Der Ursprung der Religion

Die Suche nach der immanenten und allmächtigen Wesenheit begann, als in den lebenden Geschöpfen das Selbstbewusstsein zu dämmern anfing. Die endlosen Begrenzungen, in welchen sich der Geist befindet, die Unzulänglichkeit und Unvollkommenheit, die ihn von allen Seiten umgibt, die völlige Hilflosigkeit angesichts von Krankheit, Leiden und Tod, all das schafft im Menschen das Verlangen, die Quelle allen Lebens, allen Lichts, aller Glückseligkeit und Wonne zu finden. Er sucht eine Macht, mit welcher er allem Übel begegnen, die dunklen Gewalten der negativen Kraft bekämpfen, Not und Elend vertreiben und in der unwandelbaren Dauer dieses sich immer verändernden Universums gefestigt werden kann. Er will den zentralen, beständigen Pol finden, um den der ewige Tanz der Schöpfung und Zerstörung unaufhörlich weitergeht.

Die Wurzeln aller Religionen sind in dem fortgesetzten Bemühen des Menschen zu suchen, das Mysterium des Lebens und des Todes, des Lichts und des Dunkels, der Wahrheit und der Unwahrheit, des Reichtums und der Armut zu lösen. Durch die Unzufriedenheit mit seiner Umwelt beginnt er die ewige Suche immer von neuem und wendet sich dem Warum und Wofür aller Dinge zu.
Nun versucht er, die Grundlage des Lebens selbst zu finden, die Quelle, aus welcher das schöpferische Lebensprinzip hervorgeht, das den Körper und was zu ihm gehört, belebt und alles um ihn her aktiviert. Sobald sich diese Frage einmal des Menschen bemächtigt, lässt sie ihn nie mehr los, und er stürzt sich kopfüber in dieses Problem, um auf jeden Fall - das Geheimnis zu ergründen. Zuerst sucht er in den Glaubensgemeinschaften und -anschauungen der Zeit und Umgebung, in der er lebt. Aber wenn diese alle ihn nicht befriedigen und er sich im Labyrinth der verschiedenen Ideologien, widerstreitenden Theorien und der verschiedenartigen Voraussetzungen und Schlussfolgerungen sieht, ist er hilflos und verwirrt und weiß nicht, wie er sich da den Weg heraus bahnen soll. Als nächstes wendet er sich den Schriften und religiösen Büchern zu, um darin Trost zu finden; aber auch hier steht er unüberwindlichen Schwierigkeiten gegenüber: die Unkenntnis - der alten Sprachen, in welchen die Texte geschrieben sind, die Subtilität des Gegenstandes, der Mangel an Menschen, welche die Verwirklichung erlangt haben, um ihm die korrekte und wahre Bedeutung zu vermitteln.
Diese bedeutungsvolle Suche nimmt jetzt eine andere Wendung. Der Mensch durchbricht alle Schranken uralter Tradition und Bräuche, gemeinschaftlicher und ritualistischer Übungen und der herkömmlichen Verhaltensregeln, um das verborgene Licht und die Kraft Gottes das verlorene Wort - zu entdecken, das etwas Größeres und Machtvolleres ist als das, was er bisher in der äußeren Welt erlebt hat. Allmählich zieht er seine Aufmerksamkeit von der äußeren Suche ab und konzentriert sich auf den Gedanken des inneren Selbst. Auf diese Weise beginnt er zu unterscheiden zwischen Religion und Religiosität oder religiösen Glaubensanschauungen und Praktiken, die alle nur mit der Sinnesebene verbunden sind. Die Saat des Lebens hegt in den Tiefen des Lebens selbst - dem Geist oder der Seele - (wie bei allem Lebendigen, selbst bei Blumen und Pflanzen). Spiritualität bezieht sich nur auf die wesentlichsten Fragen des Geistes: was er ist, wo er sich befindet, wie er wirkt, wie er gesammelt werden kann, um in sich selbst zu ruhen, wie er vom Körper und dem Gemüt zu trennen ist, wohin er nach dem Tod geht, wie er aus freien Stücken von der Sinnesebene des Körpers zurückgezogen werden kann, die spezielle Reise, die vor ihm liegt, die verschiedenen spirituellen Ebenen, die er zu überqueren hat, sein schließliches Ziel und viele andere Themen verwandter Natur, die mit seinem Wohl zu tun haben. Das ist die Religion der Seele, die ganz verschieden und getrennt ist vom sozialen und moralischen Wohlergehen des Menschen, die beide von seinem spirituellen Wohl abhängen. Ein gesunder Geist in einem gesunden Körper ist eine bekannte Redewendung, aber die gesunde Seele, die sich im Hintergrund befindet, ist von allergrößter Bedeutung, denn der menschliche Geist und der Körper leben durch die Seele, dem großen Dynamo oder der Antriebskraft, in deren Licht und Leben alles zum Körper Gehörende aktiv wird.
Diese Suche nach dem wahren Selbst, obgleich voller
Geheimnisse, hat ungeahnte Möglichkeiten in sich und birgt unermessliche Schätze, von denen die Heiligen in rühmenden Worten sprechen; dies zieht nunmehr die Aufmerksamkeit des Suchers an. Es ist eine rein subjektive Sache, die jenseits der Grenzen des Verstandes und der Vorstellungskraft liegt. Es ist die Weisheit des Jenseits (Para Vidya), sie kann durch die Seele in ihrer reinen Form, frei von allen bedeckenden Hüllen, erfahren werden.
In diesem Zusammenhang können wir nur die denkwürdigen Worte Guru Nanaks wiederholen:

Man kann Ihn nicht durch den Verstand erfassen, denkt man auch ewig darüber nach. Man kann durch äußeres Schweigen nicht inneren Frieden finden und bliebe man für immer stumm. Nicht mit allem Reichtum der Welt lässt sich Zufriedenheit erkaufen, noch kann man Ihn durch alle geistige Findigkeit erreichen. Wie kann man die Wahrheit erkennen und die Wolken des Falschen durchbrechen? Es gibt einen Weg, o Nanak: Seinen Willen zu dem unseren zu machen; Seinen Willen, der bereits in unser Dasein eingewirkt ist.

Jap Ji

Wenn man einmal von der Unzulänglichkeit allen äußeren Wissens und aller Klugheit, aller Verrichtungen und Bräuche überzeugt ist, wird die innere Suche beim echten Wahrheitssucher zur Leidenschaft, denn Selbsterkenntnis ist der Schlüssel zur Gotterkenntnis. Der heilige Augustinus saß einmal mit seinem großen Werk »De Trinitate« am Ufer des Meeres und sah, wie ein Kind mit einer Muschel das Meerwasser in eine Grube schöpfte, die es im Sand gemacht hatte. Als er fragte, was es damit auf sich habe, entgegnete das Kind naiv, dass es das Meer ausschöpfen wolle. Der große Weise erklärte ihm die Nutzlosigkeit seines Unterfangens, da das unmöglich war.
Genauso ist die Situation im Hinblick auf die Gotterkenntnis, denn Er, der Unendliche, kann durch das begrenzte Individuum, das Ihn zu begreifen sucht, nicht auf der Ebene des Verstandes erkannt werden. Wie kann ein Teil das Ganze erkennen? Das Selbst, die Grundlage allen bewussten Lebens, kann durch den bewussten menschlichen Geist oder den Verstand nicht begriffen werden. Etwas, das die Wirklichkeit zur Grundlage hat, kann nicht selbst wirklich sein und auch nicht das Wirkliche erkennen. Über die Yoga-Methoden als Mittel, das Gemüt für die Selbstverwirklichung zur Ruhe zu bringen, sagte Gaudapada, der berühmte Vorgänger des Patanjali, des Autors der Yoga-Systeme, der vor Tausenden von Jahren lebte, dass solche Bemühungen wie das Bestreben eines Menschen seien, das Meer mit der Spitze eines Grashalms tropfenweise zu leeren.
Das Obige macht hinreichend klar, dass die Keime aller Religionen in der Selbstbefragung und Selbsteinkehr der großen Seelen zu suchen sind. Hier enden alle religiösen Philosophien, und die wahre Religion beginnt. Diese innere Suche schreitet allmählich fort, und eine Hülle (Kosha) des Geistes nach der anderen wird analysiert, durchdrungen und abgelegt und Schicht um Schicht in der tiefen Stille des Geistes abgestreift, bis der Denkapparat selbst allmählich verschwindet gleich einem zerfetzten Gewand und die Seele frei wird und in ihrem ursprünglichen Strahlenkleid, prachtvoll und glänzender als das Licht vieler Sonnen zusammen, erscheint. Dies ist die Evolution des Geistes oder die Entfaltung der Wirklichkeit, welche zunächst von unzähligen Hüllen umgeben ist. Selbsterkenntnis (Atma Sidhi) geht der Gotterkenntnis (Paramatma Sidhi) voraus.
Erst wenn der Geist zu sich kommt und von allen irdischen Bindungen und dem körperlichen Putz (den physischen, astralen und kausalen Hüllen) befreit ist, ist er fähig, die Gegenwart Gottes oder die Wirklichkeit zu erfassen, wahrzunehmen und zu empfinden. Gemüt, Verstand und Sinne können in ihrer groben Natur die Wirklichkeit mittels der Logik, der Philosophie und der Metaphysik nicht erkennen und begreifen. Es ist der Geist in seiner ursprünglichen Reinheit, der sich der Gottheit verbinden kann, wenn er sich der verschiedenen Umhüllungen entledigt hat. Wie oben beschrieben, kann Spiritualität im wahren Sinne des Wortes weder gekauft noch gelehrt werden, man kann sie jedoch von einem Gottmenschen »auffangen«, so wie man beispielsweise Bazillen »fängt«. Alles Wissen durch Bücher, Vorträge oder philosophische Disputationen kann einen Menschen nicht spirituell machen.
Die Liebe Gottes kann in den von Liebe erfüllten Augen des Sohnes Gottes gesehen werden. Seine klaren, leuchtenden Augen verraten die göttliche Trunkenheit. Sie gleichen Schalen, die von Gottes Liebe, Licht und Leben überfließen. Hierin liegt der gewaltige Unterschied zwischen dem Sektierertum, den großen Schriften der Welt, den sogenannten Religionen, wie sie begrenzt, gedrängt und eingezwängt sind auf den Seiten der heiligen und monumentalen Werke der Alten und in Sprachen, die zu alt, zu zeitfremd und überdies zu fachlich sind, um verstanden zu werden - und der Spiritualität, der Wissenschaft der Seele oder der wahren Religion des Geistes. Letztere ist das gemeinsame Erbgut der gesamten Menschheit, die allumfassend ist in ihrer Methode, unbegrenzt in ihrer Reichweite und nicht an das Glaubensbekenntnis, die Glaubensanschauung oder die religiöse Vorstellung irgendeines Menschen gebunden. Es ist ein innerer Prozess des Geistes, und alle Heiligen predigen nur von der Spiritualität in ihrer reinen, unverfälschten und unvermischten Form.
Gott ist der heilige Urgrund, auf dem Leben, Gemüt und Materie ihr Spiel treiben, und sie alle können unmöglich etwas vom wirklichen Leben ihres Lebens wissen. Deshalb betonen die Heiligen nachdrücklich, dass dieser göttliche Grund nur durch die Intuition empfunden werden kann, wenn er durch das Erkennen direkt erfahren wurde, was wiederum nur durch den sechsten Sinn oder das innere Auge möglich ist. Dieses Zentrum ist auch als Nukta-i-Sweda, das Dritte Auge, die göttliche Schau oder das Einzelauge bekannt. Christus sagt, »es wird den ganzen Leib mit Licht erfüllen« - mit ungeschaffenem Licht, durchdringend und immerwährend, ein Licht, das aus sich selbst existiert und schattenlos ist, ein Licht, das niemals auf Land oder Meer gesehen werden kann. Das ist der Grund, weshalb uns Jesus, der Prophet, mahnt, acht zu haben, dass das Licht im Körper nicht Finsternis werde: »Das Licht scheinet in der Finsternis, und die Finsternis hat's nicht begriffen«. Die äußeren Symbole davon sehen wir heute in den Kerzen auf dem Altar der Kirchen, in den irdenen Lampen der Tempel und Gurdawaras, die jetzt natürlich durch elektrisches Licht ersetzt sind, und in dem immer-brennenden Feuer bei den Anhängern des Zoroaster.
Mit dem Einzelauge verwandt ist die Stimme Gottes
(das Kalma der Moslems; das Wort bei Christus; das Shruti der Veden; Udgit der Upanishaden; Sarosha des Zoroaster; die Lebenskraft (èlan vital) oder der Lebensstrom der westlichen Philosophen; die Stimme der Stille der Theosophen) im Körper, die wir nicht hören können, weil unsere Ohren verschlossen und versiegelt sind. Diese große Wahrheit wird im äußeren Leben symbolisiert durch das Muschelhorn in den Tempeln, den Gong in den Gurdawaras und den Tempeln der Buddhisten, die Glocken in den Glockentürmen der Kirchen und die Jaras (große Glocke) der Sufis. Überall und zu allen Zeiten haben die Heiligen in ihren Lehren und Schriften auf dieses Phänomen hingewiesen.
Die wahre Religion oder Spiritualität besteht darin, die Seele mit der Überseele in ihrem offenbarten Spiel von Licht und Ton in dem von Gott erschaffenen Tempel, dem menschlichen Körper, zu verbinden. Je mehr sich der Geist von außen zurückzieht und die physischen, astralen und kausalen Begrenzungen überschreitet, desto mehr Erfahrungen der geistigen Phänomene bekommt er durch die Gnade des Meisters. Dies wird dem gewährt, der sich freiwillig für den Tod im Leben vorbereitet hat, denn wenn man nicht täglich zu sterben lernt, kann man das ewige Leben nicht erlangen. Der große Philosoph Bergson nennt es »offene Religion« im Gegensatz zur »geschlossenen Religion«, das sind Religionen, die in alten, unveränderlichen Schriften versiegelt sind und denen nichts hinzugefügt werden kann.

Heutzutage sind die Religionen herabgesetzt auf bloße Ausübung von Mildtätigkeit, Beachten von Riten, Ritualen und Zeremonien (wie Fasten und Wallfahrten), Tragen besonderer Kleidung (weiße, gelbe, blaue und flammen- oder ockerfarbenen Roben), bestimmte Kennzeichen am Körper (wie der Haarschopf auf dem Kopf und die heilige Schnur um die Schulter), Beschneidung oder die fünf Kakas, die keinen wesentlichen Einfluss, wie gering er auch immer sein mag, auf die Entwicklung der Seele zur Selbstverwirklichung und Gottverwirklichung haben.
Das erste Erfordernis der Zeit ist eine lebendige Realität, ein Eintauchen in das Meer des Lebens, ein Schluck vom Elixier des Lebens und die Schau des göttlichen Lichts, das Unsterblichkeit verleihen kann und zum Aufblühen des Geistes in der Gottheit führt. Dazu sagt Sri Aurobindo:

Verbinde dich mit der Überseele und ziehe sie herunter, so dass alles Leben, Gemüt und Materie, vergöttlicht wird. Es ist das allgemeine Geburtsrecht aller erschaffenen Wesen und nicht das Monopol irgendeiner Nation oder Menschenklasse, die sich zu dem einen oder anderen Glauben bekennt.

Der Mensch ist ein von der Natur zusammengesetztes Wesen aus Körper, Gemüt, Verstand und Seele. Gott schuf den Menschen nach Seinem Bild, und so mahnen die Heiligen: »Seid vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist«. Wegen der unermesslichen und ungeheuren Möglichkeiten, die der Schöpfer in ihn gelegt hat, ist der Mensch dreifach gesegnet. Die Gottheit selbst mit dem heiligen Licht, dem Leben und der Liebe ist fürwahr die Seele seiner Seele. Was aber der Mensch aus dem Menschen gemacht hat, und noch schlimmer, was er aus sich selbst gemacht hat, ist leider nicht mehr als ein Tier oder sogar niedriger.

Es geziemt dem Menschen als Mensch reich zu sein, reich im Überfluss, und dies in allen drei Aspekten seines Lebens - ganz im Gegensatz zu dem verstümmelten, verkrüppelten und kümmerlichen Dasein, das er nun, infolge seiner Unwissenheit und des Mangels an Selbsterkenntnis führt. Die Schöpfung besteht aus einem zweifachen Prozess: der Involution und der Evolution. Die Gottheit, die in die Natur des Geistes, des Gemüts und der Materie gehüllt ist, muss entfaltet, ausgedehnt und entwickelt werden, bis sie gänzlich und vollkommen mit dem göttlichen Urgrund, dem Substrat, übereinstimmt, auf welchem sie nun aus reiner Unwissenheit ihre begrenzte und beschränkte Rolle spielt, uneingedenk ihrer Gottheit.

Das physische Selbst der Seele ist mit zehn Werkzeugen ausgestattet: fünf karam indriyas oder motorischen Kräften und fünf jnana indriyas oder Wahrnehmungskräften, die alle dem Körper in seinen irdischen Belangen helfen. Der menschliche Geist hat in sich vier Widerspiegelungsflächen: mana (Gemütsstoff); chit (Bewusstsein); buddhi (Verstand) und ahankar (Ego), die alle in der Welt der Sinne wirksam sind und der Psyche beim Denken und Unterscheiden im Licht des Verstandes helfen. Als nächstes in der aufsteigenden Skala kommt die Seele, die große Reiterin in dem Fahrzeug des vom menschlichen Geist angetriebenen Körpers. Ihr Werkzeug ist Surat (das Selbstbewusstsein oder die Aufmerksamkeit, die aus dem großen Bewusstsein hervorging). Diese Aufmerksamkeit bringt, wenn sie richtig gelenkt und geführt ist, Einheitlichkeit der Zielsetzung und Festigkeit im Streben zustande; sie sammelt und konzentriert die wandernden Kräfte des menschlichen Geistes von den Sinnen, die sich mit dem Objekt identifizieren und ganz in ihren Genuss vertieft sind.

Während der Körper arbeitet, unterscheidet der Geist des Menschen, und die Seele erfreut sich des Glücks. Wenn diese drei Komponenten - Körper, Verstand und Seele (Aufmerksamkeit) - an einem gemeinsamen Zentrum in Einklang gebracht werden, wird das Erdenleben für die arme, begrenzte und gebundene Seele ein wahrer Segen, der dauernd und ewig ist, indem sie alle Eigenschaften des supramentalen Bewusstseins, Sat - Chit - Ananda (Sein - Bewusstsein - Seligkeit) besitzt.

Ein Mensch, der seine Aufmerksamkeit dem Aufbauen des Körpers widmet, nimmt an physischer Stärke zu und bekommt vollentwickelte und feste Muskeln; er wird als Verkörperung strahlender Gesundheit angesehen und von vielen Menschen bewundert. Ein anderer, der seine Aufmerksamkeit der Entwicklung seiner mentalen Kräfte zuwendet, erwirbt einen scharfen und klaren Verstand; er wird zum intellektuellen Riesen und begeistert Tausende durch seine einflussreichen Reden und Veröffentlichungen. Und einer, der an der Entfaltung des Selbst oder des Geistes in sich interessiert ist, heiligt sich und wird im Laufe der Zeit ein Gottmensch, den die Gottheit voll und ganz durchstrahlt. Er verbreitet einen himmlischen Glanz über große Menschenmengen, die in seine Herde kommen, und als ein Hort der Spiritualität dient er allen als Leitstern in diesem stürmischen Meer des Lebens. Dies ist der kombinierte Yoga der Hand, des Herzens und des Kopfes, der den Menschen zum vollständigen Ganzen macht und vollkommen, wie der Vater im Himmel ist. Das alles und noch viel mehr erwirbt er durch die Verbindung und die Praxis mit dem Wort (der Musik der Seele oder dem Gesang von Pranva), das unaufhörlich in und um ihn ertönt. Dies ist die wahre Religion, eine Religion des lebendigen Geistes (der Wahrheit) und eine Religion »in bar« oder eine offene Religion, wie Bergson sagt. Es gibt wirklich keine höhere Religion als diese, die allen gleicherweise Licht und Leben gibt und den Menschen dreifach segnet - Körper, Verstand und Seele -, so dass er nicht nur von seinen Mitmenschen verehrt und geliebt wird, sondern auch von den Engeln, wie Gott es bestimmte, als Er den Menschen sich zum Bilde schuf.
Dieser menschliche Körper ist wahrhaftig ein Tempel Gottes, in dem der Geist oder die Seele auf die innere göttliche Musik abgestimmt werden kann, um ihr zu lauschen. Er kann zum Zeugen des göttlichen Lichts werden und sich daran erfreuen, und er wird fähig, göttliche Offenbarungen wie die alten Propheten zu erlangen. Wenn man einmal die höchste Glückseligkeit erfahren hat, fallen alle Bindungen an die Welt von selbst ab und verlieren ihren Zauber und Reiz. Die von der Vergesslichkeit befreite Psyche erblüht zu einem neuen Leben - dem Leben des Geistes, das sich vom Leben der Sinne unterscheidet. Das ist Spiritualität, das ist die wahre Religion, in deren Mysterien nur ein Heiliger oder eine Meisterseele den wahren Sucher oder Aspiranten einweiht, indem er das Tor aufschließt, welches zum Reich Gottes führt, das wahrlich in uns liegt. Über dieses Tor sagt Christus: »Klopfet an, so wird euch aufgetan«.


Äußere und innere Religion

Während sich die physischen Wissenschaften mit dem Physischen befassen und das Wissen der Sinneswelt weitergeben, nehmen die ethischen Verhaltensregeln Bezug auf den Menschen als Glied der Gemeinschaft und legen Richtlinien für die gesellschaftliche Beziehung zwischen den beiden nieder. Die Spiritualität oder die Wissenschaft des Geistes macht uns mit seiner Evolution oder Entfaltung bekannt (ein Prozess, bei dem dieser von den verschiedenen Hüllen und Schichten, in die er gekleidet ist, befreit wird), seiner mit Gott identischen Natur und wie er mit der göttlichen Realität, seiner eigentlichen Quelle und seinem Ursprung verbunden werden und die Gottheit erreichen kann, um auf ewig gesegnet zu sein.
Die Wissenschaft der Meister ist eine auf Erfahrung begründete Wissenschaft und bringt, genau wie jede physikalische Wissenschaft, Ergebnisse mit mathematischer Genauigkeit hervor. Diese Ergebnisse können jederzeit durch die Umwandlung, die man bei einem Menschen beobachten kann, der nach dieser Lehre lebt und sie für sich anwendet, bezeugt und nachgeprüft werden. Es bedeutet nicht Buchweisheit oder Anhäufen von Wissen, vielmehr, dass der Geist zu sich kommt und eine neue Geburt ins kosmische Bewusstsein erfährt und sich ins Überbewusstsein erhebt. Diese Verwirklichung bringt eine gesegnete Ruhe mit sich. Daraufhin wird die Immanenz Gottes ständig empfunden, und das tatsächliche Wirken des göttlichen Willens wird offenbar. Vernunft und Verstand können die unendliche Wirklichkeit nicht begreifen. Selbst nach der Verwirklichung spotten Worte jeglichen Versuchs, das Unbeschreibliche zu beschreiben. Dieses Experiment in der Gottheit kann nur im äußersten Schweigen und der Stille des Gemüts und Verstandes unternommen und durchgeführt werden, wenn Sein Licht und Seine Stimme der Seele gleich einer Offenbarung dämmert.

Das Wissen von der Welt ist grundverschieden vom Wissen Gottes. Wir sind gänzlich von Apara Vidya in Anspruch genommen und wissen überhaupt nichts über Para Vidya, das Wissen vom Jenseits. Wir machen alle möglichen Anstrengungen, uns von physischen Leiden zu befreien, denken aber nie an die subtilen Krankheiten, welche das innere Selbst heimsuchen, oder welch niedrige Stufe wir in der Skala der menschlichen Werte einnehmen und wie hilflos wir im Strom des Lebens treiben, ob wir wollen oder nicht. Wir verbringen unser ganzes Leben mit essen, trinken und dahindämmern und kümmern uns nicht im geringsten darum, etwas über die Grundlage des Lebens selbst zu erfahren. Da wir uns immer mit der objektiven Welt befassen, können wir uns nicht nach innen wenden, um Zeuge der Herrlichkeit der inneren Welt zu sein.

Jemand, der, um zu sehen, von den äußeren Augen abhängig ist, um zu hören, von seinen äußeren Ohren, und um zu sprechen, von seiner Zunge, ist in Wirklichkeit kein Lebender, sondern ein Toter, ein atmender Balg ohne Leben. Da Gott im Innern weilt, müssen wir, wenn wir Ihn finden wollen, nach innen schauen, um Ihn zu erfahren und Seine Segnungen zu erlangen. Gott durchdringt alles in Form von Naam oder Shabd, aber wir können Seine Stimme nicht hören, wenn wir uns nicht vom Trubel der Welt abwenden und in die tiefe, innere Stille der Seele eintreten. Wenn wir nach innen gehen und uns zurückziehen, bewegen wir uns ohne Füße, wirken ohne Hände, sehen ohne Augen und hören ohne Ohren. Deswegen sagt Guru Nanak: 

Dort sieht, hört, geht, wirkt und spricht man ohne die äußeren physischen Organe, nämlich die Augen, Ohren, Füße, Hände und Zunge, vorausgesetzt, man lernt zu sterben, während man lebt. O Nanak! Erkenne Seinen Willen und finde den Geliebten.

Majh War M. 2

Gossain Tulsi Das sagt im Bal Kand des Ramayana dasselbe. Um Gott zu erkennen, muss man sich zuerst selbst erkennen. Selbsterkenntnis ist nur durch innere Umkehr möglich, oder indem man die Aufmerksamkeit von allem äußeren Streben abwendet und nach innen leitet, in die tiefe Stille des Geistes, auch der göttliche Urgrund genannt, der im Zentrum hinter den beiden Augenbrauen liegt. Nur dann erlebt der Geist Naam, die Überseele oder die wirkende Gotteskraft, die das höchste Gut aller religiösen Suche nach dem großen Unbekannten ist. Buddha erklärt, dass wir nur in unserem Innern zu den höchsten Höhen der Gottheit aufsteigen können. Der große deutsche Philosoph Arthur Schopenhauer sagt, dass die Quelle allen Friedens und beseligender Stille in unserem Innern gefunden werden kann. Und Christus betont nachdrücklich: »Das Reich Gottes liegt in euch«. In den Sikh-Schriften ist gesagt: 

Die kostbaren Wasser der Unsterblichkeit wogen im Innern der Seele.

Diese innere Reise kann man ausführen, ohne Herd und Heim oder Freunde und Verwandte zu verlassen und ohne dass man Beruf und Beschäftigung aufzugeben hätte. Diese erhabene Pilgerfahrt der Seele kann trotz aller weltlichen Geschäftigkeit unternommen werden. Alles, was man dazu braucht, ist, von einem lebenden Meister, der den Schlüssel zum Reich Gottes in Händen hat, die notwendigen Instruktionen zu erhalten.

O Nanak! Befolge genau das Gebot eines vollendeten Meisters, der dich auf den rechten Pfad stellen kann; denn dann wirst du glücklich die Erlösung erlangen, während du das Leben eines Hausvaters inmitten von Familie und Freunden führst.

Gujri War M. 5

Man braucht die Welt nicht zu verlassen und sich in die tiefe Abgeschiedenheit der Wälder zurückziehen, um dieses Ziel zu erreichen. Das ganze Geheimnis kann in der Einsamkeit der Seele gelöst werden.

Es gibt kein größeres Heiligtum als das der eigenen Seele.

Der Strebende kann das Gemüt durch Übung selbst inmitten des Gedränges und Gehetzes des Lebens beruhigen und sich aus freien Stücken in das stille Kämmerlein, auf den göttlichen Grund zurückziehen. Solange das Gemüt nicht beruhigt ist, kann auch ein Aufenthalt im Wald oder am Flussufer nicht helfen.
Jede Religion hat zwei Aspekte oder Bereiche - der eine ist der soziale und der andere der spirituelle. Die soziale Seite besteht darin, dass ethische Verhaltensregeln aufgestellt werden, welche darauf abzielen, die sozialen Übel abzuschaffen, die Gesundheit der Gemeinschaft zu fördern, gewisse Riten und Rituale zu beachten und Mildtätigkeit zu üben. Man kann davon den besten Gebrauch machen, um den Boden für ein höheres spirituelles Leben vorzubereiten. Der spirituelle Aspekt der Religion befasst sich allein und in erster Linie mit dem Geist, der Erforschung seines Wesens, seiner Beziehung zu Körper und Gemüt und dem Weg, wie er von diesen beiden gelöst und mit Naam oder dem Wort verbunden werden kann, was zur Verwirklichung und Identifikation mit dem großen Meer des Bewusstseins führt.

Zweifellos ist der Mensch ein Gemeinschaftswesen, doch kann eine Gemeinschaft nur auf spiritueller Grundlage gesichert sein. Wie der Geist den menschlichen Körper belebt, so gibt die Spiritualität der Gemeinschaft Leben und Nahrung. Ohne sie würden sich allmählich alle Arten von Übel wie Engstirnigkeit, Vorurteile, Selbstüberheblichkeit, Kampf und Streit in ihre edlen Teile einschleichen, sie entkräften und Fäulnis und Vergiftung hervorrufen.
Es gibt heutzutage keinen Mangel an Sozialreformen, aber was uns so sehr fehlt ist die Selbstreform. Natürlich hat die Menschheit einen ungeheuren Fortschritt auf dem Gebiet des Wissens und der Kunst zu verzeichnen wie auch in der Politik und Philosophie; sie hat nicht nur die Geheimnisse der Natur enträtselt, sondern sich tatsächlich die meisten Naturkräfte nutzbar gemacht und sie auf verschiedene Weise in ihren Dienst gezwungen. Aber all das wurde mit großen Kosten und unter gewaltigen Opfern erreicht - auf Kosten des eigenen Geistes oder der Seele. Die natürliche Folge davon ist, dass wir trotz allen materiellen Fortschritts und der Mannigfaltigkeit materiellen Komforts genausoweit vom Glück entfernt sind wie ehedem.

Was hülfe es dem Menschen, so er die ganze Welt gewönne, und nähme doch Schaden an seiner Seele?

Matth. 16, 26

Der Mensch muss sich von Rechts wegen selbst erkennen und die Erfahrung der Wirklichkeit machen. Wenn das einmal erreicht ist, hat es nichts zu sagen, ob er ein Familienvater bleibt oder der Welt entsagt und ein Einsiedler wird. Der Pfad der Meister ist rein spirituell. Sie (die Meister) gehören natürlich weiter der einen oder anderen Gesellschaftsordnung an, doch ist es ihre einzige Mission, den verkörperten Seelen, die von tiefer Unwissenheit durchdrungen sind, die letzte Wahrheit nahezubringen. Dies tun sie mittels des Surat Shabd Yoga.

Die Meister empfehlen jedem, in das Heer Gottes einzutreten, und sehen die verschiedenen Religionsgemeinschaften als Werbezentren für diesen Zweck an. Aus diesem Grunde halten sie sich auch weiterhin den sozialen Zwistigkeiten, dem Rassengezänk und den religiösen Meinungsverschiedenheiten fern. Sie kommen nicht, um die bereits bestehenden religiösen Gemeinschaften aufzuheben oder neue zu errichten, sondern um die existierenden zu reinigen und zu erhöhen und ihnen ihren ursprünglichen, ehemaligen Glanz wiederzugeben, in dem sie durch ihre Gründer ins Leben gerufen wurden. Sie suchen die Menge der unnützen Auswüchse, die sich rund um sie durch die Zeiten hindurch anhäuften, zu entfernen und sie aus dem Morast, in den sie gesunken sind, herauszuziehen; sie stärken sie durch eine Übertragung des Blutes der Spiritualität in ihre verfallenden Adern.

Allen Religionen liegt die uralte Wahrheit und die Tradition der Spiritualität zugrunde, die beide im Laufe der Zeit nahezu verlorengegangen sind. Heute ist Religion nur noch die äußere Hülle von Riten und Ritualen. Die Meister jedoch erleben tatsächlich dieselbe Wirklichkeit, über welche in den heiligen Schriften von den Rishis und Munis, die in früheren Zeiten lebten, berichtet wurde. Somit sind ihre Lehren weder auf irgendwelchen heiligen Schriften begründet, noch sind sie in den strengen Richtlinien der Religiosität festgehalten und eingeengt. Sie befassen sich allein mit Para Vidya (der Wissenschaft des Geistes, die jenseits der Reichweite der Gedanken, der Vernunft oder des Verstandes ist). Dieses Wissen, Erfahren und Verwirklichen kann man weder lernen noch lehren, aber es kann gleich einer Infektion von einem Menschen, der damit infiziert ist, aufgefangen werden. Die Menschen betreten den Pfad, indem sie mit Meisterseelen in Verbindung kommen, ihren Worten der Weisheit lauschen, ihre Reden hören und ihre Lehren dem Buchstaben und dem Geist nach befolgen. Auf diese Weise ziehen die Meister den Geist an, magnetisieren und vergöttlichen ihn. Sie entfernen dabei jeden Wankelmut ihres Gemüts und machen es für immer immun gegen die Angriffe der Materie und der materiellen Welt. Dadurch wird der Geist von allen Fesseln, die ihn an die physische Ebene binden, befreit und befähigt, Flüge in die höheren spirituellen Bereiche zu unternehmen, die jenseits des menschlichen Gesichtskreises liegen. Solche Reisen sind einzig und allein Erfahrungssache der Seele, getrennt von Gemüt und Verstand. Die nach außen strebenden Kräfte bleiben hilflos und weit unten im Abgrund, ohne dass sie von etwas erhalten oder belebt würden, solange der Geist in die höheren spirituellen Erlebnisse vertieft ist.

Die spirituellen Lehren aller Meister sind zu allen Zeiten und in allen Ländern die gleichen, obwohl sie in verschiedenen Worten und Sprachen geschrieben sind, die in dem jeweiligen Land und zu einer bestimmten Zeit gesprochen wurden. Sie kommen mit der Botschaft der Spiritualität und ihr einziges Ziel ist, die Menschen zu vergeistigen, indem sie sie mit Naam oder der Überseele verbinden und ihnen beim Prozess der spirituellen Entwicklung und Entfaltung helfen. Deswegen werden ihre Lehren Ilm-i-Seena oder Ilm-i-Laduni (das Wissen um den inneren Menschen oder die Seele und das Wissen um die Wirklichkeit) genannt und beziehen sich auf die innere Erfahrung der Seele ohne jede äußere Hilfe. Dies ist der Kern allen Wissens, durch welches alles andere bekannt wird. Es ist die natürlichste Wissenschaft und wird, wie die anderen Gaben der Natur - Licht, Luft und Wasser -, frei gegeben. Es ist das gemeinsame Erbe der ganzen Menschheit, und jeder kann es unverbindlich von einer Meisterseele erhalten. Heilige sind die Kinder des Lichts und kommen, um das Licht im Universum zu verbreiten.


Ich bin das Licht der Welt; wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.

Joh. 8, 12

Wissenschaft und Religion

Die Wissenschaftler glauben, dass Religion lediglich in einer Menge abergläubischer Auffassungen und Meinungen bestehe und dass einer ohne Religion genauso anspruchslos und voller Frieden und Glück sein könne wie einer mit Religion. Atheisten oder solche, die nicht an Gott glauben, erklären, dass Religion wie Opium auf das Volk wirke. Gläubige hingegen sind der Ansicht, dass die Wissenschaft durch die Erfindung tödlicher und diabolischer Werkzeuge, die der Verwüstung und Zerstörung dienen, in der Welt Teufelssamen der Disharmonie, Unzufriedenheit und Spaltung gesät hat. Die Wissenschaftler lassen gelten, dass der Mensch aus Körper und Verstand zusammengesetzt ist, und wenn man sich um den Verstand kümmerte, würde die Seele, wenn es überhaupt eine gibt, für sich selbst sorgen. Der Seele und Gott gegenüber sind sie skeptisch.

Für die Meisterseelen ist allein der Geist die wirkliche Wesenheit, aber er ist im Gefängnis von Körper und Gemüt verstrickt. Es ist ihre Aufgabe, den Geist von den verschiedenen Hüllen, die ihn umgeben, zu befreien und ihn mit dem Wort oder der wirkenden Gotteskraft (dem Heiligen Geist) zu verbinden, von dem sie eine persönliche Erfahrung haben. Diese Evolution des Geistes ist wahrlich die Erlösung, aber nur sehr wenige verstehen ihre eigentliche Bedeutung. Manche sind der Meinung, dass sie nur in einer Erstarrung bestehe, während andere die Ansicht vertreten, dass es auf Nihilismus oder Atheismus herauskäme, d. h. auf die Verneinung jeglicher Existenz und die Ablehnung aller moralischen und religiösen Glaubensanschauungen. Doch jede dieser Vorstellungen ist weit von der Wahrheit entfernt. In Wirklichkeit ist der menschliche Geist das verbindende Glied zwischen dem Körper und dem, was sich auf ihn bezieht, und diese Verkettung bedeutet Bindung, wohingegen das Zerbrechen dieser Bindung Erlösung genannt wird. Der erste Schritt in dieser Richtung ist Gurbhakti oder die Hingabe an den Lebenden Meister, und der nächste ist die Praxis von Naam oder dem Wort, das schließlich zu Sach Khand oder Mukam-i-Haq (die Stätte der Wahrheit) führt.

O Hafiz! Das Paradies oder der Himmel ist unser Geburtsrecht und unser Erbgut.

Würde man tiefer und ernsthafter über die Vorteile und die Grenzen von Wissenschaft und Religion nachdenken, so könnte man eine enge Verbindung zwischen beiden feststellen. Die Umgebung übt einen zweifachen Einfluss auf alles Lebende aus, nämlich einen äußeren und einen inneren, und beide sind universal in ihrer Art. Der Mensch ist mit Verstand Vernunft und Unterscheidungskraft ausgestattet, welche den anderen Geschöpfen fehlen, und durch die er instand gesetzt wird, seine Umgebung zu beherrschen. So lange zwischen den inneren und den äußeren Dingen des Menschen Harmonie besteht, ist er glücklich; und wenn sie sich so gestalten, wie er es wünscht, ist er glücklich und zufrieden. Die Erfahrung jedoch zeigt, dass der harmonische Zustand zwischen dem Menschen, der immer voller Wünsche ist, und seiner Umgebung nicht verlässlich ist, und nicht lange dauert. Beide wechseln beständig.

Es war immer das Bestreben des Menschen, einen Weg zu finden, der volle und unwandelbare Harmonie zwischen ihm und seiner Umwelt sichert. Der eine Weg ist, die äußeren Bedingungen insoweit zu beherrschen, dass die Bedürfnisse des Menschen befriedigt werden, welcher Art sie auch immer sein mögen. Der andere ist, sein inneres Drängen und die angeborenen Neigungen dahingehend zu regulieren, dass man der sich immer ändernden äußeren Umwelt gegenüber völligen Gleichmut entwickelt, so dass man auf das Einströmen der wechselnden Zustände, in denen sich alle Dingen befinden, gar nicht reagiert. Der zuerst genannte Weg ist seiner Natur nach wissenschaftlich, während der letztere rein religiös ist.

Der Bereich der Wissenschaft erstreckt sich von den Elektronen bis zu den Sternen. Er umfasst alle Objekte der Welt, welche die menschlichen Gefühle und Empfindungen beeinflussen und tatsächlich auch alles, was die Sinne erfassen können. Dem entgegengesetzt ist die innere Welt ganz anders und einzigartig in ihrem Charakter. Unsere motorischen und sensorischen Organe, die in der materiellen Welt so vortrefflich arbeiten, können nicht einfach umgestellt werden und die innere geistige Welt aufnehmen. Sie ist voll ungeahnter Möglichkeiten, und unermessliche Schätze der Spiritualität liegen in unserer Reichweite; wenn wir nur wüssten, wie in das eigene Selbst hineinzugelangen.

Wiederum kommt es bei den materiellen Dingen auf den Wert und den Vorteil der Quantität an. So machen z. B. zwei Hälften eines Brotes ein ganzes aus, aber zwei Toren machen keinen Weisen. Weiter haben wir Geräte und Instrumente, die uns bei unserer materiellen Forschung helfen; und die Schlussfolgerungen, zu denen wir im Verlaufe unseres Experimentierens kamen, sind in der Praxis wirklich nachweisbar. Dies sind einige der Gründe, die zur Bedeutung der wissenschaftlichen Wahrheiten beitragen. Täglich werden wissenschaftliche Experimente durchgeführt und bis ins Endlose fortgesetzt. Was heute wahr ist, braucht es morgen nicht mehr zu sein. Aber das ist nicht der Fall bei der Religion. Wahrheit ist immer Wahrheit und wird es immer bleiben. Sie garantiert jedoch dauerndes Glück und immerwährende Wonne, wenn man die angeborenen Neigungen und das natürliche Drängen des Gemüts in die rechte Bahn lenkt und die wandelbaren äußeren Umstände nicht beachtet.

Der Pfad der Religion ist mit vielen Hindernissen übersät. Alle Menschen, einschließlich der Heiligen, sind sterblich, und nachdem sie die physische Ebene verlassen haben, bringen ihre Anhänger in blindem Enthusiasmus Dinge in ihre Lehren hinein, die sie nie geäußert haben oder zumindest niemals so meinten. Die sogenannten philosophischen Abhandlungen sind so voll von Entstellungen und offensichtlichen Widersprüchen, dass man den Eindruck eines völligen Durcheinanders hat.

Um die spirituellen Höhen einer Meisterseele zu erreichen, muss man dessen Anweisungen gemäß in das Laboratorium seines eigenen Körpers eintreten und dort mit den Experimenten beginnen. Die erzielten Ergebnisse können infolge der besonderen Veranlagung und des jeweiligen Hintergrunds von Mensch zu Mensch verschieden sein. Die Schlussfolgerungen, zu denen man so gekommen ist, und die Zeit, die in jedem Fall darauf verwendet wurde, sind darum rein persönlicher Natur und nicht universaler Art wie in der Wissenschaft. Aus diesem Grunde können wir unmöglich eine Erfahrung des spirituellen Lebens durch die verschiedenen Arten der Verehrung in den Tempeln und Moscheen, Kirchen und Synagogen oder durch die heiligen Schriften der verschiedenen Religionen haben. Ein lebender Meister, der den Körper und das Gemüt erfolgreich überschritten und tatsächlich Erfahrung der unverhüllten Wirklichkeit jenseits aller Begrenzungen und Schranken hat, kann eine zuverlässige Aussage über die große Wahrheit machen. Durch persönliche Führung und Unterweisung kann er uns helfen, den Geist von den physischen und mentalen Fesseln zurückzuziehen und uns im Innern eine tatsächliche Erfahrung von dem geben, was er selbst bereits erfahren hat.

Was ein Mensch getan hat, kann auch ein anderer tun, natürlich mit der rechten Führung und Hilfe. Der persönliche Kontakt mit dem Meister, seine Gedankenübertragung, seine geladenen Worte und die magnetisierte Persönlichkeit - all das hilft eine Menge bei der Umwandlung der einzelnen Seele. Wer auch immer kommt und in der persönlichen Aura eines Meisters bleibt, wird elektrisch geladen und auf die ewige Energie abgestimmt, von der er durchdrungen ist, die er ausströmt, überträgt und dem Aspiranten eingibt. Diesen Vorteil kann man genauso gut aus einer Entfernung von Tausenden von Kilometern haben, wenn man die entsprechende Empfänglichkeit für einen solchen Meister entwickelt.

Der Lebensimpuls kommt vom Leben, so wie Licht von Licht kommt; das ist in der physischen Welt genauso wie in der spirituellen. Auch die Technik der Religion ist wie die Technik der Wissenschaft gewissen fundamentalen Gesetzen unterworfen, nur mit dem Unterschied, dass wir uns der ersteren noch nicht bewusst sind, weil wir ihr nur wenig Beachtung gezollt haben und sie demzufolge nicht zu unserem Vorteil nutzen können. Ein reines Leben und hohe ethische Gedanken, Worte und Taten ist Vorbedingung für einen Aspiranten auf dem spirituellen Pfad. Das Gemüt muss zur Ruhe gebracht werden, nachdem es von den verschiedenen äußeren Störungen, innerem Locken und Drängen, dem Zauber der Umwelt oder den trüben Gedanken und finsteren Blicken befreit ist. Genau wie bei einem wissenschaftlichen Experiment muss man auch hier ein Laboratorium betreten und dafür sorgen, dass alle Instrumente ganz sauber und rein und gründlich sterilisiert sind. Und wieder, bevor man mit der Operation beginnt, werden alle Türen und Fenster geschlossen, damit man sich der Arbeit ungestört durch äußere Einflüsse und mit ungeteilter Aufmerksamkeit zuwenden kann.

Es ist eine allgemeine Erfahrung, dass die Menschen stolz darauf sind, die uralten Bräuche und Sitten gewissenhaft zu befolgen und sich blindlings an alte Überlieferungen halten, ohne zu wissen, dass ungültige Münzen, wie kostbar, von historischer Bedeutung und archäologischem Interesse sie auch sein mögen, im glühenden Ofen geschmolzen und neu geprägt werden müssen, bevor sie wieder in Umlauf gesetzt werden können. Im 20. Jahrhundert ist es von höchster Bedeutung, dass der überflüssige Zuwachs, der sich nach und nach um die ewigen spirituellen Wahrheiten angesammelt hat, entfernt wird. Wir sollten sie von dem überkrusteten Staub der Zeiten, der sich auf sie gelegt hat, befreien und sie dann der Öffentlichkeit erneut in einer gültigen und gangbaren Form als

Die jetzigen Vorurteile, gegenseitigen Eifersüchteleien und die engstirnige Bigotterie, die wir in den verschiedenen religiösen Körperschaften finden, waren von ihren Gründern niemals beabsichtigt. Solche Übel sind alles spätere Auswüchse, die infolge der äußeren Einflüsse eifriger Verfechter, ungestümer Kommentatoren und Polemiker dazugekommen sind. Diese winden und drehen die einfachen fundamentalen Wahrheiten, um sie ihren eigenen Zielen anzupassen und auf billige Weise an die Führung zu gelangen, die ihnen Name, Ruhm, Reichtum und Macht einbringt. Der uralte Wein der Spiritualität muss deshalb aus den alten, vergessenen Kellern herausgeholt und den Zechbrüdern in neuen Flaschen angeboten werden, die ihrer Vorstellung zusagen, damit sie sie ohne Marken und Etikette bereitwillig nehmen, um ihren Durst zu stillen.

Götzendienst und Gottesdienst

Der Mensch ist aus Körper und Seele zusammengesetzt. Sein materieller Körper wird von den Gesetzen der Materie (Schwerkraft, Zusammenhalt, Undurchdringlichkeit, Leistungsvermögen usw.) beherrscht und - soweit er animalischer Natur ist - von den organischen Gesetzen (Ernährung, Wachstum, Entwicklung und Fortpflanzung usw.) regiert. Er ist eine bewusste Wesenheit oder ein empfindendes Wesen, und daher gelten für ihn auch die Gesetze des Bewusstseins (die ein Gefühl von Hunger, Durst, Unbequemlichkeit und Selbstentfaltung usw. hervorrufen). Er strebt nach einem glücklichen, sorgenfreien und bequemen Leben. Solange ein Mensch den materiellen Dingen und dem materiellen Komfort verhaftet ist, hat er Sorgen und Leiden zu ertragen; aber wenn er sich den fundamentalen Gesetzen der Seele unterordnet, wird er glücklich und froh. Darum sagt Kabir Sahib:

Die verkörperte Seele ist niemals ruhig und glücklich. Denn wo immer der Mensch ist, erwartet ihn Unruhe und Trübsal.

Lord Buddha erklärte, dass das physische Leben voller Elend sei, und Guru Nanak sah die ganze Welt sich in unsichtbaren Flammen winden.
Götzendienst besteht darin, dass man alle Aufmerksamkeit der Nahrung und dem Schmücken des physischen Körpers schenkt; wohingegen das Verschönern der Seele, um sie mit Gott zu verbinden, wirkliche Gottesverehrung ist. Wehe uns, die wir so gar nichts über den lebendigen Geist, der den Körper bewohnt, wissen und auch nicht, wie er gekleidet, geschmückt und verziert werden kann. Der physische Körper ist wahrhaftig die Heimstätte, und der Geist wohnt darin. Folgerichtig muss man erst den Geist entdecken und reinigen, bevor man den Körper säubert. Was nützt es dem Menschen, wenn er das Haus auskehrt, es rein und sauber hält und mit allen möglichen Dingen verziert, nur um den Bewohner oder die Seele darin darben zu lassen.

Wir haben unsere angeborene göttliche Natur vergessen und uns selbst vollkommen mit dem Körper identifiziert, so denken, sprechen und handeln wir nur in Begriffen des Körpers, der körperlichen Belange und des, was sich auf den Körper bezieht. Da die bloße Existenz des Körpers vom Geist (oder dem Lebensfunken) in ihm abhängig ist, müssen wir uns mehr um den letzteren kümmern, an ihn denken, ihm die angemessene Nahrung geben, um ihn gesund und stark zu halten; denn von seiner Gesundheit und Kraft hängt die Pracht und Würde des Körpers ab. Der sich immer verändernde Körper, der Verfall und Tod unterworfen ist, soll versorgt werden, um ihn gesund und in Gang zu halten, wie jedes andere Mittel des Selbstausdrucks. Er sollte aber nicht verwöhnt werden, und man sollte keinen Kult mit ihm treiben, damit nicht alle Gedanken der sich selbst erhaltenden Lebensflamme, der motorischen Kraft im Körper, die der trägen Materie Leben gibt, verloren gehen. Ohne diese Kraft ist er völlig wertlos, gerade gut genug, um den Flammen und der Erde übergeben zu werden.

Wir dürfen nicht vergessen, dass wir in Wirklichkeit ein Funke der Gottheit sind, ganz verschieden von dem materiellen Haus, in dem wir gegenwärtig verweilen. Aus diesem Grunde müssen wir alles über diesen Lebensimpuls erfahren, der innerhalb und außerhalb der ganzen Schöpfung wogt, die Quelle oder den Ursprung des Lebensstromes, und wie wir sie erreichen können, um ewigen Frieden und Glückseligkeit zu erlangen, was unser Erbe und unser Geburtsrecht ist. Die große Lektion des Lebens kann man nur von einer Meisterseele lernen. Sie beginnt mit dem freiwilligen Zurückziehen des Sinnesstroms im Körper, bis durch Konzentration am Sitz der Seele hinter den beiden Augenbrauen, genannt der Augenbrennpunkt oder Til, die Loslösung erreicht ist. Dies alles kann nur durch die Gnade eines vollendeten lebenden Meisters erlangt werden - durch einen Adepten nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis der Wissenschaft der Seele -, der die Seele über das Körperbewusstsein bringen kann und anderen seine eigenen Erfahrungen zuteil werden lässt.

Ein Heiliger kann uns mit Gott verbinden.

Jaitsari M. 5

Wenn der Geist einmal mit der Gottheit verbunden und in Gott eingepflanzt ist, wird er nach und nach in seinem Heimatland Wurzeln schlagen, und erwirbt und entfaltet die seiner Natur gemäßen Eigenschaften aus dem göttlichen Grund, auf dem er von Tag zu Tag wächst und gedeiht. Dies wird von allen Weisen des Ostens und des Westens die zweite Geburt genannt oder von neuem geboren sein, wie Christus es ausdrückt. Die unvergängliche Saat dieser spirituellen Geburt wird von einem Gottmenschen gesät, wenn wir ihm gemäß leben und gewissenhaft seine Weisungen befolgen, die man mit dem Fachausdruck Satsang oder Gemeinschaft mit Sat bezeichnet, die große unwandelbare Beständigkeit im immer wechselnden Panorama des Lebens und des sich stets verändernden Universums, in dem wir leben.

Der Körper ist schön, in dem die Seele auf Gott abgestimmt ist. Alle Schönheit, einschließlich der körperlichen, hängt von der Schönheit des Geistes ab, die ihrerseits auf der Vereinigung mit der göttlichen Schönheit beruht.

Gesegnet ist der Körper, in dem die Seele mit dem göttlichen Strom vereint lebt; der wahre Geliebte gewährt ihr ewiges Leben, und man ist immer in Verbindung mit des Meisters Wort.

Suhi M. 3

Der dem Meister Ergebene forscht tief im Körper und betrachtet alles andere als bloßes Blendwerk. Nur der findet das Kronjuwel, dem es so bestimmt war, denn Klugheit ist von keinem Nutzen. Gesegnet ist der Körper, der im Dienst des Meisters steht, denn der wahre Eine hat ihn geschaffen.

Ohne die Verbindung mit dem Wort gibt es kein Freisein von den Tücken Kals. O Nanak! Der verherrlicht das Wort, den Gott mit Seiner Gnade und Barmherzigkeit überschüttet.

Suhi M. 3

Wenn sich der Geist einmal seiner angeborenen Gottheit bewusst wird und in der göttlichen Farbe gefärbt ist, wird er frei von der Bindung an die Welt und entgeht für immer dem Zyklus der Geburten und Tode. Aber all das erlangt man nicht durch Gelehrsamkeit, Wissen oder schlaue Einfälle, sondern allein durch die Gnade einer Meisterseele oder eines Gottmenschen, der fähig ist, durch praktische Selbstanalyse Zutritt ins Jenseits zu gewähren.

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