Das Mysterium des Todes

von Kirpal Singh

Der Tod hat den Menschen seit unvorstellbaren Zeiten in Ver-wirrung gebracht. Keiner kann ihm erst kommen. Allem Lebenden wurde eine Spanne Lebenszeit zugemessen, und wenn diese zu En-de geht, findet der unvermeidliche Verwandlungsprozeß, Tod ge-nannt, statt. Dieser Verwandlungsprozeß dauert an, bis man ü-ber die weitesten Grenzen der Zeit gelangt und sich in die Zeitlosigkeit erhebt.

Die Heiligen - Sant Satgurus oder vollendeten Meister - sagen uns, daß der Tod eine ”freudige Geburt (Wiedergeburt) in ein beseligenderes Leben ist, als wir es hier je erträumt haben.” Sie versichern uns, daß ”wir nicht sterben, sondern lediglich das physische Körperkleid ablegen, um in anderen Körpern, dem astralen oder kausalen zu wirken, und uns schließlich erheben, um unsere göttliche Natur zu erkennen und die Einheit in Gott zu sehende Allbewußtheit und Glückseligkeit.” Sie lehren uns nicht nur, sondern ”veranschaulichen den Weg, um den anschei-nend unüberwindlichen und schrecklichen Tod zu besiegen und dadurch furchtlos zu werden.” Auf diese Weise zeigt der leben-de Meister, Satguru Sant Kirpal Singh, in klarer Sprache den Weg, um das Rätsel des Lebens und des Todes zu lösen, in sei-nem neuesten Buch ”Das Mysterium des Todes”. Es ist vorgese-hen, dieses wunderbare Buch im ‘Sat Sandesh‘ zum Vorteil unse-rer Leser auszugsweise zu bringen. Der erste Teil, der nach-folgend veröffentlicht wird, ist des Meisters Einführung zu dem Buch.

‘Leben‘ und ‘Tod‘ sind wechselseitig bedingte Begriffe. Im Bereich der Relativität können wir nicht denken, sprechen oder handeln, ohne die Dinge aneinander zu reihen. Es ist der Weg, um das zu verstecken, was außergewöhnlich ist. Wir sehen uns auf Schritt und Tritt einer Vielzahl verwickelter Zusammen-spiele gegenüber und müssen darum einen analytischen Prozeß verfolgen, um die in jedem Falle zusammengehörigen Teile aus-zusortieren, sie einzeln zu benennen und miteinander in Bezie-hung zu bringen, um auf der Sinnesebene und mit dem Intellekt etwas davon zu begreifen. So leben wir durch die Natur der Dinge und durch die der Erkenntnisfähigkeit, mit der uns die Natur ausgestattet hat, nur durch das Erkennen von Einzeltei-len und erhalten nie ein wahres Bild von etwas in seiner Ganz-heit. Da wir kein Wissen und keine Erfahrung des Unerkennbaren haben, geben wir uns die ganze Zeit über mit den Formen und Farben der Dinge, die wir sehen, zufrieden; mit ihren Eigen-schaften und Merkmalen, die an der Oberfläche sichtbar sind, ohne in die Tiefe zu gehen, zu dem zentralen Lebensprinzip, das in allen ein und dasselbe ist, trotz der Verschiedenheit in der Masse, Dichtigkeit, des Umfangs, des Gewichts und der Form dessen, das wir sehen und bemerken. Wie die Lady von Shallot leben wir immerzu in der Schattenwelt, wie sie durch den Spiegel (des Gemüts und Intellekts) wiedergegeben wird, während wir der objektiven Welt um uns herum sozusagen den Rü-cken zukehren, ganz zu schweigen von der subjektiven Welt in jedem von uns, der wirklichen Welt, die größere, gewaltigere, mächtigere und erhabenere Wunder birgt, als irgendetwas in der physischen Welt.

Mit dem Aufdämmern des ersten Schimmers der Gottheit im Men-schen, der alles kontrollierenden, alles erhaltenden Kraft hinter allem Organischen und Anorganischen, entfaltet sich die Bewußtheit eines Prinzips, welches das Leben und die Seele des Universums war. Dies führte nach und nach zu der Gründung ver-schiedener Religionen, je nach der Einsicht, die ihrem Gründer gegeben war, welcher die Bedürfnisse der Zeit und der Men-schen, den Stand der Rassenverständigung, das Vermögen, sie anzunehmen, zu verarbeiten, und die Lehren der Apostel, Messi-as und Propheten, die von Zeit zu Zeit für die materielle, geistige, moralische, soziale und wirtschaftliche Erhebung der Massen gekommen waren, berücksichtigte.

Alle Religionen entstehen aus besten Beweggründen. Die O-berhäupter religiösen Denkens sind genauso das Produkt der Zeit wie der Bedingungen, die sie für die Verbesserung der Massen schaffen, denen sie predigen. Es kann somit nicht scha-den, wenn man sagt, daß für die Mehrzahl der Menschen die er-habenen Lehren der erleuchteten Lehrer das bildeten, was sozi-ale Religionen, Sittengesetze und moralische Vorschriften ge-nannt wird, damit die Menschen in Frieden miteinander leben, statt in einem Zustand dauernder Unrast und Kriegsangst, einem Krieg von einen gegen alle und aller gegen einen.

Alle guten und tugendhaften Gedanken kommen wie alle anderen aus dem Gemüt. Im Falle der Weltlehrer hatten solche Gedanken ihren Ursprung im Leben des Geistes, das sie führten. Es sind jedoch sehr wenige, die sich auf ihre Ebene erheben und durch ihre eigentlichen Lehren, dem praktischen Aspekt jeder Religi-on, dem Mystizismus, profitieren, der den Kern dessen bildet, was sie lehrten. So wurde das praktische, zentrale Thema an die erwählten Wenigen, die Auserwählten, weitergegeben, wäh-rend der Masse der theoretische Aspekt der Lehren in Form von Gleichnissen gegeben wurde, die sie im Laufe der Zeit in die Lage setzten, die wahre Bedeutung dessen, was sie tatsächlich gelehrt haben, zu begreifen und zu verstehen. Wenn man darum die Grundlagen aller Religionen untersucht, erhält man einen Schimmer der Wirklichkeit, wie schwach und unklar er zuzeiten auch erscheinen mag, da wir die Augen noch nicht entwickelt haben, die ihre Gründer hatten. Für den gewöhnlichen Menschen blieb die Religion meistenteils eine Theorie, bestenfalls eine vernunftgemäße Theorie, um sein Los im Leben zu verbessern und ihn zu einem besseren Menschen zu machen, zu einem besseren Glied der sozialen Gemeinschaft, zu der er gehörte, einem wah-ren Staatsbürger mit bürgerlichen Rechten und Pflichten, mit sozialer und familiärer Verantwortlichkeit betraut, für deren gesunde Erfüllung er somit ausgerüstet war.

Alle Tugenden, alle Taten, alle Künste, alle Wissenschaften und jede Fertigkeit, einschließlich der Staatskunst, der Hand-habung der Priester, der Handwerke, haben ihr Fundament in dem kleinsten gemeinsamen Vielfachen in verschiedenem Grade der zugrundeliegenden allunfassenden Wahrheit, wie sie durch ihre Vorfahren verstanden wurde. Daher sehen wir eine Verschmelzung der Religion, die mit sozialen und moralischen Begriffen aus-geschmückt ist, um sie für die Menschen im allgemeinen vor-stellbar und annehmbar zu machen. Dies ist der Aspekt der Re-ligion, welcher der sozialen Ordnung der Rasse eine feste Grundlage bietet.

Wenn wir einen Schritt weitergehen, kommen wir zu einer an-deren Schicht der Religion. Es ist eine der moralischen Tugen-den, die sich aus verschiedenen Ebenen erhebt als Riten und Rituale, Formen und Formalitäten, Härten und Bußen, Humanität und Nächstenliebe, Beschwörungen, um unversöhnliche Mächte zu bezähmen und versöhnlich zu stimmen, und die Anrufung wohlge-sinnter Mächte, um Hilfe und Beistand in Zeiten der Not.

Zuletzt kommen die Yogis und Yogishwars, die in Yoga-Übungen wohlbewandert sind, wie wir es gegenwärtig sehen.

An der Spitze der Hierarchie stehen die Meister-Heiligen, vollendete Wesen oder Gottmenschen, die nicht nur über die Kraft und den Geist Gottes sprechen, sondern sie in ihren Ini-tiierten offenbaren und die einzelnen Seelen bewußt damit ver-binden. Zu ihrer Ehre muß gesagt werden, daß sie die wahre Re-ligion vertreten, die wahrhaft religiös ist, soweit es die Ab-leitung des Wortes betrifft und praktisch, da sie den Menschen zurückverbindet mit ihrem Schöpfer.

Die Lehren der Meister bilden keine institutionelle Religion wie sie für gewöhnlich verstanden wird. Die Wissenschaft von der Seele ist eine reguläre Art der Wissenschaft. Wer auch im-mer diese Wissenschaft gläubig praktiziert, wie durch den Meister anempfohlen, macht dieselben Erfahrungen und gelangt zum selben Schluß, ungeachtet der Religionsgemeinschaft, zu der er gehört und der Kirche, ob hoch oder niedrig, päpstlich oder anglikanisch, bischöflich oder presbyterianisch, der er Treue schuldet.

Die Wissenschaft von der Seele ist der Kern und das Herz al-ler Religionen. Sie ist das Fundament, auf dem alle Religionen ruhen. Die Meister lehren, daß es sieben Ebenen gibt: Pind, And, Brahmand, Par Brahmand, Sach Khand, Alakh und Agam. Und über dem ganzen Kosmos gibt es eine achte Ebene, die durch die Heiligen unterschiedlich als Anani (Namenlos), Maba Dayal (Herr der Barmherzigkeit), Nirala (der Wunderbarste) oder Soa-mi (der Herr von allem) benannt wird. Den Initiierten der Meister wird ein kurzer Bericht der verschiedenen Merkmale der ersten fünf Ebenen mit ihren charakteristischen Tönen und Lichtern gegeben, die in ihnen vorherrschen, außer den Namen der Mächte, die ihnen vorstehen.

Der Initiierte, der die erste Ebene erfolgreich überschrei-tet, wird ein Sadhak (Schüler) genannt. Und der die zweite E-bene überquert, wird ein Sadh (eine disziplinierte Seele) ge-nannt. Wer in Par Brahmand von seinem Zögern und Verlangen ge-reinigt wird, ist als Hanse (eine reine Seele) bekannt und wer weitergeht, ist ein Paramhansa (eine makellose Seele). Wenn einer die fünfte Ebene, Sach Khand erreicht, wird er ein Sant oder ein Heiliger genannt. Und ein Heiliger, der durch das Höchste Wesen beauftragt ist, die Wahrheit zu lehren(Shikoha) und die Wahrheit zu beweisen (Diksha), wird ein Sant Satguru (oder ein vollendeter Meister) genannt, der ermächtigt wurde, die Jivas (menschlische Seelen) in die jenseitigen Bereiche, in ihre letztliche Heimat (das Reich Gottes) zu führen.

Yoga bedeutet die Vereinigung der Seele mit der Überseele oder Gotteskraft. Es gibt so viele Yoga-Formen wie Mantra Yo-ga, Hatha Yoga, Ashtang Yoga, Karma Yoga, Bhakti Yoga, Jnana Yoga, Raja Yoga, Laya Yoga und ähnliche. Diese Yoga-Übungen befassen sich mehr oder weniger mit dem Training des physi-schen Körpers, den nach außen gehenden Kräften, dem Gemüt und dem Intellekt. Sie zielen danach, einen gesunden Geist in ei-nem gesunden Körper zu sichern, um Gesundheit, physische Taug-lichkeit und Langlebigkeit zu erlangen. Jeder hat sein eigenes Gebiet und sein eigenes Ziel. Aber alle diese verschiedenen Yoga-Formen stellen nicht eine enge Abgrenzung dar, sondern dienen zusammengenommen dazu, um den Menschen zu einem voll-ständigen Ganzen oder zu einem ungeteilten Menschen zu machen.

Es gibt jedoch noch eine andere Form des Yoga, den Surat-Shabd Yoga oder die Verbindung mit dem heiligen Wort (dem Ton-strom). Es ist die Wurzel aller Religionen und wird dennoch von den Theologen nicht genau verstanden. Er bringt einen zum letzten Ziel, zu Anami oder dem Namenlosen Absoluten, der als ihr materieller und bewirkender grundloser Urgrund hinter der gesamten Schöpfung steht. Als sich das Meer des reinen Bewußt-seins hob, brachte sich das Formlose und Namenlose Absolute in vielen verschiedenen Formen und mit unterschiedlichen Namen durch die Kraft seiner sich hebenden und senkenden Vibrationen zum Ausdruck. Der sich daraus ergebende Ton wurde das heilige Wort genannt. Wie nun mit dem Geist und der Kraft Gottes, des ersten schöpferischen Prinzips (Licht des Lebens) in direkte Verbindung zu kommen, ist das Thema des Mystizismus. Während alle Philosophien den offenbarten Aspekt des Ungeoffenbarten und die Schöpfung des Ungeschaffenen behandeln, befaßt sich andererseits der Mystizismus mit dem schöpferischen Prinzip selbst, der vibratorischen Kraft, die durch Licht und Ton (Sruti und Jyoti) gekennzeichnet ist.

Der Prozeß der Verbindung mit dem Wort beginnt mit dem be-wußten Kontakt mit der sich zum Ausdruck bringenden Gottes-kraft (dem Naam oder dem heiligen Geist), der eine tatsächli-che Erfahrung der unaussprechlichen Wonne der höheren Ebenen gewährt, und dies nicht auf gut Glauben im Jenseits, sondern hier und jetzt, während man noch im Körper in der materiellen, physischen Welt lebt.

Diese Vibrationen, die verschiedene Arten von Tönen zur Fol-ge haben, leiten die Initiierten durch die unterschiedlichen Ebenen von variierender materieller und spiritueller Dichtig-keit, und bringen den Geist zuletzt in die rein spirituelle Welt des Sat Naam (das Reich Gottes), von dem die göttliche Harmonie ausgeht und zum Mittel wird, um die weltmüden Seelen in die wahre Heimat des liebenden Vaters - den Himmel der Glückseligkeit - zurückzuführen. Tulsi Sahib sagt: ”Von weit her kommt ein Ton herab, um dich zu Gott zu rückzurufen.” So haben wir auch das Zeugnis von Shamas-i-Tabrez, wo er zu sich selbst sagt: “O Shamas, höre auf die Stimme Gottes, die dich ruft.” Und Guru Arjan erklärt:

Der dich einst in die Welt sandte, ruft dich nunmehr zurück.

Im Koran finden wir: ”0 du Seele, kehre freudig zurück zum Herrn und erfreue Ihn!”

Ein vollendeter lebender Meister ist ein Muß auf dem Weg gott-wärts. Im Johannes-Evangelium heißt es:
”Niemand kommt zum Va-ter denn durch mich.” (14,6). Alle Meister sagen, daß es auf der Welt immer einen Meister oder ‘Murshid‘ gibt, der als ‘Qibla Numa‘ wirkt, oder als einer, der auf ‘Qibla‘, das Hei-ligste des Heiligen, das Sanctum Sanctorum hinweist und unse-rer Anbetung und Verehrung würdig ist. In den Sikh-Schriften haben wir: ”Die Lehrer kommen nacheinander von einem Zeitalter zum anderen.” jrji Lukas-Evangelium heißt es ähnlich: ”Wie er vor Zeiten geredet hat durch den Mund seiner heiligen Prophe-ten” (1,70).

Das Gesetz von Bedarf und Versorgung ist in der Natur immer am Werk. Es gibt Nahrung für die Hungrigen und Wasser für die Durstigen. Wo Feuer ist, kommt Sauerstoff von selbst zu Hilfe. Aber jeder Prophet und Messias bewirkt seine Mission für die Zeit, für die er in die Welt gesandt wird. Jesus sagtet ”Die-weil ich bin in der Welt, bin ich das Licht der Welt” (Joh. 9,5). noch wenn einer seine Mission erfüllt hat, wird er zu-rückgerufen, erhoben und tritt vom Schauplatz seiner Tätigkeit auf dem Erdenplan ab. Es gibt keine Leere in der Natur. Die Gotteskraft kann nicht umhin, das Werk der Erneuerung fortzu-führen, denn es ist eine nie endende Aufgabe. Während sie sich aus einem menschlichen Pol zurückzieht, erwählt die genannte Kraft einen anderen menschlichen Pol zu ihrer Offenbarung und ihrem Werk in der Welt. Ein solcher menschlicher Pol kann der Stellvertreter Gottes genannt werden. Er springt in die Bre-sche, füllt die Lücke aus und führt das Werk weiter. Es ist genauso wie wenn eine ausgebrannte Birne durch eine neue aus-gewechselt wird, um das Fortbestehen des Lichts zu sichern. Die Christuskraft oder Gotteskraft leuchtet unvermindert von einem Pol oder einem anderen weiter, ähnlich wie bei Zoroaster, Konfuzius, Jesus, Mohammed, Kabir, Nanak, Tulsi Sahib oder Soami Ji.

Wie vorher gesagt, ist die Welt niemals ohne einen Meister. Nach Soami Ji führte Baba Jaimal Singh seines Meisters Mission im Punjab weiter, und nach ihm sein erhabener spiritueller Sohn und Nachfolger, Hazoor Baba Sawan Singh Ji, dessen Gnade noch jetzt, mehr als je zuvor, über die ganze Welt strahlt durch den ‘Ruhani Satsang‘ mit seinem Hauptzentrum in Delhi, einem allgemeinem Forum, wo die religiösen Oberhäupter des In- und Auslandes von Zeit zu Zeit zusammentreffen und zusammen-wirken, um die Menschheit in eine Bruderschaft als Kinder Got-tes zu verbinden, ungeachtet der religiösen Gemeinschaft und der Länder, zu denen sie gehören.

Wenn Heilige die Welt verlassen, werden Berichte ihrer wertvollen Erfahrungen, die sie im Verlaufe ihrer Suche nach der Wahrheit gemacht haben, zusammengetragen, und der geistli-chen Literatur der Welt hinzugefügt, wie wir sie heute haben. In diesem zwanzigsten Jahrhundert sind wir begünstigt, mehrere Schriften zu besitzen, die aus vergangenen Zeiten überliefert sind. Wir haben den Zendawosta, die Veden, die Upanischaden, die großen Epen Ranayana und Mahabharata, die Bhagavad Gita, das Alte und Neue Testament, den Koran, den Adi Granth und viele andere Bücher wie Sar Bachan und Gurmat Sidhant. Sie al-le befassen nich mit der gleichen Wahrheit, die eine und nur eine ist; aber es gibt eine Vielzahl von Annäherungswegen an sie, von denen jeder seine besondere Terminiologie und Aus-drucksweise hat. Für die meisten von uns, die an den Lehren des einen oder anderen Weisen festhalten, ist es schwer, ihren Sinn zu verstehen, aus Mangel an Wissen von der inneren Bedeu-tung der und der Sprache oder des Dialekts, der dabei Verwen-dung fand. Wenn uns nicht ein Mensch der Verwirklichung zu Hilfe kommt, der die Wahrheiten, die uns in den Schriften vor-gelegt werden, selbst erfahren hat und sie uns auf verständli-che Weise erklärt, können wir ihre wirkliche Bedeutung nicht erfassen. In den Händen eines solchen kompetenten Meisters werden die früheren Berichte lebendig und zu einer Quelle der Inspiration für die strebenden Seelen. Darum ist gesagt:

Die Schriften sind ein Werkzeug in den Händen des Meisters und helfen, das Meer des Lebens zu überqueren;
Aber sie werden nur verständlich, wenn ein Gottmensch kommt, um sie zu erklären.

Bei der Initiation wird der Wahrheittsucher bewußt mit dem heiligen Wort, der sich in Form von Licht und Ton zum Ausdruck bringenden Gotteskraft verbunden, die von der vibratorischen Bewegung in den Tiefen des Meeres der Liebe, das Gott ist, ausgeht. Es wird ihm ein direkter Beweis der Kraft und des Geistes Gottes gegeben, und er beginnt, das Licht Gottes zu sehen und die Sphärenmusik zu hören, die unaufhörlich überall im Raum und außerhalb des Raumes vibriert, denn es gibt keinen Ort, wo sie nicht ist. Von Guru Nanak, der völlig in die Farbe des allesdurchdringenden Naam gefärbt war und in einem Zustand beständiger Ekstase lebte, heißt es, daß er einmal auf seinen Reisenn, währernd er in Mekka gewesen ist, eines Tages in den heiligen Bezirken mit den Füßen gegen den Schrein der Kaaba vorgefunden wurde. Die Hüter des Schreins konnten dieses of-fensichtlich frevelhafte Tun nicht dulden. Sie rügten ihn ob der Beleidigung und sagten: ”Wie ist das, Ihr liegt mit den Füßen gegen das Haus Gottes?” Guru Nanak, der sich des Geistes Gottes, der überall und in jeder Richtung wogt, bewußt war, fragte demütig: ”Sagt mir bitte, wo Gott nicht ist, damit ich meine Füße nach dieser Richtung wende.” Auf diese Weise schau-en gottzentrierte Heilige auf die Dinge. Sie sehen Gott über-all und in jeder Richtung als ein alles durchdringendes Le-bensprinzip, das in allein pulsiert, was da ist.

Ähnlich hat der Prophet im Koran erklärt: ”Das Reich Gottes erstreckt sich von Osten nach Westen und die Gläubigen können Ihn in jeder Himmelsgegend finden, in der sie sich Ihm zuwen-den, Gott wird sie sicher in genau dieser Gegend finden, denn Er ist nicht auf einen bestimmten Raum beschränkt. Er ist all-wissend und kennt jedermanns Herz.”

Alnisai, ein Moslem-Heiliger führt diesen Punkt weiter aus und erklärt: ”Für mich ist die ganze Welt ein Tabernbakel Got-tes, ein heiliger Ort, um meine Gebete darzubringen. Meinen Anhängern steht es frei, ihre Gebete zu sprechen wo immer sie sind, wann die Zeit dafür naht.”

In der Apostelgeschichte (17,24) heißt es: ”Gott, der die Welt gemacht hat und alles, was drinnen ist, er, der ein Herr ist des Himmels und der Erde, wohnet nicht in Tempeln von (Menschen-) Händen gemacht.”

Oliver Wendell Holmes legt darum mehr Nachdruck auf die Hingabe als auf irgendetwas anders, denn liebevolle Hingabe heiligt den Ort, die Zeit und die Art und Weise des Gebets. Er sagt: “Alles ist heilig, wo man in Hingabe kniet.”

Die Kraft und der Geist Gottes durchdringen alles, sind im-mer gegenwärtig und immer in Vibration. Wenn man sich auf die göttliche Melodie abstimmt, wird die Seele unwillkürlich, so-zusagen wie durch einen elektrischen Aufzug in immer höhere Regionen erhoben, und man schreitet immer weiter auf der Spur der wohlklingenden Musik, die allmählich immer feiner wird, bis sie in der Qelle, aus der sie kam, aufgeht - im Asoluten, dem Anami oder dem Namenlosen und Wortlosen.

Wir sind alle entsprechend unserem eigenen Licht auf der Suche nach Gott. Die Seelen werden nach einem langen und müh-seligen Entwicklungsprozeß der Selbstdisziplin und Selbstläu-terung durch die Gotteskraft schließlich zu den Füßen eines Meister-Heiligen geführt, um die Reise zurück zu Gott aufzu-nehmen. ”Es kann niemand zu mir kommen, es sei denn, daß ihn ziehe der Vater, der mich gesandt hat; und ich werde ihn auf-erwecken am jüngsten Tage (Joh. 6,44).” Drr jüngste Tag heißt hier der Tag, an dem einer die Schlacke des Körpers freiwillig während des Lebens hinter sich läßt, indem er sich durch einen Prozeß der Selbstanalyse über das Körperbewußtsein erhebt; o-der unfreiwillig zur Todeszeit, wo die Sinnesströme durch den Todesengel aus dem Körper gezogen werden. Guru Arjan sagt: ”Der euch in die Welt sandte, ruft euch nun zurück. Wendet euch beruhigt und getröstet heimwärts.”

Die Erfindungen des Radios und Radars haben ohne Zweifel bewiesen, das die Atmosphäre um uns von vibrierenden Tönen er-füllt ist, die aulgefangen, herbeigezogen und aus jeder belie-bigen Entfernung gehört werden können, wenn ein geeignetes In-strument zur Verfügung steht, das richtig eingestellt und dar-auf abgestimmt ist, sie zu empfangen. Es ist genau das, was ein kompetenter Meister bei der Initiation bewirkt, wenn er die einzelnen Seelen einstimmt und das Tonprinzip für sie hör-bar macht.

Die äußere irdische Musik hat eine große Wirkung auf den Menschen. Die Soldaten auf dem Marsch werden durch die kriege-rischen Klänge von Hörnern und Trompeten angefeuert. Die Hoch-länder in ihren Schottenröcken marschieren triumphierend zum Klang der Kriegsmusik und der Dudelsackpfeifen. Segler und Seeleute hissen und holen ihre Segel ein und arbeiten unter lauten, rhythmischen Rufen an den Rudern. Gedämpfte Trommeln spielen den Trauermarsch für die betrübten Leidtragenden, die die Bahre begleiten. Tänzer tanzen im Einklang mit der Be-gleitmusik und dem Klingeln ihrer Ambänder und Fußreifen. Selbst Tiere lieben das Klingeln der Glocken, die an ihren Hörnern festgemacht sind. Die schnellfüßige Aritilope wird durch das Schlagen der Trommel aus dem verborgenen Dickicht herbeigelockt. Die tödlichen Kobras werden durch den Schlan-genbeschwörer mittels der Musik der Vina bezaubert. Die äußere Musik bringt die Seele ans Ende der materiellen Ebene und weckt Empfindungen, die sonst zu tief liegen, um zu Tränen zu rühren. Das ist in der Tat die Macht der Musik. John Dryden, ein großer englischer Dichter des siebzehnten Jahrhunderts, spricht davon in beredten Worten:

Welche Leidenschaft kann Musik nicht wecken oder stillen?
Als Jubal das besaitete Gehäuse schlug,
Standen seine lauschenden Brüder um ihn,
Und bewundernd lag auf ihren Gesichtern
Die Verehrung dieses himmlischen Klangs.
Kein geringerer als ein Gott, glaubten sie,
Könnte nicht im Innern des hohlen Gehäuses weilen,
daß so süß und lieblich sprach.
Welche Leidenschaft kann Musik nicht wecken oder stillen?

Wenn die Macht der irdischen Musik schon so groß ist, kann man sich gut vorstellen, wie groß erst die Macht der himmli-schen Musik ist. Wie erheiternd und berauschend wäre es, wenn man anfinge, sich über das Körperbewußtsein zu erheben, um in Einklang mit der himmlischen Harmonie zu sein. Das Wort ist die zum Ausdruck kommende Gotteskraft. Gott ist symphonische Liebe, die aufwallt und überfließt. Er ist die Quelle von Lie-be, Licht und Leben zugleich.

Der Weg zum Absoluten führt durch viele Wohnestätten (Ebenen und Unterebenen)‚ die auf dem Weg von der physichen Ebene bis zur Heimat des Vaters liegen. Die Reise ist voller Gefah-ren. Die mentalen Ebenen sind samt und sonders ungangbar ohne einen Führer, der mit den Windungen und Krümmungen des Pfades völlig vertraut ist. Darum die zwingende Notwendigkeit für ei-nen Guru (Fackelträger) oder einen kompetenten Meister, einem, der regelmäßig diese Reise unternimmt, der die Gefahren und Schwierigkeiten kennt, mit denen der Pfad übersät ist. Nur er, der auf dem Weg gottgewärts kundig ist, kann den Geist heil durch die schlüpfrigen Regionien blendenden Lichts und verwir-ren der Schatten, und durch den trügerischen Sirenenzauber und die Schrecken des Unbekannten bringen.

Maulana Rumi mahnt daher:

Suche einen Reisenden, der den Pfad kennt, denn ohne einen solchen ist er voll ungezählter Fallgruben und unvorstellbarer Gefahren.

Wir sind auf der anderen Seite tief in die Welt verstrickt. Kabir gibt uns eine lebendige Beschreibung unserer Hilflosig-keit in dem furchtbaren Meer der Welt. Er sagt uns, daß der Weg zum wirklichen Glück lang und mühselig ist, und wir auf der Sinnesebene tief schnarchen. Er heißt uns aufzuwachen und mit der beschwerlichen Reise bergan zu beginnen. Wir alle be-finden uns in den tödlichen Fängen der stählernen Fesseln des Lebens, die uns eine schwere Last von Täuschungen aufbürden. Unsere sogenannten Freunde und Verwandten sind größtenteils unsere Gläubiger und Schuldner und reißen uns unbarmherzig und gnadenlos in Stücke. Das Unglaubliche ist, daß wir weiter lie-bevoll zu ihnen halten und sie an unsere Brust drücken, ohne zu wissen, daß sie uns verbluten lassen. Was wir als unser Ei-gen ansehen, ist nur eine Fata Morgana und wird uns häufig in einem einzigen Augenblick weggenommen. Wiederum muß die arme Seele nach dem Tode den einsamen Pfad zum Richterstuhl Gottes (Dharam Raj, die göttliche Kraft der Vergebung) ganz alleine gehen. Mit dem verbrauchten Körperboot treiben wir wie Unkraut in der heimtückischen Strömung steuerlos dahin, eine fortge-setzte Beute für zufällig aufkommende Winde und stürmische Wasser. Wie können wir dann das andere Ufer erreichen? Für ei-nen armseligen Hungerlohn beschäftigen wir uns ständig mit ei-nem verlustbringenden Spiel und gehen am Ende hinaus wie ein verfolgtes Wild, und wissen nicht, wohin wir gehen. Wir wissen nichts vom Leben jenseits des Grabes. Wie können wir errettet werden? Dies trotzt unserem Verständnis und wir kommen uns ge-narrt und hilflos vor.

Der Meister verspricht, allezeit bei uns zu sein, hier und danach im Jenseits. Er gibt den Initiierten einen Beweis da-von, indem er seine strahlende Form in jedem manifestiert. Und er versichert uns auf unzweideutige Weise: ”Wo ich bin, da sollt ihr auch sein.

Es wird dem Initiierten der esoterische Weg gelehrt, sich in das Himmelreich zu erheben, das in ihm liegt. Die innere Reise beginnt mit dem Öffnen des Einzelauges oder ‘Shiv Netra‘. Es öffnet sich, wenn die Sinnesströme zurückgezogen und am Sitz der Seele am Augenbrennpunkt hinter und zwischen den beiden Augenbrauen gesammelt sind. Beim Eintritt ins Jen-seits kann der Initiierte mit dem Meister innen sprechen und zurückkehren mit vollbewußter Erinnerung an die Erfahrungen, die er auf den inneren Ebenen gemacht hat. Im Himmelreich gibt es weder die Kette der endlosen Ursache und Wirkung, noch Raum oder Zeit. Es gibt dort nichts als fortgesetzte Gegenwart, in der man in seiner eigenen Welt lebt. Die Verständigung zwi-schen den Seelen geschieht durch ätherische Gedankenwellen o-der Schwingungen.

Das alles und noch viel mehr kann erreicht werden durch tägliche und verlängerte Hingabe an die spirituellen Sadhans oder Übungen. Auf diese Weise erlangt ein Initiierter die be-wußte Verbindung mit dem Meister auf den höheren Ebenen und vertieft sich nach und nach so sehr in ihn, daß er eins mit ihm wird und gleich Paulus sagen kann:

Ich hin mit Christo gekreuzigt.
Ich lebe aber; doch nun nicht ich,
sondern Christus lebet in mir.
Denn was ich jetzt lebe im Fleisch,
das lebe ich in dem Glauben des Sohns Gottes,
der mich geliebet hat.
                                                      Gal. 2,20

Der Meister ist das ‚fleischgewordene Wort‘. Er ist alle-zeit in direkter und ständiger Verbindung mit dem göttlichen Wort in sich, nein, er schwelgt in der Tat in ihm, und erklärt oft: ”Ich und mein Vater sind eins”, oder wie wir im Gurbani lesen, ”Ich und mein Vater sind in derselben Farbe gefärbt”, und ”Ich und mein Vater wirken in einer Partnerschaft miteinander” (um zusammen die spirituelle Verwaltung der Welt in Gang zu halten). Kurzum, es kann gesagt werden, daß der Meis-ter ein bewußter Mitarbeiter am göttlichen Plan ist.

Zuzeiten nimmt der Meister den Initiierten unter seinem Schutz weit weit jenseits über gewisse Ebenen, die bezaubernd schön sind, so daß er sich nicht darin verstrickt und sich in die Wunder des Weges verliert. Maulana Rumi sagt darum:

Wenn du auf Pilgerreise (ins Jenseits) gehen willst, dann nimm dir einen Pilger zur Begleitung mit.
Es hat dabei nichts zu sagen, ob dieser Pilger ein Hindu, ein Türke oder ein Araber ist.
Aber achte darauf, daß er ein wirklicher Pilger ist.

Ein lebender Meister ist ein solcher Pilger. Einen lebenden Meister zu haben, ist ein großer Segen. Er verläßt und ver-säumt seine Initiierten niemals, bis ans Ende der Welt. Wenn einer initiiert ist, lebt der Meister in ihm in seinem astralen oder leuchtenden Körper und bleibt immer bei ihm, bis zum Ende der Reise nach Sat Naam oder Sat Purush. Er nimmt ihn dann ganz in sich auf, und vertieft auch des Initiierten Seele in sich, so daß beide in ihm eins werden. Selbst wenn der Schüler irgendwann vom Weg abgeht oder irregeleitet wird, wird er entweder in diesem oder in nachfolgenden Leben auf den Pfad der Rechtschaffenheit zurückgebracht.

Wiederum müssen Christus und andere Meister im Laufe der Zeit die irdische Ebene verlassen; doch sie leben weiter in der Form von Shabd im Innern, und außerhalb von Zeit und Raum. Da wir mit dem einen oder anderen von ihnen verbunden sind, wollen wir natürlich für sie leben und sterben. Aber wir wis-sen nicht, wie wir mit ihnen in uns in Berührung kommen kön-nen. Ein solcher Kontakt ist möglich und liegt in unserer Reichweite, wenn wir nur einen ‘Shabd Swaroop‘ oder einen Leh-rer fänden, der das personifizierte Wort ist und kompetent, uns mit dem Wort zu verbinden, nein, uns in das Wort zu ver-wandeln, in dem alle Meister der vergangenen Zeiten ewig leben.

Dies erinnert mich an eine Dame, die mir im Jahre 1955 in Amerika begegnete. Sie sah Christus für gewöhnlich in sich und war damit zufrieden und machte keinen weiteren Versuch, auf dem spirituellen Pfad fortzuschreiten. Eines Tages riet ich ihr beiläufig, Christus zu fragen, welche weiteren Schritte er ihr für den inneren Fortschritt vorschreiben würde. Am folgen-den Tage kam sie und bat sehr um die Initiation mit der Bemer-kung, daß Christus sie angewiesen habe, die Führung des leben-den vollendeten Meisters zu suchen, so sie den Wunsch habe, weiter fortzuschreiten.

Die inneren Kräfte behindern die Gottsucher niemals. Und wenn einer in Verbindung ist mit einem früheren Meister, weist er seine Ergebenen bereitwillig und freudig über die weiteren Schritte an, die es auf dem spirituellen Pfad zu tun gilt.

Einzelne Initiierte werden durch den Meister hinaufgenommen und es wird ihnen die Herrlichkeit der fünften Region (Sach Khand) gezeigt, und die meisten der Initiierten werden zu die-ser Ebene geführt. Aber wie vorher gesagt, gibt es insgesamt acht Regionen, und die achte ist das letzte Ziel, das durch jene erreicht wird, welche die letzte Vollendung erlangen. 

(Fortsetzung folgt)

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