40 Der Zustand von einem, der
Gott oder den Meister liebt In
welchem Zustand ist einer, der Gott oder den Meister liebt? Seine
Aufmerksamkeit ist immer auf den Meister gerichtet – auf Gott in ihm – selbst
wenn er ißt, trinkt oder schläft. Manchmal ist man so sehr in den Meister
vertieft, daß man sich nicht mehr erinnert, ob man vergessen hat oder nicht,
wer man ist oder was man getan hat, wer gekommen oder gegangen ist. Das ist das
höchste Ziel. Ein solcher Mensch ist für den Meister im Innern erwacht und sich
der Außenwelt nicht mehr bewußt. In unserem jetzigen Zustand sind wir uns der
äußeren Welt bewußt, doch nicht des Meisters, des Gottes in ihm. Ich sehe euch
zum Beispiel vor mir, aber ich nehme die Außenwelt ansonsten nicht wahr. Das
bedeutet, daß ich mir dessen, was in der äußeren Welt geschieht, nicht bewußt
bin. Ähnlich ist es, wenn ich auf das achte, was direkt vor mir ist. Dann bin
ich hier wach, schlafe aber innen. Wenn ich innen wach bin, für Gott in mir und
Gott im Meister erwacht bin, dann schlafe ich in bezug auf die Außenwelt.
Versteht ihr, was ich meine? Wer Gott liebt, ist also für ihn erwacht und
schläft für die Außenwelt. dazu aber braucht ihr die Welt nicht wirklich zu
entfliehen. Ein
Heiliger im Westen sagte: „Wo gehe ich hin, wenn ich ganz allein sein will? Ich
gehe in ein Gasthaus, wo die Leute kommen und gehen – doch ich habe nichts
damit zu tun, denn ich bin ganz allein.“ Leider sind wir nicht allein, viele
Gedanken kommen aus uns heraus und wir kümmern uns um sie. Dieser
Heilige sagte also, daß er, wenn er ganz allein sein wolle, in ein Gasthaus
ziehe, wo die Leute kommen und gehen, er aber nichts mit ihnen zu tun habe. Das
ist eine Art inneren Erwachens für die Liebe zu Gott im Meister. Nun, wenn ihr
in ihr aufgeht, werdet ihr eins mit dem Meister. Shamaz-i-Tabrez hat gesagt:
„Ich werde du, und du wirst ich. Du wirst so sehr meine Seele, daß die Leute
nicht mehr unterscheiden können, ob du es bist oder ich es bin.“ Paulus sagte:
„Ich bin es, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir.“ Alle, die nach
innen gegangen sind, haben dasselbe gesagt – natürlich in ihrer eigenen
Sprache. Wenn
ihr eure Aufmerksamkeit, die der äußere Ausdruck eurer Seele ist, voll und ganz
auf Gott oder den Gott im Menschen richtet, dann werdet ihr nicht sein Gesicht
sehen, sondern das Licht, das von ihm ausgeht. Das ist der Prüfstein. Ein
solcher Mensch schläft in bezug auf die Außenwelt und ist innen erwacht. Wir
sind also Aufmerksamkeit oder ‚surat‘. Unsere Aufmerksamkeit ist die Ursache
für alles, was im Körper vorgeht. Der ‚Premi‘ oder Liebende ist innen wirklich
erwacht und nicht der äußeren Wert nicht bewußt. Er lebt in der Welt und ist
doch nicht von ihr. das ist das Höchste, was Liebe, Nächstenliebe vermag. Es
ist nicht Lust, sondern Liebe oder Nächstenliebe, die uns angeboren ist. Gott
ist Liebe und die Liebe ist Gott und ein untrennbarer Teil von uns selbst. Wenn
sie durch Konzentration der Aufmerksamkeit von außen zurückgezogen wird, dann
seid ihr voll und ganz dort, wo ihr sie hinlenkt. Lenkt ihr sie auf den
Meister, werdet ihr, was er ist. Was immer in ihm ist, wird auf euch übertragen
und sich in euch widerspiegeln. Ein Meister hat gesagt, daß jeder Meister, der
zum Meister wurde, einst ein ‚Sikh‘ oder Schüler war. Wenn ein ‚Sikh‘ oder
Schüler völlig im Meister aufgeht, wird er zum Meister; aber zuerst muß er ein
wahrer ‚Sikh‘, ein wahrer Schüler, werden. Wenn er in ihm aufgeht, wird er zum
Meister. Wenn er spricht, spricht der Meister in ihm. Diese
Dinge stehen auch in den Büchern, die sie euch aber nicht so erklären können,
wie ich das jetzt tue. Das sind praktische Hinweise von einem Menschen mit
praktischer Erfahrung. Sein Wort ist das Gesetz, der Koran, die Bibel oder der
Guru Granth Sahib. Was steht im Koran, in der Bibel oder im Guru Granth Sahib?
Die Worte der Meister, des Gottes in ihnen. Die früheren Meister sprechen durch
diese Bücher zu uns. Jene Meister waren einst auch Schüler – aber als sie voll
und ganz in ihrem Meister aufgingen, wurden auch sie zum Meister. Das Unglück
ist, daß wir Meister werden wollen und nicht Schüler. wenn ihr wahre Schüler
werdet und völlig in ihm aufgeht, mit Gemüt, Körper und Seele, dann...? Dann
werden die Leute sagen, daß ihr ein Meister seid, aber ihr braucht es nicht zu
sagen. Ich glaube, hier begehen viele einen schweren und sehr ernsten Fehler.
Sie wollen Meister und nicht Schüler werden. Die Folge ist, daß sie auf dem Weg
nicht vorankommen. Versucht also, ein wahrer ‚Sikh‘, ein wahrer Schüler zu sein
– geht völlig im Meister auf, und ihr werdet zum Meister. Ihr braucht nicht
darum zu bitten – Gott wird euch erwählen, der Meister wird euch erwählen. Er
achtet auf jeden einzelnen, obwohl er nichts sagt. Wir sind alle im Werden. Wer
‚dazu‘ wurde, erhält es. versteht ihr jetzt, was Liebe ist? Wer
ist ein Liebender? Der Liebende wird zum Geliebten und der geliebte zum
Liebenden. Alle Unterschiede zwischen Gemüt, Körper und Seele verschwinden. Das
sagt uns mit wenig Worten, wer der Guru ist und wer der Schüler. Versucht also,
ganz und gar ein Schüler zu sein. Ich glaube, dann werdet ihr das bekommen, wonach ihr verlangt, ohne
darum zu bitten. Das ist das Thema, über das wir heute sprechen. Wir
sollten für Gott oder Gott im Menschen im Innern erwachen und uns der Außenwelt
nicht mehr bewußt sein. das wird nur kommen oder sich ergeben, wenn sich eure
ganze Aufmerksamkeit in ihn vertieft. Der äußere Ausdruck der Seele ist
Aufmerksamkeit, und wir sind Aufmerksamkeit, nicht wahr? Durch einen Akt der
Aufmerksamkeit Gottes trat die ganze Schöpfung ins Sein. Gott sagte: „Ich bin
einer und möchte viel werden“, und siehe da, die Welt nahm Gestalt an. Wenn wir
uns von der äußeren Welt zurückziehen und in ihm aufgehen, sind wir
‚Mikrogötter‘. Das können euch die Bücher nicht so lebendig vermitteln, denn es
ist eine Frage der Praxis. Versucht
also, wahre Schüler zu sein, voll und ganz mit Gemüt, Körper und Seele. Ihr
werdet Meister werden. Eines Tages werdet ihr sehen, daß ihr nicht mehr das
seid, was ihr vorher wart. Auch jetzt schon erkennt ihr, wenn ihr zurückblickt,
daß ihr besser seid als vorher. Jetzt seid ihr noch nicht hundertprozentig das,
was ihr werden wollt. Aber ihr seid es zu zehn Prozent, zwanzig Prozent, und
ihr werdet es immer mehr. Bemüht euch also weiter, wahre Schüler des Meisters
zu sein, bis ihr ganz in ihm aufgeht. Dann werdet ihr nicht mehr wissen, wer in
euch ist, ob ihr es seid oder er. Dann könnt ihr sagen: „Ich bin es, doch nun
nicht ich, sondern Christus lebt in mir.“ Der Schüler sollte, wie es heißt, in
der Gruft seines Gurus sein, er sollte darin eingehen und darin versinken. Das
(der Meister deutet auf seine Brust) ist die Gruft. Der lebende Meister lebt
hier und auch ihr seid dort. Ihr solltet also euren Körper verlassen und in
sein Grab eingehen. Das ist das höchste Ziel der Liebe, und ihr müßt sehen, wo
ihr steht. Es ist ein ganz besonderes Glück, einen lebenden Meister zu haben,
einen wahren Meister. Es gibt viele Meister, hundertundeinen, tausendundeinen,
aber sie tun nur so, als ob oder sind noch auf dem Weg. Wer ihnen folgt, wird
in die Irre geführt; und jene, die ihnen helfen, gehen auch in die Irre und
erlangen zudem nicht den ganzen Segen, den man von einem wahren Meister erhält.
Deshalb sage ich immer: Wenn ihr den Meister liebt, müßt ihr seine Gebote
halten. Damit fängt es an. Wenn ihr werdet wie er, ist er immer bei euch,
spricht mit euch und ist um euch. Kabir sagt: „Ich habe jetzt ein so reines
Herz, daß Gott nach mir sucht und meinen Namen ruft: ‚O Kabir, O Kabir!‘ –
Kabir geht voraus und Gott läuft ihm nach.“ Gott sucht jemanden, der für ihn
erwacht ist und für die Außenwelt schläft, das ist alles. |