Übersetzung aus englischen Vorlagen durch Schüler Param Sant Kirpal Singhs

 

Sant Kirpal Singh

Das Mysterium des Todes

Dem Allmächtigen Gott gewidmet,
der durch alle Meister wirkt, die gekommen sind,
und Baba Sawan Singh Ji Maharaj,
zu dessen Lotosfüßen der Autor
das heilige Naam - das Wort -
aufnahm.

 

Der Meister

Seine Heiligkeit Sant Kirpal Singh Ji Maharaj ist eine jener gesegneten Seelen, die kommen, um den Plan Gottes auf Erden zu erfüllen.

Seine Heiligkeit wurde am 6. Februar 1894 in einer einfachen ländlichen Familie im Punjab geboren. Schon in frühen Jahren zeigte er ein brennendes Verlangen, das Mysterium des Lebens zu lösen. Bald nach Beendigung seiner akademischen Laufbahn traf er die Entscheidung, daß für ihn „Gott an erster, die Welt an zweiter Stelle komme“. Er begegnete seinem Meister Hazoor Baba Sawan Singh Ji physisch im Jahre 1924, obwohl er im Innern von Hazoor Maharaj Ji seit 1917 geführt wurde.

Nach der Initiation gab er sich mit Leib und Seele dem Dienst des Meisters hin. 1946 zog er sich aus dem Staatsdienst zurück, um sich ausschließlich der göttlichen Mission zu widmen, mit der ihn sein Meister betraute, der 1948 seine irdische Hülle ablegte. Seit dieser Zeit entfaltete er eine ebenso große Fürsorge für das spirituelle Wohlergehen der Menschheit.

Im Jahre 1948 gründete er den Ruhani Satsang und errichtete 1951 nach dem Namen seines Meisters den Sawan Ashram in Delhi, eine spirituelle Stätte, wo Wahrheitssucher ungeachtet ihres Standes, Glaubens, der Hautfarbe oder Nationalität eine Ersthand-Erfahrung der Spiritualität bekommen können. Im Osten und im Westen hat er Hunderttausende von Aspiranten auf den spirituellen Pfad gestellt. Er hat in Englisch und Punjabi eine Reihe von Büchern über verschieden Aspekte der Spiritualität geschrieben, die auch in Hindi, Urdu, Französisch, deutsch, Spanisch, Griechisch und verschieden andere Sprachen übersetzt worden sind. 1955, 1963 und 1972 unternahm er ausgedehnte Weltreisen, deren jede viele Monate dauerte. Sie brachten in den von ihm besuchten Ländern ein neues spirituelles Erwachen hervor.

Er ist vierzehn Jahre lang Präsident der Weltgemeinschaft der Religionen gewesen. Vier Konferenzen der WGR, die 1957 (Delhi), 1960 (Kalkutta), 1965 und 1970 (Delhi) stattfanden, wurden von ihm geleitet. In Indien und während seiner Reisen im Ausland wurden ihm mehrere Ehrungen zuteil. Als erster Nichtchrist wurde er mit dem alten Ritterorden von St. Johannes von Jerusalem, Ritter von Malta, ausgezeichnet.

Er gründete den Manav Kendra (Zentrum für den Menschen), eine Weltorganisation, die der Heranbildung des Menschen, dem Dienst am Menschen und dem Dienst am Land gewidmet war.

Er hat immer ein Leben völliger Einfachheit geführt und war für den geringsten unter den Wahrheitssuchern da, wie beschäftigt e auch gewesen sein mag. Sein Leben und seine Lehren sind eine Einheit, denn was er lehrte, ist mehr als ein philosophisches System, es ist eine Lebensweise, ein Seinszustand; und die Gültigkeit seiner Lehrern offenbarte sich in seinem eigenen Leben und in der Erfahrung seiner Schüler. Seine Mission ist, alle Kinder Gottes für ein besseres Verstehen und Zusammenwirken auf einer gemeinsamen Plattform zu vereinen.

Seine grundlegenden Lehren sind:

* Die Einheit des Menschen

Wir sind schon eins als Mensch. Der Mensch ist das Höchste in der ganzen Schöpfung, nur Gott am nächsten.

Wir sind auf gleiche Weise geboren und haben denselben inneren und äußeren Aufbau.

Der Mensch ist eine verkörperte Seele, ein bewußter Geist und wesenseins mit Gott; darum sind wir Glieder einer Familie, die einander als Brüder und Schwestern in Gott verbunden sind.

Er wird von derselben Kraft im Körper kontolliert, die mit verschiedenen Namen benannt wird - Gott, Wort, Name, Ek-Onkar und vielen anderen.

Rechtes Verstehen dessen, daß wir alle eins sind als Mensch, als Seele und in unserer Verehrung Gottes, der kontrollierenden Kraft, wird zu rechten Gedanken, rechten Worten und rechten Taten führen und das Reich Gottes auf die Erde herabbringen.

* Erkenntnis des Selbst und des Überselbst

Man erkennt sich selbst (Selbsterkennntnis) nicht durch Empfindungen, Gefühle oder Schlußfolgerungen, die alle dem Irrtum unterliegen, sondern indem man sich durch praktische Selbstanalyse über die nach außen gehenden Kräfte und das Gemüt mit der Hilfe eines kompetenten Meisters erhebt.

Man erkennt Gott, indem man sich selbst wirklich erkennt, weil nur das Selbst das Überselbst erkennen kann. Gleiches erkennnt Gleiches.

Der menschliche Körper ist der wahre Tempel Gottes. Gott wohnt in dem von ihm im Mutterleib erschaffenden Tempel des Körpers, nicht in den von Menschenhad erbauten Tempeln. Auch die Seele wohnt darin. Gott offenbart in ihm die Form von Licht und Ton (Nad), die man mit dem Dritten Auge oder Einfältigen Auge sieht und mit dem inneren Ohr hört. Diese Symbole Gottes finden sich in den äußeren Tempeln und Kirchen, die nach dem wahren Tempel, dem Menschenkörper, errichtet werden.

* Die Religionen und Gott

Gott schuf den Menschen, und der Mensch brachte die Religionen hervor. Die Religionen entstanden, damit die Lehren der Meister lebendig bleiben, nachdem sie ihr physisches Kleid abgelegt hatten. Wir sind vor allem Menschen; dann erst kommen die verschiedenen Etiketten, die wir tragen, nämlich Hindus, Sikhs, Moslems, Christen, Buddhisten, Jains usw. Als solche sind wir nur dann zu bezeichnen, wenn Licht und Ton in uns offenbar werden. In einem Tempel geboren zu sein ist ein Segen, doch sich nicht über das Körperbewußtsein zu erheben (das heißt, sich selbst und Gott zu erkennen) ist Sünde. Wärhend wir in unseren jeweiligen Glaubensgemeinschaften bleiben, müssen wir über sie hinausgelangen; wir sollten Anhänger des wahren Glaubens werden, um Gott uns seine ganze Schöpfung zu lieben.

* Die menschliche Geburt ist eine goldene Gelegenheit

Wir können Gott nur im Menschenkörper erkennen. Um den Körper gesund zu erhalten, müssen wir ihm geeignete Nahrung, Ruhe und Kleidung geben. Wenn er stirbt, ohne daß dieses Ziel erreicht ist, verlieren wir eine goldene Gelegenheit; denn „was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele?“

* Ein idealer Mensch

Laßt den physischen Körper des Menschen zu voller Blüte kommen und seine Seele von der Herrlickeit sein, berauscht vom tönenden Licht Gottes, das Liebe für die gesamte Schöpfung ausstrahlt, und wünscht: „Friede sei auf der ganzen Welt nach deinem Willen, o Herr."

O verborgener Ton, der in jedem Atom vibriert;
O verborgenes Licht, das in jedem Geschöpf erstrahlt;
O verborgene Liebe, die alle in Einheit umfaßt.

 

Einführung

„Leben“ und „Tod“ sind wechselseitig bedingte Begriffe. Im Bereich der Relativität können wir nicht denken, sprechen und handeln, ohne eine Sache der anderen gegenüberzustellen. Dies ist der Weg, um die Erscheinungsform der Dinge zu verstehen. Bei deren Vielfalt stellt uns jeder Schritt vor verwickelte Zusammenhänge, so daß wir mit einem analytischen Verfahren jede Sache in ihre Bestandteile zerlegen, diese einzeln benennen und zueinander in Beziehung setzen müssen, um auf der Ebene des Verstandes und der Sinne etwas zu begreifen. Nach der Beschaffenheit der Dinge und der Eigenart unseres Erkenntnisvermögens, mit dem uns die Natur ausgestattet hat, haben wir somit nur ein Wissen von den Teilen und sehen nie das wahre Bild einer Sache in ihrer Ganzheit. Da wir kein Wissen und keine Erfahrung vom Wesen der Dinge haben, geben wir uns ständig mit ihren äußeren Formen und Farben, den Eigneschaften und Merkmalen ihrer Oberfläche zufrieden. Wir dringen nicht in die Tiefe, zum Lebensprinzip vor, das trotz der Unterschiede von Masse, Dichtigkeit, Umfang, Gewicht und Gestalt dessen, was wir sehen und beobachten, in allem dasselbe ist. Wie die Lady von Shallott leben iwr immerzu in der Welt der Schatten, wie sie im Spiegel des Gemüts und des Verstandes reflektiert wird. Dabei kehren wir der objektiven Welt gleichsam den Rücken zu und erst recht der subjektiven, der Welt der Wirklichkeit, die in jedem von uns liegt und Wunder birgt, die größer, umfassender, schöner und herrlicher sind als alles in der physischen Welt.

Als im Menschen der erste Funke des Göttlichen aufdämmerte, der alles beherrschenden und alles erhaltenden Kraft, die hinter allem Organischen und Anorganischen wirkt, entwickelte sich das Bewußtsein von einem Prinzip, das das Leben und die Seele des Universums war. Dies führte allmählich zur Gründung der verschiedenen Religionen, deren jede der Erkenntnisstufe ihrs Gründers entsprach sowie den Bedürfnissen der Zeit und der Menschen, dem Grad der Völkerverständigung und der Fähigkeit, die Lehre der Apostel, Gesandten und Propheten, die von Zeit zu Zeit zur materiellen, mentalen, moralischen, sozialen und ökonomischen Erhebung der Massen gekommen waren, anzunehmen, zu verarbeiten und sich zu eigen zu machen.

Alle Religionen entstehen aus den besten Beweggründen. Die religiösen Oberhäupter sind ebenso das Produkt ihrer Zeit wie die Bedingungen, die sie zur Besserung der Volksmenge schaffen, welcher sie predigen. Man mag daher mit Recht sage, daß für die Mehrzahl der Menschen die erhabenen Lehren der erleuchteten Lehrer das wäre, was man soziale Religionen nennen könnte: Sammlungen sozialer und moralischer Vorschriften, damit die Menschen in Frieden zusammenleben, anstatt in einem Zustand ständiger Ruhelosigkeit und Angst vor Krieg, einem Krieg aller gegen alle.

Die guten und rechtschaffenen Gedanken kommen, wie alle anderen, aus dem Gemüt. Bei den Weltlehrern hatten solche Gedanken ihren Ursprung in dem Leben des Geistes, das sie führten. Es sind jedoch sehr wenige, die sich zu ihrer Ebene erheben und aus dem innersten Gehalt ihrer Lehren Nutzen ziehen: dem praktischen Aspekt jeder Religion, der Mystik, die den Kern dessen bildet, was sie lehrten. So wurde der im Mittelpunkt stehende praktische Teil an die wenigen Auserwählten weitergegeben, während der Menge die theoretische Seite der Lehren in Fom von Gleichnissen vermittelt wurde, um sie zu befähigen, nach und nach die wahre Bedeutung der Lehren aufzunehmen und zu verstehen. Wenn man also den Religionen auf den Grund geht, stößt man auf Spuren der Wirklickeit, ganz gleich, wie schwach und unbestimmt sie zuweilen erscheinen mögen, da wir noch nicht die Einsicht ihrer Begründer entwickelt haben. Für den gewähnlichen Menschen bleib die Religion zum größten Teil Theorie, allenfalls eine zweckgebundene Theorie, dazu bestimmt, sein Lebensgeschick günstiger zu gestalten und einen besseren Menschen aus ihm zu machen, ein nützliches Glied der sozialen Ordnung, der er angehörte, einen guten Staatsbürger mit bestimmten Rechten und Pflichten, familiärer und gesellschaftlicher Verantwortung, da er nun gerüstet war, diesen zum Wohle aller nachzukommenen.

Alle Tugenden, alle Handlungen, alle Wissenschaften und Künste und jeder Stand, einschließlich der Staatsführung, der Geistlichkeit, des Handwerkerstandes usw., haben in verschiedenen Graden ihr Fundament in dem kleinsten gemeinsamen Nenner, der zugrundeliegenden allumfassenden Wahrheit, wie sie von ihren Vorfahren verstanden wurde. Daher rührt die Verknüpfung der Religion mit sozialem und moralischem Zierrat, um sie für die Allgemeinheit annehmbar zu machen. Dies ist der Aspekt der Religion, der eine feste Grundlage für die soziale Ordnung eines Volkes schafft.

Wenn wir einen Schritt weitergehen, kommen wir zu einem anderen Aspekt der Religion: es ist der Aspekt moralischer Tugenden, die sich auf verschiedenen Ebenen entfalten, als Riten und Rituale, Formen und Zeremonien, Härten und Bußen, Werke der Nächstenliebe, Beschwörungen, um feindliche Mächte zu beschwichtigen und zu versöhnen, und als Anrufung wohlgesinnter Kräfte um Schutz und Beistand in Zeiten der Not.

Nicht zuletzt kommen, wie wir noch sehen werden, die in den Yoga-Praktiken erfahrenen Yogis und Yogishwars.
An der Spitze der Hierarchie stehen die Meister-Heiligen, vollendete Wesen oder Gottmenschen, die nicht nur über den Geist und die Kraft Gottes reden, sondern sie in ihren Initiierten offenbaren und den individuellen Seelen eine bewußte Verbindung damit geben. Es muß zu ihrer Ehre gesagt werden, daß sie die wirkliche Religion vertreten und, dem Wortsinn und der Praxis nach, wahrhaft religiös sind, da sie den Menschen seinem Schöpfer rückverbinden.

Die Lehren der Meister bilden keine institutionellen Religionen, wie gewöhnlich angenommen wird. Sie sind eine wohlbegründete Wissenschaft, die Wissenschaft der Seele. Wer immer diese Wissenschaft nach den Anweisungen der Meister mit Vertrauen praktiziert, erlangt dieselben Erfahrungen und kommt zu denselben Ergebnissen, ganz gleich, welcher Religionsgemeinschaft oder Kirche er angehört: der römisch- oder altkatholischen, der lutherischen oder reformierten.

Die Wissenschaft der Seele ist der Kern aller Religionen und das Fundament, auf das sie sich alle gründen. Die Meister lehren, daß es sieben Ebenen gibt: Pind, And, Brahmand, Par Brahmand, Sach Khand, Alakh und Agam. Und über dem ganzen Kosmos gibt es eine achte Ebene, die von den Heiligen verschieden bezeichnet wird als Anami (Namenlos), Maha Dayal (Herr der Barmherzigkeit), Nirala (der Wunderbarste) oder Soami (der Herr von allem). Den Initiierten der Meister werden kurz die Unterscheidungsmerkmale der ersten fünf Ebenen, die charakteristischen Töne und Arten des Lichts beschrieben sowie die Namen der Kräfte, die in ihnen vorherrschen.
Der Initiierte, der erfolgreich die erste Ebene überquert, wird ein Sadhak (Schüler) genannt. Und wer die zweite durchschritten hat, wird als Sadh (disziplinierte Seele) bezeichnet. Wer in Par Brahmand von seinen Wünschen und Sehnsüchten reingewaschen wird, ist als Hansa (gereinigte Seele) bekannt, und wer weiter aufsteigt, wird ein Paramhansa (unbefleckte Seele). Wenn einer die fünfte Ebene, Sach Khand, erreicht, wird er ein Sant oder Heiliger genannt. Und ein Heiliger, der vom Höchsten Wesen den Auftrag hat, die Wahrheit (Shiksha) zu lehren und sie zu offenbaren (Diksha), ist ein Sant Satguru oder vollendeter Meister, der ermächtigt wurde, die jivas oder menschlichen Seelen in die jenseitigen Regionen zu führen, in ihre endgültige Heimat, das Reich Gottes.

Yoga bedeutet die Vereinigung der Seele mit der Überseele oder Gotteskraft. Es gibt so viele Yoga-Arten: Mantra Yoga, Hatha Yoga, Ashtang Yoga, Karma Yoga, Bhakti Yoga, Jnana Yoga, Raja Yoga, Laya Yoga und andere. Diese Yoga-Praktiken befassen sich mehr oder weniger mit der Schulung des physischen Körpers, den nach außen gehenden Kräften, dem Gemüt und dem Intellekt. Sie sind dafür gedacht, einen gesunden Geist in einem gesunden Körper zu erhalten, um dadurch körperliche Gesundheit, Widerstandskraft und Langlebigkeit zu erwerben. Jeder Yoga hat sein eigenes Ziel und seine eigene Reichweite. Doch all diese Yoga-Arten sind nicht völlig verschieden voneinander, sondern haben die gemeinsam Aufgabe, aus dem Menschen eine vollständige Ganzheit oder ungeteilte Persönlickeit zu machen. (Zur genaueren Untersuchung wird die „Krone des Lebens“ empfohlen, eine vergleichende Studie des Yoga, wo dieses Thema ziemlich ausführlich behandelt wird.)

Es gibt jedoch noch eine andere Art des Yoga, den Surat Shabd Yoga oder die Verbindung mit dem heiligen Wort (Tonstrom). Es ist die Wurzel aller Religionen und wird dennoch von den Theologen nicht richtig verstanden. Es bringt einen an das letzte Ziel, zu Anami oder dem Namelosen Absoluten, der als ihr materieller und bewirkender grundloser Urgrund hinter der ganzen Schöpfung steht. Als sich das Meer des reinen Bewußtseins erhob, kam der gestalt- und namenlose Absolute in vielen verschiedenen Formen mit vielen verschiedenen Namen durch die Kraft seiner Vibrationen zu Ausdruck. Der daraus entstehende Ton wurde das heilige Wort genannt. Wie man mit dem Geist und der Kraft Gotttes, dem ersten Schöpfungsprinzip (dem Licht des Lebens), in direkte Verbindung kommt, ist das Thema der Mystik. Während alle Philosophien den offenbarten Aspekt des Ungeoffenbarten und die Schöpfung des Ungeschaffenen behandeln, befaßt sich die Mystik mit dem ersten Schöpfungsprinzip selbst, der vibrierenden Kraft, die durch Licht und Ton (Jyoti und Shruti) gekennzeichnet ist.

Der Vorgang der Verbindung mit dem Wort beginnt, wenn ein bewußter Kontakt mit der zum Ausdruck kommenden Gotteskraft (dem Naam oder heilgien Geist) hergestellt ist. Er gewährt einem eine tatsächliche Erfahrung von der unaussprechlichen Wonne der höheren Ebenen, und dies nicht auf gut Glauben im Jenseits (nach dem Tode), sondern hier und jetzt, solang man noch im Körper in der matieriellen, physischen Welt lebt.

Diese Vibrationen, die vielerlei Arten von Tönen hervorbringen, leiten den Initiierten durch die verschiedenen Ebenen von wechselnder materieller und spiritueller Dichtigkeit und führen die Seele schließlich in die rein spirituelle Welt von Sat Naam (das Reich Gottes). Von hier strömt die göttliche Harmonie aus und dient dazu, die weltmüden Seelen in die wahre Heimat des liebenden Vaters, den Himmel der Glückseligkeit, zurückzubringen. Tulsi Sahib sagt: „Von fern kommt ein Ton herab, um dich zu Gott zurückzurufen.“ Ebenso haben wir das Zeugnis von Shamas Tabrez, der zu sich selbst sagt: „O Shamas, lausche der Stimme Gottes, die dich zu ihm ruft!“ Auch Guru Arjan sagt:

Der dich einst in die Welt sandte,
ruft dich nun zurück.

Im Koran finden wir: „O Seele, kehre froh zum Herrn zurück und erfreue ihn!“
Ein vollendeter lebender Meister ist eine Notwendigkeit auf den Pfad gottwärts. Im Johannes-Evangelium steht: „Niemand kommt zum Vater denn durch mich.“ (14,6). Alle Meister sagen, daß es auf der Welt immer einen Meister oder Murshid gibt, der als Qibla Numa wirkt oder als einer, der auf Qibla, das Allerheiligste, das Sanctum Sanctorum, hinweist, das unserer Anbetung und Verehrung würdig ist. In den Sikh-Schriften lesen wir: „Im Wechsel der Zeiten folgt ein Lehrer dem anderen.“ Im Lukas-Evangelium heißt es ähnlich: „... wie er vorzeiten geredet hat durch den Mund seiner heiligen Propheten.“ (1,70).

Das Gesetz von Bedarf und Versorgung ist in der Natur immer wirksam. Es gibt Nahrung für die Hungrigen und Wasser für die Durstigen. Wo Feuer ist, kommt Sauerstoff von selbst zu Hilfe. Aber jeder Prophet und Messias führt seine Mission in der Welt nur so lange aus, wie ihm die Zeit dafür zugemessen wurde. Jesus hat gsagt: „Dieweil ich bin in der Welt, bin ich das Licht der Welt.“ (Joh. 9,5). Doch wenn er seinen Auftrag erfüllt hhat, wird er abberufen, erhoben und verläßt die Stätte seines Wirkens auf dem Erdenplan. In der Natur gibt es keine Leere. Die Gotteskraft kann nicht anders, als ihr Werk der Erneuerung fortzusetzen, denn es ist eine endlose Aufgabe. Während sich diese Kraft von einem menschlichen Pol zurückzieht, wählt sie einen anderen menschlichen Pol, um sich durch ihn in der Welt zu offenbaren und in ihr zu wirken. Ein solcher menschlicher Pol kann der Statthalter Gottes genannt werden. Er übernimmt die Aufgabe, schließt die Lücke und setzt das Werk fort. Es ist so, wie wenn eine ausgebrannte Glühbirne durch eine neue ersetzt wird, damit das Licht weiterbrennt. Die Christuskraft oder Gotteskraft leuchtet durch den einen oder anderen Pol unvermindert weiter, wie in der Gestalt von Zarathustra, Konfuzius, Jesus, Mohammed, Kabir, Nanak, Tulsi Sahib oder Soami Ji.

Wie vorher gesagt wurde, ist die Welt nie ohne einen Meister. Nach Soami Ji setzte Baba Jaimal Singh Ji im Punjab die Mission seines Meisters fort. Sein erhabener spiritueller Sohn und Nachfolger war Hazoor Sawan Singh Ji, dessen Güte noch jetzt, mehr als je zuvor, über die ganze Welt ausstrahlt durch den Ruhani Satsang. In diesem allgemeinen Forum, mit seinem Hauptzentrum in Indien, treffen sich von Zeit zu Zeit religiöse Oberhäupter des In- und Auslandes und arbeiten daran, die Menschheit als Kinder Gottes in einer Bruderschaft zu verbinden, ungeachtet, welcher Religionsgemeinschaft sie angehören oder aus welchem Land sie kommen.

Wenn Heilige die Welt verlassen, werden die wertvollen Erfahrungen, die sie im Verlauf ihrer Suche nach der Wahrheit gemacht haben, gesammelt und in die geistliche Literatur der Welt, wie wir sie heute haben, aufgenommen. In diesem zwanzigsten Jahrhundert sind wir in der günstigen Lage, eine Reihe überlieferter Schriften aus der Vergangenheit zu besitzen. Wir haben den Zend Avesta, die Veden, die Upanishaden, die großen Epen Ramayana und Mahabharata, die Bhagavad Gita, das Alte und Neue Testament, den Koran, den Adi Granth und viele andere Bücher, wie den Sar Bachan und Gurmat Sidhant. Alle handeln von derselben ungeteilten und einzigen Wahrheit. Doch die Wege zu ihr sind zahlreich, und jeder hat seine besondere Terminologie und Ausdrucksweise. Für die meisten von uns, die an den Lehren des einen oder anderen Weisen festhalten, ist es schwer, deren Sinn zu verstehen, weil sie die innere Bedeutung der gebrauchten Schlüsselworte und die verwendete Sprache oder Mundart nicht kennen. Solange uns nicht ein Mensch der Verwirklichung zu Hilfe kommt, der die in den Schriften aufgezeichneten Wahrheiten selbst erfahren hat, sie uns erklärt und verständlich macht, können wir ihre wahre Bedeutung nicht erfassen. In den Händen eines solchen kompetenten Meisters werden die Zeugnisse der Vergangenheit lebendig und zu einer Quelle der Inspiration für die aufwärtsstrebenden Seelen. Es heißt daher:

Die Schriften sind Werkzeug in den Händen eines
Meisters und helfen, das Meer des Lebens zu überqueren;
aber sie werden nur verständlich, wenn ein Gottmensch
kommt, sie zu erklären.

Bei der Initiation erhält der Wahrheitssucher eine bewußte Verbindung mit dem heiligen Wort, der Gotteskraft, die sich in Form von Licht und Ton offenbart und aus der vibratorischen Bewegung in den Tiefen des Meeres der Liebe, welches Gott ist, hervorgeht.Er bekommt eine unmittelbare Erfahrung von der Kraft und dem Geist Gottes und beginnt, das Licht Gottes zu sehen und die Sphärenmusik zu hören, die überall, innerhalb und außerhalb des Raumes, unaufhörlich erklingt, da es keinen Ort gibt, wo sie nicht ist. Von Guru Nanak, der gänzlich in der Farbe des allesdurchdringenden Naam gefärbt war und in einem Zustand beständiger Ekstase lebte, wird folgendes berichtet: Als er auf einer seiner Reisen in Mekka weilte, habe man ihn eines Tages im heiligne Bezirk mi den Füßen gegen den heiligen Schrein der Kaaba liegen gesehen. Die Hüter des Schreins konnten diesen offensichtlichen Frevel nicht dulden. Sie rügten ihn wegen der Beleidigung und sagten: „Wie kommt Ihr dazu, mit den Füßen gegen das Haus Gottes zu liegen?“ Guru Nanak, erfüllt von dem Bewußtsein, daß der Geist Gottes in jeder Richtung und an jedem Ort zugegen ist, erwiderte bescheiden. „Bitte, sagt mir, wo Gott nicht ist, damit ich meine Füße nach jener Richtung wende.“ Solcher Art ist die Betrachtungsweise von Heiligen, die in Gott verankert sind. Sie sehen Gott überall und in jeder Richtung als ein alles durchdringendes Lebensprinzip, das alles Seiende durchströmt.

Ähnlich hat der Prophet im Koran erklärt: „Das Reich Gottes erstreckt sich von Osten nach Westen, und die Gläubigen können ihn in jeder Richtung finden, wo immer sie sich ihm zuwenden. Gott wird ihnen überall begegnen, da er an keinen besonderen Raum gebunden ist und in seiner Allwissenheit eines jeden Herz kennt.“
Al-nisai, ein Moslem-Heiliger, führt diesen Punkt näher aus und erklärt: „Für mich ist die ganze Welt nur ein Tabernakel Gottes und ein heiliger Ort, um meine Gebete darzubringen. Wenn die Zeit dafür naht, steht es meinen Anhängern frei, ihre Gebete zu sprechen, wo immer sie sind.“

In der Apostelgeschichte (17,24) heißt es: „Gott, der die Welt gemacht hat und alles, was darinnen ist, er, der ein Herr ist Himmels und der Erde, wohnt nicht in Tempeln mit Händen gemacht.“

Oliver Wendell Holmes mißt daher der Ergebenheit die größte Bedeutung bei, denn liebevolle Ergebenheit heiligt den Ort, die Zeit und die Art des Gebets. Er sagt: „Alles ist heilig, wo man in Ergebenheit kniet.“

Die Kraft und der Geist Gottes durchdringen alles. Sie sind immer gegenwärtig und in ewiger Vibration. Wenn man sich auf die göttliche Musik abstimmt, wird die Seele von selbst, gleichsam wie durch einen elektrischen Aufzug, in immer höhere Regionen erhoben. Man gelant immer weiter im Bann der klangvollen Musik, die allmählich immer feiner wird, bis sie eins ist mit der Quelle, aus der sie kam - dem Absoluten, dem Anami oder Namenlosen und Wortlosen.

Wir sind alle, entsprechend unserer eigenen Erkenntnis, auf der Suche nach Gott. Nachdem die Seelen einen langen und beschwerlichen Entwicklungsprozeß der Selbstdisziplin und Selbstläuterung erfahren haben, werden sie schließlich von der Gotteskraft zu den Füßen eines Meister-Heiligen geführt, um die Reise zurück zu Gott aufzunehmen. „Es kann niemand zu mir kommen, es sei denn, daß ihn ziehe der Vater, der mich gesandt hat; und ich werde ihn auferwecken am Jüngsten Tage.“ (Johannes 6,44). Der „Jüngste Tag“ bedeutet hier den Tag, and dem man den Ballast des Körpers ablegt, sei es freiwillig während des Lebens, indem man sich durch den praktischen Vorgang der Selbstanalyse über das Körperbewußtsein erhebt, oder unfreiwillig zur Zeit des Todes, wenn der Todesengel die Sinnesströme aus dem Körper zieht. Guru Arjan sagt: „Der dich einst in die Welt sandte, ruft dich nun zurück. Kehre ruhig und getrost heim.“

Die Erfindung des Radios und des Radars haben eindeutig erwiesen, daß die Atmosphäre um uns von vibrierenden Tönen erfüllt ist, die man aus jeder Entfernung aufnehmen und abhören kann, wenn nur ein geeignetes Gerät zur Verfügung steht, das gut ausgestattet, empfangsbereit und richtig eingestellt ist. Dies ist genau das, was ein kompetenter Meister bei der Initiation bewirkt, wenn er die einzelnen Seelen einstimmt und das Tonprinzip für sie hörbar macht.

Die äußere, irdische Musik hat einen großen Einfluß auf den Menschen. Soldaten auf dem Marsch werden durch die kriegerischen Klänge der Hörner und Trompeten angefeuert. Die Hochländer mit ihren Schottenröcken marschieren im Triumph nach den Weisen des Dudelsacks. Die Seeleute und Matrosen hissen die Segel und ziehen die Ruder mit lauten rhythmischen Rufen. Gedämpfte Trommeln spielen den Trauermarsch für die betrübten Leidtragenden, die die Bahre begleiten. Die Tänzer tanzen nach der Begleitmusik und dem Klirren der Arm- und Fußreifen. Selbst die Tiere lieben das Geläut der Glocke, die sie an den Hörnern tragen. Durch das Schlagen der Trommel wird die schnellfüßige Antilope aus dem schützenden Dickicht hervorgelockt. Der Schlangenbeschwörer bezaubert die tödlichen Kobras mit der Musik der Veena. Die äußere Musik trägt die Seele an die Grenze der materiellen Ebene und erweckt Gefühle, die sonst zu tief liegen, um Tränen hervorzurufen. So groß ist in der Tat die Macht der Musik. John Dryden, ein bedeutender englischer Dichter des 17. Jahrhunderts, rühmt sie in beredten Worten:

Welche Leidenschaft kann Musik nicht wecken oder stil-
len? Als Jubal das besaitete Gehäuse schlug, standen seine
lauschenden Brüder um ich, und bewundernd lag auf
ihren Gesichtern die Verehrung des himmlischen Klangs.
Kein geringerer als ein Gott, glaubten sie, könne im In-
nern des Gehäuses weilen, das so süß und lieblich sprach.
Welche Leidenschaft kann Musik nicht wecken oder stillen?

Wenn schon die Macht der irdischen Musik so groß ist, kann man sich gut vorstellen, wie groß erst die Macht der himmlischen Musik wäre. Welche Heiterkeit und Berauschung würde man erleben, wenn man anfinge, sich über das Körperbewußtsein zu erheben, und in Einklang mit der himmlischen Harmonie käme. Das Wort ist die zum Ausdruck kommende Gotteskraft. Gott is symphonische Liebe, die aufwallt und überfließt. Er ist zugleich die Quelle von Liebe, Licht und Leben.

Der Pfad zum Absoluten führt durch viele Wohnstätten (Ebenen und Unterebenen), die auf dem Weg von der physichen Ebene bis zur Heimat des Vaters liegen. Die Reise ist voller Gefahren. Ohne einen Führer, der mit den Windungen und Krümmungen des Pfades vertraut ist, kann man keine der mentalen Ebenen überqueren. Darum ist ein Guru (Fackelträger) oder kompetenter Meister, der die Reise regelmäßig unternimmt und die Schwierigkeiten und Gefahren des Pfades bis ins letzte kennt, unbedingt notwendig. Nur er, der mit dem Weg zu Gott vertraut ist, kann die Seele durch die schlüpfrigen Regionen blendenden Lichts und verwirrender Schatten, den trügerischen Sirenenzauber und die Schrecken des Unbekannten heil hindurchbringen. Maulana Rumi mahnt uns daher:

Suche jemanden, der die Reise kennt, denn ohne einen
solchen ist der Pfad voll unzähliger Fallgruben und unvor-
stellbarer Gefahren.

Wir jedoch sind tief in die Welt verstrickt. Kabir gibt uns eine lebendige Beschreibung unserer Hilflosigkeit in dem furchtbaren Meer der Welt. Er sagt uns, daß der Weg zum wahren Glück lang und beschwerlich ist und wir auf der Sinnesebene fest schlafen. Er fordert uns auf, zu erwachen und mit der mühseligen Reise bergan zu beginnen. Wir alle befinden uns im tödlichen Griff der stählerenen Fangarme des Lebens und tragen eine schwere Last von Täuschungen mit uns herum. Unsere sogenannten Freunde und Verwandten sind größtenteils unsere Gläubiger und Schuldner, die uns erbarmungslos in Stücke reißen. Das Verwunderliche ist, daß wir weiter liebevoll zu ihnen halten und sie an unsere Brust drücken, da wir nicht wissen, daß sie uns das Blut völlig aussaugen. Was wir als unser eigen ansehen, ist nur eine Fata Morgana und wird uns häufig im Handumdrehen wieder weggenommen. Nach dem Tode muß die Seele den einsamen Weg zum Richterstuhl Gottes (Dharam Raj, die ausgleichende göttliche Gerechtigkeit) gehen. In dem brüchig gewordenen Boot des Körpers treiben wir steuerlos wie Strandgut in der tückischen Strömung, immer eine Beute für plötzliche Winde und stürmische Wasser. Wie können wir so das andere Ufer erreichen? Für eine armseligen Hungerlohn setzen wir ständig auf ein verlorenes Spiel und ergreifen am Ende die Flucht wie ein gejagtes Wild, ohne die Richtung zu kennen. Wir wissen nichts vom Leben jenseits des Grabes. Wie können wir errettet werden? Dies entzieht sich unserem Verständnis, und wir kommen uns genarrt und hilflos vor.

Der Meister verspricht, für immer bei uns zu sein, sowohl hier als auch danach im Jenseits. Er gibt den Initiierten einen Beweis davon, indem er seine strahlende Form in jedem von ihnen offenbart. Und er versichert uns auf unzweideutige Weise: „Wo ich bin, da werdet auch ihr sein.“

Der Initiierte lernt die esoterische Methode, sich in das Himmelreich zu erheben, das in ihm liegt. Die innere Reise beginnt, wenn das Einzelauge oder shiv netra geöffnet wird. Es öffnet sich, wenn die Sinnesströme am Sitz der Seele, dem Augenbrennpunkt hinter und zwischen den beiden Augenbrauen, gesammelt sind. Beim Eintritt ins Jenseits kann der Initiierte mit dem Meister innen sprechen und mit vollbewußter Erinnerung an die Erfahrungen, die er auf den inneren Ebenen gewonnen hat, zurückkehren. Im Himmelreich gibt es weder die endlose Kette von Ursache und Wirkung noch Raum oder Zeit. Dort ist nichts als immerwährende Gegenwart, und man lebt in seiner eigenen Welt. Die Verständigung zwischen den Seelen erfolgt hier durch ätherischen Gedankenwellen oder Vibrationen.

Das alles und noch viel mehr kann erreicht werden, wenn man sich mit liebevoller Hingabe seinen spirituellen sadhans oder Übungen widmet und versucht, die Zeit dafür zu verlängern. Auf diese Weise erlangt der Initiierte eine bewußte Verbindung mit dem Meister auf den höheren Ebenen und vertieft sich nach und nach so sehr in ihn, daß er eins mit ihm wird und wie Paulus sagen kann:

Ich bin mit Christo gekreuzigt.
Ich lebe aber; doch nun nicht ich,
sondern Christus lebt in mir.
Denn was ich jetzt lebe im Fleisch,
das lebe ich im Glauben des Sohnes Gottes,
der mich geliebt hat ...
                                                      Gal. 2,20

Der Meister ist das „fleischgewordene Wort“. Er steht allezeit in direkter Verbindung mit dem göttlichen Wort in ihm, er erfreut sich daran und verkündet oft: „Ich und der Vater sind eins“, oder wie wir es im Gurbani lesen: „Ich und mein Vater sind in derselben Farbe gefärbt“ oder: „Ich und mein Vater wirken in Partnerschaft zusammen“ (um gemeinsam die spirituelle Verwaltung der Welt auszuüben). Es kann kurz gesagt werden, daß der Meister ein bewußter Mitarbeiter des Herrn am göttllichen Plan ist.

Zuzeiten nimmt der Meister den Initiierten unter seien Schutz weit über gewisse Ebenen, die bezaubernd schön sind, hinaus, damit er sich nicht verstrickt und in die Wunder des Weges verliert. Maulana Rumi sagt daher:

Wenn du auf Pilgerreise (ins Jenseits) gehen willst,
dann nimm dir einen Pilger als Begleiter mit.
Es hat dabei nichts zu sagen, ob er ein Hindu,
ein Türke oder ein Araber ist; aber achte darauf,
daß er ein wirklicher Pilger ist.

Ein lebender Meister ist ein solcher Pilger. „Das Urbild des Weisen, der sich erhebt, doch niemals umherzieht; den verwandten Orten des Himmels und der Heimat treu.“ Es ist ein großer Segen, einen lebenden Meister zu haben. Er wird die Initiierten niemals verlassen noch versäumen bis ans Ende der Welt. Wenn einer initiiert ist, lebt der Meister in seinem astralen oder strahlenden Körper in ihm und bleibt immer bei ihm, bis zum Ende der Reise in Sat Naam oder Sat Purush. Er vertieft sich ganz in ihm und läßt auch des Initiierten Seele ganz in ihm aufgehen, so daß beide eins in ihm werden. Selbst wenn der Schüler irgendwann vom Weg abkommt oder irregeleitet wird, wird er entweder noch in diesem oder in nachfolgenden Leben auf den Pfad der Rechtschaffenheit zurückgebracht.

Christus und andere Meister müssen nach einer bestimmten Zeit die irdische Ebenen verlassen; doch im Innern leben sie in der Form von Shabd weiter, aber außerhalb von Raum und Zeit. Da wir mit dem einen oder anderen von ihnen verbunden sind, möchten wir natürlich für sie leben und sterben. Aber wir wissen wenig darüber, wie wir in uns mit ihnen in Verbindung kommen können. Eine solche Verbindung ist möglich und liegt durchaus in unserer Reichweite, wenn wir einen Shabd Swaroop oder Lehrer finden, der das personifizierte Wort ist und kompetent, uns mit dem Wort zu verbinden, ja, uns in das Wort zu verwandeln, in dem alle Meister der Vergangenheit ewig leben.

Dies erinnert mich an eine Frau, die mir 1955 in Amerika begegnete. Sie sah gewöhnlich Christus in sich und war damit zufrieden. Sie machte keinen weiteren Versuche, auf dem spirituellen Pfad voranzukommmen. Eines Tages riet ich ihr beiläufig, Christus zu fragen, was sie für den inneren Fortschritt weiterhin tun solle. Am folgenden Tag kam sie und bat inständig um die Initiation, da ihr Christus aufgetragen habe, die Führung des lebenden vollendeten Meisters zu suchen, wenn sie Fortschritte machen wolle.

Die inneren Kräfte behindern die Gottsucher niemals. Und wenn man mit einem früheren Meister in Verbindung steht, sagt dieser seinen Ergebenen freudig und ohne Zögern, welche weitern Schritte auf dem spirituellen Pfad zu tun sind.

Einzelne Initiierte erhebt der Meister und zeigt ihnen die Herrlickeit der fünften Region (Sach Khand); und die meisten Initiierten werden bis zu dieser Ebene geführt. Wie vorher gesagt wurde, gibt es aber insgesamt acht Regionen, und die achte ist das letzte Ziel, das von jenen erreicht wird, welche die letzte Vollendung erlangen.

Wenn man Sat Lok durchschritten hat, erkennt man
das Unaussprechliche und Unbegreifliche.
In der Region, die über diesen allen liegt, wohnen
die Heiligen, und der geringe Nanak weilt auch dort.

Johannes gibt uns in der Offenbarung eine Schilderung seiner inneren Erfahrung:

Ich war im Geist an des Herrn Tag,
und hörte hinter mir eine große Stimme
wie eine Posaune, die sprach:
Ich bin das A und das O, der Erste und der Letzte.
Und ich wandte mich um, zu sehen nach der Stimme
dessen, der mit mir redete.
Der war eines Menschen Sohn gleich.
Seine Augen waren wie eine Feuerflamme;
seine Stimme wie großes Wasserrauschen;
sein Angesicht leuchtete wie die helle Sonne.
Und als ich ihn sah, fiel ich zu seinen Füßen
wie ein Toter; und er legte seine recht Hand auf mich
und sprach zu mir:
Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte;
wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden
sagt: Wer überwindet, dem will ich zu essen geben vom
Baum des Lebens.
Es soll ihm kein Leid geschehen von dem zweiten Tode,
ihm will ich geben von dem verborgenen Manna
und will ihm geben einen weißen Stein;
auf dem Stein aber steht ein neuer Name geschrieben,
welchen niemand kennt, als der ihn empfängt.
Und er soll mit weißen Kleidern angetan werden, und ich
werde seinen Namen nicht austilgen aus dem Buch des
Lebens. Und ich will ihn machen zum Pfeiler in dem
Tempel meines Gottes.
Ich rate dir, daß du Gold von mir kaufest, das mit Feuer
durchläutert ist, daß du reich werdest; und reiche Kleider,
daß du dich antust; und Augensalbe, deine Augen zu
salben, daß du sehen mögest.

Kap. 1, 2 und 3

In Kapitel 12 des zweiten Korintherbriefes berichtet Paulus über seine Visionen und Offenbarungen und spricht darin vom dritten Himmel, wenn er sagt: „Und ich kenne einen Menschen, der entrückt ward bis in den dritten Himmel (Brahmand) - ob er in dem Leibe oder außer dem Leibe gewesen, weiß ich nicht; Gott weiß es -; der ward entrückt in das Pardies und hörte unaussprechliche Worte, welche mir nicht zu sagen erlaubt sind.“

Alle Meister halten ein, wenn es darum geht, die innersten Geheimnisse zu enthüllen. Shamas Tabrez sagt: „Wenn ich die Geschichte über den Geliebten erzählen soll, versagt meine Feder und das Paper zerreißt.“ Auch Maulana Rumi verbiete es, die inneren Geheimnisse preiszugeben: „Nicht ein Jota sollst du von deiner Vision erzählen, was auch immer es sei. Sonst wird Er alles auslöschen, was du geschaut hast, als wäre es nie dagewesen.“ Ebenso erklärt Kabir nachdrücklich:

Mit aller Macht, die mir zu Gebote steht, ermahne ich
dich: Gib acht, daß die inneren Geheimnisse nicht
nach außen gehen.

Wir können diesen Punkt abschließen mit den denkwürdigen Worten aus dem berühmten Masnavi, worin der große Maualana Rumi sagt:

Es ist nicht gut, dir mehr zu sagen, dann das Flußbett
kann das Meer nicht fassen.

Auf diese Weise haben die früheren Meister die geheime Lehre der Gottheit als heiliges Gut für sich behalten und nur ihren vertrauten und bewährten Schülern (Gurmukhs) etwas davon mitgeteilt. Es ist in der Tat kein Thema, das man mit bloßen Worten angemessen behandeln könnte. Die Köstlichkeit einer Speise erweist sich erst, wenn man sie kostet. Es ist ein praktischer Vorgang der Selbstanalyse, bei dem man anklopfen und nach innen gehen muß. Wer immer durch die Gnade eines vollendeten Meisters Zugang zu sich selbst gewinnt und sich tief ins Innere versenkt, kann sicher sein, daß er die Perle von unschätzbarem Wert finden wird. Durch Berührung mit der Wirklichkeit wird man ein Teil von ihr und über alle Relativität erhoben; und der sterbliche Mensch ist auf einmal zum unsterblichen Geist umgewandelt, indem er den gordischen Knoten zwischen der trägen Materie und der lebendigen Seele zerschlägt. So wird das Mysterium des ‘Lebens und des Todes’ gelöst, denn das Leben besteht nur durch die flüchtigen Schatten alles Vergänglichen, indem es bei jedem Schritt den Tod siegreich verschlingt.

Auf den folgenden Seiten wurde der Versuch gemacht, etwas von der geheimen Lehre in unserer dreidimensionalen Sprache mitzuteilen, die gänzlich unzureichend ist, das Unaussprechliche zum Ausdruck zu bringen. Mögen die Kraft und der Geist Gottes dem Leser helfen, das Theam besser zu verstehen, indem er zu den Füßen eines kompetenten Meisters geführt wird, der uns in diesem Leben, hier und jetzt, mit den spirituellen Reichtümern auszustatten vermag. Denn wer weiß, ob im Jenseits die Wahrheit aufdämmern wird, wie es von den sogenannten Lehrern, von denen die Welt übervoll ist, erst und feierlich verkündet und versprochen wird.

In dieser Hinsicht hat Christus eine eindringliche Warnung gegeben: „Sehet euch vor vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig aber sind sie reißende Wölfe.“ (Matth. 7,15). Wenn der Blinde den Blinden führt, fallen beide in die Grube. Es ist daher von größter Bedeutung, daß man wirlich nach einem kompetenten, vollendeten Meister sucht und sich von seiner Echtheit überzeugt, bevor man ihn als unfehlbaren Führer und nie versagenden Freund auf dem Gottespfad annimmt. Es hat nichts zu sagen, wenn man selbst sein ganzes Leben in dieser bedeutsamen Suche zubringen muß; ist dies doch besser, als unter den Einfluß von falschen Meistern zu geraten und dadurch die einzige Gelegenheit seines Lebens zu verlieren. Eine solche Suche wird niemals vergeblich sein. „Suchet, so werdet ihr finden.“

Ich starb als Stein und wurde Pflanze,
ich starb als Pflanze und erhob mich zum Tier,
ich starb als Tier und war ein Mensch.
Was sollte ich fürchten? Wann war ich weniger durch den Tod?
Noch einmal aber muß als Mensch ich sterben, mich zu
erheben - mit den gesegneten Engeln; doch selbst vom
Sein der Engel muß weiter ich hinauf; denn alles außer
Gott vergeht.
Wenn meine Engelseele ich geopfert habe,
werde ich zu dem, was nie ein Geist erdacht.
Ach, laß länger mich nicht sein, denn Nichtsein
verheißt in Orgelklängen: „Zu Ihm kehren wir heim.“

Maulana Rumi

 

 

Nichts in der Natur stirbt

Tod und Unsterblichkeit wohnen der Natur alles Seienden inne - allem, was in sich Geist und Materie verbindet. Die Materie ist nur eine projizierende Leinwand für den Geist, den allesdurchdringenden Geist, der die Materie in unterschiedlichen Dichtigkeitsgraden und Vibrationen anzieht, um sich in vielfältigen Formen und Farben auf verschiedenen Seinesebenen zu offenbaren, Der Geist, ohne die stoffliche Umhüllung, mit der er auf der irdischen Ebene in Erscheinung tritt, ist Leere; denn losgelöst von der Materie kann er mit den Augen des Fleisches nicht gesehen werden; ganz wie die Kraft des Frühlings nur dann wahrzunehmen ist, wenn sie durch die Blumen und Früchte wirkt und diese mit ihrem würzigen Duft und süßen Aroma blühen und sprießen läßt.

Der Mensch stellt in sich die Lehre von der Dreieinigkeit auf Erden dar, weil er Körper, Gemüt und Seele in sich vereint. Die Seele ist vom Wesen Gottes, der Lebensodem, der Körper und Gemüt belebt, wodurch man zum lebendigen Menschen wird, in dem, vom Kopf bis zu den Füßen, der Odem Gottes wogt.

Der menschliche Körper ist indiviualisierte Materie, da der Geist, der in sie eingehüllt ist, ein individualisierter Geist zu sein scheint, der Sonne vergleichbar, die sich in vielen Wasserkrügen widerspiegelt. Beim Tod löst sich der Körper, der aus verschiedenen Elementen zusammengesetzt ist, auf und kehrt in das kosmische Reservoir der Substanzen zurück, die sich schließlich mit der einen Ursubstanz vermischen; und die Seele kehrt zu Gott zurück: „Ehe denn der silberne Strick wegkomme und die goldene Schale zerbreche und der Eimer zerfalle an der Quelle und das Rad zerbrochen wird am Born. Denn der Staub muß wieder zu der Erde kommen, wie er gewesen ist, und der Geist wieder zu Gott, der ihn gegeben hat.“ (Pred. 12,6-7)

Ein lebender Mensch ist nicht getrennt oder unabhängig von der höchsten Kraft, die ihn durchströmt. Er wird von dieser höchsten Kraft hervorgebracht, die auf der materiellen Ebene durch einen organisierten Körper aus Wellen wirkt, welche einen Bewußtseinszustand in ihm erzeugen. Der Mensch lebt, wenn diese höchste Kraft in und durch seine Körperform fließt. Wenn sie sich aber zurückzieht, ist er kein lebendes Wesen mehr, denn alle funktionelle Tätigkeit hört dann in ihm auf. Und was verbleibt? - Nichts als eine Masse träger Materie, in Form und Substanz dieselbe wie zuvor, aber ohne den lebendigen Lebensimpuls, der noch Augenblicke vorher in ihm wogte.

So wie der Mensch ist das ganze Universum eine Offenbarung des einen Lebensprinzips, des Prinzips lebendigen Bewußtseins in variierenden Graden, vom Logos herab bis zu den Atomen der stofflichen Elemente, die beständig in rhythmischer Bewegung sind und durch die höchste Kraft, die in ihnen und durch sie wirkt. Immmer wieder neue Foreen bilden. Kurzum, die Intelligenz des Universums ist und bleibt für ewig im Innersten eines jeden Atoms, das nach ihrer Melodie kreist und dem endlosen Tanz von Shiva gleicht, der lebendigen Verkörperung von Shakti, der Mutter des Universums. In der esoterischen Lehre von den Enstehung des Weltalls findet die Theorie von der „toten Materie“ keinen Platz, da die Materie ohne die sie zusammenhaltende Kraft aus sich selbst nicht existieren kann. Materie ist in der Tat Energie in erstarrter Form.

In der antiken Philosophie wurde streng unterschieden zwischen ‘Sein’ und ‘Existenz’. Der Logos, die Urform der Welt, ist das wahre Sein, unwandelbar und ewig, während ‘Existenz’ Ausdruck und Ausdehnung oder eine Bewegung vorwärts und nach außen in die Welt des Werdens ist, in eine Welt unaufhörlichen Wandels und augenblicklicher Veränderung.

Physiologen und Ärzte wie auch Botaniker, Gärtner und Blumenzüchter können uns viel über die physikalischen und chemischen Vorgänge sagen, die beim menschlichen Stoffwechsel oder vielmehr in jedem lebenden Organismus auftreten, sei es in einem Baum, einer Blume, einer Frucht, einer Ameise oder einem Elefanten; aber sie können uns nicht sagen, warum sie leben, wodurch sie leben, zu welchem Zweck sie leben, was das Leben selbst ist; und vor allem nicht, was das Bewußtsein ist, das den Lebensimpuls auf jeder Daseinsebene kennzeichnet.

Der kosmische Zyklus beweist, daß das Leben ewig ist. Es ist ein endloser Vorgang. Es geht immer weiter, indem es in endloser Folge eine Form nach der anderen annimmt, die alle in Erscheinung treten, vergehen und sich neu bilden wie Wellen und Blasen im Strom der Zeit, die von Ewigkeit zu Ewigkeit währt. Die Natur ist nichts anderes als ein gewaltiges Reservoir von Leben und Materie, in dem nichts verlorengeht und nichts stirbt, wie sehr auch die Formen wechseln und sich schneller als in einem Augenblick kaleidoskopisch verändern. Es ist dieser Verwandlungsprozeoß, der gemeinhin Tod genannt wird, der Tod einer Form an einem Ort und die Geburt in einer anderen Form an einem anderen Ort oder auf einer anderen Ebene. So vergeht der unsichtbare Dunst, der vom Meer aufsteigt, um sich auf den Bergspitzen in sichbaren festen Schnee zu verwandeln; und der sichtbare Schnee wiederum durchläuft den umgekehrten Prozeß, den Sterbevorgang - er zerschmilzt zu flüssigem Wasser - und das Wasser vewandelt sich zurück in den unsichtbaren Gaszustand oder Dunst, wodurch eine ununterbrochene Kette von Ursache und Wirkung entsteht. Auf ähnliche Weise wird der Mensch ein sichtbares Wesen, wenn der Geist menschliche Gestalt annimmt; und im Laufe der Zeit wird dieser selbe Mensch, der so viele Rolen auf der Bühne des Lebens spielt (zugleich Sohn, Bruder, Ehemann und Vater; erst Kind, dann junger Mann und schließlich Greis), zuletzt unsichtbar, wenn sich der Geist in ihm zurückzieht und bei denen, die um ihn sind, Bestürzung verursacht und eine Lücke in dem großen Netz der Verwandtschaft hinterläßt, das er während seines irdischen Lebens um sich herum gewebt hatte. Dies geschieht bei der letzten Umwandlung, wenn sich der physische Körper zersetzt und sich in die kosmische Ordnung der Dinge auflöst, wo die Lebensströme in dem großen kosmischen Lebensprinzip aufgehen, das seiner Natur nach im wesentlichen organisch und nicht chemisch-anorganisch und mechanisch ist.

Der Tod ist nicht das, was er zu sein scheint und wofür er im allgemeinen Sprachgebrauch gehalten wird. Leben und Tod sind nur auf der irdischen Ebene wechselseitig bedingte Begriffe. In Wirklichkeit aber besteht kein Unterschied zwischen beiden, und sie können nicht als etwas Gegensätzliches betrachtet werden; denn der Tod kann das Leben nicht verschlingen, noch kann er ihm ein Ende setzen. Es ist ein wechselseitiger Vorgang, den beiden Seiten einer Münze vergleichbar, die sich um ihre Achse dreht. Sehen wir nicht, wie Tag und Nacht, Licht und Dunkelheit abwechselnd kommen und gehen, so wie die sich drehende Erde um die Sonne kreist und Schatten verschiedener Länge auf die jeweiligen Orte wirft, während die Sonne die ganze Zeit über weiterscheint? Der Tod bedeutet kein völliges Auslöschen oder eine Vernichtung, wie manchmal geglaubt wird. Er ist nichts anderes als ein Wechsel des Bewußtseins von einem Daseinsbereich in einen anderen. Das Leben andererseits ist ein einziger fortlaufender Prozeß, der kein Ende kennt; denn der sogenannte Tod, der dem Leben folgt, ist keine Leblosigkeit, sondern Leben in einer anderen Form, an einem anderen Ort; hier auf Erden oder anderswo; in einer anderen Gestalt, mit einem anderen Namen und unter anderen Umständen, so wie es die göttliche Vorsehung entscheidet, die nach dem unerbittlichen Gesetz des Handelns wirkt: „Was der Mensch sät, das wird er ernten.“ Das Leben, ein positver Ausdruck des höchsten Wesens, ist der Negativität des Todes nicht unterworfen, und darum kann dieser die ewige Lebensflamme nicht auslöschen.

Wir haben das Zeugnis einer ununterbrochenen Reihe von Meistern, die lehrten, daß Leben und Tod bloße Worte in der Welt der Dualität sind, die beschreiben sollen, wie sich der Bewußtseinszustand des inneren, am Zentrum befindlichen Seins an der Oberfläche oder Peripherie auswirkt oder verändert. Dies sind lediglich sichtbare und unsichtbare Stufen im kosmischen Zyklus, die der innere Mensch durchläuft. Der beklagenswerte, schreckenverursachende und vielgefürchtete Tod ist in Wirklichkeit eine Neugeburt (des inneren Menschen) in ein Leben, das freudvoller und schöner sein mag, als man es bisher kannte. „Der furchteinflößende und leidbringende Tod ist mir ein Vorbote freudvollen Lebens, und ich heiße ihn sehr willkommen“, sagt Kabir. Auch die Evangelien sprechen vom Reich Gottes, das einen jenseits der Todesschwelle erwartet:

Es sei denn, daß jemand von neuem geboren werde,
so kann er das Reich Gottes nicht sehen ...
Es sei denn, daß jemand geboren werde aus Wasser und
Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen.
Was vom Fleisch geboren wird, das ist Geist ...
Der Wind bläst, wo er will, und du hörst sein Sausen
wohl; aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er
fährt. So ist ein jeglicher, der aus dem Geist geboren ist.

Joh. 3,3-8

Somit ist der Geist bei jedem Tod, jeder Auflösung der Form, von dem festen Körper befreit; er erneuert sich mit zunehmender Kraft und Stärke und wächst in ein Bewußtsein hinein, das größer und weiter ist als je zuvor. In diesem Zusammenhang sagt uns Maulana Rumi:

Ich starb als Stein und wurde Pflanze,
ich starb als Pflanze und erhob mich zum Tier,
ich starb als Tier und war ein Mensch.
Was sollte ich fürchten? Wann war ich weniger durch den Tod?
Noch einmal aber muß als Mensch ich sterben, mich zu
erheben - mit den gesegneten Engeln; doch selbst vom
Sein der Engel muß weiter ich hinauf; denn alles außer
Gott vergeht.
Wenn meine Engelseele ich geopfert habe,
werde ich zu dem, was nie ein Geist erdacht.
Ach, laß länger mich nicht sein, denn Nichtsein
verheißt in Orgelklängen: „Zu Ihm kehren wir heim.“

Der Tod ist demnach ein anderer Name für eine Umwandlung im zentralen Lebensprinzip, dem Brennpunkt, um den sich die organisierte Lebensmonade bewegt und wo sie wirkt. Es ist der Wechsel von einer Reihe von Umständen zu einer anderen, in verschiedenen Formen und unter verschiedenen Bedingungen, wie es für die letztliche Entfaltung des Selbst oder der Lebensmonade zur vollen Blüte am besten ist. Dabei dehnt sich das Bewußtsein durch die höheren spirituellen Werte des Lebens, zu denen man sich erhebt, immer mehr aus.:

Siehe, ich sage euch ein Geheimnis: Wir werden nicht alle
entschlafen (im Tod), wir werden aber alle verwandelt
werden; und dasselbe plötzliche, in einem Augenblick ...
und werden auferstehen unverweslich ... Denn dies Verwesliche
muß anziehen die Unverweslichkeit und ... Unsterblichkeit ... 
Der Tod ist verschlungen in den Sieg. Tod, wo ist dein 
Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg?

1. Kor. 15,51-55

In „Der Mensch, das unbekannte Wesen“ von Alexis Carrel heißt es: „Der Mensch ist aus einer Reihe von Phantomen geschaffen, in deren Mitte sich die unerkennbare Wirklichkeit bewegt.“ Guru Nanak sagt auf sehr ähnliche Weise von sich selbst: „Inmitten der äußeren physischen Form, genannt Nanak, wirkt die unsichtbare Kraft des höchsten Wesens.“

In der Bhagavad Gita, dem Gesang des Erhabenen, verkündet uns Bhagwan Krishna, der siebente Avatar von Vishnu, einem Gott der bekannten Dreieinigkeit der Hindu-Mythologie:

Wisse, o Pandu-Prinz: Nie gab es eine Zeit, in der ich nicht
war oder du; auch jene, der Erde Herrscher, waren stets;
noch wird die Zeit in Zukunft kommen, wo nur einer
aufhören wird zu sein, der wahrhaft ist. Wie im Körper
auf Kindheit Jugend und dann Alter folgt, so folgt Entste-
hung und Vergehen stets für die Gefäße, die der Geist
bewohnt. Das, was unsterblich ist im Menschenherzen,
wird wieder neu in Leibern offenbar. Die Weisen wissen
es und trauern nicht ... Unsterblich ist der Geist, der alles
Lebens Kraft und Ursach’ ist. Es kann nicht untergehen,
niemand kann des Daseins Grund, das Ewige, vernichten.
Die flücht’gen Schattenleiber nur, die wir des Geistes
Tempel nennen, die vom Geist bewohnt und überschattet
werden, sterben.

So ist es klar, daß sich unter dem zyklischen Gesetz des Kosmos alle Dinge im Kreis bewegen und alles ewig ist. Der Tanz des Shiva - zugleich der Gott des Todes und der Tod, der zur Wiedergeburt führt, nicht selten auf einer höheren Seinsebene - geht für immer und ewig weiter. Unter diesem sich unaufhörlich drehenden Rad des Lebens verändert sich der Mensch durch einen Prozeß der Entwicklung oder des Wachstums vom bloßen physischen zu eienem astralen, dann zum kausalen und schließlich zu einem spirituellen Wesen auf verschiedenen Seinsebenen, bis er zu sich selbst kommt, das sich ewig entfaltende Bewußtseinsprinzigp, das er seiner Anlage nach ist, in seiner Fülle erkennt und verwirklicht und er die Ganzheit seines Seins umfaßt. „Denn in ihm (in Gott, dem Universalen Sein) leben, weben und sind wir; ... wir sind seines Geschlechts (Apg. 17,28), und er ist das Sein unseres Seins, und ohne seine Kraft, die in uns wirkt, können wir nicht leben und handeln.

„Gleiches bringt Gleiches hervor.“ Alles, was lebt - sei es Pflanze, Tier oder Mensch - entfaltet sich nach dem Samen seiner Art, wenn auch gemäß einem festgelegten Lebensplan, der durch die dem Samen eigene Beschaffenheit bestimmt wird. „Gott aber gibt ihm (dem Samen) einen Leib, wie er will, und einem jeglichen Samen seinen eigenen Leib.“ (1. Kor. 15,38). Der Mensch ist auf der höchsten Sprosse der Lebensleiter auf Erden nicht von seinem Schöpfer getrennt. Der Vater ist in potentieller Form im Sohn, und der Sohn ist fest verwurzelt im Vater, auch wenn er es durch die Umstände und wegen der Begrenzungen seines Körperkleides, in dem er die ganze Zeit auf Erden lebt und tätig ist, nicht weiß. Da die Gotteskraft in ihm wirkt, lebt er, ohne sich dessen bewußt zu sein, wahrhaftig im Tempel Gottes. „Wisset ihr nicht, daß ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt“ (der ihr darum seid)? Der Begriff „Mensch“ ist lediglich ein Name, der für den verkörperten Geist Gottes auf Erden benutzt wird. Dies ist somit die altbekannte Lehre der Dreieinigkeit: ein Ganzes, bestehend aus drei Teilen: dem Vater (der universale Geist), dem Sohn (der individualisierte Geist, in Körper, Gemüt und Verstand gekleidet) und dem heiligen Geist (die erlösenden Bindegleider oder die Lebensschnur zwischen beiden, wodurch der menschliche Geist, wenn er ihnen folgt, über das Menschsein hinausgelangt). Alle drei sind im Menschen vereint. Daher die Ermahnung des Propheten aus Galiläa: „Seid vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist.“ Vollkommenheit kommt von dem, der vollkommen ist.

Vollendung ist also das Ziel des menschlichen Lebens. Sie besteht in der Selbstentfaltung oder Evolution des individuellen Geistes, indem dieser die Begrenzungen des Körpers, des Gemüts und des Verstandes übersteigt und das noch unbekannte und unerforschte Verborgene, welches in den Tiefen des großen Meeres des Unbewußten verwurzelt ist, erschließt. Es ist freilich eine schwierige, aber keine unlösbare Aufgabe, sofern einer das Glück hat, mit einer Meisterseele in Verbindung zu kommen, die wohlbewandert ist in der Kunst oder Wissenschaft von Para Vidya oder dem Wissen um die himmlischen Welten. Diese liegen jenseits der Sinne welche uns nur im Bereich des Apara Vidya oder dem Wissen von der durch Beobachtung und Experimente erfahrbaren Welt von Hilfe sind. „Das Reich Gottes kommt nicht mit äußerlichen Gebärden; ... das Reich Gottes ist inwendig in euch.“ (Luk. 17,20-21). Das Reich Gottes kommt nicht aus den Wolken. Es ist bereits im Menschen, und man kann seine Herrlichkeit sehen durch einen Prozeß, bei dem man sich nach innen wendet (ähnlich dem Todesvorgang), aber natürlich freiwillig während des Lebens, wie es die Meister ihre auserwählten Schüler seit undenklichen Zeiten gelehrt haben. Was ein Mensch getan hat, kann auch ein anderer tun, wenn er die rechte Führung und Hilfe von einem Gottmenschen erhält. Jeder Heilige hat eine Vergangenheit, und jeder Sünder hat eine Zukunft.

 

 

Das Licht des Lebens

Wie so viele verlorenen Kinder Gottes sind wir alle in das ferne Land, genannt Erde, herabgekommen und haben die Kraft des Vaters mitgebracht, die wir Tag für Tag und jeden Augenblick vergeuden, indem wir die vergängliche Schönheit und Pracht dieses irdischen Bereichs erforschen. Darüber büßen wir jede Erinnerung an unsere göttliche Heimat ein, die glückselige Heimat des Vaters, an unsere Abstammung und unser großes Erbe. „Aus dem Fleisch geboren“, leben wir im Fleisch und haben unsere Verbindung mit der rettenden Lebensschnur im Innern verloren; somit sind wir spirituell tot - tot trotz des hektischen Lebens auf der physischen und mentalen Ebene und der erstaunlichen Errungenschhaften auf den Gebieten der Kunst, Wissenschaft und Technik. Bei allen Bequemlichkeiten des Lebens, mit denen Mutter Natur ihr Pflegekind, den Menschen, versehen hat, leben wir dennoch in einem Zustand ständiger Furcht und dauernden Mißtrauens - nicht nur anderer, sondern auch uns selbst gegenüber. Denn hilflos und ohne Hoffnung treiben wir auf dem Meer des Lebens dahin, ohne irgendeine Verankerung, die uns Halt bietet und dafür sorgt, daß unser Schiff in den stürmischen Wogen fest und stetig auf Kiel bleibt.

Der Mensch ist ein Mikrokosmos, ein Abbild des Makrokosmos (Universums). Beide, das Individuelle und das Universale, sind in allen Teilen miteinander verbunden. Alles, was außen ist, findet sich auch innen, und der Geist im Menschen hat ungeachtet der schweren Last seiner physichen und mentalen Fesseln die Möglichkeit, die ihn umgebenden dichten Schleier zu durchbrechen. Er kann einen Blick in das Jenseits tun, in den immerwährenden Bereich des höchsten Gottes, die ewig durch sich selbst seiende Wahrheit, die seit Anbeginn der Zeit immer dieselbe ist.

Wir haben hierfür das Zeugnis einer Reihe von Mystikern:

Obgleich du im Raum lebst, hast du deine Wurzeln außer-
halb des Raumes.
Lerne, dich nach dieser Seite abzuschließen, und erhebe
dich in unbegrenzte Weiten.
Denn solange man sich nicht über die Welt der Sinne
erhebt, bleibt man der Welt Gottes völlig fremd.
Bemühe dich unablässig, bis du dem Käfig ganz entron-
nen bist, dann wirst du die Nichtigkeit der unteren Berei-
che erkennen.
Wenn du dich erst über den Körper und was zu ihm
gehört erhoben hast,
wird dein Geist die Herrlichkeit Gottes schauen.
Dein Sitz ist fürwahr Gottes Thron;
schäme dich, daß du es vorziehst, in einer elenden Hütte
zu leben.
Du hast auch dann einen Körper, wenn du außerhalb des
Körpers bist,
warum hast du dann Angst, den Körper zu verlassen?

O Freund, entsage dem Leben des Fleisches,
damit du das Licht des Lebens erfährst.
Du bist wahrlich das Leben von allem, was hier existiert;
ja, beide Welten, die hier und die danach, sind in dir.

Von dir ging alle Weisheit aus,
du bist es, dem Gott seine Geheimnisse enthüllt.
Kurz: obwohl du so unbedeutend erscheinst,
ist doch das ganze Universum in dir.
Ausgestattet mit einem menschlichen Körper und einem
engelgleichen Geist,
kannst du nach Belieben durch die Welt streifen oder dich
in den Himmel erheben.
Welch große Freude wäre es, den Körper hier unten zu
lassen und zum höchsten Himmel emporzufliegen.
Verlasse dein stoffliches Haus aus Fleisch und Blut
und nimm Gemüt und Geist weit mit hinauf.

Könntest du nur dem Tabernakel des Fleisches entrinnen,
dann wäre es dir möglich, zu dem Ort zu gelangen, wo es
keinen Körper gibt.
Das Leben des Körpers kommt von Wasser und Nahrung
allein; denn auf Erden bist du in ein Gewand desselben
Stoffes gehüllt.
Warum verläßt du nicht nachts das Leichenhaus?
Hast du doch Hände und Füße, nicht von dieser Erde
geformt.
Es mag dir genügen zu wissen,
daß in dir ein Zugang ist, der zum Geliebten führt.
Wenn du einmal dem Gefängnis des Körpers entkommst,
wirst du ohne Mühe in eine neue Welt gelangen.

Immer wieder spricht der vollendete Meister von unserem verlorenen Reich, das im Innern liegt, aber seit langem vernachlässigt und in dem gewaltigen Wirbel der Welt des Gemüts und der Materie, in der wir uns die ganze Zeit über treiben ließen, völlig vergessen wurde. Dies ist nun die uns von Gott gegebene Gelegenheit, den unbetretenen Pfad zu beschreiten, das Unerforschte zu erforschen und in uns wiederzuentdecken, was uns bereits gehört: das wirliche innere Sein. Die menschliche Geburt ist wahrlich ein seltenes Vorrecht. Sie erfolgt am Ende eines langen Entwicklungsprozesses, der beim Gestein und den Mineralien beginnt, sich im Pflanzenreich fortsetzt und dann durch die Welt der Insekten, Reptilien und Nagetiere führt. Als nächstes kommt die Bruderschaft der Vögel und des Federviehs, danach die anderen Tiere, bis hin zu den Vierfüßlern. Der Mensch schließlich hat ein weiters Element in sich, das allen anderen Gecschöpfen fehlt oder das sie nur in ganz geringem Maße haben, das luftige oder ätherische Element. Dieses stattet ihn mit der Vernunft und Unterscheidungskraft aus, die ihn befähigt, Recht von Unrecht, Tugend von Laster zu unterscheiden, die höheren, edleren Werte des Lebens zu verstehen und sie - durch die ihm eigene Willens- und Wahlfreiheit - in die Tat umzusetzten. So kann er sie für den weiteren Fortschritt nutzen, damit er aus dem Geiste geboren wird. Es befähigt ihn, seiner Bewußtheit neue Dimensionen hinzuzufügen, indem er sich ins supramentale Bewußtsein erhebt, erst ins kosmische und dann in das des Jenseits. Das alles ist eine sichere Möglichkeit, wenn wir auch gegenwärtig noch nichts von ihr wissen.

„Unser Selbst“, sagt der Philosoph und Psychologe Jung, „schließt unser ganzes Lebenssystem in sich ein und umfaßt daher nicht nur alle Ablagerungen und die Summe all dessen, was in der Vergangeheit erlebt wurde, sondern ist zugleich der Ausgangspunkt, der fruchtbare Mutterboden, der alles zukünftige Leben hervorbringt. Die Vorahnung kommender Dinge ist unserem inneren Gefühl ebenso klar wie die historische Vergangenheit. Der Gedanke der Unsterblichkeit, der diesn psychologischen Grundlagen erwächst, besteht völlig zu Recht.“

Gefangen in der irdenen Form und durch das Gemüt beherrscht, ist der Mesnch in der gewaltigen Schöpfung doch nur ein schwaches Kind aus Staub, unbedeutend an Wuchs und Kraft. Aber als Seele ist er grenzenlos und durchdringt alles. Der scheinbar individualisierte Geist in ihm ist ein kostbares Kronjuwel von unschätzbarem Wert. So sagt Bheek, ein Weiser der Mystik:

O Bheek, keiner in der Welt ist arm,
denn jeder trägt in seinem Gürtel einen kostbaren Rubin;
doch leider weiß niemand den Knoten zu lösen, um an
den Rubin zu kommen, und so geht er betteln.

„Gott ist in allen, aber nicht alle sind in ihm“, sagt der Weise von Dakshineswar (Paramhansa Ramakrishna). Guru Nanak nennt uns den Ausweg, die Möglichkeit, das große Geheimnis zu ergründen und die Meisterschaft über alles andere zu erlangen: „Sieg über das Gemüt ist Sieg über die Welt“ heißt seine einfache Lösung. Gegenwärtig wird das Gemüt durch zahllose Wünsche aller Art hin- und hergerissen, und jeder drängt in eine andere Richtung. Es muß nach und nach wieder zu einem Ganzen zusammengefügt werden - zu einem ungeteilten Ganzen - dessen Sein bis in jede Faser von der Liebe Gottes durchdrungen ist, denn nur dann wird es zu einem willigen Werkzeug, das dem Geist dient, anstatt ihn, wie es jetzt der Fall ist, ständig nach unten und außen, in die engen, beklemmenden Winkel, hierhin, dorthin und überallhin zu ziehen. Ehe dieses hydraköpfige Ungeheuer nicht gebändigt und gezähmt ist, wird es weiter wie der Meeresgott Proteus unter verschiedenen Masken und allerlei Formen wilde Possen treiben und wie ein Chamäleon nach Belieben die Farben wechslen. Solange es weiterhin an der Erde und allem, was irdisch ist, festhält, nimmt es an Kraft und Stärke zu, die es von Mutter Erde empfängt. Es muß daher hoch in die Luft gehoben und dort gehalten werden, wie es Herkules mit Antäus tat, um sich von dem Riesen zu befreien, der unbesiegbar war, solange er die Verbindung mit Mutter Erde hatte, von der er seine Kraft nahm. Wenn das Gemüt einmal mit der göttlichen Musik von oben in Verbindung kommt, wird es emporgetragen und verliert für immer alles Interesse an den herabziehenden Sinnesfreuden der Welt. Dies führt allmählich zu einem todesähnlichen Zustand des Körpers, welcher nun weit unten gelassen wird, wie auch des Gemüts, das höhersteigt, um in seine ursprüngliche Heimat chit-akash, das große Lagerhaus von Erinnerungen aus undenklichen Zeiten, einzugehen. Von hier gelangte es weiter hinab, indem die Lebensenergien (pranas) sich auf das reine Bewußtsein senkten und es mit einer zweifachen Hülle (mano-mai und pran-mai kosh) umgaben. Diese bildet das mentale Werkzeug für die Seele, um auf der irdischen Ebene durch eine weiter Hülle, die phyische des Körpers (ann-mai kosh), wirken zu können, ausgestattet mit groben Sinnesorganen, wie sie in der Welt der Sinneswahrnehmungen so sehr notwendig sind.

In das Zaubergelaß des Körperrs geschlossen, in ihn gefesselt und eingezwängt, sind wir doch nicht daran gekettet, wenn wir auch fortwährend als Gefangene denken und handeln.Denn wir wissen nicht, wie wir den im Körper wohnenden Geist von seinen Fesseln befreien und uns darüber erheben sollen. Alle Meister der früheren Zeiten haben uns einstimmig aufgefordert, „nach innen zu gehen und nach innen zu schauen“, nach dem Leitstern, dem „Licht des Lebens“, das unerschaffen und schattenlos ist und in seinem eigenen vollen Glanz erstrahlt. Es ist der einzige Hoffnungsschimmer, der uns Befreiung aus der Finsternis verheißt, die uns in desem dunklen Gefängnis umgibt. Darüber ist gesagt:

Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis
hat’s nicht begriffen.

Joh. 1,5

So schaue darauf, daß nicht das Licht in dir Finsternis sei.

Luk. 11,35

Dieses Licht wird als der „Morgenstern“ begrüßt und dient den Gläubigen als „des Fußes Leuchte“. Es beglückt Gemüt und Geist, die beide, wenn auch unwissentlich, gleicherweise davon angezogen werden. Sie beginnen, sich mit dem leuchtenden Strom des Lebens, dem hörbaren Lebensstom (Shabd), gleichsam von den Schwingen der göttlichen Musik getragen, die von dem heiligen Licht ausgeht, in die Bereiche höheren Bewußtseins - des Überbewußtseins - zu erheben. Dieses Licht wird bildhaft beschrieben als Pegasus, das weißgeflügelte Roß der Götter, oder „barq“(der Blitz), von dem es heißt, er habe den Propheten in den Himmel (almiraj) gebracht.

Die großen Meister aller Zeiten und aller Himmelsgegenden sprechen von diesem einzigartigen und wundervollen Haus, dem menschlichen Körper, dem wahren Tempel Gottes, in dem der Vater, der Sohn und der heilige Geist wohnen. Solange nicht der Sohn (der menschliche Geist) durch die Gnade eines Gottmenschen mit dem heiligen Geist (der Gotteskraft, die durch einen Gottmenschen im Fleisch offenbart wird) getauft ist, kann der verlorene Sohn, der zwischen den Wundern der wunderbaren äußeren Welt umherwandert, nicht selbst den Weg aus diesem Labyrinth zur Heimat des Vaters (Gott) finden; denn das ewige und fundamentale Gesetz lautet: „Im Fleisch (der irdenen Form) und durch das Fleisch (das fleischgewordene Wort) kommen wir zu Ihm, der jenseits des Fleisches ist“ (Augustinus). In uns ist das Licht des Lebens. Diese himmlische Lampe brennt ewig Tag und Nacht in der Kuppel des Körpertempels. „Wer immer durch dieses Licht der Lichter in höhere Bereiche gelangt, erhebt sich ungebunden.“ Dies ist die Wahrheit und führt zur Wahrheit. „Wer die Wahrheit kennt, weiß, wo dieses Licht ist, und wer dieses Licht kennt, der kennt die Ewigkeit, und indem ihr sie (die Wahrheit) erkennt, werdet ihr frei werden“ (frei von aller unbezwinglichen Knechtschaft, dem Bedauern über die Vergangenheit, den Ängsten der Gegenwart und den Schrecken des Todes, mit denen wir ständig leben). Das Wort oder der heilige Geist ist die große Wahrheit, die der ganzen Schöpfung zugrunde liegt.“ Alle Dinge sind durch dasselbe (das Wort) gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist“, sagt Johannes. „Die ganze Welt ist aus Shabd hervorgegangen“, verkündet Guru Nanak. Und weiter sagt er: „Nur mit einem einzigen Wort brachte er diese gewaltige Schöpfung ins Sein, und tausend Lebensströme sind ihr entsprungen.“ In den Upanishaden finden wir: „Eko-aham, Bahu syaam“, was bedeutet: „Ich bin einer und will vieles werden.“ Die Mohammedaner nennen das Wort „Kun-fia-kun“: Er wollte es, und siehe, das ganze Universum entstand. Es ist somit die wirkende Gotteskraft (Licht und Leben - die Melodie Gottes), die alles durchdringt und allmächtig ist, die allem Sichtbaren und Unsichtbaren innewohnt und zahlose Schöpfungen ins Leben ruft und erhält. Indem er über die Schöpfung spricht, sagt uns Guru Nanak: „Ohne Zahl sind Deine Stätten; fern und unzugänglich Deine unzähligen himmlischen Ebenen.“ Selbst durch das Wort „ohne Zahl“ können wir Ihn nicht beschreiben. Die Wörter „Zahl“ und„zahllos“ sind in der Tat von geringer Bedeutung für den Allmächtigen. Er, der allem innewohnt und das Leben der Schöpfung selbst ist, kennt jedes ihrer kleinsten Teilchen.

Um das höhere Leben, das Leben des Geistes, besser zu verstehen, muß man die Grenzen des irdischen Lebens tatsächlich überschreiten, durch die Pforte des sogenannten Todes gehen und in die geistige, unirdische Welt jenseits davon wiedergeboren werden. „Was vom Geist geboren wird, das ist Geist. Laß dich’s nicht wundern, daß ich dir gesagt habe: Ihr müsset von neuem geboren werden.“ (Joh. 3,6-7). Diese Verbindung mit dem ‘Licht des Lebens’, das im Innern durch einen Gottmenschen offenbart wird, setzt den Wanderungen der Seele in dem sich ewig drehenden Rad der Geburten und Wiedergeburten ein Ende. Es heißt, daß die gesamte Schöpfung in acht Millionen vierhunderttausend Schöpfungsarten (84 lakhs) eingeteilt ist: 1) 900 000 Geschöpfe des Wassers, 2) 1 400 000 Geschöpfe der Luft, 3) 2 700 000 Insekten, Nagetiere, Reptilien usw., 4) 3 000 000 Bäume, Sträucher, Kräuter und andere Pflanzen sowie Schlinggewächse usw., 5) 400 000 aller Arten von Verfüßlern und anderen Tieren, dann die Menschen, einschließlich der Götter und Göttinnen, der Halbgötter und göttlichen Kräfte, der Dämonen und umherziehenden Geistwesen usw. Ein ‘jiva-atman’ oder eine individuelle Seele bleibt durch die zwingende Kraft der karmas und der Eindrücke, die von einem Leben zum anderen gesammelt worden sind, so lange and den einen oder anderen stofflichen Körper gebunden, bis er befreit oder ein Atman wird. Dies ist dann der Anfang zum wirklichen und ewigen Leben, das aus der Verbindung mit „der Stimme des Sohnes Gottes“ kommt (das heißt mit der inneren Musik, die durch ihn offenbart wird); „und die sie hören werden (wenn sie auch gegenwärtig taub dafür sind), die werden leben (und durch sie ewig leben).“ (Joh. 2,25). Denn es heißt: „Alsdann werden der Blinden Augen aufgetan werden und der Tauben Ohren weren geöffnet werden; alsdann werden die Lahmen springen wie ein Hirsch und der Stummen Zunge wird Lob sagen. Denn es werden Wasser (des Lebens) in der Wüste (des menschlichen Herzens) hin und wieder fließen und Ströme im dürren Lande.“ (Jes. 35,5-6). „Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunkeln Wort; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, gleich wie ich erkannt bin.“ (1. Kor. 13,12). Ähnlich sagte Guru Nanak: „Wenn der Geist auf den Tonstrom abgestimmt ist, beginnt er (das Licht Gottes) ohne Augen (des Fleisches) zu sehen, (die Stimme Gottes) ohne Ohren zu hören, hält sich (an der göttlichen Musik) ohne Hände fest und geht (gottwärts) ohne Füße.“ Und der große Lehrer fährt fort: „Die sehenden Augen sehen nicht (die Wirklichkeit), aber durch die Gnade des Gurus beginnt man, (die Gotteskraft) von Angesicht zu Angesicht zu schauen. Darum kann ein würdiger und ehrfurchtsvoller Schüler Gott überall sehen.“ Unsere Sinnesorgane sind so beschaffen, daß sie uns allein in der physischen Welt helfen, und auch das nur unvollkommen; sie versagen, wenn wir auf die überirdischen Ebenen kommen. „Denn sehenden Auges sehen sie nicht und hörenden Ohres hören sie nicht, denn sie verstehen es nicht und haben ein Herz, das weder Gefühl noch Verstand hat.“ Eine vollständige und wunderbare Wandlung kommt nur zustande, wenn man lernt, sich nach innen zu wenden und sich dem Prozeß des freiwilligen Todes praktisch zu unterziehen, solange man lebt. Darum die Mahnung: Lerne zu sterben (stirb für das Erdenleben), so daß du zu leben beginnen kannst (frei und furchtlos im lebendigen Geist und frei von dem begrenzenden Beiwerk der Körperhüllen). Man muß deswegen dem „Fleisch um des Geistes willen entsagen.“ Liebt das Fleisch nicht mehr als den Geist, ist der uralte Rat des Propheten von Galiläa.

Solange wir „im Körper zu Hause sind, sind wir Gott fern.“ Und „je mehr man sich von sich selbst zurückzieht, desto näher kommt man Gott.“ Nichts in der Schöpfung ist mit dem Schöpfer vergleichbar, denn was nicht Gott ist, ist nicht. Wenn man durch die Verbindung mit der Meisterkraft, die den Körper durchströmt, das Bewußtsein von der irdischen Ebene (allgemein als Tod bekannt) auf die spirituelle Ebene verlegt (Wiedergeburt oder zweite Geburt - die Geburt des Geistes, wie es heißt,) stirbt man nie. „Wenn alle anderen euch zuletzt verlassen, werde ich euch nicht verlassen noch dulden, daß ihr zugrunde geht.“ „Wer überwindet (das Phyische übersteigt, indem er vom Menschen zum Übermenschen wird), dem soll kein Leid geschehen von dem andern Tod“ (Offenb. 2,11), denn „regiert euch der Geist, so seid ihr nicht unter dem Gesetz (von Säen und Ernten oder Ursache und Wirkung, das zu wiederholten Verkörperungen führt)“ (Gal. 5,18).

Dies alles ist keine bloße Theorie, sondern eine Tatsache, die Tatsache des Lebens, denn die Flamme des Lebens kommt mit jedem Menschen vom Augenblick der Geburt an; und jedem ist es gegeben, das Geheimnis des flammenden Tones und „die Geheimnisse des Himmelreiches“ zu vernehmen (Matth. 13,11). In dieser Wissenschaft des Jenseits haben Logik und Schlußfolgerungen keine Platz. Nur wirkliches Sehen führt zu Glauben und Vertrauen. Das Licht des Lichts, der Vater des Lichts „swayom jyoti swaroop Parmatma“ (der selbstleuchtende Gott), „nooran-ala-noor“ (das große himmlische Licht) und der Geist im Menschen (ein Funken vom göttlichen Licht des universalen Geistes, ein Tropfen des Bewußtseins vom Meer der Bewußtheit, der als individualisierter, in verschiedene Hüllen gekleideter Geist erscheint) sind alle im menschlichen Körper (narnaraini-deh); aber so seltsam es auch scheinen mag, obwohl sie einander so nahe sind, hat der eine das Antlitz des anderen nicht gesehen, da wir die öde Wildnis der Welt für unsere wahre Heimat halten. Die Meisterseelen unterrichten uns nicht nur über die Wirklichkeit und das reiche Erbe, auf das wir Anspruch haben, sondern verkünden wie Christus: „Ich will dir des Himmelreichs Schlüssel geben ...“ (Matth. 16,19). Ebenso sagt Guru Nanak: „Der Meister hat den Schlüssel zum beweglichen Haus der Seele, die an Körper und Gemüt gekettet ist. O Nanak, ohne einen vollendeten Meister gibt es kein Entkommen aus dem Gefängnis!“ Aber wie viele von uns haben ihren heiligen Versprechen Glauben geschenkt? Und wie viele von uns sind bereit, die Schlüssel des Himmels zu erhalten und anzunehmen, und nehr noch, die stählernen Pforten hinter dn Augen aufzuschließen? Noch viel weniger sind es, die das Wort (das heilige Wort) hören, von dem Christus sagt: „Wer mein Wort hört, ... ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen“ (Joh. 5,24). Und dies trotz unserer inbrünstigen täglichen Gebete, vom Wahn zur Wirklichkeit, aus dem Dunkel zum Licht und vom Tod zur Unsterblichkeit geführt zu werden. Es ist in der Tat ein seltsames Paradox, seltsamer als alle Rätsel, die die Sphinx, das Ungeheuer von Theben, den Thebanern aufgegeben hat, oder als die Rätsel des Lebens, die Yaksha, der dämonsiche Hüter des Teiches mit dem erfrischenden Wasser, den Pandava-Prinzen stellt, die einer nach dem anderen hingingen, um ihren Durst zu löschen, es aber (mit Ausnahme von Yudishtra, dem Prinzen des dharma) nicht vermochten und wegen ihrer Unfähigkeit, sie zu lösen, in Steine verwandelt wurden. Führen wir nicht tatsächlich ein ödes und starres Leben, gleichsam zu Tode erstarrt wie viele empfindungslose Dinge, und warten auf das Kommen des Friedensfürsten, damit er uns wieder zum Leben erwecke (zum ewigen Leben), indem wir die Sphinx und den Yaksha von ehedem besiegen, die drachengleich mit strengem Auge über uns wachen, damit wir nicht, angelockt durch das legendäre Goldene Vlies, wie Jason mit dem vielbegehrten Preis ihrem allgewaltigen Machtbereich entkommen? Dies ist nun das große Rätsel des Lebens, das es zu lösen gilt: denn wenn es uns nicht gelingt, ist unser kurzes Dasein hier in seiner Entwicklung behindert.

Die meisten von uns fristen nur ein animalisches Dasein; wie die Tiere führen wir ein Leben ohne jede Vernunft. Wir haben uns niemals über die Welt der Gefühle und Gedanken erhoben, die wir selbst um uns herum geschaffen haben und die uns nun in ihrem eisernen Griff gefangenhält. „Das Licht des Himmels“ ist für die meisten von uns die Erfindung menschlicher Fantasie und keine Wirklichkeit.

Obwohl Er bei uns im Körper ist,
Sehen wir Ihn nicht.
Schande über ein lebloses Leben wie dieses!
O Tulsi, ein jeder ist stockblind.

Kabir sagt uns:

Die ganze Welt tappt im Dunkeln;
wäre es nur die Sache von einem oder zweien,
könnten sie auf die rechte Bahn gebracht werden.

Nanak erklärt ebenso:

Für den Erleuchteten sind alle blind,
denn keiner kennt das innere Geheimnis.

Nanak erklärt dann, was Blindheit ist:

Nicht die sind blind, die keine Augen haben,
blind sind jene, die den Herrn nicht sehen.
Und die Augen, die den Herrn schauen, sind ganz anders.

Und wiederum heißt es:

Die Augen des Fleisches sehen Ihn nicht,
doch wenn der Meister die Augen im Innern erleuchtet,
beginnt ein würdiger Schüler, in sich die Kraft
und Herrlichkeit Gottes zu schauen.

Wie kommt es, daß wir Ihn trotz all unseren ernsthaften und wohlgemeinten Bemühungen nicht sehen?

In Finsternis gehüllt, streben wir dunkel nach Gott durch Taten, die nicht weniger dunkel sind; ohne einen vollendeten Meister hat noch niemand den Weg gefunden, noch kann man ihn finden; aber wenn man einem vollendeten Meister begegnet, beginnt man, Ihn mit dem geöffneten Auge im Gemach des Herzens zu sehen.

Nur durch eine direkte Verbindung mit dem Namen (dem heiligen Wort) erkennt man, daß außer diesem nichts zu erkennen übrigbleibt. Im Jap Ji führt der große Lehrer die zahllosen Segnungnen auf, die einem von selbst zufließen, so daß man zur Wohnstatt aller Tugenden wird:

Durch die Verbindung mit dem Wort kann man
ein Siddha*, ein Pir*, ein Sura* oder ein Nath* werden.
Durch die Verbindung mit dem Wort kann man die
Mysterien der Erde, des tragenden Bullen
und der Himmel verstehen.
Durch die Verbindung mit dem Wort werden die
irdischen Regionen, die himmlischen Ebenen
und die niederen Welten enthüllt.
Durch die Verbindung mit dem Wort können
wir unversehrt durch die Pforten
des Todes entkommen.
O Nanak, seine Ergebenen leben in ständiger
Verzückung, denn das Wort wäscht
alle Sünden und Sorgen fort.

Durch die Verbindung mit dem Wort kann man die Kräfte
von Shiva, Brahma und Indra erlangen;
durch die Verbindung mit dem Wort kann man die
Achtung aller gewinnen, ungeachtet seiner Vergangenheit;
durch die Verbindung mit dem Wort kann man die Ein-
sicht eines Yogi in die enthüllten Geheimnisse des Lebens
und des Selbst gewinnen;
durch die Verbindung mit dem Wort kann man den wah-
ren Sinn der Shastras*, Smritis* und der Veden* erkennen.
O Nanak, seine Ergebenen leben in ständiger Verzückung,
denn das Wort wäscht alle Sünden und Sorgen fort.

Durch die Verbindung mit dem Wort wird man zur
Wohnstatt von Wahrheit, Zufriedenheit und wirklichem
Wissen;
durch die Verbindung mit dem Wort erwirbt man die
Früchte des Badens an den achtundsechzig Pilgerorten*;
durch die Verbindung mit dem Wort erlangt man die
Achtung der Gelehrten;
durch die Verbindung mit dem Wort erlangt man Sahaj*;
O Nanak, Seine Ergebenen leben in ständiger Verzückung,
denn das Wort wäscht alle Sünden und Sorgen fort.

Durch die Verbindung mit dem Wort wird man zur
Wohnstatt aller Tugenden;
durch die Verbindung mit dem Wort wird man ein
Sheikh, ein Pir und ein wahrer König der Spiritualität;
durch die Verbindung mit dem Wort finden die spirituell
Blinden ihren Weg zur Verwirklichung;
durch die Verbindung mit dem Wort durchquert man das
grenzenlose Meer der täuschenden Materie.
O Nanak, Seine Ergebenen leben in ständiger Verzük-
kung, denn das Wort wäscht alle Sünden und Sorgen fort.

Wir sehen also, daß sowohl hier als auch im Jenseits das Geheimnis des Erfolges darin liegt, das „Selbst“ im Innern mit dem Überselbst oder dem Tonstrom in Einklang zu bringen, was das höchste Ziel aller Existenz ist. Nanak mahnt uns daher:

Durch großes Glück bekommt man eine menschliche Ge-
burt, und man muß das Beste aus ihr machen.
Aber man steigt auf der Stufenleiter der Schöpfung hinun-
ter, wenn man sich bewußt von der Lebensschnur im
Innern trennt.

Wer die ganze Welt gewinnt und doch Schaden an seiner Seele nimmt, befindet sich wahrlich in einer traurigen Lage. Weit davon entfernt, irgendeinen Gewinn zu haben, hat er im Gegenteil einen vollständigen, nicht wiedergutzumachenden Verlust und muß für lange Zeit leiden, ehe er wieder die Stufe des Menschen erreicht. Hat man sich erst die günstige Gelegenheit aus der Hand gleiten lassen, geht das bisher Erworbene über Bord, und man strandet hilflos auf den Riffen und Sandbänken im Strom des Lebens. Der Sturz von der höchsten Sprosse der Lebensleiter ist in der Tat ein schrecklicher Sturz.

  • Siddha: ein Mensch, der mit übernatürlichen Kräften begabt ist.
  • Pir: ein Moslem-Heiliger oder spiritueller Lehrer.
  • Sura: eine Gottheit.
  • Naht: Yogi- ein Adept in Yoga.
  • Dhaul: ein erdichteter Bulle, der angeblich Himmel und Erde trägt.
  • Shastras: philosophische Abhandlung der Hindus.
  • Smritis: die alten Hindu-Schriften.
  • Veden: Die ersten Bücher der Mesncheit und des Göttlichen.
  • Hier bezieht sich Nanak auf den Hindu-Glauben, wonach ein Bad an
    achtundsechzig Pilgerorten von allen sündhaften Handlungen reinigt.
  • Sahaj: dieses Wort bezieht sich auf den Zustand, in dem die Wirren der
    physischen, astralen und kausalen Welt mitsamt ihrem zauberhaften 
    Panorama überschritten sind und das große Lebensprinzip im Innern 
    geschaut wird.

 

 

Leben in Fülle

Diese Erde, die Arena so vieler Kämpfe und Mühen, voll krasser Gegensätze und Widersprüchlichkeiten, ein gewaltiges Panorama des Lebens in seiner Vielfalt von Formen und Farben, ist nur ein Staubkorn in dem grenzenlosen Universum des großen Schöpfers.

Es gibt kein Ende der Schöpfung;
zahllos sind ihre Lebensformen mit unterschiedlichen
Arten, Farben und Namen,
von der ewig gleitenden Feder des Schöpfers auf die 
objektive Welt niedergeschrieben.
                                                                       Nanak

Trotz aller scheinbaren Unvollkommenheit dient diese Welt einem nützlichen Zweck im göttlichen Plan, so wie ein vermeintlich unbedeutendes Rädchen in der Maschinerei eines großen Kraftwerkes. Die Natur, das Werk Gottes, ist keineswegs verschwenderisch in ihrer Planung und Gestaltung. Diese Welt ist eine Strafanstalt, ein Ort zur Besserung, eine Art Fegefeuer, ein Ort der Sühne, eine Schulungsstätte, wo die Seelen durch Erfahrung geläutert weren. Sie ist eine Zwischenstation auf dem Weg von den physischen Ebenen zu den spirituellen Bereichen. Die Mächte der Erde sind strenge Lehrmeister, die noch an das alte mosaische Gesetz von „Auge um Auge und Zahn um Zahn“ glauben. Hier werden alle Arten von Foltermethoden angewandt und harte Schläge ausgeteilt, die uns mehr als zu Recht bestrafen, ungerührt durch Mitleid und Barmherzigkeit, so daß man seine Lektionen ernst nehmen und sich allmählich von dem Weg der Welt abwenden sollte, um den Weg Gottes zu gehen. Das Leben auf Erden ist eine furchtbare Sache, trostlos „vor Angst und Schrecken“, und wir sind Kinder Gottes, die seit langer Zeit in der Wirrnis der Welt verloren sind.

Evolution ist die Natur der Lebensmonaden, und sie besteht darin, sich zu ihrem Ursprung hinzubewegen und eins mit ihm zu werden, denn wahres Glück liegt in der „göttlichen Gemeinschaft, der Gemeinschaft mit dem inneren Sein, bis wir in Licht erstrahlen, völlig verwandelt und frei vom Raum.“ Doch die Tragödie auf Erden ist, daß „wir nicht wissen, was wir sind, und noch viel weniger, was wir werden können“, denn „was wir sind, sehen wir nicht; was wir sehen, ist unser Schatten.“ Unser inneres Sein ist so nach dem Bilde Gottes geschaffen, daß es ruhelos ist, bis es Ruhe findet in Ihm. „Eine wahrhaft religiöse Erfahrung“, sagt Plotin, „besteht darin, daß die aus dem Himmel verbannte Seele in ihre wahre Heimat findet.“ Und diese Erfahrung kann die unsrige sein, wenn wir nur wissen, wie man das Selbst vom Joch des Körpers und Gemüts befreit.

Selbstverwirklichung und Gottverwirklichung sind die höchsten Ziele des irdichen Daseins. Selbstverwirklichung geht der Gottverwirklichung voraus. „Erkenne dich selbst“ war immer ein Glaubensatz bei den Alten. Zuerst legten die Griechen und nach ihnen die Römer großen Nachdruck auf „gnothi seauton“ und „nosce te ipsum“, wie sie es jeweils nannten. Beide Begriffe bedeuten Selbsterkenntnis oder Erkenntnis des Selbst in uns. Das Erkennen des Selbst oder der „atma jnana“ der Hinu-Rishis und „khud shanasi“ der Moslem-Heiligen kommt zuerst. Danach kommt die Verwirklichung und Erfahrung des Überselbst oder Gottes, Paramatman oder Rab-ul-almeen, und dies wird „Khuda shanasi“ oder Gotterkenntnis genannt.

Der Prozeß der Selbstverwirklichung, durch den das Selbst aus dem gewaltigen Irrgarten von Gemüt und Materie befreit werden kann, beginnt, wenn man sich nach innen wendet und die Aufmerksamkeit, den äußeren Ausdruck des Geistes in der sichtbaren Welt, zurückzieht. Es ist die Kunst der Umkehrung von der Welt der Sinne zu der inneren Welt und jenseits der Sinne, was mit dem Begriff „Para Vidya“ bezeichnet wird. Wahres Leben oder die Wirklichkeit erkennt man nur in einem todesähnlichen Zustand, der eintritt, wenn man die Sinnesströme bewußt vom Körper zum Augenbrennpunkt lenkt. Das Leben ist ein „aktives Prinzip, jedoch den Sinnen und der Wahrnehmung entzogen“.

Im täglichen Leben kommen bei uns alle Arten von Lust auf, die Lust des Fleisches, der Augen, Ohren und anderen Sinne - und wir werden ständig durch zahlose Bindungen, Myriaden von Wünschen und Sehnsüchten beherrscht, die aus dem Verlangen des Herzens und dem unbekannten Verborgenen in den Tiefen des Gemüts kommen. Alle Arten von Zuneigung und Abneigung, Stolz und Vorurteil, Liebe und Haß und vieles andere nisten sich dauernd, ohne daß wir es merken, in unser Bewußtsein, unser persönliches Bewußtsein, ein, verzehren unsere Energie und halten uns vom letzten Ziel und Zweck des Lebens fern, der Selbstverwirklichung. Die Unwissenheit über das Lebensziel ist eine schlimme Krankheit, die uns befallen hat. Sie ist die Ursache der Knechtschaft, der Knechtschaft der Seele in einer Welt, die „zum Bersten voll ist von Sünde und Leid.“ In uns aber ist eine Kraft, die die Seele zu neuem Leben erweckt. Wir müssen uns daher von diesem Drama hektischen Treibens abwenden und den Ruhepunkt unseres Seins im Innern des menschlichen Körpers finden, wo die alles durchdringende und vollkommen freie Kraft ihren Sitz hat. Dieser Körper ist wahrlich der Tempel Gottes, und der heilige Geist wohnt darin. Alle gegenwärtige Aktivität muß daher umgekehrt und in die entgegengesetzte Richtung gelenkt weden. Emerson hat es das „innere Anklopfen“ genannt; Präsident Truman bemerkte einmal, daß er ins Schützenloch des Kopfes gehe; denn dorthin zog er sich zurück, wenn er Frieden und Entspannung von der Bürde seines hohen Amtes suchte. Die Veden nennen es „Brahmarendra“ oder die Öffnung, durch die man eine Verbindung mit Brahma erlangen kann.

„Klopfet an, so wird auch aufgetan“, heißt es sehr bezeichnend im Matthäus-Evangelium. Dies zeigt, daß es im Körper eine Tür gibt, die in die Welt des Jenseits, das Reich Gottes, führt. Von diesem Eingang heißt es: „Und die Pforte ist eng, und der Weg ist schmal, der zum Leben führt; und wenige sind ihrer, die ihn finden.“ Wenn man diese Pforte findet und weiß, wie man hindurchgelangt, ist man persönlich überzeugt; denn nichts wird zur Wirklichkeit, solange man sie nicht erfahren hat. Der Verstand ist begrenzt und ebenso das Denken, welches auf ihm beruht. Die biblischen Texte sprechen von der Wahrheit, können sie aber nicht beweisen, geschweige denn ene Verbindung mit ihr geben. Logisches Denken ist eine Sache von Schlußfolgerungen und daher nicht unbedingt zuverlässig. Gewißheit stellt sich erst ein, wenn „das ewige Wort spricht.“ Der kürzeste, schnellste und sicheste Weg, auf dem man die Wahrheit erforscht, ist der tödliche Sprung ins Unbekannte, sagt der große Philosoph Henri Bergson. Wahrnehmung, Intuition und Denken können uns auf der Ebene des Intellekts bis zu einem gewissen Grad helfen, die Wirklichkeit zu verstehen; doch Sehen ist Glauben, inneres Sehen mit dem eigenen Auge, dem sogenannten „Einzelauge“. Von diesem Eingang oder Einlaß wissen die Menschen im allgemeinen nur wenig. Guru Nanak sagt mit Nachdruck: „Die Blinden finden nicht die Tür.“ Um die „enge Pforte“ und den „schmalen Weg“ zu finden, die zum Leben führen - zum ewigen Leben -, dem Leben des Geistes im Gegensatz zu dem des Fleisches, müssen wir von der gegenwärtigen Ausdehnung nach unten und außen ablassen und die nach außen fließenden Kräfte des Gemüts am Sitz der Seele sammeln, der hinter und zwischen den Augenbrauen liegt. Mit anderen Worten: wir müssen den Mittelpunkt unsees Seins vom Herzzentrum, wo er sich jetzt befindet, zum Augenzentrum (tisra-til oder nukta-i-sweda) verlegen und das „einfältige Auge“ entwickeln, von dem Jesus sagt: „Wenn dein Auge einfältig ist, wird dein ganzer Leib licht sein.“ Dieses „einfältige Auge“ oder „dritte Auge“, das von den Weisen verschieden als shiv netra, divya chakshu oder chashm-i-batin bezeichnet wird, verschafft einen Zugang zur spirituellen Welt - dem Reich Gottes -, das derzeit für die meisten von uns ein verlorenes Gebiet ist. Hier muß man immer wieder fest anklopfen, als ungeteilter Mensch mit voll konzentrierter und zielbewußter Aufmerksamkeit, um Zugang und Einlaß in die Astralwelt zu erlangen. Daher die Ermahnung: „Jetzt ist die Zeit, zu erwachen und liebevoll des Herrn zu gedenken.“ Wie aber soll das geschehen? Wir haben ihn nicht gesehen. Man kann sich nicht auf die formlose Leere, die er ist, konzentrieren und über sie meditieren. Im selben Atemzug geben die Weisen ihren Rat: „Lernt von einem Gottmenschen, wie man dem Absoluten näher kommen kann.“ Und was sagt der Gottmensch? „Hefte deine Aufmerksamkeit auf den Augenbrennpunkt, den Sitz von Lord Shiva (dem shiv-netra); wenn du dann eine Erfahrung vom Selbst in dir erlangst, wird zu gegebener Zeit alles andere von allein folgen.“

Die Meister sagen uns, daß die ganze Welt blindlings im dunkeln tappt und nach den flüchtigen Schatten jagt, die uns ständig täuschen und sich in Nichts auflösen, wenn wir ihnen näher kommen. Dabei liegt die Quelle aller Glückseligkeit und Harmonie unberührt im Augenzentrum, wo die Seele im Wachzustand ihren Sitz im Körper hat. Wenn man dieses Zentrum ausfindig gemacht hat, erhält man einen Zutritt und eine überbewußte Verbindung mit den Bereichen, die jenseits der äußersten Reichweite des menschlichen Geistes liegen. Mit den Sinnesorganen ausgestattet, haben wir kein anderes Mittel der Erkenntnis. Die Seele ist ohne die Sinne vollkommen, denn ihre Wirkungsweise ist direkt und unmittelbar und hängt nicht indirekt von äußeren Hilfen wie dem weltlichen Wissen ab. Wenn man diese Verbindung erhalten hat, wird man Schritt für Schritt zur wahren Heimat des Vaters geführt. Dies ist das Leben in Fülle. Der Mensch ist dreifach gesegnet, denn es ist ihm gegeben, sowohl die astrale als auch die kausale Region zu überqueren und ins Jenseits (Brahm und Parbrahm) zu gelangen, der Region immerwährender Glückseligkeit, die außerhalb der Grenzen der sich wiederholenden Schöpfung, Auflösung und großen Auflösung liegt. Doch solange man sich nicht von der Welt und ebenso von sich selbst zurückzieht, von Körper, Gemüt und Verstand, kommt man Gott in keiner Weise näher. Nur wenn der äußere Mensch stirbt (der Mensch durch Überwindung des Körpers zum Übermenschen wird), erneuert sich der innere Mensch (der Geist) und erreicht die schwindelnde Höhe des Berges der Verklärung. Man wird ein lebendiger, vom Körper und seinen Behinderungen freier Geist und fähig, eine Begegnung mit den alten Meistern wie Moses und Elias im Innern zu erfahren „und dem Herrn ein Osterlamm zu bereiten“ (Matth. 26,17 und Markus 14,12). An diesem Ort erwartet der Herr den Schüler: „Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. So jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun, zu dem werde ich eingehen und das Abendmahl mit ihm halten und er mit mir“ (Offbg. 3,20). Alle Erfahrung, die uns Johannes offenbart, erlangt er, als er in den „Geist“ verwandelt wurde; und er spricht vom Kommen des Herrn „als einem Dieb in der Nacht“ (in der Dunkelheit der Seele). Hafiz, ein persischer Mystiker von großem Ansehen, bezeugt ebenfalls: „Der Murshid kommt in der Dunkelheit mit einer Laterne in der Hand.“
„Der Weg zu Gott“, sagt der Prophet Mohammed, „ist schmler als ein Haar und schärfer als des Messers Schneide.“ Nanak beschreibt ihn als „khande-di-dhar“ (Schneide des Schwertes) und sagt ebenfalls, daß er schmäler ist als ein Haar; man muß wirklich durch eine todesähnliche Erfahrung hindurchgehen. In diesem Zusammenhang sagt Plutarch: „Im Augenblick des Todes erfährt die Seele die gleichesn Eindrücke und macht den gleichen Prozeß durch, wie jene, die in die großen Mysterien eingeweiht wurden.“ Aber wie viele von uns sind vorbereitet, den Todesvorgang bei Lebzeiten zu erfahren? Wir haben alle eine entsetzliche Angst vor dem Tod. Und warum haben wir sie, wenn wir doch genau wissen, daß er das notwendige Ende aller erschaffenen Dinge ist? Man braucht nicht lange nach den Gründen zu suchen. Erstens haben wir noch nicht gelernt, während des Lebens „willentlich zu sterben“, und zweitens wissen wir nicht, was nach dem Tod geschieht. Wohin werden wir gehen? Was liegt hinter dem Tor des Todes? Aus diesem Grund erfüllt uns der Tod mit Grauen; und die bloße Vorstellung von ihm hält uns in einem Zustand großer Furcht:

Die ganze Welt hat schreckliche Angst vor dem Tod,
und jeder möchte endlos leben.
Wenn man durch die Gnade des Gurus im Leben zu
sterben lernt,
erkennt man die göttliche Weisheit.
O Nanak, wer einen solchen Tod stirbt,
erlangt die Gnade ewigen Lebens.

Somit ist der Tod letzten Endes kein furchterregendes Ereignis. „Wie schön ist die göttliche Philosophie, nicht streng und schwer verständlich, wie die Unwissenden meinen, sondern lieblich und wohlklingend wie die Laute Apolls und eine immerwährendes Fest nektargleicher Süße.“ Sie öffnet in Wirklichkeit neue Ausblicke und Horizonte jenseits des Grabes oder der Flammen des Scheiterhaufens, die die sterblliichen Überreste vrschlingen, begraben und auslöschen. „Du bis Staub und wirst wieder zu Staub werden“ bezieht sich nicht auf die Seele. Das Lebensprinzip, das tatsächlich in uns wie in jedem anderen Lebewesen zu finden ist, stirbt niemals. Lediglich die aus den Elementen bestehenden Teile erfahren einen Wandlungsprozeß, den wir irrtümlich Tod nennen und fälschlich als Auflösung verstehen.

„In der Natur nährt der Tod das Leben, und das Leben erhellt den Tod.“ Überall, auf allen Seinsebenen, herrscht das universale Gesetz. „Die Weisen stellen fest, daß die Erkenntnis der Wirklichkeit mit dem Auslöschen des Ich kommt (des körperlichen Ich, in dem der Geist eingekerkert ist).“ In dem Augenblick, wo der Geist freiwillig die Ketten sprengt, bricht etwas mit einer „überwältigenden Erleuchtung aus der Welt hinter der Welt über den Geist herein“ und macht ihn zum „Propheten des höchsten Gottes“. „Auf dem Berg der Verklärung gelangt man zu Offenbarungen und sieht das Verschmelzen von Himmel und Erde.“ Hier wird man gewahr, „daß die Dunkelheit leuchtend und die Leere fruchtbar ist.“

Jeder muß natürlich eines Tages sterben: der Mensch, die Vögel und anderen Tiere, Reiche und Arme, Junge und Alte, Gesunde und Kranke. Die Seele, die das physische Kleid anlegt, muß es eines Tages wieder ablegen. Nur der Tod ist gewiß und wirklich, während das Leben (in dieser Welt) ungewiß ist. Wir halten selten inne, um über die lange Reise nachzudenken, die unser inneres Sein noch vor sich hat. Wir beklagen im allgemeinen den Tod anderer und trauern endlos lange um sie, sind aber nicht klug genug, für unser eigenes Ende Sorge zu tragen und uns auf die letzte Reise ins große Unbekannte vorzubereiten, das uns nach dem Lebensende erwartet. Bevor wir den Todesprozeß analysieren, so nützlich und aufschlußreich das sein mag, wäre es der Mühe wert, zu erkennen, was wir sind, wer wir sind, woher wir komen, wohin wir gehen, und vor allem, welches der Sinne und Zweck des menschlichen Lebens ist.

Der Mensch ist seiner gegenwärtigen Beschaffenheit nach eine Verbindung von Körper, Gemüt und Verstand, mit einer großen Antriebskraft im Hintergrund, die Seele genannt wird. Seit langen Zeiten wurden wir geformt und eingehüllt, und so fließt unsere Aufmerksamkeit ständig durch die neun Tore des Körpers nach außen und unten - durch die Augen, die Ohren, die Nasenöffnungen, den Mund und die zwei unteren Kanäle. Wenn wir das auch nicht wollen oder absichtlich tun, so ist es uns doch zur Gewohnheit geworden. Wir sind noch nicht Herr des Hauses, in dem wir leben. Pausenlos werden wir duch Gemüt und Sinne über die verschiedenen Sinnesorgane in die weiten und abwechslungsreichen Gefilde der Sinnesfreuden hinausgezogen. Diese dauernde Gemeinschaft unserers inneren Selbst (der Aufmerksamkeit) mit dem Gemüt und den materiellen Dingen hat uns nicht nur erniedrigt, sondern bis zur Unkenntlichkeit entstellt - und nun erkennen wir nicht mehr, was wir wirklich sind. Wir haben uns so sehr mit unserem begrenzten Beiwerk identifiziert, daß wir unabhängig und getrennt davon nichts wissen.

Das Selbst muß vom Persönlichen befreit werden, indem es die Maske des wertlosen Ich, die es sich aufgesetzt hat, ablegt und nichts als das reine, einfache Selbst wird, das sich von den zahllosen begrenzenden Kräften gelöst hat: 1. dem Gemüt, das die Fähigkeit besitzt, Eindrücke zu speichern (chit), dem Denken (manas), dem folgernden Verstand (buddhi) und dem Egoismus oder der Selbstbehauptung (ahankar); 2. der physischen (ann-mai), der feinstofflichen (pranmai und man o-mai) und der kausalen (vigyan-mai und anand-mai) Hüllen oder Umkleidungen; 3. den angeborenen und natürlichen Neigungen der Rechtschaffenheit (sativa), der treibenden Unrast (rajas) oder der aus Unwissenheit geborenen Trägheit (tamas); 4. den fünf Elementen (tattvas): Erde, Wasser, Feuer, Luft und Äther, woraus die ganze physische Schöpfung besteht, und 5. den 25 verschiedenen Mischungsverhältnissen zussamengesetzten Elemten (prakritis), welche die physischen Formen oder Körper in vielfältigen Gestaltungen und Muster, Schattierungen und Farben, entsprechend dem Ergebnis der karmischen Rückwirkung, vorbereiten, Solange dies nicht erreicht ist, kann das in dem Netzwerk gefangen Selbst von seiner wahren Natur nichts wissen, geschweige denn von seiner göttlichen Abstammung und reichen Erbschaft. Dies alles kommt erst dann ans Licht, wenn es zu sich kommt und sich als das selbstleuchtende „Selbst“ erkennt.

Wir wollen sehen, was uns einige englische Dichter hierüber zu sagen haben:

Der Mensch ist eine kleine Welt in sich, die aus Elementen
und einem engelhaften Geist kunstreich erschaffen wurde.
Seine gottgleichen Eigenschaften entarteten durch seinen 
Sündenfall, und er wird beständig vom Zorn Gottes - von
Kriegen, Seuchen und Unwettern - heimgesucht. Dennoch kann
er sich eines zivilisierten Glücks erfreuen, wenn er die Welt
als Vorbereitung für die nächste betrachtet und den Körper 
seiner Seele unterwirft.
                                                                                   J. Donne

Welchen Sinn hat es, auf Unbeständigkeit zu bauen, da
doch nichts von Dauer ist in dieser Welt!
                                                                         Skelton

In dem allumfassenden Bereich des tierischen Instinkts gibt
es einen verborgenen Drang, der die erwählten Menschen dazu
treibt, sich über die animalischen Impulse zu erheben. Das
Überwinden dieser Impulse zeigt sich in völliger Interesse-
losigkeit (gegenüber allem, was der äußeren Welt zugehört).
Der Trieb des animalsichen Egos bleibt vollkommen unbeachtet;
und diese Nichtbeachtung zeigt sich darin, daß man sich
willentlich einem „selbstgesuchten Tod“ unterwirft und die 
Auslöschung des animalischen Instinkts annimmt, der sich 
gegen diese Annahme wehrt, bis auf der subjektiven Seite 
nichts mehr verbleibt als reine Bewußtheit und man in ein 
höheres Wesen ungewandelt ist, das man betrachtet ...
Nichts wird jemals wirklich, wenn es nicht auf tatsächlicher
Erfahrung beruht. Aber wie viele Philosophen sind zu dieser
Erkenntnis gelangt?

Zu diesem Zweck muß das Gemüt als Sinneskraft wieder in sich 
vereinigt (ein ungeteiltes Ganzes) werden, was der Beginn und
die notwendige Voraussetzung dafür ist, daß man sich ganz von 
ihm löst. Das Ich muß eine Einheit sein, bevor man sich gänz-
lich davon befreien kann (vom Körper, Gemüt und Intellekt).
Es ist dann ein alles erkennedner Geist, der die Gesamtheit 
des Seins unter dem Aspekt der Ewigkeit umfaßt. So wir Zugang 
in die Welt des Seins erlangen, ist uns vollkommene Einsicht
gegeben.

Es gibt eine Verbindung von Mysterium und Mysterium, der 
unbekannten Seele und der bekannten Wirklichkeit; an einer 
besonderen Stelle im Gewebe des Lebens scheint die verborgene 
Wahrheit den Schleier zu durchbrechen.

Middleton Murray

Wie wird nun dieser innnere Drang befriedigt? Der Vorgang, bei dem man ganz in den Augenbrennpunkt gelangt und dort verweilt (im Tor des sogenannten Todes), ist dem Todesvorgang teils sehr ähnlich. Man zieht die Sinnesströme freiwillig vom Körper unten zurück und bekommt eine Erfahrung von den Geheimnissen des Jenseits, in das eine Meisterseele (Sant Satguru) einen Schüler zu Lebzeiten initiiert. Er gibt eine innere Ersthand-Erfahrung der bewußten Verbindung mit dem heiligen Naam - dem göttlichen Licht und dem heiligen Tonstrom (heiligen Geist), der von der rechten Seite kommt, als niedrigster Ausdruck der Gottheit im Innern. Nur durch eigene Anstrengung, ohne Führung und Hilfe, kann man keinen Zugang zur Welt des Geistes erlangen, da man nicht einmal in der physischen Welt, von der Wiege bis zur Bahre, ohne die aktive Hilfe und Führung so vieler Lehrer auskommen kann. Hierin besteht die hervorragende Bedeutung und Notwendigkeit eines Satgurus oder Murshid-i-Kamil (vollendeter Meister und Adept in der Kunst und Wissenschaft der Seele), der kompetent ist, die Geistesströme von jeder Pore des Körpers, also der Ebene der Sinneswahrnehmungen, zurückzuziehen und sie über das Körperbewußtsein zu heben, damit man selbst den inneren Glanz der Herrlichkeit Gottes sehen kann.

Der todesähnliche Prozeß beginnt mit dem Zurückziehen der Sinnesströme vom Körper. Man hat nichts weiter zu tun, als sich ruhig, gelassen und ganz entspannt hinzusetzen, die Aufmerksamkeit am Augenbrennpunkt zu festigen und sich in Simran oder die Wiederholung der gelandenen Namen zu vertiefen, die alle Zeiten hindurch den Lebensimpuls der Meister tragen und als Paßwort für die Bereiche des Jenseits dienen. In einer solchen einfachen Haltung (asana) und in gesunder Umgebung vergißt man sich selbst und auch die lebensspendenden und lebenerhaltenden pranas (Lebensenergien), wodurch sie wie das ganze Atmungs- und Kreislaufsystem des Körpers von selbst allmählich langsamer und rhythmischer werden. Zuerst ziehen sich die Sinnesströme von den Gliedmaßen - beginnend bei den Finger- und Zehenspitzen - zurück, steigen hoch und durchqueren nach und nach die verschiedenen Körperzentren, von denen jedes der Bereich eines der fünf Elemente ist, aus denen sich der Körper zusammensetzt. Nachdem sie über das Herzzentrum hinausgelangt sind, kommen sie zum Kehlzentrum, dem Sitz von Shakti, der Mutter des Universums (der allesdurchdringenden Energie), wobei das ganze Körpersystem unterhalb der Augen empfindungslos wird; und schließlich erheben sie sich direkt zum Zentrum hinter den Augen (Aggya Chakra). An dieser Stelle werden die Sinnesströme gesammelt, finden Zugang zu dem „inneren Schützenloch“ (Brahmarendra oder der Höhlung von Brahma) und bekommen Einblick in Brahmand, das kosmische Universum. Dies ist die zehnte Öffnung im Körper, der einzige Einlaß über den neun Ausgängen. Dort muß man anklopfen, um in die oberen Reiche aufgenommen zu werden, die größer und herrlicher sind, aus sich selbst leuchten und in wunderbaren Melodien der himmmlischen Musik erklingen, die in der zurückgelassenen physischen Welt nirgend gehört wurden. Diese ist nunmehr nichts weiter als ein großes Elendsviertel voller Not und Leid. Sie verblaßt, wie Platon sagt, zu einem schwachen Abbild der Ideenwelt. Auf dieser Stufe ist der Mensch fürwahr gesegnet, da er zu der ätherischen Region, der Welt der Geistwesen, Zugang hat. Er befindet sich nun an der Schwelle der Astralwelt, in Gemeinschaft mit der strahlenden Form des Meisters (Gurudev), und sein Gurbhakti (Hingabe an den Guru) ist in jeder Hinsicht vollkommen. Wenn ein Schüler die strahlende Form des Meisters erreicht, ist die Zeit der eigenen Anstrengung vorbei. Hier nimmt der Gurudev die Seele in seine Obhut und schult sie im wahren Sinne des Wortes in Shabd-bhakti, der Hingabe an den Tonstrom, der seine wirkliche Form (Shabd-Swaroop) ist. Von da an leitet er die Seele auf der spirituellen Reise, die durch unzählige Regionen von variierender spiritueller Erhabenheit führt: durch die kausale oder instrumentale Ebene, die Saat-Welt, die ewig fruchtbare Mutter mit zahllosen großen Schöpfungen in ihrem Schoß; dann in das überkosmischen Jenseits (Par Brahmand), die Ebenen der Stille und der Großen Stille (Maha Sunn), und schließlich zu Sach Khand, wo der Formlose Eine weilt. Er ist von unbeschreiblichem Strahlenglanz (das Meer des Bewußtseins) und wird Sat Purush genannt, die erste Offenbarung des höchsten Wesens. Dieser heilige Entwicklungsprozeß ist einfach, natürlich und erfordert keine beschwerlichen Härten. Er schließt keine drastischen Kontrollen der pranas ein. Die Meister haben diese seltene Methode entwickelt und „Wissenschaft der Seele“ genannt. Man kann sie am besten unter der kompetenten und sicheren Führung eines Meister-Heiligen erlernen, er mit der Theorie und Praxis des Lebensstroms völlig vertraut ist, welcher allen erschaffenen Dingen innewohnt. Alles hervorbringt und alles erhält.

Alle Schriften der Welt bezeugen diese grundlegende Wahrheit:

Am Anfang war Prajapati (das höchste Wesen); bei
ihm war Vak (das heilige Wort), und das Wort war wahrhaftig
das höchste Brahma (Param Brahma).
                                                                                         Veden

Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und
Gott war das Wort. Dasselbe war im Anfang bei Gott. Alle
Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist
nichts gemacht, was gemacht ist. In ihm war das Leben
und das Leben war das Licht der Menschen.
                                                                            Joh. 1,1-4

Kalam oder Kalma ist das universale Schöpfungsprinzip.
Gott sprach: „Kun-fia-kun“, es werde, und von diesem
„Es werde“ kam die ganze Schöpfung ins Sein.
                                                                              Koran

Shabd ist der Schöpfer der Erde,
Shabd ist der Schöpfer des Firmaments,
Shabd ist die Quelle des Lichts,
und Shabd wohnt in den Herzen aller.
                                                   Nanak

Von diesem grundlegenden Prinzip in allem Seienden (dem Licht und Ton Gottes) gibt der Meister all denen, die auf der Suche nach der Wahrheit zu ihm kommen, eine praktische Erfahrung. Die seltene Gabe der heiligen Initiation - Erklärung der Theorie und ihre praktische Anwendung (shiksha und deeksha) - in das esoterischen Wissen und die Erfahrung von der rettenden Lebensschnur im Innern ist kein Ziel in sich selbst, sondern nur ein Anfang, ein erster Schritt auf der langen Reise der Seele in die wahre Heimat des Vaters. Wer sich für diesen Lebensweg entschieden hat, ist in der Tat begünstigt und macht die seltene Erfahrung des „Todes im Leben“; er wird ein jivanmukat oder befreites Wesen. Während er noch im Körper ist, führt er auf jeder beliebigen Ebene ein Leben in Fülle, bleibt aber immer im Einklang mit dem Willen Gottes. Ein solcher glücklicher Mensch ist ganz in der Gottheit verwurzelt und hat Verstand, Gemüt und Sinne vollständig unter Kontolle. Er ist Herr des Hauses und nicht Knecht seines Gemüts und Intellekts. Wie ein guter Lenker, der im Körperwagen sitzt, gibt er dem Intellekt die rechte Richtung an, der wiederum das Gemüt entsprechend leitet. Wird dieses dann auf dem Pfad der Rechtschaffenheit geschult, weigert es sich, von den Sinnen beherrscht zu werden, die allmählich ihren Einfluß verlieren und aufhören, vom Blendwerk der Sinnesgegenstände angezogen zu werden. Dadurch wird der ursprüngliche Ausdehnungsprozeß umgekehrt, und man kommt zu innerer Ruhe, so daß die reglosen Wasser des Gemüts das Licht Gottes widerzuspiegeln beginnen. Darin erfüllt sich die uralte Weisheit: Solange die Sinne nicht bezwungen, das Gemüt beruhigt und der Verstand ausgeglichen sind, kann man die Herrlichkeit Gottes nicht sehen.

Diese reiche Erfahrung eines Lebens in Fülle wird zweite Geburt oder Geburt des Geistes genannt. Im Gegensatz zur Geburt des Fleisches. Geführt durch den Geist, lebt und wandelt man im Geist, gibt alle sinnlichen Begierden auf und durchbricht das unerbittliche Gesetz von Ursache und Wirkung oder karma, das alle anderen in ständiger Knechtschaft hält. Wenn man auf dem Pfad täglich fortschreitet, öffnen sich neue Ausblicke unbeschreiblicher Freude und Glückseligkeit. Ein anderer Gesichtskreis tut sich auf, der die Ganzheit alles Seienden umfaßt und zu immer größerer Bewußtheit führt, erst persönlicher, dann supramentaler, darauf kosmischer und schließlich superkosmischer Art.

Losgelöst von allen Fesseln des Gemüts und der Materie, erfreuen sich die befreiten Seelen im Leben des Geistes immerwährender Glückseligkeit und betrachten das Leben nun von einer ganz anderen Warte aus. Die gewaltige Schöpfung wird zur Offenbarung des einen Lebensprinzips, das überall in ihnen, um sie herum und in allem, was beseelt oder unbeseelt ist, pulsiert. Die Welt, die man jetzt wahrnimmt, ist völlig verschieden von der, die wir bisher kannten. Sie erscheint nun als die wahrhaftige Wohnstatt Gottes, und man sieht Gott in ihr, in jedem ihrer Teile, denn alle geschaffenen Dinge sind wie Blasen im unendlichen Meer des Lebens. Von da an lebt und stirbt man für den Herrn. Wie Paulus wird man „in Christo gekreuzigt“ (fana-filsheikh), und Christus lebt in einem. Durch die wiederholte Erfahrung des Todesvorgangs „ist der Tod verschlungen in den Sieg“ (Gal. 2,19), der Vater und der Sohn werden eins. Während der äußere Mensch aus Fleisch und Blut bestehen bleibt und weiterlebt, um das Netzwerk des Lebens zu Ende zu knüpfen, wird der innere Mensch (der Geist im Menschen) erneuert und nimmt mit der Zeit an Kraft und Erhabenheit zu. Darum sagt Thomas a Kempis:

Entsage dem Fleisch um des Geistes willen.
Lerne zu sterben, damit du zu leben beginnen kannst.

In diesem Zusammenhang haben wir die Worte Kabirs:

Der Tod, vor dem die ganze Welt zurückschreckt, ist mir
willkommmen als ein Vorbote vollkommenen Friedens und Glücks.
Stirb und sei tot für die Welt; einen solchen Tod
erfahre ich viele Male am Tag.

In allen vier Evangelien findet sich ein Reihe ähnlicher Hinweise:

Wer sein Leben findet, der wird’s verlieren;
und wer sein Leben verliert um meinetwillen und des
Evangliums willen, der wird’s behalten.
Denn wer sein Leben behalten will, der wir es verlieren;
wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s
erhalten.
                                                           Luk. 9,24 u. 17,33

Wer sein Leben liebhat, der wird’s verlieren;
und wer sein Leben auf dieser Welt haßt, der wird’s
erhalten zum ewigen Leben.
                                                                Joh. 12,25

Dadu, ein bekannter Heiliger sagt:

O Dadu, lerne zu sterben, ehe dich der Tod übermannt.
Welchen Nutzen hat es, wenn du sterben mußt?

Dasselbe sagt Guru Nanak:

Nanak, praktiziere einen solchen Yoga, der dich lehrt,
im Leben zu sterben.

Auch der Prophet Mohammed ermahnte seinen unmat oder die Gläubigen, die Kunst des Sterbens vor dem Tod zu üben: „Stirb vor dem Tod - mautoo-qibalantu-mautoo“. Die Moslem-Mystiker wie Khawaja Hafiz, Shamas-i-Tabrez und Maulana Rumi haben mit großem Nachruck die Bedeutung einer so einzigartigen Erfahrung betont:

Solange du dich nicht über die Ebene der Sinne erhebst,
weißt du nichts vom inneren Leben.
Du hast noch ander Kleider neben dem äußeren Ge-
wand, warum hast du Angst, den Körper zu verlassen?

Man könnte den Aussprüchen zu diesem Thema beliebig viele andere hinzufügen. Nehmen wir zum Schluß noch eine Stelle von Earl R. Wassermann:

Viele sind nur unvollkommene Teile des Einen; und der
Tod eröffnet das ungeteilte und daher unbegrenzete spiritu-
elle Leben. Das Leben nach dem Tod ist daher eine spiri-
tuelle Existenz, denn der Tod, der den Dom aus vielfarbi-
gem Glas zerstört, erlaubt der Seele, „sich über die Schat-
ten der Nacht zu erhaben“, anstatt im Innern zu wirken
und das organischen Sein auszulöschen. Was dann als
physische Zerstörung erscheint, erweist sich als Unsterblich-
keit des Geistes. Was wir Leben nennen, ist Zerfall. Deshalb
wird das strahlenden Licht der Ewigkeit durch die irdische
Begrenzung, die vergängliche Atmosphäre, verfärbt. Die auf-
erstandene, mit dem Einen wiedervereinte Seele, nicht dagegen
der Schatten des Todes oder die physische Materie, ist im
wahren Sinne des Wortes enthüllt und dehnt sich in der ganzen
Natur aus, denn die letzte Wirklichkeit ist überall Geist ...
Wäre die Atmosphäre der Sterblichkeit entfernt, würde der
Mensch erkennen, daß das eine bleibt und „das Licht des
Himmels ewig erstrahlt“; daß Tag und Nacht, Leben und Tod,
der Abend- und der Morgenstern eins sind ... und die letzte
Wirklichkeit des irdischen Lebens und der Ewigkeit nach dem
Tod der Eine Geist ist ... Diese Erkenntnis, daß das ver-
gängliche und das unvergängliche Leben geistig überein-
stimmen, hebt die Gegensätze wie Leben und Tod schließlich
auf. Denn der Eine erstrahlt „durch den Wandel der Zeiten
hindurch unvergänglich im selben Licht.“

Er sagt dann:

Lerne, unerschrocken in den Abgrund des Todes zu gehen, denn
wo das vergängliche Dasein endet, beginnt das spirituelle
Leben. Beim Tod erhebt sich die auferstandene Seele über die
Schatten der Nacht und vereinigt sich wieder mit dem Unwan-
delbaren.

In gleicher Weise spricht der Prophet Mohammed vom Tod im Leben:

Ein solcher Tod wird dich nicht ins Grab bringen,
sondern aus der Finsternis zum Licht führen.
So lerne, täglich zu sterben, indem du dich über den
Körper erhebst.

Wenn ein Mensch lernt, über das Menschliche in sich hinauszugelangen, kommt der Meister in seiner strahlenden Form, um der Seele auf dem Weg in ihre wahre Heimat zu helfen, indem er sie auf den höheren Ebenen führt, sowohl während des Lebens als auch danach, wenn die sterbliche Hülle abgelegt ist. In diesem Zusammenhang sagt Guru Nanak:

O Nanak, löse alle Bindungen vergänglicher Natur
und suche die wahre Freundschaft eines Heiligen;
denn alle anderen verlassen dich schon bei Lebzeiten,
während er bis zuletzt und noch darüber hinaus
unerschütterlich zu dir steht.
Ergreife die Wahrheit, indem du den Weisungen eines
Satgurus folgst.
Sei wahr zu ihm, und er wird dir bis zuletzt beistehen.

Ähnliches sagt ein Moslem-Heiliger:

Ergreife den Saum seines Kleides, o mutige Seele,
denn er steht fürwahr über allen Welten,
hier und im Jenseits.

Auch in den Evanglien finden wir:

Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.

Ich will dich nicht verlassen noch versäumen.

Auf diese Weise ist die höchste Mission des menschlichen Lebens vollendet und die Fülle des Lebens erfahren. Es ist die Verbindung des „Ich“ mit dem „Selbst“, das sich mit der rechten Hilfe und Führung einer Meisterseele von den Disteln und Dornen des weltlichen Lebens löst, die diese Erfahrung allen gleicherweise gewährt, ungeachtet des Geschlechts, Alters, Berufs, der Religionszugehörigkeit un der gesellschaftlichen Stellung aufgrund von Abstammung, Stand, Hautfarbe und Glaubensbekenntnis. Der Geist muß den falschen Schein der selbstgeschaffenen und selbstprojizierten Persönlickeit ablegen, mit dem er sich unwissentlich umgibt. Erst wenn man ein reiner, von der Liebe zu allen geschaffenen Dingen freier Geist geworden ist, kann man sich am Leben des Schöpfers, einem Leben der Fülle und Glückseligkeit, erfreuen.

 

 

Der Tod in Knechtschaft

In der Natur folgt dem Leben der Tod, und aus dem Tod geht das Leben hervor. Der Tod als das Ende des Lebens in einer Form ist nur der Beginn zu neuem Leben in einer anderen, und dies im allgemeinen auf einer höheren Seinsebene als vorher und in einer besseren und geeigneteren Umgebung.

Evolution ist das Gesetz des Lebens und besteht darin, die in der Geist-Materie verborgenen Möglichkeiten zu entfalten. Sie umfaßt in ihrem Bereich nicht nur die Entwicklung der Geist-Materie, die auf ihrem weiteren Weg plastischer und durchsichtiger wird, sondern auch die Entfaltung der Formen von den Mineralien bis zum Menschen und zuletzt die Ausdehnung des Selbstbewußtseins. Die sogenannte tote Materie ist nicht wirklich tot, wenn sich auch die Energie in ihr für eine gewisse Zeit in einem erstarrten Zustand befindet.

Ein abgetragenes Kleid, das seinen Zweck erfüllt hat, wird weggeworfen und durch ein neues ersetzt, in der Machart, die einem am besten gefällt. Dies ist das Gesetz von Mutter Natur, der Schöpfung Gottes. Der gütige Vater, heißt es, hat bestimmt, daß seine Kinder haben können, wonach sie sehnsüchtig verlangen.

Indem der erhabene Herr des Universums für das Lebensnotwendige auf Erden sorgt, für Liebe, Licht und Leben und alles, was dazugehört, wie Erde, Wasser, Sonne. Luft und Raum mit allen Mitteln der Erhaltung, ist er über alle Maßen großzügig. Er gewährt dies allen frei, wenn auch jedem nach seinem Bedarf und entsprechend seinem Abstieg. Seine Gaben sind zahllos und unerschöpflich, und zu allen Zeiten hat der Mensch in verschiedener Weise davon gelebt. Nicht zufrieden mit ihrer grenzenlosen Fülle, verlangt er nach mehr - mehr Gold und Silber, mehr Wohlstand und Bequemlichkeiten des Lebens, mehr von allem, was es gibt, und unaufhörlich kämpft er darum und müht sich dafür ab. Anstatt dem Herrn für alles, was er uns in seiner Güte gegeben hat, dankbar zu sein, verwünschen wir uns selbst, fluchen auf jene, die bessergestellt und reicher sind als wir, beschimpfen die unschuldigen Sterne und zögern nicht, mit scharfen Worten über unser Los oder Schicksal zu murren und zu klagen, das wir durch unsere eigenen Handlungen geschaffen haben. „Trotz aller Besitztümer verliert man seinen Kopf für einen Hungerlohn.“

Das menschliche Leben ist ein großes Vorrecht, ein seltenes Gut und ein Segen. Es wird einem zuteil, nachdem man einen langen Entwicklungsprozeß von endloser Dauer durchgemacht hat. Dies ist eine günstige Gelegenheit, die Reichtümer der Spiritualität anzuhäufen, die in uns verborgen liegen und von denen wir kaum wissen. Doch die meisten von uns trachten nach vergänglichen und unwesentlichen Dingen, nach den Sinnesfreuden des Erdendaseins und nicht nach wahrem Glück. Wegen dieser kurzlebigen flüchtigen Vergnügungen, die wir erlangen oder nicht, versuchen wir auf jede Weise, ehrlich wie unehrlich, Himmel und Erde in Bewegung zu setzen, wobei wir in den meisten Fällen teuer, ja selbst mit unserem Leben dafür bezahlen, und wir verlassen die Bühne des Lebens mit tiefem Bedauern um der einen oder anderen Sache willen und wegen der unehrenhaften Mittel, derer wir uns bedienten, sowie der Sorgen, die uns unsere Unternehmungen bereitet haben.

Die Natur ist nicht maßlos in ihren Plänen und Zielen. Wie man denkt, so wird man. Unsere Empfindungen und Gefühle, Gedanken und Leidenschaften, Wünsche und Bestrebungen vergehen nicht mit dem Tod unseres Körpers. Sie bilden ein inneres Gewand (den Astralkörper), ein Kleid unter dem physischen Mantel; und der darin eingeschlossene Geist umgibt sich mit einer weiteren Hülle, indem er die karmischen Saaten anzieht, die im Saatkörper, dem kostbaren Schatzhaus, lagern. Es ist dieser kausale oder Instrumentalkörper mit seine gewaltigen Hilfsmitteln, der seinem Bewohner, dem Geist, hilft, eine neue Form zu schaffen, ein neues Tabernakel des Fleisches. Als geeigneteres Gefäß mag es zur Erfüllung dessen beitragen, was im unbewußten Selbst an oberster Stelle liegt. Schließlich hebt sich der Vorhang und gibt das ganze Panorama des Lebens bis in alle Einzelheiten frei, bevor man diesen Schauplatz verläßt. Auf dem Totenbett wird man vielleicht einen Schimmer der Wirklichkeit gewahr, aber dann ist es zu spät, sie zu begreifen. Dieser Prozeß wirkt unablässig fort und gibt am Ende jeder Lebensspanne auf Erden dem Rad des Lebens und des Todes mit seinen natürlichen Begleitern wie Freude und Leid, Wohl und Weh, Höhen und Tiefen, neuen Antrieb. Es bewegt sich in unendlichen Kreisläufen, da man mit dem, was man während seines irdischen Daseins erhält, nie zufrieden ist und fortfährt, neue Hoffunungen und Wünsche zu nähren - oft vermischt mit Bedauern über das, was man ersehnte, aber nicht bekam. Ohne es zu wissen, ist man ständig damit beschäftigt, die Drachensaat zu säen, und bringt ein Leben nach dem anderen damit hin, die selbst begonnenen Schlachten mit selbst aufgestellten Kriegerscharen auszutragen, die sich einem, den ungezähmten Furien oder Rachegeistern gleich, wie Schatten an die Fersen heften. Wie ein Töpfer stellt die Natur in Form von vielen Tongefäßen ein Mittel nach dem anderen bereit, um den unstillbaren Durst und die Erwartungen jedes einzelnen zu befriedigen. Von zahllosen Wünschen niedergedrückt, macht man sich selbst zum Sklaven. Ohne sie könnte man sich seiner Gottheit erfreuen. Denn was ist der Mensch? - Gott plus Wünsche. Und was ist umgekehrt Gott? - Mensch ohne Wünsche.

Der grooße Dichter und Philosoph William Wordsworth (1770 - 1859) entwirft in seiner denkwürdigen Ode über die Unsterblickeit ein schönes Bild des heranwachsenden Kindes:

Die mit uns aufsteigt als des Lebens Stern,
die Seele: hatte Heimat einst besessen
woanders - kommt von fern:
nicht ganz erinn’rungslos
und völlig nackt und bloß:
wir kommen, goldnen Wolkenzügen gleich,
aus unsrer Heimat, Gott.
Der Himmel liegt auf unserem Kinderreich!
Stet um den Knaben, der heranwächst, schließt
sich Kerkerschatten dann ...
Die Erde füllt den Schoß mit eigner Lust;
Sehnsüchte hat sie ihrer eignen Art;
und wie mit mütterlichem Herzen spart
die Amme nichts von ihrer Pracht
(nicht schlimmen Ziels bewußt),
daß sie ihr Pflegekind, den Menschen, ihren Gast,
den alten Glanz vergessen macht
und seine Herkunft aus der Herrschermacht Palast.

Dies ist das beklagenswerte Bild des Lebens auf Erden, wie es uns täglich vor Augen geführt wird. Obwohl wir, wie es uns vorherbestimmt wurde, immer unser gerüttelt Maß haben, sind wir dennoch unersättlich - voller Gier nach immer mehr Reichtum und Macht, mehr der flüchtigen Freuden und Sinnesvergnügungen. Weit davon entfernt, für die Gaben der Natur dankbar zu sein, „schauen wir nach vorn und zurück und nach dem, was nicht ist.“ Die Natur kann unserer unbefriedigten Gier nicht lange untätig zusehen. Wie Circe mit ihrem Zauberstab verwandelt sie uns in Schweine, damit wir genug des Unrats haben und daran zugrunde gehen. Nur ein kluger Odysseus kann mit seiner Zauberblume von Merkur (dem Götterboten) die Magierin mit ihren eigenen Waffen schlagen und seine Gefährten retten, indem er sie von Schweinen in Menschen zurückverwandelt und mit ihnen alle anderen, die von der Zauberin in vilen verschiedenen Formen, jeder seinem Wesen gemäß, gefangengehalten werden. Nicht nur hier in der lebendigen Gegenwart, sondern auch im Jenseits bestimmt die Art der vorherrschenden Leidenschaften unseren Lebenslauf.

Werfen wir nun einen Blick auf den unvermeidlichen Verwandlungsprozeß, den wir Tod nennen. Dieser Übergang von einer Lebensform in eine Andere ist ein notwendiger Bestandteil des Lebens und kommt zu gegebener Zeit, plötzlich, mit atemberaubender Schnelligkeit, gerade dann, wenn man ihn am wenigsten erwartet. Der Tod kennt keine Zeitrechnung. Niemand kann ihn vorhersehen und keiner ihm trotz aller Klugheit und List entkommen. Jedem Wesen ist seine eigene Lebensspanne zugemessen. Wir alle leben und bewegen uns in der Zeit und haben unser Sein in ihr. Wenn sie abgelaufen ist, tritt diese Umwandlung ein und vollzieht sich immer wieder, bis man über die entferntesten Grenzen der Zeit hinausgelangt ist und sich in die Zeitlosigkeit erhebt.

Der Tod ist somit etwas erschreckend Wirkliches und Unvermeidliches. Er scheint das einzig Wirkliche inmitten der Unwirklichkeit dieser Welt zu sein. Jeder, ob reich oder arm, König oder Bettelmann, jung oder alt, gesund oder krank, muß durch die Falltür des Todes gehen, ob er es will oder nicht. Man mag lange oder kurz, hundert Jahre oder nur eine Weile leben, aber man kann nicht ewig ein und dieselbe Lebensform behalten. Sie wird im Laufe der Zeit mit Sicherheit verfallen und zu einer bleiernen Last werden, als trüge man einen schweren Mühlstein um den Hals. In völliger Verzweiflung mag man dann aufschreien und in seiner Qual flehen, von der großen inneren Bürde, die an einem hängt, erlöst zu werden:

Weder Könige noch Bettler bleiben
alle gehen; jeder zu seiner Zeit.
                                     Ramkali M.1

Ein Moslem-Heiliger rät daher:

Dein ganzes Leben lang hast du den Tod anderer beklagt,
warum hältst du nicht eine Weile inne, um über dein
eigenes Geschick nachzudenken?

Ist der Tod ein schmerzvoller Vorgang? ist die nächste Frage. Bei den meisten ist es so, um eine allgemeine Antwort zu geben. Die Schriften berichten uns von dem qualvollen Schmerz, den ein Sterbender im Tod erleidet. Im Bhagvad Purana heißt es, daß die schrecklichen Todesqualen, die einem widerfahren, so groß sind, als würde man von einer Million Skorpione auf einmal gestochen. Der Koran vergleicht den Todeskampf mit der Situation eines Menschen, dem ein Dornbüschel von einem Ende des Verdauungskanals bis zum anderen gezogen wird. Die Sikh-Schriften drücken es ganz ähnlich aus: Die Lebensströme werden herausgezogen. Alle diese Darlegungen verdeutlichen nur das Ausmaß der Qual, die einer erleidet, wenn die Todesengel erscheinen, um den Geist gewaltsam aus dem Körper zu nehmen. Was in dem Augenblick tatsächlich geschieht, weiß allein der Sterbende. Niemand, der den Tod wirklich erfahren und die Grenzen des Totenreichs überschritten hat, ist je von dort zurückgekehrt, um uns Genaues über seine Leiden zu berichten. Jeder leidet für sich und wird für immer still. Auf dem Totenbett zu liegen ist eine wahre Kreuzigung, und das Sterbezimmer gleicht einem Leichenhaus. Man kann schwerlich davon unberührt bleiben, wenn sich Menschen tagelang mit einem Röcheln in der Kehle ruhelos hin- und herwerfen und auf dem Sterbelager in äußerster Agonie vor Schmerzen krümmen. Wer kann die Qualen des Todes lindern? Alle stehen hilflos dabei: die besten Ärzte verabreichen bis zuletzt Drogen, die betreuenden Krankenschwestern, die auf Zehenspitzen gehen, und die nächsten Verwandten und Freunde, weinend, mit traurigem Blick und bedrücktem Gesicht, und alle erwarten das unvermeidliche Ende. Wer hört das mitleiderregende Weinen ds armen Opfers und der Lebensgefährten, seiner Frau und der Kinder?

Während die Frau mit aufgelöstem Haar klagt,
geht die einsame Seele ihren Weg allein.
                                                                Kabir

Über Alexander den Großen (356 - 326 v. Chr.), König von Mazedonien und Eroberer der damals bekannten Welt, wird berichtet, daß man ihm prophezeit habe, er werde erst dann sterben, wenn die Erde aus Stahl und der Himmel aus Gold sei. Da keines von beidem möglich sein konnte, wähnte sich der König auf ewig in Sicherheit. Er bildete sich ein und glaubte daran, daß er wie die olympischen Götter unsterblich sei. Als er nach langen und mühsamen Feldzügen im fernen Osten auf dem Rückweg nach Griechenland war und durch eine Wüste in der Nähe von Babylon kam, wurde er von Fieber befallen. Da er sich nicht mehr im Sattel halten konnte, half man ihm abzusteigen; und einer seiner Generäle breitete sein Panzerhemd auf dem Boden aus, das mit Samt gefüttert war, und ließ den König darauf niederlegen. Über seinem Gesicht spannte er seinen goldbestickten Schirm auf, um ihn vor den sengenden Strahlen der Wüstensonne zu schützen. In diesem Augenblick erkannte der große Held so vieler Schlachten, der unbesiegbare Eroberer, daß sein Ende nahe war, denn jetzt lag er auf stählernem Boden mit einem goldenen Dach über sich. Große Bestürzung überkam ihn. Mit Tränen in den Augen wandte er sich an die besten Ärzte, die ihn betreuten, und flehte sie an, etwas zu tun, um ihn noch einmal zu retten, damit er die Heimat erreichen und seine Mutter aufsuchen könne, die er sehr liebte. Aber sie alle brachten ihre Hilflosigkeit zum Ausdruck. Er bot ihnen zuerst die Hälfte seines Königreiches an und dann das ganze, wenn sie mit ihrer ärztlichen Kunst so viel Aufschub verschaffen könnten. Doch wer konnte schon helfen, den göttlichen Ratschluß aufzuhalten? Als am zehnten Tag der Krankheit seine Generäle einer nach dem anderen durch das Zelt des sterbenden Königs gingen, nahm er von ihnen Abschied und ordnete an, daß bei seinem Begräbnis beide Hände aus dem Leichentuch herausschauen sollten, damit alle sehen konnten, daß ein großer Herrscher die Welt mit ebenso leeren Händen verläßt, wie er sie betreten hat.

Ähnliches hören wir in der traurigen Geschichte einer großen und begabten Königin, die ein gewaltiges Reich regierte. Sie wurde von ihrem Volk wegen ihrer ungewöhnlichen Schönheit verehrt und wegen ihrer Klugheit bewundert. Sie hatte eine lange Zeit gut und weise regiert. In Reichtum und Glanz aufgewachsen und von Hunderten von Dienern umgeben, konnte sie keinen Augnblick glauben, daß es so etwas wie den „Tod“ gäbe. Als ihr Ende nahte, überfiel sie tiefe Betrübnis und quälender Schmerz. Die königlichen Ärzte an ihrem Bett konnten nichts tun, um ihre Qualen und Ängste zu mildern. Da ihr der Tod ins Gesicht sah, versuchte man, sie zu trösten, und riet ihr, sich auf die letzte Reise vorzubereiten. „Wie?“ rief sie in ihrem Schrecken aus und wollte wissen, wohin sie gehen werde. „Ach, in das Land, aus dem es keine Rückkehr gibt“, war die einfache Antwort.
Sie traute ihren Ohren nicht. „Träume ich?“ fragte sie. „Nein Majestät, Ihr werdet gehen müssen.“
„Gibt es ein Land, aus dem man nicht wiederkommt? Und wenn ja, wo ist es?“

„Es ist weit von dieser Welt entfernt“, erwiderten die Höflinge. „Konntet ihr es nicht rechtzeitig für mich ausfindig machen? Und welche Vorbereitungen habt ihr getroffen, mir den Aufenthalt dort angenehm zu machen?“ fragte die Königin. „Keine, Eure Majestät.“

„Wie viele von euch werden mich in dieses Land begleiten?“ erkundigte sich die erschrockene Königin.
„Ihr werdet allein gehen müssen, ganz auf Euch gestellt“, antwortete das Gefolge.
„Wie viele Diener werde ich mitnehmen dürfen?“
„Keinen, nicht einen.“

So groß ist in der Tat unsere Unwissenheit über die Wirklichkeit des Lebens. Wir sind klug, sehr klug in den alltäglichen Dingen der Welt. Doch wie seltsam es auch anmutet, wir wissen nichts über die unerbittliche Gerechtigkeit, die uns alle erwartet, und daß wir, wie alle anderen, ganz allein und mit leeren Händen gehen müssen. „Nackt kam ich in die Welt und nackt werde ich gehen“, sagt der Hymnendichter. Dies ist das unvermeidliche Geschick aller. Weinend kommen wir in die Welt und weinend verlassen wir sie wieder. Daß wir weinend kommen, ist verständlich. Ein neugeborenes Kind weint, wenn es aus dem Mutterleib kommt, denn es wird vom Licht der Lichter, dem Licht des Lebens, getrennt, von dem es, mit dem Kopf nach unten liegend, während der Schwangerschaft erhalten wurde. Das ist der Grund, warum wir im allgemeinen nach der Geburt des Kindes für einige Nächte irgendein Licht brennen lassen; und immer wenn es schreit, wenden wir sein Gesicht diesem Licht zu, oder wir rasseln mit einer Klapper, um es zu erheitern oder zu beruhigen. Aber warum sollten wir bei unserem Weggang weinen, wenn wir doch in die Obhut unseres liebenden Vaters zurückgehen? Wir hatten die Möglichkeit, uns durch bewußte Arbeit auf dieses Ziel hin mit der Lebensschnur im Innern wieder zu verbinden. Doch unentschlossen wie wir sind, kümmern wir uns nicht darum, und die menschliche Exisenz war von der Wiege bis zur Bahre nutzlos. Wenn diese günstige Gelegenheit einmal versäumt ist, gehen wir auf der Stufenleiter unserer Existenz abwärts. Der Fall von der obersten Sprosse der Leiter ist in den meisten Fällen verhängnisvoll: die mit der Welt geknüpften und jahrelang ausgedehnten Beziehungen zu zerreißen ist schmerzlich und der Weggang äußert bitter, und dies umso mehr, als uns die fristlose Kündigung gänzlich unvorbereitet trifft. Wir wissen nicht, wie wir das Mietshaus verlassen und wo wir hingehen sollen. Die Aussicht, ins unbekannte geworfen zu werden, wofür wir das Leben nach dem Tod halten, verwirrt uns. Dies alles versetzt uns in Schrecken, einen unvorstellbaren Schrecken schlimmster Art. Deshalb heißt es:

Denke an den Tag, als du weinend in die Welt kamst,
zur Freude derer, die um dich waren.
Lebe so, daß du lachend scheiden kannst,
während alle anderen weinen und klagen.

Francis Quarles (1592 - 1644), ein Dichter der Mystik, sagt über den Tod: „Wenn du den Tod als einen Freund erwartest, sei bereit, ihn willkommen zu heißen; erwartest du ihn als Feind, bereite dich vor, ihn zu überwinden. Der Tod hat nur dann die Oberhand, wenn er als Fremder kommt.“ Hierin liegt der Unterschied zwischen der östlichen und der westlichen Denkweise über den Tod. Paulus, der den Tod als „den letzten Feind des Menschen“ (1. Kor. 15,25) bezeichnet, hat gesagt, daß er täglich sterbe (1. Kor. 15,55), und er fragt höhnisch: „Tod, wo ist dein Stachel?“ Die östlichen Weisen begrüßen ihn als Gelegenheit, sich mit dem Geliebten zu vereinigen. Die Folgerung ist jedoch in beiden Fällen die gleiche: der Tod ist uns nur dann überlegen, wenn er plötzlich und schnell wie ein unerwarteter Fremder kommt - weder als Freund, auf den man wartet, noch als gefürchteter Feind - und wir völlig unvorbereitet sind, ihn zu empfangen oder seiner Herausforderung zu begegnen. Jene, die auf ihn vorbereitet und immer gerüstet sind, lassen ihn ein, heißen ihn willkommen, betrachten ihn als Heimkehr und als Mittel zur Vereinigung mit dem Geliebten. Ein wahrer Gottliebender wird, selbst wenn er als Ketzer zum Tode verurteilt wurde, seinen Kopf freudig auf den Richtblock legen und flehentlich den Scharfrichter herbeirufen und ihn bitten, seinem Körper mit dem Schwert ein rasches Ende zu machen, da er darin das Licht seines Geliebten (Gott) widergespiegelt sieht. Denn was ist schließlich der Tod? „Der Tod“, sagt Euripides, „ist eine Schuld, die wir alle begleichen müssen.“ Wenn dies der Fall ist, warum zahlen wir dann nicht die Schuld, um für immer von der Verpflichtung frei zu sein? Der Körper ist das Lösegeld oder die Mitgift, die die Seele einbringen muß, um Befreiung vom Gesetz der ausgleichenden Gerechtigkeit zu erlangen.

Um eine gewisse Vorstellung von dem zu haben, was nach dem Tod geschieht, wollen wir noch einmal die heiligen Schriften untersuchen. Die Meister teilen die Menschheit in vier Gruppen ein. An erster Stelle kommen jene, die nicht das Glück hatten, bei einem Sant Satguru Zuflucht zu finden; und diese bilden eine beachtliche Menge. Sie müssen ganz allein gehen, jeder für sich, ohne irgendeinen Freund oder Gefährten. Alle diese Seelen haben vor dem gerechten Gott (Dharam Rai) zu erscheinen und sich seinem Urteil zu beugen. Er hält ein strenges und unnachgiebiges Gericht, ohne Mitleid und Erbarmen, nach dem Grundsatz: „Wie du säst, so wirst du ernten.“ Es wird das unerbittliche Gesetz des karma genannt, das schonungslos wirkt. Dieses Gesetz nimmt keine Rücksicht auf ungewöhnliche Umstände und duldet keine Ausnahme: „Rasse oder Standeszugehörigkeit gelten hier nicht; man erhält den Lohn entsprechend seiner Taten.“ (Asa M.3). „Einen jeglichen dünkt sein Weg recht; aber der Herr wägt die Herzen“ (Sprüche 21,2). Zur festgelegten Zeit, die keiner kennt, kommen die guten oder bösen Engel (Ramgans oder Yamgans), wie der Fall gerade liegt. Sie nehmen die Seele gewaltsam aus dem Körper, und man muß mit ihnen gehen. Sie bringen sie vor den Richterstuhl, wo jeder über seine Gedanken, Worte und Taten Rechenschaft ablegen muß. „Du Tor, glaubst du, weil kein Boswell da ist, deine Rede aufzuzeichnen, sie darum vergeht oder verborgen bleibt? Nichts vergeht, nichts kann vergehen. Das unwichtigste Wort, das du sprichst, ist eine Aussaat in die Zeit, welche Frucht trägt in alle Ewigkeit.“ (Carlyle). Jesus hat in unmißverständlichen Worten gesagt: „Ich sage euch aber, daß die Menschen müssen Rechenschaft geben am jüngsten Gericht von einem jeglichen unnützen Wort, das sie geredet haben. Aus deinen Worten wirst du gerchtferigt werden, und aus deinen Worten wirst du verdammt werden.“ (Matth. 12,36-37).

Alle Gedanken, Empfindungen und Gefühle, alle Worte, die absichtlich oder unabsichtlich ausgesprochen werden, und alle Handlungen, die man bedacht oder unbedacht ausübt,hinterlassen unauslöschliche Eindrücke (sanskaras oder naqsh-i-amal) im Gemüt, und nach dem Tod muß man dafür Rechenschaft ablegen. Es geschieht alles in einem Schnellverfahren, aber gerecht, ohne logische Zergliederung und Beweisführung, und man kann an keine höhere Instanz appellieren, noch besteht irgendeine Möglickeit, davon befreit zu werden. Wer sich sein ganzes Leben lang sündigem Tun hingegeben hat, muß in die Hölle gehen (Narak oder Dozakh), wo er für eine bestimmte Zeit die Strafe abzubüßen hat, die er nach seinen Taten verdiente, um sich dadurch von den üblen Eindrücken freizumachen und das Gesetz zu verstehen, das letzten Endes zu seinem Besten wirkt. Wenn die zugemessene Zeit vorüber ist, wird ihm, befreit von dem Übel, das jetzt abgewaschen ist, durch eine weitere Geburt Gelegenheit gegeben, ein besseres Leben zu führen, einen neuen Anfang zu machen, indem er die Fallgruben de Vergangenheit meidet. Wenn man ein Leben der Rechtschaffenheit führt, erhält man einen Platz im Himmel oder Paradies (Swarg, Baikunth oder Bahisht), wo man sich eine Zeitlang der Früche seiner guten Taten erfreut, um dann ebenfalls wieder auf die irdiche Ebene zurückzugehen. Darum bewegen sich alle Menschen, die auf dem karmischen Rade des Lebens befinden, auf und ab, von ihren eigenen Taten unaufhörlich angetrieben. Es gibt kein Entrinnen von diesem gewaltigen, sich ewig drehenden Rad, bis man durch eine günstige Schicksalswendung einem Sant Satguru begegnet, dieser einen annimmt und einem dabei hilft, herauszukommen und den Gottespfad zu betreten. Die Seelen, die aus der Unterwelt des Pluto kommen, arbeiten sich allmählich von den Mineralien zum Pflanzenreich hinauf und von dort zur Welt der Insekten und Reptilien, weiter zu den gefiederten Brüdern, dann zu den Vierfüßlern und schließlich zum Menschen.

Nachdem das Rad der Vierundachtzig durchlaufen war,
hast du den höchsten Punkt erreicht.
O Nanak, ergreife jetzt die Kraft Gottes und sei
auf ewig frei!
                                                                Shri Rag M.5

Selbst die Devas oder Gottheiten, die verschiedenen Götter und Göttinnen, von denen es heißt, daß sie in Regionen der Glückseligkeit regieren, befinden sich dort aufgrund ihrer besonders verdienstvollen Taten auf den niedrigeren Ebenen. Sobald sie den erworbenen Lohn erhalten haben, müssen auch sie in die physische Welt zurückkehren. Der gesegnete Lord Krishna, der Verehrungswürdige, erklärte einmal Udhav, einem seiner ergebenen Schüler, das Wirken des karmischen Gesetzes, indem er auf ein Insekt zeigte, das im Schmutz kroch: „O Udhav, dieses Insekt, das du vor dir siehst, ist oft Indra, der Gott des Regens und des Donners, gewesen, der wiederholte Male im Schmutz gewühlt hat. Dies ist tatsächlich das Schicksal aller.“

Selbst Avatare oder Inkarnationen, die Verkörperungen der göttlichen Kräfte, sind gegen das unbeugsame Wirken des Karmischen Rades nicht gefeit und werden zur Rechenschaft gezogen. Ein Avatar steht wie ein Soldat nicht außerhalb des Zivilgesetztes, sondern ist diesem genauso verantwortlich, wie er mit seinen Verpflichtungen dem Militärgesetz untersteht, das für seinen Stand maßgeblich ist. Selbst wenn er unter dem Befehl der Vorgesetzten seine Pflicht erfüllt, was für ihn Gesetz ist, kann er dennoch gegen eine Bestimmung des Zivilgesetztes verstoßen. Er hat sich in zweifacher Weise zu verantworten: einmal vor dem militätischen Gesetz, das ihn verpflichtet, genau auszuführen, was die Offiziere befehlen, da er sonst vor ein Kriegsgericht gestellt wird, und zum anderen vor der zivilen Verwaltung, wenn ihm nachgewiesen wird, daß er bei der Ausübung seiner Pflichten seine Befugnis überschritten hat.

Die Götter, Göttinnen und Inkarnationen der verschiedenen göttlichen Kräfte gehören daher zu dieser Gruppe, soweit das Gesetz des Karmas reicht. Totz ihrer bevorrechteten Stellung stehen sie und alle Engelscharen unter dem Gestz, nicht darüber. Deshalb verlangen auch sie nach der menschlichen Geburt, die ihnen die Möglichkeit bietet, Kampf und Mühsal zu entrinnen und zur Wohnstätte unvergänglichen Lebens und ewigen Friedens zu gelangen. Auch die großen Rishis erstreben, wenn ihr Ende naht, trotz all ihrer Härten und Bußen, die menschliche Geburt und ziehen sie den himmlischen Wohnstätten vor, wo sie als die Leuchtenden (Devas) weilen könnten. Sie tun es, weil sie nur auf diese Weise die günstige Gelegenheit haben, einem Satguru zu begegnen, von ihm Unterweisungen zu erhalten und sich über das unerbittliche Gesetz der Kausalität (oder das Gesetz von Ursache und Wirkung) zu erheben.

Helden wie Arjuna und die Pandava-Brüder - mit Ausnahme Yudishtras, des Dharam-putra (Verkörperung des Dharma), als der er gemeinhin bekannt war - wurden in die niederen Regionen verbannt, weil sie sich in einen Krieg eingelassen hatten, wenn auch in einen gerechten, wozu sie von keinem geringeren als dem gesegneten Lord Krishna veranlaßt wurden; denn sie konnten sich trotz all seinen Ermahnungen nicht von der Vorstellung lösen, selbst der Handelnde zu sein.

Von Lord Krishna selbst wird gesagt, daß er den Tod durch den Pfeil eines bhil [Urbevölkerung in Ostindien, Teil des Drawidenstammes] fand, der ihn versehentlich traf. Damit beglich er sein vergangenes Karma, das er lange Zeit vorher als Rama verursacht hatte, als er aus der Deckung eiens Baumes den unbesiegbaren Bali, einen Herrscher des Waldes, durch sein Geschick im Bogenschießen tötete. Es mag erwähnt werden, daß Rama und Krishna in verschiedenen Zeitaltern Inkarnationen von Lord Vishnu waren.

Ähnliches wird von König Dasrath, dem Vater von Rama, berichtet. Als er eines Nachts im Wald jagte, hörte er einen glucksenden Ton. Es schien ihm, als ob ein wildes Tier in dem nahegelegenen Schilf- und Binsendickicht Wasser schlürfte. Von dem Geräusch geleitet, lenkte er seinen Pfeil in die Richtung und traf einen jungen Mann names Sarwan. Dieser war zum Flußufer gegangen, um einen Einer Wasser für seine blinden und durstigen Eltern zu holen, die er in einem Korb auf seinen Schultern trug und gerade in einiger Entfernung zurückgelassen hatte. Als der König die jämmerlichen und qualvollen Schreie seines Opfers vernahm, eilte er zu dem Sterbenden, der ihm seine Lage beschrieb und ihn bat, das Waser zu seinen Eltern zu bringen. Grambeladen ging der König zu dem alten Paar und brachte ihm die Unglücksbotschaft. Sie konnten diesen plötzlichen Schlag nicht überwinden und starben, wobei sie ihr Los beklagten und dem unbekannten Täter ein Schicksal wünschten, das dem ihren glich. Zur gegebenen Zeit ereilte den König dasselbe Los, als der durch die Qualen der Trennung von seinem Sohn Rama, der für vierzehn lange Jahre verbannt worden war, dem bitteren Todesschmerz erlag. So sucht Nemesis (die Göttin der ausgleichenden Gerechtigkeit) einen jeden heim, wenn seine Zeit gekommen ist, und vergilt ihm durch das, was ihm gebührt. So kommt jeder auf seine Weise in die Welt und geht unter der zwingenden Gewalt des Karmas aus ihr hinaus in das Tal des Todes.

erden, aber aus dem einen oder anderen Grund nicht in der Lage sind, die Verbindung mit dem Wort in einem genügenden Ausmaß zu entwickeln, sei es, weil sie sich den Sinnesfreuden hingeben, oder aus Trägheit, Gleichgültigkeit oder sonst einem Grund. Ihre Stellung ist eine andere als die der ersten Gruppe. In der Todesstunde, wenn sich die Sinneströme vom Körper zurückzuziehen beginnen, oder ein wenig eher, erscheint ihnen der Satguru innen in seiner strahlenden Form, um sich der scheidenden Seele anzunehmen. Seine strahlende Form erfreut das Herz des Ergebenen, und er vertieft sich so sehr in ihn, daß alle Bindungen an die Welt wie Blätter im Herbstwind von ihm abfallen; furchtlos und voller Freude folgt er ihm in den Schatten des Todes. „Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir“, sagt der Psalmist (23,4). Und dies ist in der Tat sein Gelöbnis: „Jedermann, ich will mit dir gehen und dein Führer sein, in der größten Not will ich dir zur Seite stehen.“ Und wiederum: „Ich will dich nicht verlassen noch versäumen bis an der Welt Ende.“ Der Meister behält die Angelegenheiten des Schülers ständig im Auge. Er ist immer bei ihm in Freude und Leid. „Er steht ihm selbst vor dem Richterstuhl Gottes zur Seite“, sagt Nanak. Bei den Heiligen (Darveshs) gibt es keine Abrechnung über die Taten ihrer Schüler. Der Meister ist alles in allem, der einzige, der über die Taten des Schülers zu richten und zu urteilen hat, ob diese nun redlich oder unredlich sind; und er hält es mit ihnen, wie er es für richtig findet. „Denn wie der Vater das Leben hat in sich selber, so hat er auch dem Sohn gegeben, das Leben zu haben in sich selber, und hat ihm macht gegeben, Gericht zu halten, weil er des Menschen Sohn ist“ (Joh. 5,26-27). Aus großer Besorgtheit um den Schüler sagt Nanak mit allem Nachdruck:

Liebe den wahren Meister und erwirb die wahren Schätze;
Wer an ihn bis zuletzt glaubt, den wird der Meister
wahrhaft erretten.
Wie wandernde Geister steigen die vom Gemüt
Beherrschten auf und ab,
Tiere in Menschengestalt - ganz und gar des
Lichts beraubt.
                                                                     Malar War.1

Entfernung hat für den wahren Meister keine Bedeutung. Die Meisterkraft erscheint im letzten Augenblick oder schon früher, wo auch immer der Schüler sein mag, nah oder fern, und läßt ihn wissen, daß die unvermeidliche Stunde seines Scheidens von der Welt unmittelbar bevorsteht und der Meister daher kommt, ihn zu begleiten. Die leuchtende feinstoffliche Form des Meisters führt den Geist in höhere Regionen und weist einem jeden den angemessenen Platz zu, der ihm entsprechend seinen Sadhan oder der Praxis des heiligen Wortes bei Lebzeiten zusteht. Zugleich gibt er ihm die notwendigen Weisungen für eine weitere und bessere Entwicklung auf dem spirituellen Pfad. „In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen. Wenn’s nicht so wäre, würde ich dann zu euch gesagt haben: Ich gehe hin, euch die Stätte bereiten, so will ich wiederkommen und euch zur mir nehmen, damit ihr seid, wo ich bin.“ (Joh. 14,2-3). Wenn einer wegen seiner Nachlässigkeit bestraft werden muß, tut er das selbst, doch liefert er einen nie dem Höllenfeuer aus. Der König des Schattenreiches, der die göttliche Waage der Gerechtigkeit hält und jeden nach seinen Taten richtet, hat keine Macht über die bewährten Schüler des Meister, denn sie leben „im Namen des Herrn, der eine feste Burg ist“ (Sprüche 18,10). Es ist ihm nicht gegeben, über sie zu richten und eine Strafe zu verhängen. In allen diesen Fällen entscheidet der Meister selbst und handelt so, wie er es für richtig hält. „Der Herr hat Gefallen an denen, die ihn fürchten, die auf seine Güte hoffen.“ (Ps. 147,11). Und wiederum heißt es: „Denn welchen der Herr liebhat, den züchtigt er, denn er straft einen jeglichen Sohn, den er aufnimmt.“ (Hebr. 12,6). Kurz gesagt:

Jene, die den Meister lieben, sind niemals allein,
noch sind sie jemandem Rechenschaft schuldig oder
haben Qualen zu erleiden.
                                                          Gujri War M.3

Aber solche Initiierte, die keine Liebe für die Welt haben, werden nicht auf der irdischen Ebene wiederverkörpert, wenn der Meister es nicht aus einem besonderen Grund für notwendig hält. In einem solchen Fall geht man nicht die Stufenleiter hinunter, sondern wird in eine Familie frommer und gläubiger Eltern wiedergeboren, so daß der Neugeborene leicht mit einem Meister-Heiligen in Verbindung kommt und schon im frühen Alter seinen Weg heimwärts völlig ungehindert fortsetzt, denn die vom Sämann (dem Meister) gelegte Saat des Wortes bleibt immer in den Tiefen seiner Seele und kann nicht anders, als zu gegebener Zeit durch das Wasser des Lebens, das er mit Sicherheit von dem Meister seiner Zeit bekommt, aufzugehen, zu blühen und Frucht zu tragen. „Die Gabe des Gurus kann einem niemals genommen werden. Der sie verliehen hat, ist in der Lage, einen ans andere Ufer zu bringen.“ (Maru M.1). „Wenn ein Sant die Saat einmal gesät hat, hat keiner die Macht, sie zu vernichten.“ (Soami Ji).

Hafiz, der Mystiker und Dichter aus Persien, sagt:

Sei dessen gewiß, daß es am Tag des Gerichts
im Land der Heiligen (Darveshs) keine Abrechnung
der Taten gibt.

Shamas-i-Tabrez, ein anderer großer Mystiker Persiens, sagt:

Der Tod zerbricht den Käfig und läßt den Geist frei.
Der Tod hat keine Macht über den Phönix, der stirbt,
um sich wieder zu erheben.
Warum sollte ich nicht in meine wahre Heimat zurückfliegen?
Warum sollte ich säumen in der irdenen Form?

Und weiter:

Die Liebenden wissen, wo und wie sie sterben müssen,
sie begrüßen den Tod und nehmen ihn freudig an
als eine Gabe des Geliebten:
mit dem geöffneten inneren Auge sehen sie die Herrlichkeit
Gottes,
wo andere blindlings in die Sackgasse gedrängt werden.
Während die Liebenden glücklich dem Herrn entgegengehen,
sterben die Unwissenden einen schrecklichen Tod.
Die ihre Nächte in Gottesfurcht durchwachen,
haben nichts im Leben zu bereuen, noch zu hoffen oder 
fürchten;
während sie hier Seinen Blick der Gnade suchen,
gehen sie weiter in Seine heilige Gegenwart.

Zur dritten Gruppe gehören solche Menschen, die aus den Unterweisungen des Meisters das Beste machen, aber noch nicht die Vollendung erreicht haben, obwohl sie auf dem Weg dorthin sind. Diese Seelen kennen schon im voraus Tag und Stunde ihres Weggangs. Da sie mit dem Todesvorgang völlig vertraut sind und jeden Tag eine Erfahurng davon haben, fürchten sie den Tod nicht, denn sie kennen sein schattenhaftes Wesen. Sie erwarten im Gegenteil shnsüchtig die festgesetzte Zeit und legen die abgetragene sterbliche Hülle freiwillig ab, so wie sie sei bei ihrem Eintritt in die Welt angelegt hatten. Sie kennen einige Ebenen der höheren geistigen Welt, die sie täglich mit der Meisterkraft durchqueren, und kennen genau die Ebene, zu der sie zuletzt für ihren Aufenthalt nach dem Tode gehen müssen. Dort leben sie eine Zeitlang und arbeiten für ihren Aufstieg zu noch höheren Regionen. Sie leben ständig bewußt in der Liebe zum Meister, und die Meisterkraft ist immer in ihnen. Er ist ihre Hauptstütze und ihr Halt, und sie schulden keinem anderen Treue. „Regiert euch der Geist, so seid ihr nicht unter dem Gesetz“ (Gal. 5,18).

Nicht zuletzt kommen die vollendeten Seelen. Sie sind zu Lebzeiten befreite Wesen (jivan mukats) und leben ein freies Leben des Geistes. Sie wissen weit vor der Zeit genau, wann sie zur Wohnstatt des Herrn zurückzukehren haben, erwarten mit Freude die Stunde, in der sie aufgefordert werden, den Körper zu verlassen, und heißen die Art und Weise willkommen, in der dies zu geschehen hat, sei es am Kreuz oder am Galgen, auf glühendheißen Eisenplatten oder auf dem Richtblock. Ohne eigenen Willen leben sie im Willen Gottes und nehmen den Tod freudig an als Mittel zur Vereinigung mit dem Geliebten. Sie achten nicht darauf, ob es ein schneller oder langwieriger Todesvorgang ist, wie er manchmal von den religiösen Eiferern und tyrannischen Kirchenfürsten und Machthabern verhängt wird; denn dies ist der Zeitpunkt ihrer höchsten Wonne. Von da an führt sie jeder Augenblick dem Ende ihres Lebens zu. Es kümmert sie nicht, ob ihnen bei lebendigem Leibe die Haut abgezogen wird, ob sie in Stücke geschlagen oder am Pfahl verbrannt werden, ob man ihnen den Schierlingsbecher reicht oder sie zusammen mit Verbrechern ans Kreuz schlägt. Sie reichen dem Tod entschlossen die Hand, wenn er zu ihnen kommt, ganz gleich, in welcher Form. Dies ist der Weg, den Gurmukhs, Heilige und Propheten gehen.
Von Guru Amar Das wird gesagt, daß er, als die Zeit seines Todes näherkam, den Sangat (Gemeinschaft) rufen ließ und sich mit folgenden Worten an ihn wandte: „Ich gehe zurück zum Herrn (Hari). Niemand sollte um mich weinen. Wer es dennoch tut, wird mein Mißfallen erregen. Wenn ich gegangen bin, seid alle in die stille Musik der Seele vertieft.

Ähnlich sagte Shamas-i-Tabrez: „Am Tag meines Todes, wenn die Bahre langsam weggetragen wird, denkt keinen Augenblick, daß ich dem Leben in irgendeiner Weise nachtrauere. Wenn ihr meinen Sarg seht, sprecht kein Wort der Trennung aus, denn dann allein bin ich mit dem Herrn vereint. Wenn ich mein Gesicht von der Welt abwende, sehe ich mich der ewigen Wirklichkeit gegenüber.

Hazoor Baba Jaimal Singh Ji Maharaj hatte den Zeitpunkt, an dem er gehen würde, lange vorher vorausgesagt. Als er sich dem Ende seienr irdichen Pilgerreise näherte, sagte er: „Ich gehe zurück in meine Heimat, und niemad soll mich drängen zu bleiben. Meine Mission in diesem Leben ist beendet, und ich habe unermeßliche spirituelle Reichtümer gesammelt. Ich gehe glücklich zur Wohnstatt des Herrn.“

Es ist ein Frevel, das Ableben von Heilgien zu beweinen und zu beklagen, da sie in ihre wahre Heimat zurückkehren. Man mag, wenn man will, viele Tränen über den Tod eines weltlich Gesinnten vergießen, der vom Herrscher der Unterwelt gewaltsam aus dem Körper vertrieben und herausgezogen wird und in einem gewundenen Auf und Ab die verschiedensten Prozesse durchläuft: „O Kabir, warum einen Heiligen beweinen, der in seine Heimat zurückkehrt? Beweine, wenn du willst, einen Weltklugen, der von einem zum anderen gestoßen wird.“
Wenn Heilige zurückgerufen werden, erhalten sie nach der Vollendung ihrer Mission einen Ehrenplatz in Gottes Reich. Einen solchen Tod zu sterben ist ein seltenes Vorrecht und ein wirklicher Segen, der den Neid mächtiger Kaiser und Könige erregen könnte.

 

 

Was ist nach dem Tode?

„Und Gott sprach: Es werde Licht, und es ward Licht“ (Genesis 1,3). Und dies ist „das wahrhaftige Licht, welches alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen.“ Und das Licht ist das Leben der Menschen.
In denkwürdigen Worten wie diesen beschreiben alle Schriften den Ursprung oder die Erschaffung der Welt und all dessen, was in der Welt ist. Strahlen des Lichts, die mit der Musik des Lebens vibrieren, strömten aus dem Formlosen Absoluten Sein, um die Welt mit ihrer Fülle von Farben in zahllosen Formen und Gestalten hervorzubringen.

Wie oben, so auch unten. Der Geist und die Kraft Gottes, die in dem vibrierenden heiligen Licht offenbart sind, durchdringen alle vier großen Aufteilungen des Universums: Sach Khand, die Stätte der Wahrheit oder unwandelbaren Dauer in ihrer ursprünglichen Reinheit, worin die materielle Ursache (das Gemüt) noch verhüllt und verborgen ist; Brahmand, das Ei von Brahman, die zweite große Aufteilung des Universums, die nach dem Willen des höchsten Wesens durch das universale Gemüt in seiner elementaren Ursubstanz geschaffen wurde; als nächstes And oder die dritte große Aufteilung, Astralwelt genannt, mit dem Gemütsstoff in seiner feinstofflichen Form; und zuletzt Pind oder die physische Welt als vierte große Aufteilung, die Schöpfung des grobstofflichen Gemüts.

Während unseres Aufenthalts auf Erden vollzieht sich unser Schicksal oder unsere Bestimmung, wie es mit großer Genauigkeit nach einem fehlerlosen Plan der sogenannten pralabdh-karmas vorgesehen ist. Diese bestimmen in groben Umrissen den allgemeinen Rahmen, der Dauer und Verlauf des Lebens in jedem einzelnen Fall festlegt. Die irdische Ebene ist sozusagen eine große Verrechungsstelle oder Buchhaltung, wo jeder seine Rechnungen, die aus der Vergangenheit stammen, bezahlen muß. Und indem wir dies tun, eröffnen wir wohl oder übel neue Konten, nehmen Kredite und Schulden auf, um sie irgendwann in der fernen Zukunft einzulösen und zu begleichen, wobei niemand weiß, wie, wann, in welcher Form und unter welchen Umständen das geschehen wird. Während wir also ernten, was wir in der Vergangenheit gesät haben, bereiten wir beständig den Boden für neue Saaten, seien es gute, schlechte oder gewöhnliche. Und dies geschieht alles wahllos, angetrieben vom Gemüt und von den Sinnen.
Die Weisen nennen die irdische Ebene „karam kshetra“, den Bereich der Handlung, wo das Säen und Ernten immer weitergeht - unter der Führung und Kontrolle von Dharam Rai, dem König des Schattenreichs, der jeden Gedanken, jedes Wort und jede Tat, wie nichtig und unbedeutend sie auch immer erscheinen mögen, genau und gerecht abwägt und beurteilt und einem jeden am Ende seiner Lebensspanne Recht spricht. Guru Nanak nennt diese Region „Dharam Khand“, denn jede Pilgerseele, die dort hinkommt, muß das „Gesetz der Vergeltung und Strafe“ in seinem vollen Ausmaß erfahren, da es für alle ohne Ausnahme oder Vergünstigung gültig ist. Jeder wird nach dem Gewicht seiner Handlungen und Taten gewogen und lernt unter zeitweise harten und schweren Schicksalsschlägen die große Lektion von Brahman, dem Herrn der drei Reiche: des grobstofflichen oder physischen, des feinstofflichen oder astralen und des kausalen oder instrumentalen (Pind, And und Brahmand). Alle drei sind Zonen des universalen Gemüts mit zahllosen Ebenen und Unterebenen. Sie schließen unter anderem verschiedene Himmel und Höllen wie auch Zwischenstufen ein, die man durch seine Sinne, Gefühle und Empfindsamkeiten, Zuneigungen und Abneigungen, Liebe und Haß, Stolz und Vorurteile hervorbringt und die aus Wünschen verschiedener Art geboren werden. So schafft sich jeder seinen eigenen Aufenthaltsort, und dies nicht nur hier auf Erden, sondern auch im Jenseits; in den astralen und mentalen Welten, worin man die seit Anbeginn der Zeiten in verschiedenen Verkörperungen angesammelten Eindrücke angehäuft hat. Sie alle bleiben in der Seele, in den Tiefen des Saatkörpers, in Form allgemeiner und verborgener Anlagen zurück. Ein Teil von ihnen bildet bei der Wiedergeburt einen ätherischen Körper, der dem dichten, grobstofflichen vorausgeht. So „wird dem Schicksal Form gegeben, ehe noch das physische Gewand bereitliegt“, um die darin enthaltenen Ursachen zur Auswirkung zu bringen.

Auf ähnliche Weise nimmt die scheidende Seele beim Tod alle Lebenseindrücke mit, die sich tief in das Gemüt eingeprägt haben, wie auch die Leidenschaften, die während des ganzen Lebens vorherrschten. Sie werden nun in ihren leuchtenden Farben ausgesondert, die dem zukünftigen Bestimmungsort der Seele in der astralen und mentalen Welt der Geistwesen festlegen. Der physischen Umhüllung beraubt, entfaltet jede Seele ihre subtile Individualität und erscheint jetzt gleichsam im Licht der Mittagssonne. Die Menschen mögen sich hier beliebig lange selbst täuschen, indem sie ein frommes Gesicht machen und schöne Kleider anziehen. Es mag ihnen auch für den Augenblick gelingen, andere zu täuschen; in der Astralwelt jedoch, wo man den festen äußeren Schutz des grobstofflichen Körpergewandes nicht mehr hat, kann niemand mehr heucheln.

O Nanak, dies ist der Ort, an dem das göttliche Mysterium
zuletzt enthüllt wird.
Vollkommen ist, wer die Vollkommenheit verehrt,
und die unvollkommenen werden dort vervollkommnet.
Jene, die sterbend kommen, um wiedergeboren zu werden,
sind noch nicht vollkommen.

Die Astralwelt ist die Welt der Geistwesen oder entkörperten Seelen, die den physischen Körper abgelegt haben, aber noch in die feinstofflichen und mentalen Hüllen eingeschlossen sind. Sie wird auch „Pitri Lok“ genannt, der Ort, wo sich die Pitris oder Manen der gestorbenen Vorfahren befinden, wie oben beschrieben. Hier sind die Seelen im siebenfachen Schleier der Astralwelt gefangen und nehmen aus jeder der darin existierenden Unterebenen feinstoffliche Materie auf. Sie ernten hier die Auswirkungen der Ursachen, die sie auf Erden hervorriefen. Sie durchlaufen bestimmte Reinigungsprozesse im göttlichen Schmelztiegel, um für das Land der Strahlenden würdig zu sein, nachdem der Unrat verbrannt ist. Annie Besant (1847 - 1933), eine Schülerin von Madame Blavatsky, hat in ihrer bekannten Studie „Uralte Weisheit“ eine anschauliche Beschreibung der verschiedenen Unterebenen des von ihr „Kam Lok“ genannten niederen Unterbereichs in der Astralwelt gegeben. Wie der Name besagt, ist dies ein „Ort der Wünsche“, der nach Annie Besant sieben Unterteilungen hat, die alle mit Menschen von verschiedenem Wesen und Temperament bevölkert sind. Der Abschaum der Gesellschaft, die Schändlichsten der Schändlichen, die Mörder und Räuber, Rohlinge und Verkommenen, Menschen mit tierischen Gelüsten und viehischen Begierden, die sich, während sie auf Erden lebten, tierische Astralkörper geschaffen haben, erscheinen nun, nach dem Tod, in ihren entmenschten Formen und den ihnen eigenen Abscheulickeiten auf der untersen Ebene der Höllenregion, wo sie wild brüllend umherziehen; wütende, rasende und tobende Dämonen auf der Suche nach Mitteln zur Befriedigung ihrer unersättlichen Begierden. In dieser düsteren, widerwärtigen Umgebung bringen sie die Ernte ihrer eigenen Aussaat ein und lernen die so sehr nötige Lektion, die sie bei Lebzeiten versäumten, als sie im Auf und Ab der Lüste und Wünsche hin- und hergetrieben wurden. Die Lehren der Natur sind streng und bitter, aber auf die Dauer gesehen gnädig, da sie letztlich für ihr Wohl bestimmt sind.
Zur nächsten Unterebene kommen die Seelen, die ihren Körper mit großer Angst verlassen, die sie schwer belastet, oder solche mit einem unstillbaren Verlangen und Trachten nach Vergnügen und Genuß.

Zwei weitere Unterebenen sind für die gebildeten und denkenden Menschen, die während ihres Erdenlebens hauptsächlich mit weltlichen Angelegenheiten beschäftigt waren. Ihre Aufmerksamkeit ist mehr auf das Zukünftige als auf das Vergangene gerichtet, weil sie zu den fortschrittlich Gesinnten zählen.

Von der fünften Unterebene an verändert sich die Umgebung beträchtlich und wird im eigentlichen Sinn des Wortes astral, nämlich wahrhaftig gestirnt, mit Sternen übersät, und die Umgebung ist heiter und beglückend. Diese drei Unterebenen werden beschönigend Himmel genannt, Himmel einer niedrigeren Art, die manchmal, wie bei den späteren Juden, untere Himmel genannt werden, weil sie im Gegensatz zu den höheren Himmeln in der Unterwelt liegen.

Die religiösen und philosophischen Eiferer kommen in die materialisierten Himmel der fünften Region, die sie sich auf Erden wünschten und ersehnten - wie die ewigen Jagdgründe, die Walhalla (die letzte Ruhestätte berühmter Toter und im Kampf gefallener Helden), das freudvolle Bahisht oder Paradies der Moslems, das goldenen Neue Jerusalem mit seine Toren aus Perlen oder der Himmel der Bildung und Gelehrsamkeit.

Die höher entwickelten Seelen, wie Künstler, finden einen Platz im sechsten Unterbereich. Der siebente oder höchste ist gänzlich für die materialistisch ausgerichteten Intellektuellen bestimmt, wie führende Persönlichkeiten in Politik und Verwaltung oder Wissenschaftler, die auf Erden ausgespreochen materialisitisch waren und sich beim Erwerb ihres Wissens den Wegen der Welt verschrieben haben.

Das Leben im Kam Lok ist aktiver, die Formen sind plastischer, die Geist-Materie höher geladen und feinstofflicher, nicht zu greifen oder wahrzunehmen und dennoch durchsichtig und licht. Die Gedankenformen erscheinen und vergehen hier in rascher kaleidoskopischer Folge wegen der hohen Geschwindigkeit der Vibrationen, die von den Sinneswahrnehmungen, Empfindungen und Gefühlen hervorgerufen werden.

Ein spirituell fortgeschrittener Mensch mit einem geläuterten Astralkörper durchquert Kam Lok ohne Aufenthalt. Wer rein und maßvoll ist, wenn auch seinem Zustand nach weniger geistig, gelangt friedlich träumend hindurch. Andere, die weniger entwickelt sind, kommen in einem Bereich zu Bewußtsein, der ihrer Wirkungsstätte im Leben ähnlich ist. Diejenigen, denen ihre tierischen Leidenschaften noch anhaften (Dämonen), erwachen buchstäblich und genau jeder „an seinem Platz“, in der ihm angemessenen Region.

Diese Ebene ist heimtückisch und trügerisch. Aus dem Grunde ist es jenen, die von einem vollendeten Meister ihrer Zeit in die göttlichen Mysterien des Jenseits initiiert wurden, nicht erlaubt, sich dort aufzuhaltn, damit sie sich nicht verstricken. Sie werden im Gegenteil schnell und geschützt hindurchgeleitet, um auf höheren Ebenen Reife und Beständgikeit zu erlangen. Sie können, in sich gefestigt, zu einem späteren Zeitpunkt dorthin kommen und den verführerischen Reizen, dem täuschenden Blend- und Zauberwerk dieses Ortes widerstehen, so daß ihr Aufstieg in die spirituellen Regionen nicht behindert wird.

Von der astralen Welt der Wünsche kommen einig Seelen in eine andere Welt, die der Gedanken. Es ist eine mentale Zone (mano-mai shrishti), die vom denkenden Gemüt oder dem sogenannen manas hervorgebracht wird. Gedanken haben eine gewaltige Kraft. Jeder Mesnch schafft sich auf Erden durch die Fülle der Gedanken und Einbildungskraft sein eigenes Traumland, zu dem die Seele nach dem Tod allmählich hingelangt, um die „Luftschlösser“, wie man zu sagen pflegt, zu erleben.

Auf jeder Stufe, vom universalen Brahman mit seiner reinen Gemütsessenz bis hinunter zum einzelnen Menschen, webt sich das Gemüt seine eigene Welt und freut sich, wenn es darin wie eine Spinne im eigenen Netz gefangen lebt und hinauf und hinunter, nach rechts und nach links in dem feingesponnenen Gewebe hin- und herjagt, das sie mit einem leichten, hauchdünnen Sekret aus ihrem eigenen Leib kunstvoll gefertigt hat. So schaffen die Gedankenformen und -bilder eines jeden ein großartiges Gedankenreich, und dies lange bevor der Denkende im Körper aus dem Gefängnis der physischen Existenz in der materiellen Welt befreit wird.

Wie du denkst, so wirst du. Dies ist das Gesetz der Natur, und niemand kann sich seinem Wirken entziehen. In dieser Welt der Gedanken sind die Gedankenvibrationen der alleinige Mitteilungsweg von Seele zu Seele, und alle Seelen leben in enger Gemeinschaft miteinander. Raum und Zeit spielen dort keine Rolle. Wenn es überhaupt eine Trennung zwischen ihnen gibt, besteht diese nur im Mangel an Sympathie, nicht aus einem anderen Grund. Insgesamt ist das Leben hier reicher, erfüllter und mehr entwickelt als in allen vorangegangenen Regionen. Aber es bleibt auch hier trügerisch, da es aus dem Gemütsstoff eines jeden kommt. Niemand kann der Täuschung völlig entgehen, wenn er auch seinen eigenen Himmel in Fülle genießt, sei er groß und weit oder unbedeutend und begrenzt, wie es der Gemütsart des einzelnen entspricht. Doch bewahrt jeder inmitten des Scheins, der ihn umgibt, einen Sinn für die Wirklichkeit.

Ein Heiligtum von besonderer Bedeutung in der mentalen Welt ist Dev Lok, die Stätte der Devas oder Strahlenden. Dies sind hocherleuchtete Menschen ihrer Zeit, die in ihrem Forschen weit fortgeschritten sind. Hier befinden sich die Svargas und Baikunths der Hindus, das Sukh Vati der Buddhisten, die Himmel der Zarathustra-Anhänger und der Christen, die Arshas der Moslems höherer Denkart und die erhabenen Paradiese oder Orte der Freude bei den späteren Juden. Hier liegt der Garten Eden, aus dem der Mensch wegen seiner ersten Übertretung der Gebote von Gott vertrieben und verbannt wurde. John Milton (1608 - 74), ein großer Dichter und Genius seiner Zeit und ein politisch und spirituell tiefgründiger Denker, hat in seinem unsterblichen klassischen Werken „Das verlorene Paradies“ und „Das wiedergewonnene Paradies“ eine wunderbare Darstellung vom Sündenfall des Menschen gegeben, von seiner Auferstehung und Heimkehr zu Gott durch die Fürsprache des Menschensohnes.

Ohne sich mühsam durch die Schriften der einzelnen Religionen hindurchzuarbeiten, die sich mit den verschiedenen Bereichen menschlichen Lebens nach dem Tode befassen, ist es dennoch angebracht, noch einmal auf Brahma Vidya oder die göttlliche Weisheit zurückzukommen, die von den Griechen richtig als „Theosophia“ bezeichnet wurde und eine entsprechende Philosophie darstellt, die die Weisheit des Ostens und des Westens in sich vereint. Wenn wir uns wieder der großen Okkultistin Annie Besant zuwenden, finden wir die mentale Ebene von menschlichen Wesen bewohnt, die ihre physische und astrale Hülle abgelegt haben. Von den selbstischen animalischen Leidenschaften gereinigt, kommt jeder in diese Region, um die Früchte seiner guten Taten zu ernten, wie sie auch immer sein mögen, groß oder unbedeutend, entsprechend dem Umfang an guten Gedanken, persönlichen Bestrebungen und Wünschen, Hoffnungen und Ängsten, Neigungen und Interessen. Wir können nicht mehr haben, als wir sind, und unsere Ernte entspricht unserer Aussaat. „Irret euch nicht, Gott läßt sich nicht spotten. Denn was der Mensch säet, das wird er ernten“ (Galater 6,7). Es ist eine Welt des „guten Gesetzes“, das gerecht und gnädig ist und jedem den angemessenen Lohn oder Verdienst für seine Arbeit auf Erden zuteilt. Woran immer man gedacht hat; jedes Verlangen, das zu einer Kraft wurde; fehlgeschlagene Bemühungen - in Fähigkeiten umgewandelt; Kämpfe und Niederlagen - zu Säulen der Energie und Stärke geworden; Sorgen und Irrtümer - zur strahlenden Rüstung geschmiedet: dies alles trägt nun Frucht in einer der sieben Unterebenen oder Himmel im Lande der Mitternachtssonne, wo man zum Selbstbewußtsein erwacht und sich auch der Umgebung außerhalb seiner selbst voll bewußt wird. Die Erinnerung weitet sich in die bisher unbekannte Vergangenheit aus und bringt den Grund ans Licht, der sein Leben auf Erden formte, und ebenso die Ursachen, die er für die weite Zukunft geschaffen hat. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft geben ihm jetzt ein vollständiges Bild des Lebens, das wie ein offenes Buch nichts verbirgt und vorenthält. Hier entwickelt er ein Auge, das alles sieht, und wird im wahrsten Sinne des Wortes zum vollkommenen Seher, soweit es ihn selbst betrifft.

In dieser Himmelswelt wird der niedrigste Teil den am wenigsten entwickelten Seelen zugewiesen, die Familie und Freunde aufrichtig und selbstlos lieben und edlere, reinere und bessere Menschen als sie selbst bewundern. Ihr Lohn ist entsprechend begrenzt und unbedeutend, das Gefäß ihrer Empfänglichkeit klein. Dennoch fließt es über vor Freude, Reinheit und Harmonie, und sie werden nach einer bestimmten Zeit mit stärkeren Kräften und Fähigkeiten auf dieser Ebene wiedergeboren.

Als nächstes kommen Männer und Frauen von religiöser Gläubigkeit, die mit Herz und Sinn Gott zugewandt sind - dem persönlichen Gott ihrer eigenen Wahl, jeglichen Namens und jeglicher Form an die sie glaubten; und der Namenlose und Formlose erscheint ihnen in derselben Gestalt, in der sie ihn liebend verehren, und überschüttet sie mit hingebungsvoller Berauschung, entsprechend ihrem geistigen und emotionalen Aufnahmevermögen. Das Göttliche kleidet sich in die Form, die seinem Ergebenen vertraut ist. Es ist wirklich seltsam, daß die Menschen vergessen, daß alte Gottheiten in der menschlichen Brust wohnen. Wir brauchen uns nur nach innen zu wenden, um den Formlosen in der Form, in der wir ihn am meisten verehren, zu erblicken. Es heißt daher: „Er ist formlos, und doch sind alle Formen die seinen; nennt ihr, wie immer ihr wollt, und er wird sich euch zuwenden.“
Zur dritten Ebene kommen die aufrichtig ergebenen Seelen, die Gott im Menschen sehen, ihm dienen und ihn in seiner offenbarten Schöpfung verehren. An diesem Ort werden sie zu großen Dienern der Menschheit späterer Epochen herangebildet und mit einer großen Kraft selbstloser Liebe für sie ausgestattet.

Die Seelen überragender Geister der schönen Künste, wie Musik, Malerei und Bildhauerei, die Erforscher und Entdecker der Naturgesetze, eifrige und ehrfurchtsvolle Gelehrte, die in die Tiefen des Wissens eindringen, bekommen in der vierten Unterebene Gelegenheit, sich zu vollkommenen Lehrern künftiger Generationen zu entwickeln; und wenn sie kommen, dienen sie als Fackeltäger ihrer Zeit, in der sie ihre Spuren hinterlassen.
Als nächstes kommen drei höhere Regionen formloser Himmel. Eine große Zahl von Seelen gelangt nur zu den untersten Bereichen, wo sie ledigleich einen kurzen Aufenthalt und einen flüchtigen Einblick bekommen, entsprechend dem, was sie gesät haben. Dann gehen sie auf die irdische Ebene zurück, wo sie in das große Unbekannte eingetaucht werden.

Doch Seelen mit tiefer Denkart und idealer Lebensweise erkennen die Wahrheit genau und sofort, sehen die fundamentalen Ursachen, die grundlegende Einheit, und erfahren das unveränderliche Walten des göttlichen Gesetzes in voller Harmonie, inmitten äußerst widersprüchlicher Auswirkungen, wie es dem ungeschulten Auge erscheint, und wo „sich alle Dinge unterscheiden und doch miteinander im Einklang sind“ (Pope).

Fortgeschrittene Seelen mit einem vollkommenen, lückenlosen Gedächtnis gehen den Weg zur sechsten Unterebene. Nachdem sie die Reichtümer des göttlichen Gemüts (Brahmand) gesammelt haben, kehren sie als große Wegbereiter zurück, um den Menschen die Wege Gottes nahezubringen und ihn zu verherrlichen. Die „mächtigen Toten“ der Vergangenheit erhalten hier einen Vorgeschmack des „glorreichen Lebens“, indem sie den wirkenden Willen Brahmans in seiner Fülle sehen und bezeugen, wobei kein Glied in der Kette der Kausalität fehlt.
In die höchste Unterebene kommen die Seelen der Meister des Brahma Vidya und ihre Initiierten (Brahmacharis), denn nur ein Initiierter kann die „enge Pforte“ und „den schmalen Weg, der zum Leben führet“, finden; und so treten die wenigen Auserwählten in das Land und Leben von Brahman ein. Sie erfreuen sich dort in höchstem Maße ihrer Selbstbewußtheit, haben aber noch nicht am kosmischen Bewußtsein teil.

Am Ende gibt Annie Besant folgende Zusammenfassung: „Dies ist ein Abriß der ‘sieben Himmel’, in deren einen oder anderen die Menschen nach der ‘Umwandlung, die sie Tod nennen’, zu gegebener Zeit kommen. Denn der Tod ist nur eine Verwandlung, die der Seele eine teilweise Befreiung von ihren schwersten Ketten gewährt. Er ist nur die Geburt in ein umfassenderes Leben, eine Rückkehr nach kurzer Verbannung auf Erden in die wahre Heimat der Seele (Heimat des universalen Gemüts), indem sie aus einem Gefängnis in die Freiheit der höheren Atmosphäre gelangt. Der Tod ist die größte der irdischen Täuschungen; es gibt keinen Tod, sondern nur sich verändernde Lebensbedingungen. Das Leben geht immer weiter, ununterbrochen, unzerstörbar; es ist ungeboren ewig, uralt und beständig’; es erlischt nicht mit dem Ende der Körper, die es umhüllen. Wenn wir uns vorstellen, daß mit dem Zerfall des Körpers die Seele zugrunde geht, könnten wir ebnso gut annehmen, daß der Himmel herabfiele, wenn ein Gefäß zerbricht.

Der Lauf dr Menschheit nach dem Tod kommt in den drei Welten, der physischen, astralen und mentalen, nicht zur Ruhe. Die von der physischen Hülle befreiten Seelen werden auf dem gewaltigen Lebensrad Brahmans durch die Antriebskraft ihrer eigenen Gedanken, Worte und Taten hinauf- und hinuntergetragen. Es ist alles ein Spiel des individuellen Gemüts, das sich in seinem weitverzweigten Gebiet von der untersten physischen bis zu den mentalen Welten ausbreitet. Hier errichtet man sein eigenen Tabernakel für einen vorübergehenden Aufenthalt im Jenseits, sei er kurz oder lang, um nach den jeweiligen Erfordernissen die Lektionen von Brahman zu lernen, während man auf dem Pfad zur Vollkommenheit fortschreitet; dabei bringt jede Seele eine möglichst große Ernte ein, bevor sich die Ursachen ausgewirkt haben, die von äußeren Antriebskräften ihrer Umgebung in den verschiedenen Ebenen der beschriebenen drei Welten hervorgerufen wurden.

Der Kausal- oder Saatkörper der menschlichen Seele, das innerste Gewand, hat noch zwei weitere, sehr subtile und kostbare Hüllen darunter, einmal die buddhische (vigyanische) und zum anderen die nirvanische (anandische oder glückseligmachende). Nur eine tapfere, sehr tapfere Seele wie die des Prinzen Siddharta kann die Buddhastufe erreichen und als Buddha, der Erleuchtete, sich der Glückseligkeit des Schöpfers der drei Universen erfreuen und auf die Erde kommen, um der Welt das Gesetz des Dhamma oder Dharma zu geben, welches Wunschlosigkeit hervorhebt, um das Gemüt von allen Bindungen zu befreien und dann den achtfachen Pfad der Rechtschaffenheit zu gehen, der zur Vollkommenheit führt. Wiederum mag es ein Jain wie Tirthankara sein, der Mahavira, der Tapferste der Tapferen, der es wagen konnte, sich dem göttlichen Thron Brahmans zu nähern und der Welt das Gesetz der universalen Liebe und von Ahimsa zu verkünden, der Liebe für alle Geschöpfe, angefangen bei den winzigsten, hilflos im Staub kriechenden Insekten und den zahlosen Luft- und Wassergeistern, die in ihren jeweiligen Sphären dahintreiben und für das bloße Auge unsichtbar sind.

Auf der buddhi-Ebene entwickelt man den Aspekt der göttlichen Intelligenz und beginnt in sich das gleiche Selbst wie in allen anderen ringsum zu erkennen; man lebt genau so in diesem Selbst wie sie. So gelangt man zu der großen, fundamentalen Einheit des Seins, dem ‘Sutra-Atma’, der alles, von der Ameise bis zum Elefanten, wie viele Perlen auf der Schnur eines Rosenkranzes trägt; und dies ungeachtet der inneren und äußeren Unterschiede in Form, Größe und Farbe, die auf klimatische Bedingungen, geistige Beschaffenheit, innere Entwicklung und Wachstum zurückzuführen sind. Nun weilt die menschliche Monade, das ausgeatmete Leben Brahmans, in dem eingeatmeten Leben Brahmans, mit göttlichen Kräften und Eigenschaften ausgestattet, und trachtet nach der Glückseligkeit der Gottheit im Innern - dem Bewußtsein des Atman oder Nirvana, Sat-Chit-Ananda, dem Herz und der Seele des Universums, das nun das ihre wird, und sie ist eins mit ihm.

Es ist wahrhaftig ein langer und mühseliger Prozeß, Brahm Vidya richtig zu verstehen und dann erfolgreich zu praktizieren, Brahmand von einem Ende bis zum anderen, von der physischen Welt der grobstofflichen Materie bis zu Brahm-Lok, zu durchqueren, der Region, wo maha-maya in ihrer feinsten und subtilsten Form regiert. Brahmand ist die Offenbarung der in Om wohnenden Gotteskraft, der heiligsten Silbe vedischer Überlieferung, und somit akar oder die Form von Om (Om-kar), der Logos der Griechen und Ek-Onkar der verschiedenen Schriften.

Dies ist das letzte dem Menschen erreichbare Ziel, heißt es im Vedanta, der von den späteren Lehrern und Schriftkundigen (den Rishis der alten Zeit) verkündeten höchsten Lehren, der Frucht ihrer intenisven, in der Abgeschiedenheit schneebedeckter Berge und den Behausungen dichter Wälder erlangten meditativen Erfahrung. Brahman ist wahrlich das Leben des Universums mit den oben beschriebenen drei Welten und allem, was in ihnen ist - Triloki Nath, der Herr des dreifach ausgedehnten Lebens in seier Fülle. Wir finden ihre kurzen und bündigen Worte der Weisheit als Juwelen „reinsten, heiteren Strahls“ in den als Upanishaden bekannten Abhandlungen, die man zu Recht für Vedantas, die höchsten Stufen oder Teile des Veda, hält, die Krönung göttlicher Weisheit. Er schließt mit Maha Vakya (der großen Wahrheit): „Das bist du“, was bedeutet, daß der Mensch in seiner wahren Substanz und Wesensart Brahman ist. Wenn man diese grundlegende Wahrheit erkennt, ruft man unwillkürlich aus: „Aham Brahm asmi“ - „Ich bin Brahman“ oder „Ich und mein Vater sind eins“ oder: „Denn ich habe nicht von mir selber geredet, sondern wie mir der Vater gesagt hat“ (Joh. 12,49 - 50). Die höchste Lektion aus dem Vedanta ist, daß wir alle eins sind - eins in unserm Ursprung, eins in unserer inneren und äußeren Struktur, unseren Möglichkeiten und Kräften. Mögen diese auch noch so verborgen und verwickelt sein, sind wir doch gleicherweise fähig, sie früher oder später zu entwickeln; der Entwicklungsprozeß oder die Entfaltung des Selbst ist für alle im wesentlichen gleich. Auch das Ziel ist für die ganze Menschheit ein und dasselbe, denn wir alle verehren Brahman. Auf diese Weise geht das ausgeatmete Leben, welches das individuelle Gemüt bildet, in dem eingeatmeten Leben des universalen Gemüts, des Mahat, auf,’dem großen Gemüt des Kosmos’, dem dritten Logos oder der schöpferischen göttlichen Intelligenz, dem Brahma der Hindus, dem Manjuri der Buddhisten, dem heiligen Geist der Christen und Allah-hu der Mystiker und Sufi-Heiligen.

Hier in Brahm Lok leben die Seelen eine lange Zeit in unmittelbarer Nähe Brahmans, wo sie die Liebe, Intelligenz und Glückseligkeit dieser Wesenheit oder Kraft in sich aufnehmen; und so lang ist der Aufenthalt, daß man geneigt ist, ihn tatsächlich für die Erlösung zu halten und ihn entsprechend ‘die Flamme, die mit der Flamme (Brahmans) eins wird’ zu nennen. Aber wie lang der Aufenthalt dort auch sein mag, er ist nicht ewig, sondern währt nur solange, bis Brahmand selbst sich auflöst, das universale Gemüt sein Leben zurückzieht und alle Seelen in sich aufnimmt, wo immer sie sein mögen. Dieses Drama, das Leben zurückzunehmen und zu entfalten, Brahmand genannt, wiederholt sich immer wieder, und dasselbe große Schauspiel setzt sich in Ewigkeit fort. Die göttliche Philosophie sagt so schön darüber:

Wie bezaubernd ist die göttliche Philosophie,
nicht streng und schwer, wie die Toren glauben;
sondern wohlklingend wie die Laute Apolls,
ein ewiges Festmahl nektargleicher Süße.

Aus Brahman gehen die drei großen Mächte (Brahma, Vishnu Shiva) hervor, die alles, was in der einen oder anderen Form aus Materie oder maya besteht, erschaffen, erhalten und zerstören. Diese drei Kräfte verdanken ihre Existenz seiner Shakti oder Maha-maya, Mutter des Universums genannt, was nicht im üblichen Sinn dem Geschlecht nach zu verstehen ist, sondern noch einmal mit dem leichten, hauchdünnen Sekret der Spinne verglichen werdn kann, das nicht von außen, sondern aus dem Innern ihres Körpers kommt, oder dem Kokon, der seidenen Hülle, die sich die Larve aus feinen Fäden webt, um sich als Puppe und besonders als Seidenraupe zu schützen. Auf diese Weise bereiten wir uns im Laufe der Zeit alle möglichen Arten seidener Gewänder mit vieln Mustern und Farben, um unsere Nacktheit zu verhüllen, und finden Gefallen daran, in geborgten Kleidern zu verkümmern.

Auch Nanak bezieht sich, wenn er über das Wirken von Gottes Schöpfung spricht, auf das dreifache Prinzip des Schöpfers, Erhalters und Zerstörers, die alle als Vizeregenten den Willen des höchsten Wesens ausführen, indem sie nur als Bevollmächtigte handeln; und wie seltsam es auch seinen mag - es ist ihnen nicht gegeben, Ihn zu erkennen, das sie nur ein Teil der objektiven Welt sind, während Er, das höchste Wesen, subjektiv und formlos ist.

Die Große Mutter empfing und brachte drei
Regenten hervor:
als ersten den Schöpfer, als zweiten den Erhalter
und als letzten den Zerstörer.
Was Er will, vollbringen sie.
Sie wirken unter seinem Willen.
Doch groß ist das Wunder; denn obgleich Er
über ihnen wacht, erblicken sie Ihn nicht.
Heil, heil, Ihm allein,
dem Ersten, Reinen, Ewigen, Unsterblichen
und allezeit Unveränderlichen.

In dem gewaltigen und unermeßlichen Akt, die drei Welten in der Schöpfung in Gang zu halten, einschließlich aller Arten von Himmeln und Höllen, übt Vishnu, der zweite Mitstreiter Brahmans im großen Triumvirat oder trimurti, die Macht der Verwaltung aus. Als er (Vishnu) einmal gefragt wurde, wie es ihm gelänge, ein solch großes Schauspiel zu leiten und für die zahllosen seiner Fürsorge anvertrauten Seelen so genaue Vorkehrungen zu treffen, damit ihnen in den höheren und niederen Welten seines Herrschaftsbereiches alle Arten von Freuden und Leiden zuteil würden, lächelte er nur und sagte: „Oh, ich habe da nichts zu tun, denn wer immer in eine meiner Welten kommt, bringt seinen Teil an Freud und Leid mit und schafft sich dadurch hier auf Erden und im Jenseits seinen eigenen Himmel oder seine Hölle. Was einer auch immer in irgendeinem meiner Reiche nötig hat, dafür sorgt er selbst. Ich bin nur ein unbeteiligter Betrachter des menschlichen Dramas, sei es tragisch, komisch oder tragikomisch, wie der Fall gerade liegt, indem jeder das, was in ihm verhüllt liegt, entfaltet.“ So läuft die göttliche Maschinerie automatisch, aus eigenem Antrieb, doch einzig nach Seinem Willen.

Brahman ist eine große Kraft, zu groß für das menschliche Fassungsvermögen, und nur die Heiligen wissen vom Jenseits und können mit Autorität darüber sprechen - nicht die Heiligen nach kanonischem Recht, wie sie uns bekannt sind, sondern die Heiligen vom Status eines Sant Satguru, beauftragt und bevollmächigt durch die Wahrheit - die Wahrheit, die von aller Anbeginn war, die jetzt ist und auch in Zukunft sein wird, um die Menschheit zu lehren und solche strebenden Seelen in die Mysterien des Jenseits und darüber hinaus zu initiieren, die reif sind, die grundlose Urssache aller Ursachen, die in jeder der Welten unten wirken, richtig und genau zu verstehen, und die bereit sind, als jivan mukats oder befreite Wesen ein Leben des Geistes zu führen, während sie noch im Körper sind: „Ein jivan mukat“, sagt Nanak, „ist einer, der die Kunst des ‘Todes im Leben’ versteht und praktiziert und der, wenn er von dem irdischen Schauplatz abtritt, ihn für immer verläßt, um nie mehr zurückzukehren.“ Dies ist die Lehre des Para Vidya, des Wissens vom Jenseits.

Daneben gibt es viele Arten von Lehrern des Brahma Vidya, das seiner Natur nach apara ist und den Weg für para bahnt. Sie alle lehren die Menschen nach der Art Brahmans, jeder entsprechend seine Fähigkeiten. Die Propheten und Gesandten Gottes kündigen im allgemeinen das Kommen großer Ereignisse an, ermahnen die Menschen, ein gottergebenes Leben zu führen, und bringen ihnen Nachrichten und Botschaften von Gott (Brahman). Die Avatare sind Verkörperungen der verschiedenen Kräfte Brahmans, und ihre Aufgabe ist es, die Welt in ausgewogener und geordneter Weise in Gang zu halten, indem sie das Gleichgewicht der sozialen Ordnung zwischen Rechtschaffenheit und Sünde bewahren. Die Yogis und Yogishwars bleiben im Bereich ihrer yog maya (Gemütskraft) und führen ihre initiierten zur höchsten Stufe innerhalb ihrer Yogikräfte.

Brahm Lok hat viele Unterbereiche, die Puris, Bhavans, Tabaqs oder Aufteilungen genannt werden und alle, der einen oder anderen Kraft Brahmans als Brahma Puri, Vishnu Puri, Shiva Puri, Indra Puri usw. zugeordnet sind. Zu gegebener Zeit ziehen diese in ihrer Gesamtheit Brahman genannten Kräfte die sie verehrenden Seelen unwiderstehlich an und bringen jede zu dem ihre entsprechenden Bestimmungsort.

Die alten Griechen sprechen von diesem dreifachen Aspekt der Gottheit als von den „drei Schwestern des Spinnrades“, deren eine damit besschäftigt ist, für jeden den Lebensfaden zu spinnen, die andere, ihn zu schmücken und zu verschönern, die dritte schließlich, ihn abzuschneiden, wenn die zugemessene Zeit zu Ende ist. Ähnlich finden wir in der christlichen Theologie den ersten Logos, das Schöpfungsprinzip in der Natur, sowie dn zweiten und dritten Logos, die entsprechend ihre Aufgaben erfüllen. Dies ist die berühmte Lehre der Dreieinigkeit: des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes.

Wo alle Philosophien der Welt enden, beginnt die wahre Religion. Erst wenn die Seele, der „Bewohner des Körpers“, ihr materielles Ich, das die drei Hüllen oder Werkzeuge von Körper, Gemüt und Intellekt einschließt, abgelegt hat und ihren Seinszustand ursprünglicher Einfachheit wiedererlangt, zum ungeteilten Ganzen wird, dem großen unsterblichen Baum, der gemäß seiner eigentlichen Natur und trotz dem ständig wechselnden Panorama des Lebens um ihn her immer grün und frisch ist, kann sie durch das Zauberhaus vielfarbig getönter Spiegel hindurchgelangen, das sich über den drei gunas befindliche Ei Brahmands übersteigen und ins Jenseits entkommen. Man muß wie ein Phönix, der sich aus der Asche seines früheren Ichs mit frischer Jugendkraft erhebt, neu geboren werden, um ein Leben aus dem Geist zu führen, das sich einem eröffnet.

Die mentale Welt zu überqueren ist nicht so leicht, wie es denen, die in den Mysterien des Jenseits unerfahren sind, erscheinen mag. Sie ist die trügerischste Welt, wo sich selbst die Mahatmas und Rishis trotz all ihres Wissens, ihrer Härten und Bußen nicht behaupten können. Was gibt es in dem gewaltigen Universum, das Brahman nicht bereit wäre, den aufrichigen Seelen anzubieten, die versuchen, seinem Machtbereich zu entkommen, um die wahre Heimat ihres Vaters zu erreichen? Auf jeder Stufe, sei es in der physischen, astralen oder mentalen Welt, sucht er den Weg der strebenden Seelen zu blockieren. Die großen Propheten und Gesandten Gottes und alle anderen haben ihre Erfahrungen mitgeteilt, die sie in heftigen Begegnungen mit Satan, Mara, Ahirman, den bösen Geistern - Asuras, Dämonen und deren Helfern - in vielfältiger Weise machten. Im Guten und im Bösen versuchen sie, die Wahrheitssucher auf ihrem Weg zu behindern und sie mit der Verheißung von Königreichen und Fürstentümern auf ihre Seite zu ziehen. Und wenn sie ihren Versuchungen nicht erliegen, drohen sie ihnen durch Gewalt mit Feuer und Erdbeben, dem Aufspalten des Himmels, Blitz, Donner, Wolkenbrüchen und dergleichen mehr. In einer so heiklen Lage kann man den Prüfungen und Drangsalen nur standhalten, wenn man seinen Guru oder Murshid zur Seite hat, denn die Gurukraft zieht dann die Schülerseele zu sich, nimmt sie in sich auf und geleitet sie auf dem Pfad des „tönenden Lichts“. Für jede Seele setzt Brahman alles ein, und läßt sie nicht frei, bis er überzeugt ist, daß der Sucher an dem Schutz der Meisterkraft (Akal oder dem Zeitlosen) festhält. Sehen wir nicht auch in der materiellen Welt, daß die Machthaber und Regierungen eines Staates ihre Grenzen sperren, die unerlaubte Emigration ihrer Untertanen zu verhindern, und Gesetze erlassen, um eine solche Abwanderung unter Kontrolle zu bringen?

Groß ist in der Tat die Macht der Zeit, und niemand kann
sie bezwingen; dennoch fürchtet die Zeit selbst nicht so
sehr wie die zeitlose Musik, damit sie sich nicht verliere in
die göttliche Harmonie.

Guru Nanak hat an anderer Stelle dieses Buches eine Beschreibung von Dharam Khand gegeben. Danach beschreibt der große Lehrer die weitere Reise der Pilgerseele durch die verschiedenen Regionen, die in Sach Khand ihren Höhepunkt erreicht. De nächsten beiden Regionen nennt er Gyan Khand (Bereich des Wissens) und Sarm Khand (Bereich der Verzückung). In der ersteren dehnt sich der Gesichtskreis der Seele unermeßlich aus, denn sie begreift mit einem Male die vielfältige Natur aller geschaffenen Dinge mit der grenzenlosen Fülle von Formen und Erscheinungen und versteht die unwandelbaren Gesetze des Wirkens der Natur. In der letzteren bekommt die Seele, von der Kraft des Wortes angezogen, einen Vorgeschmack und Einblick in die Natur der Dinge.

Als nächstes kommt Karm Khand oder der Bereich der Gnade. Geläutert durch das heilige Wort wird die Seele für alle Zeiten selbst von den geringsten, flüchtigen und unbestimmbaren Spuren der Materie in der Form von vasnas befreit, und die Materie trübt nicht länger den Blick. Man wird sich Gottes völlig bewußt, da man dem reinen Wesen des Wortes von Angesicht zu Angesicht gegenübersteht, dem Licht des Lebens, das Brahmand hervorbringt und alle Welten, die darin enthalten sind.

Wenn die Seele schließlich Sach Khand, die Wohnstatt der Wahrheit erreicht, verwirklicht sie nach Seinem Willen die vollständige Einheit und Harmonie in Fülle. „Alle Herzen ganz von Gott erfüllt, leben sie jenseits vom Bereich des Todes und der Täuschung ... Alle sind dazu bestimmt, sich nach Seinem Willen zu bewegen ... Diese Schönheit zu beschreiben hieße, Unmögliches zu versuchen.“ Diese Erhebung der Seele ins überbewußte Sein wird, wie vorher gesagt, ewiges Leben genannt, von dem es keine Rückkehr gibt.

Was Guru Nanak oben beschrieben hat, fällt in den Bereich von vijnana (subjektive, direkte und unmittelbare innere Erfahrung), im Unterschied zu jnana oder theoretischem Wissen, das der Meister dem Schüler durch eine richigte Deutung der Schriften erklärt und vermittelt. Ein vollendeter Meister vereinigt alle Schriften in sich und auch noch mehr. Sind sie doch Berichte über die Erfahrungen heiliger Menschen, die von Zeit zu Zeit kamen, um der Menschheit die Wege Gottes zu lehren. Wir können zweifellos die Schriften lesen, sofern wir in den alten Originalsprachen hinreichend bewandert sind, können aber weder ihre wahre Bedeutung erfassen noch die offensichtlichen Unterschiede darin in eine sinnvolle Übereinstimmung bringen oder gar die Widersprüche in der schriftlichen Überlieferung der verschiedenen Religionen erklären. Wer zur inneren Lebens- und Geistquelle all dieser Texte Zugang hat, die natürlich allen Menschen gemeinsam ist, macht uns mit seienm inneren Ersthand-Wissen die Dinge in einer für ihn und uns einfachen Art leicht verständlich.

Es heißt, daß in der Gemeinschaft eines Heiligen Gott dem Menschen näher kommt, da Gott selbst durch ihn spricht. Weil wir alle auf die eine oder andere Weise an die Schriften gebunden sind, zieht der Meister vollen Nutzen aus diesen verschiedenen Zeugnissen, die ihm für sein Werk der spirituellen Erneuerung ein willkommenes Mittel sind, um die verschieden gearteten Menschen in jedem einzelnen Fall auf dem Weg des geringsten Widerstandes richtig zu führen.

Ein Murshid-i-Kamil gibt sich nicht damit zufrieden, bloß theoretisches Wissen zu vermitteln. Er gewährt eine praktische Erfahrung von dem, was er sagt, und darin liegt seine Größe. Wer auf der Ebene der Seele von dem, was er auf der Ebene des Verstandes behauptet, keine wirkliche Erfahrung geben kann, ist kein Meister im wahren Sinne des Wortes, und was er spricht, hat kein Gewicht und keine Überzeugungskraft.

Ein Satguru ist in der Tat die personifizierte Wahrheit, Gott im Kleid des Menschen. Seine Mission ist es, die menschlichen Seelen zur wahren Heimat seines Vaters (Sat oder der Wahrheit) zu führen, die Sach Khand oder Wohnstatt der Wahrheit genannt wird, die erste Große Aufteilung, die nach Seinem Willen entstand und daher die Region des reinen, ewigen und unzerstörbaren Geistes ist.

Der Pfad der Meister ist eine erhabene Straße, die von der rein physischen, materiellen Welt in den Bereich des reinen Geistes, jenseits aller Dualität und Gegensätzlichkeit, führt. Der Satguru sagt:

Bewegt euch in dem gewaltigen Meer der Lichtsubstanz.
Eure Vollendung liegt in eurem Herzen.
Geht weiter und immer weiter, bis keine Spur des
Menschlichen mehr übrigbleibt.
Das Licht kennt keine Grenzen.

Sein Pfad hat keine Himmel und Höllen, auch nicht Mühen und Leid, sondern er gleicht einer blumenreichen Straße, von himmlischen Lichtern übersät und mit die Seele ergreifenden Melodien göttlicher Harmonie; und vor allem kommt er selbst als unfehlbarer Freund und sicherer Führer, in all seiner Herrlichkeit und Fülle strahlenden Lichts, und geleitet die Pilgerseele ins große Jenseits, unterweist sie auf ihrem weiteren Weg im Leben des Geistes, erklärt die Schönheiten und Geheimnisse des Pfades, bietet Schutz gegen Fallstricke und warnt uns vor scharfen Krümmungen und Windungen auf dem Weg.

Von Anfang an wird der Schüler gelehrt, wie man sich vom Körper zurückzieht und über das Körperbewußtsein in höhere Regionen ergebt. Der innere Mensch muß sich von seiner groben körperlichen Umhüllung zurückziehen, so wie man ein Haar aus der Butter zieht, denn es ist - mit einem Ausdruck der Neuplatoniker - die Seele im ‘Lichtkörper’, die sich erhebt, um das Selbst zu finden. In der Manduka-Upanishade lesen wir:

Nicht mit dem Auge, nicht durch Reden, nicht durch die
Sinne, nicht durch Härten, nicht durch religiöse Riten,
Rituale und Zeremonien ist der Ungeteilte Eine zu erfassen,
sondern durch heitere Weisheit sieht Ihn das reine Wesen
in der Meditation.

So sagen die westlichen Gelehrten:

Wahres Glück kommt nicht über die Straße der Sinne, da
es jenseits der Sinne liegt. Grenzenlose Freude kann uns
nur zuteil werden, wenn wir uns über die Sinne erheben
können und die erhabene Schau erlangen, die dem Reinen
gegeben wird.

Kurz gesagt, ist die göttliche Weisheit zugleich die Kunst und Wissenschaft der Seele, und nur ein in Gott begründeter Heiliger, der in beidem wohl bewandert ist, kann uns das Rätsel des Lebens und des Todes lösen, indem er uns eine Ersthand-Erfahrung vom ‘Tod im Leben’ gibt und damit über jeden Zweifel erhaben beweist:

Das Leben ist eine reine Flamme, und wir leben durch
eine unsichtbare Sonne, die in uns ist.
Was haben Leben und Tod mit dem Licht zu tun? Nach
dem Bilde meines Lichts habe ich dich erschaffen. Die 
Relativität von Leben und Tod gehören zum kosmischen
Traum.

Erblicke dein traumloses Sein.
Die Schöpfung ist Licht und Schatten in einem, denn
anders ist kein Bild möglich.
Die Finsternis wird nur dann licht und die Leere frucht-
bar, wenn du verstehst, daß du nichts bist. Erst am Berg
der Verklärung wirst du die Offenbarung erlagen und die
Verschmelzung von Himmel und Erde sehen.

Die Vollkommenheit zu verehren ist die höchste Bildung im Leben, und nur ein Vollendeter kann durch Übertragung seines eigenen Lebensimpulses die Seele von den Fesseln des Gemüts und der Materie befreien und eine Schau der erhabenen Wirklichkeit gewähren. Nur wer bei der allerersten Meditation das innere Auge mehr oder weniger einem Schimmer des heiligen Lichts des Himmels öffnen und das innere Ohr für die Musik der Sphären erschließen kann, hat allein das Recht, ein vollendeter Heiliger oder wahrer Guru genannt zu werden. Von einem solchen sagt Shankara:

In den drei Welten ist nichts bekannt, was sich mit einem
wahren Guru vergleichen ließe. Wenn von dem Stein der
Weisen angenommen wird, daß er wirklich ein solcher ist,
kann er doch nur Eisen in Gold verwandeln und nicht in
einen anderen Stein der Weisen. Der verehrte Lehrer aber
macht den Schüler, der zu seinen Füßen Zuflucht nimmt,
sich selbst gleich. Der Guru ist daher unvergleichlich, ja
alles überragend.

Guru Arjan sagt über seinen Meister, Guru Ram Das: „Ich habe ganz Brahmand durchforscht, aber nicht einen gefunden, der meinem Meister gleichkäme.“ Und schließlich sagte er: „Hari (Gott) scheint mir den Namen von Ram Das angenommen zu haben.“

In der Alltagswelt sind wir alle sehr fleißig, wirklich sehr geschäftig, zu geschäftig, um an Gott zu denken oder gar die Gegenwart des lebendigen Gottes zu praktizieren und noch viel weniger, um in seiner heiligen Gegenwart zu leben. Wenn wir dennoch hin und wieder von ihm reden und sprechen, ihn verehren und zu ihm beten, tun wir es nicht, ihn um seinestwillen zu gewinnen oder um unser selbst willen Gehör bei ihm zu finden, sondern nur, weil wir Vergünstigungen von ihm begehren, eine leichte und schnelle Befreiung von unseren Schwierigkeiten, um den Sorgen und Nöten zu entgehen.

Wenn wir es nun bisweilen ernst mit Gott meinen, suchen wir ihn in unserer irdischen Umgebung, den schneebedeckten Gebirgshöhlen, im brennenden Wüstensand, den Tiefen der heiligen Seen und Flüsse, verehren ihn in den Elementarkräftn der Natur wie der aufgehenden Sonne, dem luftleeren Raum oben, den Gewitterwolken, im Morgen- und Abendstern, und schlimmer noch, in Baumhöhlungen, in den Fischen des Meeres und den Vögeln der Luft. Da ist es kein Wunder, wenn wir ihn trotz all unserer Bemühungen nicht finden.

Gott selbst hat erklärt: Ich bin so groß, daß Mich die ganze Welt nicht fassen kann, die Himmel keine hinreichende Stütze für Mich sind, noch die Erde ein Ort, wo Ich Mich niederlassen könnte; aber so seltsam es erscheinen mag, Ich wohne im Herzen eines Heiligen. Wenn du Mich zu sehen begehrst, suche Mich dort, und du wirst Mich finden. Kabir sagt ebenfalls:

Wie kannst du die Wirklichkeit finden, wo sie nicht ist?
Suche das Wirkliche, wo sich die Wirklichkeit befindet,
halte dich an den, der das Wirkliche kennt,
und er wird dich augenblicklich zu Ihm bringen.

Dies ist nun der Weg zur Selbsterleuchtung. Der scheinbar verwickelte und langwierige Prozeß wird durch die Gnade eines vollendeten Meisters (Sant Satguru) vereinfacht. Er hält den Zauberstab bereit, das „Sesam, öffne dich!“, das den Zweck efüllt und einen befähigt, Zugang zum Unzugänglichen zu erhalten.

Wer über Sat Lok hinausgelangt,
kennt den Unbegreiflichen und Unaussprechlichen.
Die Heiligen leben im Namenlosen,
der Sklave Nanak findet Frieden in Ihm.

Wir sehen also, daß man das vom endlosen Zyklus der Geburten, Tode und Wiedergeburten frei, immerwährende Leben erlangt, wenn man den selbstgewählten Tod, das Sterben im Leben, lernt und sich ihm nach Belieben unterzieht. Die Heiligen preisen daher einen solchen Tod über alle Maßen und lehren uns, wie man die verschiedenen Ebenen überquert und ins Jenseits gelangt, um das gegenwärtig verlorene Reich Gottes wiederzugewinnen, was unser Geburtsrecht ist. Es liegt in unserer Reichweite, wenn wir auf sie hören, ihre Lehren annehmen, ihnen folgen und willig gehorchen.
Nach dem Tod hat jeder von uns blind in einen Zustand äußerster Not und Hilflosigkeit zu gehen. Die heiligen Schriften der ganzen Welt versprechen eine hohen Lohn, wenn man das Grenzland zwischen Leben und Tod auf dieser Seite der Welt und danach Tod und Leben auf der anderen Seite durchquert:

Warum nicht schon während des Lebens dort festen Fuß
fassen, wohin du nach dem Tod zu gehen hast?
                                                                       Sri Rag M.1

O Nanak, lerne zu sterben, solange noch Zeit ist,
denn das ist wirklich ein echter Yoga.
                                                                Suhi M.1

Stirb und bleibe der Welt tot.
Einen solchen Tod erfahre ich viele Male am Tag.
                                                                      Kabir

Mit der Gnade des Meisters kann man das Gemüt beherrschen;
wenn du das Gemüt bezwingst, wirst du den Herrn mit
Sicherheit finden.
                                                                                           Kabir

Sei tot, noch während du lebst, und furchtlos frei;
mit einem kompetenten Meister an deiner Seite gibt es
nichts zu bereuen.
                                                                         Kabir

Reicher Gewinn wird dir zuteil, wenn du zu sterben
weißt, ehe dich der Tod überrascht.
                                                             Bulleh Shah

Shabd oder der immerwährende Lebensstrom ist die einzige
Hilfe auf diesem Pfad:
In Shabd sterben wir (gehen wir auf), in Shabd leben wir
ewig ohne Todesfurcht,
dies ist das wahre Wasser des Lebens, das eine vortreffliche
Seele durch Seine Gnade bekommen kann.
                                                                              Sorath M.3

Was gibt der Meister? Er offenbart den ewigen Tonstrom, der das Leben des Universums ist, in dem wir alle unser Sein haben. Wenn wir uns von diesem hörbaren Lebensstrom tragen lassen, können wir im Leben die verschiedenen Seinsebenen überqueren und nach Belieben auf die irdische zurückkehren:

Ohne die Hilfe von Shabd kannst du nicht aus der irdenen
Form entkommen. Es gibt keine andern Weg außer diesem.
                                                                                Soami Ji

Erlösung oder ewiges Leben kann man nicht durch Taten erwerben,, wie rechtschaffen und lobenswert sie an sich oder in den Augen der Welt auch sein mögen. Es ist ein reines Gnadengeschenk von einem Gottmenschen, in dem die Gotteskraft in ihrer ganzen Fülle wirkt. „Denn aus Gnade seid ihr selig geworden ... - und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es - , nicht aus den Werken, auf das sich nicht jemand rühme“ (Eph. 2,8 - 9). „Nicht um der Werke willen der Gerechtigkeit, die wir getan hatten, sondern nach seiner Barmherzigkeit machte er uns selig durch das Bad der Wiedergeburt und Erneuerung des heiligen Geistes“ (Titus 3,5). „Und ist in keinem andern Heil, ist auch kein anderer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, darin wir sollen selig werden“ (Apg. 4,12). „Denn es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen“ (Titus 2,11), und seine Gnade wird auch in Zukunft erscheinen, solange Gott ist und seine Schöpfung die Erde bevölkert.

Dies ist also der Weg zum ewigen Leben, daß man ihm Lebensprinzip selbst lebt, immer in Verbindung mit dem heiligen Wort, dem Willen Gottes (Hukam); und es gibt keinen anderen Weg als diesen, so sehr man auch danach suchen mag. Doch die Offenbarung des Gottespfades in der lebendigen Lebensschnur innen (dem heiligen Licht und der Stimme Gottes) hängt einzig von der Gnade eines Gottmenschen ab, eines Heiligen, der das personifizierte Wort ist, dem alle Dinge vom Vater übergeben sind und von dem es heißt: „Und niemand kennet den Sohn denn nur der Vater; und niemand kennet den Vater denn nur der Sohn und wem es der Sohn will offenbaren“ (Matth. 11,27).

Immer wieder kommen große Seelen in die Welt, um uns an unsere wahre Heimat zu erinnern. Sie verkünden mit lauter Stimme, daß diese Welt nicht unsere eigentliche Heimat ist. Wir sind nur für kurze Zeit hier wie Reisende in einem großen Gasthaus und müssen uns daher auf den Weggang vorbereiten - je eher, desto besser. Wir müssen deswegen nach dem Himmelreich streben, um das ewige Leben zu haben. „Dein Reich komme. Dein Wille geschehe auf Erden wie im Himmel“ (Matth. 6,10). Und von diesem Reich heißt es: „Das Reich Gottes kommt nicht mit äußerlichen Gebärden; ... Denn sehet, das Reich Gottes ist inwendig in euch“ (Luk. 17,20 - 21). Und dieser Körper ist wahrlich der Tempel des heiligen Geistes, und der heilige Geist wohnt darin. Darum ermahnen uns alle Weisen und Seher:

Der Ort, den du am Ende verlassen mußt, hat dich am
meisten gefesselt. Wenig weißt du von der Stätte, an der
du für immer weilen sollst.
                                                                               Nanak

Arsha (der Himmel) ist deine wahre Wohnstatt, meine
Seele; schäme dich, daß du in der irdenen Form verstrickt
bist.
                                                                  Shamas Tabrez

Du, mein Herr, wohnst in deiner Heimat,
während ich hier im Staub krieche.
                                                         Nanak

Deine Wohnstatt ist, wo die Erde nicht ist,
weshalb hältst du an der Erde fest?
                                                    Soami Ji

Das menschliche Leben ist nur ein Hauch,
warum nicht in Verbindung leben mit dem Ewigen Wort?
                                                                                  Kabir

Jene, die sich mit dem Wort verbunden haben,
deren Mühen werden enden.
Und ihr Antlitz wird voll Glanz erstrahlen.
Nicht nur sie werden erlöst sein, o Nanak,
sondern viele andere werden mit ihnen die Freiheit finden.
                                                                                    Nanak

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