Wahre Religion: Universale Liebe und Denken an Gott

Was ist wahre Religion? Dies ist die natürlichste Frage des Menschen, und jeder einzelne steht ihr früher oder später gegenüber. Wir haben Hunderte und Tausende von Schriften und Abhandlungen, die sich mit den wesentlichen Problemen des Lebens befassen, doch sie gehen nicht einig in der Beantwortung dieser verwirrenden Frage. Wir müssen deshalb in unserer Nachforschung und Suche nach einer »korrekten Lösung«, die nur eine einzige sein kann, weitergehen. Aber bevor wir mit dieser Nachforschung beginnen, müssen wir den Zweck der Religion oder des Dharma kennenlernen. Das Ziel, welches uns alle Religionen vor Augen halten, ist ein und dasselbe, nämlich göttliche Glückseligkeit und die beseligende Schau Gottes. So streben alle Religionen wie ebenso viele Bogenschützen das gleiche Ziel an. Wenn wir in unserem Bekenntnis, Gott zu lieben, wirklich aufrichtig sind, müssen wir auch Gottes Schöpfung lieben, da der Schöpfer und seine Schöpfung identisch sind. Wir können nicht das eine lieben und das andere hassen. Alle Heiligen und Weisen arbeiten an diesem Grundsatz und lieben die Menschheit als solche, und dabei hat es nichts zu besagen, ob einer an Gott glaubt oder nicht, denn sie machen keinen Unterschied zwischen dem Theisten und dem Atheisten oder dem Agnostiker. Sie glauben an die eine große Familie Gottes, und alle sind ihnen teuer, trotz scheinbarer Unterschiede in den unwesentlichen Dingen des Lebens.
Aber was sehen wir wirklich in der Welt? Wir haben die grundlegende Wahrheit der Liebe vergessen, die an der Wurzel aller Religionen wirkt; wir sind alle abgeschnitten vom Notanker und schwimmen steuerlos im Meer des Lebens. Jeder einzelne von uns versucht, sich an einem Strohhalm festzuklammern, um sich zu retten.
Und die natürliche Folge davon ist, dass wir nach kurzem Kampf gegen Wind und Wasser in die große Vergessenheit geraten, ohne das Rätsel des Lebens zu lösen - woher wir kommen, wohin wir gehen oder das Warum und Wofür des menschlichen Daseins.
Liebe ist sodann die einzig wahre Religion. Paulus wandte sich an die Galater und sagte: 

...durch die Liebe diene einer dem anderen.

Gal. 5, 13

Leigh Hunt erklärte:

Einer, der seinen Mitmenschen dient, liebt Gott und ist der wahre Geliebte Gottes.

Und ähnlich sagt Samuel Taylor Coleridge in seinem bekannten »Gedicht vom alten Seemann«:

Am besten betet, wer am besten liebt, was groß ist und gering, 
denn der liebe Gott, der uns liebt, schuf und liebt alle Ding.

Johannes schreibt in seiner Epistel:

Wer nicht liebhat, der kennet Gott nicht; denn Gott ist Liebe... 

1. Joh. 4,8

Christus, der große Apostel des Friedens, legte in seinen denkwürdigen Worten das Hauptprinzip des Lebens mit Nachdruck nieder:

Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.

Und nochmals betonte er:

Liebe, und alle Dinge werden dir zufallen.

Sheikh Saadi, ein Moslem-Heiliger, lehrte dasselbe:

So wie die Glieder eines Körpers sind die Kinder Gottes miteinander verbunden. Sie sind aus demselben Geist geboren. Wenn eines von ihnen unter Fieber leidet, werden auch die anderen unruhig.

Sheikh Farid und andere Heilige wiederholen dieselbe Wahrheit:

Wenn du deinen Geliebten (Gott) finden willst, so verletze nicht die Gefühle eines anderen.

Shalok Farid

Guru Gobind Singh, der zehnte Guru der Sikhs, sagte:

Wahrlich, wahrlich, ich sage dir, dass sich Gott einem, der liebt, selbst offenbart.

Gott ist Liebe, und unsere Seele ist vom selben Geist wie Gott, so ist auch sie Liebe; und der Weg zurück zu Gott geht ebenfalls über die Liebe.

Und wieder ist gesagt:

Der Schöpfer und seine Schöpfung sind eines. Schade seiner Schöpfung nicht, o Nandlal, und ziehe dir nicht den Zorn Gottes zu.

Bhai Nand Lal

Alle Heiligen und frommen Ergebenen haben nur eine Religion; die Religion der Hingabe an Gott und der Liebe zu Seiner Schöpfung. Der Mensch ist nicht besser als ein Schaf oder eine Ziege, die ein blindes Leben führen, wenn er nicht von Gefühlen der Liebe und Zuneigung für seine Mitmenschen beseelt ist, ihre Freuden und Leiden teilt und ihnen in ihren Mühen und Sorgen beisteht. Wenn wir statt mit menschlicher Sympathie von Hass, Eifersucht, Übelwollen, Neid und Feindseligkeit erfüllt und voller Groll, Habsucht und Eigenliebe sind, und wenn wir von Stolz und Vorurteilen regiert werden, haben wir kein reines Herz, welches das Licht Gottes in uns widerstrahlen kann, und können so nicht wahres Glück und wahre Wonne empfinden.
Mit Gottes Geist ausgestattet, ist der Mensch das Höchste und die Krone der Schöpfung. Je mehr man seine Mitmenschen liebt, desto näher kommt man dein Schöpfer. Die ganze Schöpfung ist Seine Offenbarung, und Sein Geist wohnt allen Formen inne. Alle Farben haben ihre Tönung von Ihm. Sein Geist, der alles durchdringt, wirkt allerorts, und es gibt keinen Ort ohne Ihn.

Alle strahlen das aus sich selbst kommende Licht wider, oh, keiner ist gut oder schlecht.

Kabir

Der Teil ist im Ganzen und das Ganze im Teil, worin liegt dann der Unterschied, wenn beide das Eine widerspiegeln?

Die Unterschiede in den Formen, der Lebensweise, der Kleidung und in den äußeren Gebräuchen entstehen alle durch die physiologischen Bedingungen und können das innere Wirken der Seele nicht beeinträchtigen. Sie verblassen allmählich in ein nebelhaftes Nichts, wenn man sich über das Körperbewusstsein erhebt und zum göttlichen Grund am Sitz der Seele gelangt.

Christus lehrte immer:

Liebe Gott, deinen Herrn, von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und, Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.

Und weiter sagt er:

Liebet eure Feinde; segnet, die euch fluchen; tut wohl denen, die euch hassen; bittet für die, so euch beleidigen und verfolgen, auf dass ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel... Darum sollt ihr vollkommen sein, gleichwie euer Vater im Himmel vollkommen ist.

Matth. 5, 44 - 48

Dies ist tatsächlich die wahre Religion, wahre Hingabe und wahre Meditation.
Das menschliche Herz ist der Sitz Gottes. Es wurde dem Menschen zu treuen Händen gegeben. Deshalb muss es sauber und rein gehalten werden, denn nur dann kann es Sein Licht widerstrahlen und das Leben wahrhaft gesegnet machen. Der Körper ist der Tempel Gottes. Die von Menschen gebauten Tempel halten wir peinlich sauber und rein, aber dem heiligen Tempel Gottes, der wir in der Tat sind, zollen wir sehr wenig Beachtung. Wie sollen wir das machen, ist die Frage?
Es gibt nur ein schöpferisches Prinzip für die ganze Schöpfung. Alle sind aus dem Licht Gottes geboren, und dasselbe Licht leuchtet in allen; so kann keines Seiner Geschöpfe als Übel bezeichnet werden. Thomas a Kempis schreibt in seiner »Nachfolge Christi«:
Von dem Einen Wort gehen alle Dinge aus, und alle Dinge berichten von Ihm.
Die Hindus nennen dieses schöpferische Prinzip Naad, die Moslems Kalma und die Sikhs Naam. »Die Wahrheit ist eine und nur eine, obwohl sie die Weisen verschiedenartig beschreiben«, heißt es in dem denkwürdigen Upanishaden-Text.

Sheikh Saadi sagte:

Keine Religion ist höher als der Dienst am Menschen. Der Rosenkranz, der Altar und die Kleidung bringen kein Verdienst. Mein Geliebter ist in allen Herzen und kein Herz ist ohne Ihn. Seid des gewiss, dass Gott in allen Herzen wohnt und daher jedes Herz geachtet werden muss.
Nicht mehr als Bruchstein ist die Kaaba von Khalil, doch die Kaaba des menschlichen Herzens stellt Gott einen Sitz bereit.
Von allen Pilgerfahrten ist die zum menschlichen Herzen die wahre; sie bringt mehr Verdienste ein als zahllose Reisen nach Mekka.

Und Maulana Rumi, der große Heilige, sagt darum:

O Mensch, umwandle die geheime Kaaba des Herzens, die anders ist als die Kaaba von Khalil - denn Gott schuf die Kaaba des menschlichen Herzens.
Maghribi Sahib gab bekannt:

Das Verrichten zahlloser Härten und Bußen, von denen jede durch Werke der Nächstenliebe abgelöst wird; das Einhalten unzähliger Fasttage, die tausende Gebete und Myriaden Nachtwachen begleiten, sind ohne Nutzen, wenn du die Gefühle eines einzigen Menschen verletzt.

Und wiederum sagt Hafiz:

Trinke Wein nach Herzenslust, verbrenne den heiligen Koran und übergib, wenn du willst, selbst die heilige Kaaba den Flammen - aber verletze nicht die Gefühle irgendeines Menschen.

Alles dies zu tun, wird als Sünde angesehen; doch Hafiz sagt, es sei viel besser, sie zu begehen, als die Gefühle und Empfindungen eines Menschen zu verletzen, was das größte und abscheulichste Vergehen von allen ist.
Sheikh Saadi, ein Moslem-Heiliger, sagt:

Die Gnade Gottes kommt niemals herab, solange wir nicht Seine Schöpfung lieben; Gott verzeiht nur jenen, die zum Wohle Seiner Schöpfung wirken.

Alle Menschen haben bei Gott die gleichen Rechte
Alle Menschen, ungeachtet des Geschlechts, der Rasse, des Standes oder Glaubens, und ob sie reich oder arm, hoch oder niedrig sind, kommen in gleicher Weise auf die Welt. Aus der Mutter Leib durch die Vereinigung von Same und Ei geboren sieht jeder einzelne nach einer Periode der Schwangerschaft das Licht des Tages.

Kabir Sahib, ein großer indischer Heiliger, sagte, indem er sich an eine hohe Priesterkaste wandte:

O Brahmane, solltest du dich auf deine hohe Herkunft berufen und denken, dass du aus diesem Grunde besondere Rechte hast, so müsstest du auf eine andere Art als die übrigen zur Welt gekommen sein.
Wiederum gibt es eine bemerkenswerte Ähnlichkeit in der physischen Gestalt aller Menschen, ob sie nun aus dem Osten oder Westen stammen. Jeder hat die gleiche Anzahl Organe und Sinne, und alle werden durch dieselben Impulse und Instinkte bewegt und angetrieben. Die Witterungseinflüsse berühren alle ohne Unterschied. Alle erfreuen sich der gleichen Gabe von Mutter Natur (Licht, Luft, Wasser, Nahrung usw.) und nehmen an ihren unbeschränkten Wohltaten teil.
In jeder Weise gibt es Ähnlichkeiten in der ganzen Schöpfung. Alle Menschen, ungeachtet ihrer Nationalität und Rasse, haben Körper, die aus fünf Elementen zusammengesetzt sind (Erde, Wasser, Feuer, Luft und Äther), und leben in gleicher Weise auf dieser Erde unter dem blauen Himmelsgewölbe. Ebenso kommen Krankheit, Verfall und Tod zu allen. Keiner entgeht den Verheerungen der Zeit. So wirken auch die Heilmittel in jedem Fall. Gott hat keinen Unterschied gemacht zwischen Mensch und Mensch. Der Mensch allein ist verantwortlich für alle Arten von Unterscheidungen in Stand, Rasse und Glauben, da er die Menschheit in enge Schablonen von Klassen, Gruppen, Sekten und Nationalitäten aufspaltet.



Religiöse Unterschiede

Die religiösen Unterschiede, so wie sie in Erscheinung treten, sind alle von Menschen geschaffen und eine Folge von Engherzigkeit und Bigotterie.
Heilige und Seher haben eine allgemeine Botschaft für die ganze Welt. Es ist die Botschaft der universalen Liebe. Tatsächlich kann nicht ein einziger seine Liebe zu Gott beweisen, solange er nicht weiß, wie er seinen Nächsten lieben soll. Gerade wie körperliche Krankheiten den menschlichen Körper ruinieren, so wirken sich auch geistige Verderbtheiten aus. Letztere vergiften das Kreislaufsystem im Körper, so dass man durch Gier, Egoismus, Hass, Übelwollen und Feindseligkeit sehr in Mitleidenschaft gezogen wird, was wiederum zu einer verkehrten Lebenseinstellung führt. So wird der Mensch auf die Stufe der Tiere hinuntergezogen; nein, zeitweise sinkt er sogar noch tiefer; und sehr oft ist die Folge davon sozialer und wirtschaftlicher Zusammenbruch.
Immer wenn Meisterseelen in die Welt kommen, sagen sie uns, dass alle religiösen Verschiedenheiten das Ergebnis von Unwissenheit, individuellen Schrullen, religiöser Eitelkeit oder spiritueller Selbstsucht sind. Die sogenannten Führer in allen Religionen leiden unter fehlgeleitetem Eifer und engherzigen Vorurteilen, so dass sie unmöglich eine objektive, freie Auffassung von den sie umgebenden Dingen haben können. Im Gegenteil, sie sehen die Welt
durch die rauchgeschwärzte Brille, die sie selbst vor Augen haben. Sie kennen keine Duldsamkeit für Dinge und Zustände, die nicht mit den starren Formeln ihrer organisierten, sektiererischen und religiösen Ordnungen übereinstimmen.
Es gibt nur eine weltumfassende universale Religion, die Religion der Liebe, die sich auf der großen fundamentalen Wahrheit der Vaterschaft Gottes und der Bruderschaft der Menschen gründet. Allein durch Selbstsüchtigkeit, kleinliche Vorurteile und umnebelten Verstand haben wir beschränkte sektiererische Machtbereiche gebildet. Wir haben Hecken und Mauern von Hass und Feindschaft um uns errichtet und scheiden somit Mensch von Mensch, Klasse von Klasse, Nation von Nation und Land von Land. In diesem Zusammenhang sagte der große mohammedanische Heilige Hafiz:

Die Wahrheit leuchtet sowohl im Islam wie auch im Kufar (dem Mann des Glaubens und dem Ketzer), und all die scheinbaren Unterschiede in den verschiedenen Gemeinschaften sind in Wirklichkeit nichts. Infolge bloßer Vorurteile, haben die Brahmanen und Sheikhs (die religiösen Häupter der Hindus bzw. des Islam) verschiedene Trinkgefäße, obwohl in der Weinschenke nur ein Kellermeister (der Gottmensch) ist, der denselben Wein (der Gottesliebe) aus der gleichen Flasche an die verschiedenen Zechbrüder, die am Tisch sitzen, ausgibt.

Die Heiligen sagen uns, dass es im ganzen Universum nur einen Gott gibt.

Die Upanishaden sagen dasselbe:

Die Wahrheit ist eine, obwohl sie die Weisen verschieden benennen.

Er ist der Gott der ganzen Schöpfung und nicht der der einen oder anderen Religion. Es besteht in der Tat kein Unterschied zwischen Karta (der eine wahre Schöpfer) bei den Hindus und Karim (der Barmherzige) bei den Moslems; Ram (der Erhalter bei den Hindus) und Kalim (der Mitleidsvolle bei den Moslems). Alle diese Namen beschreiben die verschiedenen Attribute Gottes und wurden von Weisen, Heiligen, Rishis und Munis verschiedener Glaubensrichtungen in ihrer eigenen Sprache ausgedrückt. Die Namenlose Realität ist eine, doch sie antwortet auf die Rufe aller und auf jeden Namen, mit dem der Mensch sie anfleht.

Der Namenlose Eine hat viele Namen. Er hört darauf, ganz gleich, mit welchem Namen man sich an Ihn wendet.

Maulana Rumi

Man muss den Gefahren des Zweifels und des Skeptizismus sorgsam ausweichen. Gott allein soll verehrt und angebetet werden. Er ist der Gott aller, und jeder einzelne ist Seine Offenbarung. In allen wirkt derselbe Lebensimpuls, und jedem leuchtet das gleiche Licht. Die gesamte Menschheit bildet in sich eine einzige Klasse. In diesem Zusammenhang sagt Guru Gobind Singh:
Manche lassen sich den Kopf kahl scheren, während sich andere in flammenfarbene Kleider hüllen; wieder andere nennen sich Yogis (sie tragen hölzerne Ohrringe und ziehen immer von Ort zu Ort). Andere beachten das Zölibat in ihrer Suche nach dem Herrn, und weitere unterziehen sich strengen Härten und Bußen. Manche sind Hindus, und manche sind Türken, während andere Imams, Rafzi oder Anhänger irgendeines Heiligen sind. Trotz all dieser unterschiedlichen Bezeichnungen sind sie im Grunde alle eines: »die Menschheit«, d.h. Menschen, aus Gott geboren und in Ihn eingebettet. Nennt Ihn den Schöpfer oder den Barmherzigen, den Geber oder Rahim, es hat nichts zu sagen. Nehmt es als festgelegte Wahrheit, und lasst euch nicht durch die unterschiedlichen Namen verwirren. Sie alle dienen und verehren denselben Gott, den Herrn und Meister des Universums. Alle stellen das Bild des gleichen Gottes dar und existieren durch seine Liebe und sein Licht allein. Dieser Namenlose Eine hat viele Namen, doch Er hört auf jeden, mit dem man sich an Ihn wendet.

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