DAS GESETZ DES
KARMA Kirpal Singh
Alles
im Univesum ist die Frucht eines gerechten Gesetzes, des Gesetzes der
Kausalität, des Gesetzes von~Ursache und Wirkung, des Gesetzes des Karma. Gautama
Buddha Jede
Tat eines Lebewesens, sei sie wissentlich oder unwissentlich ausgeführt,
bewirkt Karma, und dies unabhängig davon, ob sie noch im latenten Stadium oder
in Form eines Gedankens, einer mentalen Vibration, durch Worte oder bereits
durch eine physische Handlung zum Ausdruck kommt. Damit
der Leser durch den Begriff ‘Karma‘ nicht verwirrt wird, ist es besser, dieses
Wort in seinem richtigen Zusammenhang zu verstehen. Das Wort Karma bezeichnet
in eigentlichen Sinne Opferbräuche, Rituale und ‘yajnas‘ die, wie in den
heiligen Schriften beschrieben, von Menschen gebracht wurden. Später jedoch
schloß es alle Arten von Tugenden, soziale und selbstläuternde wie
Wahrhaftigkeit, Reinheit, Enthaltsamkeit, Mäßigkeit, ‘Ahimsa‘‚ universale
Liebe, selbstloses Dienen und alle Handlungen wohltätiger und
menschenfreundlicher Natur ein. Kurzum, es wurde großer Nachdruck auf die
Entfaltung der ‘Atam-gunas‘ gelegt, die dazu angetan waren, das menschliche
Gemüt zu schulen und die mentalen Kräfte in die rechte Richtung zu lenken, um
den höheren Zweck der Befreiung des ‘Atman‘ oder des gebundenen Geistes zu
dienen. Karmas
werden für gewöhnlich in verbotene, erlaubte und vorgeschriebene eingestuft.
Alle Karmas herabwürdigender und schädlicher Natur (Nashedh) werden der
verbotenen Art zugeschrieben, weil es sündhaft ist, Fehlern nachzugeben, und
der Sünde Sold ist der Tod. Sie werden ‘Kurkamas‘ oder ‘Nikarmas‘ genannt. Als
nächstes kommen die Karmas von erhebender Art, die einem Menschen helfen, eine
höhere Ebene wie ‘Swarag, Baikunth, Bahisht‘ oder das Paradies zu erlangen.
Dies sind die ‘Sukama‘ Karmas oder ‘Sukarmas‘, d. h. Karmas, die bewirkt
werden, um wohlwollende Wünsche und Bestrebungen zur Erfüllung zu bringen und
die darum zulässig und erlaubt sind. Und zuletzt haben wir Karmas, deren
Bewirken als obligatorisch betrachtet wird, da sie in den Schriften für
Menschen verschiedener ‘Varns‘ oder sozialer Gemeinschaften, und auf
verschiedenen Lebensstufen, ‘Ashrams‘ genannt (Brahmacharya, Grehastha,
Varnprastha und Sanyas) empfohlen werden, Diese entsprechen, grob gesagt, der
Periode der Bildung und Erziehung, des Ehelebens als Familienvater, der der
Askese als Einsiedler oder Erermit, welcher sich in der Einsamkeit eines Waldes
der tiefen Meditation hingibt, und zuletzt, der des spirituellen Pilgers, um
den Menschen die Früchte ihrer lebenslangen Erfahrung zu bringen. Jede Periode
dauert 25 Jahre bei Berechnung einer Lebensspanne von 100 Jahren. Diese werden
‘Netya‘ Karmas genannt oder Karmas, die von jedem täglich in seinem Beruf und
im Leben ausgeführt werden müssen. Als
Kodex für die sittliche Lebensführung liefert das karmische Gesetz einen
wertvollen Beitrag zum materiellen und moralischen Wohlergehen des Menschen auf
Erden und bahnt den Weg für ein besseres Leben in der Zukunft. Auf allen vier
Gebieten des menschlichen Lebens — weltlich, materiell oder wirtschäftlich,
religiös oder spirituell — wie durch die Begriffe ‘Kama‘ (Erfüllung der
Wünsche), ‘Artha‘ (wirtschaftliches und moralisches Wohlergehen), ‘Dharma‘
(moralische und religiöse Grundlage, die das Universum stützt und erhält) und
‘Moksha‘ (Erlösung) bedeutet, spielen Handlungen oder Karmas eine wesentliche
Rolle. Die moralische Reinheit bildet natürlich die Bewegkraft für den
schließlichen Erfolg im Bemühen des Menschen. Damit die Karmas die gewünschte
Frucht tragen, ist es notwendig, daß sie mit zielbewußter und zweckbedingter
Aufmerksamkeit und liebevoller Hingabe ausgeführt werden. Neben
diesem gibt es jedoch noch eine andere Form von Karma, das ‘Nishkam-Karma‘, ein
Karma, das ohne jede Bindung oder Wunsch nach der Frucht, die sich daraus
ergibt, ausgeführt wird. Es ist allen anderen Arten von Karmas überlegen,
welche mehr oder weniger die Ursache der Gebundenheit sind. Aber diese Art
hilft etwas dabei, von der karmischen Bindung freizukommen, nicht jedoch von
der karmischen Auswirkung. Es mag jedoch zur Kenntnis genommen werden, daß
Karma an sich überhaupt keine bindende Wirkung hat. Einzig Karma, das aus dem
Wunsch oder ‘kama‘ hervorgeht, führt zur Gebundenheit. Das ist der Grund, warum
Moses lehrte: “Wünsche nicht”, und Buddha und der zehnte Guru der Sikhs, Guru
Gobind Singh, immer wieder die Notwendigkeit, wunschlos zu sein, betonten.
Karma ist somit gleichzeitig Mittel und Ziel aller menschlichen Bemühungen.
Durch Karmas besiegt und übersteigt man die Karmas. Jeder Versuch, sich über
das karmische Gesetz hinwegzusetzen, ist genauso zwecklos wie der, über seinen
eigenen Schatten zu springen. Das höchste von allem ist ‘Neh—karma‘ oder
‘Karma—rahet‘ zu sein, was bedeutet, Karma in Übereinstimmung mit dem
göttlichen Plan, als bewüßter Mitarbeiter der Kraft Gottes zu bewirken. Das
heißt, im Tun tatenlos zu sein wie ein stiller Punkt in dem sich ewig drehenden
Rad des Lebens. Die
Natur des Karma: Nach der Jain—Philosophie ist das Karma physisch und psychisch
zugleich, wo sich das eine auf das andere als Ursache und Wirkung bezieht,
Materie durchdringt den ganzen Kosmos in subtiler und psychischer Form. Sie
durchdringt die Seele durch ihre Wechselwirkung mit der äußeren Materie. Auf
diese Weise baut sich ein Jiva selbst ein Nest gleich einem Vogel, und wird
durch den sogenannten ‘Karma-Srira‘ oder den subtilen Körper gefesselt und
bleibt in ihm gebunden, bis das auf Erfahrung begründete Selbst das Persönliche
ablegt, zur reinen Seele wird und in ihrem angeborenen Glanz erstrahlt. Der
’Karma-Srira‘ oder die karmische Hülle, welche die Seele einschließt, besteht
aus acht Prakritis, die den acht Arten karmischer Atome entsprechen und
unterschiedliche Wirkungen hervorrufen. Von ihnen gibt es zwei Arten: 1)
Karmas, welche die genaue Sicht verdunkeln, wie zum Beispiel a)
‘Darsan—avarna‘‚ das die rechte Wahrnehmung oder das rechte Begreifen in
allgemeinen behindert; b) ‘janan-avarna‘, welches das rechte Verstehen oder
Fassungsvermögen verdunkelt; c) ‘vedaniya‘, welche die der Seele angeborene
glückselige Natur trüben und so annehmliche oder peinvolle Gefühle
hervorbringen und d) ‘mohaniya‘ oder Karmas, die den rechten Glauben, das
rechte Vertrauen und die rechte Führung trüben. Alle diese Karmas wirken gleich
rauchgeschwärzten Gläsern, durch die wir die Welt und alles, das zu ihr gehört,
sehen. In dichterischer Form wurde das Leben als ‘Ein Dom aus vielfarbigem
Glas, das die weiße Strahlung der Ewigkeit färbt‘ beschrieben. 2) dann gibt es
Karmas, die einen Menschen zu dem machen, was er ist, denn sie bestimmen a) den
physischen Körper, b) Alter und Lebensdauer, c) sozialen Stand und d) die
spirituelle Reife. Diese Arten sind bekannt als ‘Naman, Ayus, Gotra und
Antrya‘. Die
im Raum verbreiteten karmischen Partikel werden nolens volens von jeder Seele
gemäß ihrem Tätigkeitsdrang, in dem sie sich befindet, angezogen. Diesem
beständigen Einströmen von Karma kann Einhalt geboten werden, indem man das
Selbst von jeder Aktivität des Körpers, Gemüts und der Sinne befreit und es an
seinem eigentlichen Zentrum festsetzt, während die angesammelten Karmas durch
Fasten, ‘tapas, saudhyaya, vairagya, dhyan‘ und dergleichen, d. h. durch
Härten, Lesen von geistlichen Schriften, Loslösung, Reue und Meditation etc.
beschnitten werden können. Auch
Buddha hat großen Nachdruck auf das beständige Bemühen und Ringen gelegt mit
Aussicht auf den schließlichen Sieg über das Gesetz des Karma. Die Gegenwart
mag durch die Vergangenheit bestimmt sein; die Zukunft ist unser, da sie von
dem richtungsweisenden Willen des einzelnen abhängt. Die Zeit ist von endloser
Dauer, die Vergangenheit führt unverweigerlich zur Gegenwart und die Gegenwart
zur Zukunft, wenn man es so nehmen will. Karma hört nur dann zu wirken auf,
wenn man den höchsten Geisteszustand erreicht hat, der jenseits von Gut und
Böse liegt. Mit der Verwirklichung dieses Ideals hört jeder Kampf auf, denn
dann wird das, was der Befreite auch immer tut, ohne jede Bindung sein. Das
sich ewig drehende Rad des Lebens erhält seine Antriebskraft von der karmischen
Energie, und wenn sich diese erschöpft, kommt das gewaltige Rad des Lebens zum
Stillstand; denn dann gelangt man zu dem Schnittpunkt von Zeit und
Zeitlosigkeit, ein Punkt, der zwar immer in Bewe-gung ist, doch im Innersten
stille steht. Das Karma liefert den Schlüssel für den Lebensprozeß, und des
Menschen Bewußtsein wandert von einer Stufe zur anderen, bis man wirklich ein
Erwachter oder Buddha (der Erleuchtete oder Seher des heiligen Lichtes)
geworden ist. Für Buddha war das Universum weit davon entfernt, ein bloßer
Mechanismus zu sein, er sah es als ein ‘dharma-kaya‘ oder einen Körper, der vom
Dharma oder Lebensprinzip pulsiert, das ihm zugleich als Hauptstütze dient. Kurz
gesagt stellt das Gesetz des Karmas ein unbeugsames und unerbittliches
Naturgesetz dar, dem man ohne Ausnahme nicht entkommen kann. ‘Wie du säst, so
wirst du ernten‘ ist eine uralte, unumstößliche Wahrheit. Es ist die allgemeine
Regel für dieses Erdenleben. Sie erstreckt sich auch auf einige der oberen
materiell-spirituellen Bereiche entsprechend ihrer Besonderheit und ihrem
Dichtigkeitsgrad. Das Karma ist ein höchstes Prinzip, Göttern und Menschen
übergeordnet, denn die ersteren kommen ebenfalls früher oder später unter
seinen Einfluß. Die verschiedenen Götter und Göttinnen der jeweiligen Naturbereiche
bedürfen, um in ihren himmlischen Sphären zu dienen, einer viel längeren Zeit,
als es bei Menschen der Fall ist; aber gleichwohl müssen sie sich schließlich
im Körper inkarnieren, ehe sie die endgültige Befreiung vom karmischen
Kreislauf der Geburten erstreben und erlangen können. Alle
Werke, alles Tun und Handeln bewirkt etwas Wesentliches im göttlichen Plan,
wodurch der Ablauf des gesamten Universums in vollendeter Ordnung gehalten
wird. Keiner kann auch nur für einen einzigen Augenblick ohne irgendeine Art
des Wirkens (geistiger und physischer Tätigkeit) sein. Immer denkt oder tut man
das eine oder andere. Man kann von Natur aus nicht innerlich leer oder müßig
sein, noch kann man die Sinne an ihren automatischen Funtionieren hindern. Die
Augen können nicht anders als sehen und die Ohren nicht anders als hören; das
Schlimnsts ist, daß man nicht wie Penelope das ungeschehen machen kann, was
einmal getan ist. Reue an sich ist gut, aber sie kann das Vergangene nicht
ändern. Was immer man denkt, spricht oder tut, ob gut oder schlecht, hinterläßt
einen tiefen Eindruck im Gemüt und diese sich angehäuften Eindrücke machen das
Glück oder Unglück eines Menschen aus. Wie der Mensch denkt, so wird er. Wes
das Herz voll ist, des geht der Mund über. Jede Handlung hat eine Reaktion zur
Folge, denn dies ist das Naturgesetz von Ursache und Wirkung. Man hat daher
immer die Früchte seiner Handlungen zu tragen, seien sie süß oder bitter, wie
der Fall gerade liegt und ob man es will oder nicht. Gibt
es da kein Heilmittel? Ist der Mensch ein bloßes Spielzeug des Schicksals oder
der Fügung, der sich seinen Weg in einer genau vorherbestimmten Ordnung bahnt?
Die Sache hat zwei Seiten. Man hat bis zu einen gewissen Ausmaß den freien
Willen, durch den man, so man will, seinen Weg bestimmen, seine Zukunft bilden
oder beeinträchtigen und in einem hohen Maße sogar die lebendige Gegenwart zum
eigenen Vorteil formen kann. Mit der lebendigen Seele ausgerüstet, die vom
selben Geist ist wie ihr Schöpfer, ist es jedoch mächtiger als das Karma. Das
Unendliche in ihm kann ihm helfen, die Grenzen des Endlichen zu überschreiten.
Die Freiheit zu handeln und die karmische Gebundenheit sind lediglich zwei
Aspekte des Wirklichen in ihm. Nur der mechanische und materielle Teil in ihm
ist der karmischen Beschränkung unterworfen, während der wirkliche und
lebendige Geist in ihm alles übersteigt und durch die karmische Last kaum
berührt wird, wenn er in seiner eingeborenen Gottheit begründet ist. Wie aber
kann man in seiner eigentlichen wirklichen Form (saroop) begründet sein? Dies
ist es, was wir notgedrungen lernen müssen, wenn wir nach einem Weg suchen, der
aus diesem endlosen karmischen Netzwerk herausführt. (Aus dem ‘Rad des
Lebens‘) |