Das Selbst ist die Grundlage des bewußten Lebens

 

Er betrachtete das auf Erfahrungstatsachen beruhende Leben des individuellen Bewußtseins nur als einen Wachtraum, und wie jeden anderen Traum – als unwirklich. Diese Unwirklichkeit kommt ans Licht, wenn man vom begrenzten Bewußtsein zum kosmischen Bewußtsein gelangt oder über die relative Natur des physischen Bewußtseins nachdenkt, die sich vom Wachsein (jagrat) zum Traum (swapan) und vom Traum zur Traumlosigkeit (sushupti) verändert. Wenn schon die Erfahrung relativen Charakters ist, worin liegt dann ihre Realität? Die Antwort, die von Shankara gegeben wurde, ist, daß man sie im denkenden Gemüt zu suchen hat, das wiederum nur das Licht des  >atman<, des ewigen Selbst, des Unwandelbaren und Absoluten, des wahren Zeugen (sakshi), wiederspiegelt.

 

Das Prinzip der Kausalität ist eine Bedingtheit des Erkennens. Die Dinge scheinen wirklich zu sein, solange wir innerhalb der Grenzen von Ursache und Wirkung operieren. Aber in dem Augenblick, wo wir uns über diese Begrenzungen erheben, lösen sie sich in nichts auf. Der wahren Natur der Wirklichkeit nach gibt es keinen Raum für eine Ursächlichkeit, weil kausale Deutungen immer unvollständig sind und letzten Endes zu nichts führen. Die Dinge erscheinen vorübergehend wie Blasen oder Wellengekräusel auf der Oberfläche des Wassers und lösen sich im nächsten Moment wieder darin auf, so daß nichts mehr von ihnen zu sehen ist. Das Wasser allein verbleibt als die wirkliche Substanz der ganzen Erscheinung. Auf genau dieselbe Weise umfaßt und übersteigt das Wirkliche alle Erscheinungsformen und ist frei von jeder Beziehung zu Raum, Zeit und Kausalität. Die ganze Welt lebt in des Menschen Geist, und nur die Bewegung des bewußten Geistes unterscheidet zwischen der Wahrnehmung, dem Wahrnehmenden und dem Wahrgenommenen – eine Unterscheidung, die es in Wirklichkeit nicht gibt, da alles ein Teil vom gewaltigen Meer der Einheit ist. Dieser Zustand kennt keine Unterschiede zwischen dem Erkennenden, dem Erkannten und der Erkenntnis, was alles nur relative Begriffe ohne jede Endgültigkeit sind. Ähnlich sind die drei Zustände menschlicher Erfahrung: Wachen, Träumen und Traumlosigkeit unwirklich, denn keiner von ihnen ist von langer Dauer, und jeder gibt abwechselnd dem anderen Raum, da sich das Gemüt von einem Zustand zum anderen bewegt. Jeder hat einen Anfang und ein Ende und existiert nur so lange, wie der andere ausbleibt. Der Begriff >Relativität< läßt in sich ein Entgegengesetztes zu, die  >Realität<, und jenseits dieser drei Zustände liegt  >Atman< als Grundlage von allem,  (sakshi) oder der reine Zeuge, der allein ist und beständig hinter dem sich ewig wandelnden Panorama des Lebens verbleibt, der ewig Ungeborene, immer Wache, der Traumlose und Selbstleuchtende, der durch sein bloßes Wesen reine Erkenntnis ist, zum Unterschied von der Nichterkenntnis des Schlafzustandes.

 

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