VIII. Samadhi

 

Das Wort  >samadhi< ist von zwei Sanskrit-Wurzeln abgeleitet: von  >sam<, was   >>zusammen mit<< bedeutet  (griechisch/deutsch:  >>syn<<) und  >adhi< (das Ursprüngliche Sein) mit der hebräischen Entsprechung  >Adon<  oder  >Adoni< was  >>Herr<< heißt, so daß beides zusammen,  >sam< plus >adhi<, einen Zustand bezeichnet, in dem der Geist vollkommen im Herrn versunken ist. In ihm fallen alle begrenzenden Formen ab, und der Mensch, gänzlich losgelöst von aller Individualität, erfährt darin die große Wahrheit des  -  Ayam Atma Brahma  -  >Ich bin Du<.

 

Dies ist die letzte und höchste Stufe in dem lange währenden Prozeß des auf Erfahrung beruhenden Yoga und kann darum als die Blüte des Yogasystems angesehen werden. Dhyan selbst entwickelt sich nach und nach zum Samadhi, wenn der Meditierende jeden Gedanken an sich selbst verliert und das Gemüt  >dhya-rupa<, die Form seines Gedankens, annimmt. In diesem Zustand ist sich der Strebende keines äußeren Gegenstandes bewußt; er erfährt nur das Bewußtsein selbst, was alle Wonne und vollkommene Glückseligkeit mit sich bringt.

 

Es gibt zwei Mittel, durch die man Samadhi erlangen kann: Die  >Vedehas< (solche, die sich über das Körperbewußtsein erheben) erlangen ihn, indem sie die Natur des Gemütsstoffes zerstören, der beständig hinter den materiellen Dingen her ist, und ihn zu einer inneren, auf ein Ziel ausgerichteten Aufmerksamkeit bringen. Andere rufen diesen Zustand hervor, indem sie zuerst Einsicht und Unterscheidung durch Glauben, Energie und das Erinnerungsvermögen üben. Es gibt noch andere Arten des Samadhi. In  >dhyan< oder der Meditation (die auf ein Ziel gerichtete Aufmerksamkeit) unterscheidet man noch zwischen dem Meditierenden und dem Gegenstand der Meditation; aber im Samadhi oder der Identifikation mit dem Ganzen schwinden auch diese Unterschiede, da die eigene Individualität gleichsam nicht mehr besteht. Es ist diese Versenkung in das Unendliche, was die Befreiung von allem begrenzenden Beiwerk bringt, denn man erhält dabei einen Einblick in den Kern aller Dinge und eine Erfahrung der subtilen (adhi-devaka) und abstrakten (adhi-atmic) Aspekte von allem, was existiert.

 

Der Samadhi oder das Einssein mit dem Absoluten kann von der Bewußtheit der eigenen Individualität begleitet sein. In diesem Fall ist er als  >sarvikalpa< bekannt. Fehlt dieses jedoch ganz, wird er >nirvikalpa< genannt. Der erste Zustand wurde von Shri Ramakrishna mit einer Wollpuppe verglichen, die, wenn sie ins Wasser gesteckt wird, davon durchtränkt ist; den anderen vergleicht er mit einer Salzpuppe, die sich, wird sie ins Wasser getaucht, darin auflöst und verliert.  >Nirvikalpa< ist der eindeutig höhere  >samadhi<, denn  >sarvikalpa< ist, wenngleich er die Schau sehr erweitert, doch nur ein vorbereitender Schritt zum unbedingten Zustand. Nicht alle Yogis können  >nirvikalpa< erlangen, und wenn sie dahin kommen, geschieht das gewöhnlich nur einmal in ihrem Leben. Sie entrinnen dadurch schließlich dem Bereich von Name und Form und werden befreite Wesen. Ihr unausgewirktes vergangenes und gegenwärtiges Karma  (sanchit und kriyaman) kann sie dann nicht mehr gebunden halten, aber das ihres gegenwärtigen Lebens (pralabdh) muß erfüllt werden, und sie müssen bis zum letzten Augenblick leben. Wenn sie vom  >nirvikalpa< zum alltäglichen menschlichen Bewußtsein zurückkehren, leben und bewegen sie sich wie andere Menschen auch, aber indem sie ihren weltlichen Pflichten nachkommen, ruhen sie auf ewig im Göttlichen und sind niemals mehr davon getrennt.

 

Dieser Zustand der normalen Betätigung auf der Sinnesebene, jedoch erfüllt von Gotterkenntnis, wird >Sahaj samadhi< oder ein Zustand der  >leichten Einswerdung< genannt.

 

Ob sie sitzen, stehen oder gehen, verbleiben sie

stets in einem Zustand ewigen Gleichgewichts.

                                                                     Kabir

 

 

Es mag an dieser Stelle noch eine andere Art  >samadhi< erwähnt werden, der  >Bhava samadhi<, bei dem sich der Ergebene in hingebungsvolle Musik und Gesang vertieft und dabei jeden Gedanken an sich und die Welt ringsum verliert. Dieser  >samadhi< ist für Menschen mit gefühlvoller Gemütsart leicht zu erreichen; er gewährt augenblickliche Verzückung und innere mentale Erleichterung; aber er führt nicht zur Einswerdung mit dem Göttlichen und erweitert auch nicht das Bewußtsein. So läßt sich der Begriff >samadhi< nur bedingt auf diese Art der Hingabe anwenden, denn sie zeigt keines der wesentlichen Attribute eines überbewußten Zustandes und ist darum auch nicht von großem Nutzen auf der inneren spirituellen Reise.

 

Der Zustand des  >samadhi< ist nicht steinern und träge oder einer, bei dem man sich wie eine Schildkröte in seinen Panzer zurückzieht. Jeder von uns ist mit einem reichen inneren Leben voll unsagbarer spiritueller Kostbarkeiten ausgestattet, deren wir uns natürlich im alltäglichen Sinnesleben, das wir gewöhnlich führen, nicht bewußt sind. Wir können uns nach innen wenden und unsere Schau ausdehnen, um innerhalb ihres Bereiches nicht nur ein kosmisches Leben, sondern sogar ein noch höheres zu umfassen, das Ausblicke freigibt, die weit über den menschlichen Gesichtskreis hinausreichen. Es ist ein Seinszustand, eine direkte Wahrnehmung, eine wesenhafte Erfahrung der Seele, ein unmittelbares und klares Erkennen des spirituellen  >anubhav< (innere Verwirklichung), wie es gewöhnlich genannt wird. Professor Bergson, ein großer Philosoph, glaubte und empfand, daß es eine andere und höhere Quelle des Wissens gebe als den Verstand, der lediglich auf Schlußfolgerungen oder den Denkprozeß beschränkt ist. Er nannte es Intuition, aber dieser Seinszustand geht noch über die Intuition hinaus, zu einem direkten und unmittelbaren Wissen; denn Intuition ist nur ein anderer Name für die Gesamtsumme unserer in der Vergangenheit gemachten Erfahrungen. Der gewöhnliche Mensch bedarf nicht der Überlegung oder der Intuition, um an die Existenz der Sonne glauben zu können.

 

Er sieht sie, es ist  >prataksha<, und das macht jeden Beweis überflüssig. >Jedes wahre Wissen existiert durch sich selbst und ist von den Sinnen völlig unabhängig. Es ist die Tätigkeit der Seele und ohne die Sinne vollkommen ...<, sagt Ben Jonson. Und Henri Bergson erklärt:  >Der sicherste Weg zur Wahrheit führt über Wahrnehmung, Intuition und Gedankenarbeit bis zu einem bestimmten Punkt; und dann muß man den tödlichen Sprung tun.< Es ist  >divja drishti< oder  >jnana chakshu< (das heißt die direkte Erfahrung der Seele von der Wirklichkeit selbst). Durch das Aufblitzen spiritueller Lichtschimmer aus dem Jenseits erlangt man in Form spiritueller Einsicht, Inspiration und Offenbarung einen Blick von der Wahrheit. Die spirituelle Erfahrung, obgleich sie durch sich selbst besteht und über den entferntesten Grenzen des Verstandes liegt, steht diesem nicht entgegen, sondern vervollkommnet ihn.

 

Auch ist  >samadhi< chaitanya oder Allbewußtheit und etwas anderes als  >jar samadhi<. Ein Hatha Yogi zieht seine  >pranas< mittels  >khechari mudra< im  >Sahasrar chakra<, dem Sitz des >jiva atma< oder der Seele, zusammen und kann in diesem Zustand der Leere monate- oder jahrelang in einer Berghöhle oder einem unterirdischen Gemäuer verbleiben. Es handelt sich hierbei um eine Art >Yoga Nidra< oder Yogaschlaf, der weder ein übersinnliches Wissen noch eine spirituelle Erfahrung mit sich bringt. Dagegen befindet man sich im  >chaitanya samadhi< in einem Zustand völliger Bewußtheit und kann ihn nach Belieben mit einer neuen übersinnlichen Erfahrung und spirituellen Weisheit beenden. Den  >Jar samadhi< kann man nicht selbst abbrechen; man braucht andere, die es mittels einer komplizierten Massage usw. machen. Ein Raja-, ein Bhakta- oder ein Jnana Yogi erwachen leicht, wenn man ihren Körper schüttelt und indem man ein Muschelhorn bläst oder einen Gong anschlägt.

 

Dieser  >Chaitanya samadhi< wird erreicht, wenn die Gunas, aller Bewegung bar, unwirksam werden und die Bewußtseinskraft in ihrem Wesen gefestigt ist; er wird deswegen vielfach  >Kaivalya samadhi< genannt oder der ganz leichte und unabhängige  >samadhi<.

 

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