Liebe und Dienen Es
gibt nicht einen, von dem sagen könnte, er sei für sich alleine geboren, denn
keiner kann ganz für sich leben. Den Bedürftigen, Kranken und Hungernden zu
dienen, ist etwas, das weit wirksamer ist als bloßes Predigen. Uneigennütziges
Dienen schürt und entfacht die Glut des Mitleids, der Güte und Liebe. Diese
Tugenden haben eine große läuternde Wirkung, sie reinigen den Menschen von
allen Schlacken und geben ihn ein Anrecht auf das höchste Wissen von Gott.
„nach der Arbeit ist gut ruhen“, lautet ein bekanntes Sprichwort. Nichtverletzen
(Ahimsa) heißt nicht nur, Töten,
Gewalt und Unrecht zu meiden, sondern schließt auch üble Gedanken und böse
Worte aus. Wenn es auch für Bestien oder wilde Tiere nicht gelten mag, so
erfüllt Nichtverletzen (Ahimsa) den
Menschen mit einer Stärke, die nicht nur viele Tugenden übertrifft, sondern sie
höchste und überragendste aller Tugenden bildet. Aufrichtig Suchenden auf dem
Pfad zu Gott zu dienen, ist von weit größerem Wert als jeder andere Dienst.
Hilfeleistungen schließen unter anderem ein, Almosen an die wirklich Armen und
Bedürftigen zu verteilen, jenen Freude zu bereiten, die an unzugänglichen
Stellen außergewöhnlich schwere Arbeit leisten, Kranke zu pflegen und den
Leidenden beizustehen. All diese Eigenschaften sind eine große Hilfe auf dem
Pfad und sollten durch unermüdliche Ausübung auf jede nur mögliche Weise
gefördert und entwickelt werden. Aber man darf sich damit allein nicht
zufrieden geben, sondern muß mit der Hilfe dieser Reinigungsprozesse auf den
Weg in die Freiheit voranschreiten, wie es uns der Meister zur Pflicht gemacht
hat. Liebe
ist das Allheilmittel für die meisten Übel der Welt. Sie bildet den Kern aller
anderen Tugenden. Wo Liebe ist, da herrscht friede. Liebe, und alle Segnungen
werden dir zuteil, lautet der zentrale Gedanke der Lehren Christi. Das ganze
Gebäude des Christentums fußt auf den beiden untrennbaren Grundsätzen: „Du
sollst Gott, deinen Herrn, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit
all deiner Kraft“ und „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“. Gott ist Liebe
und so auch die menschliche Seele, da sie ein Funke desselben Geistes ist.
Johannes sagt: „Wer nicht liebt, kennt Gott nicht, denn Gott ist Liebe“ und
„Wer Gott liebt, der liebt auch seine Brüder“. Guru Gobind Singh betonte mit
gleichem Nachdruck die grundlegende Notwendigkeit der Liebe: „Wahrlich, ich
sage euch: Gott offenbart sich nur jenen, die lieben.“ Ein Moslem- Heiliger
sagt: „ Gott erschuf den Menschen als eine Verkörperung der Liebe; zu seiner Verherrlichung hätten seine Engel völlig genügt. Zur
Krönung all dieser Tugenden gehören noch Wahrhaftigkeit und ein gutes Leben. In
erster Linie sollten wir ehrlich zu uns selbst sein. Die meisten von uns leiden
unter dem Übel, daß Gedanken, Worte und Handlungen nicht im Einklang stehen.
Wir denken etwas ganz anderes, als unsere Zunge sagt, während unsere Hände
wiederum etwas anderes tun. „Sei dir selbst treu, und es folgt wie die Nacht
dem Tage, du kannst nicht falsch sein gegen irgendjemand“ (Shakespeare). Ihr lebt
in diesem Körper, und Gott, die beherrschende Kraft, wohnt auch in ihm. Seid
ihr wahr zu euch selbst, habt ihr niemanden zu fürchten. Wollt ihr jemanden
betrügen, müßt ihr euch erst selbst betrügen. „Rama kann Rama nicht betrügen“,
waren die Worte von Swami Ram Tirath, als ihn jemand vor den trügerischen Wegen
der Welt warnen wollte. Wahrhaftigkeit ist die größte aller Tugenden, doch eine
wahre Lebensweise steht noch darüber. Wir müssen versuchen, in diesem Tempel
des Heiligen Geistes ein reines und sauberes Leben zu führen und dürfen ihn
nicht durch Falschheit und durch Begierden des Fleisches beschmutzen und so in
eine Wechselstube des Teufels verwandeln. Es
wird allgemein geglaubt, daß Wohlstand die Quelle des Friedens sei, doch er
täuscht die Toren wie ein Irrlicht und bringt die Reichen in Gefahr. Er läßt
dem Gemüt die Zügel schießen; und wenn es einmal vom rechten Weg abgewichen
ist, nimmt es sorglos Sünden auf sich, die schreckliche Folge nach sich ziehen.
Sein „Selbst“ mit Gedanken, Worten und Taten völlig dem Schmutz weltlicher
Unreinheiten hinzugeben ist eine abscheuliche
Sünde, und ihr Lohn ist der Tod. Die Wege, die zu weltlichem Reichtum,
und jene, die zu Gott führen, liegen weit auseinander. Wir können nur einen von
beiden einschlagen, so wie es uns beliebt. Das Gemüt ist ein ungeteiltes
Ganzes, das den Körper einerseits mit der Seele und andererseits mit der Welt
und dem weltlichen Reichtum verbindet. So muß man zwangsläufig zwischen diesen
beiden Möglichkeiten wählen. Sind die Würfel einmal gefallen, muß man sich
notgedrungen unaufhörlich darum bemühen, das Ziel zu erreichen, welches es auch
sei. Doch Wohlstand an sich ist kein Hindernis auf dem Weg der Spiritualität,
da sie das gemeinsame Erbe aller ist, der Reichen und der Armen gleicherweise,
und keiner kann sie als besondere Gabe für sich beanspruchen. Alles,
was man braucht, um den Pfad erfolgreich zu beschreiten, ist wirkliches
Verlangen, ehrliche Absicht, ein reines Leben und zielbewußte Hingabe an die
Sache. Ein Reicher muß natürlich darauf achten, daß er bei der Vermehrung
seines Reichtums kein Unrecht begeht, und daß sein ehrliches Vermögen für einen
guten Zweck verwendet und nicht für kurzlebige Dinge verschwendet. Er sollte
seinen Reichtum immer als ein heiliges, von Gott anvertrautes Gut, betrachten,
das er bekam, um den Armen und Bedürftigen, den Hungernden und Dürstenden, den
Kranken und Leidenden zu helfen; denn als Menschen und Kinder desselben Vaters
haben sie ein recht auf seinen Beistand. Das war der Rat der Weisen Ashtavakra
an König Janaka, als er ihm nach der Gewährung einer wirklichen Erfahrung der
Wissenschaft der Seele sein Königreich zurückgab, das der König vor seiner
Einweihung (Initiation) in den
heiligen Pfad tatsächlicher spiritueller Erfahrung seinem Meister- Lehrer
übergeben hatte. Er (der Rishi oder
Gottmensch) riet ihm, sein Königreich als Geschenk zu betrachten und seine
Macht zur Verbesserung der Lebensbedingungen des Volkes und Landes, das Gott
seiner Obhut anvertraut hatte, zu gebrauchen. Wenn auf rechte Weise erworbener
Reichtum nicht gut und weise genutzt wird, gerät man leicht auf Abwege, wird
selbstsüchtig und zum Sklaven des nunmehr unrechtmäßigen Wohlstandes und
verfängt sich unmerklich in den goldenen Ketten, die einen in Knechtschaft
halten. Um uns davor zu warnen, erklärte uns Christus mit unzweideutigen
Worten, „daß es leichter ist für ein Kamel durch ein Nadelöhr zu gehen, als für einen Reichen, das Reich Gottes zu
betreten“. Der Nobelpreisträger T. S. Eliot sagte: „Denkt nicht an die Ernte,
sondern einzig an die rechte Saat.“ Somit
ist die Aussaat von vorrangiger Bedeutung, denn die Güte der Ernte hängt von
der Qualität der gesäten Saatkörner ab. Danach kommt die rechte Aufzucht, der
Prozeß der Menschwerdung, der gewöhnlich lange Zeit erfordert und sich über
mehrere Verkörperungen erstreckt, je nachdem, wie es der durch die
Vergangenheit bestimmten mentalen Beschaffenheit des einzelnen entspricht. Aber
mit der rechten Art von unerschütterlicher Hingabe und der Gnade der
Meisterkraft kann man diesen sonst sehr schwierigen und gewundenen Pfad leicht
durchschreiten. „Ein vollendeter Meister, der mit den Krümmungen und Wendungen
des Weges wohlvertraut ist“, sagt Kabir, „kann den Schüler im Nu
hindurchbringen.“ Die Pilgerseele, die einen kompetenten Führer hat und sich
ernsthaft bemüht, kann leicht über das Meer der Welt schwimmen, auch wenn sie
mitten im weltlichen Leben steht. Jene, die nicht täglich Bhajan (Spirituelle Übung: Konzentration auf den inneren Ton) und Simran (Wörtl.: Wiederholung, Erinnerung;
hier: Wiederholung der fünf heiligen Namen Gottes, die der Schüler bei der
Initiation erhält und die als unabdingbarer Schutz für die Meditation und die
damit verbundenen Reise durch die geistigen Ebenen dienen) Zeit widmen,
befinden sich immer in Schwierigkeiten. Sie treiben in einem endlosen Strom
wollüstiger Freuden dahin. Die Übung des Sich- Lösens von der Welt (Vairagya) durch rechte Unterscheidung
hilft beim Vorgang der Selbstreinigung, und nach und nach wird der Schüler
befähigt, den Upas- Baum der unzähligen Wünsche zu fällen, indem er erst die
Zweige abschneidet und ihn dann an der Wurzel trifft. Keiner
ist ohne Fehler. Der Mensch ist ein Kind des Irrtums; und der Irrtum ist stets sein Bekenntnis. Obwohl es menschlich
ist, in Sünde zu fallen, ist es doch schändlich, in ihr zu verbleiben. Es
bringt keinen Gewinn, schlechte Waren zu horten. Es ist gut, in einem Tempel
geboren zu werden, aber in ihm zu sterben ist Sünde, denn wir müssen uns nach
und nach über alle Formen und Förmlichkeiten der Kindergartenstufe, die alle
Religionsgemeinschaften bieten, erheben und in den Sonnenschein der
Spiritualität hineinwachsen. Wenn wir unsere Zukunft zu etwas Göttlichem
gestalten und zur Wirklichkeit des Jenseits erwachen wollen, müssen wir den
Pfad erforschen. Wer keinen Gedanken an die Zukunft verwendet, wird bald die
Gegenwart bereuen. Die Sünden und Sorgen sind unsere ständigen Begleiter und
folgen einander Hand in Hand. Die kleinen Schwächen führen allmählich zu den
größeren; doch solche, die man eingesteht, hat man bereits halb überwunden.
Aufrichtige Reue, der gute Taten folgen, hilft im großem Maß, Leid zu mildern.
Der Mensch würde wenig für Gott tun, wenn der Teufel tot wäre. Wer unter dem
Schatten eines drohenden Unheils lebt, der lebt am besten, denn er bemüht sich
aufs äußerste. Es ist recht leicht, andere zu kritisieren, aber sich selbst zu
ändern, ist furchtbar schwer, denn wir sehen den Balken im eigenen Auge nicht.
Gottesfurcht ist der Anfang der Weisheit; und einer im voraus bedachten Gefahr,
ist man bereits halb entgangen. Wer gewarnt ist, der ist gewappnet. Menschen,
die an die physische Ebene gebunden sind, müssen die Gebote eines „befreiten“
Meisters und Heiligen befolgen, wenn sie sich selbst aus der Täuschung von
Gemüt und Materie befreien wollen. Legt die Last all eurer Verantwortlichkeiten
zu Füßen eures spirituellen Meisters nieder, und der tödliche Griff der Sünden
wird langsam, aber sicher seine Macht über euch verlieren. „Verlasset alles
andere und folget mir nach“, lautet die Ermahnung Lord Krishnas. „Kommet her zu
mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch Frieden geben“,
sagte Christus. Der ergebene Schüler empfindet wirklich, daß ihm selbst das
Krankenzimmer zum Tempel der Hingabe wird. Ein Meister, der in der Ausübung des
heiligen Wortes wohlbewandert und in der Lage ist, andere darin zu unterweisen,
zu initiieren, ist der wahre Meister und ein vollendeter Führer (Murshid-i-Kamil). Wie ein fähiger und
tüchtiger Verwalter vermag er all unsere Taten und Rechnungen zu begleichen,
und er rät uns gleich Jesus: „Sündigt nicht mehr“. Und Hazoor Sawan Singh Ji
handelte ähnlich, wenn ein Schüler bei einer öffentlichen Versammlung einen
Fehler bekannte und um Nachsicht flehte. Sanft hob er seine rechte Hand und
sagte: „Bis hierher und nicht weiter!“ Sollen
wir denn nichts tun? Wie kann das sein? Die Antwort ist einfach. Solange ihn
das Gemüt beherrscht, muß der Mensch handeln, und selbst wenn er seine Taten
gemäß den Weisungen des Meisters einschränkt und gleichzeitig die höchsten
Tugenden entwickelt, bleibt ihm keine andere Wahl, als zu handeln. Wer
garnichts tut, lernt nach und nach, Schlechtes zu tun und erschließt wie
Pandora das Übel, das in ihm begraben liegt. Wenn man wünscht, auf Rosen
gebettet zu sein, muß man sich erst mühen,
sie zu züchten und zu pflegen. Doch unser Handeln bleibt stets dem Zufall
überlassen und ist auf selbstsüchtige Ziele gerichtet. Wir wissen nicht, was
wir tun und was wir lassen sollen. Der Meister- Heilige ist der göttliche
Gebieter seiner Zeit. Sowohl durch seine Liebe, seine Führung und seine
Unterweisung als auch durch sein Beispiel veranlaßt er die Menschen zu Taten
der Hingabe und Verehrung und entfaltet in ihnen Liebe für die göttlichen
Bindeglieder (das Wort, Naam, die
innere Stimme Gottes, Kalma oder alam-i-Quadim, Akaashbani oder Bang-i-Asmani),
die er in ihnen offenbart. Man
wird einen Meister nicht seiner Wohnstatt wegen achten, vielmehr die Wohnstatt
seinetwegen. Denn der Heilige ist unserer höchsten Achtung, Liebe und aller
Verehrung würdig. Er gewährt uns die Verbindung mit dem Göttlichen und ein
Erlebnis momentanen Vergessens unseres körperlichen Selbst, wodurch wir
einen deutlichen Blick auf die
göttlichen Bindeglieder in uns erlangen. Schritt für Schritt wird uns eine
immer größere mystische Erfahrung zuteil. In seinen spirituellen Vorträgen, den
Satsangs, wird vielen Sünden der
Vergangenheit kurzer Prozeß gemacht. Durch die Gemeinschaft mit ihm, sei es in
Gedanken, durch Briefwechsel oder in der Meditation, wird uns große Hilfe hinsichtlich
der Karmas und sündhafter Beziehungen zuteil. Wenn auch die Sünden des Menschen
endlos sind, nimmt doch zur gleichen Zeit auch die grenzenlose Gnade Gottes,
die seiner unermeßlichen Schatzkammer entströmt, kein Ende. Wo auch immer wir
uns auf dieser Lebensreise befinden mögen, an welchem Ort, in welcher Religion,
in welchem Land oder in welcher Gesellschaft, unser wichtigstes Gepäck und Gut
ist das heilige Wort, die Verbindung mit dem lebendigen „Rettungsanker“ im
Inneren: dem Licht und der Stimme Gottes. Die verschiedenen Namen Gottes
dagegen, die wir gewöhnlich kennen und so oft wiederholen, sind bloße Worte,
die wir selbst erfunden haben, um die namenlose Wirklichkeit zu benennen, die
unteilbares Ganzes, unaussprechlich und unbeschreibbar ist. Die
Meister- Heilige (Sant Satguru) ist
der heilige Vater, der von weither und zum Nutzen aller kommt, ganz gleich, ob
es sich um sündige oder tugendhafte Menschen handelt; denn beide sind
gleichermaßen in den Fesseln der Welt gefangen, ob diese nun aus Gold oder
Eisen sind. Er liebt alle, und Liebe führt zu Vergebung. Fürchtet niemals, euch
ihm zu nähern, bloß weil ihr Sünder seid! Er würde es nicht zulassen, daß eines
seiner Kinder zur Strafe in eine Besserungsanstalt oder ein Gefängnis käme,
oder es gar der Folter übergeben. Ein liebender und gütiger Vater würde das
niemals tun. Der Meister wird das irrende Kind eher selbst zurechtweisen oder
ihm ein wenig körperliches Leid auferlegen, um es zu bessern und wird doch,
wenn auch unsichtbar, stets bei ihm bleiben, um es von innen zu stützen, bis
die kurze Zeit des Leids vorüber ist. Er handelt genau wie ein Töpfermeister,
der das Gefäß auf der Drehscheibe vorsichtig mit einem Schlegel bearbeitet, um
ihn die rechte Form zu geben, während er die andere Hand von innen dagegenhält,
damit es nicht zerbricht. Des Meisters Liebe ist grenzenlos. Das Reich eines
Heiligen (Darvesh) ist eines der
Gnade. Es
ist die Pflicht des Gefängnisvorstehers, die Gefangenen eingesperrt zu halten,
sie zu läutern und zu bessern. Gleicherweise war es immer das Ziel der
Gottheiten und göttlichen Verkörperungen (Avatare),
die Menschen an sich gebunden zu halten, indem sie diese mit den Gaben
verschiedener magischer und übernatürlichen Kräfte (Ridhis und Sidhis)
überschütteten. (Das bezieht sich auf die Gewährung von Gaben, Geschenken,
Vergünstigungen, Wohlstand, Erleichterung und Hilfe auf weltlichen Gebieten
sowie die Verleihung übermenschlicher Kräfte, die sich für Gutes oder Böses
einsetzen lassen.) Doch sie können ihren Ergebenen diese begrenzten
Erleichterungen und Hilfen bis zu jener Stufe gewähren, die sie selbst erreicht
haben und ihnen darüber hinaus in den Regionen, die sie beherrschen, jederzeit
einen Aufenthalt in ihrer Nähe gewähren. Aber sie können niemanden helfen, die
Einswerdung mit dem Allmächtigen zu erreichen, da jene untergeordneten Kräfte
dieses größte Vorrecht selbst nicht besitzen. Die
ober erwähnten Außergewöhnlichen Fähigkeiten (Sidhis) sind Yoga- Kräfte, die dem Wahrheitssucher nach ein wenig
Übung (Sadhan) von allein zufallen;
doch auf dem Weg zur Gottverwirklichung stellen sie entschiedene Hindernisse
dar, da wir dem Verlangen nach Wundertaten wie Gedankenlesen, Wahrsagen,
Hellsehen, dem Durchdringen der Materie und der Erfüllung von Wünschen,
geistigem Heilen, Hypnose, Magnetismus und ähnlichem gewöhnlich nicht
widerstehen können. Es gibt acht Arten dieser Yoga- Kräfte: Anima: für die äußeren
Augen unsichtbar werden; Mahima: den Körper beliebig ausdehnen; Garima: den Körper
beliebig schwer machen; Laghima: den Körper beliebig leicht machen; Prapti: alles durch
bloßem Wunsch erlangen; Ishtwa: allen Ruhm für
sich gewinnen; Prakayma: die Wünsche anderer erfüllen; Vashitba: Einfluß und Macht über andere erringen. Doch
eine wirklich große Seele, ein Mahatma,
der Zugang zum höchsten Bereich hat, vergibt und befreit uns und gewährt uns in
diesem Leben Zutritt zum Reich Gottes, vorausgesetzt natürlich, man ist völlig
entschlossen, sich ihm hinzugeben und seine Gebote mit liebevollem und
aufrichtigem Herzen zu befolgen. Aber für jene, die gewohnt sind, dem Diktat
ihres eigenen Gemüts Folge zu leisten, ist das eine etwas schwierige Aufgabe.
Es entspricht der schwankende Natur des unkultivierten und unbeherrschten
Gemüts, etwas einmal anzunehmen und ein anderes Mal wieder dagegen
aufzubegehren. Heilige wie Maulana Rumi (berühmter persischer Moslemheiliger)
gehen sogar soweit zu sagen: Komm, komm wieder und immer wieder, selbst wenn du die Treue tausendmal gebrochen hast! Denn in der erlösenden Gnade eines Meister- Heiligen gibt es stets einen Platz für dich. Wenn
ihr einmal des Meisters eigen geworden seid, wird er euch niemals aufgeben,
auch wenn ihr in einem Moment der Versuchung und Prüfung der Schwäche nachgebt
und ihn verlaßt oder vom Pfad abirrt. Die Christus- Kraft hat erklärt: „Ich
will dich nicht verlassen noch versäumen bis an der Welt Ende“. Er hat sein
eigenes Gesetz der Liebe und Barmherzigkeit und kümmert sich jeden Augenblick
um jeden einzelnen, auch wenn jemand seinen Weg der Selbstdisziplin verlängert,
indem er des Meisters Liebe verschmäht. Die Quelle allen Friedens und allen
Glücks liegt jenseits des physischen Körpers, im Inneren des Menschen. Wer
keinen inneren Frieden hat, sollte dem Selbst, dem Gemüt und der Seele die
rechte Nahrung angedeihen lassen. Das Wort oder Naam ist der wahre „Tröster“, der Friedensbringer, der Ruhe und
Erlösung spendet. Die allgemeine Bedeutung des Wortes Erlösung, die uns das
Wörterbuch gibt, sollte nicht als bloße Befreiung von der Sünde verstanden
werden. Es bedeutet Freiwerdung vom Zyklus der Geburten und Tode sowie
Einswerdung des Geistes mit dem Herrn und geistiges Leben in Ewigkeit. Der
gewöhnliche Mensch macht sich nicht viel aus der Erlösung, und das gilt auch
für viele geistige Bewegungen. Die Gründer der verschiedenen Religionsgemeinschaften
haben ihre spirituellen Erfahrungen der inneren Bereiche, zu denen sie Zutritt
hatten, offenbart und diese als das höchste oder letzte Ziel der Erlösung und
als ewiges Leben beschrieben. Der Meister- Heilige ist ein Besucher all dieser
himmlischen Regionen und beschreibt seine Stellung manchmal in Form von
Gleichnissen. Er erklärt mit unzweideutigen Worten: „Ich bin das Licht der
Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis umhergehen, sondern wird
das Licht des Lebens haben.“ Die Heiligen treten demnach für die ewige Erlösung
in unserem gegenwärtigen Leben und nicht nach dem Tode ein, denn wer weiß was
dann geschieht? Die Erlösung nach dem Tod mag sich letztlich als bloße
Täuschung erweisen; und es ist nicht gut, das Leben in einem fortwährenden und
nicht endenwollenden Zustand der Ungewißheit zu verbringen. Währe der Tod ihre
Vorbedingung, bliebe die Erlösung nichts als ein Phantasiegebilde. Ein
wirklicher Heiliger befreit die Seele jetzt in diesem Leben von jeder Gebundenheit
an Geburt und Tod. Er vertraut auf den „Tod im Leben“ oder die Befreiung
während des Lebens, was in der Sprache des Yoga jivan- mukti genannt wird. Die Seele kann sich also mit dem
unaussprechlichem Einen verbinden, während sie noch im Körper lebt; und zum
Zeitpunkt des endgültigen Lösens der inneren Bindung an den Körper wird sie
schließlich im Allmächtigen aufgehen. Gemeinhin
wird geglaubt, daß wir nach dem physischen Tod die Erlösung erlangen. Der
Begriff „Tod“ schließt jedoch das zeitweilige und willentliche Zurückziehen der
Geistesströme vom physischen Körper mit ein und bedeutet nicht nur die
endgültige Auflösung und den Zerfall des physischen Körper in seine einzelnen
Bestandteile, wie man gewöhnlich annimmt. Es widerspricht der Vernunft zu
glauben, daß ein Mensch, der während seines Lebens nur an weltliche Dinge
gedacht hat, nach dem Tode augenblicklich zur befreiten Seele wird. Die ethisch
geschulten, spirituell Ergebenen erlangen die Erlösung noch während des Lebens
und besiegen somit den Tod, den letzten Feind der Menschheit, in ihrem Leben.
„Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir“, erklärte Paulus.
Und mein Meister sagte stets: „Ein Gelehrter (Pandit) im Leben bleibt auch nach dem Tod ein Gelehrter.“ Karmas
aufzulösen und die Seele von all ihren Fesseln zu befreien, liegt nicht im
Aufgabenbereich irgendeines Politikers, Diplomaten, Staatsmanns, Ministers oder
gar einer Regierung. Selbst die Avatare als Inkarnationen höherer Kraft sind
diesbezüglich hilflos. Auch die Götter und Göttinnen, welche die niedrigeren
Kräfte des höchsten Wesens verkörpern, müssen, wie bereits erwähnt, auf die
menschliche Geburt warten, bevor sie zum Höchsten gelangen können. Auf
jenen Seelen, die sich nicht unter den Schutz eines wahren Meisters (Sant Satguru) begeben haben, lastet noch
die schwere Bürde des Vorrats-, des Saat- und des Schicksalskarmas. Jene, die
nicht in die Wissenschaft des Jenseits initiiert sind, können in Bezug auf das
Schicksal oder Pralabdha nur wenig
Hilfe erfahren und müssen es in voller Stärke und ohne jede Milderung ertragen.
Auch die Früchte der Taten, die Saatkarmas, die sie unter dem Gebot des Gemüts
in diesem Leben bewirkten, werden sie unbedingt in vollem Maße zu ernten haben.
Das ist ein strengen und unerbittliches Gesetz, ob man daran glaubt oder nicht.
Das karmische Gesetz macht keine Ausnahme, es arbeitet unbarmherzig und
zermalmt uns alle gleichermaßen in der Tretmühle der Zeit. Unsere Handlungen, ob gut oder schlecht, werden vor Sein Gericht gebracht; und unsere eigenen Taten werden uns emportragen oder in die Tiefe schleudern. Jene, die sich mit dem Wort verbunden haben, deren Mühen werden enden; und ihr Antlitz wird von Glanz erstrahlen; nicht nur sie werden die Erlösung erlangen, o Nanak, sondern viele andere werden mit ihnen die Freiheit finden. Es
ist demnach von größter Bedeutung, nach einem Meister zu suchen, der fähig ist,
den sonst endlosen Kreislauf der Karmas zu durchbrechen, zu seinen Lotosfüßen
Zuflucht zu nehmen und uns vom übermächtigen Einfluß unserer Taten zu befreien. |