11 Reinheit – wir
müssen in uns selbst ruhen Ich sprach gerade über die Reinheit des Lebens, die
der wichtigste Teil spirituellen Lebens ist. Spiritualität kann nicht in einem
Gemüt erwachen, das durch die nach außen fließenden Energien zu äußeren Freuden
getrieben oder gezogen wird. Von den fünf nach außen fließenden Energien oder
Sinnen: Augen, Ohren, Tastsinn und Geschmack, sind drei am mächtigsten. Die
Lust greift uns zu achtzig Prozent durch die Augen an, zu vierzehn Prozent
durch die Ohren und die restlichen sechs Prozent berühren uns hauptsächlich
durch den Tastsinn. Wie können wir da rein bleiben? Das ist die Frage. Ihr müßt
einfach eure Aufmerksamkeit kontrollieren. Das Gemüt und die äußeren Sinne
erhalten ihre Kraft von der Seele, deren äußerer Ausdruck die Aufmerksamkeit
ist. Wenn also unsere Aufmerksamkeit fest am Sitz der Seele im Körper verankert
ist und wir unsere nach außen fließenden Energien oder Sinne auf rechte Weise
gebrauchen, wird uns das, was wir sehen oder hören, nicht weiter berühren. Ihr
könnt jemanden anschauen, braucht aber nicht eure volle Aufmerksamkeit dazu,
nicht einmal bei offenen Augen. Jemand mag euch lange Geschichten über schlimme
Sachen erzählen – wenn ihr eure Aufmerksamkeit beherrscht, werdet ihr selbst
mit offenen Ohren nichts hören. Wir nehmen Eindrücke von außen und von dort auf,
wohin unsere Aufmerksamkeit geht. Wir werden von der Ausstrahlung derer
beeinflußt, mit denen wir in Verbindung kommen. wenn sie rein sind, ist es gut.
Wenn nicht, nehmt ihr ihre Ausstrahlung auf. Wie können wir also vor äußeren
Einflüssen abschirmen, das ist die Frage. Was tun, wenn draußen Hitze herrscht?
Wir sollten uns abschirmen. Wenn ihr in euch selbst ruht, indem ihr eure
Aufmerksamkeit von außen, vom Körper drunter zurückzieht, dann...? Wenn ihr mit
den Augen sehen möchtet, könnt ihr das, wenn ihr wollt. Wenn ihr in euch ruht,
wird euch dabei kein anderer der äußeren Sinne beeinflussen. Aber da wir uns
den äußeren Bindungen hingeben, nehmen wir natürlich Eindrücke von außen auf. Reinheit ist der Boden, auf dem sich Gott offenbart.
Deshalb hat Christus gesagt: „Selig sind, die reinen Herzens sind, denn sie
werden Gott schauen.“ Buddha, Christus und andere Heilige und Meister haben das
gleiche auf ihre Weise gesagt. Sie sagten alle: „Ihr müßt reinen Herzens sein.“
Wir sprechen aus der fülle unseres Herzens. Ihr sagt das, was schon in euch
ist. wenn ihr reine Gedanken habt, seid ihr rein. Dann wird alles was in Worten
oder durch Ausstrahlung von euch ausgeht, die gleiche Wirkung hervorrufen. Was
wir sagen und ausstrahlen, ist von dem durchdrungen, was in uns ist. Deshalb
heißt es: „Wem das Herz voll ist, dem geht der Mund über.“ Jeder sagt: „Seid keusch, beachtet das Zölibat.“
Doch was ist der einzige Prüfstein und die wirkliche Hilfe, um dieses Ziel zu
erreichen? Ganz in uns selbst zu ruhen. Denn wir verleihen dem Gemüt seine
Kraft. Wir verleihen auch den äußeren Sinnen Kraft. wir sind es, die außen
Gutes oder Schlechtes sehen. Wenn wir in uns ruhen, können wir unsere nach
außen gerichteten Energien nach Belieben sinnvoll nutzen. Gegenwärtig werden
wir von ihnen beeinflußt und von den äußeren Dingen magisch angezogen. Wenn ihr
in euch ruht und jemand berührt euch, beeinflußt euch das nicht. Ihr seid
abgeschirmt. Wenn ihr aber jemanden berührt, der das nicht ist, so wirkt sich
das aus. darum haben uns alle Meister ermahnt: „Berührt niemanden – schaut
nicht in die Augen anderer.“ Das sind die äußeren Maßnahmen zu eurem Schutz.
Wie man einem gefällten Baum zuerst die Äste abschneidet, weil es dann leichter
ist, den Stamm zu zersägen. Diese Vorsichtsmaßnahmen dienen nur dem Absägen der
Äste. Aber die ganze Sache hängt davon ab, ob ihr in euch ruht, ob ihr eure
Aufmerksamkeit in euch sammeln könnt. Der äußere Ausdruck der Seele wird Aufmerksamkeit
oder ‚surat‘ genannt. Wenn ihr in euch ruht, könnt ihr all eure äußeren Kräfte
ganz nach eurem Willen und Belieben gebrauchen. Jetzt können wir das nicht. Wir
treiben hilflos umher. Ihr seid in der Welt und seht jedem. Die einzige
Vorsichtsmaßnahme ist, nicht in die Augen anderer zu schauen – und ihr seid
gerettet. Aber dennoch ist uns nur dann wirklich geholfen, wenn wir uns
abschirmen. Dann könnt ihr mit jedem in Berührung kommen – wie einer, der unter
schlangen lebt, aber eine Zauberformel zu seinem Schutz hat und so nie gebissen
wird, Versteht ihr, was ich meine – was ich damit sagen will? Das Wichtigste ist also, in sich zu ruhen. Wenn ihr
euren spirituellen Übungen regelmäßig nachkommt, wird sich das mit der Zeit
einstellen. Wenn sich die Seele erhebt, seid ihr von außen abgeschnitten. wenn
ihr fest in das innere Licht blickt, seid ihr vom Körper und den sinnen
abgeschnitten. Ein Arzt, der meinen Meister gelegentlich untersuchte, sagte
einmal zu ihm: „Ihr sagt, Ihr seid vom Körper zurückgezogen. Könnt Ihr das
beweisen?“ „gut“, sagte der Meister, „untersucht mich, wenn ihr möchtet“, und
er zog sich in sein Selbst zurück. Der Arzt fand kaum ein Lebenszeichen in
seinem Körper. Selbst der Blutkreislauf war sehr verlangsamt. Es ist die
Aufmerksamkeit, die dem Körper Leben verleiht. Das haben wir vergessen. Wir
befassen uns mit äußeren Übungen, die den Gebrauch der äußeren Fähigkeiten
erfordern. Das könnt ihr Hunderte von Jahren tun. Es mögen gute oder schlechte
Handlungen sein, und sie werden entsprechende Folgen haben. Durch äußere
Bindungen könnt ihr nicht erlöst werden – das möchte ich nochmals betonen –
sondern ihr müßt euch in euer selbst zurückziehen, in euch ruhen. Daher ist in
sich ruhen der beste Weg, Reinheit zu erlangen. Wenn ihr die Augen oder andere
Organe, durch die die Sinneskräfte wirken, gebrauchen wollt, dann benutzt sie –
sonst nicht. Ich würde sagen, einen Menschen, der ganz in sich
ruht, den nennt man einen Heiligen. er kommt mit euch in Verbindung und klopft
euch manchmal auf die Schulter oder schaut euch gütig an. Das heißt aber nicht,
daß er von euch beeinflußt wird. Er beeinflußt andere, denn er ist kompetent.
Wir aber werden von anderen beeinflußt, das ist das Bedauerliche. Zwischen dem
Einfluß eines Heiligen und dem Einfluß anderer ist ein sehr großer Unterschied.
Ihr könnt zwar sagen, daß er bei uns sitzt. Manchmal spricht er fröhlich mit
uns. Glaubt ihr ernsthaft, daß er von euch angezogen wird? Nicht im geringsten.
Er sitzt bei uns und spricht mit uns – nur um uns und andere auf den rechten
Weg zu bringen. Es ist also ein großer Unterschied zwischen einem, der in sich
selbst ruht und nur gekommen ist, um anderen zu helfen und einem, der nicht in
sich ruht. Das braucht natürlich seine Zeit. Rom wurde nicht an einem Tag
erbaut. Jeder Heilige hat seine Vergangenheit und jeder Sünder eine Zukunft.
Diese Dinge müssen wir verstehen und auf rechte Weise nutzen. Ruht in euch
selbst; und dafür müßt ihr regelmäßig üben. eure Aufmerksamkeit sollte jeden
Augenblick des Lebens in euch ruhen. Ich habe dieses Geheimnis aus dem Leben Napoleons
gelernt. Ich habe mehr als dreihundert Bücher über das Leben von Heiligen und
anderen großen Männern gelesen. Ich sage euch, Napoleon war ein sehr in sich
ruhender Mensch. Um 2.00 Uhr morgens schrieb er die Richtlinien für eine
Grundschule. Das war am Morgen der Schlacht von Waterloo. Um 8.00 Uhr ging er
im Garten spazieren. einer seiner Minister fragte ihn: „was tut ihr? Die
Schlacht soll um 9.00 Uhr beginnen.“ „Oh, das ist um 9.00 Uhr, jetzt ist es
8.00 Uhr“, erwidert Napoleon. Ihr seht, wie sehr er in sich ruhte. Ich habe die
Biographien von viele Heiligen gelesen. wir können aus dem Leben eines jeden
Menschen etwas lernen. Ein Mensch wird nicht dadurch groß, daß er mit dem Kopf
etwas lernt. Um groß zu werden, muß er es in seinem Leben verwirklichen.
Versteht ihr mich jetzt? Jeder betont, wie wichtig es ist, keusch zu sein,
aber noch sind wir es nicht. Der Grund liegt in der vergifteten Atmosphäre. Die
Menschen, die wir berühren, sind vergiftet. Es ist besser, ihr seid mit einem
guten, in sich selbst ruhenden Menschen zusammen. Wenn nicht, dann lebt besser
allein. Diese Dinge stehen zwar in Büchern, aber dort werden sie nicht so klar,
knapp und deutlich erklärt, wie ich es gerade tue. Ihr wollt rein sein, gut, dann
ruht in euch. Das Tagebuch hilft euch dabei, wie wenn man einem Baum die Äste
absägt. Wenn man die Frucht vom Baum nimmt, kann sie nicht frisch bleiben. Sie
bleibt nur frisch, solange sie nicht von menschlicher Hand berührt wird. Wird
sie von Menschenhand berührt, ist dies nicht möglich, obwohl es einen Ausweg
gibt. man kann sie in Honig aufbewahren, dann verdirbt sie nicht. Der Honig
sollte die Lieb zu Gott, zum Meister, sein. Auf diese weise sind wir sicher und
bleiben ganz frisch – anders nicht. Die Meister haben uns so viele Beispiele gegeben, um
uns diese Dinge nahezubringen, aber wir lesen einfach darüber hinweg und machen
weiter wie vorher. Wir sollten begreifen, was sie uns sagen, und es in unserem
Leben verwirklichen. Wenn man zwei Gläser zusammen transportieren, kann eines
oder beide zerbrechen. Ähnlich erhaltet ihr durch Berührung die Ausstrahlung,
die der andere hat. Bevor ihr nicht in euch ruht, könnt ihr dem Einfluß anderer
nicht entgehen. Wir müssen im wasser schwimmen lernen, nicht auf dem Trockenen.
Wir müssen in der Welt und dennoch außerhalb von ihr sein; und um das zu
erreichen, müssen wir in uns ruhen. Versteht ihr, was ich sagen will? Die
Gemeinschaft mit einem Menschen, der in sich ruht, gibt euch die Ausstrahlung
seines Lebens. Maulana Rumi sagt: „Wenn ihr in der Gemeinschaft eines Heiligen
seid (hier sind die Heiligen gemeint, auf die sich die Schriften beziehen,
nicht die sogenannte Meister, mit denen die Welt heute überschwemmt wird) und
eine Stunde bei ihm sitzt, nehmt ihr seine Ausstrahlung auf. Dadurch werdet ihr
euch weitaus mehr entwickeln und fortschreiten, als es durch jahrelange Hingabe
möglich ist.“ Wenn ihr einmal am Feuer sitzt, wird alle Kälte weichen. wenn ihr
am Fuße eines schneebedeckten Berges sitzt, wird euch natürlich frieren. So
gibt euch die Gemeinschaft mit einem Heiligen etwas ganz wunderbares. Stellt
ihr Blumen in ein Zimmer, wird es von ihrem Duft erfüllt. Legt ihr sie zwischen
eure Kleider, sind auch sie voll Wohlgeruch. Legt ihr sie in Wasser, wird
dieses Wasser duften. Gleicherweise ist die Atmosphäre stark geladen, wen ein
in sich ruhender Mensch anwesend ist. In dieser Atmosphäre könnt ihr alles sehr
leicht verstehen und weitere Fortschritte machen. Die Ausstrahlung der
Atmosphäre, die ihn umgibt, dringt in euch ein. Die Menschen eilen Hunderte und Tausende von
Kilometern herbei, um in der Gemeinschaft eines Heiligen zu sein. Was tun wir,
wenn wir zu ihm kommen? Wir fangen nichts Rechtes mit seiner Gegenwart an.
Warum? Weil nicht unsere ganze Aufmerksamkeit auf den Meister gerichtet ist.
Wenn ihr zum Meister geht und nur wissen wollt, was er ißt oder was er trinkt,
dann werdet ihr von seiner Ausstrahlung nur wenig Gewinn haben. Wenn ihr zu
Füßen des Meisters seid, solltet ihr mit niemand Freundschaft schließen – eure
ganze Freundschaft sollte nur dem Meister gelten. Eure ganze Aufmerksamkeit
sollte stets auf ihn gerichtet sein. Und was sagt er? Verlangt er von euch, die
Welt zu verlassen und in die Wüste zu gehen? Nicht im geringsten. Er möchte,
daß wir in der Welt leben – aber in uns ruhen. Gott hat euch verbunden, manche als Brüder, manche
als Schwestern, Müttern oder Väter. Er hat euch vereint; und aus Ergebenheit
für ihn solltet ihr euch auf die rechte Weise verhalten. Wenn Gott das getan
hat und wenn ihr ihn liebt, dann begleicht eure Schulden ganz – so gut ihr nur
könnt. Und dennoch solltet ihr es losgelöst tun – wie ein Kindermädchen, das
ein Kind von jemand anderem versorgt. Sie pflegt es natürlich, weiß aber dabei
in ihrem Innersten, daß es nicht ihr Kind ist. Sie tut es nur, um ihren
Lebensunterhalt zu verdienen. Ähnlich sollten wir auf dieser Welt leben, unsere
Schulden bezahlen, jene lieben, denen wir etwas schulden, weil Gott und
verbunden hat – aber innerlich ganz losgelöst. das ist nur möglich, wenn wir in
uns ruhen. Das steht so direkt nicht in den Büchern. Wer
praktische Erfahrung hat, weiß, wo der Schuh drückt. Bei all unserem Mühen und
Wollen, enthaltsam zu sein, sind wir es dennoch nicht. Enthaltsamkeit in
Gedanken, Worten und Taten hängt als Ganzes von der Aufmerksamkeit der Seele
ab. Wenn ihr eure Aufmerksamkeit in euch sammelt – wer kann euch dann
beeinflussen? Ihr werdet innerlich losgelöst sein. Das sind praktische Hinweise
für euch. Macht euch Notizen über das Gesagte. Wenn ihr alle heilige Schriften
durchlest, werdet ihr finden, daß es nirgendwo so direkt steht. Das wichtigste zu eurer Rettung ist, nicht in die
Augen anderer zu schauen. Schaut nur in die Augen von einem, der in sich ruht.
Berührt niemanden und ihr seid sicher. Wenn ihr in euch ruht, werdet ihr von
anderen nicht beeinflußt. Sonst werdet ihr von allen beeinflußt. Denkt daran:
wenn ihr nicht die Gemeinschaft eines kompetenten Meisters erlangen könnt, dann
bleibt lieber allein. Zahlt eure Schulden, weil Gott euch verbunden hat. Liebt
die Menschen, weil sie Kinder Gottes sind. Um der Liebe Gottes Willen sollten
wir alle lieben. Dafür braucht ihr die Welt nicht zu verlassen und in der
Einsamkeit zu gehen. Ihr müßt im wasser schwimmen lernen. Versteht ihr, was ich
sagen will? Es ist sehr wichtig. Nehmt einfach an, was euch gesagt wurde, und
versucht euren Meditationen mehr Zeit zu widmen. Nur so könnt ihr in euch
ruhen. |