Einführung

„Leben“ und „Tod“ sind wechselseitig bedingte Begriffe. Im Bereich der Relativität können wir nicht denken, sprechen und handeln, ohne eine Sache der anderen gegenüberzustellen. Dies ist der Weg, um die Erscheinungsform der Dinge zu verstehen. Bei deren Vielfalt stellt uns jeder Schritt vor verwickelte Zusammenhänge, so daß wir mit einem analytischen Verfahren jede Sache in ihre Bestandteile zerlegen, diese einzeln benennen und zueinander in Beziehung setzen müssen, um auf der Ebene des Verstandes und der Sinne etwas zu begreifen. Nach der Beschaffenheit der Dinge und der Eigenart unseres Erkenntnisvermögens, mit dem uns die Natur ausgestattet hat, haben wir somit nur ein Wissen von den Teilen und sehen nie das wahre Bild einer Sache in ihrer Ganzheit. Da wir kein Wissen und keine Erfahrung vom Wesen der Dinge haben, geben wir uns ständig mit ihren äußeren Formen und Farben, den Eigneschaften und Merkmalen ihrer Oberfläche zufrieden. Wir dringen nicht in die Tiefe, zum Lebensprinzip vor, das trotz der Unterschiede von Masse, Dichtigkeit, Umfang, Gewicht und Gestalt dessen, was wir sehen und beobachten, in allem dasselbe ist. Wie die Lady von Shallott leben iwr immerzu in der Welt der Schatten, wie sie im Spiegel des Gemüts und des Verstandes reflektiert wird. Dabei kehren wir der objektiven Welt gleichsam den Rücken zu und erst recht der subjektiven, der Welt der Wirklichkeit, die in jedem von uns liegt und Wunder birgt, die größer, umfassender, schöner und herrlicher sind als alles in der physischen Welt.

Als im Menschen der erste Funke des Göttlichen aufdämmerte, der alles beherrschenden und alles erhaltenden Kraft, die hinter allem Organischen und Anorganischen wirkt, entwickelte sich das Bewußtsein von einem Prinzip, das das Leben und die Seele des Universums war. Dies führte allmählich zur Gründung der verschiedenen Religionen, deren jede der Erkenntnisstufe ihrs Gründers entsprach sowie den Bedürfnissen der Zeit und der Menschen, dem Grad der Völkerverständigung und der Fähigkeit, die Lehre der Apostel, Gesandten und Propheten, die von Zeit zu Zeit zur materiellen, mentalen, moralischen, sozialen und ökonomischen Erhebung der Massen gekommen waren, anzunehmen, zu verarbeiten und sich zu eigen zu machen.

Alle Religionen entstehen aus den besten Beweggründen. Die religiösen Oberhäupter sind ebenso das Produkt ihrer Zeit wie die Bedingungen, die sie zur Besserung der Volksmenge schaffen, welcher sie predigen. Man mag daher mit Recht sage, daß für die Mehrzahl der Menschen die erhabenen Lehren der erleuchteten Lehrer das wäre, was man soziale Religionen nennen könnte: Sammlungen sozialer und moralischer Vorschriften, damit die Menschen in Frieden zusammenleben, anstatt in einem Zustand ständiger Ruhelosigkeit und Angst vor Krieg, einem Krieg aller gegen alle.

Die guten und rechtschaffenen Gedanken kommen, wie alle anderen, aus dem Gemüt. Bei den Weltlehrern hatten solche Gedanken ihren Ursprung in dem Leben des Geistes, das sie führten. Es sind jedoch sehr wenige, die sich zu ihrer Ebene erheben und aus dem innersten Gehalt ihrer Lehren Nutzen ziehen: dem praktischen Aspekt jeder Religion, der Mystik, die den Kern dessen bildet, was sie lehrten. So wurde der im Mittelpunkt stehende praktische Teil an die wenigen Auserwählten weitergegeben, während der Menge die theoretische Seite der Lehren in Fom von Gleichnissen vermittelt wurde, um sie zu befähigen, nach und nach die wahre Bedeutung der Lehren aufzunehmen und zu verstehen. Wenn man also den Religionen auf den Grund geht, stößt man auf Spuren der Wirklickeit, ganz gleich, wie schwach und unbestimmt sie zuweilen erscheinen mögen, da wir noch nicht die Einsicht ihrer Begründer entwickelt haben. Für den gewähnlichen Menschen bleib die Religion zum größten Teil Theorie, allenfalls eine zweckgebundene Theorie, dazu bestimmt, sein Lebensgeschick günstiger zu gestalten und einen besseren Menschen aus ihm zu machen, ein nützliches Glied der sozialen Ordnung, der er angehörte, einen guten Staatsbürger mit bestimmten Rechten und Pflichten, familiärer und gesellschaftlicher Verantwortung, da er nun gerüstet war, diesen zum Wohle aller nachzukommenen.

Alle Tugenden, alle Handlungen, alle Wissenschaften und Künste und jeder Stand, einschließlich der Staatsführung, der Geistlichkeit, des Handwerkerstandes usw., haben in verschiedenen Graden ihr Fundament in dem kleinsten gemeinsamen Nenner, der zugrundeliegenden allumfassenden Wahrheit, wie sie von ihren Vorfahren verstanden wurde. Daher rührt die Verknüpfung der Religion mit sozialem und moralischem Zierrat, um sie für die Allgemeinheit annehmbar zu machen. Dies ist der Aspekt der Religion, der eine feste Grundlage für die soziale Ordnung eines Volkes schafft.

Wenn wir einen Schritt weitergehen, kommen wir zu einem anderen Aspekt der Religion: es ist der Aspekt moralischer Tugenden, die sich auf verschiedenen Ebenen entfalten, als Riten und Rituale, Formen und Zeremonien, Härten und Bußen, Werke der Nächstenliebe, Beschwörungen, um feindliche Mächte zu beschwichtigen und zu versöhnen, und als Anrufung wohlgesinnter Kräfte um Schutz und Beistand in Zeiten der Not.

Nicht zuletzt kommen, wie wir noch sehen werden, die in den Yoga-Praktiken erfahrenen Yogis und Yogishwars.
An der Spitze der Hierarchie stehen die Meister-Heiligen, vollendete Wesen oder Gottmenschen, die nicht nur über den Geist und die Kraft Gottes reden, sondern sie in ihren Initiierten offenbaren und den individuellen Seelen eine bewußte Verbindung damit geben. Es muß zu ihrer Ehre gesagt werden, daß sie die wirkliche Religion vertreten und, dem Wortsinn und der Praxis nach, wahrhaft religiös sind, da sie den Menschen seinem Schöpfer rückverbinden.

Die Lehren der Meister bilden keine institutionellen Religionen, wie gewöhnlich angenommen wird. Sie sind eine wohlbegründete Wissenschaft, die Wissenschaft der Seele. Wer immer diese Wissenschaft nach den Anweisungen der Meister mit Vertrauen praktiziert, erlangt dieselben Erfahrungen und kommt zu denselben Ergebnissen, ganz gleich, welcher Religionsgemeinschaft oder Kirche er angehört: der römisch- oder altkatholischen, der lutherischen oder reformierten.

Die Wissenschaft der Seele ist der Kern aller Religionen und das Fundament, auf das sie sich alle gründen. Die Meister lehren, daß es sieben Ebenen gibt: Pind, And, Brahmand, Par Brahmand, Sach Khand, Alakh und Agam. Und über dem ganzen Kosmos gibt es eine achte Ebene, die von den Heiligen verschieden bezeichnet wird als Anami (Namenlos), Maha Dayal (Herr der Barmherzigkeit), Nirala (der Wunderbarste) oder Soami (der Herr von allem). Den Initiierten der Meister werden kurz die Unterscheidungsmerkmale der ersten fünf Ebenen, die charakteristischen Töne und Arten des Lichts beschrieben sowie die Namen der Kräfte, die in ihnen vorherrschen.
Der Initiierte, der erfolgreich die erste Ebene überquert, wird ein Sadhak (Schüler) genannt. Und wer die zweite durchschritten hat, wird als Sadh (disziplinierte Seele) bezeichnet. Wer in Par Brahmand von seinen Wünschen und Sehnsüchten reingewaschen wird, ist als Hansa (gereinigte Seele) bekannt, und wer weiter aufsteigt, wird ein Paramhansa (unbefleckte Seele). Wenn einer die fünfte Ebene, Sach Khand, erreicht, wird er ein Sant oder Heiliger genannt. Und ein Heiliger, der vom Höchsten Wesen den Auftrag hat, die Wahrheit (Shiksha) zu lehren und sie zu offenbaren (Diksha), ist ein Sant Satguru oder vollendeter Meister, der ermächtigt wurde, die jivas oder menschlichen Seelen in die jenseitigen Regionen zu führen, in ihre endgültige Heimat, das Reich Gottes.

Yoga bedeutet die Vereinigung der Seele mit der Überseele oder Gotteskraft. Es gibt so viele Yoga-Arten: Mantra Yoga, Hatha Yoga, Ashtang Yoga, Karma Yoga, Bhakti Yoga, Jnana Yoga, Raja Yoga, Laya Yoga und andere. Diese Yoga-Praktiken befassen sich mehr oder weniger mit der Schulung des physischen Körpers, den nach außen gehenden Kräften, dem Gemüt und dem Intellekt. Sie sind dafür gedacht, einen gesunden Geist in einem gesunden Körper zu erhalten, um dadurch körperliche Gesundheit, Widerstandskraft und Langlebigkeit zu erwerben. Jeder Yoga hat sein eigenes Ziel und seine eigene Reichweite. Doch all diese Yoga-Arten sind nicht völlig verschieden voneinander, sondern haben die gemeinsam Aufgabe, aus dem Menschen eine vollständige Ganzheit oder ungeteilte Persönlickeit zu machen. (Zur genaueren Untersuchung wird die „Krone des Lebens“ empfohlen, eine vergleichende Studie des Yoga, wo dieses Thema ziemlich ausführlich behandelt wird.)

Es gibt jedoch noch eine andere Art des Yoga, den Surat Shabd Yoga oder die Verbindung mit dem heiligen Wort (Tonstrom). Es ist die Wurzel aller Religionen und wird dennoch von den Theologen nicht richtig verstanden. Es bringt einen an das letzte Ziel, zu Anami oder dem Namelosen Absoluten, der als ihr materieller und bewirkender grundloser Urgrund hinter der ganzen Schöpfung steht. Als sich das Meer des reinen Bewußtseins erhob, kam der gestalt- und namenlose Absolute in vielen verschiedenen Formen mit vielen verschiedenen Namen durch die Kraft seiner Vibrationen zu Ausdruck. Der daraus entstehende Ton wurde das heilige Wort genannt. Wie man mit dem Geist und der Kraft Gotttes, dem ersten Schöpfungsprinzip (dem Licht des Lebens), in direkte Verbindung kommt, ist das Thema der Mystik. Während alle Philosophien den offenbarten Aspekt des Ungeoffenbarten und die Schöpfung des Ungeschaffenen behandeln, befaßt sich die Mystik mit dem ersten Schöpfungsprinzip selbst, der vibrierenden Kraft, die durch Licht und Ton (Jyoti und Shruti) gekennzeichnet ist.

Der Vorgang der Verbindung mit dem Wort beginnt, wenn ein bewußter Kontakt mit der zum Ausdruck kommenden Gotteskraft (dem Naam oder heilgien Geist) hergestellt ist. Er gewährt einem eine tatsächliche Erfahrung von der unaussprechlichen Wonne der höheren Ebenen, und dies nicht auf gut Glauben im Jenseits (nach dem Tode), sondern hier und jetzt, solang man noch im Körper in der matieriellen, physischen Welt lebt.

Diese Vibrationen, die vielerlei Arten von Tönen hervorbringen, leiten den Initiierten durch die verschiedenen Ebenen von wechselnder materieller und spiritueller Dichtigkeit und führen die Seele schließlich in die rein spirituelle Welt von Sat Naam (das Reich Gottes). Von hier strömt die göttliche Harmonie aus und dient dazu, die weltmüden Seelen in die wahre Heimat des liebenden Vaters, den Himmel der Glückseligkeit, zurückzubringen. Tulsi Sahib sagt: „Von fern kommt ein Ton herab, um dich zu Gott zurückzurufen.“ Ebenso haben wir das Zeugnis von Shamas Tabrez, der zu sich selbst sagt: „O Shamas, lausche der Stimme Gottes, die dich zu ihm ruft!“ Auch Guru Arjan sagt:

Der dich einst in die Welt sandte,
ruft dich nun zurück.

Im Koran finden wir: „O Seele, kehre froh zum Herrn zurück und erfreue ihn!“
Ein vollendeter lebender Meister ist eine Notwendigkeit auf den Pfad gottwärts. Im Johannes-Evangelium steht: „Niemand kommt zum Vater denn durch mich.“ (14,6). Alle Meister sagen, daß es auf der Welt immer einen Meister oder Murshid gibt, der als Qibla Numa wirkt oder als einer, der auf Qibla, das Allerheiligste, das Sanctum Sanctorum, hinweist, das unserer Anbetung und Verehrung würdig ist. In den Sikh-Schriften lesen wir: „Im Wechsel der Zeiten folgt ein Lehrer dem anderen.“ Im Lukas-Evangelium heißt es ähnlich: „... wie er vorzeiten geredet hat durch den Mund seiner heiligen Propheten.“ (1,70).

Das Gesetz von Bedarf und Versorgung ist in der Natur immer wirksam. Es gibt Nahrung für die Hungrigen und Wasser für die Durstigen. Wo Feuer ist, kommt Sauerstoff von selbst zu Hilfe. Aber jeder Prophet und Messias führt seine Mission in der Welt nur so lange aus, wie ihm die Zeit dafür zugemessen wurde. Jesus hat gsagt: „Dieweil ich bin in der Welt, bin ich das Licht der Welt.“ (Joh. 9,5). Doch wenn er seinen Auftrag erfüllt hhat, wird er abberufen, erhoben und verläßt die Stätte seines Wirkens auf dem Erdenplan. In der Natur gibt es keine Leere. Die Gotteskraft kann nicht anders, als ihr Werk der Erneuerung fortzusetzen, denn es ist eine endlose Aufgabe. Während sich diese Kraft von einem menschlichen Pol zurückzieht, wählt sie einen anderen menschlichen Pol, um sich durch ihn in der Welt zu offenbaren und in ihr zu wirken. Ein solcher menschlicher Pol kann der Statthalter Gottes genannt werden. Er übernimmt die Aufgabe, schließt die Lücke und setzt das Werk fort. Es ist so, wie wenn eine ausgebrannte Glühbirne durch eine neue ersetzt wird, damit das Licht weiterbrennt. Die Christuskraft oder Gotteskraft leuchtet durch den einen oder anderen Pol unvermindert weiter, wie in der Gestalt von Zarathustra, Konfuzius, Jesus, Mohammed, Kabir, Nanak, Tulsi Sahib oder Soami Ji.

Wie vorher gesagt wurde, ist die Welt nie ohne einen Meister. Nach Soami Ji setzte Baba Jaimal Singh Ji im Punjab die Mission seines Meisters fort. Sein erhabener spiritueller Sohn und Nachfolger war Hazoor Sawan Singh Ji, dessen Güte noch jetzt, mehr als je zuvor, über die ganze Welt ausstrahlt durch den Ruhani Satsang. In diesem allgemeinen Forum, mit seinem Hauptzentrum in Indien, treffen sich von Zeit zu Zeit religiöse Oberhäupter des In- und Auslandes und arbeiten daran, die Menschheit als Kinder Gottes in einer Bruderschaft zu verbinden, ungeachtet, welcher Religionsgemeinschaft sie angehören oder aus welchem Land sie kommen.

Wenn Heilige die Welt verlassen, werden die wertvollen Erfahrungen, die sie im Verlauf ihrer Suche nach der Wahrheit gemacht haben, gesammelt und in die geistliche Literatur der Welt, wie wir sie heute haben, aufgenommen. In diesem zwanzigsten Jahrhundert sind wir in der günstigen Lage, eine Reihe überlieferter Schriften aus der Vergangenheit zu besitzen. Wir haben den Zend Avesta, die Veden, die Upanishaden, die großen Epen Ramayana und Mahabharata, die Bhagavad Gita, das Alte und Neue Testament, den Koran, den Adi Granth und viele andere Bücher, wie den Sar Bachan und Gurmat Sidhant. Alle handeln von derselben ungeteilten und einzigen Wahrheit. Doch die Wege zu ihr sind zahlreich, und jeder hat seine besondere Terminologie und Ausdrucksweise. Für die meisten von uns, die an den Lehren des einen oder anderen Weisen festhalten, ist es schwer, deren Sinn zu verstehen, weil sie die innere Bedeutung der gebrauchten Schlüsselworte und die verwendete Sprache oder Mundart nicht kennen. Solange uns nicht ein Mensch der Verwirklichung zu Hilfe kommt, der die in den Schriften aufgezeichneten Wahrheiten selbst erfahren hat, sie uns erklärt und verständlich macht, können wir ihre wahre Bedeutung nicht erfassen. In den Händen eines solchen kompetenten Meisters werden die Zeugnisse der Vergangenheit lebendig und zu einer Quelle der Inspiration für die aufwärtsstrebenden Seelen. Es heißt daher:

Die Schriften sind Werkzeug in den Händen eines
Meisters und helfen, das Meer des Lebens zu überqueren;
aber sie werden nur verständlich, wenn ein Gottmensch
kommt, sie zu erklären.

Bei der Initiation erhält der Wahrheitssucher eine bewußte Verbindung mit dem heiligen Wort, der Gotteskraft, die sich in Form von Licht und Ton offenbart und aus der vibratorischen Bewegung in den Tiefen des Meeres der Liebe, welches Gott ist, hervorgeht.Er bekommt eine unmittelbare Erfahrung von der Kraft und dem Geist Gottes und beginnt, das Licht Gottes zu sehen und die Sphärenmusik zu hören, die überall, innerhalb und außerhalb des Raumes, unaufhörlich erklingt, da es keinen Ort gibt, wo sie nicht ist. Von Guru Nanak, der gänzlich in der Farbe des allesdurchdringenden Naam gefärbt war und in einem Zustand beständiger Ekstase lebte, wird folgendes berichtet: Als er auf einer seiner Reisen in Mekka weilte, habe man ihn eines Tages im heiligne Bezirk mi den Füßen gegen den heiligen Schrein der Kaaba liegen gesehen. Die Hüter des Schreins konnten diesen offensichtlichen Frevel nicht dulden. Sie rügten ihn wegen der Beleidigung und sagten: „Wie kommt Ihr dazu, mit den Füßen gegen das Haus Gottes zu liegen?“ Guru Nanak, erfüllt von dem Bewußtsein, daß der Geist Gottes in jeder Richtung und an jedem Ort zugegen ist, erwiderte bescheiden. „Bitte, sagt mir, wo Gott nicht ist, damit ich meine Füße nach jener Richtung wende.“ Solcher Art ist die Betrachtungsweise von Heiligen, die in Gott verankert sind. Sie sehen Gott überall und in jeder Richtung als ein alles durchdringendes Lebensprinzip, das alles Seiende durchströmt.

Ähnlich hat der Prophet im Koran erklärt: „Das Reich Gottes erstreckt sich von Osten nach Westen, und die Gläubigen können ihn in jeder Richtung finden, wo immer sie sich ihm zuwenden. Gott wird ihnen überall begegnen, da er an keinen besonderen Raum gebunden ist und in seiner Allwissenheit eines jeden Herz kennt.“
Al-nisai, ein Moslem-Heiliger, führt diesen Punkt näher aus und erklärt: „Für mich ist die ganze Welt nur ein Tabernakel Gottes und ein heiliger Ort, um meine Gebete darzubringen. Wenn die Zeit dafür naht, steht es meinen Anhängern frei, ihre Gebete zu sprechen, wo immer sie sind.“

In der Apostelgeschichte (17,24) heißt es: „Gott, der die Welt gemacht hat und alles, was darinnen ist, er, der ein Herr ist Himmels und der Erde, wohnt nicht in Tempeln mit Händen gemacht.“

Oliver Wendell Holmes mißt daher der Ergebenheit die größte Bedeutung bei, denn liebevolle Ergebenheit heiligt den Ort, die Zeit und die Art des Gebets. Er sagt: „Alles ist heilig, wo man in Ergebenheit kniet.“

Die Kraft und der Geist Gottes durchdringen alles. Sie sind immer gegenwärtig und in ewiger Vibration. Wenn man sich auf die göttliche Musik abstimmt, wird die Seele von selbst, gleichsam wie durch einen elektrischen Aufzug, in immer höhere Regionen erhoben. Man gelant immer weiter im Bann der klangvollen Musik, die allmählich immer feiner wird, bis sie eins ist mit der Quelle, aus der sie kam - dem Absoluten, dem Anami oder Namenlosen und Wortlosen.

Wir sind alle, entsprechend unserer eigenen Erkenntnis, auf der Suche nach Gott. Nachdem die Seelen einen langen und beschwerlichen Entwicklungsprozeß der Selbstdisziplin und Selbstläuterung erfahren haben, werden sie schließlich von der Gotteskraft zu den Füßen eines Meister-Heiligen geführt, um die Reise zurück zu Gott aufzunehmen. „Es kann niemand zu mir kommen, es sei denn, daß ihn ziehe der Vater, der mich gesandt hat; und ich werde ihn auferwecken am Jüngsten Tage.“ (Johannes 6,44). Der „Jüngste Tag“ bedeutet hier den Tag, and dem man den Ballast des Körpers ablegt, sei es freiwillig während des Lebens, indem man sich durch den praktischen Vorgang der Selbstanalyse über das Körperbewußtsein erhebt, oder unfreiwillig zur Zeit des Todes, wenn der Todesengel die Sinnesströme aus dem Körper zieht. Guru Arjan sagt: „Der dich einst in die Welt sandte, ruft dich nun zurück. Kehre ruhig und getrost heim.“

Die Erfindung des Radios und des Radars haben eindeutig erwiesen, daß die Atmosphäre um uns von vibrierenden Tönen erfüllt ist, die man aus jeder Entfernung aufnehmen und abhören kann, wenn nur ein geeignetes Gerät zur Verfügung steht, das gut ausgestattet, empfangsbereit und richtig eingestellt ist. Dies ist genau das, was ein kompetenter Meister bei der Initiation bewirkt, wenn er die einzelnen Seelen einstimmt und das Tonprinzip für sie hörbar macht.

Die äußere, irdische Musik hat einen großen Einfluß auf den Menschen. Soldaten auf dem Marsch werden durch die kriegerischen Klänge der Hörner und Trompeten angefeuert. Die Hochländer mit ihren Schottenröcken marschieren im Triumph nach den Weisen des Dudelsacks. Die Seeleute und Matrosen hissen die Segel und ziehen die Ruder mit lauten rhythmischen Rufen. Gedämpfte Trommeln spielen den Trauermarsch für die betrübten Leidtragenden, die die Bahre begleiten. Die Tänzer tanzen nach der Begleitmusik und dem Klirren der Arm- und Fußreifen. Selbst die Tiere lieben das Geläut der Glocke, die sie an den Hörnern tragen. Durch das Schlagen der Trommel wird die schnellfüßige Antilope aus dem schützenden Dickicht hervorgelockt. Der Schlangenbeschwörer bezaubert die tödlichen Kobras mit der Musik der Veena. Die äußere Musik trägt die Seele an die Grenze der materiellen Ebene und erweckt Gefühle, die sonst zu tief liegen, um Tränen hervorzurufen. So groß ist in der Tat die Macht der Musik. John Dryden, ein bedeutender englischer Dichter des 17. Jahrhunderts, rühmt sie in beredten Worten:

Welche Leidenschaft kann Musik nicht wecken oder stil-
len? Als Jubal das besaitete Gehäuse schlug, standen seine
lauschenden Brüder um ich, und bewundernd lag auf
ihren Gesichtern die Verehrung des himmlischen Klangs.
Kein geringerer als ein Gott, glaubten sie, könne im In-
nern des Gehäuses weilen, das so süß und lieblich sprach.
Welche Leidenschaft kann Musik nicht wecken oder stillen?

Wenn schon die Macht der irdischen Musik so groß ist, kann man sich gut vorstellen, wie groß erst die Macht der himmlischen Musik wäre. Welche Heiterkeit und Berauschung würde man erleben, wenn man anfinge, sich über das Körperbewußtsein zu erheben, und in Einklang mit der himmlischen Harmonie käme. Das Wort ist die zum Ausdruck kommende Gotteskraft. Gott is symphonische Liebe, die aufwallt und überfließt. Er ist zugleich die Quelle von Liebe, Licht und Leben.

Der Pfad zum Absoluten führt durch viele Wohnstätten (Ebenen und Unterebenen), die auf dem Weg von der physichen Ebene bis zur Heimat des Vaters liegen. Die Reise ist voller Gefahren. Ohne einen Führer, der mit den Windungen und Krümmungen des Pfades vertraut ist, kann man keine der mentalen Ebenen überqueren. Darum ist ein Guru (Fackelträger) oder kompetenter Meister, der die Reise regelmäßig unternimmt und die Schwierigkeiten und Gefahren des Pfades bis ins letzte kennt, unbedingt notwendig. Nur er, der mit dem Weg zu Gott vertraut ist, kann die Seele durch die schlüpfrigen Regionen blendenden Lichts und verwirrender Schatten, den trügerischen Sirenenzauber und die Schrecken des Unbekannten heil hindurchbringen. Maulana Rumi mahnt uns daher:

Suche jemanden, der die Reise kennt, denn ohne einen
solchen ist der Pfad voll unzähliger Fallgruben und unvor-
stellbarer Gefahren.

Wir jedoch sind tief in die Welt verstrickt. Kabir gibt uns eine lebendige Beschreibung unserer Hilflosigkeit in dem furchtbaren Meer der Welt. Er sagt uns, daß der Weg zum wahren Glück lang und beschwerlich ist und wir auf der Sinnesebene fest schlafen. Er fordert uns auf, zu erwachen und mit der mühseligen Reise bergan zu beginnen. Wir alle befinden uns im tödlichen Griff der stählerenen Fangarme des Lebens und tragen eine schwere Last von Täuschungen mit uns herum. Unsere sogenannten Freunde und Verwandten sind größtenteils unsere Gläubiger und Schuldner, die uns erbarmungslos in Stücke reißen. Das Verwunderliche ist, daß wir weiter liebevoll zu ihnen halten und sie an unsere Brust drücken, da wir nicht wissen, daß sie uns das Blut völlig aussaugen. Was wir als unser eigen ansehen, ist nur eine Fata Morgana und wird uns häufig im Handumdrehen wieder weggenommen. Nach dem Tode muß die Seele den einsamen Weg zum Richterstuhl Gottes (Dharam Raj, die ausgleichende göttliche Gerechtigkeit) gehen. In dem brüchig gewordenen Boot des Körpers treiben wir steuerlos wie Strandgut in der tückischen Strömung, immer eine Beute für plötzliche Winde und stürmische Wasser. Wie können wir so das andere Ufer erreichen? Für eine armseligen Hungerlohn setzen wir ständig auf ein verlorenes Spiel und ergreifen am Ende die Flucht wie ein gejagtes Wild, ohne die Richtung zu kennen. Wir wissen nichts vom Leben jenseits des Grabes. Wie können wir errettet werden? Dies entzieht sich unserem Verständnis, und wir kommen uns genarrt und hilflos vor.

Der Meister verspricht, für immer bei uns zu sein, sowohl hier als auch danach im Jenseits. Er gibt den Initiierten einen Beweis davon, indem er seine strahlende Form in jedem von ihnen offenbart. Und er versichert uns auf unzweideutige Weise: „Wo ich bin, da werdet auch ihr sein.“

Der Initiierte lernt die esoterische Methode, sich in das Himmelreich zu erheben, das in ihm liegt. Die innere Reise beginnt, wenn das Einzelauge oder shiv netra geöffnet wird. Es öffnet sich, wenn die Sinnesströme am Sitz der Seele, dem Augenbrennpunkt hinter und zwischen den beiden Augenbrauen, gesammelt sind. Beim Eintritt ins Jenseits kann der Initiierte mit dem Meister innen sprechen und mit vollbewußter Erinnerung an die Erfahrungen, die er auf den inneren Ebenen gewonnen hat, zurückkehren. Im Himmelreich gibt es weder die endlose Kette von Ursache und Wirkung noch Raum oder Zeit. Dort ist nichts als immerwährende Gegenwart, und man lebt in seiner eigenen Welt. Die Verständigung zwischen den Seelen erfolgt hier durch ätherischen Gedankenwellen oder Vibrationen.

Das alles und noch viel mehr kann erreicht werden, wenn man sich mit liebevoller Hingabe seinen spirituellen sadhans oder Übungen widmet und versucht, die Zeit dafür zu verlängern. Auf diese Weise erlangt der Initiierte eine bewußte Verbindung mit dem Meister auf den höheren Ebenen und vertieft sich nach und nach so sehr in ihn, daß er eins mit ihm wird und wie Paulus sagen kann:

Ich bin mit Christo gekreuzigt.
Ich lebe aber; doch nun nicht ich,
sondern Christus lebt in mir.
Denn was ich jetzt lebe im Fleisch,
das lebe ich im Glauben des Sohnes Gottes,
der mich geliebt hat ...
                                                      Gal. 2,20

Der Meister ist das „fleischgewordene Wort“. Er steht allezeit in direkter Verbindung mit dem göttlichen Wort in ihm, er erfreut sich daran und verkündet oft: „Ich und der Vater sind eins“, oder wie wir es im Gurbani lesen: „Ich und mein Vater sind in derselben Farbe gefärbt“ oder: „Ich und mein Vater wirken in Partnerschaft zusammen“ (um gemeinsam die spirituelle Verwaltung der Welt auszuüben). Es kann kurz gesagt werden, daß der Meister ein bewußter Mitarbeiter des Herrn am göttllichen Plan ist.

Zuzeiten nimmt der Meister den Initiierten unter seien Schutz weit über gewisse Ebenen, die bezaubernd schön sind, hinaus, damit er sich nicht verstrickt und in die Wunder des Weges verliert. Maulana Rumi sagt daher:

Wenn du auf Pilgerreise (ins Jenseits) gehen willst,
dann nimm dir einen Pilger als Begleiter mit.
Es hat dabei nichts zu sagen, ob er ein Hindu,
ein Türke oder ein Araber ist; aber achte darauf,
daß er ein wirklicher Pilger ist.

Ein lebender Meister ist ein solcher Pilger. „Das Urbild des Weisen, der sich erhebt, doch niemals umherzieht; den verwandten Orten des Himmels und der Heimat treu.“ Es ist ein großer Segen, einen lebenden Meister zu haben. Er wird die Initiierten niemals verlassen noch versäumen bis ans Ende der Welt. Wenn einer initiiert ist, lebt der Meister in seinem astralen oder strahlenden Körper in ihm und bleibt immer bei ihm, bis zum Ende der Reise in Sat Naam oder Sat Purush. Er vertieft sich ganz in ihm und läßt auch des Initiierten Seele ganz in ihm aufgehen, so daß beide eins in ihm werden. Selbst wenn der Schüler irgendwann vom Weg abkommt oder irregeleitet wird, wird er entweder noch in diesem oder in nachfolgenden Leben auf den Pfad der Rechtschaffenheit zurückgebracht.

Christus und andere Meister müssen nach einer bestimmten Zeit die irdische Ebenen verlassen; doch im Innern leben sie in der Form von Shabd weiter, aber außerhalb von Raum und Zeit. Da wir mit dem einen oder anderen von ihnen verbunden sind, möchten wir natürlich für sie leben und sterben. Aber wir wissen wenig darüber, wie wir in uns mit ihnen in Verbindung kommen können. Eine solche Verbindung ist möglich und liegt durchaus in unserer Reichweite, wenn wir einen Shabd Swaroop oder Lehrer finden, der das personifizierte Wort ist und kompetent, uns mit dem Wort zu verbinden, ja, uns in das Wort zu verwandeln, in dem alle Meister der Vergangenheit ewig leben.

Dies erinnert mich an eine Frau, die mir 1955 in Amerika begegnete. Sie sah gewöhnlich Christus in sich und war damit zufrieden. Sie machte keinen weiteren Versuche, auf dem spirituellen Pfad voranzukommmen. Eines Tages riet ich ihr beiläufig, Christus zu fragen, was sie für den inneren Fortschritt weiterhin tun solle. Am folgenden Tag kam sie und bat inständig um die Initiation, da ihr Christus aufgetragen habe, die Führung des lebenden vollendeten Meisters zu suchen, wenn sie Fortschritte machen wolle.

Die inneren Kräfte behindern die Gottsucher niemals. Und wenn man mit einem früheren Meister in Verbindung steht, sagt dieser seinen Ergebenen freudig und ohne Zögern, welche weitern Schritte auf dem spirituellen Pfad zu tun sind.

Einzelne Initiierte erhebt der Meister und zeigt ihnen die Herrlickeit der fünften Region (Sach Khand); und die meisten Initiierten werden bis zu dieser Ebene geführt. Wie vorher gesagt wurde, gibt es aber insgesamt acht Regionen, und die achte ist das letzte Ziel, das von jenen erreicht wird, welche die letzte Vollendung erlangen.

Wenn man Sat Lok durchschritten hat, erkennt man
das Unaussprechliche und Unbegreifliche.
In der Region, die über diesen allen liegt, wohnen
die Heiligen, und der geringe Nanak weilt auch dort.

Johannes gibt uns in der Offenbarung eine Schilderung seiner inneren Erfahrung:

Ich war im Geist an des Herrn Tag,
und hörte hinter mir eine große Stimme
wie eine Posaune, die sprach:
Ich bin das A und das O, der Erste und der Letzte.
Und ich wandte mich um, zu sehen nach der Stimme
dessen, der mit mir redete.
Der war eines Menschen Sohn gleich.
Seine Augen waren wie eine Feuerflamme;
seine Stimme wie großes Wasserrauschen;
sein Angesicht leuchtete wie die helle Sonne.
Und als ich ihn sah, fiel ich zu seinen Füßen
wie ein Toter; und er legte seine recht Hand auf mich
und sprach zu mir:
Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte;
wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden
sagt: Wer überwindet, dem will ich zu essen geben vom
Baum des Lebens.
Es soll ihm kein Leid geschehen von dem zweiten Tode,
ihm will ich geben von dem verborgenen Manna
und will ihm geben einen weißen Stein;
auf dem Stein aber steht ein neuer Name geschrieben,
welchen niemand kennt, als der ihn empfängt.
Und er soll mit weißen Kleidern angetan werden, und ich
werde seinen Namen nicht austilgen aus dem Buch des
Lebens. Und ich will ihn machen zum Pfeiler in dem
Tempel meines Gottes.
Ich rate dir, daß du Gold von mir kaufest, das mit Feuer
durchläutert ist, daß du reich werdest; und reiche Kleider,
daß du dich antust; und Augensalbe, deine Augen zu
salben, daß du sehen mögest.

Kap. 1, 2 und 3

In Kapitel 12 des zweiten Korintherbriefes berichtet Paulus über seine Visionen und Offenbarungen und spricht darin vom dritten Himmel, wenn er sagt: „Und ich kenne einen Menschen, der entrückt ward bis in den dritten Himmel (Brahmand) - ob er in dem Leibe oder außer dem Leibe gewesen, weiß ich nicht; Gott weiß es -; der ward entrückt in das Pardies und hörte unaussprechliche Worte, welche mir nicht zu sagen erlaubt sind.“

Alle Meister halten ein, wenn es darum geht, die innersten Geheimnisse zu enthüllen. Shamas Tabrez sagt: „Wenn ich die Geschichte über den Geliebten erzählen soll, versagt meine Feder und das Paper zerreißt.“ Auch Maulana Rumi verbiete es, die inneren Geheimnisse preiszugeben: „Nicht ein Jota sollst du von deiner Vision erzählen, was auch immer es sei. Sonst wird Er alles auslöschen, was du geschaut hast, als wäre es nie dagewesen.“ Ebenso erklärt Kabir nachdrücklich:

Mit aller Macht, die mir zu Gebote steht, ermahne ich
dich: Gib acht, daß die inneren Geheimnisse nicht
nach außen gehen.

Wir können diesen Punkt abschließen mit den denkwürdigen Worten aus dem berühmten Masnavi, worin der große Maualana Rumi sagt:

Es ist nicht gut, dir mehr zu sagen, dann das Flußbett
kann das Meer nicht fassen.

Auf diese Weise haben die früheren Meister die geheime Lehre der Gottheit als heiliges Gut für sich behalten und nur ihren vertrauten und bewährten Schülern (Gurmukhs) etwas davon mitgeteilt. Es ist in der Tat kein Thema, das man mit bloßen Worten angemessen behandeln könnte. Die Köstlichkeit einer Speise erweist sich erst, wenn man sie kostet. Es ist ein praktischer Vorgang der Selbstanalyse, bei dem man anklopfen und nach innen gehen muß. Wer immer durch die Gnade eines vollendeten Meisters Zugang zu sich selbst gewinnt und sich tief ins Innere versenkt, kann sicher sein, daß er die Perle von unschätzbarem Wert finden wird. Durch Berührung mit der Wirklichkeit wird man ein Teil von ihr und über alle Relativität erhoben; und der sterbliche Mensch ist auf einmal zum unsterblichen Geist umgewandelt, indem er den gordischen Knoten zwischen der trägen Materie und der lebendigen Seele zerschlägt. So wird das Mysterium des ‘Lebens und des Todes’ gelöst, denn das Leben besteht nur durch die flüchtigen Schatten alles Vergänglichen, indem es bei jedem Schritt den Tod siegreich verschlingt.

Auf den folgenden Seiten wurde der Versuch gemacht, etwas von der geheimen Lehre in unserer dreidimensionalen Sprache mitzuteilen, die gänzlich unzureichend ist, das Unaussprechliche zum Ausdruck zu bringen. Mögen die Kraft und der Geist Gottes dem Leser helfen, das Theam besser zu verstehen, indem er zu den Füßen eines kompetenten Meisters geführt wird, der uns in diesem Leben, hier und jetzt, mit den spirituellen Reichtümern auszustatten vermag. Denn wer weiß, ob im Jenseits die Wahrheit aufdämmern wird, wie es von den sogenannten Lehrern, von denen die Welt übervoll ist, erst und feierlich verkündet und versprochen wird.

In dieser Hinsicht hat Christus eine eindringliche Warnung gegeben: „Sehet euch vor vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig aber sind sie reißende Wölfe.“ (Matth. 7,15). Wenn der Blinde den Blinden führt, fallen beide in die Grube. Es ist daher von größter Bedeutung, daß man wirlich nach einem kompetenten, vollendeten Meister sucht und sich von seiner Echtheit überzeugt, bevor man ihn als unfehlbaren Führer und nie versagenden Freund auf dem Gottespfad annimmt. Es hat nichts zu sagen, wenn man selbst sein ganzes Leben in dieser bedeutsamen Suche zubringen muß; ist dies doch besser, als unter den Einfluß von falschen Meistern zu geraten und dadurch die einzige Gelegenheit seines Lebens zu verlieren. Eine solche Suche wird niemals vergeblich sein. „Suchet, so werdet ihr finden.“

Ich starb als Stein und wurde Pflanze,
ich starb als Pflanze und erhob mich zum Tier,
ich starb als Tier und war ein Mensch.
Was sollte ich fürchten? Wann war ich weniger durch den Tod?
Noch einmal aber muß als Mensch ich sterben, mich zu
erheben - mit den gesegneten Engeln; doch selbst vom
Sein der Engel muß weiter ich hinauf; denn alles außer
Gott vergeht.
Wenn meine Engelseele ich geopfert habe,
werde ich zu dem, was nie ein Geist erdacht.
Ach, laß länger mich nicht sein, denn Nichtsein
verheißt in Orgelklängen: „Zu Ihm kehren wir heim.“

Maulana Rumi

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