Leben in Fülle

Diese Erde, die Arena so vieler Kämpfe und Mühen, voll krasser Gegensätze und Widersprüchlichkeiten, ein gewaltiges Panorama des Lebens in seiner Vielfalt von Formen und Farben, ist nur ein Staubkorn in dem grenzenlosen Universum des großen Schöpfers.

Es gibt kein Ende der Schöpfung;
zahllos sind ihre Lebensformen mit unterschiedlichen
Arten, Farben und Namen,
von der ewig gleitenden Feder des Schöpfers auf die 
objektive Welt niedergeschrieben.
                                                                       Nanak

Trotz aller scheinbaren Unvollkommenheit dient diese Welt einem nützlichen Zweck im göttlichen Plan, so wie ein vermeintlich unbedeutendes Rädchen in der Maschinerei eines großen Kraftwerkes. Die Natur, das Werk Gottes, ist keineswegs verschwenderisch in ihrer Planung und Gestaltung. Diese Welt ist eine Strafanstalt, ein Ort zur Besserung, eine Art Fegefeuer, ein Ort der Sühne, eine Schulungsstätte, wo die Seelen durch Erfahrung geläutert weren. Sie ist eine Zwischenstation auf dem Weg von den physischen Ebenen zu den spirituellen Bereichen. Die Mächte der Erde sind strenge Lehrmeister, die noch an das alte mosaische Gesetz von „Auge um Auge und Zahn um Zahn“ glauben. Hier werden alle Arten von Foltermethoden angewandt und harte Schläge ausgeteilt, die uns mehr als zu Recht bestrafen, ungerührt durch Mitleid und Barmherzigkeit, so daß man seine Lektionen ernst nehmen und sich allmählich von dem Weg der Welt abwenden sollte, um den Weg Gottes zu gehen. Das Leben auf Erden ist eine furchtbare Sache, trostlos „vor Angst und Schrecken“, und wir sind Kinder Gottes, die seit langer Zeit in der Wirrnis der Welt verloren sind.

Evolution ist die Natur der Lebensmonaden, und sie besteht darin, sich zu ihrem Ursprung hinzubewegen und eins mit ihm zu werden, denn wahres Glück liegt in der „göttlichen Gemeinschaft, der Gemeinschaft mit dem inneren Sein, bis wir in Licht erstrahlen, völlig verwandelt und frei vom Raum.“ Doch die Tragödie auf Erden ist, daß „wir nicht wissen, was wir sind, und noch viel weniger, was wir werden können“, denn „was wir sind, sehen wir nicht; was wir sehen, ist unser Schatten.“ Unser inneres Sein ist so nach dem Bilde Gottes geschaffen, daß es ruhelos ist, bis es Ruhe findet in Ihm. „Eine wahrhaft religiöse Erfahrung“, sagt Plotin, „besteht darin, daß die aus dem Himmel verbannte Seele in ihre wahre Heimat findet.“ Und diese Erfahrung kann die unsrige sein, wenn wir nur wissen, wie man das Selbst vom Joch des Körpers und Gemüts befreit.

Selbstverwirklichung und Gottverwirklichung sind die höchsten Ziele des irdichen Daseins. Selbstverwirklichung geht der Gottverwirklichung voraus. „Erkenne dich selbst“ war immer ein Glaubensatz bei den Alten. Zuerst legten die Griechen und nach ihnen die Römer großen Nachdruck auf „gnothi seauton“ und „nosce te ipsum“, wie sie es jeweils nannten. Beide Begriffe bedeuten Selbsterkenntnis oder Erkenntnis des Selbst in uns. Das Erkennen des Selbst oder der „atma jnana“ der Hinu-Rishis und „khud shanasi“ der Moslem-Heiligen kommt zuerst. Danach kommt die Verwirklichung und Erfahrung des Überselbst oder Gottes, Paramatman oder Rab-ul-almeen, und dies wird „Khuda shanasi“ oder Gotterkenntnis genannt.

Der Prozeß der Selbstverwirklichung, durch den das Selbst aus dem gewaltigen Irrgarten von Gemüt und Materie befreit werden kann, beginnt, wenn man sich nach innen wendet und die Aufmerksamkeit, den äußeren Ausdruck des Geistes in der sichtbaren Welt, zurückzieht. Es ist die Kunst der Umkehrung von der Welt der Sinne zu der inneren Welt und jenseits der Sinne, was mit dem Begriff „Para Vidya“ bezeichnet wird. Wahres Leben oder die Wirklichkeit erkennt man nur in einem todesähnlichen Zustand, der eintritt, wenn man die Sinnesströme bewußt vom Körper zum Augenbrennpunkt lenkt. Das Leben ist ein „aktives Prinzip, jedoch den Sinnen und der Wahrnehmung entzogen“.

Im täglichen Leben kommen bei uns alle Arten von Lust auf, die Lust des Fleisches, der Augen, Ohren und anderen Sinne - und wir werden ständig durch zahlose Bindungen, Myriaden von Wünschen und Sehnsüchten beherrscht, die aus dem Verlangen des Herzens und dem unbekannten Verborgenen in den Tiefen des Gemüts kommen. Alle Arten von Zuneigung und Abneigung, Stolz und Vorurteil, Liebe und Haß und vieles andere nisten sich dauernd, ohne daß wir es merken, in unser Bewußtsein, unser persönliches Bewußtsein, ein, verzehren unsere Energie und halten uns vom letzten Ziel und Zweck des Lebens fern, der Selbstverwirklichung. Die Unwissenheit über das Lebensziel ist eine schlimme Krankheit, die uns befallen hat. Sie ist die Ursache der Knechtschaft, der Knechtschaft der Seele in einer Welt, die „zum Bersten voll ist von Sünde und Leid.“ In uns aber ist eine Kraft, die die Seele zu neuem Leben erweckt. Wir müssen uns daher von diesem Drama hektischen Treibens abwenden und den Ruhepunkt unseres Seins im Innern des menschlichen Körpers finden, wo die alles durchdringende und vollkommen freie Kraft ihren Sitz hat. Dieser Körper ist wahrlich der Tempel Gottes, und der heilige Geist wohnt darin. Alle gegenwärtige Aktivität muß daher umgekehrt und in die entgegengesetzte Richtung gelenkt weden. Emerson hat es das „innere Anklopfen“ genannt; Präsident Truman bemerkte einmal, daß er ins Schützenloch des Kopfes gehe; denn dorthin zog er sich zurück, wenn er Frieden und Entspannung von der Bürde seines hohen Amtes suchte. Die Veden nennen es „Brahmarendra“ oder die Öffnung, durch die man eine Verbindung mit Brahma erlangen kann.

„Klopfet an, so wird auch aufgetan“, heißt es sehr bezeichnend im Matthäus-Evangelium. Dies zeigt, daß es im Körper eine Tür gibt, die in die Welt des Jenseits, das Reich Gottes, führt. Von diesem Eingang heißt es: „Und die Pforte ist eng, und der Weg ist schmal, der zum Leben führt; und wenige sind ihrer, die ihn finden.“ Wenn man diese Pforte findet und weiß, wie man hindurchgelangt, ist man persönlich überzeugt; denn nichts wird zur Wirklichkeit, solange man sie nicht erfahren hat. Der Verstand ist begrenzt und ebenso das Denken, welches auf ihm beruht. Die biblischen Texte sprechen von der Wahrheit, können sie aber nicht beweisen, geschweige denn ene Verbindung mit ihr geben. Logisches Denken ist eine Sache von Schlußfolgerungen und daher nicht unbedingt zuverlässig. Gewißheit stellt sich erst ein, wenn „das ewige Wort spricht.“ Der kürzeste, schnellste und sicheste Weg, auf dem man die Wahrheit erforscht, ist der tödliche Sprung ins Unbekannte, sagt der große Philosoph Henri Bergson. Wahrnehmung, Intuition und Denken können uns auf der Ebene des Intellekts bis zu einem gewissen Grad helfen, die Wirklichkeit zu verstehen; doch Sehen ist Glauben, inneres Sehen mit dem eigenen Auge, dem sogenannten „Einzelauge“. Von diesem Eingang oder Einlaß wissen die Menschen im allgemeinen nur wenig. Guru Nanak sagt mit Nachdruck: „Die Blinden finden nicht die Tür.“ Um die „enge Pforte“ und den „schmalen Weg“ zu finden, die zum Leben führen - zum ewigen Leben -, dem Leben des Geistes im Gegensatz zu dem des Fleisches, müssen wir von der gegenwärtigen Ausdehnung nach unten und außen ablassen und die nach außen fließenden Kräfte des Gemüts am Sitz der Seele sammeln, der hinter und zwischen den Augenbrauen liegt. Mit anderen Worten: wir müssen den Mittelpunkt unsees Seins vom Herzzentrum, wo er sich jetzt befindet, zum Augenzentrum (tisra-til oder nukta-i-sweda) verlegen und das „einfältige Auge“ entwickeln, von dem Jesus sagt: „Wenn dein Auge einfältig ist, wird dein ganzer Leib licht sein.“ Dieses „einfältige Auge“ oder „dritte Auge“, das von den Weisen verschieden als shiv netra, divya chakshu oder chashm-i-batin bezeichnet wird, verschafft einen Zugang zur spirituellen Welt - dem Reich Gottes -, das derzeit für die meisten von uns ein verlorenes Gebiet ist. Hier muß man immer wieder fest anklopfen, als ungeteilter Mensch mit voll konzentrierter und zielbewußter Aufmerksamkeit, um Zugang und Einlaß in die Astralwelt zu erlangen. Daher die Ermahnung: „Jetzt ist die Zeit, zu erwachen und liebevoll des Herrn zu gedenken.“ Wie aber soll das geschehen? Wir haben ihn nicht gesehen. Man kann sich nicht auf die formlose Leere, die er ist, konzentrieren und über sie meditieren. Im selben Atemzug geben die Weisen ihren Rat: „Lernt von einem Gottmenschen, wie man dem Absoluten näher kommen kann.“ Und was sagt der Gottmensch? „Hefte deine Aufmerksamkeit auf den Augenbrennpunkt, den Sitz von Lord Shiva (dem shiv-netra); wenn du dann eine Erfahrung vom Selbst in dir erlangst, wird zu gegebener Zeit alles andere von allein folgen.“

Die Meister sagen uns, daß die ganze Welt blindlings im dunkeln tappt und nach den flüchtigen Schatten jagt, die uns ständig täuschen und sich in Nichts auflösen, wenn wir ihnen näher kommen. Dabei liegt die Quelle aller Glückseligkeit und Harmonie unberührt im Augenzentrum, wo die Seele im Wachzustand ihren Sitz im Körper hat. Wenn man dieses Zentrum ausfindig gemacht hat, erhält man einen Zutritt und eine überbewußte Verbindung mit den Bereichen, die jenseits der äußersten Reichweite des menschlichen Geistes liegen. Mit den Sinnesorganen ausgestattet, haben wir kein anderes Mittel der Erkenntnis. Die Seele ist ohne die Sinne vollkommen, denn ihre Wirkungsweise ist direkt und unmittelbar und hängt nicht indirekt von äußeren Hilfen wie dem weltlichen Wissen ab. Wenn man diese Verbindung erhalten hat, wird man Schritt für Schritt zur wahren Heimat des Vaters geführt. Dies ist das Leben in Fülle. Der Mensch ist dreifach gesegnet, denn es ist ihm gegeben, sowohl die astrale als auch die kausale Region zu überqueren und ins Jenseits (Brahm und Parbrahm) zu gelangen, der Region immerwährender Glückseligkeit, die außerhalb der Grenzen der sich wiederholenden Schöpfung, Auflösung und großen Auflösung liegt. Doch solange man sich nicht von der Welt und ebenso von sich selbst zurückzieht, von Körper, Gemüt und Verstand, kommt man Gott in keiner Weise näher. Nur wenn der äußere Mensch stirbt (der Mensch durch Überwindung des Körpers zum Übermenschen wird), erneuert sich der innere Mensch (der Geist) und erreicht die schwindelnde Höhe des Berges der Verklärung. Man wird ein lebendiger, vom Körper und seinen Behinderungen freier Geist und fähig, eine Begegnung mit den alten Meistern wie Moses und Elias im Innern zu erfahren „und dem Herrn ein Osterlamm zu bereiten“ (Matth. 26,17 und Markus 14,12). An diesem Ort erwartet der Herr den Schüler: „Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. So jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun, zu dem werde ich eingehen und das Abendmahl mit ihm halten und er mit mir“ (Offbg. 3,20). Alle Erfahrung, die uns Johannes offenbart, erlangt er, als er in den „Geist“ verwandelt wurde; und er spricht vom Kommen des Herrn „als einem Dieb in der Nacht“ (in der Dunkelheit der Seele). Hafiz, ein persischer Mystiker von großem Ansehen, bezeugt ebenfalls: „Der Murshid kommt in der Dunkelheit mit einer Laterne in der Hand.“
„Der Weg zu Gott“, sagt der Prophet Mohammed, „ist schmler als ein Haar und schärfer als des Messers Schneide.“ Nanak beschreibt ihn als „khande-di-dhar“ (Schneide des Schwertes) und sagt ebenfalls, daß er schmäler ist als ein Haar; man muß wirklich durch eine todesähnliche Erfahrung hindurchgehen. In diesem Zusammenhang sagt Plutarch: „Im Augenblick des Todes erfährt die Seele die gleichesn Eindrücke und macht den gleichen Prozeß durch, wie jene, die in die großen Mysterien eingeweiht wurden.“ Aber wie viele von uns sind vorbereitet, den Todesvorgang bei Lebzeiten zu erfahren? Wir haben alle eine entsetzliche Angst vor dem Tod. Und warum haben wir sie, wenn wir doch genau wissen, daß er das notwendige Ende aller erschaffenen Dinge ist? Man braucht nicht lange nach den Gründen zu suchen. Erstens haben wir noch nicht gelernt, während des Lebens „willentlich zu sterben“, und zweitens wissen wir nicht, was nach dem Tod geschieht. Wohin werden wir gehen? Was liegt hinter dem Tor des Todes? Aus diesem Grund erfüllt uns der Tod mit Grauen; und die bloße Vorstellung von ihm hält uns in einem Zustand großer Furcht:

Die ganze Welt hat schreckliche Angst vor dem Tod,
und jeder möchte endlos leben.
Wenn man durch die Gnade des Gurus im Leben zu
sterben lernt,
erkennt man die göttliche Weisheit.
O Nanak, wer einen solchen Tod stirbt,
erlangt die Gnade ewigen Lebens.

Somit ist der Tod letzten Endes kein furchterregendes Ereignis. „Wie schön ist die göttliche Philosophie, nicht streng und schwer verständlich, wie die Unwissenden meinen, sondern lieblich und wohlklingend wie die Laute Apolls und eine immerwährendes Fest nektargleicher Süße.“ Sie öffnet in Wirklichkeit neue Ausblicke und Horizonte jenseits des Grabes oder der Flammen des Scheiterhaufens, die die sterblliichen Überreste vrschlingen, begraben und auslöschen. „Du bis Staub und wirst wieder zu Staub werden“ bezieht sich nicht auf die Seele. Das Lebensprinzip, das tatsächlich in uns wie in jedem anderen Lebewesen zu finden ist, stirbt niemals. Lediglich die aus den Elementen bestehenden Teile erfahren einen Wandlungsprozeß, den wir irrtümlich Tod nennen und fälschlich als Auflösung verstehen.

„In der Natur nährt der Tod das Leben, und das Leben erhellt den Tod.“ Überall, auf allen Seinsebenen, herrscht das universale Gesetz. „Die Weisen stellen fest, daß die Erkenntnis der Wirklichkeit mit dem Auslöschen des Ich kommt (des körperlichen Ich, in dem der Geist eingekerkert ist).“ In dem Augenblick, wo der Geist freiwillig die Ketten sprengt, bricht etwas mit einer „überwältigenden Erleuchtung aus der Welt hinter der Welt über den Geist herein“ und macht ihn zum „Propheten des höchsten Gottes“. „Auf dem Berg der Verklärung gelangt man zu Offenbarungen und sieht das Verschmelzen von Himmel und Erde.“ Hier wird man gewahr, „daß die Dunkelheit leuchtend und die Leere fruchtbar ist.“

Jeder muß natürlich eines Tages sterben: der Mensch, die Vögel und anderen Tiere, Reiche und Arme, Junge und Alte, Gesunde und Kranke. Die Seele, die das physische Kleid anlegt, muß es eines Tages wieder ablegen. Nur der Tod ist gewiß und wirklich, während das Leben (in dieser Welt) ungewiß ist. Wir halten selten inne, um über die lange Reise nachzudenken, die unser inneres Sein noch vor sich hat. Wir beklagen im allgemeinen den Tod anderer und trauern endlos lange um sie, sind aber nicht klug genug, für unser eigenes Ende Sorge zu tragen und uns auf die letzte Reise ins große Unbekannte vorzubereiten, das uns nach dem Lebensende erwartet. Bevor wir den Todesprozeß analysieren, so nützlich und aufschlußreich das sein mag, wäre es der Mühe wert, zu erkennen, was wir sind, wer wir sind, woher wir komen, wohin wir gehen, und vor allem, welches der Sinne und Zweck des menschlichen Lebens ist.

Der Mensch ist seiner gegenwärtigen Beschaffenheit nach eine Verbindung von Körper, Gemüt und Verstand, mit einer großen Antriebskraft im Hintergrund, die Seele genannt wird. Seit langen Zeiten wurden wir geformt und eingehüllt, und so fließt unsere Aufmerksamkeit ständig durch die neun Tore des Körpers nach außen und unten - durch die Augen, die Ohren, die Nasenöffnungen, den Mund und die zwei unteren Kanäle. Wenn wir das auch nicht wollen oder absichtlich tun, so ist es uns doch zur Gewohnheit geworden. Wir sind noch nicht Herr des Hauses, in dem wir leben. Pausenlos werden wir duch Gemüt und Sinne über die verschiedenen Sinnesorgane in die weiten und abwechslungsreichen Gefilde der Sinnesfreuden hinausgezogen. Diese dauernde Gemeinschaft unserers inneren Selbst (der Aufmerksamkeit) mit dem Gemüt und den materiellen Dingen hat uns nicht nur erniedrigt, sondern bis zur Unkenntlichkeit entstellt - und nun erkennen wir nicht mehr, was wir wirklich sind. Wir haben uns so sehr mit unserem begrenzten Beiwerk identifiziert, daß wir unabhängig und getrennt davon nichts wissen.

Das Selbst muß vom Persönlichen befreit werden, indem es die Maske des wertlosen Ich, die es sich aufgesetzt hat, ablegt und nichts als das reine, einfache Selbst wird, das sich von den zahllosen begrenzenden Kräften gelöst hat: 1. dem Gemüt, das die Fähigkeit besitzt, Eindrücke zu speichern (chit), dem Denken (manas), dem folgernden Verstand (buddhi) und dem Egoismus oder der Selbstbehauptung (ahankar); 2. der physischen (ann-mai), der feinstofflichen (pranmai und man o-mai) und der kausalen (vigyan-mai und anand-mai) Hüllen oder Umkleidungen; 3. den angeborenen und natürlichen Neigungen der Rechtschaffenheit (sativa), der treibenden Unrast (rajas) oder der aus Unwissenheit geborenen Trägheit (tamas); 4. den fünf Elementen (tattvas): Erde, Wasser, Feuer, Luft und Äther, woraus die ganze physische Schöpfung besteht, und 5. den 25 verschiedenen Mischungsverhältnissen zussamengesetzten Elemten (prakritis), welche die physischen Formen oder Körper in vielfältigen Gestaltungen und Muster, Schattierungen und Farben, entsprechend dem Ergebnis der karmischen Rückwirkung, vorbereiten, Solange dies nicht erreicht ist, kann das in dem Netzwerk gefangen Selbst von seiner wahren Natur nichts wissen, geschweige denn von seiner göttlichen Abstammung und reichen Erbschaft. Dies alles kommt erst dann ans Licht, wenn es zu sich kommt und sich als das selbstleuchtende „Selbst“ erkennt.

Wir wollen sehen, was uns einige englische Dichter hierüber zu sagen haben:

Der Mensch ist eine kleine Welt in sich, die aus Elementen
und einem engelhaften Geist kunstreich erschaffen wurde.
Seine gottgleichen Eigenschaften entarteten durch seinen 
Sündenfall, und er wird beständig vom Zorn Gottes - von
Kriegen, Seuchen und Unwettern - heimgesucht. Dennoch kann
er sich eines zivilisierten Glücks erfreuen, wenn er die Welt
als Vorbereitung für die nächste betrachtet und den Körper 
seiner Seele unterwirft.
                                                                                   J. Donne

Welchen Sinn hat es, auf Unbeständigkeit zu bauen, da
doch nichts von Dauer ist in dieser Welt!
                                                                         Skelton

In dem allumfassenden Bereich des tierischen Instinkts gibt
es einen verborgenen Drang, der die erwählten Menschen dazu
treibt, sich über die animalischen Impulse zu erheben. Das
Überwinden dieser Impulse zeigt sich in völliger Interesse-
losigkeit (gegenüber allem, was der äußeren Welt zugehört).
Der Trieb des animalsichen Egos bleibt vollkommen unbeachtet;
und diese Nichtbeachtung zeigt sich darin, daß man sich
willentlich einem „selbstgesuchten Tod“ unterwirft und die 
Auslöschung des animalischen Instinkts annimmt, der sich 
gegen diese Annahme wehrt, bis auf der subjektiven Seite 
nichts mehr verbleibt als reine Bewußtheit und man in ein 
höheres Wesen ungewandelt ist, das man betrachtet ...
Nichts wird jemals wirklich, wenn es nicht auf tatsächlicher
Erfahrung beruht. Aber wie viele Philosophen sind zu dieser
Erkenntnis gelangt?

Zu diesem Zweck muß das Gemüt als Sinneskraft wieder in sich 
vereinigt (ein ungeteiltes Ganzes) werden, was der Beginn und
die notwendige Voraussetzung dafür ist, daß man sich ganz von 
ihm löst. Das Ich muß eine Einheit sein, bevor man sich gänz-
lich davon befreien kann (vom Körper, Gemüt und Intellekt).
Es ist dann ein alles erkennedner Geist, der die Gesamtheit 
des Seins unter dem Aspekt der Ewigkeit umfaßt. So wir Zugang 
in die Welt des Seins erlangen, ist uns vollkommene Einsicht
gegeben.

Es gibt eine Verbindung von Mysterium und Mysterium, der 
unbekannten Seele und der bekannten Wirklichkeit; an einer 
besonderen Stelle im Gewebe des Lebens scheint die verborgene 
Wahrheit den Schleier zu durchbrechen.

Middleton Murray

Wie wird nun dieser innnere Drang befriedigt? Der Vorgang, bei dem man ganz in den Augenbrennpunkt gelangt und dort verweilt (im Tor des sogenannten Todes), ist dem Todesvorgang teils sehr ähnlich. Man zieht die Sinnesströme freiwillig vom Körper unten zurück und bekommt eine Erfahrung von den Geheimnissen des Jenseits, in das eine Meisterseele (Sant Satguru) einen Schüler zu Lebzeiten initiiert. Er gibt eine innere Ersthand-Erfahrung der bewußten Verbindung mit dem heiligen Naam - dem göttlichen Licht und dem heiligen Tonstrom (heiligen Geist), der von der rechten Seite kommt, als niedrigster Ausdruck der Gottheit im Innern. Nur durch eigene Anstrengung, ohne Führung und Hilfe, kann man keinen Zugang zur Welt des Geistes erlangen, da man nicht einmal in der physischen Welt, von der Wiege bis zur Bahre, ohne die aktive Hilfe und Führung so vieler Lehrer auskommen kann. Hierin besteht die hervorragende Bedeutung und Notwendigkeit eines Satgurus oder Murshid-i-Kamil (vollendeter Meister und Adept in der Kunst und Wissenschaft der Seele), der kompetent ist, die Geistesströme von jeder Pore des Körpers, also der Ebene der Sinneswahrnehmungen, zurückzuziehen und sie über das Körperbewußtsein zu heben, damit man selbst den inneren Glanz der Herrlichkeit Gottes sehen kann.

Der todesähnliche Prozeß beginnt mit dem Zurückziehen der Sinnesströme vom Körper. Man hat nichts weiter zu tun, als sich ruhig, gelassen und ganz entspannt hinzusetzen, die Aufmerksamkeit am Augenbrennpunkt zu festigen und sich in Simran oder die Wiederholung der gelandenen Namen zu vertiefen, die alle Zeiten hindurch den Lebensimpuls der Meister tragen und als Paßwort für die Bereiche des Jenseits dienen. In einer solchen einfachen Haltung (asana) und in gesunder Umgebung vergißt man sich selbst und auch die lebensspendenden und lebenerhaltenden pranas (Lebensenergien), wodurch sie wie das ganze Atmungs- und Kreislaufsystem des Körpers von selbst allmählich langsamer und rhythmischer werden. Zuerst ziehen sich die Sinnesströme von den Gliedmaßen - beginnend bei den Finger- und Zehenspitzen - zurück, steigen hoch und durchqueren nach und nach die verschiedenen Körperzentren, von denen jedes der Bereich eines der fünf Elemente ist, aus denen sich der Körper zusammensetzt. Nachdem sie über das Herzzentrum hinausgelangt sind, kommen sie zum Kehlzentrum, dem Sitz von Shakti, der Mutter des Universums (der allesdurchdringenden Energie), wobei das ganze Körpersystem unterhalb der Augen empfindungslos wird; und schließlich erheben sie sich direkt zum Zentrum hinter den Augen (Aggya Chakra). An dieser Stelle werden die Sinnesströme gesammelt, finden Zugang zu dem „inneren Schützenloch“ (Brahmarendra oder der Höhlung von Brahma) und bekommen Einblick in Brahmand, das kosmische Universum. Dies ist die zehnte Öffnung im Körper, der einzige Einlaß über den neun Ausgängen. Dort muß man anklopfen, um in die oberen Reiche aufgenommen zu werden, die größer und herrlicher sind, aus sich selbst leuchten und in wunderbaren Melodien der himmmlischen Musik erklingen, die in der zurückgelassenen physischen Welt nirgend gehört wurden. Diese ist nunmehr nichts weiter als ein großes Elendsviertel voller Not und Leid. Sie verblaßt, wie Platon sagt, zu einem schwachen Abbild der Ideenwelt. Auf dieser Stufe ist der Mensch fürwahr gesegnet, da er zu der ätherischen Region, der Welt der Geistwesen, Zugang hat. Er befindet sich nun an der Schwelle der Astralwelt, in Gemeinschaft mit der strahlenden Form des Meisters (Gurudev), und sein Gurbhakti (Hingabe an den Guru) ist in jeder Hinsicht vollkommen. Wenn ein Schüler die strahlende Form des Meisters erreicht, ist die Zeit der eigenen Anstrengung vorbei. Hier nimmt der Gurudev die Seele in seine Obhut und schult sie im wahren Sinne des Wortes in Shabd-bhakti, der Hingabe an den Tonstrom, der seine wirkliche Form (Shabd-Swaroop) ist. Von da an leitet er die Seele auf der spirituellen Reise, die durch unzählige Regionen von variierender spiritueller Erhabenheit führt: durch die kausale oder instrumentale Ebene, die Saat-Welt, die ewig fruchtbare Mutter mit zahllosen großen Schöpfungen in ihrem Schoß; dann in das überkosmischen Jenseits (Par Brahmand), die Ebenen der Stille und der Großen Stille (Maha Sunn), und schließlich zu Sach Khand, wo der Formlose Eine weilt. Er ist von unbeschreiblichem Strahlenglanz (das Meer des Bewußtseins) und wird Sat Purush genannt, die erste Offenbarung des höchsten Wesens. Dieser heilige Entwicklungsprozeß ist einfach, natürlich und erfordert keine beschwerlichen Härten. Er schließt keine drastischen Kontrollen der pranas ein. Die Meister haben diese seltene Methode entwickelt und „Wissenschaft der Seele“ genannt. Man kann sie am besten unter der kompetenten und sicheren Führung eines Meister-Heiligen erlernen, er mit der Theorie und Praxis des Lebensstroms völlig vertraut ist, welcher allen erschaffenen Dingen innewohnt. Alles hervorbringt und alles erhält.

Alle Schriften der Welt bezeugen diese grundlegende Wahrheit:

Am Anfang war Prajapati (das höchste Wesen); bei
ihm war Vak (das heilige Wort), und das Wort war wahrhaftig
das höchste Brahma (Param Brahma).
                                                                                         Veden

Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und
Gott war das Wort. Dasselbe war im Anfang bei Gott. Alle
Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist
nichts gemacht, was gemacht ist. In ihm war das Leben
und das Leben war das Licht der Menschen.
                                                                            Joh. 1,1-4

Kalam oder Kalma ist das universale Schöpfungsprinzip.
Gott sprach: „Kun-fia-kun“, es werde, und von diesem
„Es werde“ kam die ganze Schöpfung ins Sein.
                                                                              Koran

Shabd ist der Schöpfer der Erde,
Shabd ist der Schöpfer des Firmaments,
Shabd ist die Quelle des Lichts,
und Shabd wohnt in den Herzen aller.
                                                   Nanak

Von diesem grundlegenden Prinzip in allem Seienden (dem Licht und Ton Gottes) gibt der Meister all denen, die auf der Suche nach der Wahrheit zu ihm kommen, eine praktische Erfahrung. Die seltene Gabe der heiligen Initiation - Erklärung der Theorie und ihre praktische Anwendung (shiksha und deeksha) - in das esoterischen Wissen und die Erfahrung von der rettenden Lebensschnur im Innern ist kein Ziel in sich selbst, sondern nur ein Anfang, ein erster Schritt auf der langen Reise der Seele in die wahre Heimat des Vaters. Wer sich für diesen Lebensweg entschieden hat, ist in der Tat begünstigt und macht die seltene Erfahrung des „Todes im Leben“; er wird ein jivanmukat oder befreites Wesen. Während er noch im Körper ist, führt er auf jeder beliebigen Ebene ein Leben in Fülle, bleibt aber immer im Einklang mit dem Willen Gottes. Ein solcher glücklicher Mensch ist ganz in der Gottheit verwurzelt und hat Verstand, Gemüt und Sinne vollständig unter Kontolle. Er ist Herr des Hauses und nicht Knecht seines Gemüts und Intellekts. Wie ein guter Lenker, der im Körperwagen sitzt, gibt er dem Intellekt die rechte Richtung an, der wiederum das Gemüt entsprechend leitet. Wird dieses dann auf dem Pfad der Rechtschaffenheit geschult, weigert es sich, von den Sinnen beherrscht zu werden, die allmählich ihren Einfluß verlieren und aufhören, vom Blendwerk der Sinnesgegenstände angezogen zu werden. Dadurch wird der ursprüngliche Ausdehnungsprozeß umgekehrt, und man kommt zu innerer Ruhe, so daß die reglosen Wasser des Gemüts das Licht Gottes widerzuspiegeln beginnen. Darin erfüllt sich die uralte Weisheit: Solange die Sinne nicht bezwungen, das Gemüt beruhigt und der Verstand ausgeglichen sind, kann man die Herrlichkeit Gottes nicht sehen.

Diese reiche Erfahrung eines Lebens in Fülle wird zweite Geburt oder Geburt des Geistes genannt. Im Gegensatz zur Geburt des Fleisches. Geführt durch den Geist, lebt und wandelt man im Geist, gibt alle sinnlichen Begierden auf und durchbricht das unerbittliche Gesetz von Ursache und Wirkung oder karma, das alle anderen in ständiger Knechtschaft hält. Wenn man auf dem Pfad täglich fortschreitet, öffnen sich neue Ausblicke unbeschreiblicher Freude und Glückseligkeit. Ein anderer Gesichtskreis tut sich auf, der die Ganzheit alles Seienden umfaßt und zu immer größerer Bewußtheit führt, erst persönlicher, dann supramentaler, darauf kosmischer und schließlich superkosmischer Art.

Losgelöst von allen Fesseln des Gemüts und der Materie, erfreuen sich die befreiten Seelen im Leben des Geistes immerwährender Glückseligkeit und betrachten das Leben nun von einer ganz anderen Warte aus. Die gewaltige Schöpfung wird zur Offenbarung des einen Lebensprinzips, das überall in ihnen, um sie herum und in allem, was beseelt oder unbeseelt ist, pulsiert. Die Welt, die man jetzt wahrnimmt, ist völlig verschieden von der, die wir bisher kannten. Sie erscheint nun als die wahrhaftige Wohnstatt Gottes, und man sieht Gott in ihr, in jedem ihrer Teile, denn alle geschaffenen Dinge sind wie Blasen im unendlichen Meer des Lebens. Von da an lebt und stirbt man für den Herrn. Wie Paulus wird man „in Christo gekreuzigt“ (fana-filsheikh), und Christus lebt in einem. Durch die wiederholte Erfahrung des Todesvorgangs „ist der Tod verschlungen in den Sieg“ (Gal. 2,19), der Vater und der Sohn werden eins. Während der äußere Mensch aus Fleisch und Blut bestehen bleibt und weiterlebt, um das Netzwerk des Lebens zu Ende zu knüpfen, wird der innere Mensch (der Geist im Menschen) erneuert und nimmt mit der Zeit an Kraft und Erhabenheit zu. Darum sagt Thomas a Kempis:

Entsage dem Fleisch um des Geistes willen.
Lerne zu sterben, damit du zu leben beginnen kannst.

In diesem Zusammenhang haben wir die Worte Kabirs:

Der Tod, vor dem die ganze Welt zurückschreckt, ist mir
willkommmen als ein Vorbote vollkommenen Friedens und Glücks.
Stirb und sei tot für die Welt; einen solchen Tod
erfahre ich viele Male am Tag.

In allen vier Evangelien findet sich ein Reihe ähnlicher Hinweise:

Wer sein Leben findet, der wird’s verlieren;
und wer sein Leben verliert um meinetwillen und des
Evangliums willen, der wird’s behalten.
Denn wer sein Leben behalten will, der wir es verlieren;
wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s
erhalten.
                                                           Luk. 9,24 u. 17,33

Wer sein Leben liebhat, der wird’s verlieren;
und wer sein Leben auf dieser Welt haßt, der wird’s
erhalten zum ewigen Leben.
                                                                Joh. 12,25

Dadu, ein bekannter Heiliger sagt:

O Dadu, lerne zu sterben, ehe dich der Tod übermannt.
Welchen Nutzen hat es, wenn du sterben mußt?

Dasselbe sagt Guru Nanak:

Nanak, praktiziere einen solchen Yoga, der dich lehrt,
im Leben zu sterben.

Auch der Prophet Mohammed ermahnte seinen unmat oder die Gläubigen, die Kunst des Sterbens vor dem Tod zu üben: „Stirb vor dem Tod - mautoo-qibalantu-mautoo“. Die Moslem-Mystiker wie Khawaja Hafiz, Shamas-i-Tabrez und Maulana Rumi haben mit großem Nachruck die Bedeutung einer so einzigartigen Erfahrung betont:

Solange du dich nicht über die Ebene der Sinne erhebst,
weißt du nichts vom inneren Leben.
Du hast noch ander Kleider neben dem äußeren Ge-
wand, warum hast du Angst, den Körper zu verlassen?

Man könnte den Aussprüchen zu diesem Thema beliebig viele andere hinzufügen. Nehmen wir zum Schluß noch eine Stelle von Earl R. Wassermann:

Viele sind nur unvollkommene Teile des Einen; und der
Tod eröffnet das ungeteilte und daher unbegrenzete spiritu-
elle Leben. Das Leben nach dem Tod ist daher eine spiri-
tuelle Existenz, denn der Tod, der den Dom aus vielfarbi-
gem Glas zerstört, erlaubt der Seele, „sich über die Schat-
ten der Nacht zu erhaben“, anstatt im Innern zu wirken
und das organischen Sein auszulöschen. Was dann als
physische Zerstörung erscheint, erweist sich als Unsterblich-
keit des Geistes. Was wir Leben nennen, ist Zerfall. Deshalb
wird das strahlenden Licht der Ewigkeit durch die irdische
Begrenzung, die vergängliche Atmosphäre, verfärbt. Die auf-
erstandene, mit dem Einen wiedervereinte Seele, nicht dagegen
der Schatten des Todes oder die physische Materie, ist im
wahren Sinne des Wortes enthüllt und dehnt sich in der ganzen
Natur aus, denn die letzte Wirklichkeit ist überall Geist ...
Wäre die Atmosphäre der Sterblichkeit entfernt, würde der
Mensch erkennen, daß das eine bleibt und „das Licht des
Himmels ewig erstrahlt“; daß Tag und Nacht, Leben und Tod,
der Abend- und der Morgenstern eins sind ... und die letzte
Wirklichkeit des irdischen Lebens und der Ewigkeit nach dem
Tod der Eine Geist ist ... Diese Erkenntnis, daß das ver-
gängliche und das unvergängliche Leben geistig überein-
stimmen, hebt die Gegensätze wie Leben und Tod schließlich
auf. Denn der Eine erstrahlt „durch den Wandel der Zeiten
hindurch unvergänglich im selben Licht.“

Er sagt dann:

Lerne, unerschrocken in den Abgrund des Todes zu gehen, denn
wo das vergängliche Dasein endet, beginnt das spirituelle
Leben. Beim Tod erhebt sich die auferstandene Seele über die
Schatten der Nacht und vereinigt sich wieder mit dem Unwan-
delbaren.

In gleicher Weise spricht der Prophet Mohammed vom Tod im Leben:

Ein solcher Tod wird dich nicht ins Grab bringen,
sondern aus der Finsternis zum Licht führen.
So lerne, täglich zu sterben, indem du dich über den
Körper erhebst.

Wenn ein Mensch lernt, über das Menschliche in sich hinauszugelangen, kommt der Meister in seiner strahlenden Form, um der Seele auf dem Weg in ihre wahre Heimat zu helfen, indem er sie auf den höheren Ebenen führt, sowohl während des Lebens als auch danach, wenn die sterbliche Hülle abgelegt ist. In diesem Zusammenhang sagt Guru Nanak:

O Nanak, löse alle Bindungen vergänglicher Natur
und suche die wahre Freundschaft eines Heiligen;
denn alle anderen verlassen dich schon bei Lebzeiten,
während er bis zuletzt und noch darüber hinaus
unerschütterlich zu dir steht.
Ergreife die Wahrheit, indem du den Weisungen eines
Satgurus folgst.
Sei wahr zu ihm, und er wird dir bis zuletzt beistehen.

Ähnliches sagt ein Moslem-Heiliger:

Ergreife den Saum seines Kleides, o mutige Seele,
denn er steht fürwahr über allen Welten,
hier und im Jenseits.

Auch in den Evanglien finden wir:

Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.

Ich will dich nicht verlassen noch versäumen.

Auf diese Weise ist die höchste Mission des menschlichen Lebens vollendet und die Fülle des Lebens erfahren. Es ist die Verbindung des „Ich“ mit dem „Selbst“, das sich mit der rechten Hilfe und Führung einer Meisterseele von den Disteln und Dornen des weltlichen Lebens löst, die diese Erfahrung allen gleicherweise gewährt, ungeachtet des Geschlechts, Alters, Berufs, der Religionszugehörigkeit un der gesellschaftlichen Stellung aufgrund von Abstammung, Stand, Hautfarbe und Glaubensbekenntnis. Der Geist muß den falschen Schein der selbstgeschaffenen und selbstprojizierten Persönlickeit ablegen, mit dem er sich unwissentlich umgibt. Erst wenn man ein reiner, von der Liebe zu allen geschaffenen Dingen freier Geist geworden ist, kann man sich am Leben des Schöpfers, einem Leben der Fülle und Glückseligkeit, erfreuen.

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