Prakriti oder Materie

 

>Prakriti<ist ein zusammengesetztes Wort, abgeleitet von der Sanskritwurzel >pra<, was >erst< bedeutet, und >kar<, was >tun< besagt. Und so heißt >prakriti< ursprüngliche Materie (latente Energie), die, wenn die positive Geisteskraft auf sie einwirkt, viele Formen und Muster in der gewaltigen Schöpfung des Großen Urhebers hervorbringt. Dies wird >Maya< genannt, und alles, was durch einen der Sinne wahrgenommen und empfunden werden kann, fällt in diese Kategorie der Materie oder >Prakriti<. Materie ist, wie oben gesagt, eine verborgene Energie auf der niedrigsten Stufe, die zur Wirksamkeit gebracht (aktiviert) wird, indem sie viele verschiedene Formen annimmt, die deutlich zutage treten und wahrgenommen werden können. Dieser Prozeß von der Passivität zur Aktivität der Energie führt zur Schöpfung oder Offenbarung der bis dahin ungeoffenbarten Geisteskraft.

 

Brahman oder die Geisteskraft tritt nur durch eine grobstoffliche Umhüllung (kava) ins Sein.

 

So wie die Gesamtheit der anscheinend individualisierten Seelen die Überseele (Gott) ausmacht, wird der gewaltige Zauber der erschaffenen Wesen und Dinge, mit ihren vielfältigen Formen und Farbtönungen, in ihrer Gesamtheit >Prakriti< genannt.

 

Prakriti kann weder aus sich selbst heraus bestehen, noch kann es für sich mit den Sinnen wahrgenommen werden. Es kommt nur zur Offenbarung, wenn die Geisteskraft darauf einwirkt. Genauso wie die Sonnenstrahlen nicht ohne die Sonne existieren können und nur in Erscheinung treten, wenn diese sich am Horizont erhebt, so nimmt Prakriti in Verbindung mit dem Lebensimpuls unzählige Formen und Gestaltungen an, die über den menschlichen Gesichtskreis hinausreichen. Und die eine unsichtbare Seele scheint in viele individualisierte Teile mit unterschiedlichen Benennungen und in mannigfaltige Arten vervielfacht zu werden, die jede Beschreibung und Lösung vereiteln. Aber die Yogis haben die fünf >Koshas< oder die den Geistesstrom umgebenden Hüllen in Rechnung gezogen, die sich im Verlaufe seines Abstiegs auf ihn legen, und haben Mittel und Wege ersonnen und formuliert, um diese wieder zu entfernen. Diese >Koshas< oder Hüllen können kurz beschrieben werden als:

 

1)    Vigyan-mai-kosh:_ die Hülle des mentalen Werkzeugs oder des Intellekts mit seinen zwei Erscheinungen. Die eine hat mit dem Wissen (Gyan) auf der physischen Ebene zu tun und die andere mit der Erleuchtung (Vigyan) auf der spirituellen. Dies ist die erste Hülle, von der der Geist bedeckt wird, wenn er mit der feinstofflichen Materie, genannt Prakriti, in Verbindung kommt. Das Licht der Seele, wie es im intellektuellen Zentrum reflektiert wird, erhellt das, was gewöhnlich als Intellekt bekannt ist, der aus der inneren spirituellen Wahrnehmung und der äußeren Erkenntnis besteht. Mit dieser reflektierten intellektuellen Fähigkeit wird die Seele erkennend und wahrnehmend.

2)    Man-o-mai  kosh: dies ist die zweite Bedeckung oder Hülle, welche die   intellektualisierte oder erkennende Seele durch die weitere intensive Verbindung mit Prakriti umgibt und die nunmehr auch  den Gemütsstoff zu reflektieren beginnt; und durch diese hinzukommende Kraft strebt die Seele dem Gemüt zu und wird nach und nach von ihm beherrscht.

3)     Pran-mai-kosh: die Bedeckung der Pranas (Lebensenergien) bildet die dritte Hülle um die Seele. Indem die denkende (kognitive) und gemütsverhaftete Seele noch mehr in Prakriti (Materie) eindringt, beginnt sie durch die Pranas (die gemäß ihren verschiedenen Funktionen aus zehn Arten bestehen) zu vibrieren.

Dies macht die denkende und gemütsgebundene Seele zu Pran-mai und treibt sie durch die belebende Wirkung an.

4)    Anmai-kosh: Wenn die denkende, vom Gefühl beherrschte und angetriebene Seele in Prakriti eindringt, bildet sie dadurch noch eine andere Art der Umhüllung, die von >Anmai<. Es ist die letzte der fünf Bedeckungen, zu deren Erhaltung  sie einen ständigen Bedarf an >Ana< oder Nährstoff hat sowie an anderen Sinnesgegenständen.

Diese Hülle gleicht einem Futter des physischen Körpers (grobe Materie), der in der Tat nur die äußere Erscheinung davon ist. Sie umgibt die Seele auch dann noch, wenn die  äußere Form, das heißt der Körper, leidet, verfällt und sich zersetzt.

Die Existenz dieses groben physischen Körpers hängt von der Gesundheit der >Anmai kosh<, der Innenseite, ab.

Manche Seelen verlangen zufolge der >Anmai kosh< selbst dann noch nach Nährstoff, wenn sie den groben äußeren Körper bereits abgelegt haben; sie jagen nach den Freuden der Welt und suchen in ihren Wanderungen weiterhin menschliche Behausungen heim, um Befriedigung ihrer inneren Begierden zu erlangen. Damit dieses Verlangen der entkörperten Seele erfüllt werde, verrichten die Hindus >Pind Dan Saradhs< und bringen für die Manen der abgeschiedenen Seelen Sühneopfer dar, damit sie Ruhe und Frieden finden können.

5)    Jedoch ist Anand-mai-kosh (Glückseligkeit) die allererste dieser Koshas oder Umhüllungen. Sie ist beinahe ein Teil der Seele selbst. Es ist die feinstofflichste Hülle, die der eines dünnen Stoffes gleicht, der über einen beleuchteten Kandelaber gezogen wird.

Wenn man aus tiefem und traumlosem Schlaf (sushupti) erwacht, kann man eine kleine Erfahrung von ihr haben und eine verschwommene Vorstellung von Anand oder der Wonne, die zurückgeblieben ist und die einer in diesem völlig ungestörten Ruhezustand   erfahren hat. 

Die sind die fünf koshas oder hijabs (Schleier oder umgebende Hüllen), wie sie die Moslems nennen, und, eine um die andere, die Seele bedecken. Ziel und Zweck aller Yoga-Arten ist es, die Seele nach und nach von diesen Hüllen zu befreien, bis sie zuletzt aus allen gelöst ist und ihre ursprüngliche Glorie, in der sie aus sich selbst erstrahlt (Sayam Jyoti), wiedererlangt hat, die nicht geringer ist als die von mehreren Sonnen zusammengenommen. Das ist die Stufe des >Aham Brahm Asmi< oder >Ich bin Brahman<, und wenn sie erreicht ist, fühlt man sich nur eins mit Gott, sondern ruft Ihn mit den Worten an: Ayam Athma Brahma< - >o Gott, ich bin vom selben Wesen wie Du!< Die meisten Yoga-Systeme halten dies für das ein und alles sämtlicher spiritueller Bestrebungen. Es ist in der Tat die höchste und letzte Stufe der Selbstverwirklichung und dennoch nur eine Zwischenstation auf der spirituellen Reise – eine Stufe von keiner geringen Bedeutung, denn von hier aus beginnt eine vortreffliche Seele dem sehr begehrten Ziel vollkommener Gottverwirklichung entgegenzustreben. Es ist >Khud Shanasi< (Selbsterkenntnis), die nach und nach zu >Khuda Shanasi< (Gotterkenntnis) führt.

Selbsterkenntnis und tatsächliche Selbstverwirklichung sind der Höhepunkt im Prozeß der Selbstanalyse, ohne die man nicht zu Gott gelangen und das Reich Gottes betreten kann.

Bei diesem Prozeß der Umkehrung und des Zurückziehens des Geistes im Innern, erhebt man sich über das Körperbewußtsein und befreit den Geist von den Fangarmen des Körpers und des Gemüts.

Der einfachste, schnellste und sicherste Weg ist der der Verbindung mit Shabd oder dem Tonstrom (dem heiligen Wort), und er ist das einzige Mittel, daß zur Gottverwirklichung führt. Es ist der älteste Weg, den die Welt je gekannt hat und der seit dem Aufdämmern der Schöpfung selbst besteht. Es ist gleichaltrig mit dem Menschen seit dem Tag, an dem dieser sich von seinem himmlischen Vater losgesagt hat. Alle großen Meister, die sich der Menschheit annehmen, haben dies ihren Aposteln verkündet 1. Es ist die Taufe mit dem heiligen Geist, wie Christus gesagt hat.

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