Liebe und Dienen

 

Es gibt nicht einen, von dem sagen könnte, er sei für sich alleine geboren, denn keiner kann ganz für sich leben. Den Bedürftigen, Kranken und Hungernden zu dienen, ist etwas, das weit wirksamer ist als bloßes Predigen. Uneigennütziges Dienen schürt und entfacht die Glut des Mitleids, der Güte und Liebe. Diese Tugenden haben eine große läuternde Wirkung, sie reinigen den Menschen von allen Schlacken und geben ihn ein Anrecht auf das höchste Wissen von Gott. „nach der Arbeit ist gut ruhen“, lautet ein bekanntes Sprichwort.

 

Nichtverletzen (Ahimsa) heißt nicht nur, Töten, Gewalt und Unrecht zu meiden, sondern schließt auch üble Gedanken und böse Worte aus. Wenn es auch für Bestien oder wilde Tiere nicht gelten mag, so erfüllt Nichtverletzen (Ahimsa) den Menschen mit einer Stärke, die nicht nur viele Tugenden übertrifft, sondern sie höchste und überragendste aller Tugenden bildet. Aufrichtig Suchenden auf dem Pfad zu Gott zu dienen, ist von weit größerem Wert als jeder andere Dienst. Hilfeleistungen schließen unter anderem ein, Almosen an die wirklich Armen und Bedürftigen zu verteilen, jenen Freude zu bereiten, die an unzugänglichen Stellen außergewöhnlich schwere Arbeit leisten, Kranke zu pflegen und den Leidenden beizustehen. All diese Eigenschaften sind eine große Hilfe auf dem Pfad und sollten durch unermüdliche Ausübung auf jede nur mögliche Weise gefördert und entwickelt werden. Aber man darf sich damit allein nicht zufrieden geben, sondern muß mit der Hilfe dieser Reinigungsprozesse auf den Weg in die Freiheit voranschreiten, wie es uns der Meister zur Pflicht gemacht hat.

 

Liebe ist das Allheilmittel für die meisten Übel der Welt. Sie bildet den Kern aller anderen Tugenden. Wo Liebe ist, da herrscht friede. Liebe, und alle Segnungen werden dir zuteil, lautet der zentrale Gedanke der Lehren Christi. Das ganze Gebäude des Christentums fußt auf den beiden untrennbaren Grundsätzen: „Du sollst Gott, deinen Herrn, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft“ und „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“. Gott ist Liebe und so auch die menschliche Seele, da sie ein Funke desselben Geistes ist. Johannes sagt: „Wer nicht liebt, kennt Gott nicht, denn Gott ist Liebe“ und „Wer Gott liebt, der liebt auch seine Brüder“. Guru Gobind Singh betonte mit gleichem Nachdruck die grundlegende Notwendigkeit der Liebe: „Wahrlich, ich sage euch: Gott offenbart sich nur jenen, die lieben.“ Ein Moslem- Heiliger sagt: „

 

Gott erschuf den Menschen

als eine Verkörperung der Liebe;

zu seiner Verherrlichung

hätten seine Engel völlig genügt.

 

Zur Krönung all dieser Tugenden gehören noch Wahrhaftigkeit und ein gutes Leben. In erster Linie sollten wir ehrlich zu uns selbst sein. Die meisten von uns leiden unter dem Übel, daß Gedanken, Worte und Handlungen nicht im Einklang stehen. Wir denken etwas ganz anderes, als unsere Zunge sagt, während unsere Hände wiederum etwas anderes tun. „Sei dir selbst treu, und es folgt wie die Nacht dem Tage, du kannst nicht falsch sein gegen irgendjemand“ (Shakespeare). Ihr lebt in diesem Körper, und Gott, die beherrschende Kraft, wohnt auch in ihm. Seid ihr wahr zu euch selbst, habt ihr niemanden zu fürchten. Wollt ihr jemanden betrügen, müßt ihr euch erst selbst betrügen. „Rama kann Rama nicht betrügen“, waren die Worte von Swami Ram Tirath, als ihn jemand vor den trügerischen Wegen der Welt warnen wollte. Wahrhaftigkeit ist die größte aller Tugenden, doch eine wahre Lebensweise steht noch darüber. Wir müssen versuchen, in diesem Tempel des Heiligen Geistes ein reines und sauberes Leben zu führen und dürfen ihn nicht durch Falschheit und durch Begierden des Fleisches beschmutzen und so in eine Wechselstube des Teufels verwandeln.

 

Es wird allgemein geglaubt, daß Wohlstand die Quelle des Friedens sei, doch er täuscht die Toren wie ein Irrlicht und bringt die Reichen in Gefahr. Er läßt dem Gemüt die Zügel schießen; und wenn es einmal vom rechten Weg abgewichen ist, nimmt es sorglos Sünden auf sich, die schreckliche Folge nach sich ziehen. Sein „Selbst“ mit Gedanken, Worten und Taten völlig dem Schmutz weltlicher Unreinheiten hinzugeben ist eine abscheuliche  Sünde, und ihr Lohn ist der Tod. Die Wege, die zu weltlichem Reichtum, und jene, die zu Gott führen, liegen weit auseinander. Wir können nur einen von beiden einschlagen, so wie es uns beliebt. Das Gemüt ist ein ungeteiltes Ganzes, das den Körper einerseits mit der Seele und andererseits mit der Welt und dem weltlichen Reichtum verbindet. So muß man zwangsläufig zwischen diesen beiden Möglichkeiten wählen. Sind die Würfel einmal gefallen, muß man sich notgedrungen unaufhörlich darum bemühen, das Ziel zu erreichen, welches es auch sei. Doch Wohlstand an sich ist kein Hindernis auf dem Weg der Spiritualität, da sie das gemeinsame Erbe aller ist, der Reichen und der Armen gleicherweise, und keiner kann sie als besondere Gabe für sich beanspruchen.

 

Alles, was man braucht, um den Pfad erfolgreich zu beschreiten, ist wirkliches Verlangen, ehrliche Absicht, ein reines Leben und zielbewußte Hingabe an die Sache. Ein Reicher muß natürlich darauf achten, daß er bei der Vermehrung seines Reichtums kein Unrecht begeht, und daß sein ehrliches Vermögen für einen guten Zweck verwendet und nicht für kurzlebige Dinge verschwendet. Er sollte seinen Reichtum immer als ein heiliges, von Gott anvertrautes Gut, betrachten, das er bekam, um den Armen und Bedürftigen, den Hungernden und Dürstenden, den Kranken und Leidenden zu helfen; denn als Menschen und Kinder desselben Vaters haben sie ein recht auf seinen Beistand. Das war der Rat der Weisen Ashtavakra an König Janaka, als er ihm nach der Gewährung einer wirklichen Erfahrung der Wissenschaft der Seele sein Königreich zurückgab, das der König vor seiner Einweihung (Initiation) in den heiligen Pfad tatsächlicher spiritueller Erfahrung seinem Meister- Lehrer übergeben hatte. Er (der Rishi oder Gottmensch) riet ihm, sein Königreich als Geschenk zu betrachten und seine Macht zur Verbesserung der Lebensbedingungen des Volkes und Landes, das Gott seiner Obhut anvertraut hatte, zu gebrauchen. Wenn auf rechte Weise erworbener Reichtum nicht gut und weise genutzt wird, gerät man leicht auf Abwege, wird selbstsüchtig und zum Sklaven des nunmehr unrechtmäßigen Wohlstandes und verfängt sich unmerklich in den goldenen Ketten, die einen in Knechtschaft halten. Um uns davor zu warnen, erklärte uns Christus mit unzweideutigen Worten, „daß es leichter ist für ein Kamel durch ein  Nadelöhr zu gehen, als für einen Reichen, das Reich Gottes zu betreten“. Der Nobelpreisträger T. S. Eliot sagte: „Denkt nicht an die Ernte, sondern einzig an die rechte Saat.“

 

Somit ist die Aussaat von vorrangiger Bedeutung, denn die Güte der Ernte hängt von der Qualität der gesäten Saatkörner ab. Danach kommt die rechte Aufzucht, der Prozeß der Menschwerdung, der gewöhnlich lange Zeit erfordert und sich über mehrere Verkörperungen erstreckt, je nachdem, wie es der durch die Vergangenheit bestimmten mentalen Beschaffenheit des einzelnen entspricht. Aber mit der rechten Art von unerschütterlicher Hingabe und der Gnade der Meisterkraft kann man diesen sonst sehr schwierigen und gewundenen Pfad leicht durchschreiten. „Ein vollendeter Meister, der mit den Krümmungen und Wendungen des Weges wohlvertraut ist“, sagt Kabir, „kann den Schüler im Nu hindurchbringen.“ Die Pilgerseele, die einen kompetenten Führer hat und sich ernsthaft bemüht, kann leicht über das Meer der Welt schwimmen, auch wenn sie mitten im weltlichen Leben steht. Jene, die nicht täglich Bhajan (Spirituelle Übung: Konzentration auf den inneren Ton) und Simran (Wörtl.: Wiederholung, Erinnerung; hier: Wiederholung der fünf heiligen Namen Gottes, die der Schüler bei der Initiation erhält und die als unabdingbarer Schutz für die Meditation und die damit verbundenen Reise durch die geistigen Ebenen dienen) Zeit widmen, befinden sich immer in Schwierigkeiten. Sie treiben in einem endlosen Strom wollüstiger Freuden dahin. Die Übung des Sich- Lösens von der Welt (Vairagya) durch rechte Unterscheidung hilft beim Vorgang der Selbstreinigung, und nach und nach wird der Schüler befähigt, den Upas- Baum der unzähligen Wünsche zu fällen, indem er erst die Zweige abschneidet und ihn dann an der Wurzel trifft.

 

Keiner ist ohne Fehler. Der Mensch ist ein Kind des Irrtums;  und der Irrtum ist stets sein Bekenntnis. Obwohl es menschlich ist, in Sünde zu fallen, ist es doch schändlich, in ihr zu verbleiben. Es bringt keinen Gewinn, schlechte Waren zu horten. Es ist gut, in einem Tempel geboren zu werden, aber in ihm zu sterben ist Sünde, denn wir müssen uns nach und nach über alle Formen und Förmlichkeiten der Kindergartenstufe, die alle Religionsgemeinschaften bieten, erheben und in den Sonnenschein der Spiritualität hineinwachsen. Wenn wir unsere Zukunft zu etwas Göttlichem gestalten und zur Wirklichkeit des Jenseits erwachen wollen, müssen wir den Pfad erforschen. Wer keinen Gedanken an die Zukunft verwendet, wird bald die Gegenwart bereuen. Die Sünden und Sorgen sind unsere ständigen Begleiter und folgen einander Hand in Hand. Die kleinen Schwächen führen allmählich zu den größeren; doch solche, die man eingesteht, hat man bereits halb überwunden. Aufrichtige Reue, der gute Taten folgen, hilft im großem Maß, Leid zu mildern. Der Mensch würde wenig für Gott tun, wenn der Teufel tot wäre. Wer unter dem Schatten eines drohenden Unheils lebt, der lebt am besten, denn er bemüht sich aufs äußerste. Es ist recht leicht, andere zu kritisieren, aber sich selbst zu ändern, ist furchtbar schwer, denn wir sehen den Balken im eigenen Auge nicht. Gottesfurcht ist der Anfang der Weisheit; und einer im voraus bedachten Gefahr, ist man bereits halb entgangen. Wer gewarnt ist, der ist gewappnet.

 

Menschen, die an die physische Ebene gebunden sind, müssen die Gebote eines „befreiten“ Meisters und Heiligen befolgen, wenn sie sich selbst aus der Täuschung von Gemüt und Materie befreien wollen. Legt die Last all eurer Verantwortlichkeiten zu Füßen eures spirituellen Meisters nieder, und der tödliche Griff der Sünden wird langsam, aber sicher seine Macht über euch verlieren. „Verlasset alles andere und folget mir nach“, lautet die Ermahnung Lord Krishnas. „Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch Frieden geben“, sagte Christus. Der ergebene Schüler empfindet wirklich, daß ihm selbst das Krankenzimmer zum Tempel der Hingabe wird. Ein Meister, der in der Ausübung des heiligen Wortes wohlbewandert und in der Lage ist, andere darin zu unterweisen, zu initiieren, ist der wahre Meister und ein vollendeter Führer (Murshid-i-Kamil). Wie ein fähiger und tüchtiger Verwalter vermag er all unsere Taten und Rechnungen zu begleichen, und er rät uns gleich Jesus: „Sündigt nicht mehr“. Und Hazoor Sawan Singh Ji handelte ähnlich, wenn ein Schüler bei einer öffentlichen Versammlung einen Fehler bekannte und um Nachsicht flehte. Sanft hob er seine rechte Hand und sagte: „Bis hierher und nicht weiter!“

 

Sollen wir denn nichts tun? Wie kann das sein? Die Antwort ist einfach. Solange ihn das Gemüt beherrscht, muß der Mensch handeln, und selbst wenn er seine Taten gemäß den Weisungen des Meisters einschränkt und gleichzeitig die höchsten Tugenden entwickelt, bleibt ihm keine andere Wahl, als zu handeln. Wer garnichts tut, lernt nach und nach, Schlechtes zu tun und erschließt wie Pandora das Übel, das in ihm begraben liegt. Wenn man wünscht, auf Rosen gebettet zu  sein, muß man sich erst mühen, sie zu züchten und zu pflegen. Doch unser Handeln bleibt stets dem Zufall überlassen und ist auf selbstsüchtige Ziele gerichtet. Wir wissen nicht, was wir tun und was wir lassen sollen. Der Meister- Heilige ist der göttliche Gebieter seiner Zeit. Sowohl durch seine Liebe, seine Führung und seine Unterweisung als auch durch sein Beispiel veranlaßt er die Menschen zu Taten der Hingabe und Verehrung und entfaltet in ihnen Liebe für die göttlichen Bindeglieder (das Wort, Naam, die innere Stimme Gottes, Kalma oder alam-i-Quadim, Akaashbani oder Bang-i-Asmani), die er in ihnen offenbart.

 

Man wird einen Meister nicht seiner Wohnstatt wegen achten, vielmehr die Wohnstatt seinetwegen. Denn der Heilige ist unserer höchsten Achtung, Liebe und aller Verehrung würdig. Er gewährt uns die Verbindung mit dem Göttlichen und ein Erlebnis momentanen Vergessens unseres körperlichen Selbst, wodurch wir einen  deutlichen Blick auf die göttlichen Bindeglieder in uns erlangen. Schritt für Schritt wird uns eine immer größere mystische Erfahrung zuteil. In seinen spirituellen Vorträgen, den Satsangs, wird vielen Sünden der Vergangenheit kurzer Prozeß gemacht. Durch die Gemeinschaft mit ihm, sei es in Gedanken, durch Briefwechsel oder in der Meditation, wird uns große Hilfe hinsichtlich der Karmas und sündhafter Beziehungen zuteil. Wenn auch die Sünden des Menschen endlos sind, nimmt doch zur gleichen Zeit auch die grenzenlose Gnade Gottes, die seiner unermeßlichen Schatzkammer entströmt, kein Ende. Wo auch immer wir uns auf dieser Lebensreise befinden mögen, an welchem Ort, in welcher Religion, in welchem Land oder in welcher Gesellschaft, unser wichtigstes Gepäck und Gut ist das heilige Wort, die Verbindung mit dem lebendigen „Rettungsanker“ im Inneren: dem Licht und der Stimme Gottes. Die verschiedenen Namen Gottes dagegen, die wir gewöhnlich kennen und so oft wiederholen, sind bloße Worte, die wir selbst erfunden haben, um die namenlose Wirklichkeit zu benennen, die unteilbares Ganzes, unaussprechlich und unbeschreibbar ist.

 

Die Meister- Heilige (Sant Satguru) ist der heilige Vater, der von weither und zum Nutzen aller kommt, ganz gleich, ob es sich um sündige oder tugendhafte Menschen handelt; denn beide sind gleichermaßen in den Fesseln der Welt gefangen, ob diese nun aus Gold oder Eisen sind. Er liebt alle, und Liebe führt zu Vergebung. Fürchtet niemals, euch ihm zu nähern, bloß weil ihr Sünder seid! Er würde es nicht zulassen, daß eines seiner Kinder zur Strafe in eine Besserungsanstalt oder ein Gefängnis käme, oder es gar der Folter übergeben. Ein liebender und gütiger Vater würde das niemals tun. Der Meister wird das irrende Kind eher selbst zurechtweisen oder ihm ein wenig körperliches Leid auferlegen, um es zu bessern und wird doch, wenn auch unsichtbar, stets bei ihm bleiben, um es von innen zu stützen, bis die kurze Zeit des Leids vorüber ist. Er handelt genau wie ein Töpfermeister, der das Gefäß auf der Drehscheibe vorsichtig mit einem Schlegel bearbeitet, um ihn die rechte Form zu geben, während er die andere Hand von innen dagegenhält, damit es nicht zerbricht. Des Meisters Liebe ist grenzenlos. Das Reich eines Heiligen (Darvesh) ist eines der Gnade.

 

Es ist die Pflicht des Gefängnisvorstehers, die Gefangenen eingesperrt zu halten, sie zu läutern und zu bessern. Gleicherweise war es immer das Ziel der Gottheiten und göttlichen Verkörperungen (Avatare), die Menschen an sich gebunden zu halten, indem sie diese mit den Gaben verschiedener magischer und übernatürlichen Kräfte (Ridhis und Sidhis) überschütteten. (Das bezieht sich auf die Gewährung von Gaben, Geschenken, Vergünstigungen, Wohlstand, Erleichterung und Hilfe auf weltlichen Gebieten sowie die Verleihung übermenschlicher Kräfte, die sich für Gutes oder Böses einsetzen lassen.) Doch sie können ihren Ergebenen diese begrenzten Erleichterungen und Hilfen bis zu jener Stufe gewähren, die sie selbst erreicht haben und ihnen darüber hinaus in den Regionen, die sie beherrschen, jederzeit einen Aufenthalt in ihrer Nähe gewähren. Aber sie können niemanden helfen, die Einswerdung mit dem Allmächtigen zu erreichen, da jene untergeordneten Kräfte dieses größte Vorrecht selbst nicht besitzen.

 

Die ober erwähnten Außergewöhnlichen Fähigkeiten (Sidhis) sind Yoga- Kräfte, die dem Wahrheitssucher nach ein wenig Übung (Sadhan) von allein zufallen; doch auf dem Weg zur Gottverwirklichung stellen sie entschiedene Hindernisse dar, da wir dem Verlangen nach Wundertaten wie Gedankenlesen, Wahrsagen, Hellsehen, dem Durchdringen der Materie und der Erfüllung von Wünschen, geistigem Heilen, Hypnose, Magnetismus und ähnlichem gewöhnlich nicht widerstehen können. Es gibt acht Arten dieser Yoga- Kräfte:

Anima:                 für die äußeren Augen unsichtbar werden;

Mahima:         den Körper beliebig ausdehnen;

Garima:               den Körper beliebig schwer machen;

Laghima:         den Körper beliebig leicht machen;

Prapti:                 alles durch bloßem Wunsch erlangen;

Ishtwa:                 allen Ruhm für sich gewinnen;

Prakayma:         die Wünsche anderer erfüllen;

Vashitba:         Einfluß und Macht über andere erringen.

Doch eine wirklich große Seele, ein Mahatma, der Zugang zum höchsten Bereich hat, vergibt und befreit uns und gewährt uns in diesem Leben Zutritt zum Reich Gottes, vorausgesetzt natürlich, man ist völlig entschlossen, sich ihm hinzugeben und seine Gebote mit liebevollem und aufrichtigem Herzen zu befolgen. Aber für jene, die gewohnt sind, dem Diktat ihres eigenen Gemüts Folge zu leisten, ist das eine etwas schwierige Aufgabe. Es entspricht der schwankende Natur des unkultivierten und unbeherrschten Gemüts, etwas einmal anzunehmen und ein anderes Mal wieder dagegen aufzubegehren. Heilige wie Maulana Rumi (berühmter persischer Moslemheiliger) gehen sogar soweit zu sagen:

 

Komm, komm wieder und immer wieder,

selbst wenn du die Treue

tausendmal gebrochen hast!

Denn in der erlösenden Gnade

eines Meister- Heiligen

gibt es stets einen Platz für dich.

 

Wenn ihr einmal des Meisters eigen geworden seid, wird er euch niemals aufgeben, auch wenn ihr in einem Moment der Versuchung und Prüfung der Schwäche nachgebt und ihn verlaßt oder vom Pfad abirrt. Die Christus- Kraft hat erklärt: „Ich will dich nicht verlassen noch versäumen bis an der Welt Ende“. Er hat sein eigenes Gesetz der Liebe und Barmherzigkeit und kümmert sich jeden Augenblick um jeden einzelnen, auch wenn jemand seinen Weg der Selbstdisziplin verlängert, indem er des Meisters Liebe verschmäht. Die Quelle allen Friedens und allen Glücks liegt jenseits des physischen Körpers, im Inneren des Menschen. Wer keinen inneren Frieden hat, sollte dem Selbst, dem Gemüt und der Seele die rechte Nahrung angedeihen lassen. Das Wort oder Naam ist der wahre „Tröster“, der Friedensbringer, der Ruhe und Erlösung spendet. Die allgemeine Bedeutung des Wortes Erlösung, die uns das Wörterbuch gibt, sollte nicht als bloße Befreiung von der Sünde verstanden werden. Es bedeutet Freiwerdung vom Zyklus der Geburten und Tode sowie Einswerdung des Geistes mit dem Herrn und geistiges Leben in Ewigkeit.

 

Der gewöhnliche Mensch macht sich nicht viel aus der Erlösung, und das gilt auch für viele geistige Bewegungen. Die Gründer der verschiedenen Religionsgemeinschaften haben ihre spirituellen Erfahrungen der inneren Bereiche, zu denen sie Zutritt hatten, offenbart und diese als das höchste oder letzte Ziel der Erlösung und als ewiges Leben beschrieben. Der Meister- Heilige ist ein Besucher all dieser himmlischen Regionen und beschreibt seine Stellung manchmal in Form von Gleichnissen. Er erklärt mit unzweideutigen Worten: „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis umhergehen, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ Die Heiligen treten demnach für die ewige Erlösung in unserem gegenwärtigen Leben und nicht nach dem Tode ein, denn wer weiß was dann geschieht? Die Erlösung nach dem Tod mag sich letztlich als bloße Täuschung erweisen; und es ist nicht gut, das Leben in einem fortwährenden und nicht endenwollenden Zustand der Ungewißheit zu verbringen. Währe der Tod ihre Vorbedingung, bliebe die Erlösung nichts als ein Phantasiegebilde. Ein wirklicher Heiliger befreit die Seele jetzt in diesem Leben von jeder Gebundenheit an Geburt und Tod. Er vertraut auf den „Tod im Leben“ oder die Befreiung während des Lebens, was in der Sprache des Yoga jivan- mukti genannt wird. Die Seele kann sich also mit dem unaussprechlichem Einen verbinden, während sie noch im Körper lebt; und zum Zeitpunkt des endgültigen Lösens der inneren Bindung an den Körper wird sie schließlich im Allmächtigen aufgehen.

 

Gemeinhin wird geglaubt, daß wir nach dem physischen Tod die Erlösung erlangen. Der Begriff „Tod“ schließt jedoch das zeitweilige und willentliche Zurückziehen der Geistesströme vom physischen Körper mit ein und bedeutet nicht nur die endgültige Auflösung und den Zerfall des physischen Körper in seine einzelnen Bestandteile, wie man gewöhnlich annimmt. Es widerspricht der Vernunft zu glauben, daß ein Mensch, der während seines Lebens nur an weltliche Dinge gedacht hat, nach dem Tode augenblicklich zur befreiten Seele wird. Die ethisch geschulten, spirituell Ergebenen erlangen die Erlösung noch während des Lebens und besiegen somit den Tod, den letzten Feind der Menschheit, in ihrem Leben. „Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir“, erklärte Paulus. Und mein Meister sagte stets: „Ein Gelehrter (Pandit) im Leben bleibt auch nach dem Tod ein Gelehrter.“

 

Karmas aufzulösen und die Seele von all ihren Fesseln zu befreien, liegt nicht im Aufgabenbereich irgendeines Politikers, Diplomaten, Staatsmanns, Ministers oder gar einer Regierung. Selbst die Avatare als Inkarnationen höherer Kraft sind diesbezüglich hilflos. Auch die Götter und Göttinnen, welche die niedrigeren Kräfte des höchsten Wesens verkörpern, müssen, wie bereits erwähnt, auf die menschliche Geburt warten, bevor sie zum Höchsten gelangen können.

 

Auf jenen Seelen, die sich nicht unter den Schutz eines wahren Meisters (Sant Satguru) begeben haben, lastet noch die schwere Bürde des Vorrats-, des Saat- und des Schicksalskarmas. Jene, die nicht in die Wissenschaft des Jenseits initiiert sind, können in Bezug auf das Schicksal oder Pralabdha nur wenig Hilfe erfahren und müssen es in voller Stärke und ohne jede Milderung ertragen. Auch die Früchte der Taten, die Saatkarmas, die sie unter dem Gebot des Gemüts in diesem Leben bewirkten, werden sie unbedingt in vollem Maße zu ernten haben. Das ist ein strengen und unerbittliches Gesetz, ob man daran glaubt oder nicht. Das karmische Gesetz macht keine Ausnahme, es arbeitet unbarmherzig und zermalmt uns alle gleichermaßen in der Tretmühle der Zeit.

 

Unsere Handlungen, ob gut oder schlecht,

werden vor Sein Gericht gebracht;

und unsere eigenen Taten werden uns

emportragen oder in die Tiefe schleudern.

Jene, die sich mit dem Wort verbunden

haben, deren Mühen werden enden;

und ihr Antlitz wird von Glanz erstrahlen;

nicht nur sie werden die Erlösung erlangen,

o Nanak, sondern viele andere werden mit

ihnen die Freiheit finden.

 

Es ist demnach von größter Bedeutung, nach einem Meister zu suchen, der fähig ist, den sonst endlosen Kreislauf der Karmas zu durchbrechen, zu seinen Lotosfüßen Zuflucht zu nehmen und uns vom übermächtigen Einfluß unserer Taten zu befreien.

 

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