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Wie man Empfänglichkeit entwickelt – I

 

Leben kommt von Leben. Die Ausstrahlung eines Menschen, der von der Kraft belebt wird, durch die sich Gott zum Ausdruck bringt, kann sich auf einen anderen übertragen, der empfänglich ist. Er mag weit entfernt oder ganz nah sein – wenn er nicht empfänglich ist, kann er dieses Leben nicht erhalten. Leben strahlt durch Leben aus und auch durch die Augen. Die Augen sind die Fenster der Seele. Die Seele, die durch die Verbindung mit Gott belebt wird, kann dieses Lebensprinzip durch die Augen ausstrahlen – nicht durch den Verstand. Mit dem Verstand können wir nur Dinge unterscheiden. Leben wird durch Leben übertragen und nur an jene, die empfänglich sind. Sonst können sie dies Leben nicht erhalten. Spiritualität kann man also nicht lernen – sie wird den empfänglichen Seelen wie eine Infektion übertragen. Jemand kann jahrelang im gleichen Haus wie der Meister wohnen und keinen Funken Spiritualität aufnehmen. Dagegen wird eine empfängliche Seele – auch wenn sie weit weg wohnt – mehr damit anfangen, als eine nicht empfängliche, die ganz nah bei ihm lebt. Im Leben eines empfänglichen Menschen sammeln sich alle guten Eigenschaften. Deshalb sagt Kabir, daß es sinnlos ist, physisch beim Meister zu sein, wenn euer Gemüt nicht für den Gott im Menschen empfänglich ist.

Empfänglichkeit läßt sich entwickeln, wenn man alle fremden Gedanken vertreibt. was bleibt, seid ihr und er. Ihr wirkt hinter den Augen und der Gott im Menschen wirkt auch dort. Die Augen sind die Fenster der Seele, und der Gottmensch lehrt andere durch die Augen – ohne zu sprechen. Was ich euch sage, ist natürlich ein sehr schwieriger Punkt. Ihr könnt jahrelang beim Meister wohnen und dennoch kein Leben entwickeln. Wie ihr denkt, so werdet ihr. Dieses Leben fließt in euer Leben über, wenn ihr empfänglich werdet. Ihr werdet eins mit ihm und nie mehr zwei sein. Deshalb hat Paulus gesagt: „Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir.“ Genau das haben fast alle Meister gesagt, ob sie nun in Indien oder woanders lebten. Maulana Rumi sagte: „Ich bin so erfüllt von meinem Meister, daß ich vergessen habe, wie ich heiße und ob er in mit ist oder ich in ihm bin. Ich kann es nicht unterscheiden.“ das wird zum Schicksal empfänglicher Seelen. Er ist alle Weisheit, Gnade, Barmherzigkeit und Liebe. Diese Eigenschaften könnt ihr in euch entwickeln, wenn ihr empfänglich werdet – nicht durch Worte. Durch Worte versteht ihr auf der Ebene des Verstandes; aber wenn ihr nicht empfänglich werdet, kann kein Leben auf euch ausstrahlen und in euch einströmen. Versteht ihr? das ist der Grund, warum Hunderte von Menschen im gleichen Hause wie der Meister leben mögen und dennoch keine Spiritualität entwickeln.

Ich habe euch zwei Beispiele gegeben, eines von Paulus und ein anderes von Maulana Rumi. Ein solcher Mensch wird Gurmukh genannt. Er wird zum Sprachrohr des Gurus, aber nicht auf der Ebene des Verstandes. Auf der Ebene des Verstandes. Auf der Ebene des Verstandes könnt ihr euch vieles merken, was der Meister gesagt und gelehrt hat. Aber das hat kein Leben – weil ihr nur auf der Ebene des Verstandes sprecht. Leben oder Bewußtheit ist etwas ganz anderes als intellektuelles Ringen oder Streiten. Versteht ihr jetzt, was ich sagen will? Wir kommen da auf einen sehr schwierigen Punkt zu sprechen. Diese Dinge kann man nicht schriftlich erklären. Geschriebenes kann nicht die Worte übertragen, die ein Mensch direkt spricht und die mit höherem Leben geladen sind. Deshalb hat Soami Ji gesagt: „Wenn ihr zum Satsang geht, dann zieht den vollen Nutzen daraus.“ Wie? Vergeßt alles, wenn ihr zum Satsang kommt. Vergeßt selbst die Umgebung und wer neben euch sitzt. Vergeßt auch euren eigenen Körper. Dann bleiben nur ihr und er. Augen sprechen zu Augen. Die Augen sind die Fenster der Seele. Wenn ihr euch derart vertieft, werdet ihr empfänglich und erhaltet Leben. Leben kann nicht durch Papier oder den Verstand übertragen werden. Der Verstand erklärt nur, was eben mit Worten erklärt werden kann und nichts weiter. Die Sprache ist manchmal recht unzulänglich. Wir sind bewußte Wesen und wir werden bewußter, wenn wir durch die Empfänglichkeit das Brot des Lebens erhalten. Diese Ausstrahlung kann man ganz nahe beim Meister oder auch Tausende von Kilometern entfernt empfangen. Durch Funk und Fernsehen hört und seht ihr über Tausende von Kilometern hinweg. Wenn ihr das Mensch gewordene Naam – das fleischgewordene Wort – seid, warum sollt ihr dann nicht auch überallhin ausstrahlen können? Ihr könnt es. Wer Empfänglichkeit entwickelt, erhält das wahre Brot des Lebens und das wird ihm mehr Leben geben. Das Leben ist bereits in euch, aber ihr habt euch noch nicht selbst erkannt, weil ihr von Gemüt, Materie und den nach außen fließenden Energien umhüllt seid. Ihr habt euch so sehr mit dem Körper und den äußeren Dingen identifiziert, daß ihr euch nicht von ihnen lösen und erkennen könnt, wer ihr wirklich seid. Wenn ihr euch mit eurem höheren Selbst verbindet – mit einem Menschen höchster Bewußtheit – dann entwickelt ihr euch weiter. Guru Nanak hat gesagt: „Nur der lebt, o Nanak, dessen Seele sich  mit dem vereint, der das Sprachrohr der Kraft ist, die Wort oder Naam genannt wird, durch die sich Gott zum Ausdruck bringt.“ Wenn ihr für ihn empfänglich werdet, der das Fleisch gewordenen Wort ist, werdet ihr natürlich mehr Leben erhalten.

Wie ich euch gesagte, kann man Spiritualität nicht lernen, sondern nur aufnehmen, wenn man empfänglich wird. Nur durch Liebe könnt ihr empfänglich werden. ein Liebender bleibt auch unter Tausenden von Menschen ganz allein, weil all seine Aufmerksamkeit auf den Meister gerichtet ist, mit dem er sich ausschließlich beschäftigt. Nur so könnt ihr Empfänglichkeit entwickeln. Wenn ihr empfänglich werdet, erhaltet ihr mein Leben. Durch intellektuellen Gespräche versteht ihr nur, was mit ‚Brot des Lebens‘ gemeint ist und nicht versteht. es gibt im Sanskrit das Wort ‚Upasna‘. Upasna bedeutet ‚bei einem Meister sein‘. Nichts steht zwischen euch und dem Meister. Er ist vollkommen bewußt und auch ihr seid bewußte Wesen. Bewußte Wesen sollten nichts zwischen sich haben – außer vielleicht den physischen Körper, die nach außen fließenden Energien oder den Intellekt. Über diese Dinge sollten wir uns erheben und uns mit dem höheren Selbst verbinden. Das können euch nur jene lehren, die von diesem Leben erfüllt sind. Wer nicht mit dem höheren Selbst verbunden ist, kann das Leben nicht erhalten. Wenn ihr dieses Leben erhaltet, werdet ihr zur Wohnstatt aller Tugenden. Durch Selbstprüfung werdet ihr alle Unvollkommenheiten ausmerzen. Ihr versucht zwar diese höheren Tugenden zu entwickeln; aber ihr scheitert dann und wann. Doch wenn ihr dieses Leben in euch erhaltet und dazu die Selbstprüfung beachtet und tagtäglich alle Unvollkommenheiten in  euch ausmerzt, wird eure Verbindung stärker. Wenn ihr für einen Gottmenschen empfänglich werdet, braucht ihr kein Tagebuch oder ähnliches. Ihr werdet das Leben unmittelbar erhalten und wenn ihr es bekommt, löst ihr euch von allem anderen. Am Feuer weicht natürlich alle Kälte. Habt ihn nur wirklich verstanden, was ich euch sagen will? Eben das gibt euch die physische Gegenwart des Meisters.

Wer zum Meister kommt und keine Empfänglichkeit entwickelt, glaubt, daß er durch seine eigenen Bemühungen mehr erreichen wird (einen kleiner Anstoß wird ihm natürlich helfen) – doch durch die Empfänglichkeit lernt ihr mehr, als auf jene andere Weise. Was tut ihr, wenn ihr meditiert? Ihr müßt euch bemühen; aber es sollte eine Bemühung ohne Mühe sein, bei der die Frage: ‚Wer handelt?‘ nicht auftaucht. Ihr solltet alle Hoffnung auf den einen vor euch setzen oder auf die Kraft, die auch in euch wirkt. Die Bücher geben euch Hinweise, aber nicht das, was euch gerade erklärt wird. Kabir sagt, daß es kein Upasna ist, wenn ihr jemandem körperlich nahe seid, aber eure Gedanken in der ganzen Welt umherschweifen. Ihr könnt dann nicht den vollen Nutzen aus der Gegenwart des Meisters schöpfen. Der Meister ist ja nicht der physische Körper. Er hat einen physischen Körper, um durch ihn zu wirken, aber er ist das fleischgewordene Wort. Der Meister gibt euch eine bewußte Verbindung mit der zum Ausdruck kommenden Gotteskraft – dem Licht und dem Tonstrom. Je mehr ihr euch mit dem Licht und dem Tonprinzip im menschlichen Körper verbindet, wo sie sich offenbaren, um so mehr Leben werdet ihr haben. Leben kommt von Leben, und ihr erhaltet es, wenn ihr empfänglich werdet.

Bei der Initiation werdet ihr mit der Kraft verbunden, durch die sich Gott zum Ausdruck bringt. Wenn ihr das täglich übt, dann könnt ihr es entwickeln. Gleichzeitig solltet ihr euch selbst prüfen und alle Unvollkommenheiten ausmerzen. Je mehr ihr euch mit dieser Kraft verbindet, desto mehr Liebe, Weisheit und Leben werdet ihr erhalten. Durch Gespräche und Vorträge beginnt ihr, etwas zu begreifen, aber ihr erhaltet es nicht. Verstehen ist eine Sache – doch dieses Sein, dieses Leben zu erlangen, ist eine ganz andere. Wie ich euch gestern sagte, ist der Satsang eine Schule, in die ihr nicht nur geht, um etwas über die Spiritualität zu lernen, sondern um sie auch zu erhalten. Zuerst begreift ihr, worum es geht. Dann nehmt ihr durch Empfänglichkeit das Leben in euch auf. Das ist ein sehr weites Gebiet. Wenn ihr euch damit befaßt, versteht ihr mehr und mehr und mehr. Über Tausende von Kilometern hinweg seid ihr ihm ganz nah, wenn  ihr empfänglich seid. Daher hat Kabir gesagt: „Der Meister mag jenseits der sieben Meere leben und der Schüler diesseits – wenn er seine Aufmerksamkeit einfach auf den Meister lenkt, ist er genauso gesegnet, als ob er ihm ganz nah wäre.“ Wenn ich beispielsweise Anträge auf Initiation bekomme, schreibe ich zurück: „Gut, gebt ihm die Meditationsanweisungen.“ Die Wort- Kraft stellt die Verbindung her. Unterliegt nie der Täuschung, daß die Person sie herstellt, die die Anweisung übermittelt. Sie ist nur das Gefäß, durch das die Anweisung gegeben werden. Eigentlich könnt ihr die Initiation auch Tausende von Kilometern entfernt erhalten ohne Vermittlung durch jemanden – wenn ihr empfänglich werdet. Aber gewöhnlich verstehen das die Menschen nicht. Deshalb sind einige bevollmächtigt, die Initiationsanweisung zu übermitteln. Tatsächlich wird die Initiation genau in dem Augenblick vollzogen, wo sie genehmigt wird. Das macht das Wort in euch oder der menschliche Pol, in dem sich das Wort vollkommen offenbart.

Versteht ihr jetzt, was ihr beim Satsang lernt – was ihr durch ihn gewinnt? Zuerst muß man auf der Ebene des Verstandes die Theorie begreifen und dann erhält man das Brot des Lebens. Das gibt eurer Seele Stärke. Von der spirituellen Gesundheit hängt das Leben von verstand und Körper ab. Alle Unvollkommenheiten werden von euch abfallen – genau wie die Kälte weicht, wenn ihr am Feuer sitzt. Durch das Hören des Tonstromes wird sich alles Gute in euch sammeln. Durch Hören könnt ihr die Richtung bestimmen, in die ihr gehen müßt. Durch Hören wird euer inneres Auge geöffnet, damit ihr seht, wohin ihr geht. Leider widmen wir diesen Dingen zuwenig Zeit, sondern vergeuden sie nur mit unwichtigen Dingen, würde ich sagen. Wenn ihr etwas verstanden habt, dann handelt entsprechend. Solange ihr nicht verstanden habt, hilft euch der Satsang. Wen ihr etwas begriffen habt, dann lebt danach und seid nur in der Gemeinschaft von einem, der dieses Leben in sich hat. Das wird euch einen Auftrieb geben. wir müssen diese Dinge verstehen und dann danach leben. Wenn ihr nur von Brot redet, könnt ihr euren Hunger nicht stillen – dazu müßt ihr Brot essen. Deshalb sagte Christus: „Ich bin das Brot des Lebens. Dies ist das Brot des Lebens, das vom Himmel kommt. Wer davon ißt, wird leben in Ewigkeit.“ Eßt davon – Er ist natürlich das Brot des Lebens. Er sagte auch: „Eßt mich und trinkt mich.“ Was sollen wir essen? Er ist das fleischgewordene Wort. Je mehr ihr euch mit dem Wort, dem Licht und Ton in euch verbindet und davon erfüllt seid, um so mehr vom Brot des Lebens eßt ihr.

 

 


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