie kann ich beschreiben die Glorie von Shabd?

                        Jene, die gekostet haben die Süße von Shabd,

                        sie allein kennen die Größe von Shabd.

 

                        Jeden Augenblick empfinde ich die schützende

                        Kraft von Shabd;

                        wie vermag ich zu schildern die Erhabenheit von Shabd?

                        Ohne Shabd wandelt man in Unwissenheit und kennt

                        nicht seinen Wert.

                        Jene, die das Geheimnis lösten von Shabd

                        und starke Liebe haben für Shabd

                        und Shabd im rechten Ernste üben,

                        sind wirklich die Gesegneten.

                        Es gibt keine Kontrolle über das Gemüt, ohne Shabd;

                        darum stimme dich ein auf Shabd.

                        Vergebens war die menschliche Geburt,

                        erlangt man nicht die Schätze von Shabd.

                        In den Tiefen der Seele ertönet Shabd;

                        warum lauschst du nicht den Klängen von Shabd?

                        Sitze allein und bringe dein Gemüt zum Schweigen,

                        denn nur dann wird sich dir Shabd offenbaren.

                        Lege Stumpfheit, Schlaffheit und Müdigkeit ab

                        und bleibe immer in Verbindung mit Shabd.

                        Im Innern erklingt das auf fünf Arten tönende Shabd;

                        so lerne zu lauschen auf Shabd.

                        Ich habe viel gesprochen über Shabd,

                        aber leider müht sich keiner zu folgen dem Shabd.

                        Für nichts verwirken sie das menschliche Leben,

                        die nicht die Rettungsschnur von Shabd ergreifen.

                        Ich beende nun diese Rede über Shabd,

                        keiner, nur dem es bestimmt ist, erlangt Shabd.

 

Die Verbindung mit dem Wort oder Shabd ist die einzige wahre Verehrung. Ohne diese Praxis vermag nichts die eingewurzelten üblen Neigungen des Gemüts auszurotten. Wer immer über die sich schnell ausbreitenden Verzweigungen des Gemüts klagt, hört nicht die Musik des Wortes. Doch im Verlauf der Zeit schleicht sich die Unwissenheit ein, und die erhabenen Wahrheiten, welche durch die Meister kundgetan wurden, bleiben unverstanden, und ihre

wahre Bedeutung wird aus den Augen verloren.

 

Im Guru Granth Sahib erscheint sehr häufig der Begriff Gur-Bani (das Wort). Wo darin der Ausdruck Shabd vorkam, glaubten manche, daß damit die Hymnen gemeint seien, die im Guru Granth niedergelegt sind. Dies rührt daher, daß sie von dem bewußten Tonstrom oder dem Wort nichts wußten, das in der ganzen Schöpfung und durch sie hindurch erklingt. Wir wollen uns dem Guru Granth Sahib selbst zuwenden, um zu ermitteln, was er darüber zu sagen hat. Die nun folgenden Hymnen werfen genug Licht auf die Tatsache, daß das Wort etwas Bewußtes ist, und dies viel mehr, als Worte zu schildern vermögen.

 

Wenn wir uns mit „Shabd“ verbinden, erheben wir uns in ein neues Leben.

                       

Der Weg zur Erlösung führt über Shabd.

                        Körper und Gemüt werden gereinigt durch Shabd;

                        selbst Gott wird auf der Ebene des Gemüts verdeckt.

                        Ohne die Verbindung mit Shabd sind wir blind und taub,

                        und die menschliche Geburt war umsonst.

                        Ohne den Nektar von Hari Naam zu kosten, ist das Leben

                        nur ein Schatten, eine Fata Morgana, und man bleibt

                        endlos im Zyklus der Geburten und Tode.

                        Gleich schmutzigen Würmern fühlen wir uns wohl im Unrat

                        eingehüllt in den Schleier höchster Unwissenheit.

                                                                                                            Sorath M.3

 

                        Jene, die das Wort nicht kennen, sind blind und taub

                        (denn sie sehen nicht sein Licht und hören nicht seinen

                        lieblichen Gesang). Welchen Nutzen hat ihr Kommen in

                        die Welt?

                        Sie erfreuen sich nicht des süßen Elixiers von Hari Naam

                        und verlieren für nicht das irdische Leben.

                        Und weiter bleiben sie im endlosen Zyklus der Geburten

                        und Tode. Schmutzigen Würmern gleich ziehen sie sich

                        selbst in die Niedrigkeit der Sinneswelt.

                        Wahrlich, ohne Vernunft fühlen sie sich wohl

                        und gedeihen im Dunkel der Unwissenheit.

                                                                                                            Sorath M.3

                        Bani (das Wort) hallt durch die vier Yugas und kündet

                        allen die Wahrheit.

                                                                                                            Sri Rag M.3

 

                        Im Tonprinzip (Dhun) ist tiefe Konzentration;

                        nun weiß ich, was Konzentration wirklich

                        bedeutet. Das Wort, durch den Meister offenbart,

                        ist unaussprechlich (Akath).

                                                                                                            Ramkali M.1

 

                        Der vollendete Meister enthüllt das wahre Wort

                        (Sachi Bani), das durch „Sukhman“ führt und zu

                        „Sahaj“ (dem Zustand der Ausgeglichenheit) leitet.

                                                                                                            Maru M.5

 

                        Der Bani des Meisters (das Wort) erklingt in

                        der ganzen Schöpfung.

                                                                                                            Maru M.5

 

Auch die Bezeichnungen „Akath-Katha“ (unbeschreiblicher Gesang), „Dhun“ (Harmonie), „Anhand Bani“ (unbegrenzte Musik) wurden von Guru Nanak im Granth Sahib gebraucht und sind alle gleichbedeutend mit ein und demselben Prinzip, nämlich „Naam“, „Shabd“ oder „das Wort“. Das Wort liegt über dem Gesichtskreis von „buddhi“ (der Denkfähigkeit) und wird nur gehört, wenn man sich über den Körper erhebt. Ein Verstehen des Wortes kommt allein, wenn es sich der Seele direkt offenbart.

 

                        Alles Wissen und die Meditation rühren vom

                        Tonprinzip (Dhun) her,

                        aber was das Tonprinzip ist, kann nicht

                        erklärt werden.

                                                                                                            Sri Rag M.1

 

                        Der wahre „Bani“ wird durch den Meister gegeben

                        und erklingt im „Sukhman“.

                                                                                                            Maru M.5

 

                        Der „Bani“ des Meisters durchdringt alles.

                        Er geht von ihm aus, und er selbst offenbart ihn.

                                                                                                            Maru M.5

 

                        Die unübertreffliche Musik wird über die Gnade eines

                        Gottmenschen gehört; nur wenige gibt es, die sich mit

                        ihr verbinden.

                                                                                                            Ramkali M.1

 

                        Vollendet ist der grenzenlose Gesang („Anhad Bani“),

                        und der Schlüssel dazu ist bei den Heiligen.

                                                                                                            Ramkali M.5

 

Ein Heiliger gibt seinem Schüler bei der Initiation volle Instruktionen über das „wahre Naam“ (das Wort). Er ist es, der das heilige Naam eingibt und es den Initiierten offenbart. Er zeigt ihnen auch, daß die Schätze der Gottheit in ihnen verborgen sind, und er sagt, wie sie mit ihr in Verbindung kommen können (in Jap Ji, Vers VI).

                       

Dieser Körper ist der heilige Tempel Gottes.

                        Das Licht des Allwahrhaftigen scheint darin.

                        Unvergleichlich sind die Kleinode, die im

                        Tempel des Körpers verborgen sind;

                        aber wenige gibt es, die sie durch die Weisungen

                        des Meisters finden.

                                                                                                            Gauri War M.4

 

                        Schule deinen Körper, dein Gemüt und meditiere

                        über das Wort des Meisters.

                        O Nanak! Forsche im Körper nach den Schätzen

                        von Naam. Durch die grenzenlose Liebe des Meisters

                        kannst du sie finden.

                                                                                                            Asa M.3

 

Der Bani des Gott-Menschen ist in jedem von uns. Er geht von Gott aus, und Er selbst macht ihn hörbar. Wer auch immer sich mit dem Wort verbindet, wird erlöst und erreicht die ewige Region der Wahrheit. „Bani“ oder das „Wort“ des Meisters wird im „Sukhman“ gehört und stimmt einen auf „Sahaj“ (Zustand der Ausgeglichenheit) ab.

 

Wie der Meister sagt, sind vier Dinge von bleibendem Wert, während alles andere im Verlaufe der Zeit dem Verfall und der Zerstörung unterworfen ist. Es sind dies „Naam“ oder „Bani“, „Sadh“ oder eine entwickelte Seele, die sich selbst im Vater sieht und den Vater im Meister - dem personifizierten Wort (Guru) - und der Herr (Gobind). Wer auch immer mit ihnen ein Bündnis schließt, wird erlöst und überschreitet den Bannkreis der Zerstörung.

 

Naam allein ist ewiger Reichtum. Alle anderen Schätze kommen und gehen. Feuer kann diesen Reichtum nicht verbrennen, und Diebe können ihn nicht stehlen. Dieser Reichtum des Herrn durchdringt die Seelen aller und ist immer mit der Seele. Er wird durch den vollendeten Meister gefunden und fällt niemals einem zu, der sich dem Sinnesleben hingibt.

                       

In der Tat groß ist der Kaufmann, o Nanak, der

                        den Reichtum von Naam erwirbt.

                                                                                                            Gujri War M.3

 

Guru Gobind Singh, der zehnte Guru der Sikhs, hinterließ dem Sikh-Heiligen ein bleibendes Fundament. Er gab uns die mystische Form des Guru Granth Sahib als maßgebenden Führer und als Richtschnur. So können menschliche Irrtümer, die sich durch Unwissenheit einschleichen, vermieden werden. Die Darlegungen der Heiligen aus nahezu allen Glaubensrichtungen - der Hindus, Mohammedaner, Brahmanen und anderen -, finden alle gleichermaßen einen Platz im Guru Granth. Dies zeigt, daß die spirituellen Führer trotz der verschiedenartigen Gemeinschaften gleich willkommen waren, um an dieser himmlischen Festtafel teilzuhaben. Als ein praktisches Beispiel möge dienen, daß Guru Nanak den Bhai Bala, einen Hindu, und Mardana, einen Mohammedaner, als ständige Gefährten auf seinen Reisen durch ganz Asien bei sich hatte. Die ganze Menschheit, ohne Unterschied des Glaubens und der Rasse, ist auf dem Weg der Spiritualität willkommen, lehrte er.

 

Guru Gobind Singh hat im Guru Granth Sahib deutlich einen Weg zu Gott durch Shabd (das Wort) gezeigt. Hinsichtlich dessen machte er den Sat-Sangat oder die heilige Gemeinschaft, die sich aus fünf Piaras (oder Geliebten Gottes) zusammensetzt, zur Pflicht und nannte sie die Khalsas - die Reinen. Er verstand nach seiner Definition darunter diejenigen, die im vollen himmlischen Licht erstrahlen, und er versprach, immer und für alle Zeiten in ihnen gegenwärtig zu sein.

 

Seine eigenen Worte sind:

 

Khalsa ist meine eigenen Form, und ich wohne in ihr.

Der Meister schärft dem Schüler (Sikh) ein,

nur von solchen Khalsas oder Reinen die Initiation zu erbitten,

die als Pahul oder Amrit bekannt sind. Er sagt:

                        Wer auch immer langes Haar trägt, ohne Pahul

                        (von den fünf Khalsas, den Reinen oder Piaras),

                        der trägt nur das äußere Kleid und ist der

                        Unwissendste im Gefolge.

 

Die Khalsas sind die Sadhs, von deren Ruhm der Guru Granth Sahib in Bänden spricht. Guru Nanak war eine Personifizierung von Shabd. Er wechselte seine Form und kam als Guru Angad, der sich in Guru Amar Das umwandelte, welcher sich wiederum als Guru Ram Das erhob und dann in Guru Arjan Dev überging. Shabd verkörperte sich weiterhin, bis er die Form von Guru Gobind Singh, dem zehnten Guru der Sikhs, annahm, der deutlich machte, daß er für alle Zeiten in den Khalsas - den Reinen - weiterleben werde. Natürlich haben alle Heiligen ihr immerwährendes Dasein in der Form von Shabd versprochen. Die Khalsas sind somit das „personifizierte Wort“, das Wort in ihnen und sie im Wort. So stellt Guru Gobind Singh die Dreieinigkeit der Religion im Sikh-Heiligtum auf eine dauerhafte Grundlage:

 

                        1) Shabd oder Naam

                        2) Satsang oder die heilige Gemeinschaft, und

                        3) die Einsetzung der Khalsas zum Zweck der Initiation,

                             oder daß man ihren zu Füßen Zuflucht nehme für die

                             Unterweisungen, die in den Vorschriften des Guru

                             Granth Sahib, dem richtungsweisenden Führer,

                             enthalten sind.

 

Weiter berichtet uns Guru Nanak von den Anfangsgründen, die zum Fortschritt auf dem spirituellen Pfad führen. Diese Stufen bilden das Hauptthema der Verse XXVIII und XXIX des Jap Ji. Die Eigenschaften, die den Ausübenden befähigen, die spirituellen Studien aufzunehmen, sind in Vers XXXVIII genannt. Am Ende des Jap Ji ist eine Beschreibung der fünf spirituellen Ebenen gegeben, welche die Pilgerseele auf ihrem Weg zurück zu Gott zu überqueren hat.

 

Die Erfahrungen unserer eigenen Seele werden den Beweis erbringen, daß diese Auffassung der Religion, wie sie Guru Nanak im Jap Ji lehrt, die richtige ist. Wir brauchen dieserhalb nicht bis zum Tode zu warten. Der Meister hält nichts von Versprechungen auf guten Glauben. Wenn der Mensch nicht Gott findet, solange er im Körper lebt, wer möchte dann an das Erreichen des Lebenszieles nach dem Tode glauben?

 

                        O Herr, wenn Du uns nach dem Tode erlösest,

                        was kann uns das nutzen?-Oh, nichts.

                                                                                                                        Namdev

 

Wenn man sich der praktischen Seite der Lehren hingibt, wird dies die Wirksamkeit der Mittel beweisen, die Guru Nanak uns riet. Eine Art Ruhe und höchste Freude beginnt den Geist gleich von Anbeginn an zu beherrschen. Und im Laufe der Zeit werden bei weiterer Praxis im lebendigen Tempel des menschlichen Körpers wunderbare Weisen vernommen, und eine ganze Welt himmlischen Lichts leuchtet auf. Zuletzt wird der Mensch dorthin geleitet, wo das himmlische Licht in vollem Glanze erstrahlt. Und schließlich wird er dem „Strahlenden Geist“ in seiner vollen Schwingung gegenübergestellt. Erst dann erscheint das Universum voll des Herrn und läßt erkennen, daß es nichts auf der Welt gibt, das nicht das Wort ist.

 

Der Meister möchte, daß jeder von uns die flüchtigen Formen und Schablonen durchdringt und von den Erscheinungen der Natur zum Gott der Natur übergeht. Er warnt uns vor den Irreführungen der verlockenden Attraktionen und vor dem phantastischen Zauber, welche Mutter Natur durch ihre Reize und ihre vergängliche Schönheit ausbreitet. Wir sollten sie als Hinweise auf den Herrn, den Ewigen Gott, erkennen, der im Innern wohnt und jedes ihrer allzu rasch vergehenden Werke durchdringt. Weiterhin hofft er, daß wir alle unsere Kräfte aufrufen und sie in unseren Dienst zwingen, um unseren Körper zum lebendigen Tempel der göttlichen Musik, des Wortes, zu machen, solange wir noch auf Erden leben.

 

Er sagt darum:

 

                        O Mensch, du bist in die Welt gekommen,

                        ein gutes Geschäft zu machen.

                        Aber leider gibst du dich mit den fruchtlosen

                        und verwirrenden Dingen des Lebens ab.

                        Die Nacht (des irdischen Lebens) geht ihrem Ende zu.

 

                                                                                                             Sri Rag M.3

 

                        Das Gut, mit dem du handeln sollst, ist das

                        alles durchdringende Naam - das Wort,

                        das von den Heiligen zu haben ist.

                                                                                                           

Gauri Sukhmani M.5

 

                        Du bist als Mensch geboren worden,

                        und das ist die günstige Gelegenheit,

                        dich mit Gott zu verbinden.

                                                                                                            Asa M.1

 

„Jetzt oder nie“, heißt die Parole, die Guru Nanak aufgestellt hat. Die Bindung an die Sinnesgegenstände, das prunkhafte Zurschaustellen von Reichtum und Wohlstand, der luxuriöse Überfluß und die Fülle, das zügellose Sinnestrachten nach Wohlleben und Behaglichkeit - dies alles trägt zur Unausgeglichenheit des einfältigen Gemüts bei. Es sind dies die Disteln und Dornen, welche die Schönheit des ungetrübten Geisteszustandes beeinträchtigen, der der rechte Boden und bestens geeignet ist für das Aufdämmern der Gottheit. Jeder Tag, jede Stunde und jede vorübergehende Minute führt und immer mehr in die Gebundenheit der sinnesfreudigen Erscheinung der Welt.

 

Guru Nanak sagt:

 

                        Da wir der objektiven Welt verhaftet sind,

                        wie können wir einen Blick von Dir, o Herr,

                        dem ewig-seinenden Einen, erlangen?

                                                                                                            Bilawal M.5

 

Wir müssen kurz innehalten, um zu sehen, wo wir uns befinden und in welche spirituellen Höhen uns zu führen der wahre Meister gekommen ist.

                       

Der Zweck des Lebens

 

Der Meister setzt uns das Ziel, völliges Einssein mit dem Herrn - dem Einen Wesen - zu erlangen. Wir können uns mit der Quelle, von der wir dereinst ausgegangen sind, wieder vereinen und unsere bleibende Wohnstatt in der Heimat unseres Vaters wiedergewinnen, wo jenseits des Bereichs der Zerstörung und der Unwissenheit und über allem Elend des unruhigen Meeres des Lebens Freude und Frieden herrschen.

 

Der Meister ermahnt uns, ihn in unserer Seele zu erkennen, ja, uns in ihm zu erheben, indem wir jeden Sinn für das kleine Ego „Ich“ im lebendigen Tempel unseres Körpers aufgeben. Das Reich Gottes liegt in uns. Wir müssen den „inneren Menschen“ als Gottes Ebenbild erkennen, den physischen Körper als den Tempel Gottes, das Tabernakel des heiligen Geistes, in welchem sich der Herr offenbart. In diesem lebendigen Tempel müssen wir unsere Seele mit Gott in Einklang bringen und in enger Gemeinschaft mit Ihm leben.

                       

Der Tempel Gottes ist unser Körper, in welchem das

                        Kronjuwel allen Wissens in Erscheinung tritt.

                        Der Unwissende läßt sich diese Möglichkeit niemals

                        erträumen. Für ihn kann der Mensch kein lebendiger

                        Tempel Gottes sein.

                                                                                                                        Parbhati M.3

 

                        Diesen lebendigen Tempel (den Körper) hat Gott selbst

                        erschaffen, und Er selbst wohnt darin.

                        Durch die Weisungen des Meisters wird Er darin gefunden,

                        nachdem alle Bindungen und Täuschungen ausgemerzt sind.

 

                                                                                                                        Shalok M.1

 

Guru Nanak zufolge ist die ganze Schöpfung als ein einziger großer Tempel Gottes anzusehen, den Er ganz und gar durchdringt. Wir müssen die Flöte für die Stimme des Herrn werden.

                       

Unser Universum ist der Tempel Gottes; aber ohne den

                        Meister (den Gott-Menschen) herrscht tiefe Finsternis.

                        Und diejenigen, welche anders denken, sind die Un-

                        wissendsten unter den Menschen.

                                                                                                                        Parbathi M.3

 

                        Diese Universum ist die Wohnstatt des Wahren Einen,

                        und der Wahre Eine weilt wahrhaftig darin.

                                                                                                                        Asadiwar M.2

 

Mit diesen Worten wird der Leser nun eingeladen, in den Text des Jap Ji einzudringen, mit der innigen Bitte an den Herrn, daß Er uns die Gunst erweisen möge, mit Shabd in Verbindung zu kommen, damit wir uns zu Ihm erheben können.

                                                                                                                       

Kirpal Singh

 

 

 

DAS   JAP   JI

 

In der Eingangsstrophe versucht Guru Nanak in Form eines Prologs eine Definition des Wesens des Allmächtigen, so undefinierbar Er auch ist, indem er sich auf Seine Zeitlosigkeit, Seine Größe, die Ungeschaffene Erste Ursache aller Dinge, die Er ist, bezieht. Und er fährt fort, die Mittel und Wege anzudeuten, durch welche Er zu erreichen ist. Dieses Thema wird im weiteren Verlauf eingehender untersucht und in seinem ganzen Umfang durch eine Strophe klar abgerundet, die der ersten in ihrer Konzentration, ihren inneren Gehalt und ihrer literarischen Vortrefflichkeit in nichts nachsteht. Der Prolog bezieht sich auf das Wesen Gottes und zeigt die Mittel und Wege zur Erlösung. Der Epilog faßt das Wesen von Gottes Schöpfung wundervoll zusammen und schließt mit einem Triumpflied für diejenigen, welche Erlösung erlangen.

 

PROLOG

 

                        Es gibt eine Wirklichkeit, den Unoffenbarten-Offenbart;

                        Immer seiend ist Er Naam (der bewußte Geist).

                        Der Schöpfer, der alles durchdringt,

                        Ohne Furcht, ohne Feindschaft;

                        Der Zeitlose, der Ungeborene und aus sich selbst Bestehende,

                        Vollkommen in sich selbst.

                        Durch die Gnade Seines Wahren Dieners, des Meisters,

                        Kann Er erkannt werden.

                        Er war, als da nichts war,

                        Er war vor dem Beginn aller Zeiten.

                        Er ist jetzt, o Nanak,

                        Und Er wird in alle Ewigkeit sein.

 

Dieser Text bildet das Mool-Mantra, oder die Grundprinzipien, wie sie von Guru Nanak gelehrt werden. Gott wird als das eine höchste Wesen (Nirankar) beschrieben; der Unoffenbarte-Offenbart (Ekankar); die Ewige Wahrheit; der bewußte Geist, der alle Formen durchdringt, die von Ihm ausgehen - Er, der die ganze Schöpfung aufrecht erhält. Er ist nicht getrennt von Seiner Schöpfung, sondern wohnt jeder Form inne.

                       

Dieses Universum ist die Wohnstatt des Wahren Einen,

                        und der Wahre Eine hält sich darin auf.

 

Er ist der Schöpfer von allem, der nichts Seinesgleichen hat, und darum braucht Er keinen zu fürchten oder zu beneiden. Wiederum steht er über aller Ursächlichkeit; Er existiert in sich selbst und ist Geburt und Tod nicht unterworfen.

 

Er, der zeitlose Eine, der vor jeder Zeit, gegenwärtig und jenseits aller Zeit existiert, ist der einzige Gegenstand der Verehrung und kann nur durch die Gnade Seines heiligen Wortes im Menschen erreicht werden.

 

Nanak faßt die verschiedenen „Systeme“ menschlichen Denkens zusammen, die für die Verwirklichung des Einsseins mit Gott verkündet wurden. Er legt ihre Unzulänglichkeit dar, um die große Wirklichkeit zu enthüllen. Philosophie, Verstandeskraft, äußerliche Vorschriften, wie das Reinhalten des Körpers (was die Sündhaftigkeit des Gemüts nicht entfernen kann), Schweigen und Fasten etc., sind nur unzulängliche Bestrebungen, um zum Ziel zu gelangen. Es gibt nur einen Weg, auf dem Er zu erreichen ist, und der ist nach Guru Nanak, daß man Gottes Willen zu seinem eigenen macht. Sein Wille ist bereits ein Teil unseres Seins, aber wir sind uns seiner nicht bewußt. Es geht nicht darum, etwas Neues zu finden oder zu schaffen, sondern daß man sich mit dem, was bereits da ist, in Einklang bringt.

 

 

STROPHE 1

 

                        Man kann ihn nicht durch den Verstand erfassen,

                        denkt man auch ewig darüber nach.

                        Man kann durch äußeres Schweigen nicht inneren Frieden

                        finden, und bliebe man für immer stumm.

                        Nicht mit allem Reichtum der Welt läßt sich Zufriedenheit

                        erkaufen, noch kann man ihn durch alle geistige

                        Findigkeit erreichen.

                        Wie kann man die Wahrheit erkennen und die Wolken

                        des Falschen durchbrechen?

                        Es gibt einen Weg, o Nanak! Seinen Willen zu dem unseren

                        zu machen, Seinen Willen, der bereits in unser Dasein

                        eingewirkt ist.

 

Hukam oder der Wille selbst ist etwas, das man nicht mit Worten schildern kann. Er spricht jeder Beschreibung Hohn. Den göttlichen Willen kann man nur verstehen, wenn er der Seele direkt enthüllt wird. In der Absicht, diesen Gedanken verständlich zu machen, erklärt der Meister das mannigfaltige Wirken, das durch seinen Willen gelenkt wird. Er weist auf den Prüfstein hin, mittels welchem man jene erkennen kann, die mit Seinem Willen eins geworden sind. Das Erkennen des göttlichen Willens bedeutet die Vernichtung des Ego.

 

STROPHE 2

 

                        Alle Dinge sind Offenbarungen Seines Willens,

                        doch Seinen Willen kann man nicht beschreiben.

                        Durch Seinen Willen wird Materie zum Leben erweckt;

                        durch Seinen Willen wird Größe erlangt;

                        durch Seinen Willen werden diese hoch

                        und jene niedrig geboren;

                        durch Seinen Willen ist des Menschen Freud und Leid

                        bestimmt; 1)

                        durch Seinen Willen erlangt der Fromme Erlösung;

                        und durch Seinen Willen unterliegen die Gottlosen

                        fortwährender Seelenwanderung.

                        Alles besteht durch Seinen Willen,

                        und nichts ist außerhalb davon.

                        Wer mit Seinem Willen in Einklang ist, o Nanak,

                        ist gänzlich vom Ego befreit.

 

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1) Dies bezieht sich auf das karmische Gesetz von Ursache und Wirkung. Unsere Freuden und Leiden sind alle vorherbestimmt, da sie die Folge unserer früheren Handlungen sind. Wie man sät, so ernte man, ist eine allgemeine Redewendung. Guru Nanak sagt: „Die dahingleitende Feder Seines Willens bewegt sich entsprechend unseren Taten.“

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Als ein großer Lehrer nimmt Nanak die Verwirrung, die sich im Herzen mancher „Sucher“ durch das Studium der verschiedenen Schriften ergeben mag, vorweg. Diese sagen über den Willen Gottes nicht immer dasselbe aus; doch braucht man darum nicht zu zweifeln und skeptisch zu sein, denn das, was sie tatsächlich beschreiben, ist nicht Gottes Wille (der als solcher unbeschreibbar ist), vielmehr sein mannigfaltiges Wirken und seine Offenbarungen. Gottes Wille durchdringt und lenkt Seine Schöpfung; aber er ist etwas mehr, etwas, das in sich selbst und über und jenseits der Schöpfung besteht.

 

 

STROPHE 3

                        Manche besingen Seine Größe, doch nur nach dem

                        Ausmaß an Kraft, das ihnen verliehen wurde;

                        manche besingen Seine Gaben und nehmen sie als

                        Zeichen von ihm;

                        manche besingen Ihn als den Unbegreiflichen;

                        manche besingen ihn als den, der Staub zu Leben

                        und Leben zu Staub verwandelt: als den

                        Schöpfer und Zerstörer, der das Leben gibt

                        und es wieder nimmt.

                        Manche singen von ihm als dem Nächsten und doch

                        den am weitest Entfernten.

                        Es gibt keine Grenze, wenn man Ihn

                        beschreiben will.

                        Unzählige haben versucht, von ihm ein Bild zu geben;

                        aber dennoch steht er über jeder Schilderung.

                        Die von Ihm empfangen, mögen müde werden,

                        aber Er in Seiner Großmut ist unermüdlich;

                        seit Ewigkeiten hat der Mensch davon gelebt.

                        Sein Wille lenkt die Welt,

                        und dennoch, o Nanak, weilt Er jenseits von

                        Sorg`und Müh`.

 

Gottes Wille ist nicht zu beschreiben, und so erhebt sich die Frage: Wie können wir eins mit ihm werden? Guru Nanak entgegnet: Das Beste, was wir tun können, ist, zur frühen Morgendämmerung zu meditieren und uns mit Seinem heiligen Wort zu verbinden. Unser Tun und Streben zählt zweifellos, wir erlangen ja dadurch unsere Geburt als Menschen - aber, fährt Guru Nanak fort, wir können dadurch noch nicht die Erlösung erlangen; denn sie muß als Sein Gnadengeschenk kommen. Guru Nanak wendet sich im Jap Ji immer wieder diesem Paradox zu, daß die Erlösung nur durch Seine Gnade möglich ist, doch daß es unserer Anstrengung bedarf, um sie zu erlangen.

 

STROPHE 4

                        Wahr ist der Herr, und wahr Sein heiliges Wort.

                        Seine Liebe wurde als unendlich beschrieben.

                        Die Menschen bitten um Seine Gaben, die Er unermüdlich

                        gewährt.

                        Wenn alles Sein ist,

                        was können wir Ihm dann zu Füßen legen?

                        Was können wir sagen, um Seine Liebe zu gewinnen?

                        Zur ambrosischen Stunde der frühen Dämmerung

                        verbinde dich mit dem göttlichen Wort

                        und meditiere über Seine Herrlichkeit.

                        Unsere Geburt ist die Frucht unserer Werke;

                        doch Erlösung kommt nur durch Seine Gnade.

                        O Nanak, wisse, daß der wahre Eine allem innewohnt.

 

Die Verbindung mit dem heiligen Naam - dem göttlichen Wort - zusammen mit der Meditation über Seine Herrlichkeit ist das „Sesam-öffne-Dich“ für die Verwirklichung des Einen Wesens. Das Wort ist die Substanz und die Kraft, durch welche alles Leben geschaffen ist. Die heilige Verbindung mit ihren zauberhaften Melodien ist ein Geschenk, das nur durch einen lebenden Meister erlangt werden kann. In Seiner Gemeinschaft führt man ein Leben heiliger Inspiration und Liebe zu Gott, und das innere Auge wird geöffnet, um Gottes Gegenwart in allen Dingen zu sehen. Guru Nanak hat in seinem Prolog bereits darauf hingewiesen und fährt nun fort, die Größe und Bedeutung einer solchen Seele zu beschreiben. Ein wahrer Meister ist nicht nur ein menschliches Wesen, sondern eines, das eins geworden ist mit Gott und das die Kräfte aller Götter und Göttinnen in sich birgt. Er ist wahrhaftig das Wort, das Fleisch und Blut geworden ist. Die einzige Lektion, die ein solcher Meister den Schüler gibt, ist, immer über Gott, den Schöpfer von allem, zu meditieren und ihn niemals zu vergessen.

 

STROPHE 5

                        Er kann nicht erzeugt und nicht geschaffen werden;

                        der Formlose Eine ist grenzenlos vollendet in sich selbst.

                        Jene, die Ihn anbeten, werden geehrt.

                        Nanak rühmt immer das Schatzhaus aller Tugenden.

                        Laßt uns Ihm singen und mit dem Wort Verbindung halten,

                        voll liebender Hingabe im Herzen;

                        denn dann werden alle Sorgen enden, und wir werden

                        freudvoll heimwärts geleitet.

                        Der Meister1) ist die Ewige Musik

                        oder das personifizierte Wort;

                        er ist die Veden und alle Schriften2),

                        er ist vom Göttlichen durchsättigt.

                        Er ist Siva3), er ist Vishnu3) und er ist Brahma3)

                        und ihre Gefährtinnen Parvati4), Lakshmi4)

                        und Saraswati4) dazu.

                        Die Größe des Meisters kann, selbst wenn man sie kennt,

                        nicht mit irdischer Beredsamkeit geschildert werden.

                        Mein Meister lehrte mich das eine:

                        Er ist der Herr von allem, Ihn kann ich niemals vergessen.

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1) Das im Original gebrauchte Wort heißt „Gurmukh“, was zugleich „das Sprachrohr Gottes“ bedeutet und „der Meister“, der seine Schüler auf Gottes Pfad führt.

2) Der Meister besitzt das „Wissen der Gottheit“, auf dem alle Schriften fußen.

3) Der Meister zeigt alle Attribute der Gottheiten, welche die Hindu-Trinität darstellen: Brahma, Vishnu und Siva, die Symbole des Prinzips der Schöpfung, Erhaltung und Zerstörung. Wie Brahma, der die Veden deutet, göttliches Wissen vermittelt und dadurch seinen Schülern eine neue Geburt, die Geburt aus dem Geist gibt; wie Vishnu, der sie vor allem Schaden bewahrt und beschützt, und wie Siva, der alle üblen Neigungen in ihnen zerstört.

4) Gleicherweise sind die Göttinnen Parvati, Lakshmi und Saraswati Symbole der Hingabe, des Reichtums und der Gelehrsamkeit. Er ist das Urbild all dieser Tugenden.

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In dieser Strophe entwickelt Guru Nanak ein Paradox, daß in Strophe 4 berührt wurde, noch ausführlicher. Man kann durch Beachten bestimmter äußerlicher Handlungen nicht die Vereinigung mit Gott erlangen - zum Beispiel durch das Lesen der Schriften, das Aufsagen von Gebeten, durch Wallfahrten, Schweigen, Fasten und Nachtwachen, oder durch Ausüben von Riten und Ritualen; dies alles bildet nur einen Teil von Apara Vidya, das den Boden bereitet, um Interesse für das höhere Leben zu erzeugen und Hingabe zu entwickeln. Man mag den besten Gebrauch davon machen; aber die äußeren Werke können nicht zur Erlösung führen. Sie sind, für sich genommen, bedeutungslos. Worauf es ankommt, das ist Sein Gnadenblick. Hat man ihn erlangt, dann ist man wahrlich gesegnet. Und dennoch, wenn auch die Erlösung allein von Gottes Liebe abhängt, so laßt uns nicht träge sein. Ein müßiges Leben kann zu nichts führen; denn Gott hilft jenigen, die sich selbst helfen. Ohne Zweifel wird Erlösung durch Gnade erlangt, aber dieser Gnade muß man sich erst wert machen. Der einzige Weg, es dahin zu bringen, ist, dem Pfad zu folgen, der durch einen wahren Meister gelehrt wird. Indem wir uns des göttlichen Plans bewußt werden, machen wir Seinen Willen zu den unseren.

 

STROPHE 6

                        Wenn ich nur Ihm gefalle, ist´s der Pilgerfahrt genug;

                        wenn nicht, sind weder Riten noch Mühen von Nutzen.

                        Wohin ich auch immer schaue, sehe ich, daß in seiner

                        Schöpfung keiner ohne Seine Gnade die Erlösung fand -

                        ungeachtet aller Karmas1).

                        Du kannst in dir ungeahnten spirituellen Reichtum

                        entdecken, wenn du nur den Lehren deines Meisters folgst.

                        Mein Meister lehrte mich das eine:

                        Er ist der Herr von allem, möge ich

                        Ihn niemals vergessen.

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1) Karma: Handlungen. Dieser Begriff bezieht sich im indischen Denken auf eine sehr komplizierte Hindu-Lehre. Sie hebt die Überzeugung hervor, daß unsere gegenwärtigen Handlungen unsere Zukunft bestimmen, und daß nicht nur in diesem Leben, sondern auch im künftigen. Es gibt keinen Zufall. Der Mensch handelt, infolge einer Kettenreaktion von Ursache und Wirkung. Obgleich spirituelle Erlösung nicht ohne Gnade möglich ist, sagt Guru Nanak, daß wir uns diese Gnade dennoch durch unsere Karmas oder Handlungen in diesem oder den vorangegangenen Leben verdienen mußten.

2) Meister: Dieser Begriff findet sich oft im Jap Ji und wird häufig in den Sikh-Schriften gebraucht. Er bezeichnet einen spirituellen Lehrer; und immer, wenn Nanak ihn anwendet, meint er damit nicht irgendeinen, der sich zum spirituellen Führer aufgestellt hat, vielmehr einen, der auf der spirituellen Reise die höchste Ebene erreicht hat und nicht mehr vom Allmächtigen getrennt ist, sondern zu Seinem Sprachrohr wurde.

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Durch gewisse Yoga-Übungen kann man sein Leben verlängern und übermenschliche und übernatürliche Kräfte erlangen. Aber, sagt Guru Nanak, sie bringen nicht notwendigerweise die Gunst Gottes ein, ohne die alles nichtig ist. Tatsächlich erklärt Guru Nanak in einer späteren Strophe XXIX, daß solche übernatürlichen Kräfte meist Hindernisse auf dem Weg zur völligen Gottverwirklichung sind.

                       

STROPHE 7

                        Wenn einer sein Leben über vier Zeitalter1) ausdehnen,

                        nein, es sogar auf das zehnfache verlängern könnte;

                        wenn einer durch alle neun Schöpfungsebenen hindurch

                        bekannt wäre und jedermann dort ihm mit Achtung

                        begegnete;

                        wenn jede Kreatur ihn bis in den Himmel rühmte -

                        das alles und noch mehr ist ohne Wert, wenn Gottes Auge

                        nicht wohlgefällig auf ihm ruht;

                        ohne Seine Gunst wird er als der geringste Wurm

                        unter den Würmern betrachtet,

                        und die Sünder werden ihn der Sünden beschuldigen.

                        O Nanak, Er verleiht jenen Tugenden, die keine haben,

                        und vermehrt sie bei den Tugendhaften.

                        Aber es geht nichts, das man Ihm verleihen könnte.

 

Nach kurzem Abschweifen (in Strophe 7) kommt die Sprache wieder auf die Geheimnisse der Spiritualität. Es ist bereits gesagt, daß Einssein mit Gott nur dann möglich wird, wenn wir Seinen Willen zu dem unseren machen, und dies wiederum durch die Verbindung mit dem Wort, dessen Geheimnis von einem lebenden Meister enthüllt wird. Nun erklärt er die Frucht einer solchen Verbindung. Man erhebt sich über das Körperbewußtsein und gelangt zum Kosmischen Bewußtsein. Man wird ein wirklicher Heiliger, und das Mysterium der Schöpfung ist enthüllt.

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1) Hier bezieht sich Nanak auf die alte Hindu-Lehre von den vier Yugas oder Zeitzyklen, die der westlichen Anschauung vom Goldenen, Silbernen, Kupfernen und Eisernen Zeitalter gleichkommt. Nanak gebraucht häufig diese Begriffe und Lehren der alten Hindu-Überlieferung, aber er bezieht sich auf sie nicht im Geiste wissenschaftlicher Wahrheit, sondern vielfach als göttlicher Dichter, der Andeutung und Mythologie gebraucht, um seine Sache durchzuführen.

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Kabir sagt dasselbe:

 

                        Wenn du dich ins Jenseits erhebst,

                        hörst du eine ganz feine Stimme.

                        Diese Stimme kann nur

                        ein „Brahm-Gyan“ vernehmen.

 

Diese innere Stimme, die man in Augenblicken tiefer Meditation hört, darf nicht mit der Stimme des Gewissens verwechselt werden, was häufig vorkommt. Unser gewissen ist nichts mehr als die Summe unserer früheren Handlungen und ein Urteil über unsere jetzigen. Als solches ist es von Mensch zu Mensch verschieden. Hingegen ist die innere Stimme der wahren Meditation etwas Universales, etwas, das sich nicht ändert, sondern für alle gleich ist.

Die nächsten drei Strophen (9, 10 und  11) behandeln die Frage, welche Frucht die Verbindung mit dem Wort bringt, durch welche alles mögliche erreicht werden kann, sei es materiell, intellektuell oder spirituell, und die letzten Endes zur Gottheit führt.

 

STROPHE 8

                        Durch die Verbindung mit dem Wort kann man

                        ein Siddha1), ein Pir2), ein Sura3) oder ein Nath4) werden.

                        Durch die Verbindung mit dem Wort kann man die

                        Mysterien der Erde, des tragenden Bullen5)

                        und der Himmel verstehen.

                        Durch die Verbindung mit dem Wort werden die

                        irdischen Regionen, die himmlischen Ebenen

                        und die niederen Welten enthüllt.

                        Durch die Verbindung mit dem Wort können

                        wir unversehrt durch die Pforten

                        des Todes entkommen.

                        O Nanak! Seine Ergebenen leben in ständiger

                        Verzückung, denn das Wort wäscht alle

                        Sünden und Sorgen fort.

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1) Siddha: eine Mensch, der mit übernatürlichen Kräften begabt ist.

2) Pir: ein Moslem-Heiliger oder spiritueller Lehrer.

3) Sura: Gottheit.

4) Nath: Yogi - ein Adept in Yoga.

5) Dhaul: ein erdichteter Bulle, der angeblich Himmel und Erde trägt.

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STROPHE 9

                        Durch die Verbindung mit dem Wort kann man die Kräfte

                        von Siva, Brahma und Indra erlangen;

                        durch die Verbindung mit dem Wort kann man die

                        Achtung aller gewinnen, ungeachtet seiner Vergangenheit;

                        durch die Verbindung mit dem Wort kann man die Einsicht

                        eines Yogi in die enthüllten Geheimnisse des Lebens

                        und des Selbst gewinnen;

                        durch die Verbindung mit dem Wort kann man den wahren

                        Sinn der Shastras1), Smritis2) und der Veden3) erkennen.

                        O Nanak! Seine Ergebenen leben in ständiger Verzückung,

                        denn das Wort wäscht alle Sünden und Sorgen fort.

 

Strophe 10

                        Durch die Verbindung mit dem Wort wird man zur

                        Wohnstatt von Wahrheit, Zufriedenheit und wirklichem

                        Wissen;

                        durch die Verbindung mit dem Wort erwirbt man die

                        Früchte des Badens an den achtundsechzig Pilgerorten4);

                        durch die Verbindung mit dem Wort erlangt man die

                        Achtung der Gelehrten;

                        durch die Verbindung mit dem Wort erlangt man Sahaj5).

                        O Nanak! Seine Ergebenen leben in ständiger Verzückung,

                        denn das Wort wäscht alle Sünden und Sorgen fort.

 

STROPHE 11

                        Durch die Verbindung mit dem Wort wird man zur

                        Wohnstatt aller Tugenden;

                        durch die Verbindung mit dem Wort wird man ein Sheikh,

                        ein Pir und ein wahrer König der Spiritualität;

                        durch die Verbindung mit dem Wort finden die spirituell

                        Blinden ihren Weg zur Verwirklichung;

                        durch die Verbindung mit dem Wort durchquert man das

                        grenzenlose Meer der täuschenden Materie.

                        O Nanak! Seine Ergebenen leben in ständiger Verzückung,

                        denn das Wort wäscht alle Sünden und Sorgen fort.

 

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1) Shastras: philosophische Abhandlung der Hindus.

2) Smritis: die alten Hindu-Schriften.

3) Veden: die ersten Bücher des menschlichen Denkens.

4) Ath-Sath: hier bezieht sich Nanak auf den Hinduglauben, wonach ein Bad an achtundsechzig (die buchstäbliche Bedeutung) Pilgerorten, Reinigung von allem sündhaften Tun bringt.

5) Sahaj: dieses Wort bezieht sich auf den Zustand, in dem die Wirren der physischen, astralen und kausalen Welt mitsamt ihrem zauberhaften Panorama überschritten sind und das große Lebensprinzip im Innern geschaut wird.

_________________

 

In den vorangegangenen vier Strophen suchte Nanak die Früchte der Verbindung mit dem Wort zu beschreiben und fährt nunmehr fort, über den Zustand desjenigen zu sprechen, der seinen Willen auf den göttlichen Willen abgestimmt hat, was nicht zu schildern ist, da Sein Wille jenseits aller Beschreibung steht. Was als kontrollierende Kraft in dieser Welt vorgestellt wird, kann als der Wille Gottes verstanden werden. Gott selbst ist formlos, doch Er nahm Gestalt an und wurde das Wort oder Naam. Durch dieses Wort kamen die verschiedenen Schöpfungsebenen, eine nach der anderen, ins Dasein. Wer die Praxis des Wortes übt, d.h. seine Seele vom Körper zurückzieht und sie durch die Kraft der göttlichen Musik des Wortes emporheben läßt, kann von einer spirituellen Ebene zur anderen fortschreiten, bis er die Quelle erreicht und eins mit ihr wird. Sowie er seine Reise fortsetzt, weitet sich auch sein mentaler und spiritueller Gesichtskreis. Seine Seele wird von den früheren Sünden und den bindenden karmischen Ketten befreit. Auf diese Weise überschreitet sie das Leiden und entrinnt dem Rad der Seelenwanderung. Hat man einmal wahre Erlösung erlangt, kann man auch anderen auf dem Pfad helfen. Wirklich groß ist die Macht des Wortes, aber unglücklicherweise gibt es nur wenige, die sie kennen. Das alles wird in den Strophen 12 bis 15 behandelt.

 

STROPHE 12

                        Keiner kann den Zustand desjenigen beschreiben,

                        der Gottes Willen zu seinen eigenen gemacht hat.

                        Wer immer versucht, es zu tun, muß seine Torheit erkennen.

                        Keine Menge an Papier, Federn oder Schreibkunst

                        kann je den Zustand eines solchen Menschen schildern.

                        O, groß ist die Macht des Wortes, aber wenige gibt es,

                        die das wissen.

STROPHE 13

                        Durch die Praxis des Wortes erhebt man sich ins

                        universale Bewußtsein und entwickelt rechtes Verstehen;

                        durch die Praxis des Wortes gelangt man zu Hellsichtigkeit

                        und Übersicht über die ganze Schöpfung;

                        durch die Praxis des Wortes wird man von Sorgen und

                        Leiden befreit;

                        durch die Praxis des Wortes braucht man nach dem Tode

                        nicht zu Yama1) zu gehen.

                        O, groß ist die Macht des Wortes, aber wenige gibt es,

                        die das wissen.

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1) Yama: den Menschen, welche die jenseitige Welt kennen, ist bekannt, daß die Seelen, wenn sie ihr sterbliches Kleid ablegen, durch bestimmte Boten, die Todesengel (Yamduts), in die andere Welt gebracht werden. Sünder werden von ihnen schlecht behandelt; während die übrigen unterschiedslos vor „Yama“, den König des Todes, kommen. Doch einer, der die Praxis des Wortes übt, entgeht „Yama“ ganz; denn er wird in der Astralwelt von der strahlenden Form des Meisters empfangen und durch ihn in die spirituellen Ebenen geleitet.

____________________

 

STROPHE 14

                        Durch die Praxis des Wortes gelangt man ungehindert

                        in die höheren spirituellen Ebenen;

                        durch die Praxis des Wortes erreicht man die spirituellen

                        Bereiche offen und ehrenvoll;

                        durch die Praxis des Wortes entrinnt man den Seitenwegen

                        Yamas, des Königs des Todes;

                        durch die Praxis des Wortes kommt man in

                        enge Berührung mit der Wahrheit.

                        O, groß ist die Macht des Wortes, aber wenige gibt es,

                        die das wissen.

 

 

STROPHE 15

                        Durch die Praxis des Wortes erlangt man am Ende

                        Erlösung;

                        durch die Praxis des Wortes führt man seine

                        Freunde und Verwandten ebenfalls in die Freiheit;

                        durch die Praxis des Wortes erlöst man nicht nur sich selbst,

                        sondern, wenn man ein Adept wird, viele andere,

                        die man leitet;

                        durch die Praxis des Wortes entkommt man, befreit

                        von Wünschen, dem Rad der Seelenwanderung.

                        O, groß ist die Macht des Wortes, aber wenige gibt es,

                        die das wissen.

 

Die heilige Verbindung mit dem Wort oder „Naam“ ist das alleinige Mittel, um Einssein mit dem höchsten Herrn zu erlangen, sagt Nanak. Nichts anderes kann dem Menschen zu diesem Ziel verhelfen. Es ist der Geistesstrom, der von dem einen Sein ausgeht und dabei alle spirituellen und materiellen Ebenen bildet und in und außerhalb von ihnen erklingt. Er kommt von den reinsten spirituellen Ebenen herunter zu den materiell-spirituellen und dann zu den materiellen Welten, indem er jeweils den Ton ändert, wenn er durch die verschiedenen Sphären dringt. Die Hauptunterteilungen der spirituellen und astralen Ebenen sind fünf an der Zahl, wie durch die verschiedenen Schriften dargelegt wird. Es sind somit fünf unterschiedliche Töne. Diese fünf Töne werden von den Meistern oder den Adepten in dieser Wissenschaft Panch Shabd (fünf Worte) genannt: „Panch“ bedeutet wörtlich auch „Kopf“, und Guru Nanak bezieht sich an dieser Stelle auf beide Bedeutungen. Das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns. Alle Heiligen sind sich ein und desselben Wortes bewußt, welches als das „Fünftönige Wort“ bezeichnet werden mag. Naam, Bani (oder Wort) und Hukam (der Wille) werden von Guru Nanak als nahezu identisch gebraucht. Diejenigen, welche sich immer des göttlichen Wortes oder der Gottheit bewußt sind, werden zu Seinem Sprachrohr, und man nennt sie Sants. Sie sind geehrt in Seinem Reich und sind Seine Hauptarbeiter. Es ist durch die Verbindung mit diesem „Fünftönigen Wort“, daß man die Vereinigung mit Gott erlangt. Alle anderen Mittel versagen.

 

Durch dieses Wort kam die ganze Schöpfung zustande, und sie geht bei ihrer Auflösung wieder zu Ihm zurück. Es ertönt in jedem von uns, und des Menschen Körper ist wahrhaftig ein lebendiger Tempel Gottes. Die Heiligen aller Glaubensrichtungen sprechen vom Wort als dem einzigen Mittel, durch welches man die letzte Wirklichkeit erlangen kann.

Die Mohammedaner nennen es Bang-i-Asmani oder die Stimme, die vom Himmel kommt. Shamas Tabrez und Khawaja Hafiz Shirazi sprechen von ihm, wie in der Einführung bereits zitiert wurde. Die Hindus drücken es mit den Worten Nad (Sphärenmusik), Akash Bani (die Stimme vom Himmel) und Udgit (Musik des Jenseits) aus.

 

Der heilige Johannes sagt in der Bibel:

                       

Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott,

                        und Gott war das Wort. Dasselbige war im Anfang bei Gott.

                        Alle Dinge sind durch dasselbige gemacht, und ohne

                        dasselbige ist nichts gemacht, was gemacht ist.

 

STROPHE 16

                        Der Heilige (oder das personifizierte Wort) ist angesehen

                        in Seinem Reich und der Haupterwählte darin;

                        der Heilige ziert Gottes Schwelle und wird selbst von

                        Königen geehrt.

                        Er lebt durch das Wort und meditiert über das

                        eine Wort.

                        Wer immer das Mysterium Seiner Schöpfung erörtert und

                        erklärt, erkennt, daß die Werke des Schöpfers jenseits

                        aller Beurteilung sind.

                        „Dharm“ oder das Wort, aus Seiner Gnade geboren,

                        ist der sprichwörtliche Bulle1), der die Schöpfung in

                        Harmonie erhält.

                        Wer dies erkennt, dem ist die Wahrheit sicherlich bekannt.

                        Es ist nichts als das Wort, das die überwältigende Last

                        der ganzen Schöpfung trägt;

                        denn würde die Erde von einem Bullen getragen, müßte

                        dieser wieder von einem anderen Planeten gestüzt werden

                        und dieser von einem weiteren und so fort bis ins Endlose.

                        Welch ungeheure Last!

                        Welche andere Kraft könnte sie tragen?

                        Keine außer dem Wort.

                        Es gibt kein Ende der Schöpfung.

                        Es gibt zahllose Lebensformen, verschieden in

                        Name, Art und Farbe,

                        für die objektive Welt durch die ewig dahinfließende

                        Feder des Schöpfers bestimmt.

                        Wer vermag die Werke Seiner Schöpfung aufzuzählen,

                        und könnte es einer, wie groß wäre dann die Zahl?

                        Wie groß ist Seine Macht und wie herrlich Sein Werk!

                        Wer kann das Maß Seiner liebenden Gnade ermessen?

                        Nur mit einem einzigen Wort2) brachte Er diese gewaltige

                        Schöpfung ins Sein,

                        Und tausend Lebensströme sind ihr entsprungen.

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1) Dhaul: ein erdichteter Bulle, der angeblich Himmel und Erde trägt.

2) Die Hindus glauben, daß das Wort „Eko-Aham Bahu Syam“ es war, was bedeutet:

    „Ich bin einer und will viele werden“. Die Mohammedaner sagen, daß es das Wort „Kun- fi-   Kun“ gewesen sei, nämlich: „Er wollte, und siehe, das ganze Universum erstand.“

 

                        Welche Kraft habe ich, Dein wunderbares Wesen

                        zu begreifen?

                        Zu gering bin ich, mein Leben Dir zu opfern.

                        Was immer Dir gefällt, ist gut.

                        Du bist immer und ewig,

                        o Formloser Einer.

 

In dieser Strophe gibt Guru Nanak ein Bild von jenen, die gute Werke verrichten, und von solchen, die Ihn auf verschiedene Weise zu erreichen suchen. Diese festgelegten Wege sind, obgleich lobenswert, doch nicht zu vergleichen mit der Gottesschau, welche durch die Verbindung mit dem heiligen Wort und die Praxis desselben möglich wird und wodurch man allein Gottes Willen zu seinem eigenen machen kann.

 

STROPHE 17

 

                        Zahllos sind jene, die an Dich denken und

                        zahllos jene, die Dich lieben.

                        Zahllos sind die, die Dich anbeten und zahllos jene,

                        die Dich in Härten und Bußen suchen,

                        zahllos sind die, die Deinen Ruhm aus

                        heiligen Büchern künden, und

                        zahllos jene, die in Yoga vertieft, der Welt

                        mit Gleichmut gegenüberstehen.

                        Zahllos jene Deiner Ergebenen, die über Deine

                        Eigenschaften und Deine Weisheit sinnen;

                        und zahllos jene, die Wahrheit und Barmherzigkeit üben.

                        Zahllos sind jene, die dem Schwert des Feindes

                        mutig ins Gesicht schauen, und

                        zahllos jene, die Schweigen gelobten und mit

                        stetiger Liebe über Dich meditieren.

                        Welche Kraft habe ich, Dein wunderbares Wesen

                        zu begreifen?

                        Zu gering bin ich, mein Leben Dir zu opfern.

                        Was immer Dir gefällt, ist gut;

                        Du bist immer und ewig,

                        o Formloser Einer.

 

Während Nanak erst von den Gottesfürchtigen gesprochen hat, wendet er sich nun den Gottlosen zu.

 

STROPHE 18

                        Unzählbar sind die Toren, völlig blind

                        in ihrer Unwissenheit, und

                        unzählbar die Diebe und Schwindler, die durch

                        unrecht erworbenes Gut gedeihen.

                        Unzählbar jene, die Tyrannei und Unterdrückung ausüben,

                        und unzählbar die Halsabschneider, die durch

                        ruchlose Verbrechen leben.

                        Unzählbar jene, die in schamlosen Sünden schwelgen, und

                        unzählbar die Lügner, die in Trug und Falschheit leben.

                        Unzählbar die Gottlosen, die sich von verderblicher1)

                        Speise nähren,

                        unzählbar die Verleumder, die ihre Last vermehren, indem

                        sie andere schmähen.

                        Zu viele an der Zahl für den geringen Nanak,

                        sie zu beschreiben.

                        Welche Kraft habe ich, Dein wunderbares Wesen

                        zu begreifen?

                        Zu gering bin ich, mein Leben Dir zu opfern.

                        Was immer Dir gefällt, ist gut.

                        Du bist immer und ewig,

                        o Formloser Einer.

______________________

1) Die im Original gebrauchten Worte sind „Mal“ und „Bhakh“ und bedeuten:

verderbliche, ungesunde Nahrung aufnehmen; sie beziehen sich auf nicht vegetarische Speise und Rauschmittel. Selbst vegetarische Speisen und andere harmlose Getränke, die durch unrechte Mittel beschafft sind, gelten als schädlich, und so erweist sich ihre Verwendung als unbedingtes Hindernis auf dem Pfad.

________________________

           

 

Mannigfaltig ist Seine Schönheit, und gewaltig ist Seine Schöpfung. Man kann sie unmöglich beschreiben. Worte können sie nicht angemessen schildern. Aber selbst wenn Worte unzulänglich sind, so sind sie doch das einzige, uns zur Verfügung stehende Mittel. Gott selbst ist namenlos, und die verschiedenen Namen, mit welchen Er benannt wird, wurden von den Meisterseelen gebraucht; und obschon sie dem, der unbeschreiblich ist, niemals gerecht werden können, geben sie doch eine vage Vorstellung und einen Ansporn für den Pfad.

 

STROPHE 19

 

            Ohne Zahl sind Deine Namen und ohne Zahl Deine Stätten;

                        schwer erreichbar und unzugänglich Deine unzähligen

                        himmlischen Ebenen.

                        Selbst durch die Worte „ohne Zahl“1)können wir Dich

                        nicht beschreiben.

                        Mit Worten schildern wir Dich, und mit Worten

                        rühmen wir Dich.

                        Durch Worte erwerben wir göttliches Wissen, und mit

                        Worten werden Dir Hymnen gesungen und

                        Deine Eigenschaften gepriesen.

                        Es sind Worte, die wir in Rede und Schrift gebrauchen,

                        und in ihnen ist unser Los beschlossen.

                        Doch Er, der es so ordnet, steht über diesem Gesetz.

                        Wie Du es bestimmst, so kommt es zu uns.

                        Du wohnst allem inne, und es ist nichts, wo

                        Dein Wort nicht ist.

                        Welche Kraft habe ich, Dein wunderbares Wesen

                        zu begreifen?

                        Zu gering bin ich, mein Leben Dir zu opfern.

                        Was immer Dir gefällt, ist gut.

                        Du bist immer und ewig,

                        o Formloser Einer.

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1) Die Worte „Zahl“ und „ohne Zahl“  sind für den Allmächtigen ohne Bedeutung. Er, der allem innewohnt und das Leben der Schöpfung selbst ist, kennt jedes kleinste Teilchen davon.

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Unsere Seele wandert unter der Herrschaft des Gemüts und den nach außen strebenden Kräften und wird durch die Eindrücke der äußeren Welt befleckt; dies so sehr, daß wir uns mit dem Körper identifizieren und unser Selbst und Gott vergessen haben. Wie nun das Gemüt vom Schmutz der Sünden zu reinigen und die Seele von der Bindung an die Materie zu befreien ist, das bildet das Thema dieser Strophe. Seinen Willen zu dem eigenen zu machen durch die Verbindung mit dem Wort ist das einzige Mittel, um dies zu erreichen.

Handlungen, seien sie gut oder schlecht, können diese innere Verbindung nicht zustande bringen, da sie einen an äußere Dinge ketten, wodurch die Seele an die Materie gefesselt wird.

 

Lord Krishna sagt:

 

                        „Gute wie schlechte Taten sind Fesseln,

                        welche die Seele gleicherweise an die

                        Welt binden; ungeachtet dessen,

                        ob sie aus Gold oder aus Eisen sind.“

 

Der Horizont des Geistes ist verdunkelt durch die Nebelschleier der Sünden, die sich aus früheren Geburten angesammelt haben. Solange sie nicht entfernt sind, kann die Sonne der Gottheit nicht in ihrem vollem Glanz erstrahlen. Naam - das göttliche Wort - und nichts anderes kann diesen Dunst beseitigen und dem Geist seine ursprüngliche Transparenz wiedergeben. Es gibt kein größeres Heiligtum als das eines geläuterten Geistes.

 

STROPHE 20

 

                        Wenn Hände, Füße und Körper schmutzig sind,

                        werden sie mit Wasser rein gewaschen.

                        Wenn die Kleider beschmutzt und fleckig sind,

                        werden sie mit Seife gereinigt.

                        Ist das Gemüt durch Sünden unrein geworden,

                        kann es nur durch die Verbindung mit dem Wort

                        wieder sauber werden.

                        Durch Worte allein werden die Menschen nicht zu

                        Heiligen oder Sündern,

                        aber durch ihre Taten, die sie mit sich tragen,

                        wohin sie sich auch wenden.

                        Wie man sät, so erntet man.

                        O Nanak, die Menschen kommen und gehen durch

                        das Rad1) der Geburten und Tode nach Seinem Willen.

 

Gute Taten, wie Werke der Barmherzigkeit und Nächstenliebe, haben, obgleich sie an sich lobenswert sind, keinen bedeutsamen Einfluß auf das höchste spirituelle Ziel. Sie hören auf, von Wichtigkeit zu sein, wenn die Seele einmal ihre innere Reise von Til oder dem inneren Auge aus beginnt:

 

                        „Wenn dein Auge einfältig ist, so wird dein

                        ganzer Leib licht sein.“

                                                                                                                        Matth. 6,22

 

Vom Strom des Wortes getragen, erreicht die Seele Amrit-saar oder Amritsa, die Quelle des Nektars, oder das Amritsar im Menschen. Dort werden alle Unreinheiten, die der Seele noch anhaften, endgültig weggewaschen. So wird sie für die Weiterreise zur höchsten spirituellen Ebene - Sat Naam - befähigt, die von unaussprechlicher Erhabenheit und Herrlichkeit ist.

 

STROPHE 21

 

                        Pilgerfahrten, Barmherzigkeit, Nächstenliebe und

                        Almosengeben hören auf, von Bedeutung zu sein,

                        wenn man Zugang zu Til1a), dem inneren Auge, erlangt.

                        Die Verbindung mit dem heiligen Wort und seine Praxis

                        mit hingebungsvollem Herzen, bewirken den Zutritt

                        zu den inneren spirituellen Bereichen und waschen

                        den Schmutz der Sünden an der heiligen Quelle2) ab.

                        Alle Tugenden sind Dein, o Herr; ich besitze nicht eine.

                        Ohne die Praxis des heiligen Wortes kann es keine

                        Verehrung geben.

                        Von Dir ist Bani, das heilige Wort ausgegangen,

                        welches der Pfad zur Erlösung ist.

                        Du bist die Wahrheit3), bezaubernd süß, und

                        mein Geist verlangt nach Dir.

                        Bei welcher Gelegenheit, in welcher Epoche,

                        zu welcher Woche, an welchem Tag,

                        zu welcher Jahreszeit, zu welcher Stunde war es,

                        als Du zuerst ins Dasein tratest und

                        Dir selbst Ausdruck verliehen hast?

                        Die Pandits konnten es nicht ermitteln,

                        sonst würde es in den Puranas4) stehen;

                        und auch die Kazis5) konnten es nicht bestimmen,

                        sonst würde es im Koran zu finden sein;

                        noch konnten es Yogis und andere verkünden.

                        Der Schöpfer allein kennt die Stunde, zu der Er in

                        Erscheinung trat.

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1) Das unerbittliche Gesetz des Karma oder das Gesetz von Ursache und Wirkung arbeitet ebenfalls unter Seinem Willen.

1a) Til bedeutet wörtlich „das Senfkorn“. Hier wird es jedoch gebraucht für das Nervenzentrum zwischen und hinter den beiden Augen. Die Hindus nennen es Shiv Netra oder das dritte Auge. Im Evangelium wird es das „einfältige Auge“ genannt. Die Sufis sagen Nukti-i-Sweda. Es ist der Sitz der Seele im Menschen; und es ist die erste Stufe , auf der sich die Seele sammelt und fähig wird, sich in höhere spirituelle Bereiche zu erheben. Guru Ramdas sagt in diesem Zusammenhang: „Das Gemüt schweift jede Sekunde ab, solange es Til nicht erreicht hat.“ Auch Kabir hat in seinen Versen auf Til Bezug genommen. Tulsi Sahib sagt, daß das Mysterium Gottes erst enthüllt wird, wenn man über Til hinausgeht.

2) Die heilige Quelle des Nektars ist Amrit-saar oder Amritsar, im Menschen.

Man darf diese nicht verwechseln mit dem Amritsar, der heiligen Quelle, die von Guru Ramdas, dem 4. Guru der Sikhs, erschlossen und von Guru Arjan Dev, dem 5. Guru, fertiggestellt wurde. Die heilige Quelle, auf die Guru Nanak hier verweist, liegt in der dritten spirituellen Ebene, die Daswan Dwar benannt ist. Die Mohammedaner nenne sie Hauz-i-Kausar und die Hindus Prag-Raj. Hier erhält die Pilgerseele ihre wirkliche Taufe, wird von allen Unreinheiten befreit und erlangt ihre ursprüngliche Reinheit wieder.

3) Die Wahrheit oder Sat Naam wohnt in Sach Khand, welches die höchste der fünf spirituellen Ebenen ist, in der der Formlose Eine weilt. Dies wird in den Strophen, die sich den verschiedenen Ebenen zuwenden, am Schluß des Textes erklärt.

4) Pandits oder die Gelehrten, die in den Hinduschriften bewandert sind, wie den Veden und den Puranas - den uralten Abhandlungen.

5) Kazis oder gelehrte Moslems, die in der religiösen Gesetzgebung und Theologie bewandert sind.

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Wie soll ich mich an Dich wenden,

                        wie Dich preisen, o mein Herr?

                        Wie soll ich Dich beschreiben,

                        wie Dich erkennen?

                        O Nanak, alle sprechen von Dir,

                        und einer klüger als der andere.

                        Groß bist Du, und noch größer ist

                        Dein heiliges Wort.

                        Was Es will, geschieht.

                        Du allein kennst Deine Größe.

                        Und jene, o Nanak, die vorgeben, das meiste zu wissen,

                        erfahren keine Ehre im jenseitigen Leben.

 

Gottes Schöpfung ist voller Vielfalt und über allem menschlichen Begreifen. Das Endliche kann sich das Unendliche nicht vorstellen. Alle Versuche, Ihn und Seine Schöpfung zu erkennen, scheitern. Doch eins, sagt Nanak, ist sicher, nämlich, daß alles von der einen Quelle ausgeht.

 

STROPHE 22

 

                        Es gibt Millionen niederer Regionen, und Himmel

                        über Himmel.

                        Endlos ist der Mensch gewandert auf der Suche nach Ihm.

                        Auch die Veden sagen das.

                        Die Bücher der Moslems sprechen von achtzehntausend

                        Welten; und es ist die gleiche Kraft, die sie alle erhält.

                        Könnte sie erklärt werden, so hätten wir einen Bericht

                        darüber; doch alle Versuche einer Beschreibung mißlangen.

                        O Nanak, gestehe Seine Größe;

                        Er allein kennt sich.

 

Selbst wenn sich einer durch die Verbindung mit dem göttlichen Wort mit dem Unendlichen vereint, kann er Seine Tiefen noch nicht ergründen; denn das Grenzenlose hat keine Grenzen. Es ist genug, wenn sich der Strom ins Meer verliert. Gesegnet sind jene, deren Herzen von göttlicher Liebe erfüllt sind; denn kein irdischer Besitz läßt sich damit vergleichen.

 

STROPHE 23

                        Seine Ergebenen rühmen Ihn, doch erlangen sie nie

                        volles Wissen über den Unendlichen;

                        So wie Flüsse, die sich ins Meer ergießen,

                        dessen Tiefen nicht erkennen.

                        Selbst Kaiser und Könige mit unermeßlichem

                        Besitz und riesigen Reichen

                        können sich nicht mit einer Ameise vergleichen,

                        die voll der Liebe zu Gott ist.

 

Gottes Schöpfung ist grenzenlos. Viele schon suchten ihr Mysterium zu ergründen; doch keiner kann Ihn erkennen, bis er nicht Seine Höhe erreicht. Die Seele schaut Gott, wenn sie Sach Khand, die höchste der spirituellen Ebenen, betritt. Wie könnte es anders sein? Wie könnte man mit diesen materiellen Augen schauen, was reiner Geist ist? Man muß die materielle Ebene auf den Schwingen des Wortes übersteigen, und das ist durch Seine Gnade möglich.

 

STROPHE 24

 

                        Endlos ist Sein Ruhm, endlos die Worte der Lobpreisung;

                        endlos Seine Werke und endlos Seine Gaben.

                        Endlos Seine Schau und endlos Seine Inspiration.

                        Endlos und über allem Begreifen ist Seine Ansicht;

                        endlos Seine Schöpfung und endlos ihre Ziele.

                        Endlos der Menschen angstvolle Suche nach Seinen Grenzen,

                        aber Seine Grenzen sind nicht zu finden.

                        Endlos ist Er, und keiner weiß, wo Er aufhört.

                        Je mehr wir sagen, desto mehr ist Er.

                        Erhaben ist der Herr und erhaben Seine Wohnstatt;

                        noch erhabener ist Sein heiliges Wort.

                        Wer Seine Höhe erreicht, der allein kann Ihn schauen.

                        O Nanak, Er allein kennt Seine Größe;

                        und nur Sein Gnadenblick kann und auf Seine Höhe

                        erheben.

 

 Seine Großmut überragt alles. Hochherzig wie Er ist, schüttet Er Seine Gaben auf alle hernieder, seien sie gut oder schlecht. Jeder erhält seinen Anteil, keiner wird übersehen. Er kennt uns alle besser, als wir selbst uns kennen, und gibt uns das, was am Besten für uns ist. Doch die größte Seiner Gaben ist die der Ewigen Musik. Wenn Er diese dem Menschen aus Seiner Gnade gewährt, wird er dadurch zum König der Könige:

 

 

STROPHE 25

 

                        Sein Wohlwollen ist mannigfach, und niemand kann es

                        aufzeichnen;

                        Er gibt alle Dinge und verlangt nichts dafür zurück.

                        Zahlreiche Krieger gibt es, die Bettler sind an Seiner Tür,

                        und viele andere mehr, die man nicht zählen kann.

                        Viele sind es, die Seine Gaben mißbrauchen und

                        der Sinnlichkeit frönen;

                        und viele, die Seine Wohltaten empfangen, verleugnen Ihn.

                        Viele sind der Toren, die nur essen und genießen

                        und dabei nicht an den Spender denken.

                        Und viele liegen darnieder, von Hunger, Not

                        und Schmerz geplagt, die ebenfalls

                        Deine Gaben sind, o Herr.

                        Knechtschaft und Erlösung, beides ist nach

                        Seinem Willen;

                        und kein anderer hat dabei etwas zu sagen.

                        Sollte einer wagen, etwas zu behaupten,

                        wird er bald Grund haben,

                        seine Unbesonnenheit zu beklagen.

                        Er weiß alles und gibt dementsprechend;

                        aber wenige sind es, die das erkennen.

                        O Nanak, wem Er Seine Gnade der himmlischen Musik

                        verleiht, der ist der König der Könige.

 

Hier verweist Guru Nanak auf die Einzigartigkeit der Attribute Gottes. Nicht nur Er ist einzigartig und unvergleichlich, sondern auch Seine Regenten (die Meisterseelen), die das unschätzbare Gut Seines heiligen Wortes weitergeben. Viele haben zu Seinem Ruhme gesungen, und noch Unzählige werden kommen, die das gleiche tun. Dennoch war der Allmächtige immer unbeschreiblich, ist es jetzt und wird es immer bleiben.

 

STROPHE 26

 

                        Unvergleichlich1) sind Seine Attribute und

                        unschätzbar1) Seine Werke.

                        Unvergleichlich sind Seine Händler und unschätzbar

                        Seine Güter und Seine Vorräte.

                        Unvergleichlich sind die Kunden, welche kommen,

                        und unschätzbar die Waren, die sie kaufen.

                        Unvergleichlich ist Seine Liebe und unvergleichlich

                        jene, die in ihr aufgehen.

                        Unvergleichlich ist Sein Gesetz und unvergleichlich

                        Sein Gericht.

                        Unvergleichlich sind die Waagschalen Seiner

                        Gerechtigkeit und unvergleichlich das angelegte Maß.

                        Unvergleichlich ist Sein Großmut, unvergleichlich

                        Seine Gunst.

                        Unvergleichlich Seine Barmherzigkeit und unvergleichlich

                        Seine Gebote.

_________________

1) Das Wort, das an dieser Textstelle im Original gebraucht wird, ist „Amul“, Es ist schwierig, es exakt mit nur einem Wort in einer anderen Sprache wiederzugeben. Wörtlich bedeutet es „unschätzbar“, wird aber häufig als „unvergleichlich“ gebraucht. Demgemäß fand in der Übertragung beides Verwendung.

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Wie unvergleichlich! Wie unschätzbar!

                        Wer vermag Ihn zu beschreiben?

                        Seine Ergebenen, die zu Seinem Ruhme sangen,

                        verfielen in Schweigen;

                        und so auch die Veden, die Puranas und die Gelehrten.

                        Die Brahmas und Indras singen von Ihm,

                        und die Gopis2) und Govind3) tun das gleiche.

                        Siva und die heiligen Siddhas4) rühmen Ihn.

                        Die Sterblichen wie die Unsterblichen, alle singen

                        zu Seinem Ruhm.

                        Unzählige sprechen von Ihm, und unzählige machen

                        den Versuch.

                        Unzählige mehr sind dahingeschieden, indes sie von

                        Ihm sangen.

                        Doch Er ist und bleibt unbeschreiblich.

                        Der Mensch kann Ihn nur erblicken, wenn Er sich ihm

                        enthüllt.

                        O Nanak! Erkenne Ihn als den einzig Wahren.

                        Und jene, die Ihn zu begreifen vorgeben,

                        sind sicher die Dümmsten unter den Menschen.      

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2) Gopis oder Hirtenmädchen - die mythischen Bewunderer von Lord Krishna oder Govind - von denen gesagt wird, daß sie unermüdlich darin waren, seinen Ruhm zu besingen.

3) Siva: eine bedeutende Hindu-Gottheit.

4) Siddhas: entwickelte Seelen, d.h. Weise und Seher. 

_________________                                     

Nanak entwirft nun in hoher lyrischer Sprache ein Bild von Gott, der von Seiner Wohnstatt aus über Seinen vielen Schöpfungen wacht, die sich vor Ihm in Ehrfurcht neigen.

 

STROPHE 27

 

                        Wie wunderbar ist Deine Pforte, wie wunderbar Deine

                        Wohnstatt,

                        von der aus Du über Deine große Schöpfung wachst.

                        Zahllos sind die Instrumente und Harmonien,

                        die darin erklingen;

                        zahllos die Takte und zahllos die Sänger,

                        die Deine Herrlichkeit preisen

                        Die Elemente - Wind, Wasser und Feuer -

                        singen von Dir,

                        und von Dir singen der König des Todes

                        und die ihm berichtenden Engel1).

                        Dir singen die Götter und Göttinnen,

                        denen Du ihre Schönheit gabst.

                        Dir singen Siva, Brahma und auch Indra

                        von seinem Thron.

                        Dir singen die Siddhas in ihren Meditationen

und Sadhs in ihrer Betrachtung;

                        Dir singen die Asketen, die Rechtschaffene,

                        die Zufriedenen und die Heldenmütigen nicht minder.

                        Dir singen die gelehrten Pandits und die Rishis

                        zu aller Zeit

                        und rezitieren aus den heiligen Veden.

                        Dir singen die herzbestrickenden Nymphen des Himmels,

                        der Erde und der niederen Reiche.

                        Dir singen Deine Edelsten (die Heiligen)

                        und dazu die achtundsechzig Pilgerorte.

                        Die singen die mächtigen Krieger, die tapferen

                        Helden und alle lebenden Geschöpfe2).

                        Dir singen die irdischen Regionen, die Himmel

                        und die Universen, erschaffen und erhalten durch Dich.

                        Auch jene, die Dir wohlgefallen, singen Dir zum Ruhme

                        und sind gesättigt in der Liebe und Hingabe zu Dir.

                        Und es sind unzählige mehr, die Dir lobsingen,

                        derer man sich nicht einmal besinnen kann;

                        alle liegen jenseits von Nanaks Gesichtskreis.

                        Er ist und bleibt allein der ewig seiende Herr.

                        Er ist die Wahrheit, und wahr ist Sein heiliges Naam.

                        Er ist und wird in alle Ewigkeit sein.

                        Er, der alle Schöpfungen gebar, wird niemals vergehen,

                        wenn auch die Welten schwinden.

                        Er, der die Natur mit all ihren Farben und Formen schuf,

                        schaut auf Sein Werk, wie es Seiner Größe ziemt.

                        Er ist der höchste Meister und tut,

                        was ihm gefällt.

                        Er ist der König der Könige, der Allmächtige Herr -

                        und uns, o Nanak, bleibt nur,

                        in Seinem Willen zu beharren.

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1) Dharam Raj: Hüter des Gesetzes, der das Urteil spricht, wenn die Seelen den Körper verlassen haben, und dies ihren Taten gemäß, die von Chitr und Gupt, den beiden berichtenden Engeln, niedergeschrieben sind.

2) Khanis: Hier bezieht sich Nanak auf die vier Khanis oder Kategorien der lebenden Geschöpfe hinsichtlich der Art ihrer Geburt, z.B. Andaj, solche, die aus Eiern geboren sind, wie Vögel, Schlangen, Fische usw.; Jeraj, solche, die aus dem Foetus (der Leibesfrucht) geboren sind, wie Menschen und Tiere, Utbhaj, solche, die aus der Saat aufkeimen, wie Bäume, Sträucher und die übrigen Pflanze; Setaj, solche, die aus Schweiß, Schmutz usw. gewachsen sind, wie Läuse und Gewürm usw.

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Nun wendet sich Nanak von seiner Betrachtung des Allmächtigen ab und konzentriert sich auf die Art des Lebens, die erforderlich ist, um Seine Pforte zu erreichen.

Zu seiner Zeit war der Hinduismus zu bloßem Ritualismus und Kastengeist herabgesunken. Die Riten waren geblieben, aber der Geist war verloren. Die Welt wurde als die Wurzel allen Übels betrachtet, und ein Yogi zu werden und bestimmte festgelegte Praktiken zu verfolgen, wurde als das einzige Mittel zur Erlösung angesehen.

 

Nanak weist auf die Unzulänglichkeit einer solchen Ansicht hin und betont nachdrücklich, daß es die innere Schulung ist und nicht die äußeren Regeln, die echten spirituellen Fortschritt nach sich zieht. Statt der hölzernen Ohrringe und des Bettelsackes der Yogis empfiehlt er Genügsamkeit, Selbstachtung und Anstrengung; statt den Körper mit Asche zu beschmieren, Umhang und Stab zu nehmen, empfiehlt er Meditation, Todesbereitschaft und Zuflucht zu den Lehren eines lebenden Meisters. Erlösung ist nicht das Monopol der sogenannten Yogis. Sie ist nur unter bestimmten spirituellen Voraussetzungen möglich, und diejenigen, welche sie erlangen, können den Höchsten erreichen, auch wenn sie keine Yogis sind; umgekehrt können jene, die zwar äußerlich Yogis sind, aber diese Voraussetzungen nicht erfüllen, niemals Gottes Tür erreichen. Diese spirituellen Voraussetzungen verlangen nicht nur eine strenge innere Schulung, sondern eine universale Lebensauffassung - eine Einstellung, bei der man alle als ebenbürtig betrachtet und in allem Seine Hand sieht.

 

STROPHE 28

                        Möge Genügsamkeit euer Ohrring sein

                        und Streben nach dem Göttlichen und Achtung

                        für das höhere Selbst euer Beutel.

                        Ständige Meditation über Ihn sei eure Asche.

                        Bereitschaft für den Tod soll euer Umhang sein,

                        und euer Körper sei wie eine reine Jungfrau.

                        Eures Meisters Lehren mögen der Stab sein, der euch stützt.

                        Höchste Religion1) ist, sich zur Universalen

                        Bruderschaft2) zu erheben,

                        ja, alle Geschöpfe als euresgleichen zu betrachten.

                        Besiegt euer Gemüt; denn Sieg über das Ich

                        ist Sieg über die Welt.

                        Heil3), Heil Ihm allein,

                        dem Ersten, Reinen, Ewigen, Unsterblichen

                        und allezeit Unvergänglichen.

_________________

1) Aa-ee Panthi: die höchste Yogi-Sekte

2) Sagal-Jamati: klassenlose Klasse oder eine Klasse, die keinen Unterschied macht unter den Schülern, die aus allen Glaubensrichtungen kommen und in Liebe und Wohlwollen zusammen zu den Füßen eines Meisters sitzen.

3) Aa-des ist ein zusammengesetztes Wort, das aus Aadi (der Erste) und Eesh (Gott) besteht; es ist auch eine Grußform unter den Yogis.

 

Nanak empfiehlt, die äußeren Praktiken der Yogis durch innere spirituelle Schulung zu ersetzen und legt nahe, göttliches Wissen zu unserer Speise zu machen (der Mensch lebt nicht vom Brot allein); er schärft Nächstenliebe und Barmherzigkeit ein und sagt, daß wir uns auf die Musik des göttlichen Wortes abstimmen müssen.

Nanak nimmt auch die Gefahren vorweg, die einem auf der spirituellen Reise begegnen. Nicht nur Reichtum ist ein Hindernis, sondern auch die Kraft, die man durch Selbstdisziplin und spirituellen Teilerfolg gewinnt, kann zum Hemmnis auf dem Weg der weiteren Verwirklichung werden. Man beginnt mit diesen verborgenen Kräften zu praktizieren, und wenn man in sie vertieft ist, neigt man dazu, das wirkliche Ziel darüber zu vergessen. Daher warnt uns Nanak vor dieser Möglichkeit. Wir dürfen nicht ruhen, schwanken oder abschweifen, wenn wir einmal die Reise zu Gott begonnen haben.

 

STROPHE 29

                        Möge göttliches Wissen dein Brot1) sein,

                        möge Barmherzigkeit dein Aufwärter1) sein;

                        die in allem vibrierende göttliche Musik

                        sei deine Trompete1).

                        Er ist der einzige Herr2) und hat die Schöpfung

                        nach Seinem Willen geschaffen.

                        Reichtum3) und übernatürliche Kräfte4)

                        entfremden uns dem Herrn.

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1) Der Hinweis bezieht sich auf die symbolischen Rituale der Yogis. Wenn ihre Speise bereit ist, bläst der Aufwärter die Trompete, um die Yogis zusammenzurufen, damit sie daran teilhaben. Während sich Nanak an sie wendet, ruft er alle auf, zum Ziel zu gelangen und die Gottheit oder das Brot des Lebens zu kosten, indem sie sich mit dem heiligen Wort verbinden, das in allen erklingt und die Gläubigen zum spirituellen Mahl ruft.

2) Nath: Die Yogis neigen sich vor Gorakh Nath, ihrem Lehrer. Aber Nanak rät ihnen, nur einen Nath oder Meister anzuerkennen, der über die ganze Schöpfung herrscht.

3) Ridh: bedeutet Reichtum.4) Sidh: Das im Original gebrauchte Wort ist „Sidh“, d.h. „zu vervollständigen“. Gewöhnlich wird es gebraucht, um die Beherrschung übernatürlicher Kräfte anzudeuten. Nanak lehnt nicht nur Reichtum ab, sondern auch den Gebrauch dieser Kräfte als Hindernisse auf dem Pfad.

 

                        Die ganze Welt bewegt sich nach den zwei Prinzipien

                        der Vereinigung und Trennung5),

                        und alle erhalten ihren Anteil,

                        wie Er es bestimmt.

                        Heil, Heil Ihm allein,

                        dem Ersten, Reinen, Ewigen, Unsterblichen

                        und allezeit Unveränderlichen.

 

Nachdem Guru Nanak von den Mitteln zur Erlösung gesprochen hat, wendet er seine Aufmerksamkeit nun dem Wirken von Gottes Schöpfung zu. Das Universum bewegt sich nach drei Prinzipien, welche die Schöpfung, die Erhaltung und die Auflösung betreffen. Alle diese Prinzipien wirken nach Seinem Willen und sind lediglich seine Mittler. Aber obgleich Gott über diesen Mittlern wacht, können sie ihn, den Subjektiven und Formlosen sonderbarerweise nicht erkennen, da sie ein Teil der objektiven Schöpfung sind.

 

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5) Sanjog und Vijog: Diese Worte wurden im Original für die beiden Prinzipien der Trennung und Vereinigung verwandt, durch die sich das Spiel des Herrn entfaltet. Durch Gottes Ratschluß ist der Mensch, der von Ihm getrennt lebt, in die Welt der Handlungen geboren. Hier wird er in den menschlichen Irrtum verstrickt, der darin besteht, sich an die sinnenhaften Phänomene der Welt zu binden. Solange er sich der Gottheit bewußt bleibt, welche die Welt durchdringt, lebt und besteht er in Ihm. Wenn ihn aber sein kleines Ego vom Herrn abschneidet, er seine Unabhängigkeit erklärt und die Rolle des aktiv Handelnden annimmt, ist er unwissentlich in der Seelenwanderung oder dem Kreislauf der Geburten und Tode gefangen. Im irdischen Leben leidet er Not und Schmerzen, bis er sich durch seinen ihm angeborenen Wunsch nach Frieden selbst erneuert (wiedergebiert) und dafür arbeitet. Dies führt ihn dahin, die Wiedervereinigung mit dem Schöpfer zu suchen, dem Urquell beständiger Freude und Frieden.

 

Wenn dieses Prinzip der Auferstehung und Wiedervereinigung im Menschen nicht wäre, gäbe es kein Erwachen und keinen spirituellen Fortschritt, und das mächtige und prächtige Spiel der Welt würde zunichte werden. Somit bewirkt das zweifache Prinzip von Vijog (Trennung von Gott) und Sanjog (das innewohnende Verlangen nach der Wiedervereinigung mit Ihm) den Lauf der Welt.

 

                        „... und ruhelos ist unser Herz,

                        bis es Ruhe findet in Dir.“

                                                                                                Augustinus

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STROPHE 30

                        Die Große Mutter1) empfing und brachte drei Regenten

                        hervor:

                        Als ersten den Schöpfer, als zweiten den Erhalter

                        und als letzten den Zerstörer.

                        Was Er will, vollbringen sie.

                        Sie wirken unter Seinem Willen.

                        Doch groß ist das Wunder; denn obgleich Er über ihnen

                        wacht, erblicken sie ihn nicht.

                        Heil, Heil Ihm allein,

                        dem Ersten, Reinen, Ewigen, Unsterblichen

                        und allezeit Unveränderlichen.

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1) Maee: Dieses Wort im Original kann sowohl Mutter als auch Maya (die täuschende Materie) bedeuten. Nanak bezieht sich auf beide und betrachtet hier Maya als Mutter, die drei Söhne geboren hat, welche die drei Prinzipien symbolisieren, die ihren Bereich aufrechterhalten. Es sind die drei Gottheiten, welche die Trinität darstellen: Brahma, Vishnu und Siva, bzw. Schöpfer, Erhalter und Zerstörer. Aber sie alle wirken nur unter Seinem Willen und haben nichts unabhängig zu befehlen. Deswegen empfiehlt Nanak die Verehrung des Höchsten allein und nicht die der Götter und Göttinnen einer niedrigeren Ordnung.

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Und nun kommt Nanak nochmals auf den Allmächtigen Schöpfer zurück. Er hat Seine erhabene Wohnstatt in den verschiedenen Ebenen der ganzen Schöpfung. Welche Anordnungen Er auch immer getroffen hat, sie sind entscheidend und endgültig. Er hat in allen Bereichen dauerhafte Gesetze geschaffen, durch welche die Schöpfung in Gang gehalten wird. Er ist die unveränderliche Beständigkeit.

 

STROPHE 31

                        Er wohnt in allen Ebenen der Schöpfung und

                        birgt in ihnen Seine großzügigen Gaben, die

                        nur einmal hineingegeben wurden

                        und keiner Ergänzung bedürfen.

                        Was immer wir empfangen,

                        empfangen wir auf Sein Geheiß.

                        Er allein hat Seine Schöpfung geschaffen.

                        Und Er wacht über sie.

                        O Nanak! Die Werke des Wahren Einen sind wahr1),

                        Heil, Heil Ihm allein,

                        dem Ersten, Reinen, Ewigen, Unsterblichen

                        und allezeit Unveränderlichen.

 

Aber die Verbindung mit Naam wird durch die irdischen Wünsche, die unsere Herzen bewegen, behindert; sie führen uns von der subjektiven Wahrheit weg in die äußere Welt. Wie kann man diese Wünsche überwinden, ist die Frage. Nanak prägt uns ein, daß das Mittel im Simran oder dem beständigen Denken an Gott liegt. Andere Heilige und Weise haben dasselbe gesagt. Über Simran wurde bereits in der Einführung ausführlich gesprochen.

 

Es sind zwei Kräfte im Menschen am Werk: Die Pranas oder motorischen und die spirituellen oder sensorischen Strömungen. Viele Yogis haben in ihrem Forschen nach dem Höchsten versucht, diese beiden Ströme zurückzuziehen. Aber die Meister (unter ihnen Guru Nanak) haben gelehrt, daß es unnötig sei, die Pranas unter Kontrolle zu bringen. Man kann die sensorischen Ströme, ohne daß man die Pranas berührt, durch Simran zurückziehen und durch Konzentration der Aufmerksamkeit hinter den Augen am Sitz der Seele. Wenn man einmal alle Sinnesströme an dieser Stelle zurückgezogen hat (der Körper setzt normalerweise seine Funktionen der Atmung, Verdauung, Kreislauf etc. fort), kann die Seele auf dem spirituellen Pfad weitergehen. Dies ist ein leichter und natürlicher Weg.

 

Der Meister sagt:

 

                        „ O Nanak, lerne den Lebensstrom zurückzuziehen

                        solange du lebst; lerne einen solchen Yoga zu üben.“

 

Und nochmals:

                        „Lerne zu sterben, damit du zu leben

                        beginnen kannst.“

                                                                                                            Dadu Ji

 

Eben hierauf bezieht sich Nanak in dieser Strophe, wenn er auch nicht im einzelnen darauf eingeht, wie er es an anderer Stelle in seinen Lehren getan hat. Und noch einmal sagt er, daß es, um Erlösung durch Naam zu erlangen, nicht nur der Bemühung, sondern auch Seiner Gnade und Seines Willens bedarf.

 

STROPHE 32

 

                        Möge eine Zunge sich in hunderttausende vermehren,

                        nein, selbst zwanzig mal mehr,

                        und jede von ihnen endlos Seinen heiligen Namen preisen.

                        Auf diesem Weg liegen die Stufen, die zu Gott1) führen,

                        und wenn man sie emporsteigt, wird man eins mit Ihm.

                        Wenn sie vom Himmel hören, trachten selbst

                        die Würmer danach, ihn zu erreichen,

                        ohne zu wissen, daß Erlösung nur durch Seine Gnade2)

                        kommt:

                        Und jene, die etwas anderes sagen,

                        sind eitle Schwätzer und Lügner.

________________

1) Ekis: Der im Original gebrauchte Begriff ist Ekis oder Ek-Ish. Ek bedeutet „eins“ und Ish heißt „Gott“ d.h. Einssein mit Gott oder Vereinigung mit Gott.

2) Auch hier betont Nanak, daß es zur Erlösung nicht nur unserer Anstrengung bedarf, sondern auch Seiner Gnade und Seines Willens.

 

Indem er den Gedanken an die Notwendigkeit Seiner Gnade und Seines Willens für die Erlösung des Menschen weiter verfolgt, bemerkt Nanak, daß auch in anderen Dingen - in der Tat in allen - Sein Wille das Höchste ist.

 

STROPHE 33

 

                        Du hast die Kraft zu sprechen oder stille zu sein,

                        keine Kraft zu verlangen oder zu geben.

                        Du hast nicht die Macht über Leben und Tod,

                        keine Macht über Reichtum und Stand,

                        wofür du immer rastlos bist.

                        Du hast keine Macht über spirituelles Erwachen,

                        keine Kraft, die Wahrheit zu erkennen

                        oder deine eigene Erlösung zu erlangen.

                        Möge der, welcher die Kraft zu haben glaubt,

                        es versuchen.

                        O Nanak! Keiner ist hoch oder niedrig,

                        außer durch Seinen Willen.

 

Von hier ab beginnt der letzte Teil des Jap Ji. Nanak gibt darin einen flüchtigen Überblick über die verschiedenen spirituellen Bereiche, welche die Seele auf ihrer Heimwärtsreise zu durchqueren hat.

 

 

 

Es sind fünf an der Zahl:

 

                        1) Dharm Khand oder der Bereich des Handelns;

                        2) Gyan Khand oder der Bereich des Wissens;

                        3) Sarm Khand oder der Bereich der Verzückung;

                        4) Karm Khand oder der Bereich der Gnade;

                        5) Sach Khand oder der Bereich der Wahrheit.

 

Der erste ist der Bereich von Dharm, den die Seele gänzlich verwirklichen muß, ehe sie sich zur nächsthöheren spirituellen Ebene, die darüber liegt, erheben kann. Es ist die Stufe, auf der sich die verkörperten Seelen völlig bewußt machen müssen, daß Er ist es, der die Erscheinungen der Welt mit all ihren unveränderlichen Gesetzen, durch die sie alle gebunden sind, geschaffen hat. Keiner kann dem Gesetz von Ursache und Wirkung entgehen. Was der Mensch sät, das muß er ernten. Niemand ist außerhalb Seines Bereiches. Die Taten des Menschen gehen nach dem Tode mit ihm und werden auf der Waage der göttlichen Gerechtigkeit gewogen. Diejenigen, die gefehlt haben, werden gemäß ihren Handlungen wieder zurückgeschickt. Das einzige, das in Seinem Reich annehmbar ist, ist die „Verbindung und Praxis mit dem göttlichen Wort“. Jene, welche daran festhalten, werden geehrt.

 

STROPHE 34

                        Als Er den Tag und die Nacht, die Monate und

                        die Jahreszeiten,

                        das Feuer, den Wind, das Wasser und die niederen

                        Regionen schuf,

                        begründete Er inmitten all dessen die Erde

                        als Dharm Khand oder die Arena des Handelns.

                        Und Er bevölkerte sie mit

                        Geschöpfen vieler Farben und Formen;

                        Geschöpfe, deren Menge nicht zu zählen ist.

                        Alle werden nach ihren Taten beurteilt;

                        denn wahr ist der Herr und makellos Sein Gesetz.

                        Jene, die Ihm wohlgefällig sind,

                        werden geehrt in Seinem Reich,

                        und es ist nur durch Seine Gnade,

                        daß man diese Auszeichnung erfährt.

                        Die Unvollkommenen werden dort1) vollkommen.

                        O Nanak! Es ist dort, wo sich dieses Mysterium enthüllt.

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1) Die letzten zwei Zeilen - „Kach pakai uthe pa-aya, Nanak gia japey ja-aya“- wurden von verschiedenen Übersetzern stets so ausgelegt, als ob dort die Wahren und die Falschen erkannt würden und nicht länger zu täuschen vermögen. Aber das scheint an dieser Stelle nicht gemeint zu sein; denn offenbar wird die Tatsache übersehen, daß die Zeilen nach dem Hinweis auf jene folgen, die bei Gott angesehen sind; und der bildliche Ausdruck „roh und reif“ eher Unreife und Reife bezeichnet als Falschheit und Wahrheit.

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In dieser Strophe beschreibt Nanak die ungeheure Ausdehnung des Gesichtskreises der Seele, wenn sie Gyan Khand oder die Ebene des Wissens, erlangt. Hier sieht der Ergebene die vielfältige Natur mit all den geschaffenen Dingen. Auf dieser Ebenen nimmt er die bezaubernden Weisen des wohlklingenden Gesangs auf, der in der ganzen Schöpfung widerhallt. Er empfindet eine überwältigende Freude, da er die Natur mit ihren unveränderlichen Gesetzen begreift und ihre Unendlichkeit an Formen und Erscheinungen, an mannigfaltigen Schöpfungen und vielfältigen Segnungen wahrnimmt.

 

 

STROPHE 35

                        Soviel vom Bereich des Dharma.

                        Und nun zu Gyan Khand, dem Bereich des Wissens:

                        Zahllos sind seine Elemente, Luft, Wasser und Feuer;

                        und zahllos die Krishnas und Sivas;

                        zahllos die Brahmas, welche die vielen Schöpfungen

                        mit unzähligen Formen und Farbtönen gestalten.

                        Zahllos die Handlungsbereiche1),

                        zahllos die goldenen Berge2)

                        und zahllos die Dhrus3), die darin meditieren.

                        Zahllos die Indras, zahllos die Sonnen und Monde,

                        und zahllos die irdischen Regionen und die der Sterne.

                        Zahllos die Siddhas, die Buddhas, die Naths, und

                        zahllos die Götter und Göttinnen.

                        Zahllos die Danus4) und die Weisen, und

                        zahllos die mit Juwelen besetzten Meere.

                        Zahllos die Quellen der Schöpfung, zahllos die

                        Harmonien und zahllos jene, die ihnen lauschen.

                        Zahllos sind die dem Wort Ergebenen.

                        Endlos und unendlich, o Nanak, ist dieser Bereich.

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1) Karm Bhumi: Ort, an dem man mit einem freien Willen ausgestattet ist und die Früchte seiner eigenen Taten erntet. Diese Welt wird Karm Bhumi genannt, denn hier herrscht das Prinzip von Ursache und Wirkung.

2) Sumer: Die goldenen Berge, die von den Ergebenen in dieser spirituellen Ebene geschaut werden.

3) Dhru: Ein Heiliger, dessen unentwegte Meditation sprichwörtlich ist.

4) Danus: Halbgötter.

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Von der Beschreibung Gyan Khands oder dem Bereich des Wissens, geht Nanak weiter zu Sarn Khand oder dem Bereich der Verzückung. Hier ist alles bezaubernd schön und von wunderbarer Seltenheit, so daß man es nicht mit Worten zu schildern vermag. Es ist hier, wo die Seele durch die Kraft des Wortes vergeistigt wird und einen Einblick in die wirkliche Natur der Dinge erhält.

 

STROPHE 36

 

                        Göttliche Erkenntnis erleuchtet alles im Bereich

                        des Wissens, während himmlische Symphonien

                        unendliche Musik ertönen lassen,

                        und Freude und Wonne alles überragt.

                        Als nächstes kommt der Bereich der Verzückung,

                        in dem das Wort bezaubert.

                        Alles dort geschaffenen ist von wunderbarer Seltenheit

                        und jenseits aller Beschreibung.

                        Wer immer ihn zu schildern sucht,

                        hat seine Torheit zu beklagen.

                        Hier werden Gemüt, Vernunft und Verstand vergeistigt,

                        das Selbst kommt zu sich und durchdringt

                        in seiner Entfaltung die Götter und Weisen.

 Im Bereich der Gnade erhebt sich der Mensch über die schwindenden Reize der Erscheinungswelt. Er sieht die ganze Natur ergeben zu Gottes Füßen und Ihm zu Diensten. Sein Wort reinigt die Seele von den Sünden und erweckt die schlummernden Kräfte in ihr. Nicht länger verdunkelt die Materie die innere Schau. Er sieht, daß der Herr alles durchdringt und wird sich Seiner nunmehr völlig bewußt. Man steht hier dem Wort in seiner reinen Substanz gegenüber. Er erkennt nun sich selbst und seine wahre Herkunft, denn er sieht sich wesenseins mit Gott.

 

Zuletzt erreicht die Pilgerseele Sach Khand oder die Wohnstatt der Wahrheit. Hier kommt das vollständige Einssein zustande und sie sieht, wie alle Universen nach Seinen Willen in ergebener Ehrfurcht und Verehrung wirken. Selbst der Gedanke an eine solche Schau ist segensreich; doch die Vision selbst ist der Art, daß sie kein Auge je gesehen hat. Das Herz kann sie nicht erfassen und die Zunge kann sie nicht beschreiben.

 

STROPHE 37

                        Höher noch steht Karm Khand, der Bereich der Gnade.

                        Hier ist das Wort alles in allem, und nichts

                        anderes gilt.

                        Hier weilen die Tapfersten der Tapferen,

                        die Besieger des Gemüts, von göttlicher Liebe erfüllt.

                        Hier weilen die Ergebenen voller Hingabe,

                        unvergleichlich wie die Sitas1).

                        Erleuchtet von unaussprechlicher Schönheit,

                        ihre Herzen ganz von Gott erfüllt, leben sie

                        jenseits vom Reich des Todes und der Täuschung2).

                        Hier weilen die  Bhagats oder die Weisen

                        aus allen Regionen,

                        die sich in dem Wahren Einen erfreuen

                        und für ewig glücklich sind.

                        Sach Khand, oder der Bereich der Wahrheit ist der Sitz

                        des Formlosen Einen.

                        Hier bewirkt Er alle Schöpfung und

                        erfreut sich des Erschaffens.

                        Hier gibt es viele Regionen, himmlische Systeme

                        und Universen,

                        die zu zählen ein Zählen von Unzählbarem wäre.

                        Aus dem Formlosen heraus nehmen hier

                        die himmlischen Ebenen und alles andere Gestalt an;

                        alles ist dazu bestimmt,

                        sich nach Seinem Willen zu bewegen.

                        Wer mit dieser Schau gesegnet ist, erfreut sich

                        ihrer Betrachtung.

                        Aber, o Nanak, der Versuch, diese Schönheit zu beschreiben,

                        hieße, ein Unmögliches3) zu versuchen.

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1) Sita: Gemahlin Ramas, die für ihre große Ergebenheit bekannt war.

2) Das Wort „Täuschung“ bezieht sich hier auf die Täuschung durch Maya oder die Materie.

3) Karara Sar: bedeutet wörtlich „hart wie Eisen“, bildlich „unmöglich“.

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Bevor Nanak nun endet, läßt er uns die Eigenschaften wissen, die für einen Ergebenen erforderlich sind, damit er auf dem spirituellen Pfad Erfolg haben kann. Es sind sechs an der Zahl.

 

Die erste von ihnen ist Reinheit in Gedanken, Worten und Taten. Sie ist das erste Erfordernis, damit das höhere Leben aufdämmern kann und die Grundlage, auf  welche der spirituelle Oberbau zu errichten ist. Auch Christus sagte: „Selig sind, die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen.“ Reinheit ist wahrhaftig der Schlüssel, der das Tor der Meditation aufschließt und zur Wohnstatt des Herrn führt.

 

Als zweites muß man Geduld entwickeln, was einem befähigt, alles, was sich auch ereignen mag, heiter zu ertragen.

 

Zum dritten muß man seine Gedanken unter Kontrolle halten und von allen Wünschen ablassen, um Gleichgewicht des Gemüts zu sichern.

 

Viertens die stetig tägliche Praxis des Wortes und die Verbindung mit ihm in vollem Glauben an den Meister.

 

Fünftens sollte man in demütiger Ehrfurcht vor Seiner Gegenwart leben und sich unermüdlicher Anstrengung anspornen, um die schließliche Vereinigung mit Ihm zu erlangen.

 

Vor allem anderen muß man Ihn lieben mit einer Stärke, die alle Unreinheiten verbrennt und den Weg zu Seiner Tür hin erleuchtet.

 

STROPHE 38

 

                        Mache die Reinheit1) zu deinem Schmelzofen

                        und Geduld zu deiner Schmiede;

                        mache des Meisters Wort zu deinem Amboß

                        und wahres Wissen zu deinem Hammer.

                        Mache Ehrfurcht vor Gott zu deinem Blasebalg

                        und entzünde damit das Feuer der Härte;

                        und im Schmelztiegel der Liebe schmelze

                        den göttlichen Nektar.

                        Nur in einer solchen Prägung kann der Mensch

                        eins werden mit dem Wort.

                        Doch diejenigen allein, die in Seiner Gunst stehen,

                        können diesen Pfad beschreiten.

                        O Nanak, auf wen Er voller Gnade schaut,

                        den erfüllt Er mit ewigen Frieden.

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1) Die Reinheit bezieht sich hier nicht allein auf die physische Sauberkeit, sondern noch mehr auf die geistige mit makellosen Gedanken, Worten und Taten.

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Am Schluß gibt Nanak in Form eines Epilogs einen Überblick über das Leben, seine Natur, seines Zwecks und seiner Erlösung. Wir sind alle wie Kinder, die Mutter Erde nährt. Jeder sät die Samen seiner Handlungen und erntet die Frucht davon. Gottes Gerechtigkeit ist makellos. Jene, die gut handeln, kommen Ihm näher, und diejenigen, welche das nicht tun, entfernen sich von Ihm. Sie allein werden errettet, die das heilige Wort praktizieren - und nicht nur sie, sondern durch sie unzählige mehr, nämlich ihre Gefährten und Schüler.

 

SCHLUSS

 

                        Die Luft ist der Meister, das Wasser der Vater

                        und die Erde die Mutter;

                        Tag und Nacht sind die beiden Ammen, in deren

                        Schoß sich die ganze Welt abspielt.

                        Unsere Handlungen, ob gut oder schlecht,

                        werden vor Seinen Richterstuhl gebracht,

                        und unsere eigenen Taten werden uns aufwärts steigen

                        lassen oder in die Tiefe stoßen.

                        Jene, die sich mit dem Wort verbunden haben,

                        deren Mühen werden enden.

                        Und ihr Antlitz wird voll Glanz erstrahlen.

                        Nicht nur werden sie erlöst sein, o Nanak,

                        sondern viele andere werden mit ihnen die Freiheit finden.

 

Hier werden alle Lebewesen mit Kindern verglichen. Das Wasser (d.h. der Same) ist der Vater, der ihnen das Leben gibt. Die Erde versorgt sie wie eine Mutter mit Nahrung. Der Tag versieht sie mit Arbeit und ist deswegen der männliche Hüter, während sie die Nacht in Ruhe wiegt wie eine Amme. Der Atem des wahren Meisters gibt das göttliche Wort ein, ohne das des Menschen Seele tot ist.