DIE MELODISCHE MUSIK IM ÄUßEREN

 

Wir können aus unserer täglichen Erfahrung sehen, dass die Musik, Instrumental- oder Vokalmusik, in den religiösen Gemeinschaften eine bedeutende Rolle spielt, welcher Art sie auch immer sei, die der Yogis, Hindus, Christen oder Sikhs. Wir sehen die Praxis des Qawwali bei den Moslems, die Fülle der Musik in den Vierzeilern des Omar y Kayyam, in den dichterischen Kompositionen des Shah Niaz, Khawaja Hafiz, Shamas Tabrez und Maulana Rumi. Alle Lehren der Sikh-Meister in dem umfangreichen Granth Sahib sind in Rag-(Vers) Form gehalten. Es ist eine Tatsache, dass die Ergüsse aus den Tiefen der Seele ganz aus dem Stegreif herausfließen. Die Poesie ist wirklich die Sprache der Seele, so wie die Prosa die des Verstandes ist. Auch alle äußeren musikalischen Hilfen haben eine berauschende Wirkung, die den Menschen in einen Zustand der Trunkenheit bringen können; doch es ist ihnen nicht eigen, das Überbewusstsein in ihm zu erwecken, das sich allmählich zum Aufblühen Universalen Bewusstseins und kosmischen Bewusstheit ausdehnt.

Alle die wilden ekstatischen Tänze, die durch die äußere Musik begleitet werden, sind für das blinde und taube Gemüt nicht von Nutzen.

Asa M. 3

Für diese Unwirksamkeit gibt es verschiedene Gründe. Erstens ist die Musik, die man zu hören bekommt, häufig nicht ein Erguss der Seele. Sie ist billige Ware und dient lediglich als Mittel für den Lebensunterhalt.

Der Musiker benutzt die Töne, um seinen Unterhalt zu verdienen, er macht allerlei Gebärden und wiegt sich hin und her. Mit klirrenden Reifen an den Beinen, nennt man sich einen Schüler von Ram Das und verdient dadurch sein Leben; ein anderer zeigt sich beim Fasten, Nachtwachen und Ausüben bestimmter Rituale, ein weiterer singt Verse und Hymnen, die seinem Herzen gänzlich fremd sind.

Maru M. 5

Wenn der Hunger an der Lebensschnur im Innern nagt, kann man nicht über Zweifel und Skeptizismus hinwegkommen, und die Folge davon ist, dass man im Dunkel und weit entfernt von der Wirklichkeit bleibt.

Zum zweiten brauchen die meisten Musiker ihre ganze Zeit und Energie dafür, die Töne und Saiten ihrer Instrumente, wie auch ihre eigene Stimme in Ordnung zu halten. Eine eingehende Untersuchung über einige Ragis (Berufssänger) brachte ans Licht, dass sie in beständiger Furcht leben, ihre Stimme zu verlieren und somit immerzu ihr Können zu zeigen suchen. Da sie die Aufmerksamkeit stets auf die Töne allein geheftet halten, singen sie einfach den Ton (Bani) vom Blatt weg, ungeachtet des wirklichen Sinnes, und dabei verlieren sie nicht nur die innere Bedeutung, die sie vermitteln, aus den Augen, sondern machen auch häufig phonetische Fehler, wodurch der Sinn selbst vollkommen verzerrt ist und verloren geht.

Der Yogi spielt das Stück mit seinen Händen, aber die Töne klingen nicht echt.

Asa M. 4

Wiederum können die Hörer der Verse auch nicht genau verstehen, wenn sie sich nicht vorher mit dem Text vertraut gemacht haben, oder der Sinn geht ihnen durch die begleitenden Weisen und Töne verloren. Deswegen messen die Heiligen der äußeren Musik keine spezielle Bedeutung bei, denn sie kann keine echte Konzentration herbeiführen, und folglich kann man durch sie auch nicht die innere Wirklichkeit berühren und das Gefühl der Ichheit verlieren, um über das Körperbewusstsein hinauszugelangen, noch wird dadurch innerer Frieden und Wonnen erreicht.

O Yogi, durch die Zithermusik kannst du nicht Konzentration entfalten und auch nicht die Wahrheit finden. Die Zither wird dir nicht den inneren Frieden bringen und dich auch nicht von der Selbstsucht befreien.

Ramkali M. 3

Die Zeit, die dafür aufgebracht wird, musikalische Weisen vorzubereiten, ist nur ein Verlust, ohne jeden Gewinn. Würde diese Zeit dafür genutzt, die Seele nach den Weisungen des Meisters mit dem inneren Wort in Einklang zu bringen, könnten viel der unsagbaren Schätze der Gottheit gesammelt werden.

Wie lange noch willst du mit den Reifen klirren und Gitarre spielen? Warum nicht die Zeit für das Wort aufwenden, statt Töne vorzubereiten? Wie lange noch willst du tanzen und deine Hände ausstrecken?

Asa M. 4

Es ist nicht gut, wenn man sich selbst in einen Erregungszustand bringt und zur begleitenden Musik wild herumtanzt und singt, bis man außer Atem ist und dann in Ohnmacht fällt. Die äußeren musikalischen Mittel helfen zweifellos eine Zeitlang, die verstreuten Gedanken zu sammeln, aber sie können einen nicht zu dem Ort bringen, von wo es einen Ausweg zu höherem Bewusstsein gibt. Auf der anderen Seite machen sie einen sich selbst und Gott vergessen. Beethoven sagt uns, dass die Musik der Mittler zwischen dem spirituellen und dem sinnenhaften Leben sei. Wir scheinen in eine eigene geistige Welt einzutreten, die uns natürlich durch die Musikanten vorgetäuscht wird. Aber sie bringt es nicht zustande, das Gemüt vom inneren Verlangen nach der Welt und allem Weltlichen zu entwöhnen. Kurz gesagt, die Lehren der Meister über dieses Thema sind kristallklar. Wir können von der äußeren Musik angezogen werden, uns in sie vertiefen und uns an ihr erfreuen, aber wir können durch sie nicht über die drei gunas hinauskommen und ins Jenseits gelangen. Ohne die Hilfe der wahren Musik der Seele, die überall und allezeit erklingt, bleibt man eine ständige Beute für Sorgen und Leiden im Bereich des Gemüts und der Materie.

Mit nutzlosem Tun beschäftigt, halten die Musikanten den Menschen im raga fest. Er bleibt in den Schlingen der drei gunas und ist weiter auf der Seelenwanderung; denn ohne die Verbindung mit dem alles durchdringende Wort verbleibt man in Leid und Sünde.

Ramkali M. 1

Es ist nur das Wort, das uns aus der täuschenden Materie herausnehmen kann.

Maru M. 3

Aus diesem Grunde haben die Heiligen niemals einen Lehrgang für äußere Schulung anempfohlen, wie solche der Musik, Yoga-Praktiken oder anderes. Sie haben immer nur die Wichtigkeit der Liebe zu Naam oder dem Wort dem ersten Tonprinzip der Gottheit betont.

Manche vertiefen sich in das Glockengeläut, andere in Fasten, Nachtwachen, Rosenkränze und derlei Dinge; wieder andere reiben ihren Körper mit Sandelpaste ein – doch ich habe nur den Herrn, dem ich mich ergebe. 

Ramkali M. 5

Auch die Moslem-Heiligen ziehen die Praxis des Kalam-i-qadim oder des ältesten inneren Gottesrufes allen Arten der äußeren Melodien vor.

Nimm den Stopfen des Zweifels und des Unglaubens aus deinen Ohren und höre auf die Melodie, die von oben herabfließt. O mutige Seele, erhebe dich über die Ebene der Sinne und lausche der himmlischen Musik. Welch ein Jammer, im Gefängnis des Körpers zu verharren und nicht auf die Stimme des Allbarmherzigen zu hören.

Bhai Gurdas sagt uns in seinem Kabit Sawais, dass man durch „Nad-Bad“ (die äußeren ragas und raginis – Töne und Melodien) keinen Zugang zu den Wahren und Unendlichen Melodien erlangt.

Solange sich einer der ragas und raginis erfreut, bleibt er von Anhad weit entfernt.

Nr. 12

Die ragas und raginis sprechen lediglich die Sinne an, und wenn man sich in sie vertieft, ist man sein Leben lang in sie verwickelt und unversehens gefangen, wie der schnellfüßige Hirsch oder der mächtige Elefant, die beide in ihrer Unwissenheit den Kniffen der Jäger eine leichte Beute werden.

Wie der Hirsch durch den Trommelschlag völlig benommen ist, so gelangt der Menschen ohne Shabd nicht zu Frieden und Glückseligkeit.

Nr. 412

Weit über „Nad-Bad“ (äußere Musik) liegt Anhad oder die unvergleichliche Musik, die aus sich selbst ertönt.

Man muss weit über die musikalischen Töne hinausgehen, wenn man sich mit Anhad verbinden will.

Nr. 11

Nur durch die Verbindung mit Anhad kann man sich über die physische Ebene der drei gunas erheben. Diese göttliche Musik hilft uns, die Bande der Welt zu durchbrechen, und wir hören auf, von der Welt zu sein, während wir noch in ihr verweilen. Daher gleichen wir der Lotosblume, die sich über dem schlammigen Wasser hält, welches der Bereich ist, in den wir hineingestellt sind, oder wie der Wasservogel, der stets trocken bleibt, und werden so von unserem natürlichen Element nicht berührt.

In den Sikh-Schriften wurde „Nad- Bad“ ist als „Bikh-Bani“ oder „Baikh-Nad“ beschrieben, was besagt „Bani“ oder „Nad“ mit dem tödlichen Stachel; denn es gibt einem das tödliche Gift ein, dem man nicht entkommen kann.

Wir sind gänzlich verstrickt durch Gaumen und Augen, und durch die Ohren erhalten wir das tödliche Gift; ohne Shabd sind wir für immer verloren.

Gauri M. 1

Die Ohren werden so sehr auf die falsche Musik abgestimmt, dass die Musik von Gott keinen Reiz mehr für uns hat.

Suhi M. 5

Nur wenn wir „Nad-Bad“ durch die göttliche Melodie ersetzen können, gelingt es uns, in Seiner Gegenwart zu Ehren zu gelangen:

Lass‘ die ragas und verbinde dich mit dem Wort, dann wirst du in Seinem Reich geehrt. O Nanak! Durch Meditation über Ihn nach den Weisungen des Meisters befreit man sich von aller Eitelkeit.

Bilawal War M. 4

Der Weltkluge ist immer von „Nad-Bad“ in Anspruch genommen, das nichts weiter ist als der Ton, der sich aus der Materie erhebt:

O Nanak! Wie soll ich all das beschreiben? Alles ist nur falsches Geklirre der Materie.

Gauri M. 5

Der Pfad der Meister beginnt dort, wo alle diese ragas und raginis enden und man die Sinnesebene übersteigt, über der sich die unübertreffliche Musik erhebt, die ohne Unterlass aus sich selbst ertönt. Einer, der mit diesem Dhun-Atmak (Gesang der Seele) im Einklang ist, kann singen, so viel er will, und es steht ihm an, das zu tun.

Er, der die Wirklichkeit gesehen hat, des Gesangs wird anerkannt, und er kommt zu Ehren in Seinem Reich.

Suhi M. 4

Nur durch die Verbindung mit dem Wort gelingt es einem, aus dem Meer der täuschenden Materie herauszukommen; alles andere, nämlich die äußere Musik, wie man sie auch immer beschreiben mag, ist ohne Nutzen. 

Das Gemüt vibriert weiter, wenn man sich der Andacht hingibt; doch hört es auf des Meisters Wort, dann wird es still. Der Wahre Ton vertreibt alle weltliche Verhaftung; Shabd öffnet das Auge für die Wirklichkeit.

Majh M. 3

Vertieft in sündevolles Tun singt man ragas (Lieder) und bezeugt das, wovon sie sprechen; man weiß nicht, dass ohne das Wort alles Komödie ist.

Asa M. 1

Die innere Musik der Seele ist der wirkliche Gesang. Ihre Töne bestehen aus sich selbst und erhalten sich selbst, denn sie brauchen nicht die äußere Hilfe der Hände, Füße, Zunge und dergleichen und leiten doch zur Quelle, von der sie ausgehen – dem göttlichen Spielmann: 

Die lieblichen Symphonien der inneren Musik erheben sich ohne Hilfe der Hände und Füße; wer immer sich mit ihr verbindet, schaut die Wirklichkeit.

Asa M. 1

Die Weisen der himmlischen Musik werden nur dem wahren Ergebenen des Meisters offenbar, und viele werden durch die Meisterseele begünstigt:

Ein dem Herrn Ergebener sieht Seine Herrlichkeit und singt von ihr, er hört das Spiel von Zimbeln, Glocken, Zither, Gitarre und Flöte. Er übergibt Ihm alles und dringt zur Wahrheit vor. Wer immer an Ihn glaubt, wird auf den Pfad gestellt und beendet die Runden der Geburten und Tode. Er entgeht den Höllenfeuern, o Nanak, und gelangt zu seinem Eigen.

Asa M. 5

Yogis und Derwische jedoch nehmen die äußere Musik als Hilfsmittel, um das transzendente Gehör zu entfalten. 

Die Sufis im besonderen nennen die Musik eine göttliche und himmlische Kunst, und dies nicht nur darum, weil sie in Dingen der Religion und der Hingabe Verwendung findet und weil sie in sich selbst eine universale Religion ist, sondern wegen ihrer Feinheit, wenn man mit anderen Künsten und Wissenschaften vergleicht. Jede heilige Schrift, jedes Bild oder gesprochene Wort erzeugt den Eindruck seiner Identität und lässt im Spiegel der Seele ein Bild zurück. Die Musik aber steht vor der Seele, ohne einen Eindruck hervorzurufen, welcher Art auch immer, sei es der eines Namens oder einer Form der objektiven Welt, und so bereitet sie die Seele vor, das Unendliche zu erkennen...
Der Sufi, der ihre Bedeutung anerkennt, nennt die Musik Ghiza-i-Ruh, die Speise der Seele, und nutzt sie als eine Quelle geistiger Vollkommenheit; denn Musik entfacht das Feuer im Herzen, und die Flamme, die sich daraus erhebt, erleuchtet die Seele. Die Yogis und Asketen blasen Narsinghas (große Horninstrumente), oder Shankha (ein Muschelhorn), um den inneren Ton in sich zu erwecken. Der Derwisch bläst die Nai oder Algeza (eine Doppelflöte) in derselben Absicht. Die Glocken und Gongs in den Kirchen und Tempeln sind dafür gedacht, um den Nachdenkenden auf den gleichen heiligen Ton hinzuweisen und ihn somit dem inneren Leben zuzuführen. 

Mystik des Tones

Die Musik, als die Kunst der Künste und die Wissenschaft aller Wissenschaften gesehen, birgt die Quelle allen Wissens und hilft bei der Entfaltung des feineren Gehörsinnes. Wenn sie jedoch lediglich zur Vorführung und Aufführung oder als Mittel, um damit seinen Lebensunterhalt zu verdienen, ausgeübt wird, verliert sie ihren eigentlichen Zauber und ihren wahren Nutzen.
Zuzeiten bringen die Heiligen die Musik in ihren Dienst als gelegenes Mittel, um Zuhörer zusammenzurufen; denn im allgemeinen werden die Menschen von der Musik mehr angezogen, als von etwas anderem.

Wiederum heißt es: „Wessen Herz voll ist, dem geht der Mund über“. Da die wahren Heiligen voll der Trunkenheit durch die innere unübertreffliche göttliche Musik (Anahat) sind, bringen die spontanen Lieder, die aus der Tiefe ihrer Seele hervorquellen, einen gewaltigen Eindruck bei den Zuhörern zustande und verwandeln ihr Wesen zuweilen in einem Augenblick und leiten sie zur vollen spirituellen Blüte.

Durch das Studium der uralten Überlieferung wissen wir, dass die ersten göttlichen Botschaften in Gesängen wiedergegeben wurden, wie Die Lieder Salomos, Die Psalme Davids, die Gathas der Anhänger von Zoroaster beweisen. Die Veden, die Puranas, Ramayana und Mahabharata, wie der Zend-Avesta, die Kabbala und die Sikh- Schriften, sind alle in Versen geschrieben. Heilige wie Kabir, Nanak, Baba Farid, Hazrat Bahu, Surdas, Dharam Das, Sadna und andere machten meistenteils von dieser Form Gebrauch, um den Menschen ihre Gedanken nahezubringen. Allein die Atmosphäre in den Versammlungen der Heiligen ist von spiritueller Vibration geladen, und nicht selten gelangen ergebene Zuhörer bei ihrem bloßen Anblick in einen Zustand der Trunkenheit oder Wajd. Die zwei einfachen Wörter „Hari Bole“, die von Chaitanya Mahaprabhu, dem bengalischen Weisen, an einen Waschmann gerichtet wurden, verwandelte die ganze Wäschergruppe in einen Kreis von Tänzern mit dem Gesang „Hari Bole“ auf den Lippen. Das ist alsdann die Macht wirklicher Musik, die aus der geheimen Kammer des Herzens kommt.


 

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