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Reinheit – wir müssen in uns selbst ruhen

 

Ich sprach gerade über die Reinheit des Lebens, die der wichtigste Teil spirituellen Lebens ist. Spiritualität kann nicht in einem Gemüt erwachen, das durch die nach außen fließenden Energien zu äußeren Freuden getrieben oder gezogen wird. Von den fünf nach außen fließenden Energien oder Sinnen: Augen, Ohren, Tastsinn und Geschmack, sind drei am mächtigsten. Die Lust greift uns zu achtzig Prozent durch die Augen an, zu vierzehn Prozent durch die Ohren und die restlichen sechs Prozent berühren uns hauptsächlich durch den Tastsinn. Wie können wir da rein bleiben? Das ist die Frage. Ihr müßt einfach eure Aufmerksamkeit kontrollieren. Das Gemüt und die äußeren Sinne erhalten ihre Kraft von der Seele, deren äußerer Ausdruck die Aufmerksamkeit ist. Wenn also unsere Aufmerksamkeit fest am Sitz der Seele im Körper verankert ist und wir unsere nach außen fließenden Energien oder Sinne auf rechte Weise gebrauchen, wird uns das, was wir sehen oder hören, nicht weiter berühren. Ihr könnt jemanden anschauen, braucht aber nicht eure volle Aufmerksamkeit dazu, nicht einmal bei offenen Augen. Jemand mag euch lange Geschichten über schlimme Sachen erzählen – wenn ihr eure Aufmerksamkeit beherrscht, werdet ihr selbst mit offenen Ohren nichts hören.

Wir nehmen Eindrücke von außen und von dort auf, wohin unsere Aufmerksamkeit geht. Wir werden von der Ausstrahlung derer beeinflußt, mit denen wir in Verbindung kommen. wenn sie rein sind, ist es gut. Wenn nicht, nehmt ihr ihre Ausstrahlung auf. Wie können wir also vor äußeren Einflüssen abschirmen, das ist die Frage. Was tun, wenn draußen Hitze herrscht? Wir sollten uns abschirmen. Wenn ihr in euch selbst ruht, indem ihr eure Aufmerksamkeit von außen, vom Körper drunter zurückzieht, dann...? Wenn ihr mit den Augen sehen möchtet, könnt ihr das, wenn ihr wollt. Wenn ihr in euch ruht, wird euch dabei kein anderer der äußeren Sinne beeinflussen. Aber da wir uns den äußeren Bindungen hingeben, nehmen wir natürlich Eindrücke von außen auf.

Reinheit ist der Boden, auf dem sich Gott offenbart. Deshalb hat Christus gesagt: „Selig sind, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen.“ Buddha, Christus und andere Heilige und Meister haben das gleiche auf ihre Weise gesagt. Sie sagten alle: „Ihr müßt reinen Herzens sein.“ Wir sprechen aus der fülle unseres Herzens. Ihr sagt das, was schon in euch ist. wenn ihr reine Gedanken habt, seid ihr rein. Dann wird alles was in Worten oder durch Ausstrahlung von euch ausgeht, die gleiche Wirkung hervorrufen. Was wir sagen und ausstrahlen, ist von dem durchdrungen, was in uns ist. Deshalb heißt es: „Wem das Herz voll ist, dem geht der Mund über.“

Jeder sagt: „Seid keusch, beachtet das Zölibat.“ Doch was ist der einzige Prüfstein und die wirkliche Hilfe, um dieses Ziel zu erreichen? Ganz in uns selbst zu ruhen. Denn wir verleihen dem Gemüt seine Kraft. Wir verleihen auch den äußeren Sinnen Kraft. wir sind es, die außen Gutes oder Schlechtes sehen. Wenn wir in uns ruhen, können wir unsere nach außen gerichteten Energien nach Belieben sinnvoll nutzen. Gegenwärtig werden wir von ihnen beeinflußt und von den äußeren Dingen magisch angezogen. Wenn ihr in euch ruht und jemand berührt euch, beeinflußt euch das nicht. Ihr seid abgeschirmt. Wenn ihr aber jemanden berührt, der das nicht ist, so wirkt sich das aus. darum haben uns alle Meister ermahnt: „Berührt niemanden – schaut nicht in die Augen anderer.“ Das sind die äußeren Maßnahmen zu eurem Schutz. Wie man einem gefällten Baum zuerst die Äste abschneidet, weil es dann leichter ist, den Stamm zu zersägen. Diese Vorsichtsmaßnahmen dienen nur dem Absägen der Äste. Aber die ganze Sache hängt davon ab, ob ihr in euch ruht, ob ihr eure Aufmerksamkeit in euch sammeln könnt.

Der äußere Ausdruck der Seele wird Aufmerksamkeit oder ‚surat‘ genannt. Wenn ihr in euch ruht, könnt ihr all eure äußeren Kräfte ganz nach eurem Willen und Belieben gebrauchen. Jetzt können wir das nicht. Wir treiben hilflos umher. Ihr seid in der Welt und seht jedem. Die einzige Vorsichtsmaßnahme ist, nicht in die Augen anderer zu schauen – und ihr seid gerettet. Aber dennoch ist uns nur dann wirklich geholfen, wenn wir uns abschirmen. Dann könnt ihr mit jedem in Berührung kommen – wie einer, der unter schlangen lebt, aber eine Zauberformel zu seinem Schutz hat und so nie gebissen wird, Versteht ihr, was ich meine – was ich damit sagen will?

Das Wichtigste ist also, in sich zu ruhen. Wenn ihr euren spirituellen Übungen regelmäßig nachkommt, wird sich das mit der Zeit einstellen. Wenn sich die Seele erhebt, seid ihr von außen abgeschnitten. wenn ihr fest in das innere Licht blickt, seid ihr vom Körper und den sinnen abgeschnitten. Ein Arzt, der meinen Meister gelegentlich untersuchte, sagte einmal zu ihm: „Ihr sagt, Ihr seid vom Körper zurückgezogen. Könnt Ihr das beweisen?“ „gut“, sagte der Meister, „untersucht mich, wenn ihr möchtet“, und er zog sich in sein Selbst zurück. Der Arzt fand kaum ein Lebenszeichen in seinem Körper. Selbst der Blutkreislauf war sehr verlangsamt. Es ist die Aufmerksamkeit, die dem Körper Leben verleiht. Das haben wir vergessen. Wir befassen uns mit äußeren Übungen, die den Gebrauch der äußeren Fähigkeiten erfordern. Das könnt ihr Hunderte von Jahren tun. Es mögen gute oder schlechte Handlungen sein, und sie werden entsprechende Folgen haben. Durch äußere Bindungen könnt ihr nicht erlöst werden – das möchte ich nochmals betonen – sondern ihr müßt euch in euer selbst zurückziehen, in euch ruhen. Daher ist in sich ruhen der beste Weg, Reinheit zu erlangen. Wenn ihr die Augen oder andere Organe, durch die die Sinneskräfte wirken, gebrauchen wollt, dann benutzt sie – sonst nicht.

Ich würde sagen, einen Menschen, der ganz in sich ruht, den nennt man einen Heiligen. er kommt mit euch in Verbindung und klopft euch manchmal auf die Schulter oder schaut euch gütig an. Das heißt aber nicht, daß er von euch beeinflußt wird. Er beeinflußt andere, denn er ist kompetent. Wir aber werden von anderen beeinflußt, das ist das Bedauerliche. Zwischen dem Einfluß eines Heiligen und dem Einfluß anderer ist ein sehr großer Unterschied. Ihr könnt zwar sagen, daß er bei uns sitzt. Manchmal spricht er fröhlich mit uns. Glaubt ihr ernsthaft, daß er von euch angezogen wird? Nicht im geringsten. Er sitzt bei uns und spricht mit uns – nur um uns und andere auf den rechten Weg zu bringen. Es ist also ein großer Unterschied zwischen einem, der in sich selbst ruht und nur gekommen ist, um anderen zu helfen und einem, der nicht in sich ruht. Das braucht natürlich seine Zeit. Rom wurde nicht an einem Tag erbaut. Jeder Heilige hat seine Vergangenheit und jeder Sünder eine Zukunft. Diese Dinge müssen wir verstehen und auf rechte Weise nutzen. Ruht in euch selbst; und dafür müßt ihr regelmäßig üben. eure Aufmerksamkeit sollte jeden Augenblick des Lebens in euch ruhen.

Ich habe dieses Geheimnis aus dem Leben Napoleons gelernt. Ich habe mehr als dreihundert Bücher über das Leben von Heiligen und anderen großen Männern gelesen. Ich sage euch, Napoleon war ein sehr in sich ruhender Mensch. Um 2.00 Uhr morgens schrieb er die Richtlinien für eine Grundschule. Das war am Morgen der Schlacht von Waterloo. Um 8.00 Uhr ging er im Garten spazieren. einer seiner Minister fragte ihn: „was tut ihr? Die Schlacht soll um 9.00 Uhr beginnen.“ „Oh, das ist um 9.00 Uhr, jetzt ist es 8.00 Uhr“, erwidert Napoleon. Ihr seht, wie sehr er in sich ruhte. Ich habe die Biographien von viele Heiligen gelesen. wir können aus dem Leben eines jeden Menschen etwas lernen. Ein Mensch wird nicht dadurch groß, daß er mit dem Kopf etwas lernt. Um groß zu werden, muß er es in seinem Leben verwirklichen. Versteht ihr mich jetzt?

Jeder betont, wie wichtig es ist, keusch zu sein, aber noch sind wir es nicht. Der Grund liegt in der vergifteten Atmosphäre. Die Menschen, die wir berühren, sind vergiftet. Es ist besser, ihr seid mit einem guten, in sich selbst ruhenden Menschen zusammen. Wenn nicht, dann lebt besser allein. Diese Dinge stehen zwar in Büchern, aber dort werden sie nicht so klar, knapp und deutlich erklärt, wie ich es gerade tue. Ihr wollt rein sein, gut, dann ruht in euch. Das Tagebuch hilft euch dabei, wie wenn man einem Baum die Äste absägt. Wenn man die Frucht vom Baum nimmt, kann sie nicht frisch bleiben. Sie bleibt nur frisch, solange sie nicht von menschlicher Hand berührt wird. Wird sie von Menschenhand berührt, ist dies nicht möglich, obwohl es einen Ausweg gibt. man kann sie in Honig aufbewahren, dann verdirbt sie nicht. Der Honig sollte die Lieb zu Gott, zum Meister, sein. Auf diese weise sind wir sicher und bleiben ganz frisch – anders nicht.

Die Meister haben uns so viele Beispiele gegeben, um uns diese Dinge nahezubringen, aber wir lesen einfach darüber hinweg und machen weiter wie vorher. Wir sollten begreifen, was sie uns sagen, und es in unserem Leben verwirklichen. Wenn man zwei Gläser zusammen transportieren, kann eines oder beide zerbrechen. Ähnlich erhaltet ihr durch Berührung die Ausstrahlung, die der andere hat. Bevor ihr nicht in euch ruht, könnt ihr dem Einfluß anderer nicht entgehen. Wir müssen im wasser schwimmen lernen, nicht auf dem Trockenen. Wir müssen in der Welt und dennoch außerhalb von ihr sein; und um das zu erreichen, müssen wir in uns ruhen. Versteht ihr, was ich sagen will? Die Gemeinschaft mit einem Menschen, der in sich ruht, gibt euch die Ausstrahlung seines Lebens. Maulana Rumi sagt: „Wenn ihr in der Gemeinschaft eines Heiligen seid (hier sind die Heiligen gemeint, auf die sich die Schriften beziehen, nicht die sogenannte Meister, mit denen die Welt heute überschwemmt wird) und eine Stunde bei ihm sitzt, nehmt ihr seine Ausstrahlung auf. Dadurch werdet ihr euch weitaus mehr entwickeln und fortschreiten, als es durch jahrelange Hingabe möglich ist.“ Wenn ihr einmal am Feuer sitzt, wird alle Kälte weichen. wenn ihr am Fuße eines schneebedeckten Berges sitzt, wird euch natürlich frieren. So gibt euch die Gemeinschaft mit einem Heiligen etwas ganz wunderbares. Stellt ihr Blumen in ein Zimmer, wird es von ihrem Duft erfüllt. Legt ihr sie zwischen eure Kleider, sind auch sie voll Wohlgeruch. Legt ihr sie in Wasser, wird dieses Wasser duften. Gleicherweise ist die Atmosphäre stark geladen, wen ein in sich ruhender Mensch anwesend ist. In dieser Atmosphäre könnt ihr alles sehr leicht verstehen und weitere Fortschritte machen. Die Ausstrahlung der Atmosphäre, die ihn umgibt, dringt in euch ein.

Die Menschen eilen Hunderte und Tausende von Kilometern herbei, um in der Gemeinschaft eines Heiligen zu sein. Was tun wir, wenn wir zu ihm kommen? Wir fangen nichts Rechtes mit seiner Gegenwart an. Warum? Weil nicht unsere ganze Aufmerksamkeit auf den Meister gerichtet ist. Wenn ihr zum Meister geht und nur wissen wollt, was er ißt oder was er trinkt, dann werdet ihr von seiner Ausstrahlung nur wenig Gewinn haben. Wenn ihr zu Füßen des Meisters seid, solltet ihr mit niemand Freundschaft schließen – eure ganze Freundschaft sollte nur dem Meister gelten. Eure ganze Aufmerksamkeit sollte stets auf ihn gerichtet sein. Und was sagt er? Verlangt er von euch, die Welt zu verlassen und in die Wüste zu gehen? Nicht im geringsten. Er möchte, daß wir in der Welt leben – aber in uns ruhen.

Gott hat euch verbunden, manche als Brüder, manche als Schwestern, Müttern oder Väter. Er hat euch vereint; und aus Ergebenheit für ihn solltet ihr euch auf die rechte Weise verhalten. Wenn Gott das getan hat und wenn ihr ihn liebt, dann begleicht eure Schulden ganz – so gut ihr nur könnt. Und dennoch solltet ihr es losgelöst tun – wie ein Kindermädchen, das ein Kind von jemand anderem versorgt. Sie pflegt es natürlich, weiß aber dabei in ihrem Innersten, daß es nicht ihr Kind ist. Sie tut es nur, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Ähnlich sollten wir auf dieser Welt leben, unsere Schulden bezahlen, jene lieben, denen wir etwas schulden, weil Gott und verbunden hat – aber innerlich ganz losgelöst. das ist nur möglich, wenn wir in uns ruhen.

Das steht so direkt nicht in den Büchern. Wer praktische Erfahrung hat, weiß, wo der Schuh drückt. Bei all unserem Mühen und Wollen, enthaltsam zu sein, sind wir es dennoch nicht. Enthaltsamkeit in Gedanken, Worten und Taten hängt als Ganzes von der Aufmerksamkeit der Seele ab. Wenn ihr eure Aufmerksamkeit in euch sammelt – wer kann euch dann beeinflussen? Ihr werdet innerlich losgelöst sein. Das sind praktische Hinweise für euch. Macht euch Notizen über das Gesagte. Wenn ihr alle heilige Schriften durchlest, werdet ihr finden, daß es nirgendwo so direkt steht.

Das wichtigste zu eurer Rettung ist, nicht in die Augen anderer zu schauen. Schaut nur in die Augen von einem, der in sich ruht. Berührt niemanden und ihr seid sicher. Wenn ihr in euch ruht, werdet ihr von anderen nicht beeinflußt. Sonst werdet ihr von allen beeinflußt. Denkt daran: wenn ihr nicht die Gemeinschaft eines kompetenten Meisters erlangen könnt, dann bleibt lieber allein. Zahlt eure Schulden, weil Gott euch verbunden hat. Liebt die Menschen, weil sie Kinder Gottes sind. Um der Liebe Gottes Willen sollten wir alle lieben. Dafür braucht ihr die Welt nicht zu verlassen und in der Einsamkeit zu gehen. Ihr müßt im wasser schwimmen lernen. Versteht ihr, was ich sagen will? Es ist sehr wichtig. Nehmt einfach an, was euch gesagt wurde, und versucht euren Meditationen mehr Zeit zu widmen. Nur so könnt ihr in euch ruhen.

 


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