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Der Zustand von einem, der Gott oder den Meister liebt

 

In welchem Zustand ist einer, der Gott oder den Meister liebt? Seine Aufmerksamkeit ist immer auf den Meister gerichtet – auf Gott in ihm – selbst wenn er ißt, trinkt oder schläft. Manchmal ist man so sehr in den Meister vertieft, daß man sich nicht mehr erinnert, ob man vergessen hat oder nicht, wer man ist oder was man getan hat, wer gekommen oder gegangen ist. Das ist das höchste Ziel. Ein solcher Mensch ist für den Meister im Innern erwacht und sich der Außenwelt nicht mehr bewußt. In unserem jetzigen Zustand sind wir uns der äußeren Welt bewußt, doch nicht des Meisters, des Gottes in ihm. Ich sehe euch zum Beispiel vor mir, aber ich nehme die Außenwelt ansonsten nicht wahr. Das bedeutet, daß ich mir dessen, was in der äußeren Welt geschieht, nicht bewußt bin. Ähnlich ist es, wenn ich auf das achte, was direkt vor mir ist. Dann bin ich hier wach, schlafe aber innen. Wenn ich innen wach bin, für Gott in mir und Gott im Meister erwacht bin, dann schlafe ich in bezug auf die Außenwelt. Versteht ihr, was ich meine? Wer Gott liebt, ist also für ihn erwacht und schläft für die Außenwelt. dazu aber braucht ihr die Welt nicht wirklich zu entfliehen.

Ein Heiliger im Westen sagte: „Wo gehe ich hin, wenn ich ganz allein sein will? Ich gehe in ein Gasthaus, wo die Leute kommen und gehen – doch ich habe nichts damit zu tun, denn ich bin ganz allein.“ Leider sind wir nicht allein, viele Gedanken kommen aus uns heraus und wir kümmern uns um sie.

Dieser Heilige sagte also, daß er, wenn er ganz allein sein wolle, in ein Gasthaus ziehe, wo die Leute kommen und gehen, er aber nichts mit ihnen zu tun habe. Das ist eine Art inneren Erwachens für die Liebe zu Gott im Meister. Nun, wenn ihr in ihr aufgeht, werdet ihr eins mit dem Meister. Shamaz-i-Tabrez hat gesagt: „Ich werde du, und du wirst ich. Du wirst so sehr meine Seele, daß die Leute nicht mehr unterscheiden können, ob du es bist oder ich es bin.“ Paulus sagte: „Ich bin es, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir.“ Alle, die nach innen gegangen sind, haben dasselbe gesagt – natürlich in ihrer eigenen Sprache.

Wenn ihr eure Aufmerksamkeit, die der äußere Ausdruck eurer Seele ist, voll und ganz auf Gott oder den Gott im Menschen richtet, dann werdet ihr nicht sein Gesicht sehen, sondern das Licht, das von ihm ausgeht. Das ist der Prüfstein. Ein solcher Mensch schläft in bezug auf die Außenwelt und ist innen erwacht. Wir sind also Aufmerksamkeit oder ‚surat‘. Unsere Aufmerksamkeit ist die Ursache für alles, was im Körper vorgeht. Der ‚Premi‘ oder Liebende ist innen wirklich erwacht und nicht der äußeren Wert nicht bewußt. Er lebt in der Welt und ist doch nicht von ihr. das ist das Höchste, was Liebe, Nächstenliebe vermag. Es ist nicht Lust, sondern Liebe oder Nächstenliebe, die uns angeboren ist. Gott ist Liebe und die Liebe ist Gott und ein untrennbarer Teil von uns selbst. Wenn sie durch Konzentration der Aufmerksamkeit von außen zurückgezogen wird, dann seid ihr voll und ganz dort, wo ihr sie hinlenkt. Lenkt ihr sie auf den Meister, werdet ihr, was er ist. Was immer in ihm ist, wird auf euch übertragen und sich in euch widerspiegeln. Ein Meister hat gesagt, daß jeder Meister, der zum Meister wurde, einst ein ‚Sikh‘ oder Schüler war. Wenn ein ‚Sikh‘ oder Schüler völlig im Meister aufgeht, wird er zum Meister; aber zuerst muß er ein wahrer ‚Sikh‘, ein wahrer Schüler, werden. Wenn er in ihm aufgeht, wird er zum Meister. Wenn er spricht, spricht der Meister in ihm.

Diese Dinge stehen auch in den Büchern, die sie euch aber nicht so erklären können, wie ich das jetzt tue. Das sind praktische Hinweise von einem Menschen mit praktischer Erfahrung. Sein Wort ist das Gesetz, der Koran, die Bibel oder der Guru Granth Sahib. Was steht im Koran, in der Bibel oder im Guru Granth Sahib? Die Worte der Meister, des Gottes in ihnen. Die früheren Meister sprechen durch diese Bücher zu uns. Jene Meister waren einst auch Schüler – aber als sie voll und ganz in ihrem Meister aufgingen, wurden auch sie zum Meister. Das Unglück ist, daß wir Meister werden wollen und nicht Schüler. wenn ihr wahre Schüler werdet und völlig in ihm aufgeht, mit Gemüt, Körper und Seele, dann...? Dann werden die Leute sagen, daß ihr ein Meister seid, aber ihr braucht es nicht zu sagen. Ich glaube, hier begehen viele einen schweren und sehr ernsten Fehler. Sie wollen Meister und nicht Schüler werden. Die Folge ist, daß sie auf dem Weg nicht vorankommen. Versucht also, ein wahrer ‚Sikh‘, ein wahrer Schüler zu sein – geht völlig im Meister auf, und ihr werdet zum Meister. Ihr braucht nicht darum zu bitten – Gott wird euch erwählen, der Meister wird euch erwählen. Er achtet auf jeden einzelnen, obwohl er nichts sagt. Wir sind alle im Werden. Wer ‚dazu‘ wurde, erhält es. versteht ihr jetzt, was Liebe ist?

Wer ist ein Liebender? Der Liebende wird zum Geliebten und der geliebte zum Liebenden. Alle Unterschiede zwischen Gemüt, Körper und Seele verschwinden. Das sagt uns mit wenig Worten, wer der Guru ist und wer der Schüler. Versucht also, ganz und gar ein Schüler zu sein. Ich glaube, dann werdet ihr  das bekommen, wonach ihr verlangt, ohne darum zu bitten. Das ist das Thema, über das wir heute sprechen.

Wir sollten für Gott oder Gott im Menschen im Innern erwachen und uns der Außenwelt nicht mehr bewußt sein. das wird nur kommen oder sich ergeben, wenn sich eure ganze Aufmerksamkeit in ihn vertieft. Der äußere Ausdruck der Seele ist Aufmerksamkeit, und wir sind Aufmerksamkeit, nicht wahr? Durch einen Akt der Aufmerksamkeit Gottes trat die ganze Schöpfung ins Sein. Gott sagte: „Ich bin einer und möchte viel werden“, und siehe da, die Welt nahm Gestalt an. Wenn wir uns von der äußeren Welt zurückziehen und in ihm aufgehen, sind wir ‚Mikrogötter‘. Das können euch die Bücher nicht so lebendig vermitteln, denn es ist eine Frage der Praxis.

Versucht also, wahre Schüler zu sein, voll und ganz mit Gemüt, Körper und Seele. Ihr werdet Meister werden. Eines Tages werdet ihr sehen, daß ihr nicht mehr das seid, was ihr vorher wart. Auch jetzt schon erkennt ihr, wenn ihr zurückblickt, daß ihr besser seid als vorher. Jetzt seid ihr noch nicht hundertprozentig das, was ihr werden wollt. Aber ihr seid es zu zehn Prozent, zwanzig Prozent, und ihr werdet es immer mehr. Bemüht euch also weiter, wahre Schüler des Meisters zu sein, bis ihr ganz in ihm aufgeht. Dann werdet ihr nicht mehr wissen, wer in euch ist, ob ihr es seid oder er. Dann könnt ihr sagen: „Ich bin es, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir.“ Der Schüler sollte, wie es heißt, in der Gruft seines Gurus sein, er sollte darin eingehen und darin versinken. Das (der Meister deutet auf seine Brust) ist die Gruft. Der lebende Meister lebt hier und auch ihr seid dort. Ihr solltet also euren Körper verlassen und in sein Grab eingehen. Das ist das höchste Ziel der Liebe, und ihr müßt sehen, wo ihr steht. Es ist ein ganz besonderes Glück, einen lebenden Meister zu haben, einen wahren Meister. Es gibt viele Meister, hundertundeinen, tausendundeinen, aber sie tun nur so, als ob oder sind noch auf dem Weg. Wer ihnen folgt, wird in die Irre geführt; und jene, die ihnen helfen, gehen auch in die Irre und erlangen zudem nicht den ganzen Segen, den man von einem wahren Meister erhält. Deshalb sage ich immer: Wenn ihr den Meister liebt, müßt ihr seine Gebote halten. Damit fängt es an. Wenn ihr werdet wie er, ist er immer bei euch, spricht mit euch und ist um euch. Kabir sagt: „Ich habe jetzt ein so reines Herz, daß Gott nach mir sucht und meinen Namen ruft: ‚O Kabir, O Kabir!‘ – Kabir geht voraus und Gott läuft ihm nach.“ Gott sucht jemanden, der für ihn erwacht ist und für die Außenwelt schläft, das ist alles.

 

 


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