Die Seele und die Überseele 1.
Die
Seele ist die Wirklichkeit und der Geist. Sie ist das Eine wie auch das
Ganze.und die Übersee Im Einen ist immer die Täuschung des Vielen enthalten,
und das Ganze schließt in sich das Vorhandensein von vielen Teilen ein. Die
Vorstellungen sowohl vom Teil als auch vom Ganzen laufen dicht nebeneinander,
und beide, der Teil wie auch das Ganze, sind durch die Gleichartigkeit der
ihnen innewohnenden Wesensnatur gekennzeichnet. 2.
Das
Wesen eines Dinges besitzt die ihm eigene Natur, und die beiden können nicht
voneinander getrennt werden. Genau wie das Wesen zugleich eines und vieles ist,
so ist es auch der Fall mit der ihm beigegebenen Natur. 3.
Das
Wesen eines Dinges ist sein Johar, sein Lebensodem. Es ist das einzige
ursprüngliche Prinzip, das alles durchdringt und die Wirklichkeit hinter allen
Formen und Farben ist. 4.
Die
einem Ding eigene Natur ist sein wesentlicher, von ihm untrennbarer Bestandteil
das sie ihm innewohnt. Nehmen wir den Fall des Lichts. Kann Licht als etwas von
der Sonne Getrenntes angesehen werden oder die strahlende Vitalität losgelöst
von einem Menschen, der vor Gesundheit strotzt? Das eine kann nicht ohne das
andere bestehen, da die beiden untrennbar miteinander verbunden sind und
ineinander ruhen. 5.
Versuche,
die Natur und ihr Wesen als zwei gänzlich voneinander getrennte Dinge zu
betrachten, und sei es nur in der Vorstellung, sind dazu angetan, Gedanken
einer Dualität Raum zu geben. 6.
So
ist also die Seele das Lebensprinzip und die Ursache im Innersten von allem,
denn ohne sie kann nichts ins Dasein treten. Sie hat eine belebende Wirkung und
überträgt ihren Lebensimpuls auf die anscheinend träge Materie durch die
Berührung mit ihr. Es liegt im Leben und Licht dieses belebenden Impulses der
Seele, daß die Materie so viele Formen und Tönungen annimmt mit ihrer Vielfalt
an Mustern und Gestaltungen, die wir im Universum sehen. 7.
Dieser
Lebensstrom oder die Seele ist äußerst subtil, ein selbstleuchtender Funke des
göttlichen Lichts, ein Tropfen vom Meer allen Bewußtseins, ohne Anfang und Ende
und auf ewig derselbe, eine unveränderliche Permanenz, grenzenlos, vollkommen
in sich selbst, immer seiend, eine alles empfindende Wesenheit, die jeder Form
innewohnt, sichtbar wie auch unsichtbar, denn alle Dinge offenbaren sich um
ihretwillen. Es gibt nichts, das nicht durch diesen Lebensstrom entstanden
wäre. 8.
Genau
wie die Sonne ihre Strahlen in die Welt aussendet, das Meer auf seiner
Oberfläche die Wogen und das Wellengekräusel, die Gezeiten und die Strömungen
trägt, und ein Wald eine Ansammlung von unzähligen Bäumen ist, so scheint sich
die Überseele oder Gott, wenn man durch seine Schöpfung hindurchschaut, in
viele Formen aufgeteilt zu haben und das Licht und Leben Gottes in einem großen
Panorama von bunten Färbungen zu zeigen; doch Gottes Geist durchdringt alles
gleich einer Schnur, auf der die Perlen aufgereiht sind. 9.
Die
erste nach unten gerichtete Projektion des von Gott ausgehenden spirituellen
Stromes brachte den Äther (akash) in Erscheinung, der das feinstofflichste der
Elemente ist und sich überall im Raum ausbreitet. Er hat zwei Aspekte. Der eine
ist der des Geistes oder der Seele, der im Äther ungeoffenbart bleibt. Der
andere ist der offenbarte Äther, der durch eine weitere Verbindung der
positiven und der negativen Kraft, die ihm innewohnen, die Luft (vayu)
hervorbrachte. Auf genau dieselbe Weise brachte die Luft das Feuer (agni)
hervor und dieses wiederum erzeugte das Wasser (jal), und das geoffenbarte
Wasser führte zur Formation der Erde (prithvi), indes der Geist eines jeden
Elements, der im Wesen derselbe ist, gänzlich ungeoffenbart blieb. Genau so, wie oben erklärt, hat das, was wir Gott nennen, dem Wesen nach eine Göttlichkeit, die absolut und erscheinungslos ist, das Leben und der Geist des Universums und doch zugleich das Universum selbst mit seinen vielfältigen Schöpfungen, die so viele Formen und Farben offenbaren und die erscheinen und wieder vergehen wie die Wellen im Meer des Lebens. Der ungeoffenbarte und unpersönliche Gott ist von allen Attributen frei. Seine individualisierten Strahlen hingegen, wie sie in den unzähligen Formen und Farben offenbart sind, halten sich durch die ständige Berührung mit >Maya<, >Prakriti< und >Pradhan< (das Physische, das Feinstoffliche und das Kausale) und infolge Unkenntnis ihrer wahren Natur begrenzt und getrennt voneinander. Dadurch geraten sie in den Umkreis des unerbittlichen karmischen Gesetzes oder des Gesetzes von Ursache und Wirkung, welches für jede Tat, jedes Wort und jeden Gedanken eine entsprechende Folge nach sich zieht. Was in dem einen Leben unerfüllt blieb, wird in einem anderen erfüllt, und so dreht sich das gewaltige Rad des Lebens und des Todes beständig weiter. Hierin liegt der Unterschied zwischen einer individualisierten Seele auf der einen Seite und der großen Seele des Universums (genannt Gott) auf der anderen. Die eine ist gebunden und begrenzt, die andere hingegen ohne alle Beschränkungen und Begrenzungen.
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