SHABD BEZEICHNET DAS TONPRINZIP

 

Was ist der Ton und wie kommt er zustande, das sind die natürlichen Fragen in diesem Zusammenhang. Manche sagen, dass ein Ton dadurch entsteht, wenn zwei Gegenstände aneinander geschlagen werden. Andere wieder sind der Auffassung, dass dort, wo Vibration ist, auch ein Ton sein müsse. Es stimmt natürlich, dass der Erschütterung und Vibration der Ton folgt. Aber der „Ton“, von dem die Heiligen sprechen, ist ganz anders als der, den wir gemeinhin aus der Umgangssprache kennen. Er ist etwas sehr Subtiles und wird durch Bewusstsein gekennzeichnet, wie es im Fruchtbarkeits- und Wachstumsprinzip zum Ausdruck kommt. Er ist wahrhaftig das Leben des Lebens, das alles durchdringt, das Sichtbare wie das Unsichtbare. Er ist ein aktiver und lebendiger Mittler der Gottheit, und kann kurz als der „Waltende Gott“ beschrieben werden, man nenne Ihn, wie man will: „Kun“ wie die Moslems, „Wort“ wie die Christen, „Shabd“ oder „Naam“, wie durch die Heiligen gelehrt. Dieses Tonprinzip ist Jnana oder das wirkliche Wissen der alten Rishis, der „Kult des Ewigen Lebens“ bei Zoroaster, der „Logos“ der Griechen, „Tao“ der Chinesen, Buddhi oder die Erleuchtung von Gautama, und Sphota oder die Essenz der Philosophen.

Dhun oder der Tonstrom ist wahres Wissen wie auch wahre Meditation, und dennoch bleibt er unbeschreiblich.

Sri Rag M. 1

Dieser „Ton“ ist in allem in seiner Fülle, obgleich das Ausmaß seiner Offenbarung vom einen zum anderen Mal variiert. Er ist sogar in Holz und Steinen, den anscheinend empfindungslosen Dingen. Tatsache ist, dass alle Dinge des Universums aus Atomen bestehen, und Atome sind voll der Energie, wie der Ausdruck „Atom- Energie“ kundtut. Dieser Energie zufolge sind die Atome immer in Bewegung, und da sie vibrieren, bringen sie einen natürlichen, rhythmischen Ton hervor. Die letzten wissenschaftlichen Forschungen bestätigen diese Wahrheit. Die „Wandlung“ ist das Gesetz des Lebens; ihr folgen Vibration und Bewegung, und das ist letztlich auf das Tonprinzip, das innerhalb und außerhalb des Raumes wirksam ist, zurückzuführen.

Jeden Augenblick, jede Minute und jede Stunde ist die Welt im Zustand beständiger Wandlung.

Die Wissenschaftler haben herausgefunden, dass selbst der gewaltige Himalaya ständig im Wachsen begriffen ist, und obwohl das Wachstum die ganze Zeit über unmerklich vor sich geht, so ist es doch sicher, selbst wenn es im Verlaufe der Jahrhunderte nur ganz wenig ausmacht. So sind alle Dinge der Natur durch die Vibration einer rhythmischen Bewegung gekennzeichnet, und dies schließt das Vorhandensein des Tonprinzips in ihnen ein, ungeachtet dessen, ob sich die Dinge sichtbar bewegen oder nicht. Dieses Tonprinzip ist das Wesen oder Johar des einen Lebens in allen Dingen.

Seien sie voll oder leer, alle Dinge sind von Musik erfüllt. Sieh, wie der Ton aus der Trommel kommt!

Dieses Tonprinzip durchdringt alles und ist die Seele von allem, was existiert. Dieser Strom der Lebens-Bewusstheit ist so subtil, dass er nicht gehört werden kann, solange man kein transzendentes Gehör erworben hat. Ein Mystiker hat ihn einmal wunderbar beschrieben:

Die Saiten der hölzernen Körper und das gespannte Leder sind trocken. Wie vermögen sie die göttlichen Melodien von sich zu geben?

Der Ton oder das Wort ist in der Tat der Schöpfung des Universums. Diese ganze Schöpfung kam durch ihn zustande.

Hätte der Namenlose keinen Namen angenommen, würde die Welt nicht entstanden sein.

Der geliebte Gott ruft uns seit undenklichen Zeiten immer zurück; aber bedauerlicherweise hören wir nicht auf Ihn.

Mein Freund spricht immer mit dir; doch wie traurig, dass du nicht auf den uralten Ruf hörst.

Niaz

Die Stimme des Freundes, des Geliebten oder Gottes, wie sie genannt wird, durchdringt alles. Ein Moslem-Dichter und Mystiker sagte darüber:

Alle sieben Himmel hallen von diesem Ton wider; doch der Unwissende hört ihn nicht und erfasst nicht seine Weisen.

Hafiz

Mit den Ohren werdet ihr hören, und werdet es nicht verstehen; und mit sehenden Augen werdet ihr sehen, und werdet es nicht vernehmen.

Matth. 13, 14

Der Ton besteht durch sich selbst und kommt aus sich selbst. Auf der materiellen oder physischen Ebene und den materiell-spirituellen Bereichen (Pind und And) ist er mit Materie vermischt und von ihr umgeben. Der Meister offenbart ihn in Sukhmana oder Shah-Rag, der Region, die in der Stirne liegt.

Höre die Musik im Sukhmana und vertiefe dich in das unendliche Lied.

Und wieder heißt es:

Und deine Ohren werden hören hinter dir her das Wort sagen also: Dies ist der Weg, denselbigen gehet; sonst weder zur Rechten noch zur Linken.

Jesaja 30, 21

Für die spirituelle Erkenntnis und Verwirklichung ist die Praxis des Tonstromes (Shugal-i-Naghma-i-yazdani) unbedingt erforderlich, denn es kommt durch das Hören der göttlichen Musik, dass die Seele aus den materiellen und mentalen Fesseln des Körpers herausgezogen wird und in die höheren spirituellen Bereiche gelangt, von wo der Ton ausgeht und dessen Widerhall im Körper unten gehört wird. es ist eine fortlaufende und unaufhörliche Musik, von der Maulana Rumi sagt:

Ergreife die Musik, die in Ewigkeit andauert; suche nach der Sonne, die niemals untergeht.

Doch die Menschen der Welt wissen nichts davon. Es ist selten, dass ein Mensch sie praktiziert, nachdem sie durch eine Meisterseele offenbart wurde.

Betritt den Körpertempel und lausche den göttlichen Weisen; jene, die um dich herum sitzen, werden sie nicht hören.

Maulana Rumi

Im lärmenden Trubel des nüchternen, eiligen Lebens, das wir führen, können wir die sanften, zarten Klänge der Musik, die von weither zu uns herunterkommen, nicht hören. Alle, die den Tonstrom vernahmen, zu welcher Zeit und in welcher Himmelsgegend es auch immer gewesen ist, sprachen von diesen Melodien in der Weise, auf die sie sich ihnen genähert haben und entsprechend ihrer geistigen Anlage. Auch heute ist es noch so bei den Menschen, seien sie jung oder alt, die durch einen kompetenten Satguru auf den Pfad gestellt wurden; sie legen Zeugnis ab von dieser immerwährenden Erfahrung.

In den Upanishaden finden wir eine Beschreibung dieser melodischen Töne. Sie gleichen bis zu einem gewissen Grad dem sanften Rauschen eines großen Meeres; dem dunklen Rollen fernen Donners; dem ständigen Aufplatschen eines Wasserfalles; sie gehen schließlich in den Ton eines Gongs oder einer Muschel über, der dann zu einem Trompetenstoß wird, als nächstes zu einem Trommelschlag; dem starken Ton der Violine und einer Flöte.

Nad-Bind Upanishad Shalok 33, 34

Mahatma Charan Das hat in seinem Buch „Bhakti Sagar“ zehn Melodie-Arten beschrieben – das liebliche Trillern der Vögel; Glockengeläut; den Ton eines Gongs; einer Muschel, Zymbelklänge; Donner; das Brüllen eines Löwen; Violine und Flöte.

Im Hatha-Yog Pradipka sind zehn Arten des Naad aufgezeichnet, wie das Summen von Fliegen; Klirren von Fußreifen; der Ton der Muschel; die Glocke und die Zymbel; Flöte; Trommelschlag und andere Musikinstrumente; Löwengebrüll, etc.

Im Hidayat Nama - Sar Bachan, gab Soami Shiv Dayal Singh einen wundervollen Bericht über das göttliche Orchester, das aus zehn Musiktönen besteht und dem gleicht, was oben gesagt wurde, wenn man Sahasdal Kamal oder die Region des tausendblättrigen Lotos erreicht.

Madame Blavatzky, eine russische Theosophin, die während ihres Aufenthaltes in Tibet im Jahre 1856 in die Theosophie eingeweiht wurde und die Gründerin der Theosophischen Gesellschaft in New York (1857) und in Adyar, Indien (1879), wie auch die Autorin des polemischen Werkes „Die entschleierte Isis“ (1877) war, schrieb in ihrem Buch „Die Stimme der Stille“:

Die erste ist gleich der süßen Stimme der Nachtigall, die ihrem Gefährten ein Abschiedslied singt. Die zweite naht wie der Klang der Silberzimpeln der Dhyanis, der die funkelnden Sterne erweckt. Dem folgen die Klagelieder des Meeresgeistes, der in einer Muschel gefangen ist. Und dann erklingen die Weisen der Veena. Die fünfte schrillt im Ohr gleich dem Ton einer Bambusflöte. Diese wandelt sich alsbald in Trompetengeschmetter; die letzte zittert wie das dumpfe Rollen einer Gewitterwolke.

Amir Khusro, ein großer Gelehrter und Dichter der Mystik (Schüler von Kh. Nizam-du-Din-Christi) beschrieb diese Töne (vergl. Tazkra-i-Ghousia S. 332) folgendermaßen:

Zuerst kommt das Summen der Bienen und dann das Klirren der Fußreifen; als drittes hört man die Muschel und als viertes den Gongschlag; der fünfte ist ein Trompetenstoß und der sechste der Ton einer Flöte. Als siebenten hört man die Veena und dann kommt der Ton des mardang (Donnerschlag), und als neunter die Shahnai (Neferi). Der zehnte gleicht dem Gebrüll des Löwen; und das ist in der Tat das himmlische Orchester, o Khusro. 
In diese zehn Melodien versenkt sich der Yogi, die Sinne werden still und so auch das Gemüt, sagt Khusro.
Mit dem erklingen der grenzenlosen Musik im Innern, vergehen alle Lüste des Fleisches und die tödlichen Sünden; dazu hat der Meister seine eigene wundervolle Welt; Khusro ist nun ganz in sich versunken.

Die Melodien erheben sich alle im Innern, wenn die Pilgerseele auf dem Pfad beginnt; aber unter ihnen allen muss man den Ton des Gongs und der Muschel ergreifen, denn dieser ist im besonderen mit den höheren spirituellen Bereichen, den verschiedenen Wohnstätten im Hause des Vaters verbunden.

Keiner weiß, wo der Sitz des Geliebten liegt; doch sicher ist, dass der Ton des Gongs von dorther kommt.

Hafiz

Shabd birgt die göttliche Melodie in sich:

Das wahre Wort kommt aus den Tönen von Sahaj, und der Geist ist vertieft in die Wahrheit; unaussprechlich und wundervoll ist das Wort des Makellosen Reinen und nur der Ergebene eines Meisters pflanzt es ein.

Sarang War M.3

 

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