Übersetzung aus englischen Vorlagen durch Schüler Param Sant Kirpal Singhs
Das Rad
des Lebens
Unser Karma –
unser Schicksal
Alles im Universum
folgt
Einem
gerechten Gesetz,
dem Gesetz der
Kausalität,
dem Gesetz von
Ursache und Wirkung,
dem Gesetz des
Karmas.
Gautama Buddha
Karma – Begriff
und Hintergrund
Täuschet
euch nicht!
Gott
läßt keinen Spott mit sich treiben.
Was
der Mensch sät, wir er ernten.
Gal.
6,7
Den
Schwierigkeiten des erdgebundenen Lebens gegenüberstehend ringt der Mensch um
einen Ausweg. Wohin er sich auch wendet, sieht er seinen Weg nach oben durch
unsichtbare Hindernisse versperrt. Warum all die scheinbaren Ungleichheiten auf
der Welt? Warum ist dem Menschen der Weg zu seiner ursprünglichen Heimat – der
Heimat seines himmlischen Vaters – verwehrt? Warum kann er nicht seiner
unbekannten Vergangenheit entfliehen? Wohin soll er sich wenden, um das
rettende Licht der reinen Wissenschaft des Seins zu finden? Diese Fragen führen
den suchenden Geist zur Erforschung des umfassenden Gesetzes der Ursache und
Wirkung.
Der Begriff „Karma“ wird in vielen philosophischen
und religiösen Schriften Indiens häufig verwendet. Von den Priestern und
Predigern wurde er in der Tat so oft auf negative Weise gebraucht, daß viele
dazu gelangten, ihn als vermeintliches Hindernis auf dem Weg zur spirituellen
Erlösung anzusehen. Da er dem Westen fremd ist, wird er gewöhnlich ohne
genügende Erklärungen übergangen. Alle Meister niederer Grade oder Stufen
sprechen von Befreiung durch das Vollbringen von Handlungen, ohne daß sie an
ihre Früchte oder Auswirkungen gebunden sind oder nach ihnen verlangen. Doch
das ist nur eine Teilwahrheiten und halbes Wissen.
Das Gemüt ist es gewohnt, die Frucht seiner
Handlungen zu kosten. Wie kann es diese Gewohnheit aufgeben? Geistige und
körperliche Übungen (Sadhans) mögen als Mittel dienen, das Gemüt bis zu einem
gewissen Ausmaß zu schulen. Doch auf die Dauer wird sich seine Gewohnheit, die
Erfahrung genießen zu wollen, durchsetzen. Das Gemüt kann die weltlichen
Freuden nur aufgeben, wenn es eine Art höherer Freude erfährt.
Die Heiligen erfuhren eine weitaus größere Freude –
ein ekstatisches Glück, indem sie sich mit dem Wort Gottes oder dem göttlichen
Tonprinzip (Naam) verbanden. Wenn das
Gemüt einmal in diesen Tonstrom vertieft ist, wendet es sich von der Welt ab.
Es ist gewohnt, weltlichen Dingen nachzulaufen und sich von einer Sache auf die
andere zu stürzen. Wir brauchen es nun nicht an seine Bewegung zu hindern, die
ein ganz natürlicher Ausdruck seines Wesen ist, sondern es nur in seine
Richtung, von der äußeren Welt unten nach oben in die innere Welt, umzukehren.
Das heißt, wir müssen unsere wandernden Gedanken kontrollieren und die
geistigen Energien in rechten Bahnen lenken, um uns dauerhafter und beständiger
Ergebnisse zu versichern. Das wird durch regelmäßiges Üben oder Vertieftsein in
den Tonstrom (Naam) erreicht. Das ist
die einzige Weise, das Gemüt allmählich zu schulen und durch Verfeinerung der
Geistesströme schließlich unschädlich zu machen; dann kommt die Seele zu sich und kann den Weg zu ihrer
ursprünglichen Quelle – der Überseele oder All- Seele – frei und ungehindert
beschreiten. So können die Heiligen, die diesen Pfad, den Pfad des
„Vertieftsein im heiligen Wort oder dem heiligen Ton“ (Surat Shabd Yoga),
selbst gegangen sein, uns nicht nur befähigen, daß wir uns vom karmischen
Kreislauf von Handlung und Rückwirkung befreien können, sondern sie gewähren
uns auch den Zutritt zum Reich Gottes, das in uns liegt.
Nun erhebt sich die Frage: Wie können die Karmas
gelöscht oder unwirksam gemacht werden? Für jene, die wirklich auf der Suche
nach Selbsterkenntnis und Gotterkenntnis sind, gibt es einen Ausweg aus dem
Labyrinth der Naturgesetze, in dem wir sonst unentrinnbar gefangen sind. Der
Zutritt zu diesem Ausgang oder der Weg heraus aus diesem karmischen Dschungel,
der sich unvorstellbar weit in der Vergangenheit erstreckt, wird uns durch die
erlösende Gnade des wahren Meisters enthüllt. Wenn er uns einmal in seiner
Obhut genommen und mit dem ewigen, heiligen Wort oder dem Tonstrom verbunden
hat, sind wir nicht mehr in Reichweite des Todesengels (Yama), der den negativen Aspekt der höchsten Kraft darstellt und
jedem einzelnen im Universum entsprechend seinen Taten Gerechtigkeit zuteil
werden läßt.
Jede Tat eines lebenden Wesens verursacht Karma, ob
wissentlich oder unwissentlich vollbracht und ganz gleich, ob noch in latenter
Form als Gedanke oder geistige Schwingung, als gesprochenes Wort oder
tatsächliche Handlung verübt.
Damit der Leser durch den Begriff „Karma“ nicht
verwirrt wird, ist es wohl angebracht, dieses Wort in seinem rechten
Zusammenhang zu erklären. Das Wort Karma bedeutet ursprünglich Opferbräuche und
Rituale (yajnas), die von dem
einzelnen nach den Anweisungen der heiligen Bücher vollzogen wurden, Später
schloß es jedoch alle Tugenden, soziale und selbstreinigende, wie
Wahrhaftigkeit, Reinheit, Enthaltsamkeit, Mäßigkeit, Nicht- Verletzen (ahimsa), allumfassende Liebe,
selbstloses Dienen und alle taten wohltätiger und menschenfreundlicher Art ein.
Kurz gesagt, man legte großen Nachdruck auf die Entfaltung der Eigenschaften
des Selbst (Atam-gunas), die helfen,
das Gemüt zu beherrschen und die geistigen Kräfte in die rechte Richtung zu
lenken, um den höheren Zweck der Befreiung des gefangenen Geistes (Atman) zu dienen.
Die Karmas werden im allgemeinen in verbotene,
erlaubten und vorgeschriebene eingeteilt. Alle Karmas erniedrigender und
schädlicher Art (Nashedh) werden zu
den verbotenen gerechnet, da sich dem Laster Sünde hinzugeben Sünde ist und der
Sünde Sold der Tod ist. Man bezeichnet sie als Kukarmas oder Vikarmas.
Als nächstes kommen die erhebenden Karmas, die einem Menschen helfen, höhere
Ebene (Swarag, Baikunth, Bahist) oder
das Paradies zu erreichen. Das sind die Sukama-
Karmas oder Sukarmas; Karmas, die
man ausführt, um gute Wünsche oder Bestrebungen zu verwirklichen, und die daher
zulässig und erlaubt sind.
Außerdem gibt es noch Karmas, deren Erfüllung den
Angehörigen der verschiedenen Gesellschaftsschichten (varns) von den Schriften vorgeschrieben wird und die als
unumgänglich angesehen werden (die soziale Ordnung Indiens besteht erstens aus
der Klasse der Priesterschaft, den Brahmanen,
die sich mit dem Studium und der Lehre der Schriften befaßt; zweitens aus der
Kriegerkaste, den Kshatriyas, die
eine Streitmacht zu Verteidigungszwecken bildet; drittens aus den Menschen, die
Handel oder Landwirtschaft betreiben, den
Vaishyas; und viertens aus den Menschen, die den anderen drei Klassen
dienen, den Sudras). Zu den
vorgeschriebenen Karmas gehören auch die, welche von den verschiedenen
Lebensabschnitten, die man Ashrams
nennt, bestimmt werden. (Die vier Ashrams, Brahmcharya,
Grehastha, Vanprastha und Sanyas, stimmen
in etwa überein mit den Perioden der Erziehung und Bildung, des Ehelebens als
Familienvater, des Asketentums als Entsagender oder Einsiedler, der sich in der
Abgeschiedenheit eines Waldes in tiefe Meditation versenkt, und mit der Stufe
des spirituellen Pilgers, der den Menschen die Frucht seiner lebenslangen
Erfahrung vermittelt. Bei einer Lebensspanne von 100 Jahren umfaßt jeder dieser
Abschnitte einen Zeitraum von 25 Jahren.)
Diese Karmas werden Netya- karmas genannt; es sind Handlungen, deren Ausführung in
Beruf und allen Lebenslagen für jeden ein tägliches „Muß“ ist.
Als Richtlinie ethischen Verhaltens leistet das
karmische Gesetz einen wertvollen Beitrag zum materiellen und moralischen
Wohlergehen des Menschen auf der Erde und bereitet den Weg zu einem besseren
Leben in der Zukunft, und zwar in allen vier Bereichen des menschlichen Lebens
– dem weltlichen, dem materiellen oder wirtschaftlichen, dem religiösen und dem
spirituellen. Begriffe wie Kama
(Erfüllung der Wünsche), Artha (wirtschaftliches
und materielles Wohlergehen), Dharma
(die moralische und religiöse Grundlage, die das Universum trägt und erhält)
und Moksha (Erlösung) deuten bereits
an, daß die Handlungen oder Karmas eine entscheidende Rolle spielen. Die
moralische Reinheit stellt natürlich die bestimmende Kraft für das Gelingen
einer jeden Bemühung dar. Und damit die Karmas auch die gewünschte Frucht
tragen, ist es notwendig, sie mit ungeteilter und zielbewußter Aufmerksamkeit
und liebevoller Hingabe auszuführen.
Daneben gibt es noch eine andere Art von Karma – das
Nish- Kama- Karma, das ohne jede
Gebundenheit und ohne Verlangen nach seinen Früchten oder Auswirkungen
vollbracht wird. Es ist allen anderen Arten von Karma überlegen, die mehr oder
weniger eine Quelle der Gebundenheit sind; und es vermag einen in geringem
Ausmaß sogar von der karmischen Gebundenheit, doch nicht von den Auswirkungen
des Karmas selbst zu befreien. Man sollte jedoch zur Kenntnis nehmen, das Karma
an sich keinerlei bindende Wirkung hat. Einzig Karma, das aus dem Wunsch (Kama) geboren ist, führt zu
Gebundenheit. Aus diesem Grund lehrte Moses, „nicht zu begehren“, und darum
legten Buddha und der zehnte Guru der Sikhs, Guru Gobind Singh, immer wieder
solch großen Nachdruck auf die Notwendigkeit, wunschlos zu sein. Karma ist also
zugleich Mittel wie auch Ziel allen menschlichen Strebens. Denn durch Karmas
überwindet und überschreitet man die Karmas. Jeder Versuch, das karmische
Gesetz zu umgehen, ist so sinnlos wie der, über den eigenen Schatten zu
springen. Das höchste Ziel ist, Karma in Übereinstimmung mit dem göttlichen
Plan (Neh- karma oder Karmavehat) als bewußter Mitarbeiter der
Gotteskraft auszuführen: tatenlos in der Tat zu sein, wie der ruhende Punkt im
sich unaufhörlich drehenden Rad des Lebens.
Wiederum muß man den Begriff Karma und das Wort Karam
unterscheiden. Karma kommt aus dem
Sanskrit und bedeutet Handlung oder Tat und umfaßt auch geistige Schwingungen
und gesprochene Worte, während das persische Wort Karam Güte, Mitleid, Barmherzigkeit oder Gnade ausdrückt.
Was nun das Wesen des Karma betrifft: Nach der Jain-
Philosophie ist es stofflicher Natur, geistig und körperlich zugleich, wobei
das eine mit dem anderen als Ursache und Wirkung verbunden ist. Das ganze
Universum wird von Materie in feinster und psychischer Form durchdrungen. Und
sie durchdringt selbst die Seele, da diese in einer Wechselwirkung zur äußeren
Materie steht. Auf diese Weise baut sich die individuelle Seele (jiva) ihr eigenes Nest, einem Vogel
gleich. Durch den feinstofflichen Körper (Karman-
Srira) wird sie gefangen gehalten und bleibt in ihm gebunden, bis sein
empirisches Selbst entpersönlicht und zur reinen Seele wird, die in ihrem
angeborenen Glanz erstrahlt.
Der feinstoffliche Körper ist die karmische Hülle (Karman- Srira), welche die Seele
umschließt, und sie besteht aus acht die Materie erzeugenden Energieströme, den
prakritis, die den acht Arten
karmischer Atome entsprechen und verschiedene Wirkungen auslösen, die von
zweifacher Art sind:
1.
Karmas,
welche die rechte Sicht trüben, wie zum Beispiel:
a.)
Karma,
das die rechte Wahrnehmung oder das rechte Verstehen im allgemeinen behindert (Darshan- avarna);
b.)
Karma,
das die rechte Einsicht oder das Begriffsvermögen begrenzt (Janan- Avarna);
c.)
Karma,
welches die der Seele angeborene glückselige Natur beeinträchtigt und somit
angenehme oder schmerzliche Gefühle hervorruft (Vedaniya) und
d.)
Karmas,
die den rechten Glauben, das rechte Vertrauen und das rechte Verhalten
erschweren (Mohaniya). Alle diese
Karmas wirken wie rauchgeschwärzte Gläser, durch die wir die Welt und alles,
was zur Welt gehört, wahrnehmen. In der Sprache der Dichter wurde das Leben als
„Dom aus vielfarbigem Glas“ beschrieben, der „die weiße Strahlung der Ewigkeit
bricht.“
2.
Dann
gibt es Karmas, die den Menschen zu dem machen, was er ist, denn durch sie
werden
a.)
der
physische Körper,
b.)
Alter
und Lebensdauer,
c.)
Der
gesellschaftliche Rang und
d.)
Die
geistige Beschaffenheit bestimmt.
Sie sind als Naman,
Ayus, Gotra und Antraya bekannt.
Diese Arten werden wiederum in Gruppen und
Untergruppen gegliedert, die hunderte von Verzweigungen bilden.
Die karmischen Artikel, die sich im Raum verteilen,
werden wohl oder übel von jeder Seele entsprechend der Erfordernissen der
Tätigkeit angezogen, der sie sich gerade hingibt. Diesem ständigen Zufluß von
Karma kann man nur Einhalt gebieten, indem man die Seele jeglicher Tätigkeit
von Körper, Gemüt und Sinnen befreit und sie an ihrem Zentrum festhält und
gleichzeitig die angesammelten Karmas durch Fasten, Enthaltsamkeit, das Lesen
heiliger Schriften, Loslösung und Reue, Meditation (tapas, saudhyaya, vairagya, prashchit dhyan) und ähnliches
verringert.
Auch Buddha legte großen Nachdruck auf ständiges
Mühen und Ringen, um den endgültigen Sieg über das Gesetz des Karma zu
erlangen. Die Gegenwart mag durch die Vergangenheit bestimmt sein, doch die
Zukunft ist unser und hängt vom bestimmenden Willen des einzelnen ab. Die Zeit
ist eine ewige ununterbrochene Folge – die Vergangenheit führt unausweichlich
zur Gegenwart und die Gegenwart zur Zukunft, wenn man so sagen will. Das Karma
verliert nur dann seinen Einfluß, wenn man den höchsten Gemütszustand, der
jenseits von Gut und Böse liegt, erlangt hat. Mit der Verwirklichung dieses
Ideals ist all unser Ringen beendet, denn was ein Befreiter dann auch immer
tut, geschieht ohne Gebundenheit. Das sich unaufhörlich drehende Lebensrad wird
durch die karmische Energie angetrieben, und wenn sich diese Kraft erschöpft,
kommt das riesige Rad des Lebens zum Stillstand. Denn dann erreicht man einen
Punkt, wo sich Zeit und Zeitlosigkeit berühren, einen Punkt, wo man stets in
Bewegung bleibt und im Innersten doch bewegungslos ist. Das Karma gibt uns ein
Schlüssel zum Verständnis der Lebensvorgänge; und damit erhebt sich unser
Bewußtsein von Stufe zu Stufe, bis wir zum völlig Erwachten oder Erleuchtetem
oder Seher des Lichts (Buddha) geworden
sind. Buddha war weit davon entfernt, das Universum als bloßem Mechanismus zu
sehen; er betrachtete es vielmehr als einen Körper (Dharma- Kaya), der vom Lebensprinzip (Dharma) vibriert, das ihm gleichzeitig als Hauptstütze dient.
Kurz gesagt, das karmische Gesetz stellt ein
strenges und unerbittliches Naturgesetz dar, aus dem es kein Entkommen gibt und
das keine Ausnahmen macht. „Wie du säst, so wirst du ernten.“ Ist eine uralte,
unumstößliche Wahrheit, die unser ganzes irdisches Leben bestimmt. Ihre Gültigkeit
erstreckt sich auch auf manche der höheren materiell- spirituellen Bereiche,
entsprechend dem Grad ihrer Dichte und ihrer besonderen Beschaffenheit. Karma
ist das höchste Prinzip, das über Götter und Menschen herrscht, den auch die
Götter kommen früher oder später unter seinen Einfluß. Die vielen Götter und
Göttinnen in den mannigfachen Schöpfungsebenen benötigen eine weitaus längere
Zeit als der Mensch, um in ihrer jeweiligen himmlischen Sphäre zu dienen; auch
sie müssen sich schließlich im menschlichen Körper inkarnieren, bevor sie die
endgültige Befreiung vom karmischen Kreislauf der Geburten erstreben und
erlangen können.
Alle Arbeit, alles Handeln oder Tun bewirkt etwas
Wesentliches im göttlichen Plan, wodurch der Ablauf des gesamten Universums in
vollendeter Ordnung gehalten wird. Keiner kann auch nur für einen einzigen
Augenblick ohne irgendeine Tätigkeit (geistiger oder körperliche Art) sein.
Stets denkt oder tut man das eine oder das andere. Wir können unserer Natur
nach nicht geistig leer oder untätig sein, noch vermögen wir die Sinne an ihrem
unwillkürlichen Wirken zu hindern: Die Augen können nicht anders als sehen und
die Ohren nicht anders als hören; und das Schlimmste ist, daß wir wie Penelope
das, was einmal getan ist, nicht ungeschehen machen können. Reue, obwohl an
sich gut, kann die Vergangenheit nicht ändern. Was immer man denkt, spricht
oder tut, gut oder schlecht, hinterläßt einen tiefen Eindruck im Gemüt, und
diese angesammelten Eindrücke formen den einzelnen zum Guten oder zerstören
ihn. Wie man denkt, so wird man. Unser Mund spricht aus der Überfülle des
Herzens. Jede Handlung hat eine Rückwirkung, wie es das Naturgesetz von Ursache
und Wirkung bestimmt. Man hat demnach die Früchte seines Handelns zu ernten:
süß oder bitter, je nachdem, ob es einen gefällt oder nicht.
Gibt es da kein Heilmittel? Ist der Mensch ein
bloßes Spielzeug seines Loses oder Schicksals, das sich seinen Weg auf gänzlich
vorherbestimmte Weise bahnt? Die Sache hat zwei Seiten. Wir haben bis zu einem
gewissen Ausmaß einen freien Willen, mit dem wir, falls wir uns dafür
entscheiden, unseren Lauf bestimmen und unsere Zukunft zum Guten oder
Schlechtem wenden und selbst die lebendige Gegenwart in großem Ausmaß zu
unserem Nutzen formen können. Mit der lebenden Seele ausgerüstet, die vom
gleichen Wesen wie ihr Schöpfer, ist der Mensch mächtiger als das Karma. Das
Unendliche in ihm kann ihm helfen, die Begrenzungen des Endlichen zu
überschreiten. Die Freiheit zu handeln und die karmische Gebundenheit sind nur
zwei Seiten der einen Wirklichkeit in ihm. Nur der mechanische und materielle
Teil in ihm unterliegt den karmischen Begrenzungen, während der wirkliche und
lebendige Geist in ihm alles überschreitet und von der karmischen Last kaum
berührt wird, wenn er in seiner angeborenen göttlichen Natur begründet ist. Wie
aber vermag man in seiner eigenen, wirklichen Form (saroop), dem „Atman“, verwurzelt zu sein? Das ist es, was wir
notgedrungen lernen müssen, wenn wir danach streben, einen Ausweg aus der
endlosen karmischen Verstrickung zu finden.
Die meisten unserer Schwierigkeiten rühren daher,
daß wir nicht überlegen, was wir tun. Bei jedem Schritt fahren wir sorglos
fort, eine Menge karmischer Partikel anzusammeln, ohne zu bedenken, daß es eine
Kraft in uns gibt, die alles aufzeichnet, was wir denken, sprechen oder tun.
Thomas Carlyle, ein berühmter Denker, sagte: „Du Narr! Glaubst du, weil kein
Boswell da ist deine Worte zu vermerken, sie darum vergehen oder vergessen
sind? Nichts stirbt, nichts kann vergehen. Das nichtigste Wort, das du
sprichst, ist eine Aussaat in die Zeit, die Frucht trägt alle Ewigkeit.“
Gleiches sagt uns Aischylos, der Vater des griechischen Dramas vorchristlicher
Zeit:
Tief im unteren
Himmel lenkt der Tod
mit strenger
und kraftvoller Hand
die Wege des
Menschen.
Keinen gibt
es, der durch irgendeine Macht
oder Tat
seinem wachsamen Auge,
seinem
unfehlbaren Geist
zu entfliehen
vermag.
Aus den „Eumeniden“
Die drei Arten von
Karma
Die
Karmas wurden von den Heiligen Indiens in drei verschiedene Kategorien
eingeteilt.
1.
Speicher-
oder Vorratskarma (Sanchit), das sind
die angesammelten und aufgespeicherten Karmas, die aus früheren Inkarnationen
stammen und weit in die unbekannte Vergangenheit zurückführen;
2.
Schicksalskarma
(Pralabdha), das ist unser Karma, das
unsere Bestimmung oder unser Schicksal bewirkt; es besteht aus jenem Teil des
Vorratskarmas, der die lebendige Gegenwart eines Menschen bestimmt und dem
keiner entfliehen kann, wie sehr er es auch wünschen und versuchen mag;
3.
Saatkarma
(Kriyaman), das sind die Karmas, die
in diesem irdischen Dasein oder der gegenwärtigen Lebenszeit ganz unserem
freien Willen unterliegen und mit denen wir unsere Zukunft zum Guten wenden
oder zerstören können.
1.
Speicherkarma:
Die guten oder schlechten Taten, die unser Guthaben bilden, das wir uns in all
den früheren Leben in der Schöpfungsordnung erworben haben und das bis zu dem
Tag zurückreicht, an dem das Leben auf der Erde zum ersten Mal in Erscheinung
trat. Der Mensch weiß nichts über sie oder ihr Ausmaß und ihre große,
verborgene Macht. König Dharitrashtra, der blinde Ahne der Kshatriya- Prinzen,
der Kurvas des Heldenzeitalters, konnte die Ursache seiner Blindheit erst
erkennen, als ihm Lord Krishna seine Yoga- Kraft übertrug. Sie war die Folge
einer Handlung in unbekannter Vergangenheit, die über hundert Inkarnationen
oder Verkörperungen zurücklag. Im 2. Buch Mose 20,5, sagt Moses, während er die
zehn Gebote Gottes verkündet, daß Gott uns ermahnt: „Ich, der Herr, dein Gott,
bin ein eifernder Gott, bei denen, die mir feind sind, verfolge ich die Schuld
der Väter an den Söhnen, an der dritten und vierten Generation...“ Selbst die
Medizin bestätigt uns heute die bedeutende Rolle der Vererbung und führt die
Ursache bestimmter Krankheiten auf die Vorfahren zurück und zeigt, wie sie in
den nachfolgenden Generationen zur Auswirkung kommen. Gleicherweise bringt die
modernen Psychologie das problematische Verhalten mancher Menschen mit
geistigen Besonderheiten ihrer Eltern und Ahnen in Verbindung.
2.
Schicksalskarma.
Das ist genau der Teil der Sanchit- Karmas, der die Fügung, Bestimmung oder das
Schicksal eines Menschen bildet und die Ursache unseres gegenwärtigen Daseins
auf Erden ist. Wir haben keine Macht über diese Karmas und müssen ihre
Auswirkung, ob gut oder schlecht, nach bestem Vermögen ertragen – lächelnd oder
unter Tränen. Das gegenwärtige Leben ist einfach eine Entfaltung oder
Offenbarung der vorher festgelegten Karmas, mit denen wir vollbeladen in die
Welt kommen. Durch die Anleitung einer Meisterseele ist es jedoch möglich, das
innere Selbst so zu formen und zu entwickeln, daß man ihren bitteren und
schmerzvollen Stachel nicht mehr empfindet, so wie der Stich einer Nadel den
Kern einer reifen Mandel oder Walnuß nicht berührt, da er sich von der äußeren
Schale gelöst hat, die dadurch austrocknete und hart wurde und ihm seither als
schützender Panzer dient.
Auf diese weise schmiedet
jeder von uns bereitwillig oder widerwillig, wissentlich oder unwissentlich
seine Ketten, ganz gleich, ob sie aus Gold oder Eisen sind. Ketten bleiben
stets Ketten, und sie sind beide gleich wirksam, einen Menschen in beständiger
Gebundenheit zu halten. Wie eine arme Seitenraupe in ihren Kokon gefangen oder
eine Spinne in ihrem Netz gefesselt ist oder wie ein Vogel in seinem Nest wohnt,
so bleiben wir in selbstgeschmiedeten Stahlringen ohne jeden Ausweg gebunden.
Auf diese Weise wird der Zyklus von Geburt, Tod und Wiedergeburt unaufhörlich
in Bewegung gehalten. Nur wenn man das Körperbewußtsein überschreitet und
tatenlos in der Tat wird (Neh- Karma)
wie der stille Punkt im Zentrum des sich ewig drehenden Lebensrades, wird der
Bewegung des gewaltigen karmischen Rades Einhalt geboten, denn dann wird man
ein bewußter Mitarbeiter am göttlichen Plan.
Das ist der Grund, warum
Buddha, der Prinz unter den Asketen, nachdrücklich sagte: „seid wunschlos“.
Denn die Wünsche sind Grundursache des menschlichen Leides, da sie alle
Handlungen auslöst, beginnend mit den feinen Schwingungen im Unterbewußtsein
bis hin zu den Denkvorgängen des Bewußtseins, die dann zu der ungeheuren und
grenzenlosen Ernte mannigfaltiger Taten verschiedener Farben und Formen führen,
die der Unausgewogenheit des Gemüts entspringen. So wird der im Körperwagen
sitzende Geist durch die fünf kraftvollen, von dem machtberauschten Wagenlenker
– dem hilflosen und unausgeglichenen Gemüt – nicht beherrschten Sinnesrossen
mit ihren lose herabhängenden Zügeln des Verstandes blindlings und kopfüber in
den Bereich der Sinnesfreuden hineingezogen. Selbstdiziplin ist also von
höchster Bedeutung; und Keuschheit in Gedanken, Worten und Taten ist ein
unerläßliches Erfordernis, das einem Menschen auf dem Weg der Selbst- und
Gotterkenntnis hilft, denn ein ethisches Leben ist ein Sprungbrett zur
Spiritualität.
3.
Saatkarma:
Es ist die laufende Abrechnung unserer bewußt verübten Handlungen und taten in
diesem gegenwärtigen Dasein (Kriyaman).
Diese Art von Karma ist ganz anders als die ersten beiden. Ungeachtet der
Grenzen, die uns die unabänderliche Bestimmung (Pralabdh) auferlegt, ist jeder Mensch mit einem freien Willen
begabt und gleicherweise frei, die Saat zu säen, die er ernten will. Mit der
Gabe der Unterscheidungskraft ausgestattet, die allein dem Menschen zu eigen
ist, kann er selbst beurteilen, was recht und was falsch ist; und daher wäre es
eingebildet und überheblich von ihm, ein Bett aus Rosen zu erwarten, wenn er
Disteln und Dornen sät. Es liegt ganz an ihm, die Zukunft nach seinem Willen
zum Guten zu formen oder zu zerstören. Eine Meisterseele kann ihm die rechte
Führung geben, indem sie ihm die wahren Werte des Lebens darlegt – eines
Lebens, das mehr ist als das körperliche Gewand und alles, was es mit einem von
den Sinnen beherrschten Dasein verbindet. Unter seiner Führung entwickelt man
die Fähigkeit, sich leicht von der Welt und den weltlichen Belangen zu lösen;
und wenn einmal der magische Bann gebrochen ist, fallen die Scheuklappen ab;
die unverhüllte Wirklichkeit blickt einem direkt ins Gesicht und bietet dadurch
die günstige Gelegenheit, unversehrt zu entkommen. Gewöhnlich tragen jedoch einige
der Saatkarmas noch in diesem Leben Frucht, während andere, die nicht zur Reife
gelangten, dem großen Konto der Speicherkarmas übertragen werden, die sich von
Zeitalter zu Zeitalter anhäufen. So ist es einem jeden von uns gegeben,
rechtzeitig zu überlegen und die Folgen seiner beabsichtigten Handlungen und
Taten gut abzuwägen, bevor er einen unwiderruflichen Schritt wagt, einen Sprung
ins Ungewisse oder einen unüberlegten Sturz in einem auf ewig bereuten Anfall
von Heftigkeit, den er aber nicht ungeschehen machen kann, indem er dem
vermeitlich unheilvollen Einfluß der Sterne die Schuld zuweist. Ein Eisenbahn-
Ingenieur zum Beispiel muß die Strecke im voraus planen, denn wenn die Gleise
einmal gelegt sind, fährt der Zug blindlings darauf. Ein kleiner Fehler beim
Legen der Schienen, eine lockere Befestigung oder ein falscher Winkel können
verhängnisvolle Folgen haben. Selbst wenn alles recht getan ist, muß er Tag und
Nacht beständig und sorgsam wachen, daß nicht irgend etwas aus den Fugen gerät
oder die Geleise womöglich von böswilligen Menschen beschädigt werden.
Gemäß den Naturgesetzen, die
alles Leben bestimmen, ist der Mensch (die verkörperte oder inkarnierte Seele)
wie ein kostbares Juwel in drei Schatullen oder Körper gehüllt – den
physischen, astralen oder mentalen und den kausalen oder Saat- Körper – die
alle mehr oder weniger irdischer Natur sind und verschiedene Grade der Dichte
besitzen.
Auch
gibt es Himmelskörper und irdische
Körper. Die Schönheit der Himmelskörper
ist anders als die der irdischen Körper.
Kor. 15,40
Sie
gleichen dem äußeren Gewand, das wir tragen: Jacke, Weste und dem Hemd
darunter. Wenn der Mensch den physischen Körper ablegt, trägt sein Geist noch
den Astral- oder Mental- Körper. Unter dem astralen Kleid ist er noch vom dünnen
Schleier des kausalen oder ätherischen Saatkörpes bedeckt. Solange er nicht
fähig ist, den physischen Körper abzulegen, kann er den ersten Himmel oder das
Astralreich im Innern nicht betreten.
Damit will ich
sagen, Brüder: Fleisch und
Blut können
das Reich Gottes nicht erben;
das
Vergängliche erbt nicht das Unvergäng-
liche... Denn
das Vergängliche muß sich mit
Unvergänglichkeit
bekleiden und dieses
Sterbliche mit
Unsterblichkeit. Wenn sich
aber dieses
Vergängliche mit Unvergänglich-
keit bekleidet
und dieses Sterbliche mit
Unsterblichkeit,
dann erfüllt sich das Wort
der Schrift:
Der Tod ist verschlungen in den
Sieg. Tod, wo
ist dein Stachel? Hölle, wo ist
dein Sieg?
1. Kor. 50 und 53-55
Das Ablegen des Körperkleides oder diese Umwandlung
geschieht entweder durch die letzte Auflösung, diesen Zerfallsprozeß, der
gewöhnlich als Tod bekannt ist oder durch die Methode des willentlichen
Zurückziehens der Sinnesströme vom Körper. Der Fachausdruck dafür ist „erheben
über das Körperbewußtsein“, das durch einen Prozeß der Umkehr und Selbstanalyse
geschieht. Die Evangelien beschreiben dieses Zurückziehen als „Von – neuem –
geboren – werden“ oder „Auferstehung“. Die Hinduschriften nennen es „Zweimal
geboren – werden“ oder do-janma. Es
ist eine Geburt des Geistes, die anders ist als die durch das Wasser (der
äußeren Taufe) – denn die letztere ist aus „vergänglicher Saat“, wo hingegen
die erstere aus „unvergänglicher Saat“ geschieht, die unveränderlich und
beständig (da reinen Geistes) ist. Die Moslem- Derwische (Mystiker) nennen
diesen Tod – im – Leben Tod vor dem Sterben. Durch die gütige Hilfe eines
Meister- Heiligen, der selbst ins Jenseits schritt und anderen helfen kann, das
gleiche zu tun, kann man lernen, wie man sich nicht nur vom physischen Körper,
sondern auch von den beiden anderen Körpern (dem astralen und dem kausalen)
zurückzieht. Man hat also „dem Fleisch um des Geistes willen zu entsagen“, wenn
man danach verlangt, dem sich endlos drehenden Rad des Lebens auf diesem
irdischen Gestirn (der Erde) zu entkommen.
Bei einem gewöhnlichen, natürlichen Verlauf der
Dinge hat die verkörperte Seele oder der menschgewordene Geist (jiva) keine andere Wahl. Als nach dem
physischen Tod wieder in einer körperlichen Form zur irdischen Ebene
zurückzukehren, deren Art bestimmt wird von seinen zeitlebens gehegten
Vorlieben und Neigungen, von der Stärke seiner sehnsüchtigen und langgehegten,
unerfüllten Wünsche, die seiner geistigen Struktur eingeprägt sind und die zur
Zeit seines Todes vorherrschen und den überwältigen Einfluß bilden, der seinen
zukünftigen Weg mit unwiderstehlicher Kraft gestaltet.
So gültig und
großmütig
ist der
göttliche Vater -
er gewährt
seinen Kindern,
wonach sie
auch verlangen.
Doch wenn man unter der Führung eines vollendeten
Meisters (Sant- Satguru) den
praktischen Vorgang der Selbstanalyse, das heißt das willentliche Zurückziehen
vom physischen Körper, erlernt und diese Fähigkeit durch regelmäßige Übung
entwickelt, erlangt man noch während des Lebens eine Erfahrung vom Jenseits
(vom Tod im Leben) mit dem Ergebnis, daß einem die uralte trügerischen
Vorstellungen allmählich wie Schuppen von den Augen fallen und die Welt und die
weltlichen Dinge ihren hypnotischen Reiz verlieren. Dann sieht man die Dinge in
ihren wahren Farben, erkennt ihren wirklichen Wert und wird allmählich
wunschlos und frei – Herr seiner selbst, eine befreite Seele (jivan mukat). Danach lebt man nur mehr,
um die einem zugewiesene Lebensspanne ohne Gebundenheit zu vollenden. Dies wird
neue Geburt oder zweite Wiederkehr der Seele in ein ewiges Leben genannt. Doch
wie kann man sie erlangen? Christus sagt uns:
Und wer nicht sein
Kreuz auf sich nimmt
und mir
nachfolgt, der ist immer mein nicht wert.
Wer sein Leben
findet, der wird’s verlieren;
und wer sein
Leben verliert um meinetwillen,
der wird’s finden.
Mt.10, 38-39
Und im Lukas- Evangelium heißt es:
Zu ihnen allen
sagte er (Jesus): Wer mein
Jünger sein
will, der verleugne sich selbst,
nehme täglich
sein Kreuz auf sich
und folge mir nach.
Lk. 9,23
Und wer nicht sein
Kreuz trägt und mir
nachfolgt, der
kann nicht mein Jünger sein.
Lk. 14,27
So sehen wir, daß der Tod in Christus der Weg ist,
um mit Christus auf ewig zu leben. Lernt zu sterben, damit ihr zu leben
beginnt, sind die einleitende Worte aller Heiligen, wenn sie zu uns sprechen.
Unter den Moslems ist dies als Auslöschen des Selbst (fana- fil- sheikh) im Meister (Murshid)
bekannt. Es ist deshalb von höchster Wichtigkeit, als erstes einen lebenden
Meister zu suchen, der kompetent genug ist, den anderenfalls endlosen Zyklus
der Karmas ein für allemal zu beenden und zu seinen heiligen Füßen Zuflucht zu
suchen, um sich dadurch von dem unheilvollen Einfluß der eigenen Taten zu
befreien, die sonst fortfahren, einen in der Gestalt von Eumeniden und Furien
heimzusuchen.
Über die Macht des Meisters auf der Erde (Jagat- Guru) vernehmen wir:
Ein Jagat- Guru
vermag die Karmas durch
seinen Blick
und sein Wort auszulöschen.
In seiner
Gegenwart fliehen die Karmas
wie Herbstlaub
vor dem Wind.
Und
außerdem lesen wir in den heiligen Schriften noch:
Groß ist die Macht
des Engels
der
Vergeltung, und keiner vermag
deinem Zorn zu
entgehen;
aber vor dem
Trompetenschall des Wortes
flieht er voll
Todesfurcht.
Was
nun das Wirken des karmischen Gesetzes betrifft, mag uns das folgende Beispiel
helfen, den Sachverhalt besser zu verstehen:
Nehmen
wir zwei Sorten Weinbeeren – gelbe und braune. Die gelben Samen sollen die
guten und die braunen die schlechten Taten verkörpern. Und ein Raum ist bis zur
Decke mit großen Mengen dieser Saaten angefüllt, die nun gleichsam das
Lagerhaus der Karmavorräte (Sanchit-
Karma) eines Menschen darstellen.
Da
ist nun „A“ (ein physischer Körper plus Gemüt plus Seele), ein Mensch, der sein
ganzes Leben lag wünschte, ein König zu werden. Er wird krank, und dieser
unerfüllte Wunsch beherrscht weiterhin an erster Stelle sein Gemüt. Und nach
einiger Zeit zwingt ihn die Natur, den physischen Körper aufzugeben, aber gemäß
dem Gesetz des Lebens nach dem Tode ist er noch immer in den astralen
(mentalen) und kausalen (ätherischen) Körper gekleidet. Er wirkt nun als
entkörperte oder nicht mehr inkarnierte Seele in einem anderen Gewand aus
astraler und kausaler Gemütssubstanz. Da das Gemüt das Lagerhaus aller
Eindrücke ist, erinnert sich „A“ noch immer seines Wunsches, König zu werden.
Da „A“ nun ein körperloser Geist (Jiva)
und seiner physischen Hülle beraubt ist, sieht er sich einer Schwierigkeit
gegenüber. Er kann so lange kein König werden, bis er nicht wieder ein
physisches Kleid angelegt hat, das es ihm erlaubt, auf der einen oder anderen
Stufe seiner irdischen Laufbahn die Rolle eines Königs anzunehmen. Von der
unfehlbaren motorischen Kraft seiner Gemütssubstanz angetrieben, die hinter
aller Aktivität wirkt, wird er dazu geleitet, so viele Karmas, die noch nicht
Frucht getragen haben, aufzunehmen, daß diese wiederum eine neue Folge von
Umständen herbeiführen, die ihm dazu verhelfen, seinen lang gehegten und tief
eingeprägten Wunsch zu verwirklichen.
Die
große treibende Kraft, auf die eben verwiesen wurde, hat zwei Aspekte: einen
positiven wie auch einen negativen. Der positive führt uns zur Reise in die
Heimat, und der negative beherrscht und lenkt das Leben auf der irdischen
Ebene. Die Natur oder der negative Aspekt dieser Kraft, die doch nur eine ist,
befaßt sich allein mit dem geordneten Ablauf des Lebens, wie es auf der
physischen Ebene besteht; ihre Hauptaufgabe ist es, die Welt in Gang und reich
bevölkert zu halten und die Menschen mit verschiedenen Lebensaufgaben zu
beschäftigen, wie der Fall gerade liegt. In der Umgangssprache wird dies
„Schicksal“ oder „Zufall“ (Pralabdha)
genannt, welches das irdische Leben eines jeden einzelnen mit absoluter
Genauigkeit und unfehlbarer Geschicklichkeit gestaltet.
So
ist man in oben beschriebenem Ausmaß in eine Art Falle gefangen und kann nicht
anders, als das zu enthüllen, was man in verhülltem Zustand mit sich bringt. Es
ist wie eine Offenbarung der ungeoffenbarten Vergangenheit, die als verborgene
Saat oder Essenz auf dem Grund der Gemütssubstanz ruht und mit ihren mannigfachen
Mustern und vielfältigen Farben, die verschiedenen Linien bilden, auf die
Leinwand des Lebens projiziert wird, so wie auch das Leben von einer
ursprünglich reinen und ewigen Strahlung ausgeht, die wir gewöhnlich aus der
Sicht verlieren, je mehr wir uns in dem „Dom aus vielfarbigen Glas“ verlieren,
der uns umschließt und uns im Lauf der Zeit von allen Seiten bedrängt. Mutter
Natur umsorgt nun ihr Pflegekind und überschüttet es in solcher Menge mit all
ihren Gaben, daß es sich dessen, wonach es in der Vergangenheit so sehr
verlangte, unwissentlich in Fülle und bis zum Übermaß erfreut. Vom Glanz der
Gaben geblendet, vergißt man den großen Wohltäter, den Spender aller Gaben und
ist im Netz des Todes unentrinnbar gefangen.
Doch
das ist nur ein Teil des Lebens, das „A“ wie ein vorher bestimmtes Spiel führt.
Daneben gibt es noch ein anderes, sehr lebendiges Gegenstück, das auf der
Freiheit des Handelns und auf unserem unabhängigen Willen beruht, welches einem
jeden von uns gegeben ist. Die Erlösung liegt im rechten Verstehen der höheren
Werte des Lebens und darin, daß man von der günstigen Gelegenheit, die einem
zuteil wird, den besten Gebrauch macht; und wir können sie hier und jetzt
erlangen. Sonderbarerweise ist der Mensch also nicht nur eine Schöpfung seines
Schicksals (aus der Vergangenheit) sondern ebenso der Schöpfer seines Geschicks
(in der Zukunft). Was wir mit uns bringen, das muß geschehen; und was wir jetzt
tun, das gibt unserer Zukunft Gestalt. Es ist darum weise, die rechte Wahl zu
treffen. Die Gemütskraft ist ein ungeteiltes Ganzes, und wenn man sie sich wie
einen gehorsamen Diener auf rechte Weise nutzbar macht, kann sie einem großen
Gewinn bringen. Doch wenn ihr erlaubt wird, den lebensspendenden Geist zu
überwältigen, erweist sie sich als heimtückischer Parasit, der die Lebenskraft
schwächt und die Würzpflanze, auf der sie gedeiht und die ihr Leben und Nahrung
gibt, dahinwelken läßt. Daher müssen wir all unsere Aufmerksamkeit der rechten
Aussaat und ihrer Pflege zuwenden, während wir auf der Bühne des Lebens die uns
bestimmte Rolle im Menschendrama im Licht der ewigen Strahlung spielen, die
dick und dünn durchdringt, - ob wir es wissen oder nicht. Der höchste Wille ist
bereits ins Muster unseres Seins gewirkt, denn ohne ihn kann nichts bestehen;
und wenn wir diesen Willen erkennen und in Einklang mit ihm handeln, können wir
dem Rad des Lebens entfliehen. Guru Nanak sagt im „Jap Ji“:
Wie kann man die Wahrheit erkennen und
die Wolken der Täuschung durchdringen?
Es gibt einen Weg, o Nanak, seinen
Willen
zu dem unseren zu machen; sein Wollen,
das bereits in unserem Dasein wirkt.
So
sehen wir, daß die Karmas und Wünsche für den endlosen Zyklus der Geburten und
Wiedergeburten verantwortlich sind. Wie kann man diesen unaufhörlichen
Kreislauf beenden? Es gibt nur zwei Wege, das ungeheuer große und grenzenlose
Vorratslager der Karmas, diesen undurchdringlichen Granitwall zwischen den
Menschen und dem Höchsten oder diesen dicken Schleier des unwissenden Gemüts,
der stets unsere Augen bedeckt und unsere Sicht verdunkelt, zu erschöpfen oder
aufzulösen. Die zwei Möglichkeiten, dieses immer umgangene und verwirrende
Problem zu lösen, sind:
1.
es
der Natur zu überlassen, das Vorratslager im Lauf der Zeit zu entleeren, sofern
das überhaupt möglich ist;
2.
von
einer Meisterseele die wirkliche Erkenntnis und Erfahrung der Wissenschaft des
Lebens auf den irdischen wie auch spirituellen Ebenen zu erlangen und jetzt
daran zu arbeiten, eine um die andere Ebene zu überschreiten, solange es uns
noch mögliche ist und wir die günstige Gelegenheit dazu besitzen.
Der erste Weg ist nicht nur endlos lang, sonders
auch äußerst schwierig und gewunden, trügerisch auf Schritt und Tritt und
voller Gefahren und Fallgruben. Man bräuchte zahllose Leben, um zum Ziel zu gelangen,
falls man überhaupt das Glück hätte, es zu erreichen. Zudem hilft die Natur von
sich aus kaum jemanden, sich von den unerbittlichen karmischen Gesetz zu
befreien, denn das würde bedeuten, daß sie sich und ihre Sippschaft selbst
auslöscht.
Die
menschliche Geburt ist in der Tat ein seltenes Vorrecht, das man erst erlangt,
nachdem man einen langen Evolutionsprozeß der Schöpfung durchschritten hat, der
sich auf unzählige Formen oder Verkörperungen erstreckt, die das Lebensprinzip
auf der physischen Ebene annimmt. Wenn diese goldene Gelegenheit einmal
verloren ist, muß sich der jiva, der
verkörperte Geist, wiederum dem Rad des Lebens unterwerfen, und zwar gemäß den
Wesenszügen, die ihn während seines Lebens in der Welt gewöhnlich beherrschten,
und besonders jener, der zur Zeit seines Scheidens von dieser Welt machtvoll
hervortreten, denn das Gesetz lautet: „Wo das Herz ist, dahin zieht es den
Geist mit unwiderstehlicher Macht.“ Da sich die wirklich so verhält, ist es für
einen gewöhnlichen verkörperten Geist fast unmöglich, sich über die Sinnesebene
zu erheben und das Gemüt durch eigene Anstrengungen, wie herkulisch sie auch
sein mögen, ohne Hilfe und Führung ruhig und in sich selbst vertieft zu halten.
Nur ein Gottmensch oder die Meisterkraft kann der verkörperten Seele aus
Barmherzigkeit dazu verhelfen, das verlorene Königreich, die spirituelle Ebene,
wiederzugewinnen – jenes Reich, aus dem ein jeder von uns durch Nichtbefolgen
der Gebote Gottes vertrieben wurde. Dieser Weg ist also voll ungeahnter Gefahren,
die bei jedem Schritt auf uns lauern und uns selbst aus unseren innersten Wesen
heraus bedrohen. Daher wird kein vernünftiger Mensch jemals den Versuch wagen,
diesen einsamen und mühevollen Weg zu beschreiten, der eher in eine Sackgasse
führt als zum Ziel.
Wenn
man den zweiten Weg wählt, sucht man einen kompetenten spirituellen Meister,
dessen Einfluß sich auf alle untergeordneten Kräfte in dieser Welt und auf die
höheren Seinsebenen erstreckt. Er kann die karmischen Rechnungen des bankrotten
Geistes begleichen. Von dem Augenblick an, da er einen Menschen als sein eigen
annimmt, nimmt er selbst den Vorgang der Auflösung des endlosen karmischen
Geschehens, das aus unbekannter Vergangenheit herrührt, in die Hände. Er
gebietet dem sinnlosen und leichtfertigen Leben, in das wir uns verloren haben,
Einhalt. „Bis hierher und nicht weiter“, lautet sein Gebot; und dann stellt er
den einzelnen auf die erhabene Straße, die zu Gott führt. Gewöhnlich greift er
in das Schicksalskarma (Pralabdh)
nicht ein, denn wir müssen es notgedrungen so gut wie möglich erfüllen, um
seine Frucht zu ernten und die uns zugewiesene Lebensspanne zu beenden; während er als bewußter
Mitarbeiter am göttlichen Plan das ungeheure Lagerhaus der Speicherkarmas (Sanchit) durch die Verbindung des
Geistes mit dem Lebensfunken von Naam
verbrennt. Diese Berührung mit dem heiligen Wort (Naam) verwandelt das Lager der Vorratskarmas ebenso wie die noch
nicht fruchttragenden Saatkarmas, die wie bisher bewirkt haben, mit einem Mal
zu Asche, gerade wie ein Feuerfunke einen ganzen Wald oder einen Haufen
Brennholz, das auf den Boden liegt, einäschert. Im Pauri 20 des „Jap Ji“, dem
Morgengebet der Sikhs, sagt uns Guru Nanak so schön:
Wenn Hände, Füße und der Körper (mit
Staub) bedeckt sind, werden sie mit Wasser
reingewaschen; sind unsere Kleider schmut-
zig und befleckt, werden sie mit Seife gerei-
nigt; aber wenn das Gemüt von Sünden
beschmutzt ist, kann es nur durch die
Gemeinschaft mit dem Wort Reinheit
erlangen. Durch Worte allein werden
die Menschen nicht zu Heiligen oder Sün-
dern; doch sie tragen ihre Taten mit sich,
wohin sie auch gehen. Wie man sät, so erntet
man. O Nanak, die Menschen kommen und
gehen durch das Rad der Geburten und
Tode, wie es Sein Wille bestimmt.
Daraus
ist nun klar ersichtlich, daß das Gemüt der Hauptmagnet ist, der die Karmas mit
all ihren Begleitumständen anzieht. Das Gemüt übt einen gewaltigen Einfluß auf
den Menschen aus und gebraucht unsere Aufmerksamkeit (Surat) als sein Werkzeug. Diese ist der äußere Ausdruck der uns innewohnenden
Seele und die wertvollste aller ererbten Fähigkeiten des Menschen – das
kostbare Juwel von unermeßlichen Wert.
Die
Meister – Heiligen kommen mit einer göttlichen Aufgabe und Sendung in die Welt.
Sie sind von oben beauftragt, den Menschen aus der karmischen Gebundenheit zu
befreien. Hat man das Glück, einen solchen Heiligen zu finden und unterwirft
man sich seinem Willen, nimmt er den Geist in seine Obhut. Seine erste und
wichtigste Aufgabe ist es, den Zauberbann der karmischen Fangarme zu brechen,
die uns mit tödlichem Griff umklammern. Er rät jedem, ein wohlgeordnetes und
höchst diszipliniertes ethisches Leben zu führen, um der weiteren Aufnahme
übler Einflüsse oder karmischer Eindrücke zu entgehen. Er sagt uns, daß alle
Gaben der Natur, einschließlich der Sinnesobjekte, nur für den rechtmäßigen und
angemessenen Gebrauch gedacht sind und nicht zur Sinnesbefriedigung und zum
Vergnügen. All unsere Schwierigkeiten ergeben sich aus der Tatsache, daß wir
uns den Sinnesfreuden gierig bis zum Überdruß hingeben, mit dem Ergebnis, daß
wir, anstatt uns der weltlichen Genüsse zu erfreuen, gänzlich von ihnen
beherrscht werden und sie uns körperlich und geistig völlig zugrundegerichtet
zurücklassen. Wir vergessen, daß wahres Glück eine Geisteshaltung ist, die von
innen kommt, wenn wir den Lebensstrom (das heilige Wort), der in uns verborgen
liegt, bewußt erwecken und unser „Selbst“ mit dem „Lebensprinzip“ nähren, das
allen Dingen, sichtbar und unsichtbar, innewohnt und das die einzige
Antriebskraft ist, welche das ganze Universum erschafft und erhält. Der
Gottmensch hält Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in seinem mächtigen Griff
und wie ein mitleidsvoller Vater geleitet er seine Kinder auf dem Pfad der
Rechtschaffenheit und Redlichkeit, der sie nach und nach zu Selbsterkenntnis
und Gotterkenntnis führt, wo sie am Ende den Preis der Göttlichkeit erlangen.
Gerade wie ein Kind nicht weiß, was sein Vater von Zeit zu Zeit bereithält, so
weiß ein Strebender (Neophyt) nicht,
was sein himmlischer Vater für ihn tut. Doch indem wir seinem Weg folgen,
können wir die esoterischen Geheimnisse allmählich erfahren, die sich uns dann
mit jedem Schritt von selbst enthüllen.
Was weißt du arme Seele in diesem Körper?
Du bist zu beschränkt und elend,
um auch nur dich selbst zu begreifen.
John Donne
Der Ausweg
Die Art und Weise, wie der Meister das
schwierige und verwirrende Problem der Karmas in Angriff nimmt, wird
nachfolgend kurz erklärt:
Die
Saatkarmas oder Sanchit: Sie liegen
verborgen im Vorratslager und bilden seit endlosen Zeiten, vom Anbeginn der
Welt an, eine Rechnung zu unseren Lasten. Niemand kann ihnen entgehen, solange
sie sich nicht in den unzähligen Lebensläufen, die noch vor uns liegen,
ausgewirkt gaben. Dies müßte auch noch geschehen, ohne daß wir ihnen neues
Karma hinzufügen, was der Natur der Dinge nach eine Unmöglichkeit ist. Es ist
also nicht möglich, diese gewaltige Schuld, die uns belastet, zu begleichen.
Gibt es dann keinen weg, um diesen großen Abgrund, der zwischen Bewußtsein und
Unterbewußtem liegt, zu überbrücken und wiederum die Kluft, die das
Unterbewußte vom Unbewußten trennt, zu überwinden? Für jedes Übel, sei es
spirituell oder weltlich, gibt es ein Heilmittel. Wenn man Samenkörner in eine
Pfanne erhitzt, bis sie platzen, verlieren sie ihr Keimvermögen oder ihre
Fruchtbarkeit, mit anderen Worten, die Kraft zu keimen und Frucht zu tragen.
Auf genau die gleiche Weise können sie Speicherkarmas (Sanchit- Karmas) mit dem Feuer von Naam oder dem Wort versengt oder verbrannt und somit für die Zukunft
unschädlich gemacht werden, denn dann wird man ein bewußter Mitarbeiter am
göttlichen Plan und verliert jede Verbindung mit der unbekannten Vergangenheit.
Schicksalskarmas
oder Pralabdh: Sie bestimmen unser
gegenwärtiges Schicksal und bilden den Bestand und bilden den Bestand oder die
Bestimmung, wie man es nennen mag. Ihre Frucht muß ertragen werden, ganz
gleich, wie bitter oder süß sie ist, denn man kann nicht umhin, das zu ernten,
was man einmal gesät hat. Der Meister überläßt sie darum dem Menschen
unberührt, damit dieser sie mit liebevoller Sanftmut erträgt und im
gegenwärtigen Leben zu Ende bringt. Würden diese Karmas nämlich ausgelöscht
oder auf irgendeine Weise geändert, hätte das die Auflösung des Körpers zur
Folge. Doch der Schüler wird nicht alleine gelassen, wenn er sich mit ihnen
auseinanderzusetzen hat. Sobald der Meister ihn initiiert hat, kümmert sich die
Meisterkraft um den Schüler. Bei jedem Schritt wird ihm ein gutes Stück
geholfen. Durch allmähliche spirituelle Disziplin erlernt er den Vorgang der
Selbstanalyse und des Zurückziehens, und sein Geist gewinnt an Stärke, mit dem
Ergebnis, daß die sonst schmerzlichen Auswirkung dieser Karmas nunmehr
lediglich wie eine sanfte Brise über ihn hinwegwehen und ihn unversehrt lassen.
Sogar bei ernsten und unheilvollen Fällen bringt der Meister sein Gesetz des
Mitgefühls und der Gnade zur Anwendung. Alles Leid des ergebenen Schülers wird
erheblich gemildert und abgeschwächt. Manchmal wird die Intensität körperlicher
und geistiger Nöte ein wenig verstärkt, um die Dauer des damit verbundene
Leides zu verkürzen, während in anderen Fällen ihre Stärke erheblich verringert
und ihre Dauer verlängert wird, wie es jeweils angemessen scheint. Aber das ist
nicht alles. Die Leiden, Nöte und Krankheiten des physischen Körpers rühren von
den Sinnesfreuden her; und physisches Leid muß natürlich vom physischen Körper
ertragen werden. Der Meister als das verkörperte Wort oder der irdische Pol
Gottes weiß alles über seine Schüler, wo sie auch sein mögen, ob weit entfernt
oder ganz nahe. Übernimmt er jedoch durch das Gesetz des Mitgefühls die Karmas
seiner ergebenen Schüler, muß er sie seinen eigenen Schultern aufbürden, denn
das Gesetz der Natur muß auf die eine oder andere Weise erfüllt werden. Dies
geschieht in sehr seltenen Fällen, wenn es der Meister für angebracht hält.
Überdies würde wohl kein Schüler einen Ablauf des Geschehens hinnehmen wollen,
bei dem der Meister für sein Vergehen zu Leiden hätte. Im Gegenteil, der
Schüler muß lernen, aufrichtig zu seinem Meister zu beten. Tut er das, so kann
er gewiß sein, daß ihm alle mögliche Hilfe zuteil wird, die seine Not lindert
oder seine Lage verbessert und das sich ergebende Leid auf ein Mindestmaß
verringert. Und die Seele selber wird außerdem erstarken, wenn sie sich vom
Brot des Lebens ernährt und durch das Wasser des Lebens erhält.
Es
gibt jedoch Dinge, über die der Mensch keine merkliche Kontrolle hat:
1.
die
Süße und die Bitternis des Lebens mit ihren Annehmlichkeiten und
Unannehmlichkeiten sowohl physischer als auch geistiger Art;
2.
Reichtum,
Wohlstand und Macht oder Armut, Elend und niedrigen Stand;
3.
Name
und Ruhm oder schlechten Ruf und völliges Vergessensein.
All
das sind die gewöhnlichen Begleiterscheinungen des Lebens auf Erden, die kommen
und gehen, wie es vorherbestimmt ist. Alle menschlichen Bestrebungen zielen
darauf ab, eine oder mehrere Annehmlichkeiten des Lebens zu erhalten und das
Unangenehme zu umgehen. Dabei erkennen wir nicht, daß das Leben selbst so
flüchtig ist wie eine Wolke, gleich einem Schatten ohne Substanz, ähnlich einer
Fata Morgana oder einem Irrlicht, das immer umherhuscht und sich dem
unachtsamen Wanderer im sengend heißen Wüstensand der Zeit ständig entzieht.
Durch Unterweisung und Übung machen die Meister- Heiligen der verkörperten Seele
(jiva) die trügerische Natur der Welt
und alles Irdischen deutlich und offenbaren in ihm die ewige Quelle des Lebens,
die ihn, wenn er sie gefunden hat, bis ins innerste Mark und alle Fasern seines
Seins erfüllt, die ihm völlige Zufriedenheit schenkt und ihn befähigt, das
Leben selbst mit Freuden aufzugeben.
Saatkarmas
oder Kriyaman: Das sind jene Karmas,
die wir während unseres gegenwärtigen Aufenthalts auf der irdischen Ebene
täglich bewirken. In dieser Hinsicht wird jedem Schüler auferlegt, von jetzt an
ein keusches und reines Leben in Gedanken, Worten und Taten zu führen und sich
allem zu enthalten, was von Übel ist, denn jene Verletzung oder Nichteinhaltung
dieses Gesetzes hat unweigerlich Leid zur Folge, und der Preis der Sünde ist
nichts weniger als der Tod, wahrlich der Tod, an den Wurzeln des Lebens.
Hier
erhebt sich die Frage, wie die Meister- Heiligen manche der karmischen Bürden
der Menschenseele unter außergewöhnlichen und seltenen Umständen auf sich
nehmen und es dabei so einrichten, daß sie von den unangenehmen Auswirkungen
befreit werden. Denn die Karmas, die mit dem physischen Körper verbunden sind,
müssen, wie bereits gesagt, vom physischen Körper ertragen werden.
Gott selbst kleidet sich in des gemeinen
Menschen Fleisch, um schwach genug zu
Sein, Leid zu erdulden.
John Donne
Die
Geschichte gibt uns ein Beispiel aus dem Leben von Baber, dem ersten Mogul-
König Indiens. Sein Sohn Humayun erkrankte schwer, und jeder bangte um sein
Leben. In stillem Mitgefühl betete der König zu Gott, es möge ihm erlaubt
werden, die Krankheit seines Sohnes zu übernehmen, und so seltsam es scheinen
mag, von diesem Augenblick an trat eine Wendung ein; der Prinz begann
allmählich zu genesen, während der König dahinsiechte und starb. Das ist nur
ein einzelnes Beispiel stellvertretenden Leides auf der menschlichen Ebene.
Der
Meister ist eins mit dem Herrn der Barmherzigkeit. In seinem Reich, das
grenzenlos ist, gibt es kein Aufzählen von Taten. In das Göttliche eingebettet,
gewährt er jedem einzelnen die Verbindung mit der erlösenden Rettungsleine im
Innern, die in Zeiten der Pein als Notanker dient. Das Schiff mag in den
stürmischen Wassern des Lebens hin und her geworfen werden, doch da es an der
schwimmenden Boje vertäut ist, kann es nicht untergehen, ungeachtet der
stürmischen Winde und Wasser ringsumher.
Der
Mensch wird unweigerlich gezwungen, die Bühne der Welt blindlings zu betreten,
um einfach die Frucht seines Schicksalskarmas zu ernten, von dem er keinerlei
Kenntnis hat. Er ist sich nicht einmal der Wirkungsweise der physischen Ebene
bewußt, geschweige denn der höheren Ebenen. Mit all seinen Bekenntnissen und
Beteuerungen erweist er Gott nur einen Lippendienst, da er keinen Zugang zu den
göttlichen Bindegliedern im Innern hat, den erlösenden Rettungsleinen: dem
Licht und der Stimme Gottes. Er kennt nicht einmal die Natur seines eigenen,
wahren Selbst und verwendet all seine Zeit für Sinnesfreuden. Er betrachtet
sich selbst nur als Zufallsgeschöpf und lebt auf gut Glück, wie eine bloße
Puppe auf der Bühne des Lebens.
Andererseits
kommt ein Heiliger mit einem Auftrag und einem Ziel. Er ist Gottes Erwählter,
sein Messias und sein Prophet. Er wirkt in seinem Namen und durch die Kraft
seines Wortes. Er hat keinen eigenen, unabhängigen Willen, der vom Willen Gottes
getrennt wäre; und da er sein bewußter Mitarbeiter am göttlichen Plan ist,
sieht er die verborgene Hand Gottes in allem Geschehen des Lebens. Er lebt in
der Zeit und gehört doch in Wahrheit dem Zeitlosen an. Er ist Herr über Leben
und Tod, doch voll Liebe und Mitleid für die leidende Menschheit. Sein Auftrag
ist, jene menschliche Seelen mit Gott zu verbinden, die sich nach
Wiedervereinigung mit ihm sehnen und aufrichtig danach streben. Sein
Tätigkeitsbereich ist ganz verschieden und unabhängig von dem der Avatare, denn diese Verkörperung wirken
nur auf der menschlichen Ebene, und ihre Arbeit ist es, die Welt rechter
Verfassung und in Ordnung zu halten. Lord
Krishna (Soll als Inkarnation des
höchsten Gottes 3000 v. Christus gelebt haben) hat mit unzweideutigen
Worten erklärt, daß er dann in der Welt kommt, wenn das Spiel der Kräfte von
Gut und Böse nicht mehr ausgewogen ist, und daß es sein Ziel ist, das verlorene
Gleichgewicht wieder herzustellen, den Rechtschaffenen zu helfen und die
Ungerechten zu bestrafen. Gleiches können wir im „Ram Chitra Mansa“ über Lord
Rama (Nach den frühen Upanishaden [4. Jh. V. Christus] als Inkarnation Vishnus
verehrt, später als höchster Gott gewürdigt) lesen. Er verkörperte sich
erneut, als das Übel in der Welt im Zunehmen war. Die Avatare kommen, um die Gerechtigkeit wieder herzustellen. Sie
können jedoch nicht die Gefängnistore der Welt öffnen, um die verkörperten
Seelen herauszulassen und in die spirituellen Ebenen zu bringen. Diese Aufgabe
fällt gänzlich in den Bereich der Heiligen, die als bewußte Mitarbeiter der
Gotteskraft am göttlichen Plan mitwirken und einzig die Verehrung des
Göttlichen lehren, denn diese allein setzt den Auswirkungen des Karmas ein
Ende. Ein Moslem- Heiliger sagte:
Zuletzt kam ans Licht, daß im Reich
der Meisterheiligen (Darveshs) Karmas
nicht zählen.
Und
wiederum heißt es:
Ein Meister-Heiliger verjagt die Karmas,
die wie Schakale vor einem Löwen entfliehen.
Keiner
vermag den Folgen seiner Taten zu entgehen, nicht einmal Gespenster und Geister,
weder Riesen noch Dämonen (Kinnars
[Wesen, halb Mensch, halb Tier], Yakshas [Geiste], Gandharvas [Singende
Halbgötter]) oder Götter (Devas). Jene mit leuchtenden, astralen
und ätherischen Körpern erfreuen sich der Früchte ihrer Taten in der Region der
dritten großen Ebene (Brahmand) über
den beiden ersten (Pind und And). Auch sie warten auf eine
menschliche Geburt und streben sie an, um der Gewalt der karmischen
Rückwirkungen zu entgehen; denn allein durch die menschliche Geburt haben sie
die Möglichkeit, mit einem Gottmenschen in Verbindung zu treten, der ihnen das
Geheimnis des göttlichen Pfades, den Tonstrom
oder das heilige Wort, offenbaren
kann.
Ein
Mensch bräuchte viele Jahre geduldiger Meditation, wollte er fähig sein, das
System von Gottes mächtiger Herrschaft in gewissem Ausmaß zu verstehen; und dem
forschenden Sucher kann auf dieser Stufe nur sehr wenig gesagt werden. Es ist
ebenso schwierig, einen wahren spirituellen Meister zu verstehen. Doch bei all
dem spielt ein Heiliger (Sant),
während er auf der Welt weilt, gewöhnlich die normale Rolle eines Menschen und
spricht von sich selbst stets als von einem Sklaven, Leibeigenen und Diener
Gottes und seines Volkes.
Wenn
ein Meister- Heiliger die Lasten der Karmas ergebener Seelen auf seine
Schultern nimmt, übergeht oder beseitigt er deswegen nicht das höchste Gesetz.
Man kann seine Stellung mit der eines verkleideten Königs vergleichen, der
sich, um die Lage seiner Untertanen zu verbessern, freiwillig unter sie mischt,
um ihre Schwierigkeiten zu verstehen und zuzeiten auch ihre Freuden und Sorgen
zu teilen. Soweit es den menschlichen Körper betrifft, macht ein Meister-
Heiliger von einem besonderen göttlichen Zugeständnis Gebrauch. Kurz gesagt,
kann er den Tod durch die Guillotine in einen Dornenstich verwandeln. Manchmal
erlaubt er seinen Körper in geringem Ausmaß das zu erleiden, was für einen
gewöhnlichen Menschen eine große Qual gewesen wäre. Er zeigt den Menschen, daß
alle Körper leiden, denn dementsprechend lautet das Naturgesetz für alle verkörperten
Geschöpfe. „Das physische Leben ist nur Trübsal“, erklärte Sakya Muni, Lord Buddha (Erleuchteter, soll im 7. Jahrhundert v.
Christus gelebt haben). Auch der heilige Kabir (Berühmter indischer Heiliger
des Surat Shabd Yoga) sagte, daß er noch keinen einzigen Menschen gesehen habe,
der glücklich war; jeder, dem er zufällig begegnete, befand sich in irgendeiner
Not. Guru Nanak (Erster Guru der Sikhs, lehrte, daß der weg zu Gott für alle
Menschen der gleiche ist) zeichnet uns ein anschauliches Bild einer Welt voller
Sorgen und Leiden, ausgenommen davon jene seltenen Menschen, die bei Naam Zuflucht gefunden hatten. Durch
diese traurige Erfahrung um uns herum halten wir den Gottmenschen für einen
gewöhnlichen Sterblichen, wie wir es sind. Indem er körperlichen „Schmerz“
erduldet, bekleidet er allem äußeren Anschein nach die Rolle eines Menschen,
doch innerlich ist er immer vom physischen Körper getrennt. Die ständige
Verbindung mit Gott im Innern ermöglicht ihm, dem zu entgehen, was für den
Schüler ein unerträglicher Schmerz wäre.
Jeder,
der auf diesen Pfad gesellt wurde und sich mit dem Prozeß der Umkehr
beschäftigt, kann seine Sinnesströme vom Körper zurückziehen, indem er sich am
Zentrum hinter den Augen sammelt. Die zeit mag verschieden sein, die der einzelne
Mensch jeweils benötigt, um dieses Ziel zu erreichen, aber die Ergebnisse
folgen mit Sicherheit und sind in jedem Fall nachweisbar. Die ergebenen Schüler
auf diesem Pfad lehnen selbst auf dem Operationstisch die dem Patienten
normalerweise verabreichten Betäubungsmittel freiwillig ab. Sie ziehen ihr
Bewußtsein vom Körper zurück und spüren somit nicht die Auswirkungen des
Messers oder Skalpells des Chirurgen. Von Bhai
Mani Singh, der durch Abschneiden aller Gelenke zum Tode verurteilt worden
war, wird berichtet, daß er dem Vorgang nicht nur lächelnd zustimmte, sondern
auch gegen den Schafrichter Einspruch erhob, als dieser versuchte, sich der
schädlichen Aufgabe zu entledigen und kurzen Prozeß zu machen, indem er die
Glieder Stück für Stück abtrennte, statt Gelenk für Gelenk, wie ihm befohlen
worden war.
Die
Initiierten des Meisters (Satsangis),
welche die Dinge mit offenen Augen betrachten, begegnen sehr oft derartigen
Fällen. Jene Seele, die einen inneren Zugang haben, bleiben in das große Selbst
im Innern vertieft und stellen ihre Fähigkeit nicht zur Schau. Dieses Gesetz
bewährt sich aus dem einfachen Grund, daß Heldentaten wie diese oft darauf
angelegt sind, als Wunder zu gelten und daher gewissenhaft zu vermeiden sind.
Heilige zeigen keine Wunder und erlauben auch keinem ihrer Schüler, sich solch
prahlerischem und sinnlosem Blendwerk hinzugeben.
Wenn
Heilige scheinbar krank sind, kann man im allgemeinen sehen, daß sie vom Arzt
verordnete Arzneien einnehmen, aber in Wirklichkeit brauchen sie eine solche Behandlung
nicht. Sie tun das nur, um die Gesetze der Welt zu beachten. Auf diese Weise
geben sie den Menschen ein Beispiel, den üblichen weltlichen Weg mit Klugheit
beizubehalten und sich einer richtigen Behandlung zu unterziehen, falls es
nötig ist. Natürlich wird vom Schüler erwartet, Medikamente zu verwenden, die
keinerlei Produkte und Substanzen tierischen Ursprungs enthalten; doch manche
Schüler, die einen unerschütterlichen Glauben an die gütige Kraft des Meister-
Heilenden im Innern haben, vermeiden gewöhnlich auch die sogenannte
„Heilmaßnahmen“ und erlauben der Natur, durch sich selbst zu wirken, denn die
heilende Kraft im Innern ist ein wesentlicher Bestandteil des menschlichen
Systems. Die körperlichen Störungen, die manchmal auftreten, sollten frohen
Mutes angenommen und ertragen werden, denn sie sind im allgemeinen das Ergebnis
unserer eigenen Ernährungsfehler und sind durch rechte hygienische Maßnahmen
und ausgewählte Nahrung wieder behebbar. Hippokrates, der Vater der
medizinischen Wissenschaften, betonte mit Nachdruck, daß die Nahrung als
Medizin betrachtet werden sollte. Selbst schwere Erkrankungen, die von
karmischen Rückwirkungen herrühren, sollten ohne Murren oder Bitterkeit mit
Geduld ertragen werden, denn alle karmischen Schulden müssen bezahlt und die
Rechnungen hier und jetzt beglichen werden. Es ist besser, dies möglichst
schnell geschehen zu lassen, anstatt noch irgendwelche offene Posten zur
späteren Bezahlung stehen zu lassen. Es wird berichtet, daß zur Zeit Hazrat
Mian Mirs, eines frommen Moslems und Mystikers, sein Schüler Abdullah, als er
mit einem Leiden darniederlag, seine Sinnesströme zum Augenbrennpunkt zurückzog
und sich sicher in der Zitadelle des Friedens einschloß. Da zog er sich
unversehrt in die Zitadelle des Friedens zurück. Als ihn sein Meister Mian Mir
besuchte, holte er Abdullah ins Körperbewußtsein zurück und gebot ihm, zu
bezahlen, was er schuldig sei, denn durch eine solche Taktik könne er sich der
Bezahlung nicht auf unbegrenzte Zeit entziehen.
Im
Gegensatz zu den meisten von uns wenden die Meister- Heiligen nicht viel Zeit
für die Pflege und Bedürfnisse des Körpers auf. Sie betrachten das physische
Kleid als bloßen Lumpen, der eines Tages weggeworfen wird. Wenn es nötig ist,
leisten sie schwere körperliche und geistige Arbeit, ohne sich niederlegen oder
ausruhen zu wollen, und bleiben ohne jede Unterbrechung viele Nächte lang wach.
Solche erstaunlichen Leistungen geben der modernen Wissenschaft Rätsel auf,
doch für die Heiligen sind sie etwas Alltägliches, denn sie sind mit den
höheren Naturgesetzen vertraut, von denen wir keinerlei Kenntnis haben, und
machen von ihnen Gebrauch. Handlungen oder Karmas können als persönliches Karma
oder Gruppenkarma eingeordnet werden. Letztere sind Karmas, die von einer
Gemeinschaft oder einem Volk als Ganzes ausgeführt und als Dharma bezeichnet werden. Wie ein einzelner die Früchte seiner
eigenen Karmas (Handlungen) erträgt, so auch eine Gemeinschaft, denn auch sie
muß die Auswirkung der allgemeinen Politik, die sie verfolgt, hinnehmen. Das
führt dazu, daß auch unschuldige Menschen unter den Mißständen zu leiden haben,
die aus dem falsch erdachten Gruppenkarma (Dharma)
der Gemeinschaft, der sie angehören, entstehen. Als der persische Schah Nadir
in Indien einfiel und ein allgemeines Blutbad unter der Bevölkerung Delhis
befahl, war das ganze Volk bestürzt, und man glaubte, daß die sozialen
Mißstände des Volkes die Gestalt Nadirs angenommen hätten. Die gerechte
Vergeltung aller begangenen Sünden und Versäumnisse liegt im Wesenskern der Naturgesetze
begründet, und die Bestrafung sucht uns in der einen oder anderen Gestalt heim,
ob man diese Kraft nun Rachegöttinnen, Eumeniden oder wie auch immer nennt.
Der Weg der Heiligen
Die
Schriften berichten uns die treffende Geschichte von König Parikshat, der
gehört hatte, daß einer, der den Vortrag aus dem Bhagwat, einem heiligen Text, durch einen Schriftgelehrten (Pandit) vernähme, zu einer erlösten
Seele (jivan mukat) würde, zu einem
Menschen, der von jeder Gebundenheit frei ist. Eines Tages rief er seinen
Hofpriester zu sich und bat ihn, den erhebenden Text des Bhagawat zu
rezitieren, damit er von der Gebundenheit durch Gemüt und Materie frei würde.
Und er befahl, den Priester zu erhängen, falls sein Vortrag nicht die
Richtigkeit der heiligen Lehren bestätigen sollte. Da der Priester nicht besser
als irgendeiner von uns war, erschrak er sehr , denn er sah sich bereits im
Angesicht des Todes, weil er sehr wohl wußte, daß er dem König nicht zu helfen
vermochte, die Erlösung zu erlangen. Niedergeschlagen und über das ihm drohende
Verhängnis zutiefst besorgt kam er nach Hause zurück. Am Vorabend des Tages,
der für ihn die Rezitation des heiligen Textes bestimmt war, fühlte sich der
Priester halbtot vor Angst. Zu seinem Glück hatte er eine sehr kluge Tochter.
Auf ihre dringenden Bitten hin vertraute er ihr den Grund seiner unglücklichen
Lage an. Seine Tochter tröstete ihn und versprach, ihn vor dem Galgen zu
retten, wenn er ihr erlaube, ihn am nächsten Tag zum König zu begleiten. So
ging sie am folgenden Tag mit ihrem Vater zum Königshof. Sie erkundigte sich,
ob der König Befreiung von der Gebundenheit an die Welt wünsche, was er
bejahte. Sie sagte dem König, daß sie ihm helfen könne, seinen tief gehegten
Wunsch zu erfüllen, wenn er ihrem Rat folge und ihr erlaube, zu tun, was immer
sie wolle. Sie brachte nun den König und ihren Vater in den Dschungel und band
jeden mit einem starken Seil an einem anderen Baum fest. Dann forderte sie den
König auf, seinen Priester loszubinden und zu befreien. Der König gestand seine
Hilflosigkeit ein; das könne er nicht, weil er doch selbst festgebunden sei.
Daraufhin erklärte ihm das Mädchen, daß einer, der sich selbst in der
Gebundenheit Mayas, der Täuschung, befände, einen anderen nicht aus eben diesen
fesseln lösen könne. Das Aufsagen des Bhagawat
(Gemeint ist das Bhagawat gita, das
„Lied des Erhabenen“, eines der heiligen Bücher Indiens [etwa 300 v. Christus].
Epos in Form eines Zwiegesprächs zwischen Krishna und Arjuna, seinem Schüler)
könne sicherlich die magische Umhüllung der Täuschung zerbrechen, wenn es durch
einen befreiten Menschen geschähe, der selbst die Täuschung durchbrochen hat;
und so solle der König nicht von seinem königlichen Priester die Befreiung
erwarten, der genauso gefesselt sei wie er selbst. Nur einer, der nicht im
Spinnengewebe des Karmas verstrickt ist, besitzt die Fähigkeit, andere gleich
sich selbst aus dem tödlichen karmischen Kreislauf zu befreien.
Das
zeigt also, daß das bloße Studium der Schriften nicht viel dabei hilft, die
Erlösung (Moksha) zu erlangen, denn
sie ist eine rein praktische Angelegenheit; und nur wenn man von einem fähigen
Adepten in dieser Wissenschaft geführt wird, erhält man die rechte Unterweisung
und gelangt zur Vollendung. Der vollkommene meister (Murshid-i-Kamil) muß als erstes die Teile der zerbrochenen Tafel
des Gemüts wieder zusammenfügen, die durch unsere zahllosen Wünsche und
Sehnsüchte zersprang, und sie zu einem vollständigen Ganzen machen. Dann
poliert er sie durch und durch, bis sie so rein ist, daß sie das Licht und die
Herrlichkeit Gottes widerzuspiegeln vermag. Dies ist durch keine noch so große
Buchgelehrsamkeit zu vollbringen.
Natürlich
kann man die wahre Bedeutung der Schriften nicht erkennen und verstehen, bis
sie einem von einer Meisterseele erklärt werden, die in der Werkstätte ihres
eigenen Geistes eben das erfahren hat, wovon die Schriften berichten. Somit
kann sie den Schüler aus eigener persönlicher Erfahrung in den höchsten
esoterischen Lehren unterweisen und leiten, die uns die Schriften lediglich als
knappe Sinnsprüche wiedergeben, die den Verstand nur verwirren, der in seinem
Umfang und Fassungsvermögen doch recht begrenzt ist. Darum heißt es: „In der
Gesellschaft einer geschulten Seele (Sadh)
kann man Gott leicht erkennen.“ Nur eine befreite Seele vermag eine andere
Seele zu befreien und niemand sonst. In diesem Zusammenhang heißt es:
Das Studium der Veden, der Puranas
und der Etymologie führt zu nichts.
Ohne die Ausübung des heiligen Wortes
verbleibt man immer in tiefster Dunkelheit.
Ein
Mensch, der die Verwirklichung selbst erfahren hat, umfaßt alle Schriften und
noch weit mehr als sie, die bestenfalls die theoretische Seite der lehren in
feinsinniger Sprache enthalten, doch die Idee selbst nicht wörtlich erklären
oder eine tatsächliche Erfahrung vermitteln können, wie es der Meister vermag.
Jeder
versucht heutzutage die Schuld oder Ursache seines Mißgeschicks auf die
„heutigen Zeiten“ zu schieben, und diese Klage ist die größte aller Zeiten. Die
gegenwärtige wie auch die zukünftige Zeit gehört uns genausowenig wie die
Vergangenheit. Diese Welt ist ein gewaltiges magnetisches Feld, und je mehr wir
uns mühen, ihm zu entkommen, desto mehr werden wir in ihm gefangen und in
seinem Netzwerk verstrickt. Der Mensch tanzt in dem Netz und glaubt, daß ihn keiner
sähe. Der Kluge empfindet das Netz wohl, doch er weiß nicht, wo er sich
unbekümmert niederlassen kann. So dreht sich das gewaltige Schwungrad der
karmischen Mühle, dieses gigantische Rad des Lebens, leise und unaufhörlich und
zerstampfte alles gleicherweise langsam, doch unverkennbar entzwei. Die Mühle
der Natur mahlt langsam, aber sicher. Manche empfinden es und sagen: „Es
scheint, daß die Natur den Menschen schuf und dann die Form zerbrach.“
Keiner
jedoch versucht, das Warum und Wofür der Dinge, Ereignisse und Begebenheiten zu
durchschauen, denn voll Selbstzufriedenheit nehmen wir ungefragt alles so hin,
wie es der Lauf der Zeit mit sich bringt. Wir versuchen nicht, tief in die
Dinge einzudringen, um die Glieder der Kette aufzuspüren, die zu dem führen,
was wir sehen, spüren und erleben. Jeder vergißt bei seinem Umgang mit anderen,
daß er einfach für alles in der Welt zu bezahlen hat. Sogar die Gaben der Natur
wie Raum, Licht und Luft usw. sind nicht allen gleicherweise frei und in
beliebigem Ausmaß verfügbar. Aber jeder hält sich selbst für den einzigen und
alleinigen Treuhänder der freien Gaben Gottes. Er versucht, so tolerant als
möglich zu sein, stößt auf einzelne schlecht gefaßte Diamanten (Menschen) und
wird durch das „Gesetz des Gebens und Nehmens“ berührt. Nur nach harten
Schlägen lernen wir, daß die Waagschale keinen Unterschied zwischen Gold und
Blei machen, sondern nur auf das tote Gewicht reagieren. Ein jeder weiß, daß
man den Nebel nicht mit einem Fächer vertreiben kann, und doch versuchen wir es
und machen dadurch die Verwirrung nur noch schlimmer. Ein Mensch, dessen Hände
und Füße in der endlosen Kette von Ursache und Wirkung gebunden sind, kann
andere nicht befreien. Wenn jeder in der Welt in tiefem Schlaf liegt, wer soll
dann wen aufwecken? Nur ein befreiter Mensch kann andere befreien, wenn er sich
dazu entscheidet, denn die Sünden und Unterlassungen, die wir begehen,
entsprechen dem Wesen des Naturgesetzes und suchen den Täter früher oder später
in der einen oder anderen Form heim.
Wenn
man Vögel im Käfig hält und Haustiere Halsbänder umlegt, sie an die kette legt
und einsperrt, setzt man zu Unrecht voraus, daß diese armen, wehrlosen Tiere
keinen Gerichtshof haben, um ihre Klage vorzubringen. Manche glauben, ein recht
zu haben, sie so zu behandeln, wie es ihnen gefällt. Sie schrecken weder davon
zurück, sie zu töten, noch zollen sie der allgemeingültigen Wahrheit „Wie du
säst, so wirst du ernten“ irgendeine Beachtung. Doch Unkenntnis des Gesetzes
ist keine Entschuldigung. Jedes Unrecht muß bestraft werden. Wer mordet, der
wird selbst getötet. Wer durch das Schwert lebt, wird durch das Schwert
umkommen. Man muß „Auge um Auge und Zahn um Zahn“ bezahlen, was heutzutage
genauso zutrifft wie zur Zeit von Moses. Wir feiern unsere Feste zweifellos
sehr fröhlich, bis die furchtbare Abrechnung kommt. Wir mögen unsere Augen vor
den Naturgesetzen schließen oder unser Vertrauen in die Wirksamkeit der
priesterlichen Hilfe setzen, doch es wird vergebens sein. Für Töten, Blutsaugen
und dergleichen muß man einen hohen Tribut entrichten. Jene, die vom Blut
anderer leben und gedeihen, können kein reines Herz haben und noch weniger
Zugang zum Himmelreich.
„Selig sind, die reinen Herzen sind,
denn sie werden Gott schauen.“
Die
Heiligen sagen, daß der Mensch den höchsten Platz in Gottes Schöpfung einnimmt,
daß er mit einem hervorragenden Verstand begabt ist und die begrenzte Spanne
seines Lebens daher nicht wie andere Geschöpfe blindlings vorüberziehen lassen
darf. Er sollte die goldene Gelegenheit, die er erhielt, um in die Arme Gottes
und in seine ursprüngliche Heimat zurückzukehren, nicht versäumen. Solch eine
unvergleichliche Gelegenheit erhält man nur, wenn man das Weltenschauspiel ganz
durchblickt und seine Rolle im großen Drama des Lebens erfolgreich zu Ende
gespielt hat. Im allgemeinen verstrickt sich der Mensch in die Reize dieser
Welt. Wenn das geschieht, verliert er unter dem überwältigenden Einfluß der
karmischen Rückwirkung nach Myriaden von Verkörperungen die einzige
Gelegenheit, die er zur Rückkehr in die immerwährende Region des reinen Geistes
erhielt. In endloser Folge hat er einen Körper nach dem anderen erhalten. Und
allmählich beginnt er das Gewicht aller Arten von Gesetzen zu empfinden, seien
sie sozialer, körperlicher oder natürlicher Art, die seinen Weg bei jedem
Schritt gleich unüberwindlichen Hindernisse versperren. Es bleibt ihm keine
andere Wahl, als darauf zu warten, bis er wieder als Mensch geboren wird. Und
wer weiß, wann das sein mag?
Die
Heiligen bezeichnen die Sünde ganz einfach als Vergessen des Ursprungs oder
Gottes. Jeder Gedanke, jedes Wort oder jede tat, die uns von Gott fernhält, ist
wahrlich Sünde; und was auch immer den Menschen Ihm näher bringt, ist im
Gegensatz dazu gottesfürchtig und heilig. Ein persischer Heiliger sagte,
während er sich über die Natur der Welt äußerte: „Die Welt kommt nur ins Spiel,
wenn man den Herrn vergißt. Durch die beständige Erinnerung an Gott ist man,
während man mit Freunden und Verwandten in der Welt lebt, doch nicht von der
Welt.“
Die
meisten Sünden, ob grober oder feiner Art, sind reine Einbildung des Menschen
unter dem Einfluß seines Gemüts. Die feineren Sünden werden von den Heiligen
den lebenden Verkörperungen von Gottes Gesetzes der Liebe und Barmherzigkeit auf Erden, als „verzeihliche Schwächen“
betrachtet. Solange ein Mensch als Geschöpf handelt, das von seinem eigenen
Willen geleitet wird, unterwirft er sich selbst all den Gesetzen und ihren
Härten. Doch wenn man seinen selbstbestimmten Willen dem eines Gottesmenschen
unterwirft, kommt man unter den Einfluß von Gottes Gnade und Liebe. Das ist die
rechte Einstellung zu den Sünden des täglichen Lebens.
Karmas
sind die ansteckendste Form unsichtbarer Krankheiten, denen der Mensch immer
ausgesetzt ist. Sie wirken sogar schneller, verheerender und zerstörerischer
als die tödlichsten und giftigsten Keime, die in die innersten Zellen des
menschlichen Körpers gelangen und sich ganz heimlich ins Blutsystem
einschleichen. In der Gemeinschaft wirken sich die Karmas zunächst sehr stark
in Form einer Änderung des Standpunktes und der Gedanken jener aus, die
angeblich die öffentliche Meinung bilden. Dann beeinflussen sie unsere
Gemütsverfassung und Laune und wurzeln sich schließlich in Form von
Gewohnheiten ein, die dem Menschen zur „zweiten Natur“ werden. Die Vorfahren
und Alten waren daher immer auf der Hut und rieten uns, schlechte Gesellschaft
zu meiden. „Gute Gesellschaft bringt Gutes und schlechte nur Übles hervor.“ Man
kann einen Menschen ganz deutlich an seinen Umgang erkennen.
Um
all diesen Schwierigkeiten die Krone aufzusetzen, muß man unwissentlich sogar
an den karmischen Reaktionen der eigenen Familie teilhaben, in der man geboren
und aufgewachsen ist. Somit spielen Tugend und Laster eine wesentliche Rolle
beim Aufbau der Kultur. Auf diese Weise nehmen wir täglich und stündlich Karmas
aus unserer Umgebung auf. Der einzige Weg, den karmischen Einfluß zu entgehen,
ist, mit der Hilfe von frommen Heiligen am Gottespfad festzuhalten. Denn diese
sind fest im Höchsten verankert und stehen weit über der Reichweite der Karmas;
sie sind in der Tat erlöste Seelen und frei von Karma. Es heißt, daß man im
Reich eines wahren Gottmenschen (Darvesh)
keine Rechenschaft über seine Karmas abzulegen braucht. Wer sich in die
Gemeinschaft eines Heiligen (Sadhu)
begibt, der wendet sich dem Besseren zu. Der Mensch neigt jedoch ganz natürlich
dazu, eher das Übel anzunehmen als die grenzenlose Güte der Heiligen. Die
Gemeinschaft mit einem Heiligen hat die wunderbare Wirkung, alle üblen
Eindrücke zu beseitigen. Der atmosphärische Wirkungsbereich eines Meister-
Heiligen ist von einer solch grenzenlosen Weite, daß man es sich kaum
vorstellen kann. Die Heiligen kommen nicht nur zum Wohl der Menschen, sondern
zum Nutzen der lebendigen und leblosen Schöpfung auf allen Ebenen der Welt, ob
sichtbar oder unsichtbar. Das arme Geschöpf namens Mensch hat keinen wahren
Freund. Selbst das Gemüt mit den drei Eigenschaften (Gunas) von Reinheit (Satva),
Tätigkeit (Rajas) und Trägheit (Tamas), das stets als Komplize des
Menschen wirkt, schaut auf ihn genau wie eine Katze, die ihren ruhelosen Blick
auf eine Ratte wirft. Jene, die den Befehlen ihres Gemüts gehorchen, werden
beständig von seinen Tücken beherrscht und liefern sich unsäglicher Not und
qualvollen Schrecken aus. Das „Gemüt“ jedoch fürchtet dies, denen Gott durch
seinen Mittler, den Gottmenschen (Satguru),
wohlgesonnen ist. Das Gemüt wagt es nicht, die Privilegien und Rechte jener,
die Er liebt und die sein eigen sind, zu verletzen, es hilft ihnen vielmehr wie
ein ergebener Mitarbeiter, der den Weisungen seines Vorgesetzten Folge leistet.
Wie das Feuer ist es ein guter Diener, aber ein schlechter Herr:
In der Gemeinschaft eines Sadh
hat man nichts zu bereuen;
in seiner Gemeinschaft erkennt man
den Herrn und folgt ihm getreulich;
in seiner Gemeinschaft erlangt man
der Gottheit höchste Gabe.
Darum
betonte Guru Nanak mit Nachdruck:
O Nanak! Reiße all die vergänglichen Bande
der Welt entzwei und mache dich auf die
Suche nach dem wahren Einen. Während
alle anderen dich schon in deinem Leben
verlassen, wird der wahre Eine
dich sogar ins Jenseits begleiten.
Und
wiederum:
O Seele, sei gewiß, daß der Gottmensch dir
vor dem Richterstuhl Gottes beistehen wird.
Baba
Farid, ein Moslem- Heiliger, sagt auf fast die gleiche Weise:
O Farid! Begib dich eilends auf die Suche
nach einem Befreiten, denn nur er kann dich
(von der Bindung an die Welt) befreien.
Und
wieder:
Das stets ruhelose Gemüt findet keinen
Frieden, bis es in einem Gottmenschen ruht.
Im
Gurbani (Lehren der Gurus, Berichte von
Heiligen) lesen wir:
In der Gemeinschaft mit einem Sadh
wird den umherwandernden Gedanken
Einhalt geboten; allein der beruhigte Geist
kann das Licht des Herrn widerspiegeln.
Jeder
Mensch ist in den unsichtbaren Fesseln der Karmas physisch und geistig gebunden.
Solange einer dem Einfluß von Gemüt und Materie unterworfen ist und nicht den
Schutz eines Heiligen gesucht hat, wird er von allen Gesetzen der verschiedenen
Ebenen beherrscht, und es wird ihm die reine und einfache Gerechtigkeit zuteil,
ungemildert durch Barmherzigkeit. Er unterliegt der Bestrafung für alle seine
Sünden – der unbedachten, ungenannten und subtilen. Ein Freund beim Gerichtshof
kann in der Lage sein, das lange und qualvolle Verfahren abzukürzen, aber vor
dem Richterstuhl des Höchsten ist der Meister- heilige zur Zeit des Gerichts
der einzige wahre Freund. Im Jap Ji
erklärt Guru Nanak:
Der Heilige ist der höchste Erwählte
und geachtet in seinem Reich,
er ziert die Schwelle zu Gottes Tür
und wird selbst von Königen verehrt.
Und
wiederum:
Der Satguru hat mir die Gabe der Einsicht
verliehen, und ich sehe all meine Zweifel
beseitigt. Der Engel des Todes kann mir kein
Leid mehr bereiten, da der Bericht
über meine taten ausgelöscht ist.
Der
Pfad der Heiligen führt in eine ganz andere Richtung. Für den Initiierten gibt
es keinen Gerichtshof. Der Heilige ist überall gegenwärtig, und sein Einfluß
erstreckt sich auf ungeahnte Bereiche. Niemals verläßt noch versäumt er seine
Schüler, bis an der Welt Ende. Er versichert uns feierlich:
Jedermann, ich will mit dir gehen
und dein Führer sein; in der größten Not
will ich dir zur Seite stehen.
Aus
„Jedermann“ von Hofmansthal
Wie
ein gütiger und wohlwollender Vater wird er das irrende Kind selbst
zurechtweisen, aber es niemals der Polizei zur Bestrafung übergeben.
Keiner
ist mehr gebunden als einer, der zu Unrecht glaubt, frei zu sein. Die Falle für
den hochgeborenen Geist ist der Ehrgeiz. Jene, die im weltlichen Sinn des
Wortes reich sind, scheinen bequem zu leben. Sie mögen in der Vergangenheit
manche gute Saat gesät haben und ernten in der Gegenwart offensichtlich eine
reiche Ernte, oder sie handeln jetzt nach dem Grundsatz: horten, raffen, an
sich reißen, und bauen sich somit ein Hornissennest für die Zukunft. Alle diese
Menschen, die im Überfluß leben, vergessen unglücklicherweise, daß sie in jedem
Fall durch „unsichtbare Fesseln aus Gold“ gebunden sind und Leid entgehen, ohne
es zu wissen.
Ein
bekanntes Sprichwort sagt, daß die Paläste und Mauern der Mächtigen mit dem
Schweiß und den Tränen der Armen errichtet wurden. Wenn man in der
Vergangenheit nicht Gutes gesät hat, kann man in der lebendigen Gegenwart keine
reiche Ernte einbringen. Es kann auch sein, daß man unmerklich und für keinen
sichtbar die Last einer Schuld mit sich trägt. Sät man jetzt gute Saaten, wie
kann man dann erwarten, daß man später imstande ist, gute Früchte zu genießen,
und für wie lange?
Darüber
hinaus können einen gute Taten allein nicht von den Rückwirkungen schlechten
Tuns befreien, geradeso wie schmutziges Wasser nichts reinwaschen kann. Wie ein
christlicher Heiliger sagt, wir sind bei all unserer Rechtschaffenheit nichts
als unreine Knechte. Keiner ist rein, nein, auch nicht einer. Der Mensch
unterliegt immer dem Gesetz des Gebens und Nehmens oder der Belohnung und Bestrafung.
Dem Weg des guten Handelns zu folgen ist fraglos etwas Wünschenswertes und
besser als der Weg übler Taten, aber das ist nicht genug. Ein hohes ethisches
Leben kann den Aufenthalt im Paradies für eine lange Zeit sichern, wo er sich
in aller Wonne der himmlischen Glückseligkeit erfreut, aber auch dort ist er
noch im astralen oder kausalen Körper gefangen und hat sich noch nicht vom
Kreislauf der Geburten und Tode befreit. Solange man sich als den Handelnden
betrachtet, kann man dem Rad der Geburten nicht entkommen und hat die Früchte
seines Handelns zu ertragen. Einzig die Verbindung mit dem Heiligen Geist, dem heiligen Wort oder Naam hilft dem Menschen bei seinem
Aufstieg zu den höheren spirituellen Regionen, weit entfernt von den Geistern
derer, die immer wieder Geburt und Tod erleiden und sich in endlosem Kreislauf
auf- und abbewegen, ohne einen Ausweg zu finden.
Hölle
und Himmel sind die Regionen, in denen die ohne Körper lebenden Geister relativ
lange Zeit, entsprechend ihren guten und schlechten Taten, wie der Fall gerade
liegt, zu bleiben haben. Wie lange sie sich dort auch aufhalten müssen, es ist
nicht für immer und löst sie auch nicht aus dem unerbittlichen Kreislauf der
Geburten und Tode heraus. Das Paradies, auch Himmel oder Garten Eden genannt,
ist das Eldorado gewisser Glaubensgemeinschaften. Von vielen wird es auch als
Erlösung bezeichnet. Das ändert nichts an der Tatsache, daß man wieder einen
menschlichen Körper erhält, nachdem man die Wohltaten des Paradieses für eine
Zeitspanne genossen hat, die durch die eigene guten Taten bestimmt wurde; denn der irdische Körper allein bietet der
Seele die Gelegenheit, jene Verdienste zu erwerben, die schließlich zur
Befreiung führen. Selbst die Engel als Diener Gottes streben nach der
menschlichen Geburt, wenn sie glauben, ihre Aufgabe erfüllt zu haben. Wenn wir
also dem allgemein anerkannten und für richtig befundenen Pfad des guten
Handelns folgen, an den die meisten von uns glauben, findet man sich letztlich
wiederum im Netz der unersättlichen Begierden und des Ehrgeizes verstrickt; und
mit diesem glitzernden und stets flüchtigen Irrlicht vor Augen bleibt der
Mensch unwissentlich im stählernen Griff der Karmas gefangen. Um sein Ziel zu
erreichen, verrichtet er verschiedene Arten asketischer Härten und Bußübungen (Tapas), die ihm zu einem besseren Leben
verhelfen sollen. Und gewinnt er die Herrschaft über ein Königreich, läßt er
seinem Gemüt freien Lauf, setzt sich über alle Schranken hinweg und vollbringt
gewaltige Heldentaten großer Tapferkeit, von denen die meisten schlimm genug
sind, ihn in die Hölle zu bringen. Nachdem er die bittere Lektion der
Höllenfeuer erfahren hat, in die er sich gestürzt hat, versucht er von neuem,
in den Bußübungen Trost zu finden. So bleibt er immer gefangen und in den
unheilvollen Kreislauf der Versuchungen und Verlockungen verstrickt, der ihn
von der Hölle zur Buße, von den Bußübungen zur Herrschaft und von dort wieder
in die Hölle führt – immer wieder aufs neue in der Gestalt eines endlosen
Kreislaufs, der ihn auf dem Rad des Lebens aufwärts und abwärts trägt. So
schafft sich jeder selbst Himmel und Hölle und bleibt durch die eigenen üblen
Taten in das feinmaschige Netz des Lebens verstrickt, das er sich selbst gewebt
hat.
Wer
dem Weg der Heiligen folgt, dem mittleren Pfad, der genau zwischen den beiden
Augenbrauen beginnt, kommt mit den Regionen von Hölle und Paradies nicht in
Berührung, denn er umgeht den Pfad des Karma- Yogi, der durch selbstlose
soziale Arbeit frei wird von Bindungen. Selbst wenn eine Seele, die unter dem
Schutz eines Meister- Heiligen steht, für eine Weile in die Irre geht, ist ihre
Errettung dennoch gewiß. Obgleich die Heiligen lebende Beispiele der Demut sind
und nicht von der Befugnis sprechen, die ihnen übertragen wurde, weisen sie
doch zuzeiten indirekt auf die erlösende Kraft der Heiligen hin, die vor ihnen
lebten. Die Schriften zeigen auf, daß der heilige Nanak einen Schüler rettete,
der sich auf einem Irrweg befand,
welcher in die Hölle führte. Der Heilige mußte um eines verlorenen Schafes
willen die Höllenglut aufsuchen und seinen Daumen in die flüssigen Höllenfeuer
tauchen. Und er kühlte dadurch den ganzen Schmelzofen der Hölle ab, was nicht
nur einer, sondern einer Vielzahl sündiger Seelen Linderung verschaffte, die
dort in großer Not mitleiderregend wehklagten. Aus der Zeit König Janakas und
anderer werden uns ähnliche Ereignisse berichtet. Auch mein Meister Huzoor
(Baba Sawan Singh [1858-1948]: Meister des Autors) mußte einmal einen Schüler,
der sich auf Abwegen befand, dem Verderben entreißen. Wie kann es dann für
einen gewöhnlichen Menschen Erlösung von der Hölle geben?
Jene, die hingebungsvoll das heilige Wort
über, deren Mühen werden enden;
Ihr Antlitz erstrahlt voll Herrlichkeit,
o Nanak! und viele werden mit ihnen
gerettet werden.
Es
gibt noch eine andere Region, die von den Moslem- Heiligen Fegefeuer (Eraf) genannt wird und die Freuden wie
auch Schrecken in variierendem Ausmaß bereithält. Mehrere Meister verschiedener
Grade beschrieben unterschiedliche Erfahrungen von Ängsten und Höllenqualen.
Das alles entspringt nicht irgendeiner einfallsreichen Phantasie, sondern ist
sehr ernst gemeint und des Nachdenkens wert. Und ob man es glaubt oder nicht,
der Schüler eines Heiligen wird von all dem nicht betroffen. Solange er seinem
Meister- Heiligen treu ist, kann ihm keine Macht der Welt auch nur ein einziges
Haar auf dem Kopf krümmen. Ein wahrer Schüler eines Meister- Heiligen sagt
treffend:
Ich handle nur mit den Heiligen
und habe allein mit ihnen zu tun;
durch das Guthaben, das sie mir gewährten,
wurde ich von aller Täuschung frei,
und der Todesengel kann mir nun
kein Haar mehr krümmen,
da die gesamte Aufzeichnung meiner Taten
den Flammen übergeben worden ist.
Wiederum
heißt es:
Der Engel des Todes ist in der Tat unbesieg-
bar, und keiner kann ihn bezwingen;
aber in der Gegenwart des Tonstromes
des Meisters ist er machtlos;
der bloße Klang Seines Wortes erfüllt ihn
mit Schrecken und läßt ihn entfliehen,
denn er fürchtet, der Herr der Heerscharen
könne ihn selbst zu Tode treffen.
Liebe und Dienen
Es
gibt nicht einen, von dem sagen könnte, er sei für sich alleine geboren, denn
keiner kann ganz für sich leben. Den Bedürftigen, Kranken und Hungernden zu
dienen, ist etwas, das weit wirksamer ist als bloßes Predigen. Uneigennütziges
Dienen schürt und entfacht die Glut des Mitleids, der Güte und Liebe. Diese
Tugenden haben eine große läuternde Wirkung, sie reinigen den Menschen von
allen Schlacken und geben ihn ein Anrecht auf das höchste Wissen von Gott.
„nach der Arbeit ist gut ruhen“, lautet ein bekanntes Sprichwort.
Nichtverletzen
(Ahimsa) heißt nicht nur, Töten,
Gewalt und Unrecht zu meiden, sondern schließt auch üble Gedanken und böse
Worte aus. Wenn es auch für Bestien oder wilde Tiere nicht gelten mag, so
erfüllt Nichtverletzen (Ahimsa) den
Menschen mit einer Stärke, die nicht nur viele Tugenden übertrifft, sondern sie
höchste und überragendste aller Tugenden bildet. Aufrichtig Suchenden auf dem
Pfad zu Gott zu dienen, ist von weit größerem Wert als jeder andere Dienst.
Hilfeleistungen schließen unter anderem ein, Almosen an die wirklich Armen und
Bedürftigen zu verteilen, jenen Freude zu bereiten, die an unzugänglichen
Stellen außergewöhnlich schwere Arbeit leisten, Kranke zu pflegen und den
Leidenden beizustehen. All diese Eigenschaften sind eine große Hilfe auf dem
Pfad und sollten durch unermüdliche Ausübung auf jede nur mögliche Weise
gefördert und entwickelt werden. Aber man darf sich damit allein nicht
zufrieden geben, sondern muß mit der Hilfe dieser Reinigungsprozesse auf den
Weg in die Freiheit voranschreiten, wie es uns der Meister zur Pflicht gemacht
hat.
Liebe
ist das Allheilmittel für die meisten Übel der Welt. Sie bildet den Kern aller
anderen Tugenden. Wo Liebe ist, da herrscht friede. Liebe, und alle Segnungen
werden dir zuteil, lautet der zentrale Gedanke der Lehren Christi. Das ganze
Gebäude des Christentums fußt auf den beiden untrennbaren Grundsätzen: „Du
sollst Gott, deinen Herrn, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit
all deiner Kraft“ und „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“. Gott ist Liebe
und so auch die menschliche Seele, da sie ein Funke desselben Geistes ist.
Johannes sagt: „Wer nicht liebt, kennt Gott nicht, denn Gott ist Liebe“ und
„Wer Gott liebt, der liebt auch seine Brüder“. Guru Gobind Singh betonte mit
gleichem Nachdruck die grundlegende Notwendigkeit der Liebe: „Wahrlich, ich
sage euch: Gott offenbart sich nur jenen, die lieben.“ Ein Moslem- Heiliger
sagt: „
Gott erschuf den Menschen
als eine Verkörperung der Liebe;
zu seiner Verherrlichung
hätten seine Engel völlig genügt.
Zur
Krönung all dieser Tugenden gehören noch Wahrhaftigkeit und ein gutes Leben. In
erster Linie sollten wir ehrlich zu uns selbst sein. Die meisten von uns leiden
unter dem Übel, daß Gedanken, Worte und Handlungen nicht im Einklang stehen.
Wir denken etwas ganz anderes, als unsere Zunge sagt, während unsere Hände
wiederum etwas anderes tun. „Sei dir selbst treu, und es folgt wie die Nacht
dem Tage, du kannst nicht falsch sein gegen irgendjemand“ (Shakespeare). Ihr lebt
in diesem Körper, und Gott, die beherrschende Kraft, wohnt auch in ihm. Seid
ihr wahr zu euch selbst, habt ihr niemanden zu fürchten. Wollt ihr jemanden
betrügen, müßt ihr euch erst selbst betrügen. „Rama kann Rama nicht betrügen“,
waren die Worte von Swami Ram Tirath, als ihn jemand vor den trügerischen Wegen
der Welt warnen wollte. Wahrhaftigkeit ist die größte aller Tugenden, doch eine
wahre Lebensweise steht noch darüber. Wir müssen versuchen, in diesem Tempel
des Heiligen Geistes ein reines und sauberes Leben zu führen und dürfen ihn
nicht durch Falschheit und durch Begierden des Fleisches beschmutzen und so in
eine Wechselstube des Teufels verwandeln.
Es
wird allgemein geglaubt, daß Wohlstand die Quelle des Friedens sei, doch er
täuscht die Toren wie ein Irrlicht und bringt die Reichen in Gefahr. Er läßt
dem Gemüt die Zügel schießen; und wenn es einmal vom rechten Weg abgewichen
ist, nimmt es sorglos Sünden auf sich, die schreckliche Folge nach sich ziehen.
Sein „Selbst“ mit Gedanken, Worten und Taten völlig dem Schmutz weltlicher
Unreinheiten hinzugeben ist eine abscheuliche
Sünde, und ihr Lohn ist der Tod. Die Wege, die zu weltlichem Reichtum,
und jene, die zu Gott führen, liegen weit auseinander. Wir können nur einen von
beiden einschlagen, so wie es uns beliebt. Das Gemüt ist ein ungeteiltes
Ganzes, das den Körper einerseits mit der Seele und andererseits mit der Welt
und dem weltlichen Reichtum verbindet. So muß man zwangsläufig zwischen diesen
beiden Möglichkeiten wählen. Sind die Würfel einmal gefallen, muß man sich
notgedrungen unaufhörlich darum bemühen, das Ziel zu erreichen, welches es auch
sei. Doch Wohlstand an sich ist kein Hindernis auf dem Weg der Spiritualität,
da sie das gemeinsame Erbe aller ist, der Reichen und der Armen gleicherweise,
und keiner kann sie als besondere Gabe für sich beanspruchen.
Alles,
was man braucht, um den Pfad erfolgreich zu beschreiten, ist wirkliches
Verlangen, ehrliche Absicht, ein reines Leben und zielbewußte Hingabe an die
Sache. Ein Reicher muß natürlich darauf achten, daß er bei der Vermehrung
seines Reichtums kein Unrecht begeht, und daß sein ehrliches Vermögen für einen
guten Zweck verwendet und nicht für kurzlebige Dinge verschwendet. Er sollte
seinen Reichtum immer als ein heiliges, von Gott anvertrautes Gut, betrachten,
das er bekam, um den Armen und Bedürftigen, den Hungernden und Dürstenden, den
Kranken und Leidenden zu helfen; denn als Menschen und Kinder desselben Vaters
haben sie ein recht auf seinen Beistand. Das war der Rat der Weisen Ashtavakra
an König Janaka, als er ihm nach der Gewährung einer wirklichen Erfahrung der
Wissenschaft der Seele sein Königreich zurückgab, das der König vor seiner
Einweihung (Initiation) in den
heiligen Pfad tatsächlicher spiritueller Erfahrung seinem Meister- Lehrer
übergeben hatte. Er (der Rishi oder
Gottmensch) riet ihm, sein Königreich als Geschenk zu betrachten und seine
Macht zur Verbesserung der Lebensbedingungen des Volkes und Landes, das Gott
seiner Obhut anvertraut hatte, zu gebrauchen. Wenn auf rechte Weise erworbener
Reichtum nicht gut und weise genutzt wird, gerät man leicht auf Abwege, wird
selbstsüchtig und zum Sklaven des nunmehr unrechtmäßigen Wohlstandes und
verfängt sich unmerklich in den goldenen Ketten, die einen in Knechtschaft
halten. Um uns davor zu warnen, erklärte uns Christus mit unzweideutigen
Worten, „daß es leichter ist für ein Kamel durch ein Nadelöhr zu gehen, als für einen Reichen, das Reich Gottes zu
betreten“. Der Nobelpreisträger T. S. Eliot sagte: „Denkt nicht an die Ernte,
sondern einzig an die rechte Saat.“
Somit
ist die Aussaat von vorrangiger Bedeutung, denn die Güte der Ernte hängt von
der Qualität der gesäten Saatkörner ab. Danach kommt die rechte Aufzucht, der
Prozeß der Menschwerdung, der gewöhnlich lange Zeit erfordert und sich über
mehrere Verkörperungen erstreckt, je nachdem, wie es der durch die
Vergangenheit bestimmten mentalen Beschaffenheit des einzelnen entspricht. Aber
mit der rechten Art von unerschütterlicher Hingabe und der Gnade der
Meisterkraft kann man diesen sonst sehr schwierigen und gewundenen Pfad leicht
durchschreiten. „Ein vollendeter Meister, der mit den Krümmungen und Wendungen
des Weges wohlvertraut ist“, sagt Kabir, „kann den Schüler im Nu
hindurchbringen.“ Die Pilgerseele, die einen kompetenten Führer hat und sich
ernsthaft bemüht, kann leicht über das Meer der Welt schwimmen, auch wenn sie
mitten im weltlichen Leben steht. Jene, die nicht täglich Bhajan (Spirituelle Übung: Konzentration auf den inneren Ton) und Simran (Wörtl.: Wiederholung, Erinnerung;
hier: Wiederholung der fünf heiligen Namen Gottes, die der Schüler bei der
Initiation erhält und die als unabdingbarer Schutz für die Meditation und die
damit verbundenen Reise durch die geistigen Ebenen dienen) Zeit widmen,
befinden sich immer in Schwierigkeiten. Sie treiben in einem endlosen Strom
wollüstiger Freuden dahin. Die Übung des Sich- Lösens von der Welt (Vairagya) durch rechte Unterscheidung
hilft beim Vorgang der Selbstreinigung, und nach und nach wird der Schüler
befähigt, den Upas- Baum der unzähligen Wünsche zu fällen, indem er erst die
Zweige abschneidet und ihn dann an der Wurzel trifft.
Keiner
ist ohne Fehler. Der Mensch ist ein Kind des Irrtums; und der Irrtum ist stets sein Bekenntnis. Obwohl es menschlich
ist, in Sünde zu fallen, ist es doch schändlich, in ihr zu verbleiben. Es
bringt keinen Gewinn, schlechte Waren zu horten. Es ist gut, in einem Tempel
geboren zu werden, aber in ihm zu sterben ist Sünde, denn wir müssen uns nach
und nach über alle Formen und Förmlichkeiten der Kindergartenstufe, die alle
Religionsgemeinschaften bieten, erheben und in den Sonnenschein der
Spiritualität hineinwachsen. Wenn wir unsere Zukunft zu etwas Göttlichem
gestalten und zur Wirklichkeit des Jenseits erwachen wollen, müssen wir den
Pfad erforschen. Wer keinen Gedanken an die Zukunft verwendet, wird bald die
Gegenwart bereuen. Die Sünden und Sorgen sind unsere ständigen Begleiter und
folgen einander Hand in Hand. Die kleinen Schwächen führen allmählich zu den
größeren; doch solche, die man eingesteht, hat man bereits halb überwunden.
Aufrichtige Reue, der gute Taten folgen, hilft im großem Maß, Leid zu mildern.
Der Mensch würde wenig für Gott tun, wenn der Teufel tot wäre. Wer unter dem
Schatten eines drohenden Unheils lebt, der lebt am besten, denn er bemüht sich
aufs äußerste. Es ist recht leicht, andere zu kritisieren, aber sich selbst zu
ändern, ist furchtbar schwer, denn wir sehen den Balken im eigenen Auge nicht.
Gottesfurcht ist der Anfang der Weisheit; und einer im voraus bedachten Gefahr,
ist man bereits halb entgangen. Wer gewarnt ist, der ist gewappnet.
Menschen,
die an die physische Ebene gebunden sind, müssen die Gebote eines „befreiten“
Meisters und Heiligen befolgen, wenn sie sich selbst aus der Täuschung von
Gemüt und Materie befreien wollen. Legt die Last all eurer Verantwortlichkeiten
zu Füßen eures spirituellen Meisters nieder, und der tödliche Griff der Sünden
wird langsam, aber sicher seine Macht über euch verlieren. „Verlasset alles
andere und folget mir nach“, lautet die Ermahnung Lord Krishnas. „Kommet her zu
mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch Frieden geben“,
sagte Christus. Der ergebene Schüler empfindet wirklich, daß ihm selbst das
Krankenzimmer zum Tempel der Hingabe wird. Ein Meister, der in der Ausübung des
heiligen Wortes wohlbewandert und in der Lage ist, andere darin zu unterweisen,
zu initiieren, ist der wahre Meister und ein vollendeter Führer (Murshid-i-Kamil). Wie ein fähiger und
tüchtiger Verwalter vermag er all unsere Taten und Rechnungen zu begleichen,
und er rät uns gleich Jesus: „Sündigt nicht mehr“. Und Hazoor Sawan Singh Ji
handelte ähnlich, wenn ein Schüler bei einer öffentlichen Versammlung einen
Fehler bekannte und um Nachsicht flehte. Sanft hob er seine rechte Hand und
sagte: „Bis hierher und nicht weiter!“
Sollen
wir denn nichts tun? Wie kann das sein? Die Antwort ist einfach. Solange ihn
das Gemüt beherrscht, muß der Mensch handeln, und selbst wenn er seine Taten
gemäß den Weisungen des Meisters einschränkt und gleichzeitig die höchsten
Tugenden entwickelt, bleibt ihm keine andere Wahl, als zu handeln. Wer
garnichts tut, lernt nach und nach, Schlechtes zu tun und erschließt wie
Pandora das Übel, das in ihm begraben liegt. Wenn man wünscht, auf Rosen
gebettet zu sein, muß man sich erst mühen,
sie zu züchten und zu pflegen. Doch unser Handeln bleibt stets dem Zufall
überlassen und ist auf selbstsüchtige Ziele gerichtet. Wir wissen nicht, was
wir tun und was wir lassen sollen. Der Meister- Heilige ist der göttliche
Gebieter seiner Zeit. Sowohl durch seine Liebe, seine Führung und seine
Unterweisung als auch durch sein Beispiel veranlaßt er die Menschen zu Taten
der Hingabe und Verehrung und entfaltet in ihnen Liebe für die göttlichen
Bindeglieder (das Wort, Naam, die
innere Stimme Gottes, Kalma oder alam-i-Quadim, Akaashbani oder Bang-i-Asmani),
die er in ihnen offenbart.
Man
wird einen Meister nicht seiner Wohnstatt wegen achten, vielmehr die Wohnstatt
seinetwegen. Denn der Heilige ist unserer höchsten Achtung, Liebe und aller
Verehrung würdig. Er gewährt uns die Verbindung mit dem Göttlichen und ein
Erlebnis momentanen Vergessens unseres körperlichen Selbst, wodurch wir
einen deutlichen Blick auf die
göttlichen Bindeglieder in uns erlangen. Schritt für Schritt wird uns eine
immer größere mystische Erfahrung zuteil. In seinen spirituellen Vorträgen, den
Satsangs, wird vielen Sünden der
Vergangenheit kurzer Prozeß gemacht. Durch die Gemeinschaft mit ihm, sei es in
Gedanken, durch Briefwechsel oder in der Meditation, wird uns große Hilfe hinsichtlich
der Karmas und sündhafter Beziehungen zuteil. Wenn auch die Sünden des Menschen
endlos sind, nimmt doch zur gleichen Zeit auch die grenzenlose Gnade Gottes,
die seiner unermeßlichen Schatzkammer entströmt, kein Ende. Wo auch immer wir
uns auf dieser Lebensreise befinden mögen, an welchem Ort, in welcher Religion,
in welchem Land oder in welcher Gesellschaft, unser wichtigstes Gepäck und Gut
ist das heilige Wort, die Verbindung mit dem lebendigen „Rettungsanker“ im
Inneren: dem Licht und der Stimme Gottes. Die verschiedenen Namen Gottes
dagegen, die wir gewöhnlich kennen und so oft wiederholen, sind bloße Worte,
die wir selbst erfunden haben, um die namenlose Wirklichkeit zu benennen, die
unteilbares Ganzes, unaussprechlich und unbeschreibbar ist.
Die
Meister- Heilige (Sant Satguru) ist
der heilige Vater, der von weither und zum Nutzen aller kommt, ganz gleich, ob
es sich um sündige oder tugendhafte Menschen handelt; denn beide sind
gleichermaßen in den Fesseln der Welt gefangen, ob diese nun aus Gold oder
Eisen sind. Er liebt alle, und Liebe führt zu Vergebung. Fürchtet niemals, euch
ihm zu nähern, bloß weil ihr Sünder seid! Er würde es nicht zulassen, daß eines
seiner Kinder zur Strafe in eine Besserungsanstalt oder ein Gefängnis käme,
oder es gar der Folter übergeben. Ein liebender und gütiger Vater würde das
niemals tun. Der Meister wird das irrende Kind eher selbst zurechtweisen oder
ihm ein wenig körperliches Leid auferlegen, um es zu bessern und wird doch,
wenn auch unsichtbar, stets bei ihm bleiben, um es von innen zu stützen, bis
die kurze Zeit des Leids vorüber ist. Er handelt genau wie ein Töpfermeister,
der das Gefäß auf der Drehscheibe vorsichtig mit einem Schlegel bearbeitet, um
ihn die rechte Form zu geben, während er die andere Hand von innen dagegenhält,
damit es nicht zerbricht. Des Meisters Liebe ist grenzenlos. Das Reich eines
Heiligen (Darvesh) ist eines der
Gnade.
Es
ist die Pflicht des Gefängnisvorstehers, die Gefangenen eingesperrt zu halten,
sie zu läutern und zu bessern. Gleicherweise war es immer das Ziel der
Gottheiten und göttlichen Verkörperungen (Avatare),
die Menschen an sich gebunden zu halten, indem sie diese mit den Gaben
verschiedener magischer und übernatürlichen Kräfte (Ridhis und Sidhis)
überschütteten. (Das bezieht sich auf die Gewährung von Gaben, Geschenken,
Vergünstigungen, Wohlstand, Erleichterung und Hilfe auf weltlichen Gebieten
sowie die Verleihung übermenschlicher Kräfte, die sich für Gutes oder Böses
einsetzen lassen.) Doch sie können ihren Ergebenen diese begrenzten
Erleichterungen und Hilfen bis zu jener Stufe gewähren, die sie selbst erreicht
haben und ihnen darüber hinaus in den Regionen, die sie beherrschen, jederzeit
einen Aufenthalt in ihrer Nähe gewähren. Aber sie können niemanden helfen, die
Einswerdung mit dem Allmächtigen zu erreichen, da jene untergeordneten Kräfte
dieses größte Vorrecht selbst nicht besitzen.
Die
ober erwähnten Außergewöhnlichen Fähigkeiten (Sidhis) sind Yoga- Kräfte, die dem Wahrheitssucher nach ein wenig
Übung (Sadhan) von allein zufallen;
doch auf dem Weg zur Gottverwirklichung stellen sie entschiedene Hindernisse
dar, da wir dem Verlangen nach Wundertaten wie Gedankenlesen, Wahrsagen,
Hellsehen, dem Durchdringen der Materie und der Erfüllung von Wünschen,
geistigem Heilen, Hypnose, Magnetismus und ähnlichem gewöhnlich nicht
widerstehen können. Es gibt acht Arten dieser Yoga- Kräfte:
Anima: für die äußeren
Augen unsichtbar werden;
Mahima: den Körper beliebig ausdehnen;
Garima: den Körper
beliebig schwer machen;
Laghima: den Körper beliebig leicht machen;
Prapti: alles durch
bloßem Wunsch erlangen;
Ishtwa: allen Ruhm für
sich gewinnen;
Prakayma: die Wünsche anderer erfüllen;
Vashitba: Einfluß und Macht über andere erringen.
Doch
eine wirklich große Seele, ein Mahatma,
der Zugang zum höchsten Bereich hat, vergibt und befreit uns und gewährt uns in
diesem Leben Zutritt zum Reich Gottes, vorausgesetzt natürlich, man ist völlig
entschlossen, sich ihm hinzugeben und seine Gebote mit liebevollem und
aufrichtigem Herzen zu befolgen. Aber für jene, die gewohnt sind, dem Diktat
ihres eigenen Gemüts Folge zu leisten, ist das eine etwas schwierige Aufgabe.
Es entspricht der schwankende Natur des unkultivierten und unbeherrschten
Gemüts, etwas einmal anzunehmen und ein anderes Mal wieder dagegen
aufzubegehren. Heilige wie Maulana Rumi (berühmter persischer Moslemheiliger)
gehen sogar soweit zu sagen:
Komm, komm wieder und immer wieder,
selbst wenn du die Treue
tausendmal gebrochen hast!
Denn in der erlösenden Gnade
eines Meister- Heiligen
gibt es stets einen Platz für dich.
Wenn
ihr einmal des Meisters eigen geworden seid, wird er euch niemals aufgeben,
auch wenn ihr in einem Moment der Versuchung und Prüfung der Schwäche nachgebt
und ihn verlaßt oder vom Pfad abirrt. Die Christus- Kraft hat erklärt: „Ich
will dich nicht verlassen noch versäumen bis an der Welt Ende“. Er hat sein
eigenes Gesetz der Liebe und Barmherzigkeit und kümmert sich jeden Augenblick
um jeden einzelnen, auch wenn jemand seinen Weg der Selbstdisziplin verlängert,
indem er des Meisters Liebe verschmäht. Die Quelle allen Friedens und allen
Glücks liegt jenseits des physischen Körpers, im Inneren des Menschen. Wer
keinen inneren Frieden hat, sollte dem Selbst, dem Gemüt und der Seele die
rechte Nahrung angedeihen lassen. Das Wort oder Naam ist der wahre „Tröster“, der Friedensbringer, der Ruhe und
Erlösung spendet. Die allgemeine Bedeutung des Wortes Erlösung, die uns das
Wörterbuch gibt, sollte nicht als bloße Befreiung von der Sünde verstanden
werden. Es bedeutet Freiwerdung vom Zyklus der Geburten und Tode sowie
Einswerdung des Geistes mit dem Herrn und geistiges Leben in Ewigkeit.
Der
gewöhnliche Mensch macht sich nicht viel aus der Erlösung, und das gilt auch
für viele geistige Bewegungen. Die Gründer der verschiedenen Religionsgemeinschaften
haben ihre spirituellen Erfahrungen der inneren Bereiche, zu denen sie Zutritt
hatten, offenbart und diese als das höchste oder letzte Ziel der Erlösung und
als ewiges Leben beschrieben. Der Meister- Heilige ist ein Besucher all dieser
himmlischen Regionen und beschreibt seine Stellung manchmal in Form von
Gleichnissen. Er erklärt mit unzweideutigen Worten: „Ich bin das Licht der
Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis umhergehen, sondern wird
das Licht des Lebens haben.“ Die Heiligen treten demnach für die ewige Erlösung
in unserem gegenwärtigen Leben und nicht nach dem Tode ein, denn wer weiß was
dann geschieht? Die Erlösung nach dem Tod mag sich letztlich als bloße
Täuschung erweisen; und es ist nicht gut, das Leben in einem fortwährenden und
nicht endenwollenden Zustand der Ungewißheit zu verbringen. Währe der Tod ihre
Vorbedingung, bliebe die Erlösung nichts als ein Phantasiegebilde. Ein
wirklicher Heiliger befreit die Seele jetzt in diesem Leben von jeder Gebundenheit
an Geburt und Tod. Er vertraut auf den „Tod im Leben“ oder die Befreiung
während des Lebens, was in der Sprache des Yoga jivan- mukti genannt wird. Die Seele kann sich also mit dem
unaussprechlichem Einen verbinden, während sie noch im Körper lebt; und zum
Zeitpunkt des endgültigen Lösens der inneren Bindung an den Körper wird sie
schließlich im Allmächtigen aufgehen.
Gemeinhin
wird geglaubt, daß wir nach dem physischen Tod die Erlösung erlangen. Der
Begriff „Tod“ schließt jedoch das zeitweilige und willentliche Zurückziehen der
Geistesströme vom physischen Körper mit ein und bedeutet nicht nur die
endgültige Auflösung und den Zerfall des physischen Körper in seine einzelnen
Bestandteile, wie man gewöhnlich annimmt. Es widerspricht der Vernunft zu
glauben, daß ein Mensch, der während seines Lebens nur an weltliche Dinge
gedacht hat, nach dem Tode augenblicklich zur befreiten Seele wird. Die ethisch
geschulten, spirituell Ergebenen erlangen die Erlösung noch während des Lebens
und besiegen somit den Tod, den letzten Feind der Menschheit, in ihrem Leben.
„Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir“, erklärte Paulus.
Und mein Meister sagte stets: „Ein Gelehrter (Pandit) im Leben bleibt auch nach dem Tod ein Gelehrter.“
Karmas
aufzulösen und die Seele von all ihren Fesseln zu befreien, liegt nicht im
Aufgabenbereich irgendeines Politikers, Diplomaten, Staatsmanns, Ministers oder
gar einer Regierung. Selbst die Avatare als Inkarnationen höherer Kraft sind
diesbezüglich hilflos. Auch die Götter und Göttinnen, welche die niedrigeren
Kräfte des höchsten Wesens verkörpern, müssen, wie bereits erwähnt, auf die
menschliche Geburt warten, bevor sie zum Höchsten gelangen können.
Auf
jenen Seelen, die sich nicht unter den Schutz eines wahren Meisters (Sant Satguru) begeben haben, lastet noch
die schwere Bürde des Vorrats-, des Saat- und des Schicksalskarmas. Jene, die
nicht in die Wissenschaft des Jenseits initiiert sind, können in Bezug auf das
Schicksal oder Pralabdha nur wenig
Hilfe erfahren und müssen es in voller Stärke und ohne jede Milderung ertragen.
Auch die Früchte der Taten, die Saatkarmas, die sie unter dem Gebot des Gemüts
in diesem Leben bewirkten, werden sie unbedingt in vollem Maße zu ernten haben.
Das ist ein strengen und unerbittliches Gesetz, ob man daran glaubt oder nicht.
Das karmische Gesetz macht keine Ausnahme, es arbeitet unbarmherzig und
zermalmt uns alle gleichermaßen in der Tretmühle der Zeit.
Unsere Handlungen, ob gut oder schlecht,
werden vor Sein Gericht gebracht;
und unsere eigenen Taten werden uns
emportragen oder in die Tiefe schleudern.
Jene, die sich mit dem Wort verbunden
haben, deren Mühen werden enden;
und ihr Antlitz wird von Glanz erstrahlen;
nicht nur sie werden die Erlösung erlangen,
o Nanak, sondern viele andere werden mit
ihnen die Freiheit finden.
Es
ist demnach von größter Bedeutung, nach einem Meister zu suchen, der fähig ist,
den sonst endlosen Kreislauf der Karmas zu durchbrechen, zu seinen Lotosfüßen
Zuflucht zu nehmen und uns vom übermächtigen Einfluß unserer Taten zu befreien.
Die rechte Lebensweise
Für
die Entwicklung von Körper und Geist ist es von ungeheurer Bedeutung, wie wir
unser irdisches Leben gestalten. Deshalb müssen wir uns sehr bemühen, das Leben
zu vereinfachen und lernen, ein aufrichtiges Leben zu führen. Von der rechten
Lebensweise hängt alles andere ab, sogar die Suche nach dem Selbst und dem
Überselbst. Die Bedeutung der richtigen Lebensweise kann nicht nachdrücklich
betont werden. Zu Recht heißt es:
Die Wahrheit steht über allem,
noch darüber aber die wahre Lebensweise!
Ein
einfaches Leben und hohes Denken waren schon immer die Ideale bei den Alten,
nach denen sie stets strebten. Aber in der heutigen Zeit verschwenden wir kaum
einen Gedanken daran, obwohl wir uns manchmal zu ihnen bekennen und ein
Lippenbekenntnis ablegen. Wenn es auch schwer erscheinen mag die höchste Art
Leben zu erreichen, ist es doch die Mühe wert zu sehen, was es bedeutet und
welche Mittel und Wege uns helfen, es anzunehmen und es uns anzueignen. Bei
allem, was wir tun, setzen wir uns immer ein Ziel, untersuchen die damit
verbundenen Gesetzmäßigkeiten, erforschen die Methoden, die uns zu dem
ersehnten Ziel führen und unterziehen uns schließlich einer regelmäßigen
Prüfung und einer gründlichen Untersuchung, um zu erkennen, wie weit wir dem
gesetzten Ziel nähergekommen sind. Um das zu erreichen, müssen wir natürlich
unsere ungeteilte Aufmerksamkeit einsetzen und uns jeden Tag von neuem
aufrichtig bemühen, bevor wir in unserem Leben und Verhalten uns selbst und den
Menschen in unsere Umgebung gegenüber einen merklichen Fortschritt verzeichnen
können.
Da
erhebt sich natürlich die Frage, woraus denn das menschliche Leben besteht. Der
betagte Mensch, der im Leben schon viel erfahren und von dem, was er von der Welt gesehen und erlebt hat, mehr als
genug hat, wendet sich der Analyse seines Lebens zu. Besteht das Leben wirklich
nur aus Essen, Trinken, Schlafen und Kinder – in – die – Welt – Setzen? Aus
Furcht, Ärger und Kampf? Raffen, Horten und Hassen? Einsperren und Unterwerfen
jener, die körperlich oder geistig unterlegen sind? Darin, andere zu töten und
sich ihren Besitz anzueignen? Müssen wir denn unsere Tage mit der Freude an
unrecht erworbenen irdischen Gütern verbringen ohne letztlich etwas anderes zu
erreichen, als einen erbärmlichen Tod zu sterben, der uns selbst mit Schmerz
erfüllt und auch jene, die uns lieb und nahe sind und die hilflos danebenstehen
und trauern? Und was ist mit all dem, was uns auf der Erde so gefesselt hat:
mit Land, Häusern, Geld, Tieren und mit den anderen zahllosen Besitztümern, die
wir notgedrungen ganz gegen unseren Willen zurücklassen müssen? Sollte dann
angesichts dieser rauhen Wirklichkeit das Anhäufen weltlichen Reichtums
wirklich unser einziges Ziel sein, das Ein und Alles unsere Existenz? Oder
sollten wir nach etwas Höherem und Edlerem streben, das von Bestand und Dauer
ist und hier wie auch im Jenseits bei uns bleibt? Die Antwort ist einfach: Die
allmächtige Kraft, wahre Quelle und Ursprung allen Lebens, unser Hort des
Glücks, ewigen Friedens und Mittel zu unserer Befreiung aus der furchtbaren
Gebundenheit an Geburten, Tode und Karmas sollte das Hauptziel und das einzige
sein, was unseres Verlangens und Strebens wert ist; denn es ist das „summum
bonum“, das höchste Gut des Lebens.
Das
höchste Ziel, das soeben umfassend beschrieben wurde, kann man nicht einfach
durch Bitten oder Wunschdenken erreichen. Um dieses höchste Ziel zu
verwirklichen, müssen wir uns erst auf die Suche begeben und jemanden finden,
der uns helfen kann, diesen Weg auch tatsächlich zu gehen. Einen, der ans Ziel
gelangt ist und das Reich Gottes selbst betreten hat und der uns helfen kann,
das gleiche zu tun. Wie Licht von Licht kommt, so Leben von Leben. Er wird uns
beständig an unsere längst vergessene Heimat erinnern, den Garten Eden, der uns
verloren gegangen ist. Er wird uns dann die Schwächen und Versäumnisse unseren
täglichen Lebens aufzeigen und uns schließlich helfen, anstelle unseres
oberflächlichen und sinnlosen gegenwärtigen Daseins ein wirklich reines Leben
höchster Aktivität zu führen. Diese Welt ist ein Haus voller Rauch und Ruß, und
selbst wenn man seine fünf Sinne ganz zusammennimmt, kann man kaum verhindern,
sich hin und wieder zu beschmutzen, so sehr man sich auch bemüht, es zu
vermeiden. Diese zahllosen Schmutzstellen und Flecken sind tief in die
Grundform unseres Seins eingedrungen und können nicht mit unseren eigenen
ungelenken, unbeholfenen Versuchen ausgewaschen werden. Jeder Mensch wird durch
die Antriebskraft seiner Natur gezwungen, seine Rolle auf der Bühne des Lebens
zu spielen und sich an sinnlosen Handlungen zu beteiligen, die nirgendwohin
führen, wenn uns nicht die helfende Hand einer Meisterseele beisteht und unser
Schiff unversehrt durch die Sandbänke und Untiefen steuert. Der Heilige ist
solch ein göttlicher Helfer, ob man ihn nun Fackelträger (Guru), Lehre, einen gottesgesandten Heiligen, der eins ist mit der
Wahrheit (Satguru), vollendeten
Meister (Murshid-i-Kamil) oder Führer
(Hadi) nennt oder ihn als Bruder,
Freund, Ratgeber, oder mit einem anderen Namen unserer Wahl bezeichnet.
Eine
weiter Analyse würde uns zeigen, daß das menschliche Leben in der Hauptsache
von zwei wesentlichen Dingen bestimmt wird: von der Ernährung (Ahar) und dem Verhalten gegenüber den
Mitmenschen und den anderen Geschöpfen (Vihar).
Beides erfüllt und prägt das ganze Leben eines Menschen. In diesen beiden
Lebensbereichen handeln wir entweder nach der Überlieferung oder wie es uns die
begrenzten Informationen aus Büchern oder vom Hörensagen ermöglichen. Ernährung
und Verhaltensweisen formen die Grundlage, die wiederum unsere Auffassung von
Kultur und Zivilisation bestimmt, die in uns verwurzelt ist und Gemüt und
Verstand beherrscht.
Es
gibt kaum eine vernünftige Schulung, die dem Menschen in allen Lebensbereichen,
ob physisch, geistig oder spirituell, die rechte Führung zu geben vermag. Um
diesem ungeordneten Zustand zu entkommen, müssen wir das Thema eingehend
erörtern und unser Dasein in seine grundlegenden Elemente zergliedern. Es
bedarf schon einer gründlichen Analyse, bis wir das Leben in seinem
dreifaltigen Aspekt, dem physischen, intellektuellen und spirituellen,
gestalten können.
Ernährung
Die
Ernährung spielt natürlich eine große Rolle bei der Lösung der Frage des
Lebens. Wir brauchen Nahrung, um unseren physischen Körper zu erhalten. Die
Natur zwingt uns, so lange in der Welt zu bleiben, wie es durch die vom
Schicksal festgelegte Lebenszeit bestimmt ist oder bis sich unsere Karmas
ausgewirkt haben. Wir müssen uns von irgend etwas ernähren, um unsere bloße
Existenz zu sichern. In dieser Hinsicht ist der Mensch ziemlich hilflos. Das
Gesetz des Karmas ist das unsichtbare Mittel der Natur, um die Welt in ihrem
eisernen Griff zu halten, damit sie bevölkert bleibt und weiterbesteht. Daher
ist es von größter Wichtigkeit, sich vor der Annahme gedankenloser, achtloser
und unkritischer Eßgewohnheiten zu hüten. Da wir nicht ohne Nahrung leben
können, müssen wir zumindest solche Nahrungsmittel auswählen, die unsere
geistige Entwicklung am wenigsten beeinträchtigen. Unsere Nahrung sollte uns
nicht unnötige karmische Schuld aufbürden, was wir mit ein wenig Sorgfalt
vermeiden können. Wenden wir uns nun mit diesem Ziel vor Augen der Betrachtung
dieses Naturbereichs zu.
Des
Menschen Nahrung entstammt im wesentlichen der Erde, durch Wasser und Luft
wächst sie im Boden heran. Wir sehen auch, daß alles, was sich bewegt und
unbewegt ist, von Leben erfüllt ist. Die sich bewegenden Geschöpfe leben sowohl
voneinander wie auch von der sich nicht fortbewegenden Schöpfung, das heißt von
Gemüse, Pflanzen, Sträuchern, Kräutern, Bäumen und dergleichen. Der Mensch
jedoch freundet sich mit den Geschöpfen an und liebt sie (Vögel und Tiere), die
sich von anderen Lebewesen erhalten, und macht sie zu seinen Haustieren. Die
Alten wußte wohl, daß Menschen, Vögel und Tiere alle mit den gleichen
karmischen Fesseln gebunden sind. Mit dem Gedanken einer allgemeinen
Bruderschaft vor Augen haben die Menschen für sich und ihr Haustiere stets
schwer gearbeitet. Sie bestellen das Land, bauten Früchte an und erzeugten
Nahrung für sich und ihre gefiederten Freunde, für ihre Ochsen und Kühe. Aber
im Lauf der Zeit wurden sie bequem, was dazu führte, daß sie den Tieren zuerst
die Milch raubten und dann noch ihr Fleisch verzehrten.
Den
ethischen, sozialen und spirituellen Gesetzen gemäß darf man nicht in das Leben
irgendeines Tieres in Gottes Schöpfung eingreifen oder es beeinträchtigen.
Diese Lebensweise wird in Indien Ahimsa
genannt, das heißt Nichtverletzen aller lebenden Geschöpfe. Dies führte zur
vegetarischen Ernährung, die im Gegensatz zur nichtvegetarischen Ernährung
steht und sich wesentlich von ihr unterscheidet. Wenn wir die natürlichen und
unnatürlichen Ernährungsformen gründlich überdenken, gelangen wir zu einem
besseren Verständnis der angeborenen Neigungen (Gunas), natürlichen Anlagen und unbewußten Bestrebungen, die allen
empfindenden Wesen innewohnen.
Man
muß die Nahrung in Samen, Getreide, Gemüse und Früchte einteilen, die man als
reine Nahrung (Satvic oder Satoguni) bezeichnet, die Gelassenheit,
Heiterkeit und Gleichmut hervorbringt, wie sie die Weisen und Seher
auszeichnet. Die Heiligen und Einsiedler, die sich zur Meditation in einsame
Höhlen und Hütten zurückzogen, bevorzugten stets Kartoffeln (Kand), süße Kartoffeln, Artischocken (Zamikund) usw., die unter der Erde
wachsen und gedeihen. Sie nahmen auch eßbare Wurzeln (Mool) zu sich, die ebenfalls unter der Erde wachsen, wie Rettich,
Steckrüben und Rote Bete. Und Obst (Phal)
versorgte sie mit ausreichend Vitaminen und organischen Salzen in ihrer
Grundform, um sich für ein Leben der Konzentration und Meditation gesund zu
erhalten. Manche Nahrungsmittel wachsen natürlich im Überfluß, während andere
mühevoll angebaut und erzeugt werden müssen. Die Körner und das Getreide waren
für die Allgemeinheit bestimmt.
Eine
reine Nahrung (Satvic) aus
Wurzelgemüse, Kartoffeln, Obst (Mool,
Kand, Phal) und Milch usw. verlängert das Leben und heilt eine Anzahl von
Krankheiten und Gebrechen. Ihr Nutzen wurde inzwischen selbst von der Medizin
erkannt. Heutzutage werden viele Medikamente aus Kräutern, Früchten und Samen
bereitet und für äußerst wirksam befunden. Auch alle anderen natürlichen
Heilweisen wie Sonnenbäder, Seebäder, Moorbäder und Wasseranwendungen, Massage,
Physiotherapie, Naturheilverfahren und Farbtherapie zeigen wunderbare Erfolge.
Die reine Nahrung (Satvik) und ein
einfaches Leben tragen viel zur Entwicklung höchster Kultur und Zivilisation
bei. Wir müssen stets daran denken, daß die Nahrung für Menschen und nicht der
Mensch für die Nahrung geschaffen ist. Essen, um zu leben, und nicht leben, um
zu essen, sollte unser Grundsatz im Leben sein. Wenn wir diesem Gebot folgen,
entwickeln wir Empfänglichkeit für die höheren ethischen und spirituellen Werte
des Lebens, die uns allmählich zur Selbsterkenntnis und Gotterkenntnis führen.
Die
energiespendende Nahrung (Rajsic)
umfaßt neben pflanzlichen Lebensmitteln Produkte wie Milch, Sahne, Butter und
Butterschmalz usw., auch von anderen Tieren als Kühen, sofern man sie in Maßen
zu sich nimmt. Im alten Indien war der Genuß von Milch hauptsächlich der
herrschenden Klasse vorbehalten, da die Könige besondere Kraft brauchten, um
das milde, aufrührerische und barbarische Volk unter Kontrolle zu halten, das
sich nicht an die allgemein gültigen Lebensregeln hielt. Das Melken des Milchviehs
war erst dann erlaubt, wenn die Kühe geboren hatten und gut versorgt waren; und
man ließ genug Milch für die Ernährung ihres Nachwuchses, der Kälber, in den
Eutern. Die übrige Milch war den Menschen nur unter besonderen Umständen
erlaubt. Dieses spezielle Gesetz war dazu gedacht, die junge Zivilisation vor
der Entartung zu bewahren. Auch die Weisen der alten Zeit, die Rishis, die relativ isoliert und ganz
für sich lebten und die meiste Zeit in der Einsamkeit meditierten, nahmen Milch
nur in begrenzter Menge zu sich und ließen reichlich Milch für die Aufzucht der
jungen Tiere in den Eutern.
In
manchen indischen Dörfern gilt auch heute noch der traditionelle Brauch, nur
den Überfluß der Milch zu verwenden. Doch heute verletzt der Mensch in seinem
ungezügelten Verlangen nach Macht alle Gesetze der Natur unter dem Vorwand der
sogenannten Freiheit, die er für sich in Anspruch nimmt. Unglücklicherweise
sind wir darauf verfallen, dem Grundsatz zu glauben, Daß „der Tüchtigste
überleben wird“, und diese unkluge Einstellung müssen wir nun teuer bezahlen.
Heutzutage
herrscht nur noch der Gedanke, soviel Milch wie möglich zu gewinnen, selbst zum
Nachteil der Kälber. Mancherorts wirft man diese sofort nach der Geburt in
kochendes Wasser und setzt der Kuh Melkmaschinen an, um den letzten Tropfen
Milch aus ihrem Euter zu saugen. So trachtet man danach, mit Wettbewerb und
Gewinnmacherei Schritt zu halten. Das wird dann stolz hohes technisches Können,
Fortschritt und Zivilisation genannt! Die jungen Reformer von heute drängen der
Menschheit solche Techniken und diesen Wettbewerb auf, statt Landwirtschaft und
Viehzucht zu verbessern und einen Zuchtbestand aufzustellen, was niemandem
schaden würde und die große Not beseitigen könnte, vor der heutzutage so oft
die Rede ist.
Abstumpfende
Nahrung (Tamsic) besteht aus Fleisch,
alkoholischen Getränken, Knoblauch und eigentlich aus allen nicht genannten
eßbaren Dingen, ob natürlich oder unnatürlich, abgestanden oder frisch. Wer zu
einem hemmungslosen und ungezügelten Essen Zuflucht nimmt, lebt, um zu essen,
und ißt nicht, um zu leben. Sein Lebensziel ist hedonistisch, einzig auf
Triebbefriedigung ausgerichtet. Sein Wahlspruch lautet: „Eßt, trinkt und seid
lustig!“ er stürzt sich kopfüber in die sogenannten Freuden des Lebens. Wenn er
mit ein wenig Konzentrationskraft begabt ist, verwendet er seine ganze Energie
(geistig und physisch) darauf, sein kleines Ich, das egoistische Gemüt zu
verherrlichen. Diese Verhaltensweise wird voll Selbstgefälligkeit als Zeichen
hoher Zivilisation betrachtet. Jenen, die nach Erkenntnis des Geistes im
Menschen und nach schließlicher Befreiung der Seele von den Hüllen des Gemüts
und der Materie verlangen, wird eine solche Lebensweise von den Meistern der
höchsten Ordnung strengstens untersagt.
Werden
denkende Menschen hier kurz innehalten, um die wirkliche Lage des Menschen zu
betrachten und zu erkennen? Warum ist er so stolz darauf, sich selbst das
edelste Geschöpf, das höchste und die Krone der Schöpfung zu nennen oder nennen
zu lassen? Wohin treibt der Mensch in seiner Unbesonnenheit? Steht er nicht am
Rande eines erschreckend steilen Abgrundes, den er jeden Augenblick
hinabstürzen kann? Er hat sich durch sein eigenes Verhalten leichtfertig der
Rache der Natur ausgesetzt. Er ist beständig in Gefahr, in die tiefsten Tiefen
physischer und moralischer Vernichtung gerissen zu werden.
Der
Mensch hat sich im Hinblick auf seine Ernährung die Bestien des Dschungels zum
Vorbild genommen, und er handelt wie ein wildes Tier. Er erfreut sich nicht nur
am Fleisch der harmlosen Tiere wie Kuh und Ziege, Hirsch und Schaf, an dem der
unschuldigen Vögel in der Luft und der Fische im Wasser, sondern er vergreift
sich auch am Fleisch und Blut des Menschen, um seinen unersättlichen Hunger
nach Gold und Reichtum zu stillen. Er ist seinen Weg der Selbsterhöhung, den er
stolz fortschritt nennt, noch nicht zu Ende gegangen. Er sollte über die
grundlegenden Wahrheiten tief nachdenken, gemäß denen uns die Meister eine
vegetarische Ernährung empfehlen und vorschreiben. Auch die Pflanzen haben
latentes Leben in sich, wie es Wissenschaftler in der ganzen Welt nachgewiesen
haben. Doch da wir auf der Bühne der Welt unsere Rolle im Drama des Lebens zu
spielen haben und also auch ernähren müssen, um Körper und Seele
zusammenzuhalten, sind wir auf das angewiesen, was die Erde hervorbringt.
Ja,
Gemüse, Früchte und Körner enthalten natürlich Leben in sich. Das grundlegende
Element des Lebens ist Wachstum und Verfall. Der Wahrheitsgehalt dieser Aussage
ist seit frühester Zeit erkannt worden. Das ist keine neue Ansicht, wenn auch
manche Wissenschaftler diese Wahrheit von neuem entdeckt haben und als ihr
eigen beanspruchen.
Wir
wollen nun aber zum Wesentlichen kommen. In der ganzen Schöpfung gilt das
Naturgesetz, daß Leben von Leben abhängig ist. Wie die Geschöpfe anderer
Schöpfungsstufen, so erhält sich auch der Mensch von Nahrung, die Leben in sich
hat. Was die Aufnahme von Karmas betrifft, scheint der Mensch bei
oberflächlicher Betrachtung in der gleichen Lage zu sein wie andere Geschöpfe
niederer Lebensordnung, wie Säugetiere, Reptilien und dergleichen.
Die
Natur hat noch ein anderes Antriebsrad, das in dieser materiellen Welt wirkt:
das Gesetz der Evolution. Es bewirkt, daß alles Leben Stufe für Stufe dieser
Schöpfung durchläuft. Und da sich jedes Wesen von der einen Ebene zur
nächsthöheren erhebt, besitzt es einen besonderen Wert, der es von niedrigeren
Stufen trennt. Die Grundlage, die seinen äußeren wie auch inneren Wert
bestimmt, ist die stoffliche Qualität und der Verstand. Je wertvoller die
materielle Zusammensetzung ist, die ein Wesen ausmacht, um so größer ist sein
Verstand und somit sein Wert. Die Heiligen wenden dieses Gesetz an, um die
Ernährungsfrage des Menschen zu lösen. Sie legen uns dieses Gesetz dar, ob wir
es beachten oder nicht, damit wir unsere Ernährung verbessern und einer
ernsthaften karmischen Verstrickung und Last, die uns sonst unabwendbar
gebunden hielt, so gut als möglich entgehen können.
Jede
Art von Nahrung hat eine ihr eigene Wirkung auf den Menschen, die das Erlangen
des höchsten Zieles der Selbsterkenntnis und Gotterkenntnis erschwert. Dieses
Gesetz stimmt mit dem überein, was wir gewöhnlich glauben, obschon wir uns der
Ursache unserer Handlungen meist nicht bewußt sind. Wenn wir die folgenden
Aussagen über unser tägliches Leben vergleichen, werden wir zu unserer
Überraschung feststellen, daß sich das, was wir im sozialen Bereich als richtig
erkennen, in gänzlicher Übereinstimmung mit dem Naturgesetz befindet, das hier
erklärt wird.
Der
menschliche Körper, in dem alle fünf Grundelemente der Schöpfung (Tatwas): Erde, Wasser, Feuer, Luft und
Äther uneingeschränkt wirksam sind, wird als der wertvollste erachtet. Darum
nimmt er in der Rangordnung der Schöpfung die höchste Stelle ein; und man
glaubt, daß er Gott, seinem Schöpfer, am nächsten steht. Das Töten seiner
Mitmenschen gilt als schändlichstes aller Verbrechen, das mit dem höchsten
Strafmaß oder der Todesstrafe geahndet wird. Die nächste Stufe in der Wertskala
nehmen die Vierfüßler und andere Tiere ein, in denen vier Grundelemente (Tatwas) tätig sind, während das fünfte,
der Äther, nahezu fehlt oder nur in sehr geringem Maß vorhanden ist. Das
mutwillige Töten von Tieren, die einem anderen gehören, zieht somit nur eine
Strafe nach sich, die dem Geldwert des betreffenden Tieres entspricht. Die
nächste Stelle nehmen die Vögel ein, in denen drei Elemente wirken, nämlich
Wasser, Feuer und Luft und die folglich als von geringem Wert betrachtet
werden. Jenen Geschöpfen, in denen nur zwei Elemente lebendig sind – Erde und Feuer
– und in denen die anderen drei in schlafender oder verborgener Form
existieren, wird ein noch geringerer Wert beigemessen. Das sind Reptilien,
Würmer und Insekten, die ohne die geringsten Bedenken oder Schuldgefühle
getötet oder zertreten werden, da dies keine Bestrafung nach sich zieht. Den
Wurzeln, Gemüsen und Früchten wird der geringste Wert zuerkannt; in ihnen
besitzt lediglich das Wasserelement Wirksamkeit und die Vorherrschaft, während
alle anderen vier Elemente in untätigen Zustand ruhen. Karmisch betrachtet
bildet also die Pflanzen- und Früchtenahrung jene Kost, die tatsächlich am
wenigsten Schmerzen verursacht und uns mit der geringsten karmischen Schuld
belastet, wenn wir uns von ihr ernähren. Wir sollten also mit dieser Art von
Kost zufrieden sein, solange wir noch nicht ganz auf Nahrung verzichten können
und nur noch etwas zu uns nehmen, was überhaupt keine Folgen nach sich zieht.
Laßt
uns nun sehen, was uns das Essener Johannes-Evangelium in diesem Zusammenhang
zu sagen hat:
Doch
sie (die Jünger) antworteten: „Wohin, Meister, sollen wir denn gehen? Sind doch
die Worte ewigen Lebens bei dir. Sage uns, welches sind die Sünden, die wir
meiden müssen, damit wir nie mehr krank werden?“
Jesus
antwortete: „Es geschehe nach eurem Glauben.“ Und er setzte sich mitten unter
sie und belehrte sie: „Zu denen vor alter Zeit wurde gesagt: ‚Ehre deinen
Himmelvater und deine Erdenmutter und halte ihre Gebote, damit du lange lebest
auf dieser Erde.‘ Und das nächste Gebot lautet: ‚Du sollst nicht töten.‘ Gibt doch
Gott allen das Leben, und was Gott gegeben, soll der Mensch nicht wegnehmen.
Denn ich sage euch wahrlich, alles, was auf Erden lebt, kommt von der einen
Mutter. Wer daher tötet, mordet seinen Bruder. Und die Erdenmutter wird sich
von ihm abwenden und wird ihm ihre belebenden Brüste entziehen. Und ihre Engel
werden ihn meiden, und Satan wird in seinem Leibe Wohnung nehmen. Und das
Fleisch der erschlagenen Tiere wird in seinem Leibe zu seinem eigenen Grabe
werden. Denn wahrlich sage ich euch, wer tötet, tötet sich selbst, und wer das
Fleisch ermordeter Tiere ißt, der ißt vom Leibe des Todes ... Und ihr Tod wird
zu seinem Tode ... Denn der Sünde Lohn ist der Tod. Tötet nicht, noch eßt das
Fleisch eurer unschuldigen Beute, damit ihr nicht Sklaven des Satans werden.
Denn dies bedeutet den Pfad des Leidens, und er führt zum Tode. Tut vielmehr
den Willen Gottes, damit seine Engel euch auf dem Weg des Lebens dienen mögen.
Gehorcht daher den Worten Gottes: ‚Siehe, ich habe euch jedes Gras auf Erden
gegeben, das da Samen trägt, und jeden Baum, dessen Frucht Samen birgt; sie
sollen euch zur Nahrung dienen. Und jedem Tier auf Erden und jedem Vogel in den
Lüften und allen, in denen der Atem des Lebens ist, gebe ich jedes grüne Kraut
zur Nahrung. Auch die Milch aller Wesen, die auf Erden leben und sich bewegen,
soll euch Nahrung sein; wie ihnen das grüne Kraut, so gebe ich euch ihre Milch.
Doch Fleisch und das Blut, das ihm Leben gibt, sollt ihr nicht essen...“ Nun
sagte ein anderer (Schüler): „Moses, der größte in Israel, erlaubte unseren
Vorvätern, das Fleisch reiner Tiere zu essen, und verbot nur das Fleisch
unreiner Tiere. Warum verbietest du uns denn das Fleisch aller Tiere? Welches
dieser Gesetze kommt von Gott: Moses‘ Gesetz oder dein Gesetz?“
...
Und Jesus sprach weiter: „Gott gebot euren Vorvätern: ‚Du sollst nicht töten.‘
Doch ihre Herzen waren hart, und sie töteten. Da wünschte Moses, daß sie
wenigstens keine Menschen töten sollten, und er erlaubte ihnen, Tiere zu töten.
Doch da wurden die Herzen eurer Vorväter noch härter, und sie töteten Menschen
ebenso wie Tiere. Ich aber sage euch: Tötet weder Menschen noch Tiere, ja nicht
einmal die Nahrung, die ihr in euren Mund führt. Denn eßt ihr lebende Nahrung,
so wird sie euch beleben; doch tötet ihr eure Nahrung, so wird die tote Nahrung
auch euch töten. Denn Leben kommt nur vom Leben, und vom Tod kommt immer nur
Tod. Denn alles, was eure Nahrung tötet, tötet auch eure Leiber. Und alles, was
eure Leiber tötet, tötet auch eure Seelen. Und eure Leiber werden, was eure Nahrung
ist; gleich wie euer Geist wird, was eure Gedanken sind... So eßt immer vom
Tische Gottes: die Früchte der Bäume, die Körner und Kräuter der Felder, die
Milch der Tiere und den Honig der Bienen. Denn alles, was darüber hinausgeht,
ist des Satans, und es führt über Sünde und Krankheiten zum Tode. Die Nahrung
dagegen, die ihr von der reichen Tafel Gottes eßt, gibt eurem Leibe Kraft und
Jugend, und Krankheit wird euch fernbleiben...“
Soziales Verhalten
Eine
weitere Aufgabe der Heiligen ist, uns zu Menschen zu machen. Ihre erste und
wichtigste Mission ist es, den Menschen das uneingeschränkte Anrecht auf das
höchste Wissen über die Seele und All- Seele zu verleihen. Die Heiligen weisen
den Wahrheitssuchenden an, die völlige Reinheit von Körper, Gemüt und Verstand
anzustreben, was ihn erst zu einem vollständigen und heilen Menschen macht,
bevor er sich daran wagen kann, den Gordischen Knoten zwischen Körper und Geist
zu lösen. Ein verletzter und verstümmelter Mensch kann weder sich selbst noch Gott erkennen. Nach welchen Grundsätzen soll
denn nun der Strebende sein Handeln ausrichten? Das ist die wichtigste und doch
am wenigsten beachtete Frage, die meist gedankenlos übergangen wird. Die
dürftigen Informationen, die uns allgemeinen zugänglich sind, verdanken wir
entweder geistige Gemeinschaften, verstreuten Hinweisen religiöser Menschen
oder dem Studium der heiligen Bücher. Die Menschen bemühen sich jedoch nicht
einmal auf die Verstandesebene, ihrem Leben eine feste Richtung zu geben. Sie
haben nie genug Zeit, sich mit dieser Frage zu befassen. Vielleicht hat die
religiöse Engstirnigkeit oder dir Furcht der Priesterschaft nicht erlaubt, die
Aufmerksamkeit der Massen diesem Problem zuzuwenden. Bei dem weit verbreiteten
Materialismus mögen sie es las hoffnungslose Aufgabe empfunden haben,
Ernährungsgebote aufzustellen. Doch trotz alledem gibt es einige Menschen, die
ohne Vorurteile sind und die Literatur des Ostens unvoreingenommen studieren.
Aber durch die besondere Ausdrucksweise, die ihnen gänzlich fremd ist, sehen
sie sich dabei vielen Schwierigkeiten gegenübergestellt. Die Worte sind
entweder in sich nicht deutlich genug oder geben das, was der Verfasser sagen
wollte, nur ungenau wieder.
Die
alten Weisen, die Rishis und Munis von einst, haben die Frage des menschlichen
Lebens gründlich durchdacht. Sie haben seine verschiedenen Aspekte erschöpfend
untersucht und einen vernünftigen Lehrplan und Übungsweg entwickelt, der dem
Menschen auf der Suche nach seiner Vollendung hilft. Auf diese Weise wurde eine
zufriedenstellende Richtlinie umfassender Kultur oder Neugestaltung
ausgearbeitet, die das Wissen um das Selbst oder die Seele und das Erreichen
der höchsten, endgültigen Wirklichkeit, der großen Wahrheit, einschloß. Sie
begannen mit der planmäßigen Erforschung der angeborenen Eigenschaften (Gunas), dem Rückgrat und der Urquelle
aller karmischen Aktivitäten, von der jede Bewegung des Gemüts ausgeht. Danach
zergliederten sie diese Eigenschaften und teilen sie in drei ganz
unterschiedliche Gruppen ein:
1.
Harmonie
und Wahrheit (Satogun): Die höchste
Handlungsweise. Man kann sie als ein reines Leben in geistiger Ausgeglichenheit
beschreiben.
2.
Aktivität
(Rajogun): So wird der Mittelweg des
Handelns genannt. Eine geschäftsmäßige Haltung des Gebens und Nehmens.
3.
Unwissenheit
und Trägheit (Tamogun): Die
niedrigste Handlungsweise, die allein auf selbstsüchtige Ziel gerichtet ist und
keinerlei Gedanken an andere kennt.
Durch
einige Beispiele wird das Thema verständlicher:
a)
Bedenkt
zum Beispiel die Frage des Dienens und Helfens:
1.
„X“
hat es sich zum Grundsatz seines Lebens gemacht, anderen zu dienen, aber für
das, was er getan hat, erwartet er von den anderen keinerlei Hilfe oder Dienst
als Gegenleistung. Seine Lebensregel lautet: Tue Gutes und denke nicht mehr
daran.
2.
„Y“
dient und hilft und erwartet eine dementsprechende Gegenleistung. Das kann man
mit einem Austausch von Dienstleistungen vergleichen, wie er im Geschäftsleben
nach dem Grundsatz des Gebens und Nehmens oder des Tausches üblich ist:
Behandle andere so, wie du auch behandelt werden möchtest.
3.
„Z“
dient und hilft anderen überhaupt nicht; er glaubt vielmehr, daß er ein Recht
auf Hilfe und Dienst hat, was ihn aber zu keinerlei Gegengabe verpflichtet.
b)
Betrachten
wir nun die Frage der Nächstenliebe:
1.
„X“
gibt und vergißt und möchte dafür keinerlei Gegengabe; denn sein Grundsatz
lautet, den Armen und Hilfsbedürftigen selbstlos zu dienen.
2.
„Y“
gibt und erwartet für die guten Dienste, die er anderen erwiesen hat,
irgendeine Art von Gegenleistung.
3.
„Z“
erwartet Hilfe und Dienst, wann immer er in Not ist, doch er gibt dafür
keinesfalls etwas zurück, selbst wenn ein anderer sich direkt vor seinen Augen
in größter Not befindet.
Wir
sehen also, daß das Verhalten von „X“ das beste ist und der höchsten
Handlungsweise (Satogun) entspricht.
Seine guten Taten zeichnen ihn vor den Augen aller Welt und vor seinem Schöpfer
aus. „Y“ erntet keinen Ruhm für seine guten Taten, da sie durch sein
geschäftsmäßiges Geben und Nehmen fast schon beglichen sind, so daß nichts mehr
zu seinen Gunsten verbleibt. „Z“ andererseits belädt sich mit einer Bürde oder
Last, zu deren Begleichung er sich den karmischen Auswirkungen ausliefert, die
sich unter Umständen über Generationen ohne Ende hinzieht.
Die
Meister raten uns also, den unter 1. geschilderten Weg zu gehen und auf keinen
Fall den Weg von 2. zu unterschreiten, wenn das überhaupt nötig sein sollte.
Wie oben beschrieben kann sich jeder von uns seinen Lebensweg vorzeichnen und
seine Handlungsweise bestimmen. Soviel zum Verhalten des Menschen als Mitglied
der Gesellschaft, der er angehört. Dies anzustreben, ist jedoch kein Ziel an
sich, sondern nur ein Mittel zum Ziel – nämlich frei von Karma zu werden (neh- karma), das heißt, Karmas nicht nur
ohne jede Bindung oder irgendein Verlangen nach ihren Früchten zu vollbringen,
sondern als ein „Tun im Nichtstun“ (swadharm)
und dann weiterzugehen, um das Selbst im Innern zu entwickeln und die Quelle
aller Liebe, allen Lebens und allen Lichts zu erfahren, in der wir wirklich
leben und unser wahres Sein innehaben, wie ein Fisch, der im Wasser lebt und
dennoch nicht weiß, was Wasser ist.
Ein Leben der Selbsthingabe
Um
auf dem spirituellen Pfad voranzuschreiten , ist es von höchster Bedeutung, die
Frage des persönlichen Verhaltens (Ahar)
zu beantworten. Für den Wahrheitssuchenden stellen der liebende Glaube und die
völlige Hingabe an den Willen Gottes oder den seines Auserwählten die
grundlegenden Prinzipien seines Leben dar.
Die
Weisen und die Schriften sagen uns gleicherweise, daß wir, während wir in der
Welt leben, uns nicht so verhalten sollten, als ob wir von der Welt seien,
sondern eine Haltung der Selbstverleugnung oder des völlig Losgelöstseins von
der Welt und allem, was weltlich ist, beibehalten sollten. Wir sollten also
leben wie die Lotospflanze, die unten im Schlamm wurzelt, doch ihre Blüte weit
darüber ins Licht der strahlenden Sonne erhebt, die über dem trüben Wasser
scheint; oder wie der königliche Schwan, der majestätisch über die Oberfläche
des Wassers, seines natürlichen Lebensraumes, gleitet und doch unbenetzt
darüber hinwegfliegen kann, wenn er es will oder es ihm geboten scheint.
Diese
Art unbeteiligter Absonderung oder Losgelöstheit von der Umgebung und vor allem
von dem niederen Selbst, dem Körper, dem Gemüt und der Gefühlswelt, kommt nur
zustande, wenn man das Ich oder den persönlichen Willen im willen Gottes oder
dem seines Gurus, des Gottmenschen, aufgehen läßt, denn dann handelt man wie
eine Marionette in einem Pantomimentheater, die nach dem Willen des
Drahtziehers der Bühne spielt und tanzt. Dieser Zustand, der uns bitten läßt:
„Nicht mein Wille, sondern Dein Wille möge geschehen, o Herr!“ wird völlige
Selbsthingabe genannt. Solch eine Haltung verhilft einem Menschen auf einfache
Weise von Karma frei zu werden. Obwohl er augenscheinlich dies oder jenes
bewirkt, tut er doch nichts mehr aus sich selbst, sondern führt nur den Willen
Gott- Vaters oder des göttlichen Lehrers aus, denn er sieht in sich den
göttlichen Plan, wie er ist, und treibt einfach dahin im großen Strom des
Lebens und erkennt sich als bewußtes Werkzeug in den unsichtbaren Händen, die
all seine Bewegungen lenken.
Selbsthingabe
heißt also, daß man alles, was man hat, Gott oder seinem Auserwählten, dem
Lehrer (Gott im Menschen) übergibt, einschließlich Körper, Besitz und das
eigentliche Selbst (das denkende Gemüt). Dies bedeutet für das Individuum
jedoch nicht den Zustand eines völligen Bankrotts der Handlungsfähigkeit, wie
mancher zu denken geneigt dein könnte. Der allmächtige Gott und sein
Auserwählter sind die Spender aller Dinge, und sie benötigen jene Gaben nicht,
die sie ihren Kindern bereits umsonst und im Überfluß zu ihrem rechtmäßigen
Gebrauch und Wohlergehen gewährt haben. Doch aus Unwissenheit betrachten wir
sie als unser eigen und nehmen eine Haltung aggressiver Besitzstrebens ein. Wir
versuchen sie mit allen Mitteln, ob recht oder unrecht, zu erlangen, und
verteidigen sie dann eifersüchtig , ist aller Kraft. An diese Gaben gebunden
und fest umklammernd, vergessen wir Ihn, den großen Geber. Dadurch schleicht
sich unmerklich die große Täuschung in uns ein, die Grundursache all unserer
Leiden. Diese Dinge, die wir erlangt haben, gehören uns natürlich, doch sie
wundern uns als heiliges Gut zu unserem vorübergehenden Gebrauch gegeben, damit
wir sie in Übereinstimmung mit dem Willen des Spenders nutzen, der zweifellos
vollkommen, makellos rein und fehlerlos ist. Doch da wir im Bereich der Materie
leben, können wir trotz all unserer Weltklugheit nicht vermeiden grobe
Eindrücke an uns zu ziehen und ihnen zu erlauben, sich ungehindert Tag für Tag
anzuhäufen, bis sie eine Mauer wie Granit um uns bilden. Wir verlieren dadurch
unser klares Wahrnehmungsvermögen, werden der Wirklichkeit gegenüber blind und
gelangen dazu, das Selbst in uns mit dem Körper (pinda) und dem physischen Gemüt (pindi- manas) zu identifizieren. Diese rauchgeschwärzten und mit
Scheuklappen versehenen Gläser trüben unsere Sicht so sehr, daß wir die weiße
Strahlung der Wirklichkeit nicht mehr erkennen können, sie bleibt uns
verborgen, als ob wir durch einen Dom mit vielfarbigen Glasfenster blickten.
Die Heiligen berichten uns von der Wirklichkeit und helfen uns, die täuschenden
Gläser zu zerbrechen, die Scheuklappen, die unsere Sicht begrenzen,
herunterzureißen und die Welt, die sich uns zeigt, als herrliches Gotteswerk zu
erkennen. Sie sagen uns, daß die Welt, die wir sehen, eine Widerspiegelung
Gottes ist und Gott in ihr wohnt. Da dies so ist, müssen wir Körper, Gemüt und
Besitz, die Gaben Gottes, so sauber und rein halten, wie sie uns gegeben
wurden, und wie sie in seinem Dienst und im Dienst für seine Schöpfung weise
nutzen, wie es seinem göttlichen Willen entspricht, der bereits in das
Grundmuster unseres Seins gewirkt ist; oder wie könnten wir sonst bestehen?
Doch durch eine fortwährende Empfindung des Getrenntseins von der Wirklichkeit
haben wir Gott im mächtigen Wirbel der Welt aus den Augen verloren, ebenso wie
den Halt an den lebendigen Rettungsleine im Inneren: dem Licht und dem Ton
Gottes. Die Heiligen gebieten uns, den Vorgang des Nachaußen- Wendens zur
inneren Wirklichkeit hin umzulenken, indem wir die wahren Werte des Lebens
verstehen lernen; denn das „Leben“ ist
viel wertvoller als das Fleisch (der Körper); und das Fleisch ist mehr wert als
das Gewand (weltlicher Besitz), mit dem wir unser geringes Selbst in Form von
Körper und Gemüt bedecken. Beide sehen wir fälschlich als unser eigen an und
verwenden sie bedenkenlos und selbstsüchtig für Sinnesfreuden und irdische
Zurschaustellung. Wenn wir uns einmal über das Köperbewußtsein erhoben haben,
wissen wir, was wir sind und wie wir unsere Gaben im Dienst an Gott und Gottes
Schöpfung am besten nutzen können. Wir werden sie nicht länger zu sündhaften
Handlungen, die aus sinnlichen Gelüsten und dem Wunsch nach Selbsterhöhung
geboren wurden, mißbrauchen und auch nicht als Mittel zu weltlicher Macht oder
für persönlichen Nutzen und Gewinn einsetzen. Das war die große Lehre, die der
Weise Ashtavakra dem König Janaka vermittelte, nachdem er ihn eine tatsächliche
Erfahrung der Wirklichkeit gegeben hatte. In der Tat müssen wir nichts anderes
aufgeben als das egoistische Verhaftetsein an die Schatzkammer des Herzens.
Dadurch werden wir nicht ärmer, sondern lenken weit mehr der liebevollen Gaben
des höchsten Vaters auf uns, wenn er die Weisheit seines Kindes sieht, das
einst war wie der verlorene Sohn, doch nun klüger geworden ist. Das wird
Hingabe des niederen Selbst genannt, mit allem, was zu ihm gehört, also mit
Körper, Gemüt und Besitz, um des höheren Selbst, der Seele willen, wie es dem
göttlichen Willen entspricht, und um das wahre Ziel des Lebens zu erreichen,
nämlich frei zu werden von Karma.
Ein
Beispiel zum besseren Verständnis: Aus der Zeit Guru Arjans, dem fünften Guru
nach Nanak, wird uns von einem vorbildlichen Schüler (Sikh) namens Bhai Bhikari berichtet. Einst bat ein Schüler den
Guru, ihn mit einem ergebenen Schüler, einem Gurbhakta, bekannt zu machen. Der Guru sandte ihn mit einem Brief
zu Bhai Bhikari und bat ihn, ein paar Tage bei dem frommen Bhai zu bleiben.
Bhikari empfing seinen Glaubensbruder sehr herzlich und bewirtet ihn, so gut er
nur konnte. An dem Tag, als er ankam, nähte sein Gastgeber gerade in aller Ruhe
an einem Stück Stoff, das wie ein Leichentuch aussah. Nachdem der Schüler ein
paar glückliche Tage in der Gesellschaft Bhais verbracht hatte, wollte er
wieder heimkehren, aber Bhikari bat ihn, noch ein wenig zu bleiben und der
Hochzeit seines Sohnes beizuwohnen, die sie bald feiern würden. Da sein
Gastgeber ihn so liebevoll bedrängte, stimmte er zu. Der Hochzeitstag nahte. Im
Haus wurde gefeiert, doch Bhikari blieb so ruhig wie immer. Wie allen anderen,
begleitete der Schüler den Hochzeitszug, nahm an den fröhlichen
Trauungsfeierlichkeiten teil und ging mit den Brautleuten zum Hause Bhikaris
zurück. Doch wie es das grausame Geschick befahl, wurde am nächsten Tag
Bhikaris einziger Sohn, der frisch vermählte junge Mann, ganz unvermittelt
krank und starb. Bhikari nahm ruhig das Tuch heraus, das er vor ein paar Tagen
für diesen Zweck genäht hatte, hüllte den toten Körper seines Sohnes darin ein,
trug ihn zum Verbrennungsplatz und vollzog das letzte Ritual mit der für ihn
üblichen Gelassenheit. Der Schüler war sprachlos vor Staunen über Bhikaris
unerschüttlichen Gleichmut, der von allen Wechselfällen des Lebens
unbeeinträchtigt blieb, denn er bemerkte in Bhikari nicht eine Spur von Freude
oder Kummer, sondern völlige Ergebenheit in den Willen des Herrn. Bhai hatte
ihn von Anfang an gekannt und befolgt, ohne persönliche Gefühle oder die
geringste Gemütsbewegung zur Schau zu stellen.
Guru
Nanak betet immer: „O Herr! Tue nicht das, was ich erbitte, sondern lasse
Deinen Willen geschehen.“
Ähnlich
bezeichnete sich Sant Kabir häufig als einen Hund namens Moti und schrieb alle
seine Taten seinem Herrn und Gott zu, der die Leine in den Händen hielt und ihn
zog, wohin Er wollte.
Christus
betete immer: „Dein Wille geschehe, im Himmel wie auf Erden.“ „Dein Wille
geschehe“ war auch stets das Schlußwort der täglichen Gebete der Hindu- Mönche,
Moslem- Derwische und christlichen Priester, denen die Worte „Tatha Astu“ oder
„Amen“ folgten, die „Möge es so sein“ bedeuten.
Aus
Vorstehendem sollte deutlich zu erkennen sein, wie sehr wirklich aufrichtigen
Schülern des Meisters und auch dem Meister selbst bewußt ist, daß sie keine
eigene, individuelle Existenz getrennt von der des Gottmenschen oder von Gott
haben. Solche Menschen lesen in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wie in
einem offenen Buch und handeln in Übereinstimmung mit dem göttlichen Plan. Das
führt zu dem unweigerlichen Schluß, daß Gott jenen Seelen hilft, die seinen
Willen befolgen. Doch das gilt nur für Menschen mit starkem Glauben, es ist
kein Rettungsweg für den gewöhnlichen Menschen, der immer auf der Sinnesebene
lebt; denn er wird durch das Gesetz beherrscht: „Hilf dir selbst, so hilft dir
Gott“. Jede Art von Selbsthingabe bringt rasch ihre eigene Frucht, die der
Tiefe des Glaubens entspricht und der Ebene, auf der sie erfolgt. Wenn man auf
dem Pfad fortschreitet, lernt man durch allmähliche Erfahrung den vollen Wert
der Selbsthingabe kennen, bis man ein Stadium erreicht, in dem man das Ich oder Ego gänzlich im
göttlichen Willen verliert, selbst frei wird von Karma und somit die Krönung
und Herrlichkeit aller menschlichen Existenz verwirklicht. Der liebende Glaube
an die Gott innewohnende Güte und die völlige Selbsthingabe an den göttlichen
Willen führen uns also auf die erhabene Straße der Spiritualität, ohne daß der
Strebende länger größere Mühen auf sich nehmen muß. Diese beiden Eigenschaften
stellen das geheime „Sesam, öffne dich“ und den magischen Schlüssel dar, der
die Tore zum Reich Gottes weit aufstößt. Dieses Reich liegt im Inneren des
Tempels des menschlichen Körpers, den jeder von uns besitzt. Alle Schriften
künden: „Wisset ihr nicht, daß ihr der Tempel Gottes seid und der Geist Gottes
in euch wohnt?“
Karma
Ein Brief von Meister Sawan Singh
In
der Schöpfung sind der höchste Schöpfer und die individuelle Seele durch den
Tonstrom miteinander verbunden. Aber Kal, die negative Kraft, die auch eine
Schöpfung des höchsten Wesens ist, trennt die einzelne Seele von diesem Strom,
indem sie als Gemüt und Form dazwischentritt.
Daher
fühlt sich die einzelne Seele getrennt, doch nicht so der Schöpfer. Es gibt
drei Arten von Gemüt, und diesen entsprechen drei Arten von Formen. Auf der
Stufe der Kausalebene (Trikuti)
bedeckt das innerste Gemüt (Nijman)
oder das universale Gemüt (Brahm) den
Geist oder die Seele. Die Umhüllung der Seele besteht hier aus sehr einem
Gemütsstoff (Maya), so rein, daß die
Mehrzahl der Suchenden den Geist nicht als getrennt von diesem vergänglichen
Gemütsstoff erkennt und daher das universale Gemüt als allesdurchdringend
betrachtet. Weiter unter in der Astralebene (Sahasdal Kanwal) erhalten die Formen der Kausalebene (Trikuti) weitere Umhüllungen aus Gemüt
und Form, die grobstofflicher als die zuerst erwähnten sind. Die astrale Form
wird hier vom astralen Gemüt (Andi Man)
beherrscht.
In
dieser Zonen gibt es Höllen, Himmel und zahlreiche andere Regionen (Lokas). Die Neigungen diesen Gemüts sind
erhebend und nach innen gerichtet. Es verhält sich wie ein weiser Feind, der
versucht, uns hier zu halten. Noch weiter unten, in der physischen Form (Pind) erhält die Astralform eine weitere
Umhüllung grobstofflichen Materials, mit dem wir alle vertraut sind.
Das
Gemüt, das diese Form beherrscht, wird physisches Gemüt oder Verstand (Pindi man) genannt. Seine Neigungen
richten sich nach außen und zersplittern sich, und es ist sehr schwer zu
beherrschen. Nur ein Körper, der von Gemüt und Seele bewegt wird, nicht anders
als Ursachen (Karma) schaffen; und das karmische Gesetz „Wie du säst, so
wirst du ernten“ wirkt unaufhörlich weiter, und die Rechnung wird mit der
Zeit unüberschaubar. Je mehr wir bewirken, umso größer die Verstrickung, und
wir sind dann wie ein Vogel, der in den Maschen eines Netzes flattert.
Die
negative Kraft (Kal) hat die
Fallstricke der Formen und Gemüter so listig gelegt, daß es beinahe unmöglich
ist, in diesen Gemütern und Formen ihrem Einfluß zu entkommen. Es spielt keine
Rolle, wie gut oder fromm wir handeln, unsere Taten können uns aus diesen
Regionen nicht herausführen. Krishna sagte: „Gute Handlungen sind ebenso
bindend wie schlechte. Gute Handlungen kann man mit Fesseln aus Gold und
schlechte mit Fesseln aus Eisen vergleichen; beide halten uns gleichermaßen
gebunden.“ Ein Entkommen ist nur durch den Tonstrom möglich, da er die
Grundsubstanz ist, aus der die Gemüter bestehen.
Das
Gemüt wird nur ruhig und untätig, wenn die Aufmerksamkeit den Tonstrom ergreift
und ihm folgt. Zu jeder anderen Zeit, wenn die Aufmerksamkeit nicht auf den
Tonstrom gerichtet ist, gewinnt das Gemüt die Oberhand. Während der langen und
unabsehbaren Zeit, seilt sich der Geist von dem Meer (aus dem er stammt)
getrennt hat und sich mit den Gemütern und Körpern verband, wurde nicht nur der
Weg nach ober versperrt, sondern auch der Geist so verwirrt, verstrickt und
entkräftet, daß er seine ganze Erinnerung an die Heimat verloren hat und damit
zufrieden ist, in dieser erbärmlichen materiellen Welt ein erbärmliches Leben
zu führen.
Es
gibt also zwei Standpunkte, von denen man aus die Schöpfung betrachten kann:
den des Schöpfers und den unseren, oder mit anderen Worten den vom oberen und
dem vom unteren Ende. Von ober sieht es aus, als sei der Schöpfer alles in
allem. Er ist der einzig Handelnde, und das Individuum gleicht einer Puppe, die
vom Puppenspieler nach rechts oder nach links bewegt wird. Der einzelne scheint
keinen freien Willen zu besitzen und daher auch keine Last der Verantwortung.
Es
ist Gottes Spiel. Da gibt es kein Warum und Wofür. Alle Heiligen beschreiben
die Schöpfung, wenn sie von oben auf sie blicken, als Seine Offenbarung. Sie
sehen Ihn überall wirken. Wenn wir die Sache nun von unten oder aus der Sicht
des einzelnen betrachten, begegnet uns Vielfalt im Gegensatz zur Einheit.
Jeder
scheint durch seinen eigenen Willen zu wirken. Außerdem wird er von anderen
beeinflußt und wirkt selbst auf andere ein, mit denen er in Verbindung kommt.
Das Individuum ist der Handelnde und daher für seine Taten und deren Folgen
verantwortlich. Seine ganzen Handlungen werden im Gemüt und dem Gedächtnis
aufgezeichnet und rufen Zuneigung und Abneigung hervor, die ihn an die
materiellen, astralen oder mentalen Bereiche gebunden halten, wie es seinen
früheren Handlungen im Kreislauf der Seelenwanderung entspricht. In diesen Regionen
kann der einzelne nicht anders als handeln, und wenn er etwas getan hat, kann
er den Auswirkungen dieser Tat nicht entgehen. Der einzelne ist der Handelnde
und muß daher die Folgen seiner Taten auf sich nehmen.
Wie
oben gesagt, unterscheiden sich die Beobachtungen durch ihren unterschiedlichen
Standpunkt. Beide sind richtig. Das in grobe materielle Gestalt gekleidete
Individuum sieht nur die äußeren körperlichen Formen. Sein Blick dringt nicht
tiefer. Wenn sich der Mensch erheben würde, könnte er von der Astralebene aus
sehen, wie das Gemüt alle Formen bewegt. Die Form ist nur zweitrangig, das
Gemüt ist die bewegende Kraft, die hinter allem steht. Von der Superkausalebene
aus wird das gleiche Individuum den Geistesstrom überall wirken sehen und erkennen,
wie das Gemüt seine Kraft von der Seele erhält.
Von
der fünften spirituellen Ebene (Sach
Khand) aus betrachtet, kann man die ganze Schöpfung mit Blasen vergleichen,
die in einem spirituellen Meer entstehen und wieder vergehen. Der Mensch
besitzt einen Verstand und vollbringt jede Handlung wissentlich. Es ist daher
seine Pflicht, einen Ausweg aus dieser Verstrickung zu finden. Er muß gegen das
Gemüt kämpfen, um seinen Geist zu erheben, denn er lebt durch den Kampf.
Und
wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg. Er kann nicht sagen, daß das nicht ein
Teil seiner Pflicht sei.
Nun
teilt man die Karmas in drei Gruppen ein: neue Handlungen (Kriyaman), Schicksal (Pralabdh)
und Vorrat (Sanchit), das heißt
Handlungen, die noch nicht Frucht getragen haben. Man kann es mit der Lage
eines Bauern vergleichen: Er bereitet sein Land für die Saat und hat die freie
Wahl zu säen, was immer er will. Nehmen wir an, er entscheidet sich für Weizen
und sät ihn. Das Getreide reift heran, und er erntet es. Einen Teil davon behält
er für seinen Verbrauch im kommenden Jahr zurück, und den Überschuß bewahrt er
auf. Während des nächsten Jahres wird er von Weizen leben müssen, denn er hat
nichts anderes.
Wenn
er nun etwas anderes ernten möchte, sagen wir einmal Mais, kann er ihn im nächsten
Jahr säen. Wie beim Weizen behält er etwas für seinen Gebrauch und bewahrt den
Überschuß im Speicher auf. Jahr für Jahr lebt er von dem, was er im vergangenen
Jahr zurückbehalten hat und vergrößert seine Reserve im Speicher, um sie bei
einer Mißernte oder in Notzeiten in Anspruch zu nehmen.
Ihr
seht, daß er von dem lebt und zu leben hofft, was er selbst sät und erntet.
Genauso bestimmt alles was wir in diesem Leben tun, das Schicksal unserem
nächsten Lebens; und die negative Kraft (Kal)
bewahrt etwas davon auf für den Fall, daß unser Karma durch einen Zufall zur
Neige gehen sollte (natürlich ist die Wahrscheinlichkeit gleich null). Ohne
Karma kann die negative Kraft einen Geist nicht im Körper gebunden halten, und
ohne Körper kann man kein Karma bewirken.
Es
steht der negativen Kraft frei, dem Schicksal etwas aus dem Vorrat hinzuzufügen
oder dem Schicksal für den Vorrat abzuziehen. Wie der Bauer, der sein Land für
die nächste Saat bereitet, von dem lebt, was er im Jahr davor geerntet hat, und
auf seinen Vorrat vertraut, handeln wir gemäß unserem Schicksal, das uns keine
Wahl läßt. Aber wir haben die Wahl, für unser zukünftiges Wohlergehen nach
unserem Belieben etwas Neues zu bewirken. Und wir haben keine Rücklage, einen
Vorrat aus vergangenen Leben, von dem wir nichts wissen. Wir wirken daher
gegenwärtig auf zweifache Weise: a) Was unser Schicksal betrifft sind wir
hilflos; b) doch bei neuen Handlungen haben wir die freie Wahl, was wir für die
Zukunft säen wollen. Es ist nicht einfach für den einzelnen, allein mit dem
Verstand zwischen diesen beiden Arten von Handlungen zu unterscheiden. Aber man
kann folgende grobe Regel aufstellen: Das was trotz unserer Bemühungen und
unser Dazutun geschieht, ist Schicksal. Doch jene, deren Aufmerksamkeit
konzentriert ist und die Zugang nach innen haben, können ihr Schicksal leicht
lesen. Es ist ein offenes Buch für sie.
Im
physischen Körper gehen die Handlungen vom Herzzentrum aus. Solange das Gemüt
hier gesammelt ist (beim gewöhnlichen Menschen ist das Herz das Zentrum der
Gemütstätigkeit), wird der Mensch von Gemütsbewegungen beeinflußt. Er nimmt die
Empfindungen von Freude und Trauer wahr, da das Gemüt den Körper von diesem
Zentrum aus bewegt. Wenn der Geist durch Konzentration zum Augenbrennpunkt
erhoben wurde, oder mit anderen Worten, wenn die Aufmerksamkeit ihren Sitz oder
ihr Zentrum vom Herz zu den Augen verlagert hat, dann werden die durch äußere
Einflüsse hervorgerufenen Gefühle, die sich auf den physischen Körper
auswirken, nur mehr unmerklich wahrgenommen.
Die
Freuden der Welt werden einen solchen Menschen nicht erheben, und ihre Sorgen
werden ihn nicht betrügen. Die Schicksalshandlungen sind im achtblättrigen
Lotos auf der Astralebene (Anda) über
den Augen gespeichert. Solange man dieses Zentrum nicht überschritten hat,
empfindet man ihren zwingenden Einfluß. Wenn man dieses Zentrum überschritten
hat und die Gestalt des Meisters erblickt (denn diese Form wohnt dort), wird
der Einfluß der Schicksalshandlungen nur mehr dem Namen nach wahrgenommen. Das
Gemüt ist dann stark geworden und hat die Kraft, sie ohne Anstrengung zu
ertragen.
Aber
das Schicksal kann nicht ausgelöscht oder geändert werden; man muß es ertragen.
Hat der Pfeil den Bogen verlassen, muß er sein Ziel finden. Die Handlungen, die
sich noch nicht ausgewirkt haben, sind am höchsten Punkt der Kausalebene (Trikuti) gespeichert, und nur wenn eine
Seele die dritte Gemütsebene oder die Kausalebene überschritten hat, kann man
sagen, daß sie von allem karma frei ist. Unterhalb dieser ebene leidet der
Geist durch die schlechten Auswirkungen des Karmas.
Allen
Handlungen liegt ein Motiv zugrunde, und dieses Motiv ist bindend. Es ist nicht
leicht, sich eine Handlung vorzustellen, die ohne Beweggrund ausgeführt wird.
Das Gemüt wirkt bewußt der unbewußt, und es ist lächerlich, von Handlung
(Karma) ohne Rückwirkung (Gegenkarma) zu sprechen. Es gibt kein Entkommen vor
den Rückwirkungen. Wie gut unsere Handlungen auch sein mögen, ihren Folgen
können wir nicht entrinnen. Nächstenliebe, Opfer oder Pilgerfahrten müssen belohnt
werden, und die Seele, die sie bewirkt, muß den Lohn in der einen oder anderen
Verkörperung empfangen.
Der
Mensch wird mit einer Lebensspanne wiedergeboren oder verkörpert, die durch die
karmischen Auswirkung seines vergangenen Lebens bestimmt ist, „nicht mehr und
nicht weniger“. Christus sagt: „Deine Tage sind gezählt.“ Die Länge
unseren Lebens ist durch die Zahl der uns zugemessenen Atemzüge bestimmt. Ihr
rechter Gebrauch oder Mißbrauch kann unser Leben auf Erden verlängern oder
verkürzen. Normalerweise atmet man etwa 14 oder 15 mal in der Minute, aber in
leidenschaftlichen Augenblicken atmet man 24 bis 26 mal in der Minute. Auf diese
Weise verbraucht man die einem zugemessene Zahl an Atemzügen in einer kürzeren
Zeit. Führt man jedoch ein enthaltsames Leben und widmet den spirituellen
Übungen Zeit, verringert sich die Anzahl der benötigten Atemzüge auf vier bis
sechs pro Minute. Auf diese Weise wird das Leben verlängert. Die Yogis lenken
monate- und manchmal jahrelang ihren Atem durch eine Yoga- Übung (Kumbhak), bei der die Einatmung zeitlich
ausgedehnt wird, und verlängern dadurch ihr Leben um Hunderte von Jahren.
Doch
durch den Schutz, den einem die Heiligen gewähren, kann man seinem Karma
entrinnen. Sie selbst sind ohne Karma. Ihre Handlungen binden sie nicht, denn
ihr Geist wirkt, wie eben beschrieben, von der Superkausalebene aus, einem
Zentrum über den drei Bereichen des Gemüts und der Form. Sie zeigen uns den
Ausweg.
Sie
sagen, daß wir alle weiteren Handlungen im Namen des Meisters ausführen sollen,
wobei der einzelne in der Eigenschaft eines Beauftragten handelt. Die neuen, in
diesem Geist bewirkten Handlungen werden uns nicht mehr binden. Und die
Auswirkungen der Handlungen, die unser Schicksal bestimmten, werden zur Zeit
unseres Todes abgetragen sein. Die Wirkungen der aufgespeicherten Handlungen
nehmen die Heiligen teilweise auf sich, und zum Teil muß sie der Ergebene
erdulden, so wie der Heilige es für richtig hält. Die Heiligen verbinden die
getrennte Seele mit dem Tonstrom, unserem Urgrund, und wenn die Seele ihn
ergreift, sich erhebt und sich von den Einflüssen des Gemüts und der Materie
befreit, wird sie immer stärker. Je mehr sich der einzelne auf diese Weise
bemüht, um so leichter ist der Pfad für ihn. Anderenfalls wird sein Weg länger.
Aber haben die Heiligen jemanden einmal initiiert, sind sie verpflichtet, ihn
hindurchzubringen. Das Hören auf den Tonstrom schneidet die Wurzeln des Karmas
ab.
Der
Strom wirkt auf den Geist wie ein Magnet. Er zieht den Geist an sich, und wenn
er nicht vom Rost des Gemüts und der Materie bedeckt wäre, stiege er auf wie
ein Geschoß. Der Rost von Bindungen und Eindrücken wird durch Wiederholungen
beseitigt. Die Wiederholung von Gedanken über die innere Reise (Simran) ersetzt unsere alltäglichen
Gedanken, und anstatt im Äußeren umherzuwandern, beginnt das Gemüt im Inneren
Ruhe und Frieden zu finden; und wenn das Gemüt ins Innere tritt, folgt ihm der
Geist, und wenn dieser nach innen gelangt, zieht ihn der Tonstrom wiederum nach
oben. Und hat er die Kausalebene (Trikuti)
überschritten (was nur gelingt, wenn allen karmischen Rechnungen beglichen
sind), dann kehrt die Seele nie wieder in den Kreislauf der Seelenwanderung
zurück. Sie steigt auf, um in ihrem Meister aufzugehen.
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