Sat Sandesh

Januar / Februar 1970

 

Inhaltsverzeichnis

Vom Meister
Der Meister spricht:

  • Die Suche nach der Wahrheit

  • Das Mysterium des Todes

Von anderen Verfassern

  • Göttliche Ekstase (Aus Asa-Di-Var)

  • Der Geist der Religionen (Nanak)

  • Der innere und der äußere Meister (H. Dressel)

  • Die Suche nach dem Selbst (Bhadra Sena)

  • Mystische Dichtung (Dr. V. Sena)

 

Göttliche Ekstase

Wenn auch unwissend und unklug, bin ich dennoch Dein,
o Dein;
suche mich, o Herr, trotz Deiner Größe und göttlichen Glorie.

Es ist durch den vollendeten Meister, daß ich mit Dir verbun-den bin.
Ich habe keinen anderen Wunsch, als in Dir zu verweilen.

Kraft Deines Wortes bin ich in Fülle erblüht
und ich schwimme in göttlicher Ekstase.

Durch heilige Seelen erkennt man Dich.
Nanak bezeugt und rühmt eine solche gesegnete Gemeinschaft.

Aus ”Asa-Di-Var”

 

Der Geist der Religionen

Gott ist in deinem Herzen, warum Ihn anderswo suchen?
Die Wahrheit ist höher als alles andere, aber höher steht die wahre Lebensweise.

Religion besteht nicht in der Wiederholung von Mantras.
Wer den Einen in allem sieht, ist religiös.
Religion heißt nicht, zu den Gräbern wandern,
oder zu Verbrennungsstätten!

Religion besteht nicht in äußerlichen Haltungen
- asanas - der Kontemplation.
Religion besteht nicht im Pilgern an fremde Orte, Religion heißt nicht baden in Flüssen oder Tempel-
bädern!

Der, welcher rein bleibt inmitten weltlicher Versuchung, hat den Geist der Religion erkannt!

Nanak

 

Der Meister spricht

Die Suche nach der Wahrheit

Wir befassen uns weder mit Rassen und Religionen, noch mit irgendeiner sozialen Ordnung .Die vor uns liegende Aufgabe ist die Gottes oder des Gottmenschen, der Gott gefunden hat. Wir beten alle die Wahrheit an, die Eine ist und alles durch-dringt.

”Es mögen Myriaden Liebende sein, doch der Geliebte ist einer.
Bekenntnisse und Glaubensansichten mögen verschieden sein, aber das Ziel ist eines.”

Wir suchen alle Gott - den Gott des ganzen Universums und den Gott der Gelehrten und Ungelehrten. Er hat nichts zu tun mit Hinduismus, Sikhismus, Islam oder Christentum. Er ist Ei-ner und nur Einer, und wir beten Ihn an. Hingabe an den Meis-ter ist eine unerläßliche Bedingung auf dem Weg gottwärts. Christus sagte: ”Ich bin der Weinstock und ihr seid die Reben. So lange die Reben am Weinstock sind, werden sie weiter Frucht bringen.” Das bedeutet, daß die Gottsucher im Gottmenschen Wurzeln schlagen müssen. Ohne Hingabe an den Meister kann man nichts erreichen. Der Guru geht Gott voraus. Wir haben Gott nicht gesehen, noch können wir Ihn sehen. Er ist auf einer viel höheren Ebene als die, auf der wir sind. Er ist das Sub-tilste vom Subtilen und jenseits jeder Vorstellung. Solange wir uns nicht zu Seiner Ebene erheben und so subtil werden wie Er, können wir Ihn nicht sehen. Jeder hat seinen eigenen Ge-sichtskreis. Selbst die uns umgebende Atmosphäre ist voll win-ziger Lebewesen, die wir Mikroben nennen, aber wir können sie ohne Hilfe eines Mikroskops nicht sehen. Das Mikroskop verän-dert unser Sehvermögen und wir sehen die Mikroben vergrößert.

Die wichtigste Aufgabe des Menschen ist es, sich zur Ebene Gottes zu erheben. Im Gottmenschen ist Gott vollkommen offen-bart. Wenn wir ein dem Guru Ergebener werden, erheben wir uns zur Ebene Gottes und beginnen, die Kraft und den Geist Gottes in ihm zu sehen. Wir können uns Gott nicht vorstellen, noch ihn geistig betrachten, da er formlos ist. Im Guru nimmt Gott Gestalt an. Hingebung an den Meister ist somit Hingebung an Gott in ihm. In der Tat ist der Meister nicht der Körper, son-dern die in und durch diesen Körper wirkende Gotteskraft. Er ist der menschliche Pol, durch den die Gotteskraft wirkt und das Werk der Erlösung vollbringt. Diese Kraft wird nicht gebo-ren, noch stirbt sie. Sie bleibt ewig die gleiche:

”Gott kann nicht sprechen, es sei denn, Er nimmt
menschliche Form an.
Wie kann sich der Formlose ohne eine menschliche Form
zum Ausdruck bringen.”

So ist der Guru der menschliche Pol Gottes und wirkt wie ein lebendiger Schalter mit der ganzen Energie des ihn spei-senden Kraftwerkes. Nur der Mensch kann der Lehrer des Men-schen sein. Um Gott zu erkennen, muß man die Hilfe eines gött-lichen Lehrers suchen. Im göttlichen Lehrer oder dem Guru wogt die Kraft Gottes in Fülle. Seine Augen sind die überfließenden Schalen der Gottheit. In seiner Gegenwart verliert man jeden Gedanken an sich selbst, an die diesseitige oder die jenseiti-ge Welt. Von dieser Stufe an beginnt ‘Gurbhakti‘ (anbetungs-volle Hingabe an den Meister). Von nun an lebt der Schüler im und für den Meister. Als sich Paulus in das höhere Bewußtsein der Christuskraft erhob sagte er: ”Ich lebe aber; doch nun nicht ich, sondern Christus lebet in mir.” Khawaja Hafiz sagt auf seine Weise dasselbe:

”Mein ganzes Sein ist so durchdrungen von der Liebe Gottes,
daß ich nun keinen Gedanken mehr an mich habe und mein al-tes Selbst vollkommen verschwunden ist.
0 Herr, nun bin ich Dein und Du bist mein;
ich bin der Leib und Du bist wahrlich meine Seele.”

An anderer Stelle sagte dieser Sufi-Mystiker:

”Seit ich mit meinem Geliebten verbunden bin, habe ich je-des Gefühl der Furcht verloren,
einer, der tief in das Wasser des Lebens eingetaucht ist, kann keine Furcht vor dem Tod haben.”

Als der Apostel eins war mit Christus, sagte er:

”Ich wandle nun furchtlos durch die Schatten des
Todestales, denn Du bist bei mir.”

Es ist eine Frage des Überpflanzens - der Überpflanzung ei-nes Zweiges des einen Baumes auf einen anderen. Was geschieht? Die Frucht des zweiten Baumes nimmt, während sie ihr eigenes Aussehen und ihre Farbe behält, den Geschmack und das Aroma des ersten Baums an. Genau das geschieht, wenn die Meister-kraft oder der Lebensimpuls des Guru auf den Schüler einwirkt. Während er zwar bleibt wie vorher, ist der Schüler nicht län-ger sein bisheriges Selbst, denn der Meister hat ihn durch ein Lösegeld losgekauft. Um eins zu sein mit Gott - ‘Fana-fil-allah‘ - muß man erst seins sein mit dem Gottmenschen - ‘Fana-fil-sheikh‘. Dies ist der einfachste Weg, Gott zu erreichen. Es ist der Atman in uns, der den Faram-Atman er kennen muß. Ein Teil ist immer auf der Suche nach dem Ganzen. Wir sind so beschaffen, daß wir nicht ruhen können, bis wir Ruhe finden in Ihm. Die Flamme einer entzündeten Kerze wird sich, auch wenn sie nach unten gehalten wird, dennoch nach oben richten. Ein Klumpen Erde wird, wenn er nach oben geworfen wird, mit Si-cherheit herunterfallen. Dies ist das Gesetz der Schwerkraft. Alles neigt dazu, sich seinem Ursprung zuzubewegen. Eine be-wußte Wesenheit kann nicht anders, als das Meer allen Bewußt-seins zu suchen. So ist die Suche nach Gott etwas Natürliches im Menschen. Warum? Weil wir auf der Suche nach Frieden und Glück sind. Aber unglücklicherweise geht unser Suchen in eine falsche Richtung. Wir bemühen uns, Glück in der Welt außerhalb von uns zu suchen. Und seltsam genug, wie klein die Freude auch sein mag, die wir aufgrund geistiger Konzentration errei-chen, wir nennen sie Glück. Es ist jedoch falsch, Sinnesfreu-den Glück zu nennen. Wenn die Wirklichkeit in uns aufdämmert, werden wir uns unseres Irrtums bewußt. Das wahre Glück liegt in uns. Es ist aus der Liebe geboren, aus der Liebe zum wahren Selbst in uns und der Liebe zum Überselbst, das ebenfalls in uns ist. Gott ist die Seele unserer Seele. Jede Seele ist vom gleichen Wesen wie Gott. Somit besteht eine angeborene Ähn-lichkeit zwischen beiden. Aber durch das Fehlen von wahrem Wissen und den Mangel an kompetenten Lehrern begreifen wir un-sere wirkliche Lage nicht. Wie ein Schmetterling flattern wir von Blume zu Blume auf der Suche nach Honig, oder wie ein Mo-schustier irren wir von Ort zu Ort auf der Suche nach dem Mo-schus. Wir wissen nicht, daß der Honig und der Moschus genau im Zentrum unseres Seins in uns liegen. Ein Kind erfreut sich auf dem Spielplatz, während ein intellektueller Mensch sich an seinem Intellekt erfreut. Andererseits sucht ein junger Mann Freude in seiner Familie. So reist das Glück von einem Ort zum andern, aber es trotzt all unseren Versuchen, es zu erreichen. Wenn einer dessen müde wird, bemüht er sich, das Glück anders-wo zu suchen. Dies ist der Anfang der Weisheit. Von außen wen-det er sich nach innen. Gott, der alle Herzen kennt, trifft Vorsorge für den Strebenden. Er führt den Wahrheitssucher zu einem, der die Wahrheit in sich selbst verwirklicht hat und kompetent ist, uns zur Wahrheit zu führen. Wir haben einen Psalm von Guru Rem Das vor uns und wollen sehen, was er zu sa-gen hat:

”Der Pfeil der Liebe Gottes hat mich getroffen.”

Dies ist eine wunderschöne Art, seine Liebe zum Herrn zu beschreiben. Wenn diese Liebe einmal im Herzen ist, dringt sie mit der Zeit tiefer und tiefer ein. Sie ist völlig verschieden von der Liebe zu weltlichen Dingen. Guru Ram Das gibt uns in seinem Psalm eine Beschreibung seiner eigenen Neigung. Er hat-te eine intensive Liebe zu Gott und sie wirkte sich wie eine Besessenheit aus. Er fährt fort zu erklären, was sie für ihn bedeutete:

”Ich bin ruhelos vor Sehnsucht nach dem Anblick Gottes,
so ruhelos wie ein Durstender der nach Wasser verlangt.”

In diesem Vers versucht er, die Art des Verlangens in sich zu beschreiben. Der große Lehrer möchte Gott von Angesicht zu Angesicht sehen. Er vergleicht seinen Zustand mit dem eines Menschen, der aus Mangel an Wasser stirbt. Man kann sich gut vorstellen, was für ein schmerzhafter Zustand dies ist. Lie-bende schmachten und vergehen in ihrer Liebe nach dem Gelieb-ten. Gott ist Liebe. Unsere Seele, die vom Wesen Gottes ist, ist ebenfalls gefärbt in der Farbe der Liebe. Für den Menschen ist es nur natürlich, die eine oder andere Sache zu liehen. Gegenwärtig lieben wir unseren Körper und die körperlichen Verbindungen - Familie und Kinder, Freunde und Vorwandte, Wohlstand und Besitz. Aber all diese Dinge sind, wie ihr fest-stellen werdet, von unbeständiger Natur. Darüber hinaus ändern sie sich von einem Augenblick zum anderen. Und schließlich bleiben sie nicht immer bei uns. Entweder müssen wir sie im Laufe der Zeit verlassen, oder sie uns. Da dies der Fall ist, können wir keine beständige Freude von ihnen erhalten. Es ist nur eine flüchtige Angelegenheit. Guru Arjan sagt uns in die-sem Zusammenhang:

”Wir lieben alles, was sichtbar ist,
o Herr, wie können wir Dich, den Ewigen lieben.”

Dies ist jedoch nicht alles. Es ist auch eine Art Bindung. Wir werden im Moment vom Glanz und Zauber der weltlichen Dinge davongetragen. Wir sehen die Dinge nur oberflächlich. Wir er-kennen nicht, daß sie nicht für eine längere Zeit bei uns bleiben. Die Freuden der Welt kommen und gehen wie die Bilder auf der Leinwand. Wie können wir mit vorüberziehenden Schatten glücklich sein? Wahres Glück ist ein Geisteszustand. Deshalb betonen die Heiligen:

”Wenn du wahres Glück suchst, nimm Zuflucht zu den Füßen des Herrn.”

Die Kraft des Herrn durchdringt alles und verbreitet sich ü-berall. Die Heiligen beten allein das Höchste Wesen an. Es gibt keinen Gott außer Gott. Sie sagen uns, daß wir den einen Gott anbeten sollen. Sie kommen in die Welt, um uns mit Gott zu verbinden. Ihre Mission ist nicht, persönliche Verbindungen mit sich herzustellen. Sie sind die Heilsbringer oder Boten Gottes. Sie bringen uns Seine Botschaft. Sie leben im Willen Gottes und haben keinen eigenen Willen. Kabir betete immer:

”Mein Wunsch ist belanglos,
was immer ist, kommt von Dir.”

Wir können die Schriften jedes Heiligen nehmen. In jeder finden wir die Lobpreisung des Herrn. Sie haben nichts aus sich selbst zu sagen. Christus sprach von sich und sagte: ”Ich kann nichts von mir selber tun, sondern ich tue des Vaters Willen, der mich gesandt hat.” Heilige haben kein Gefühl der Ichheit in sich. Der große Lehrer hat eine große Pein in sei-nem Herzen. Derjenige, der den Schuh trägt, weiß, wo er drückt. Die Gottsucher sind immer in einem Zustand der Kreuzi-gung. Warum? Man muß sich über das Kreuz des Körpers erheben - dem Schnittpunkt zwischen der physischen und der astralen Welt im Menschen (dem Augenbrennpunkt):

”Der Geliebte lebt weit oben,
wie können wir Ihn erreichen?”

Es ist eine Frage des inneren Kampfes zwischen dem Gemüt und der Seele. Die Seele wünscht sehnlichst, die Überseele (Gott) zu erreichen. Die Seele schmachtet in der Liebe zum Herrn. Man möchte entweder zu Gott emporsteigen, oder, daß Gott zu einem herunterkommt. Es gibt keine dritte Möglichkeit. Man möchte die Wirklichkeit von Angesicht zu Angesicht sehen und ganz in Ihm aufgehen. Das ist das Wesen der Liebe. Amir Khusro, ein Mystiker-Dichter, sagte: ”0 Gott, komm zu mir und wohne in den Pupillen meiner Augen. Laß Dich mich sehen und mich nicht sehen. Laß unser Liebesspiel zwischen uns alleine sein.” Kabir sagte gleicherweise

“Komme Du in die Kammer meiner Augen und ruhe dort für eine Weile,
ich würde Dich mit meinen Liedern verbergen und versuchen, Dich für mich zu gewinnen.”

So sprechen Liebende. Sie fließen über vor Liebe (zum Herrn). Dies ist der Weg, um mit Gott eins zu sein. Spiritua-lität kann nicht gelehrt werden, aber von einem, der sie in sich hat, wie eine Infektion aufgefangen werden. Ein wenig Sauerteig durchsäuert den ganzen Teig. Es ist genau, wie man Milch mit ein wenig Quark säuern kann. In der Gesellschaft ei-nes solchen Menschen beginnen wir, etwas von seiner Farbe an-zunehmen. Man fühlt mit Sicherheit eine gewisse Veränderung in sich. Die Ausstrahlung eines solchen Menschen wird uns auf je-den Fall bis zu einem gewissen Ausmaß beeinflussen.

Der Weg zu Gott liegt in der Liebe. Liebe ist das Binde-glied zwischen der Seele und der Überseele. Alle religiösen Praktiken und Rituale, die wir verfolgen, sind Hilfsmittel, um die Flamme der Liebe in uns zu entzünden. Aber unglücklicher-weise führen wir sie als eine Routinesache auf der physischen Ebene durch, wie Gymnastik; und so bringen sie keine innere Wandlung zustande und sind von keinem großen Nutzen für uns. Daher ist gesagt:

”Man mag hundert Jahre lang religiöse Praktiken und Buß-übungen durchführen und dennoch weit von Gott entfernt sein; man kann Gott nicht gewinnen, ohne die Flamme der Liebe in sich zu entzünden.”

Wir müssen das Feuer der Liebe in uns entfachen. Ohne Liebe können wir Gott nicht erreichen, denn Er ist Liebe. Im Feuer der Liebe überlebt nichts als der Geliebte. Im Koran heißt es: ”Liebe ist ein Waldbrand, der alles verzehrt außer den Gegens-tand der Liebe.”

Wiederum wird Liebe auch mit einem spähenden Adler vergli-chen, vor dem alle kleinen Vögel davonfliegen, um sich zu ret-ten. Wer hält dieser furchtbaren Feuerprobe stand? Niemand au-ßer dem, der das Feuer entzündet hat. Guru Gobind Singh, der zehnte Guru in der Nachfolge Guru Nanaks , sagte richtig:

”Hört alle aufmerksam zu - wahrlich, ich sage euch, es ist durch die Liebe, daß man Gott erreicht.”

Guru Ram Das fühlt sich nun, nachdem er das Feuer der Liebe für den Herrn in sich entwickelt hat, ruhelos wie ein Dürsten-der nach Wasser. Er fährt darum fort zu erklären:

”Gott allein kennt den Zustand meines Herzens und
die große Qual in mir.”

Bitte versteht, daß es nur der Geliebte sein kann, der die quälende Pein im Herzen des Liebenden verstehen kann. Gott kennt alle Herzen und Er weiß am besten, wer sich nach Ihm verzehrt. Nur jemand, der diesen Zustand durchgemacht hat, kann sich vorstellen, was er bedeutet. Ich möchte euch von meinem Gemütszustand im Jahr 1911 und 1912 erzählen. In jenen Tagen hatte ich ein großes inneres Drängen nach Gott. Es moch-te teilweise von meinen vergangenen Karmas und teilweise von der gegenwärtigen Entwicklung abhängen. Während ich im Büro saß, flossen ungewollt Tränen aus meinen Augen und befleckten die vor mir liegenden Schriftstücke. Ich fragte mich, was das sein konnte. Damals hatte ich gerade den Befehl zur Versetzung erhalten und meine Kollegen und die Familienangehörigen dach-ten, daß ich mir diese Versetzung zu Herzen genommen hätte. Wie konnten sie meinen wirklichen Gemütszustand kennen?

Das Mysterium des Lebens ist das größte Mysterium im Leben. Wenn diese Frage einmal auftaucht, kann man sie nicht mehr ig-norieren, auch wenn man es noch so sehr versuchte. Sie kommt immer wieder hoch und erscheint auf verschiedenartigste Weise. Ich hatte einmal Gelegenheit, bei einer Sterbenden zu sitzen. Dieses Erlebnis hatte eine tiefgreifende Wirkung auf mich. Mit der Reinheit des Lebens hatte ich auch die Fähigkeit entwi-ckelt, in die Zukunft zu sehen. All das fiel mir auf natürli-che Weise zu. Aber bei alledem konnte ich das Rätsel des Le-bens nicht lösen. Der Anblick der Sterbenden vor meinen Augen ließ mein Herz schneller schlagen. Ich konnte fühlen, daß da etwas war, das aus diesem Menschen entwich. Aber ich konnte nicht herausfinden, was es war. Ich wußte noch nichts vom Le-bensimpuls. Während er in mir noch wogte, ebbte er in dem an-deren Menschen ab. Die Frau auf dem Totenbett rief ihre Freun-de und Verwandten zu sich, um sie noch einmal zu sehen, bevor sie sie für immer verließ; und im Augenblick danach schloß sie die Augen, um sie nie mehr zu öffnen. So ging sie vor meinen Augen hinüber, und ich war verwirrt. Ich war bestürzt, den to-ten Körper vor mir zu sehen. Das Leben in ihr war gegangen. Aber ich fühlte, daß es in mir noch weiterwirkte. Ich folgte der Bahre mit den anderen zur Verbrennungsstätte. Auf dem Wege schauten meine Augen forschend zur Totenbahre, konnten aber nichts entdecken. Sogar die Gelehrten und Weisen wissen nicht, wie dieses Mysterium zu lösen ist. Als wir am Verbrennungs-platz ankamen, sah ich den Leichnam eines alten Mannes, der auf den Scheiterhaufen gelegt wurde. Neben diesem errichteten wir einen neuen Scheiterhaufen für den Körper der jungen Frau, den wir auf unseren Schultern getragen hatten. Der Kontrast zwischen den beiden Szenen - dem jungen und dem alten Menschen - vertiefte die Qual in meinem Herzen. Weder der eine, noch der andere konnte den Fängen des Todes entrinnen. Beide lagen sie leblos vor mir. Ich wollte wissen, was das Leben ist. Ich versuchte, die Antwort auf mein Problem in den Büchern zu fin-den. Ich pflegte Nächte hindurch zu lesen. Aber die Bücher verhalfen mir zu keiner Lösung. Alles was ich ihnen entnehmen konnte, waren hier und dort verschleierte Hinweise. An einigen Stellen fand ich lange Erklärungen der Aussprüche der ‘Mahat-mas‘, die in diesen Büchern aufgezeichnet waren und einem rie-ten, dieses oder jenes zu tun. In den Büchern stand sogar, daß es eine Frage des Todes im Leben sei. Aber wie das vor sich ging, war die Frage. Dafür gab es keine Antwort in den Bü-chern. Buchwissen kann nicht geben, was man durch praktische Erfahrung bekommen kann. Es ist eine Frage der Selbstanalyse. Ein wahrer Meister kann einem eine Erfahrung vom Ausweg geben. Ich konnte das große Mysterium in seinem praktischen Aspekt erst verstehen, als ich zu den Lotosfüßen meines Meisters, Ha-zoor Baba Sawan Singh Ji Maharaj, kam. So bahnen sich alle Dinge ihren Weg und formen sich, wenn ein intensives Verlangen da ist. Ich allein wußte, warum ich in jenen Tagen Tränen ver-goß. Wie hätten andere davon wissen können?

In der Welt sehen wir die Menschen nach dem einen oder an-deren weinen und klagen. All diese Tränen sind um Dinge der Welt. Sehr wenige weinen um die andere Welt (das Leben da-nach). Ein wahrer Gottsucher ist immer im Zustand akuter Ruhe-losigkeit und das ist immer ein glückliches Vorzeichen. Die dichten und drückenden Wolken sind die Vorboten des Regens. Die Obstbäume bringen erst Knospen und Blüten hervor, bevor sie die eigentliche Frucht tragen. So war der Gemütszustand von Guru Ram Das. In einem Zustand wie diesem sagt man unwei-gerlich: ‘0 Herr! Ein Augenblick der Trennung von Dir wird zur lebenslangen Agonie.‘ Eine Nacht der Trennung ist eine furcht-bare Hölle. Der Weltkluge weint nach der Welt, aber ein Erge-bener weint nach dem Herrn:

”Durch Tränen erreicht man Gott;
wenn man Ihn bequem erreichen könnte, wer würde
dann Trauer anlegen?”

Es ist notwendig, den tief im Herzen liegenden Gefühlen Luft zu machen. Durch eine reiche Tränenflut können wir die aus Zeitaltern stammenden Eindrücke, die in das Gemüt einge-graben sind, wegwaschen. Maulana Rumi sagt uns, daß eine Pil-gerfahrt zur Kaaba nur auf dem Seeweg möglich ist und nicht zu Lande. So kann Gott nur über Tränen erreicht werden, die über unsere Wangen hinab fließen. Dies ist folglich der Zustand von Guru Ram Das. Die Welt weiß nicht, was das ist, aber Gott weiß es sehr gut.

”Wer mir von meinem Geliebten Herrn erzählt, ist mein nächster Verwandter.”

In diesen denkwürdigen Worten hat der Guru ein schönes Bild seiner inneren Gefühle gegeben. Sind wir nicht immer begierig, etwas über einen zu hören, der uns nah und lieb ist? Gott ist der Liebste der Lieben und der Nächste der Nahen. Wir suchen alle Gott und sind begierig, etwas über Ihn zu hören. Wo ist Er? Wie kann man Ihn finden? Wie kann Er mit uns versöhnt wer-den? Und zuletzt, wie kann Er für uns gewonnen werden? Gott ist das einzige Ziel unseres Wünschens und für ihn sollten wir bereit sein, alles zu opfern, einschließlich unseres Selbst. In der Liebe dehnt man sich aus und glaubt, daß man der reichste Mensch auf der Welt ist und in der Lage, um Seinet-willen alles aufzugeben - sowohl sich selbst als auch seine Welt. Wir sind so begierig, von Ihm und seinen Erzählungen zu hören, daß uns jeder, der von Ihm spricht, teuer wird. Es kann ein uns völlig fremder Mensch sein, und dennoch beginnen wir, ihn zu lieben wegen der Botschaften von Gott, die er uns bringt. Guru Arjan sagt desgleichen:

”Wer auch immer mich zu meinem geliebten Gott bringt,
dem verkaufe ich mich glücklich als Sklaven.”

Warum sollte jemand lebenslang eines anderen Sklave sein? ”Weil ich so begierig bin, meinen Geliebten von Angesicht zu Angesicht zu sehen.” Dies ist dann der Gemütszustand eines Menschen, der in seiner Liebe zum Herrn verschmachtet. In solch einem Zustand ist uns jeder, aber auch jeder willkommen, der uns Liebesgeschichten erzählen kann. Der Geschichtenerzäh-ler mag irgendwer auf der Welt sein. Wir interessieren uns nicht für seinen Stand oder seinen Glauben oder die soziale Ordnung, zu der er gehört. Wir sind alle Zecher in der göttli-chen Taverne. Wir alle lieben göttliche Berauschung. Wenn eine Anzahl Trinker zusammensitzt und sich freuen kann, warum kön-nen es die Ergebenen Gottes nicht? Das bedeutet, daß wir die Liebe zu Gott noch nicht entwickelt haben. Wenn die Gottes-kraft in uns allen wohnt, warum haben wir dann keine Liebe un-tereinander? Der erste Schritt in der Spiritualität ist, die-ses fundamentale Prinzip zu erkennen. Einer, der dieses Grund-prinzip verstanden hat, nimmt eine andere Farbe an:

”Seit ich in die Herde eines Gottmenschen gekommen bin,
habe ich jedes Gefühl der Zweiheit verloren und keiner ist mir fremd; ich bin nun allen ein Freund und jeder liebt mich.”

Dies ist nun die auffallende Änderung, die einer in sich spürt, wenn er beginnt, sich mit einem Heiligen zu verbinden. Er beginnt, die Welt zu lieben, weil er die Kraft Gottes in jedem sieht, ohne Unterscheidung auf Grund von Religion, Stand oder Glaubensbekenntnis. Das ist die erste Lektion, die man vom Satguru bekommt.

”Der Satguru ist bekannt für seine allesumfangende Liebe,
in seiner Gemeinschaft sitzen alle zusammen und bilden ei-ne heilige Familie.”

Aus diesem Grund betrachtet Guru Ram Das jedermann als ech-ten Freund und nahen Verwandten. Auf der anderen Seite sind wir alle ichbezogen und haben noch nicht erkannt, daß wir alle Brüder und Schwestern in Gott sind. Alle Verbindungen dieser Welt bleiben in der Welt zurück, wenn die Seele sie verläßt. Der Guru aber verknüpft uns in einer Art von Bruderschaft, die immer währt. Wie? Er stellt ein gemeinsames Ziel vor uns auf - das Ideal der Gotterkenntnis. Wenn das Endziel das gleiche ist, müssen wir den gemeinsamen Pfad beschreiten, der zum Ziel führt. Letzten Endes werden wir uns alle in Gott treffen. Ein-mal fragte ich meinen Meister, wie denn am Ende alle Schüler sich treffen würden, wenn jeder seine eigene Zeitspanne und sein eigenes Maß des Fortschritts auf dem spirituellen Pfad habe? Hazoor antwortete: ”Wir müssen alle den Strom des Lebens überqueren. Einige mögen mit dem ersten Boot übersetzen, ande-re mit dem nächsten. Der Landehafen ist letztlich der gleiche für alle. Wir werden uns alle in diesem Hafen treffen.” Des-halb ist gesagt:

”Der Guru sucht die Seinen und vereint sie in der
wahren Verwandtschaft, die ewiglich die gleiche
bleibt.”

Das ist die Art von Verwandtschaft, in der wir durch den Meister vereint werden. Die Menschen der Welt kommen und gehen in ihrem eigenen Rhythmus und sind bald vergessen. Aber die gottesfürchtigen Menschen bleiben für immer bei uns, sowohl hier als auch im Jenseits. Sie sprechen mit uns über Dinge, die uns teuer sind. Sie sind in der Tat unsere wirklichen Be-gleiter. Die Vögel gleichen Gefieders fliegen zusammen. Ein Ergebener des Herrn freut sich, über den Herrn zu hören. Wir achten alle religiösen Führer, ganz gleich welcher sozialen Ordnung sie angehören, oder wo sie auch immer sein mögen. Die Unterschiede bestehen nur auf der körperlichen Ebene. Die See-le ist die Wirklichkeit und hat keinen Stand, keine Farbe oder Konfession. Von der Ebene der Seele her sind wir alle gleich. Hier liegt die Einheit in der Vielfalt. Wir haben es verges-sen. Ein erwachter Mensch weist uns auf diese Tatsache ein-dringlich hin. Er macht sie uns bewußt. Wenn wir den Körper überschreiten, dehnt sich unser Bewußtsein aus und kommt der Allbewußtheit näher. Auf diese Weise werden wir uns der Ab-sicht und des Planes Gottes bewußt. Dann erkennen wir, daß wir die Kinder eines Gottes sind und daß wir alle wie Brüder und Schwestern in Gott zusammenleben müssen:

”Laßt uns alle miteinander verbunden sein wie befreundete Mädchen und des Herrn Lobpreis singen, nachdem wir uns die Lektionen eines Gottmenschen in der Gottesliebe zu Herzen genommen haben.

In der östlichen Terminologie wird Gott allein als der Bräutigam betrachtet, während alle von Ihm ausgehenden Seelen als Bräute oder Jungfrauen gelten. Jene, die sich mit dem Herrn vereinen, treten in einen ewig währenden Ehestand ein und sind für immer glücklich. Die irdischen Verbindungen sind kurzlebig - vielleicht 10, 50 oder selbst 1000 Jahre. Guru Ram Das rät uns deshalb, wir sollten lernen, als Freunde in Gott zusammenzusitzen und uns an nichts anderem zu erfreuen, als an Gespräch über Gott. Wir können Loblieder auf den Herrn erst singen, nachdem ein Satguru uns einen inneren Kontakt mit der Gotteskraft gegeben hat. Ohne diese echte Erfahrung tun wir dies, nachdem wir von Gott nur in den Schriften gelesen oder über ihn von anderen gehört haben. Dieses Singen ist zweitran-giger Natur. Aber wenn wir lobsingen, nachdem wir die Wirk-lichkeit gesehen und die göttliche Berauschung gekostet haben, wird unser Singen von transzendenter Art sein. Welch ein welt-weiter Unterschied zwischen den beiden. Die Lieder mögen die gleichen sein, aber die Sänger sind anders.

Die Ergebenen des Herrn bleiben in Verbindung mit dem Herrn. Sie sehen Ihn von Angesicht zu Angesicht. Sie leben in einem Zustand dauernder Berauschung. Wenn sie von Gott singen, tun sie das auf eine für sie ganz besondere Weise. Ihnen ist ein charakteristischer Rhythmus und Klang eigen. Ihre Lieder fließen ganz von selbst aus der Tiefe ihres Herzens und berüh-ren jene tief, die sie hören. Wir können diese Empfindung und diesen Zauber nicht von den Liedern jener erhalten, die keine praktische Erfahrung von Gott haben. Mit einer Erfahrung der Gotteskraft im Gottmenschen können wir nicht anders, als un-willkürlich von Ihm zu singen. Der Satguru ist die Quelle der Kraft und des Geistes Gottes. Er gibt uns eine Kostprobe die-ses Elixiers. In seiner Gemeinschaft wird unser Intellekt still, und wir fangen an, uns über ihn zu erheben. Ohne diese wesentliche Erfahrung sind unsere Lieder, wie süß und melo-disch sie auch sind, nur zweitklassig. Warum? Weil unser In-tellekt unablässig fortfährt, an dieses oder jenes zu denken. Diese ständige Vibration im mentalen Bereich stellt eine große Hürde auf unserem Weg dar. Wir mögen mit den besten Vorsätzen und reinsten Motiven beginnen, aber wir können den Intellekt nicht am Arbeiten hindern. In der Tiefe unseres Gemüts sind unterschwellige Strömungen ständig in Bewegung. Im Laufe der Zeit verdirbt sogar eine gute Gewohnheit sich selbst. Alle Ge-danken, ob gut oder böse, fördern die Ausdehnung unseres Ge-müts. Da dies der Fall ist, kommt es niemals zur Ruhe. Ohne das Gemüt zu beruhigen, können wir nicht Vorwärtskommen. Nur wenn das Gemüt im Gleichgewicht ist, kann die Seele vorwärts-schreiten und ihren Weg nach oben finden. Es ist eine Frage der Zielbewußtheit. Wenn wir in einer frohen Gesellschaft bei-sammensitzen, denken wir an die Liebe Gottes und die Liebe des Gottmenschen und sprechen davon. Dies hilft uns, unsere ver-streuten Gedanken zu sammeln. Deshalb ist gesagt:

”Sitzt zusammen als Glieder einer Familie.
Vergeßt alle Unterschiede und richtet eure Aufmerksamkeit gottwärts.”

Es liegt ein großer Segen in solch einem Zusammensitzen. Der Herr hat gesagt: ‘Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.‘ Außerdem versuchen wir, wenn wir zusammensitzen, den Standpunkt des anderen zu verste-hen. Wenn wir die richtige Haltung gelernt haben, werden wir den Ansichten anderer gegenüber tolerant. Und mehr noch, wir entgehen dem Übel der Zweideutigkeit. Wenn gleichgesinnte Men-schen zusammenkommen, wollen sie natürlich über nichts als ü-ber das sie gemeinsam Interessierende sprechen - Gott und ihre Liebe zu Gott. Dies führt dann zur Verfolgung des einen (ge-meinsamen) Zieles. So sind wir vor eitlem Geschwätz und vor ungebührendem Loben oder Herabsetzen anderer bewahrt. Daher ist gesagt:

”Wenn die ganze Schöpfung die Offenbarung des heiligen Lichts ist, sind die offenbarten Wesen im Kern ihres Seins nichts als heilig, ganz gleich, was ihre Taten sind.”

Der Unterschied zwischen Mensch und Mensch besteht nur an der Oberfläche. Nichts ist gut - oder schlecht, nur das Denken macht es dazu. Der eine mag reich, der andere arm sein. Einer mag gut erscheinen oder schlecht, doch wir können über ihn kein Urteil fällen. Jeder hat die Kraft Gottes in sich. Auf der Körper-Ebene sind wir alle gleich, denn alle Menschen sind innerlich wie äußerlich nach dem gleichen Muster geschaffen. Wir werden auf die gleiche Weise geboren und mit gleichen Vor-rechten von Gott ausgestattet. Gott schuf den Menschen - eine bewußte Wesenheit - nach Seinem eigenen Bilde. Der Mensch ist ein Teil der Allbewußtheit. Durch Erfahrung kommen wir zu die-ser Schlußfolgerung, sei es nach dem Durchleben der Sturm-und Drangzeit in diesem Leben oder in früheren Inkarnationen. Der Mensch entwickelt sich beständig. Er mag heute oder morgen, oder zu irgendeinem entfernten Zeitpunkt lernen. Wir sind alle auf dem Weg. Das wirkliche Glück liegt woanders. Es kommt nur in der Vereinigung mit dem Ganzen. Darum rät uns Guru Ram Das, in der Liebe zum Herrn zusammenzusitzen. Denn das würde uns einen klaren Blick verleihen und wir würden auf festem Boden stehen. Außer diesen gibt es kein anderes Mittel auf der Sin-nesebene.

”O Gott, gewähre Nanak seinen Herzenswunsch:
Bring ihn von Angesicht zu Angesicht mit der Wirklichkeit, so daß er ewigen Frieden haben möge.”

Mit diesem Gebet kommen wir zum Abschluß dieses schönen Psalms. Dies ist die höchste Art eines Gebotes, das ein er-wachter Mensch ausdrücken kann.

Nun nehmen wir eine Hymne von Guru Arjan, dem 5. Guru in der Nachfolge Nanaks. Wir wollen sehen, was er in diesem Zu-sammenhang zu sagen hat. Auch was er sagt, ist ähnlich dem vorher von seinem unmittelbaren Vorgänger Guru Ram Das Gesagten.

”In Innersten meines Herzens war der sehnliche
Wunsch, meinen Geliebten zu treffen;
auf die eine oder andere Weise hat der vollendete
Meister gnädig meinen langgehegten Wunsch erfüllt.”

Noch einmal, es ist eine Frage der Ernsthaftigkeit. Brau-chen wir Gott wirklich? Manchmal verlangen wir nach Gott. Selbst unser Intellekt empfindet zeitweise die Notwendigkeit Gottes. Aber will unser Gemüt Gott? Dies ist der Kernpunkt des Problems. Wir bitten vm die Dinge mit geheimem Vorbehalt, nur wenn sie uns auf der physischen Ebene von Nutzen sind. Ande-rerseits ist das Gemüt vollständig in der Farbe der Welt ge-färbt. Es hat keine Zeit, an irgend etwas anderes zu denken. Dem Gemüt wohnt eine große Kraft inne. Um das, was es haben möchte, betet es inbrünstig. Manchmal weint es sogar darum. Gott spielt dabei nur die Rolle eines Mittels für die Erfül-lung der weltlichen Wünsche. Und Tag und Nacht denkt man nichts anderes. Dies ist der tatsächliche Zustand unseres Ge-müts. Ihr könnt es selbst herausfinden. Verlangt ihr ernsthaft nach Gott? Nein. Wir wollen Ihn nur als ein Mittel zum Ziel; das Ziel sind physische Freude und Bequemlichkeiten. Sonst hat Gott keine Bedeutung für uns. Es ist eine Frage von Bedarf und Versorgung. Wenn wir Gott wirklich wollen, kommt uns das Na-turgesetz zu Hilfe. Wo Feuer ist, kommt Sauerstoff zur Hilfe. Alles was wir tun müssen ist, unser Gemüt, unseren Intellekt und unsere Rede auf eine Ebene zu bringen. Eine solche Haltung verstärkt die Kraft des Gemüts. Wo das Gemüt stark ist, kann uns nichts im Weg stehen. Wir müssen unserem ‘Selbst‘ treu sein, dann wird uns jeder Wunsch erfüllt werden:

”Wenn unsere Gebete aufrichtig sind und aus dem
zufriedenen Gemüt aufsteigen,
dann wird Gott, wenn er sie hört, uns zu Sich
rufen, nein, uns zu Sich ziehen.”

Was ist ein aufrichtiges Gebet? Es ist ein Gebet, das gleich-erweise vom Gemüt, vom Intellekt und von den Lippen kommt. Sonst sind wir nicbt aufrichtig zu uns selbst und betrügen uns selbst und Gott. Warum werden unsere Gebete nicht erhört? Weil wir verkehrt bitten. Das Notwendige richtig zu erbitten, ist die erste Bedingung. Die zweite ist, daß wir mit dem, was wir haben, zufrieden und dafür dankbar sein sollten. Undankbarkeit ist das größte übel. Was hat uns Gott nicht gegeben? Alles was wir brauchen und noch viel mehr. Haben wir je ein Dankgebet dargebracht für das, was Er für uns getan hat und für die reichlichen Gaben, die Er gewährt? Wenn wir diese Bedingungen der Aufrichtigkeit und Zufriedenheit mit dankbarem Herzen er-füllen, wird Er uns nichts verweigern, worum wir auch bitten. Wenn wir von Ihm, Gott aufrichtig erbitten, wird Er sich uns nicht versagen. Im Gegenteil, er wird uns zu sich ziehen. Er kennt unsere Herzen und liest in uns genau. Wir können nichts vor Ihm verbergen bei all unserer Schlauheit und Geschicklich-keit. Er durchschaut genau, was in uns vorgeht, und handelt entsprechend. Wir weinen um unser Brot, wir weinen um unsere Verluste, aber wir weinen niemals um Gott.

Von Namdev, dem Heiligen, der Kattun-Drucker war, wird er-zählt, daß einmal der Balkon seines Hauses herunterbrach. Sei-ne Familie bat ihn, einen Zimmermann zu holen, um die notwen-digen Reparaturen ausführen zu lassen. Wie ihr wißt, denken die Ergebenen kaum an solche Dinge. Er ging wie gewöhnlich von zu Hause weg und saß in liebevollem Gedenken an Gott. Er ver-gaß sich, er vergaß die Welt um sich, er vergaß den Balkon und den Zimmermann. Am Abend stand er von seiner Meditation auf und ging nach Hause. Seine Leute fragten ihn, ob er mit einem Zimmermann Vereinbarungen für die Arbeit getroffen habe. ”Es tut mir leid, ich habe es ganz vergessen. Ich werde morgen den Zimmennann bestimmt holen.” sagte er. Einige Tage vergingen auf diese Weise. Alle zu Hause waren verärgert und drohten ihm schlimme Folgen an, falls er den Zimmermann am nächsten Tag nicht brächte. ”Ich werde den Zimmermann morgen bestimmt brin-gen.” antwortete er. Es mag seltsam erscheinen, aber Namdev vergaß wieder, einen Zimmermann zu holen. Ein Mann Gottes ist immer in Gott vertieft. Wie kann er an die Welt und die welt-lichen Dinge denken? Sie sind für ihn bedeutungslos. Als er am Abend wieder aus der Meditation erwachte, schämte er sich sehr. Aber es gab keine Möglichkeit, aus dieser mißlichen Lage herauszukommen. Voll Sorge ging er langsam nach Hause zurück. Gott, der seine schwierige Lage vorhersah, war während des Ta-ges in der Kleidung eines Zimmermannes zu seinem Haus gegangen und hatte den zerbrochenen Balkon in Ordnung gebracht. Als Namdev zu Hause eintraf, war er sprachlos, als er das Werk er-blickte. Es war eine Arbeit von erlesener Handwerkskunst und in einer ungewöhnlich kurzen Zeit fertiggestellt worden. Er konnte sich denken, wer der Zimmermann war. Nur Gottes Hand konnte dieses Wunder tun.

‘Nur eine Nachtigall kann eine Nachtigall verstehen.‘ Der Ergebene wußte, daß sein Gott diese Arbeit getan hatte. Er faßte Mut und ging schnell seinen Gartenweg entlang. Die Nach-barn drängten sich um ihn und fragten nach dem Lohn, den er mit seinem Zimmermann vereinbart habe. Er antwortete: ”Liebe ist der einzige Lohn, den mein Zimmermann verlangt.” Die nächste Frage war, wie man diesen Zimmermann herbeiholen kön-ne. ”Mein Zimmermann kommt, wenn man sich selbst vollständig von seiner Familie löst,” fügte er hinzu. Ihr könnt nun die Situation gut verstehen. Wenn ihr Sein werdet, wird Er euer. Er kommt dann von selbst zu euch, ohne gerufen zu werden. Nam-dev hatte in seiner Ergebenheit sich selbst vergessen. Er hat-te Gott niemals gebeten, seinen Balkon instandzusetzen. Gott hält die Ehre seines Ergebenen aufrecht um Seines Namens wil-len.

Ich möchte euch aus meiner eigenen Erfahrung berichten. Es geschah zu Lebzeiten meines Meisters Hazoor Baba Sawan Singh Ji Maharaj. Mein Sohn war ernstlich krank. Er schwebte zwi-schen Leben und Tod. Die Ärzte unterrichteten mich von dem kritischen Zustand meines Sohnes. Sie baten mich, selbst auf das Schlimmste vorbereitet zu sein. Sie rieten mir, ein paar Tage frei zu nehmen, um am Krankenbett meines Sohnes zu sein. Der folgende Tag war zufällig ein Sonntag. Ich sollte in Am-ritsar einen Vortrag halten. Dies war eine Aufgabe, die mir mein Meister übertragen hatte. Ich stand zu einer sehr frühen Stunde an Morgen auf. Die warnenden Worte der Ärzte klangen mir noch in den Ohren. Ich dachte, daß Leben und Tod in ande-ren Händen lagen als den meinen. Was konnte ich letzten Endes tun? Das Geheiß meines Meisters zu erfüllen, lag selbstver-ständlich in meinen Händen. Ich beschloß, meiner Pflicht nach-zukommen, und Hazoor die seine tun zu lassen. Dementsprechend ging ich nach Amritsar, um die mir zugewiesene Aufgabe zu er-füllen. Der Vortrag wurde wie gewöhnlich gehalten. Das Wetter war heiß und schwül. Um 10.00 Uhr hatte ich meine Arbeit been-det. Eine Stunde später verließ ich den Saal. Als ich auf hal-bem Wege nach Beas war, hatte ich plötzlich den starken Wunsch, mich zu beeilen, um Hazoors ‘darshan‘ zu bekommen. Ich kam gegen 13.30 in Beas an. Hazoor ruhte gerade. Als er er-fuhr, daß ich gekommen war, rief er von oben nach mir. Er setzte sich auf und fragte: ”Was ist mit deinem Sohn?” Ich antwortete: ”Er war krank und in einem ziemlich bedenklichen Zustand. Aber ich mußte die mir übertragene Pflicht erfüllen. Ich konnte nichts mehr tun, noch lag es in meiner Macht, ihn zu retten, indem ich dort blieb.”

Meine Worte schienen Hazoor sehr besorgt zu machen. Eine Weile saß er still da. Ich sagte ruhig: ”Hazoor, wer auch im-mer an Euch denkt, ist befreit von all seinen Sorgen. Warum macht Ihr Euch so viel Sorge um mich?” Er antwortete: ”Kirpal Singh, du hast dich von der Last befreit und ich muß sie auf meine Schultern nehmen. Wenn du dich so deinen Pflichten beugst, was kann ich dann anderes tun?” Die Schriften sagen uns: Der gnädige Vater hat so bestimmt: Worum der Sohn auch bittet, das muß ihm gewährt werden. Aber worum sollte man bit-ten? Um Gott oder um die Welt? Nanak sagt uns:

”Der geringe Nanak bittet nur um eines:
O Herr, pflanze Deine Lotosfüße in mein Herz.”

Das sagen alle Schriften. Im heiligen Koran haben wir: ”Ich werde dem Menschen gewähren, was er erbittet. So sollte das einzige, das man verlangt, eine starke Sehnsucht nach dem Herrn sein. Wenn wir in unserem Bestreben aufrichtig sind, werden wir Ihn sicher bekommen.

Einmal saß ein kleiner Junge ganz allein in einem Zimmer. Seine Mutter war in der Küche. Der Milchtopf stand auf dem Feuer vor ihr. Das Kind wollte aufstehen, rutschte aber aus und fiel. Dann versuchte es, sich selbst hochzustemmen, indem es sich gegen die Wand stützte. Seine kleinen Hände fanden keinen Halt und es fiel wieder. Dann sah es den Türvorhang und streckte seine Hände danach aus, um sich daran hochzuziehen. Wie das Unglück es will, glitt der Vorhang von der Stange und beide fielen auf den Jungen. In seiner Hilflosigkeit fing er an, erbarmenswert zu weinen und rief nach seiner Mutter. So-bald die Mutter sein Weinen hörte, eilte sie auch schon in das Zimmer, ohne sich um die kochende Milch zu kümmern und drückte ihn an sich. Sie nahm das Kind und ging zurück in die Küche, um nach der Milch zu sehen. Aber es war zu spät, die Milch vor dem Überkochen zu retten. Das Kind glaubte vielleicht, daß es den Trick erkannt habe, seiner Mutter Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Als es ein paar Tage später alleine im Zimmer saß, begann es wieder ‘Mutter, Mutter‘ zu schreien. Die Mutter konnte annehmen, daß es sich nur einem mäßigen Singsang hingab und kam nicht. Das Kind kam daraufhin langsam in die Küche und fragte, was die Mutter täte. Sie antwortete, daß sie damit be-schäftigt sei ‘dal‘ (Haferbrei) zu kochen. Das Kind sagte, es habe gedacht, daß sie vielleicht ein besonders leckeres Ge-richt zubereite, viel besser als Milch, weil sie auf seinen Ruf so lange nicht geantwortet habe. Die Mutter entgegnete: ”Mein Kind, heute war kein Schmerz in deiner Stimme.”

Ihr seht, es ist eine Frage des inneren Verlangens. Wir flehen nach weltlichen Dingen und wünschen uns nicht Gott. Gott beantwortet nur den Schrei aus dem Herzen. Er antwortet nicht auf unsere Lippen-Gebote. Während wir im Gebet sitzen, laufen unsere Gedanken nach den Familienangelegenheiten. Ent-schuldigt, wir sitzen nicht im Tempel unseres Herzens, sondern praktizieren Götzendienst. Gott wird niemals kommen, wenn es so viele Götzen gibt, die euch anziehen und euch beschäftigen. Ihr würdet gut daran tun, euren Gemütszustand mit dem von er-wachten Seelen zu vergleichen. Guru Arjans Herz brennt in Lie-be zu Gott und sucht eifrig Mittel und Wege, um seinen Gelieb-ten zu finden. Der einzige Weg, Gott zu finden ist, zuerst Mittel zu diesem Zweck zu finden. Gott kann nicht gefunden werden, ohne die Hilfe eines Gottmenschen. Wenn ihr euch nach Gott von ganzen Herzen und von ganzer Seele sehnt, stellt Er selbst die Mittel zur Verfügung. Es wird gesagt, daß ein ein-facher Schrei aus einem reuevollen Herzen Gott schneller er-reicht, als die lauten und langen Gebete, die in der Öffent-lichkeit von prahlerischen Menschen dargebracht werden. Wenn Gott in allen Herzen wohnt, kennt er auch die allerfeinsten Schwingungen darin. Er ist die Seele unserer Seele und sitzt nicht in hohen Himmeln. Wir können uns selbst und wir können die Menschen der Welt täuschen, aber wir können die große Kraft in uns nicht täuschen. Wenn ihr aufrichtig seid in eurer Liebe zu Gott, wird euch Gott sicherlich zu Hilfe kommen. Sei-ne Gnade ist über alle Maßen groß und Er wird euch einen Gott-menschen treffen lassen. Es ist ein großer Segen, eine wirk-lich erwachte Seele zu finden. Ihr könnt einer solchen Seele nicht begegnen, wenn nicht Gott es will. Wir können einen Gottmenschen nicht einmal erkennen, da wir Gott nicht erkennen können. Ein Blinder kann nicht einen Menschen mit Sehvermögen herausfinden. Der letztere kann Mitleid mit dem Blinden haben und ihn bei der Hand nehmen. Wenn unser inneres Auge noch nicht geöffnet ist und wir uns auf der Sinnesebene befinden, können wir unmöglich den menschlichen Pol sehen, durch den die höhere Kraft wirkt. Offensichtlich sieht der Pol Gottes wie irgend einer von uns aus und wir haben keine Mittel, seine in-nere Größe zu erkennen. Wie ihr wißt, wurde Nanak ein Mann mit verdrehtem Verstand genannt. Warum? Weil die Menschen nicht den Blick hatten, um Gott in ihm zu ergründen. Ein kompetenter Meister ist eine Seltenheit. Die Schriften sprechen mit Hoch-achtung von einem vollkommenen Meister. Dies bedeutet, daß es Meister auf der Welt gibt, die nicht vollkommen und nicht völ-lig kompetent sind, spirituelle Erfahrung zu vermitteln. Die Welt ist voll von sogenannten Lehrern und solchen, die sich selbst Meister betiteln. Christus mahnt uns, uns vor falschen Propheten und Halbpropheten in Acht zu nehmen. Ein vollendeter Meister ist einer, der das ‘Selbst‘ in sich erfahren hat und die Kraft hat, es auch in anderen zu offenbaren. Er, der Gott gesehen hat, kann auch andere befähigen, Ihn zu sehen. Niemand kennet Gott, denn nur der Sohn, und wem es der Sohn will of-fenbaren. Wie erkennt man eine solche vollerwachte Seele? Er kann nicht anhand der prächtigen Gebäude beurteilt verden, in denen er weilt, oder durch die riesigen Menschenmengen, die sich vor ihm versammeln. Der wirkliche Prüfstein ist, daß er in der Lage sein muß, einen praktischen Beweis der Gotteskraft zu geben, indem er die Seele vorübergehend von der Sinnesebene erhebt. Ihr könnt ihn nicht auf der Ebene des Intellekts beur-teilen, so sehr ihr euch auch bemühen mögt, nicht einmal durch ein enges Zusammensein mit ihm über eine lange Zeit. Die Wirk-lichkeit ist in ihm und er hütet sie als ein heiliges, von Gott anvertrautes Gut. Er würde es nie zur Schau stellen. Er kann durch euren aufrichtigen und tiefen Wunsch nach Gotter-kenntnis gerührt werden. Und wenn ihr Gottes Namen in eure Stirn geschrieben habt, wird er bestimmt den Geist Gottes und die Kraft Gottes in euch offenbaren. ‘Bittet, so wird euch ge-geben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan.‘ So ist es also eine Frage des Bittens, Suchens und Anklopfens an der Tür des Gottmenschen. Und außerdem hängt die Erfahrung von dem Lebensimpuls ab, den der Gottmensch ver-leiht, denn Leben kommt von Leben. Bloße Kenntnis der Formeln aus Büchern oder von sogenannten Lehrern wird nicht helfen. Es ist die Ausstrahlung, die von Auge zu Auge geht und das Wunder bewirkt.

”Ein Gnadenblick von Ihm genügt, um den Zueck zu erfüllen.”

Er ist es, der unsere Aufmerksamkeit erhebt und sie oben hält, um uns so die innere Erfahrung zu geben.

Zu Hazoors Zeiten kamen viele gelehrte, in den Schriften be-wanderte Menschen und wollten mit dem Meister müßige Diskussi-onen führen. Hazoor fragte sie dann einfach, ob sie Zugang nach innen hätten, und wenn ja, ob sie dann andere auch mit in die inneren Ebenen nehmen könnten. Das brachte sie natürlich zum Schweigen, denn sie hatten selbst nicht einmal solch eine Erfahrung.

Einmal kam Kartar Singh, ein blinder Philosoph, um Hazoor zu hören. Nachdem er die Rede gehört hatte, stand er auf und sagte: ”Ich bin ein großer Philosoph. Ich habe immer rhetori-sche Reden gehalten, die jegliche Opposition verstummen lie-ßen. Nachdem ich Eure Worte gehört habe, fühle ich, daß ich genau wie ein Kind bin, das am Strand Kieselsteine sammelt, während der große Ozean unerforscht vor mir liegt.” Ihr seht, daß ein weltweiter Unterschied besteht zwischen der Rede eines praktischen Lehrers und der eines gelehrten Menschen. Des Meisters Rede sinkt tief in die Herzen der Zuhörer. Es wird gesagt, das die Gedanken, die ohne Denken von oben kommen, fehlerlos und vollkommen sind.

”Hört auf das Zeugnis der Heiligen,
denn sie sprechen aus, was sie wirklich innen sehen.

”Ich tue nichts von mir selbst, sondern, wie mich der Vater gelehrt hat, so rede ich.” (Johannes) Nanak spricht über Gottes Gegenwart und sagt: ”Ich sehe meinen Gott als stünde Er vor mir.”

Heilige sprechen mit Autorität. Das ist die Art der Weisen, die mit göttlichem Wissen begabt sind. Sie haben Liebe für alle und Feindschaft mit niemandem. Sie lieben sogar ihre Feinde. Einmal fragten die Jünger Jesus, wie sie sich den Leuten und besonders ihren Feinden gegenüber verhalten sollten. Jesus erklärte: ”Ihr habt gehört, daß gesagt ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebet eure Feinde, und bittet für sie; auf daß ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel.” Ihr seht, daß göttliche Gesetze entsprechend der Zeit und den Bedürfnissen der Menschen gege-ben werden. Das Mosaische Gesetz wurde den Menschen gegeben, da sie harten Herzens waren. Mit dem Wechsel der Zeiten änder-te Jesus das Gebot in der oben geschilderten Weise.

Wahrhaft große Menschen wünschen jedermann Gutes. Ihre Liebe ist allumfassend. Ihre Herzen sind so groß wie das Meer. Sie erheben nicht einmal den kleinen Finger gegen die, die sie kritisieren und beleidigen und schlecht von ihnen sprechen.

Es ist schade, daß die Welt voll von Menschen ist, die sich selbst um des Leibes willen vergessen. Sehr selten werdet ihr jemanden finden, der wirklich auf der Suche nach Gott ist. Un-sere Tempel und heiligen Stätten sind zum Ersticken voll. Tau-sende von Mensche gehen dorthin, um den üblichen Gottesdiens-ten beizuwohnen. Sie hören den Gesängen und Reden zwar auf-merksam zu, suchen aber nur ihren Vorteil . Jeder hat sein persönliches Motiv für diese Art von Religiosität. Entschul-digt, aber wir machen aus Gott ein willenloses Werkzeug. Wir wollen Gott nicht nicht um Gottes willen. Wir müssen deshalb lernen, wahr zu uns selbst zu sein. Das ist der erste Schritt und der wichtigste dazu. Gott ist groß und gnädig. Er gibt uns, was wir wünschen. Wenn wir die Welt wollen, gibt Er uns die Welt, aber nicht sich. Der Kreislauf der Welt ist lang und endlos.

Habt ihr erkannt, was das größte Hindernis auf unserem Weg zu Gott ist? Wir stehen an der Pforte und versperren den Weg und bitten Gott einzutreten. Wie kann Er das? Wir müssen zur Seite treten und Ihm den Weg freigeben. Wir müssen uns aller Gedanken an die Welt entledigen und so Platz für Ihn machen. Wir müssen warten und nach Ihm ausschauen. “Er kommt wie ein Dieb in der Nacht und es ist keine Stunde festgesetzt für sein Kommen.” Gott ist nicht taub. Er weiß, was in unseren Herzen vorgeht und handelt entsprechend.

Das Gesetz Gottes ist gut, gerecht und dient uns letztlich zum Besten. Wenn wir falsch bitten, wird Er uns nicht erhören. Wir müssen lernen, in Seinem Willen zu leben und Seinen Willen anzunehmen, was es auch immer sei. Darin liegt unsere Sicher-heit und Geborgenheit. Wir wissen nicht einmal, was wir von Ihm erbitten und wie wir bitten sollen? Der Fehler liegt bei uns. Manchmal kommt es daher vor, daß unsere Wünsche erfüllt sind und am Ende die Dinge doch verkehrt laufen. Dann werden wir uns bewußt, daß wir etwas erbeten haben, das nicht wün-schenswert ist. Warum also beten wir nicht lieber zu Gott, uns das zu gehen, was Er für das Beste hält, als die Sterne dafür verantwortlich zu machen, wenn etwas schief geht. Deshalb hat ein erwachter Mensch eine vorherrschende Leidenschaft für Gott allein. Alle Dinge dienen zum Besten derer, die die Liebe Got-tes gewinnen. Wie können wir das tun? Wir wissen nicht einmal, wo Gott ist und wie wir zu Ihm gelangen können. Es ist gesagt:

"Wir müssen uns so hoch erheben, wie Er ist,
erst dann können wir Ihn erkennen.”

Gott ist sehr subtil und außerhalb der Reichweite unserer Sinne, unseres Gemüts und unseres Intellekts. Wir können Ihn mit den Augen des Fleisches nicht sehen. Wenn wir lernen, uns zu vergeistigen, können wir mit dem sich zum Ausdruck bringen-den Gott in Verbindung kommen und dadurch Seine Liebe gewin-nen.

Nun erhebt sich die Frage, wie man einen Guru der richtigen Art findet. Auf der einen Seite haben wir Gurus, die sich le-diglich als solche ausgeben. Indem sie die Rolle eines Guru spielen, verdienen sie sich ihren Lebensunterhalt. Wir haben mit dieser Art Gurus nichts zu tun. Dann gibt es soziale Leh-rer und Prediger, die ihre Arbeit entsprechend den festgesetz-ten Regeln der Organisationen tun, zu denen sie gehören. Der Mensch ist ein Gemeinschaftswesen und kann nur in der Gemein-schaf leben. Die Fundamente aller sozialen Ordnungen sind sich weitgehend ähnlich. Sie besagen, daß wir auf einen ehrbaren Lebensunterhalt und ein keusches Leben der Wahrheit und Ent-haltsamkeit achten sollen. Das ist etwas Empfehlenswertes. So-zialreformer können sicherlich dazu beitragen, die Gesell-schaft und das soziale Leben der Menschen bis zu einem be-stimmten Ausmaß zu heben. Aber unglücklicherweise werden unse-re Reformer im Laufe der Zeit auch engstirnig und verlieren den elastischen Kontakt mit der Gemeinschaft, mit dem Ergeb-nis, daß innerhalb der Gemeinschaft Splittergruppen entstehen. Das führt zu Spaltung, Spannunq und Unruhe. So ist - was auch immer sie tun - etwas von begrenzter Natur für eine begrenzte Zeit. Das Gute, das sie tun, ist nicht dauerhaft. Dies ist die zweite Kategorie der Lehrer und wir können sie als Lehrer der Gesellschaft und des weltlichen Wissens klassifizieren. Sie können uns bei der Selbsterkenntnis und Gotterkenntnis nicht von großer Hilfe sein. Für diese Ziele müssen wir nach einer anderen Art von Guru suchen, einem Satguru oder einem, der in Sat oder der Wahrheit verankert ist. Satgurus sind verwirk-lichte Seelen mit dem Wissen von und dem Zugang zu den jensei-tigen Bereichen, den Bereichen jenseits der Ebene der Sinne, des Gemüts, des Intellekts und der pranas (vitale Kräfte). Sie sind wahrlich Lehrer und halten die Schlüssel von Himmel und Hölle und vom Jenseits in ihren Händen. Der verunstaltete Wei-se Ashtavakra, der Raja Janaka eine praktische Erfahrung des Innern gegeben hat, gehörte zu dieser Kategorie von Lehrern. Er war der einzige Rishi, der nicht nur lehrte, sondern für sich in Anspruch nahm, sein eigenes ‘Selbst‘ verwirklicht zu haben und fähig zu sein, anderen gleicherweise die Erkenntnis zu vermitteln. Zu jener Zeit war Indien, wie Ihr wißt, auf dem Höhepunkt seines Ruhms, voll von Weisen und Sehern verschiede-ner Art und verschiedenen Ranges, aber keiner konnte dem kö-niglichen Gottsucher (Raja Janaka) eine Gotteserfahrung geben. Der große Weise Yaggavalkya konnte dem König nur die Theorie von ‘Tara Vidya‘ oder der Wissenschaft der Seele vermitteln. So ist alles, was wir brauchen, ein vollendeter Meister zu un-serer Belehrung und Führung auf dem Gottespfad. Die nächste Frage ist, wo ein vollkommener Meister zu finden ist. Ihr sollt wissen, daß er nicht an irgendeine besondere Gesell-schaft oder irgendein bestimmtes Land gebunden ist. Ein Mensch des Geistes kommt und geht so frei wie der Wind. Und außerdem kann Gott irgendeinen menschlichen Pol als das geeignete Gefäß erwählen, um durch ihn zu wirken. Er kann als Flickschuster wie Ravi Das, oder als Tuchdrucker wie Namdev, oder als Weber wie Kabir, kommen. Er kann seine Geburt unter Kschatrijas (Kriegerkaste) oder unter Landwirten, wie Dhanna Bhagat neh-men. Er kann in diesem oder jenem Land erscheinen, im Osten oder Westen oder sonstwo in der Welt. Wo auch immer Gottes Licht erscheint, werden die Menschen ganz sicher wie Motten angezogen. Er mag in einer hochstehenden Familie kommen, oder niedrig geboren werden, das spielt keine Rolle. Aber dies ist sicher, daß ihr, wenn er die Selbstverwirklichung erreicht hat, von ihm allein eine innere Erfahrung erwarten könnt.

Wir müssen alsdann Tag und Nacht beten‚ einen kompetenten Meister zu finden. Ich will euch eine meiner eigenen Ehrfah-rungen erzählen. Auch als Kind hatte ich meinen eigenen Hin-tergrund. Jeden Tag nahm ich einen Vers aus den Sikh-Schriften vor. Ich schrieb ihn nieder und den ganzen Tag lang dachte ich darüber nach. Einmal nahm ich einen Vers, der betonte, daß es wichtig sei‚ mit einem wahren Guru in Verbindung zu treten, vielleicht mit einem Sadh, einem Sant oder einem Mahatma. Dies machte mich nachdenklich. Ich fing an, Gott zu bitten, daß er mir zu einem wahren Guru verhelfen möge, damit ich vojlen Nut-zen aus diesem jetzigen Leben haben und so meinen langgehegten Wunsch erfüllen könne. Allmählich ergriff dieser Gedanke völ-lig Besitz von mir. Ich wünschte sogar, daß Gott selbst seine Gnade direkt auf mich ausgießen mochte, so wie Er es Dhruva oder Praladh in der Vergangenheit getan hatte. Aber jetzt hat-ten sich die Zeiten geändert. Die Gotteskraft konnte jetzt nur durch die Gnade eines Gottmenschen erfahren werden. Ich hatte Angst ‚daß mein Leben vergeudet wäre, wenn ich in meiner Wahl irrte.

Lange Zeit fuhr ich fort auf diese Weise zu denken. Von Zeit zu Zeit hatte ich göttliche Visionen. Ich hielt die Form des heiligen Mannes, der mich in meinen Meditationen zu besu-chen pflegte, immer für Nanak. In jenen Tagen schrieb ich ein Gedicht, in dem ich die liebenswürdigen Eigenschaften des göttlichen Führers‚ der fortfuhr, mich all diese Jahre hin-durch, Tag für Tag auf verschiedenen Ebenen zu führen, in schöner Weise schilderte. Dieser Zustand hielt ungefähr sieben Jahre an. Erst 1924 ging ich zufällig nach Beas und traf diese visionäre Gestalt in der Form von Hazoor Sawan Singh Ji Maha-raj. Was ich sagen möchte, ist, daß Gott auf unsere Gebete hört, vorausetzt, sie sind echt, tief und aufrichtig. Als ich Hazoor fragte, warum er so lang gewartet hatte, mich zu seinen Lotosfüßen zu führen, erwiderte er einfach, daß dies die ge-eignetste Zeit dafür gewesen wäre.

Ich muß ständig wiederholen, daß ein Gottmensch nicht ein Mensch im gewöhnlichen Sinne des Wortes ist. Er ist immer ein menschlicher Pol, dem und durch den die Gotteskraft wirkt. Die Kraft Gottes durchdringt alles und im auserwählten menschli-chen Pol wirkt sie auf den unterschiedlichsten Ebenen. Als Gu-ru wirkt er auf der physischen Ebene wie jeder andere weltli-che Lehrer auch. Er teilt unsere Freuden und Sorgen. Er mag in unserem Leid sogar Tränen mit uns vergießen. Dies alles tut er, um unsere menschliche Natur und unser Vertrauen in ihn zu entwickeln. Innerlich bleibt er, wie er ist ‚ unberührt und unbekümmert durch alle unser Wohl unnd Wehe. So handelt er auf der menschlichen Ebene wie ein vollkommener Mensch. Aber darü-berhinaus ist er noch einiges mehr. Wenn ihr die physische E-bene verlaßt und in die astrale Welt hinübergeht, nimmt dfer ‚Guru‘ nun die Form des ‚Gurudev‘ an und erscheint in seiner strahlenden Gestalt. Wenn der Schüler fähig ist, in sich die strahlende Form des Meisters zu offenbaren, und sich mit ihm zu besprechen beginnt, wird er ein ‘Gursikh‘ (wahrer Schüler des Guru). Diese strahlende Form des Meieters wird nun unser Führer auf den inneren Ebenen und leitet uns zu den Füßen des ‚Sat-Purush‘. Die Kraft, die uns mit denm ‚Sat-Purush‘ ver-schmilzt, wird ‘Satguru‘ genannt. Diese Kraft ist es, die in der Welt auf der menschlichen Ebene als ein ‚Guru‘ wirkt. Da-her ist gesagt: ”Der Satguru bleibt beständig in seiner Fülle.

Das bedeutet, daß er ganz offenbart ist ‚ wo er auch immer ist, selbst im menschlichen Pol, aber er ist nicht an den Pol gebunden. Entschuldigt, wir haben die wahre Natur des Guru und seine Größe noch nicht verstanden. Wie ein kleines Kind nehmen wir an, ihn zu kennen. Was kann ein Kind von seinem Vater wis-sen und mehr noch, von seinem himmlischen Vater? Wir erkennen ihn nur in dem Ausmaß, das er uns erkennen läßt oder in wel-chem er sich uns offenbart. Der Guru ist so unbegreiflich und unbeschreiblich wie Gott selbst. Wir können ihn auf der menschlichen Ebene des Intellekts einfach nicht erkennen

Ihr könnt die Lebensgeschichte irgendeiner großen Seele nehmen, und ihr werdet feststellen, daß sie die Höhen, die sie erreichte, durch das starke Feuer in sich gewann. Gott kann man nicht so einfach erlangen, wie wir es uns vorstellen. Ra-bia Basri, eine Moslem-Heilige, litt unter schweren Qualen der Trennung vom Herrn. Sie hatte großes Verlangen nach Ihm. Sie pflegte sich in der frühen Morgendämmerung zur Meditation zu setzen und blieb so bis zur Nacht. Und dann saß sie wieder bis zum Tagesanbruch. Ihre Nachbarn waren erstaunt über ihre unun-terbrochene Hingabe. Sie fragten sie einmal: ”0 Rabia, bitte, sag uns, ob Gott dich besucht, bevor du zu meditieren beginnst ‚ oder wenn du die Meditation beendet hast?” Sie sagte: ”Er kommt vor der Meditation.” Sie fragten: ”Wie weißt du das?” Sie antwortete: “Er ist es, der mich zur Meditation drängt. Immer wenn ich ruhelos bin und von starken Gefühlen und Ge-mütsbewegungen überwälgigt werde, weiß ich, daß Er gekommen ist.”

Das ist etwas Normalen im Leben der spirituell Großen. Von sehr frühem Alter an hatte Nanak keine Liebe für die Welt. Als Kind verharrte er in einer Art Selbstvergessenheit. Er war der einzige Sohn seiner Eltern. Sein Vater und die Familienmit-glieder konnten es nicht ertragen, ihn in einem Zustand der Qual und und Verwirrung zu sehen. Nanak wurde auf eine Wall-fahrt geschickt. Sie half ihm nicht . Ein Arzt wurde gerufen. Er fühlte den Puls des jungen Mannes. Nanak selbst beschreibt diesen Vorfall sehr schön:

”Der arme Doktor kam herein und befühlte meinen Puls.
Wie konnte der Einfältige die Qual in meinem Herzen erkennen?”

Und dann fügte er bedeutsam hinzu:

”O Arzt, geh deinen Weg zurück, den ich bin von
der Liebe Gottes getroffen.”

Als erstes müssen wir ein inneren Verlangen nach dem Herrn haben. Im Schmelzfeuer der Liebe erstrahlt der Herr in vollem Glanz. Die vergangenlen ‚Samskaras‘ (Eindrücke) erhalten durch einen Menschen der Verwirklichung einen segensreichen Antrieb. Er entfacht die Flamme der Liebe. In jedem Herzen ist Liebe. Aber was gewünscht wird, ist die Liebe zum Herrn und nicht die Liebe zur Welt. Der Guru findet einen bereiten Boden in einem liebevollen Herzen, um das Wort Gottes zu sähen. Guru Arjan erklärt weiter:

”Worauf auch immer eines Menschen Herz gerichtet wird, ohne das kann er nicht sein.”

Es ist eine Sache der allgemeinen Erfahrung, daß wir immer dem Herzen folgen. Wenn ein Kind hungrig ist, kann es durch nichts zufriedengestellt werden, außer durch Nahrung. Eine Mutter mag dem Kind Hunderte von Spielsachen hinlegen und ver-suchen, mit ihm auf verschiedene Arten zu spielen, es wird weiter nach Milch schreien. Milch bedeutet alles für es. Genau dies ist der Fall bei einem, der in sich Hunger nach dem Herrn hat. Die Welt und die Dinge der Welt haben für ihn keinen Wert. Reichtum und Besitz, wie riesig sie auch sein mögen, können ihm keinerlei Befriedigung geben. Das innere Verlangen nach Gott zerfrißt ihn. Alles was er will‚ ist, einen Weg zu Gott zu finden. Er ist bereit, alles für einen hinzugeben, der ihn auf den Weg zu Gott stellen kann.

Einmal ging ein Mann zu einem Mahatma. Dieser wollte gerade zum Fluß gehen und baden. Er bat den jungen Mann, ihn zu be-gleiten. Sie zogen ihre Kleider aus und stiegen in den Fluß. Der Mahatma stieß den jungen Mann dahin, wo das Wasser tief war und drückte seinen Kopf unter Wasser. Der Mann bekam keine Luft und kämpfte, um den Kopf über Wasser zu bekommen. Der Ma-hatma zog ihn heraus und fragte ihn, ob er ein so zwingendes Verlangen nach dem Herrn habe, wie er es unter Wasser nach Luft gehabt habe. Das ist es, was von einem Gottsucher ver-langt wird. Ohne dieses Verlangen kann man nichts tun.

Einmal ritt Hazrai Junid von Persien an einem Flußufer ent-lang, als plötzlich seine Stute stehenblieb. So sehr er das Pferd auch antrieb, das Tier bewegte sich nicht. Als alles Zu-reden und Anfeuern nichts nützte, lockerte er die Zügel und überließ es dem Tier, zu tun, was es wollte. Auf einmal fing es an zu galloppieren und brachte den Hazrat zu einer Berghöh-le, wo ein alter Mann alleine saß. Der Hazrat stieg ab und blieb einige Zeit bei dem alten Mann und gab ihm Anweisungen für den Weg zu Allah (dem Herrn). Bevor er ging, gab der Haz-rat dem Gottsuchcr seine Adresse. Der alte Mann sagte völlig unbekümmert und naiv: “Ich werde keine Gelegenheit haben, euch zu eurem Heus zu folgen. Er, der euch jetzt gesandt hat, wird euch wieder senden, wenn ich eurer irgendwann bedarf.” Das ist natürlich von einem ‘Mureed‘ (Schüler) zuviel von seinem ‚Murshid‘ (Meister) verlangt. Tatsache ist, daß Gott nicht weit entfernt von uns ist. Er ist in uns, auch wenn wir nicht in Ihm sind. Er ist es, der den Gottmenschen führt, die verlo-renen Schafe zu suchen Und zu finden.

Ich kann euch aus meiner persönlichen Erfahrung etwas be-richten. Eines Tages saß ich mit Hazoor im Hause eines Duli Chand in Amritsar, als ein Herr, ein Sikh‚ hereinkam. Hazoor schaute mit einem Augenzwinkern zu dem Neuankömmling und sagte in vertrautem Ton: ”O, du bist gekommen.” ”Ja, Maharaj‚ ich bin gekommen.” antwortete er. Überrascht fragte ich ihn, wie er denn gekommen sei . Der Mann erwiderte: “Letzte Nacht er-schien mir Hazoor in einer Vision. Er bat mich, am nächsten Tag in dieses Haus zu kommen. Ich habe Hazoor nie zuvor gese-hen. Es ist mein gutes Schicksal, , daß ich zu ihm gekommen bin.” Was ich damit sagen will ist, daß eine erwachte Seele einem Menschen auf der Spitze eines Berges gleicht, der von einem günstigen Platz aus rings herum schauen kann und von den Herzen, die nach Gott verlangen, Rauch aufsteigen sieht. Wenn er das sieht, trifft er entweder Vorkehrungen‚ um sie zu er-reichen, oder sie auf die eine oder andere Art zu sich zu lei-ten. Ein solcher Mensch wird ein Guru oder Mahatma (große See-le) genannt

”O Mutter, mit all deinen köstlichen Speisen vor mir fühle ich mich so ungesättigt wie vorher.”

Die Liebe zu Gott ist endlos und wächst von Augenblick zu Augenblick. Nicht die größte Menge weltlicher Freuden kann die Aufmerksamkeit eines Menschen ablenken, der unter der Qual der Trennung leidet. Die elterliche Liebe ist zweifellos sehr groß, aber die Liebe des Meisters für seinen Schüler über-schreitet alle Grenzen. Sie ist so allumfassend wie Gott selbst. Einmal besuchte ich Hazoor in Beas. Es war Abend. Ich erwieß ihm meine Ehrerbietung und setzte mich neben die Couch, auf der Hazoor lehnte. Im Laufe des Gesprächs bemerkte ich: ”Hazoor, diejenigen Schüler, die ein wenig ‘Bhajan‘ und ‚Sim-ran‘ üben, tun zweifellos etwas, aber was ist mit denen, die noch auf der Sinnesenebene schlummern?” Hazoor setzte sich auf und sagte: “Kirpal Singh‚ meinst du, ich solle aufhören‚ Naam zu geben? Ein liebender Vater wünscht seinen Kindern immer Gu-tes. Bin ich nicht darauf bedacht, daß jedes meiner Kinder versuchen soll, auf eigenen Füßenzu stehen?” Die Gnade des Meisters ist immer mit uns. Sein Geist und seine Kraft wirken allezeit zu unserem Guten. Wenn er die irdische Ebene verlas-sen hat‚ heißt daß nicht, daß er von uns gegangen ist. Ich ha-be euch so oft gesagt, daß die Meisterkraft niemals stirbt. Sie wechselt nur den menschlichen Pol. Derjenige, der den Sa-men von Naam einpflanzt, kümmert sich um die Saat und hilft ihr zu sprießen und zu einem Baum heranzuwachsen, der Blüten und Früchte hervorbringt. Seine Kraft fährt fort, zu unserem Besten zu wirken, sowohl hier als auch danach. Wir irren im-mer, wenn wir annehmen, daß die Gotteskraft im Guru mit dem physischen Tod des Guru stirbt. Aber es ist nicht so. Wenn Gott ewig ist ‚ ist Seine Kraft euch ewig. Erhält diese Kraft nicht Himmel und Erde und alles, was darin ist? Obwohl wir Ihn physisch nicht sehen können, ist Er nicht weit von uns ent-fernt . Seine astrale Form in göttlichem Strahlenglanz ist weiterhin hinter unserem Augenbrennpunkt. Alles, was wir tun müssen, ist, uns selbst in Geist umzuformen, um uns mit dem Geist Gottes‚ jetzt in der leuchtenden Form des Meisters (Gu-rudev) zu verbinden. In seiner strahlenden Form wartet er sehnlich auf uns, um uns mit seinem Segen zu überschütten, so-bald wir zu seinen Füßen kommen. Er ist wie eine ‘Parda-Nashin‘ (verschleierte Frau), die nicht in der Öffentlichkeit erscheinen will. Wenn wir fortfahren, in der Welt zu spielen und uns nicht Ihm zuwenden, liegt der Fehler bei uns. Wir müs-sen uns deshalb bemühen, die Tür zu erreichen, wo Er steht. In dem Augenblick, in dem wir Ihm nahe kommen, wird Er Seine Hän-de ausstrecken, um uns zu halten und uns zu Sich zu ziehen. Seid dessen sicher, Er wird es um Seinen Namens willen tun. Dies ist Seine Wahrheit und Er steht immer für sie ein.

 

Der innere und äußere Meister

von Hilde Dressel

In einigen spirituell interessierten Kreisen der westlichen Welt, besonders im deutschen Sprachraum, wird aus dem Wissen der großartigen Tatsache, daß jeder Mensch das Göttliche in sich trägt, die Folgerung gezogen, ein äußerer Meister sei ü-berflüssig, denn den größten Meister habe man ja in sich selbst, in einer ständigen Gegenwart und Unmittelbarkeit des Einflusses, wie sie auch der beste äußere Meister nicht her-stellen könne. Manche in der westlichen Welt lebende Schüler werden sich mit dieser Auffassung immer wieder auseinanderzu-setzen haben, bis sie zu der Erkenntnis herangereift sind, daß der innere und äußere Meister eins sind - eine Tatsache, deren sich aber leider kaum jemand bewußt ist.

Was kann man zu einer solchen Ablehnung des größten spiri-tuellen Geschenks, nämlich der Annahme durch einen wahren Meister sagen? Zunächst einmal ganz einfach dies: Wer ablehnt - aus welchen Gründen auch immer, tut dies aus Unwissenheit über die wahren Zusammenhänge. Er hat noch nicht das rechte innere Verhältnis zum lebenden Meister gefunden. Nicht der Ab-lehnende entscheidet, sondern der Meister und damit das gött-liche Gesetz. Warum das göttliche Gesetz so bestimmt, wissen wir nicht, aber dreierlei Mitentscheidendes ist uns bekannt: Wer vom lebenden Meister angenommen ist, wird auf den Pfad un-mittelbar zurück zu Gott gestellt. Dazu sind nur wenige geeig-net. Wer vom Meister angenommen wurde, hat dieses Geschenk durch karmische Verdienste in früheren Leben erworben. Wer vom Meister angenommen wird, muß eine Sehnsucht zurück in die göttliche Heimat in sich tragen.

Verständnislosigkeit gegenüber dem unvergleichlichen Vorzug der ständigen Verbindung mit dem lebenden Meister weist ja darauf hin, daß in dieser Richtung in einem früheren Leben noch nicht gearbeitet wurde. Zu denken, daß solche Menschen deshalb weniger wertvoll seien, als die vom Meister angenomme-nen, wäre eine lieblose Anmaßung. Sie haben vielleicht Ver-dienste in anderer Richtung angesammelt und sind noch mehr dem äußeren Leben zugewandt, das jedermann erst zu überwinden hat.

Nun aber zurück zu der einleitend vorgetragenen Theorie, daß ein lebender Meister zur Erlösung nicht notwendig sei:

Die Wege zu dem Göttlichen in uns sind, um es einmal symbo-lisch auszudrücken, mit Unrat und Asche verschüttet. Zwar ha-ben wir Leben, Atem und Sein von Gott, wie alle Geschöpfe, und insofern besteht natürlich eine Verbindung zum Göttlichen, a-ber sie wird den Menschen nur selten bewußt und von den meis-ten nur in großer Not oder bei Gefährdung der physischen Exis-tenz bewußt herzustellen versucht. Das liegt in unserer per-sönlichen Beschaffenheit. An den üblichen, der Nützlichkeit und dem Egoismus dienenden Gedanken und Gefühlen nimmt das Göttliche keinen Anteil, wenn es auch aufgrund des karmischen Gesetzes von Ursache und Wirkung darum weiß. Solcbe Gedanken und Gefühle dringen nicht zu Gott vor, auch nicht, wenn man ihnen die Form eines Gebets gibt.

Was könnte nun zu ihm vordringen und, womit können wir sei-ne Aufmerksamkeit auf uns lenken? Nur unsere echte Sehnsucht, unsere Liebe und demütige Ergebenheit können Gott bewegen, sich unser anzunehmen und uns dem lebenden Meister zur Hilfe zuzuführen. Für alle, die diese Eigenschaften nicht aufbrin-gen, scheint der Sperriegel kaum zu heben zu sein.

Nun ist aber andererseits sicher, daß auch jede Bemühung um Liebe, Barmherzigkeit und jede echte Hingebung an das Göttli-che sogar auf das Genaueste aufgenommen werden. Auch der un-sagbar tröstliche Satz behält seine Wahrheit: ”Gehst du Gott einen Schritt entgegen, so kommt er dir tausend Schritte ent-gegen.” Aber dieser eine Schritt von unserer und die tausend Schritte von der anderen Seite, immer wiederholt, reichen längst nicht aus, um diesen mit Asche vollgepfropften Tunnel zwischen dem göttlichen und dem menschlichen Bewußtsein frei zu bekommen und das göttliche Licht so durchzulassen, das es uns bewußt wird.

Doch weil unser Bemühen bemerkt wurde und weil der oben zi-tierte Satz seine Gültigkeit hat, ist eines Tages die große Hilfe da: Wir bekommen Verbindung mit einem lebenden Meister! Nur mit seiner Hilfe könnte unser Bemühen und unsere Anstren-gungen, Gott zu erreichen, zum Erfolg führen, weil nur er den richtigen Weg zu Gott kennt und uns diesen Weg führen kann, den wir nicht allein finden. Wie und warum kann nur der leben-de Meister das tun? Weil er die lebendige Offenbarung von ‘Naam‘ oder ‘Shabd‘ - dem göttlichen Licht- und Tonprinzip - ist (auch das Wort oder der heilige Geist genannt) und damit der göttliche Pol der Schöpfer- oder Christuskraft, die alles erschaffen hat und in allem lebt und wirkt; also auch in jedem Menschen. Aber der Mensch wird sich dessen nicht bewußt und kann von sich aus keine bewußte Verbindung dazu herstellen, wenn nicht der lebende Meister ihn anläßlich der Initiation mit ‘Naam‘ und ‚Shabd‘ verbindet und so den Weg zu Gott für ihn freigibt.

Nachdem die Verbindung von höchster Wirksamkeit geschaffen wurde, liegt es an uns, genau nach den Anweisungen des Meis-ters weiterzuarbeiten, und je mehr wir das tun und uns an das Licht und den Tonstrom der Meisterkraft halten, desto schnel-ler wird unser Fortschritt sein, da wir Hilfe und Gnade des Meisters genau im Maße unserer eigenen Anstrengung erhalten.

Wer glaubt, ohne den Meister auskommen zu können, muß eben vorerst die kleinen, vorbereitenden Schritte weitermachen, um voranzukommen, bis er eines Tages erkennen muß, daß er selbst den Pfad und die Tür zum Pfad nicht finden kann, wenn ihm nicht der Meister zu Hilfe kommt. Aber wer seine Meditationen als Schüler unter der Führung des Meisters ausführt, erlebt ja ständig, wie unvergleichlich sich die göttlichen Kräfte (die Meisterkraft) verstärken, die auf den Menschen einströmen.

Aus oben Gesagten geht hervor, daß es nur e i n e n Meister gibt, der - da er die personifizierte Meisterkraft ist, sowohl innen als auch außen wirkt. Der Begriff ”Fremderlösung” ist daher ganz fehl am Platze, denn wir werden von keinem ”Frem-den” und nicht von außen her erlöst, sondern der Meister, des-sen Kraft bereits in uns lebt, erlöst uns durch direkte Über-tragung seines eigenen Lebensimpulses und lehrt uns, mit Hilfe von ‘Naam‘ das Körperbewußtsein zu überschreiten, damit wir uns ins kosmische Bewußtsein und später ins Gottesbewußtsein erheben können. Größte und stetige Bemühungen des Schülers um Läuterung und Überwindung des Egos in sich, um Reinheit des Körpers, des Gemüts und der Gedanken, sowie regelmäßige Medi-tations-Übungen sind selbstverständliche Voraussetzungen. Es ist wunderbar zu wissen, daß es das gibt: Daß das göttliche Bewußtsein, im lebenden Meister voll inkarniert, sich ein-schaltet, um diejenigen Brüder und Schwestern, die dafür be-reit sind, wieder mit ihrem göttlichen Urgrund zu vereinen.

Daß die Welt heute durch die Bücher des lebenden Meisters Sant Kirpal Singh auf eine solche Möglichkeit offen hingewie-sen wird, ist etwas ganz Neues und gleitet wie ein Wunder in dieses spirituell verdunkelte Jahrhundert hinein. 

Kabir: Ich schlage bescheiden meine Augen nieder
und schließe meinen Geliebten in mein Herz.
Ich genieße jede Freude mit meinem Geliebten,
aber ich halte meine Freude vor allen Menschen geheim!

 

Die Suche nach dem selbst

von Bhadra Sena

Als ob ein anderer Mensch
aus den Tiefen meines Wesens erschiene,
und ich stand außerhalb meiner selbst,
jenseits von Werden und Vergehen,
ein völlig anderer.
Roethke

Roethke, wie alle Sucher des Selbst, fühlte immer den Drang in sich, etwas zu finden, das völlig anders war als er selbst, so wie er sich kannte. Und in dieser Suche glaubte er in den tiefsten Tiefen seines in neren Seins seinen Doppelgänger zu finden, ein Duplikat, das immer aktive und immerwährende Prin-zip, das sein physisches Sein bewirkte und handhabte.

Er sagt uns, was er zu diesem Zweck tun mußte. Hier seine eigenen Worte: ”Es liegt an uns, die Lüge aufzuheben, ledig-lich im Bereich der Zeit zu leben.” Das ist der Haken bei der Sache. Wie aus der Zeit herauszukommen und in die Zeitlosig-keit hineinzugelangen. Man muß die eigene Verwicklung in Zeit und Raum durchbrechen, in welcher man gefangen ist. Wiederum dehnt sich der Bereich von Zeit und Raum unermeßlich über den menschlichen Gesichtskreis hinaus aus, und aus ihm herauszu-kommen, ist keine leichte Sache. Die Reise von der Gedanken-fülle zur Gedankenleere ist lang und qualvoll. Den Begebenhei-ten und Auswirkungen an der Oberfläche muß man den Weg zu den zugrundeliegenden Ursachen nehmen, unter dem unsichtbaren Meer des Lebens. Das, was dauert, und das wechselnde Panorama des Lebens überlebt, ist das körperlose Selbst innerhalb des kör-perlichen Selbst. Es ist dieses Selbst, das jenes Selbst ve-ranlaßt, auf soviele verschiedene Weise zu wirken.

Um die unvergängliche Stille im Innersten der Form zu er-kennen und zu verstehen, gibt es keinen anderen Weg, als eine ”Reise in das Innere” zu machen. Sind wir vorbereitet, diese Reise nach Innen zu unternehmen und das Rätsel des Lebens zu lösen? Haben wir je einen Gedanken darauf verwandt, und wenn - welche Vorbereitung haben wir getroffen, um das Licht im Atlas verzeichnete Meer des Lebens zu finden, das in und um uns liegt? Die Schatten des Lebens fliegen an uns vor bei mit der Geschwindigkeit eines Wirbelwindes, und wir sind immer hinter ihnen her, ohne uns um die Wirklichkeit hinter den Schatten zu kümmern.

 

Mystische Dichtung

von Dr. Vinod Sena

Die Aufgabe wahrer Kunst besteht darin, die Seele des Men-schen in Einklang zu bringen mit dem unermeßlichen Weltall, das ihn umgibt und in welchem er einen methodischen Ablauf ahnt, eine harmonische Ordnung, eine Harmonie, die einem Ge-setz, einem Willen gehorcht, der unendlich weit über ihm steht, endlos Sorge für ihn trägt, für den abermillionsten und doch empfindenden Teil eines Staubkorns.

Große Denker haben alle diese Ordnung erkannt. In der Tat müssen sie es, denn sie bedingt ihr Denken. Worten Wenn das Universum ein Chaos wäre, das einer Gesetzlosigkeit gleich-kommt, dann wäre jeder zusammenhängende Gedanke unmöglich, und wir wären nicht besser, sondern schlechter daran als ein Blin-der, der in einer Menschenmenge herumgestoßen wird.

Dichter und Philosophen, die Poesie in ihrer Seele haben, ver-suchen ihre Ansichten durch viele Gleichnisse, wohlabgestimmt auf diese große, harmonische und universale Bewegung, zu über-mitteln. 

Bei Plato gibt es eine Geschichte von Er, dem Pamphylier, des-sen Verwandte nach zehn Tagen seinen toten Körper auf dem Schlachtfeld suchten und ihn ohne die Spur einer Zersetzung fanden, und wie er an zwölften Tag, auf den Scheiterhaufen ge-setzt, wieder lebendig wurde und ihnen erzählte, wo er in der anderen Welt gewesen sei und was er gesehen habe; vor allem von der großen Spindel auf den Knien der Schicksalsgöttin, die bis zum Himmel reicht, und sich in acht Windungen in abgestuf-ter Geschwindigkeit bewegt; und am Rande einer jeden sitzt ei-ne Sirene, die sich mitdreht und die einen einzelnen Ton singt. Die acht Töne zusammen formen alsdann eine Harmonie.

Hört, was Milton sagt:

Dann lauschte ich der Harmonie der himmlischen Sirenen
Sie sitzen auf den neun verhüllten Sphären
Und singen jenen mit den Lebensscheren
Und drehn die demantene Spindel herum
Gewickelt ist darauf, der Götter und Menschen Schicksals-lauf.
Es liegt so süßer Zwang in der Musik;
Der Schicksalsgöttin Töchter lullt er ein
Und zieht die schwankende Natur in ihre Bahn;
In gemessenem Lauf zog die niedere Welt dahin nach der himmlischen Melodie.

Dieses Gleichnis stellt eine Wahrheit dar, eine der beiden wichtigsten Wahrheiten auf der Welt, nämlich daß das Universum kein Chaos, sondern Harmonie ist.

Die andere und einzig gleichwertige Wahrheit auf der Welt ist nun, daß dieser Makrokosmos des Universums mit seiner Har-monie keinesfalls begriffen werden kann, außer er ist auf das Auge, den Verstand und die Seele des Menschen eingestellt, den Mikrokosmos. Alle philosophischen Systeme laufen unvermeidlich darauf hinaus, daß die universale Harmonie für den Menschen bedeutungslos und nichts ist, außer, soweit er sie begreifen kann, und daß er sie nur begreifen kann, wenn er sie auf eine entsprechende Harmonie in sich selbst bezieht. Er ist nur das abermillionste Atom eines Fleckens. Trotzdem ist es empfin-dend, reflektierend und da es reflektiert, zieht es das ganze in seinen winzigen Kreis und hält es zusammen, unwahrnehmbar; was wären wir anders als tote Dinge?

Umhergeworfen in der Erde täglichem Lauf. Mit Felsen und Steinen und Bäumen.

Wahrnehmbar nur durch die Gnade der Empfindung sind wir Er-ben von alledem und Könige. Um Traherne, einen der Dichter an-zuführen, mit denen ich mich befassen will:

Schwerlich erträumt hat sich das Kind
Daß alle Schätze der Welt so nahe sind,
Daß somit es selbst das Beste sei
Und die Krone von allem ringsumher
Doch wars nur so allein,
Da war das Diadem, der Edelstein,
Der auf diesen Erdball jedes Ding
Umschließend, allumfassend Ring,
Das himmlische Auge
Viel weiter als das Firmament
Worin sie alle eingeschlossen sind.
Die glorreiche Seele, obwohl sie König war
Geschaffen, sie zu besitzen, erschien
Als kleines, unscheinbares Ding.

Hier ein anderer, Henry Vaughan:

Ich sah die Ewigkeit, vergangne Nacht,
Gleich einem großen Ring aus reinem
Endlosem Licht
Ganz ruhig, in aller Helle;
Und unten, rund um ihn,
Bewegte sich in Stunden,
Tagen, Jahren durch die Sphären gelenkt
Gleich einem gewaltigen Schatten die Zeit.

In diesem Schatten sieht er Menschen aller Arten und jeden Standes - den Liebhaber, den ‘finsteren Staatsmann‘, den ‘ängstlichen Geizhals‘, den ‘verfeinerten Genußmenschen‘ - die ihren besonderen Trugbildern nachjagen:

Doch einige, die allezeit weinten und sangen
Und sangen und weinten,
Schwangen sich auf in den Ring;
Doch die meisten brauchten keine Schwingen.
0 Toren, sagte ich, so die dunkle Nacht
Dem wahren Lichte vorzuziehen
In Grotten und Höhlen zu leben
Und den Tag zu hassen,
Weil er den Weg zeigt,
Den Weg, der aus dieser toten und dunklen Stätte
Hinaufführt zu Gott.
Ein Weg, wo du die Sonne betreten kannst
Und du lichter bist als sie!
Aber als ihre Torheit ich so besprach
Flüsterte einer,
‘Diesen Ring besorgte der Bräutigam nur für
seine Braut.‘

So haben wir zwei Ringe, den unermeßlichen, harmonischen Ring des Weltalls, der sich über und um uns droht, und den winzigen wahrnehmenden Ring, der mit der Pupiile deines oder meines Auges und mit einem Gehirn verbunden ist, das winzig klein und doch unendlich fähig ist. Aber es gibt noch etwas zu sagen, eine Sache von erster Bedeutung, die diese kleine Men-schenseele betrifft. Sie strebt und sehnt sich instinktiv nach einer größeren Harmonie, und sei es nur dafür, ihr noch voll-kommenere Ergebenheit zu bezeigen; und sie strebt und sehnt sich durch die Gleichheit nach der Einheit und Sohnschaft. Der Mensch ist folglich ein Teil des Universums und empfindet in sich eine Harmonie, die der größeren Harmonie, die er sucht, entspricht.

Traherne schreibt:

Du erfreust dich der Welt nie so recht, bis das Meer selbst in deinen Adern fließt, bis du in den Himmel eingehüllt und mit den Sternen gekrönt bist.

Gleicherweise lesen wir in Brownings ‘Johannes Agricola‘:

Da oben ist der Himmel, und Nacht für Nacht
Schaue ich durch sein prächtiges Dach.
Nicht Sonnen, noch Monde
Halten mich auf, da mir der Glanz bekannt;
Ich halte mich fern dem Schwarm der Sterne,
Denn ich will zu Gott gelangen.
Es ist zu Gott, wohin ich so schnell eile
Denn in Gottes Brust, meiner wahren Wohnstatt,
Wenn jene Schwärme glänzender Pracht vorüber,
Lege ich zuletzt meinen Geist nieder.

Die Frage ist nur, ‘Wie wird es gemacht?‘ Es geht nicht mittels der Philosophie. Der Streit zwischen der Philosophie und Poesie ist allgemein bekannt und tief verwurzelt. Die Her-abwürdigung der Poesie durch die Philosophie ist ebenso tö-richt wie sie andererseits ernstlich erkennbar ist. Denn die Philosophie versucht, Gottes Absicht in dem einen oder anderen System zu begreifen. ”Gott,” sagt Heine, ”schuf den Menschen nach seinem Bilde”, und der Mensch beeilte sich, das Kompli-ment zurückzugeben.

Der Dichter ist bescheidener, er strebt nicht an, zu be-greifen, sondern zu erfassen, in den einen oder anderen Punkt des großen, sich drehenden Kreises blitzartig einzudringen. Die Dichter sind aus zarterem geistigem Stoff als ihre Gefähr-ten, und ihr Geist hat auserlesene Fäden aufzufangen, ver-streute Botschaften zu ergreifen und zu leiten zwischen dem äußeren Mysterium des Weltalls und dem inneren der individuel-len Seele.

Doch man mag fragen: ”Wie geht dieses Erfassen vor sich? Welches ist der Vorgang?”

Es gibt eine Dreiheit im Menschen: Das was tut, das was weiß, und das, was ist. Der Weg zum spirituellen Verständnis liegt in dem, was ist. So wie alle Dinge sich gegenseitig an-ziehen, zieht Geist den Geist an. Nur dadurch, daß wir so wer-den wie sie, sind wir sie; erfassen wir die spirituelle Wahr-heit in ihnen. Das Himmelreich ist in uns; wenn auch als ein verlorenes Gebiet. Mag sein, aber wir wissen heute, wie sich ein verlorenes Gebiet seines elterlichen Staates erinnern wird, und was für einen schweren Weg die Eltern gehen werden, um das wiederzufinden, was verloren ist. Hierin liegt der zentrale Grundsatz der Mystiken. Der Mensch, das Universum und Gott sind von Natur aus eins. Die Einheit (wenn wir sie fin-den) läuft durch alle Verschiedenheiten und harmonisiert sie. Deshalb müssen wir, um irgendetwas von Gott zu erfahren, in dem Ausmaß so sein wie Gott; darum ist auch die beste Weise, sich an einem Feind zu rächen (denkt in den heutigen Tagen daran), nicht so zu sein, wie er es ist.

Aber man fragt immer noch: ”Welches ist der Vorgang?" Si-cherlich ist das im Gesagten inbegriffen. Der Mensch hat in sich - ich will nicht sagen, ein ‘erhabenes Selbst‘ - aber ei-ne Seele, die innen auf eine Botschaft lauscht, die sie so gern hört, daß sie sich manchmal auf Zehenspitzen zur Schwelle hin erheben muß:

Botschaft kam aus fremdem Land
Als ob dort all mein Reichtum läge und mein Schatz.
Sie hat so sehr mein Herz entbrannt,
Ins Ohr zog es die Seele zum gewohnten Platz,
Sie ging dahin,
Die Süße zu empfangen
Und stand auf der Schwelle,
Um am unbekannten Guten sich zu laben.
Sie schwankte dort,
Als wollt aus meinem Ohr sie fort.
Begierig war sie, aufzunehmen, die Freudenbotschaft wie sie kam;
Den Wohnort hätt sie fast verlassen,
Um sich daran zu erfreun.

Aber die Botschaften kommen von außen und zu ihrer Zeit, und oft in völlig überraschender Weise. Man muß die Stunde er-warten und auf die Einladung vertrauen; keiner von beiden kann man befehlen. Dichter lesen das ‘Wort‘ nicht, indem sie sich kräftig bemühen und lernen, wie es die Philosophen tun, noch ringen sie mit Gott. Sie warten, bereiten sich vor und sagen: ‘Es geschehe mir nach deinem Wort.‘ Sie warten in ‘einer wei-sen Passivität‘.

Nicht wählen kann das Aug‘, nur seim;
Wer kann dem Ohr befehlen still zu sein;
Der Körper fühlt, wo wir auch stehn,
Ob wir es wollen oder nicht.
Kräfte gibts, glaub ich, solcherart,
Die regen das Gemüt von selber an,
Daß man bei weisem Warten
Das Gemüt dadurch nähren kann.
Denkst du, aus dieser Mächtigkeit
Von nimmer sprechenden Dingen,
Wär selbst zu kommen nichts bereit,
Wir müßten darum ringen?

Und wieder erzählt uns derselbe Wordsworth in seinem ‘Untern Abbey‘ von der heiteren und gesegneten Stimmung, worin:

... des Atems dieser Körperform,
Selbst der Bewegung unseres Menschenbluts
Beinahe überhoben, körperlich im Schlaf
Versinken und lebendige Seele werden:
Da wir mit einem Aug‘, das von der Macht
Des Einklangs und der Freude tief gestillt,
Ins Sein der Dinge schauen.

Der Weg der Dichter ist somit nicht der des Strebens und der ein Geschrei zu machen. Es genügt ihnen, zu warten, als Gefäß des vorüberziehenden göttlichen Odems. Der Dichter kommt mit einem Sprung nur durch Warten und Vertrauen zu den Wahrheiten, zu denen die Philosophen schwerbeladen und mit Krampfadern auf der Heroesstraße der Logik nie gelangen können.

Es bleiben noch zwei Dinge über den Mystizismus zu sagen.

Das erste ist, daß alle Mystiker, wie auch immer ihr Aus-blick oder ihre Einsicht war, merkwürdig dankbare und noch merkwürdiger glückliche Menschen waren. Sie haben, wenn nicht die Zufriedenheit selbst, so doch den Weg zur Zufriedenheit und eine Verankerung für die Seele gefunden. Sie besitzen sie in der Geduld. Sie sind die Reinen im Herzen und gesegnet, weil sie Gott sehen, oder zu sehen glauben.

Das zweite ist, daß jedem Mystiker der Geist der Einheit und Gleichheit in allen Dingen eigen ist und er dazu neigt, sich mit Symbolen zu befassen.

Ein Wort muß noch über einen Grundsatz des mystischen Glau-bens gesagt werden, der natürlich von den beiden Prinzipien ausströmt. Wenn das Universum eine geordnete Harmonie, und die Seele des Menschen eine winzig kleine Harmonie ist, die nach ihr vibriert, sich nach ihr sehnt und mit ihr eins zu sein verlangt; wenn sie wiederum durch die Erinnerung sich selbst erkennt, wie sie einst mit ihm (mit dem Universum vereint) vereint gewesen ist, wenn auch jetzt auf Erden abgeirrt, eine verlorene Provinz des Gottesreichs, warum ist es dann, daß der König selbst leidenschaftlich danach sucht, wiederzufinden und wiederherzustellen, was verloren war? Die Idee eines Christus, der sich die Füße endlos über steinigen Plätzen wundläuft, un-ersättlich in der Suche nach dem verlorenen Menschen, seinem Bruder oder der verlorenen Seele, seiner ersehnten Braut, ver-folgt die ganze mystische Dichtkunst. Sie verfolgt Quarles, aber bei ihm ist es mehr der Schrei der Seele, der Braut, die den Bräutigam sucht: ”So wie ich meinem Geliebten gehöre, so gehört er mir.” Das ist der Refrain von Quarles und seine ständige Bemerkung.

Warum überschattest du dein liebliches Gesicht?
O warum
Verweigert deine verfinsternde Hand
Des die Sonne belebenden Auges Licht?
Welch Licht bleibt ohne das deine in mir?
Du bist mein Leben, mein Weg, mein Licht ist in dir;
Ich lebe, ich bewege mich, und durch deine Strahlen sehe ich.
Du bist mein Leben, wendest du dich ab,
Durchleb‘ ich tausend Tode. Du bist mein Weg – 
Ohne dich, mein Geliebter, wandre ich nicht,
sondern irre umher.
Du bist mein Licht, ohne deinen erhabenen Anblick
Sind meine Augen durch ewige Nacht verdunkelt.
Mein Geliebter, du bist mein Weg, mein Leben,
mein Licht.
Du bist mein Weg, ich gehe irre, wenn du entfliehst.
Du bist mein Licht; wie blind bin ich, wenn es verborgen ist.
Du bist mein Leben; wenn du dich zurückziehst, sterbe ich.
Meine Augen sind trüb und blind; ich kann nicht sehen
Zu wem oder wohin sollte meine Finsternis fliehn,
Außer zu diesem Licht? Und was ist dieses Licht anderes als du?
Wenn ich meinen Weg verloren habe, Geliebter, sage,
Soll ich dann weiter umherirren auf zweifelhafte Weise?
Geliebter, soll sich ein Lamm aus Israels Schafhürde ver-laufen?
Und doch wendest du dein Antlitz ab und fliehst mich.
Und dennoch bitte ich um Gnade und du verweigerst sie mir?
Sprich, bist du verärgert, Geliebter, oder prüfst du mich nur?
Löse deine Strahlen auf, schließe deine Schwingen und bleib stehn!
Sieh, sieh, nun bin ich blind, tot und verirrt!
0 du bist doch mein Leben und mein Licht, mein Weg!
Geschehe nun dein Wille! Wenn Leidenschaft mich fliehen heißt,
Wird mein Verstand gehorchen, meine Schwingen werden nicht
Weiter ausgebreitet sein, als von mir zu dir!

 

Das Mysterium des Todes

von Kirpal Singh

Der Tod hat den Menschen seit unvorstellbaren Zeiten in Ver-wirrung gebracht. Keiner kann ihm erst kommen. Allem Lebenden wurde eine Spanne Lebenszeit zugemessen, und wenn diese zu En-de geht, findet der unvermeidliche Verwandlungsprozeß, Tod ge-nannt, statt. Dieser Verwandlungsprozeß dauert an, bis man ü-ber die weitesten Grenzen der Zeit gelangt und sich in die Zeitlosigkeit erhebt.

Die Heiligen - Sant Satgurus oder vollendeten Meister - sagen uns, daß der Tod eine ”freudige Geburt (Wiedergeburt) in ein beseligenderes Leben ist, als wir es hier je erträumt haben.” Sie versichern uns, daß ”wir nicht sterben, sondern lediglich das physische Körperkleid ablegen, um in anderen Körpern, dem astralen oder kausalen zu wirken, und uns schließlich erheben, um unsere göttliche Natur zu erkennen und die Einheit in Gott zu sehende Allbewußtheit und Glückseligkeit.” Sie lehren uns nicht nur, sondern ”veranschaulichen den Weg, um den anschei-nend unüberwindlichen und schrecklichen Tod zu besiegen und dadurch furchtlos zu werden.” Auf diese Weise zeigt der leben-de Meister, Satguru Sant Kirpal Singh, in klarer Sprache den Weg, um das Rätsel des Lebens und des Todes zu lösen, in sei-nem neuesten Buch ”Das Mysterium des Todes”. Es ist vorgese-hen, dieses wunderbare Buch im ‘Sat Sandesh‘ zum Vorteil unse-rer Leser auszugsweise zu bringen. Der erste Teil, der nach-folgend veröffentlicht wird, ist des Meisters Einführung zu dem Buch.

‘Leben‘ und ‘Tod‘ sind wechselseitig bedingte Begriffe. Im Bereich der Relativität können wir nicht denken, sprechen oder handeln, ohne die Dinge aneinander zu reihen. Es ist der Weg, um das zu verstecken, was außergewöhnlich ist. Wir sehen uns auf Schritt und Tritt einer Vielzahl verwickelter Zusammen-spiele gegenüber und müssen darum einen analytischen Prozeß verfolgen, um die in jedem Falle zusammengehörigen Teile aus-zusortieren, sie einzeln zu benennen und miteinander in Bezie-hung zu bringen, um auf der Sinnesebene und mit dem Intellekt etwas davon zu begreifen. So leben wir durch die Natur der Dinge und durch die der Erkenntnisfähigkeit, mit der uns die Natur ausgestattet hat, nur durch das Erkennen von Einzeltei-len und erhalten nie ein wahres Bild von etwas in seiner Ganz-heit. Da wir kein Wissen und keine Erfahrung des Unerkennbaren haben, geben wir uns die ganze Zeit über mit den Formen und Farben der Dinge, die wir sehen, zufrieden; mit ihren Eigen-schaften und Merkmalen, die an der Oberfläche sichtbar sind, ohne in die Tiefe zu gehen, zu dem zentralen Lebensprinzip, das in allen ein und dasselbe ist, trotz der Verschiedenheit in der Masse, Dichtigkeit, des Umfangs, des Gewichts und der Form dessen, das wir sehen und bemerken. Wie die Lady von Shallot leben wir immerzu in der Schattenwelt, wie sie durch den Spiegel (des Gemüts und Intellekts) wiedergegeben wird, während wir der objektiven Welt um uns herum sozusagen den Rü-cken zukehren, ganz zu schweigen von der subjektiven Welt in jedem von uns, der wirklichen Welt, die größere, gewaltigere, mächtigere und erhabenere Wunder birgt, als irgendetwas in der physischen Welt.

Mit dem Aufdämmern des ersten Schimmers der Gottheit im Men-schen, der alles kontrollierenden, alles erhaltenden Kraft hinter allem Organischen und Anorganischen, entfaltet sich die Bewußtheit eines Prinzips, welches das Leben und die Seele des Universums war. Dies führte nach und nach zu der Gründung ver-schiedener Religionen, je nach der Einsicht, die ihrem Gründer gegeben war, welcher die Bedürfnisse der Zeit und der Men-schen, den Stand der Rassenverständigung, das Vermögen, sie anzunehmen, zu verarbeiten, und die Lehren der Apostel, Messi-as und Propheten, die von Zeit zu Zeit für die materielle, geistige, moralische, soziale und wirtschaftliche Erhebung der Massen gekommen waren, berücksichtigte.

Alle Religionen entstehen aus besten Beweggründen. Die O-berhäupter religiösen Denkens sind genauso das Produkt der Zeit wie der Bedingungen, die sie für die Verbesserung der Massen schaffen, denen sie predigen. Es kann somit nicht scha-den, wenn man sagt, daß für die Mehrzahl der Menschen die er-habenen Lehren der erleuchteten Lehrer das bildeten, was sozi-ale Religionen, Sittengesetze und moralische Vorschriften ge-nannt wird, damit die Menschen in Frieden miteinander leben, statt in einem Zustand dauernder Unrast und Kriegsangst, einem Krieg von einen gegen alle und aller gegen einen.

Alle guten und tugendhaften Gedanken kommen wie alle anderen aus dem Gemüt. Im Falle der Weltlehrer hatten solche Gedanken ihren Ursprung im Leben des Geistes, das sie führten. Es sind jedoch sehr wenige, die sich auf ihre Ebene erheben und durch ihre eigentlichen Lehren, dem praktischen Aspekt jeder Religi-on, dem Mystizismus, profitieren, der den Kern dessen bildet, was sie lehrten. So wurde das praktische, zentrale Thema an die erwählten Wenigen, die Auserwählten, weitergegeben, wäh-rend der Masse der theoretische Aspekt der Lehren in Form von Gleichnissen gegeben wurde, die sie im Laufe der Zeit in die Lage setzten, die wahre Bedeutung dessen, was sie tatsächlich gelehrt haben, zu begreifen und zu verstehen. Wenn man darum die Grundlagen aller Religionen untersucht, erhält man einen Schimmer der Wirklichkeit, wie schwach und unklar er zuzeiten auch erscheinen mag, da wir die Augen noch nicht entwickelt haben, die ihre Gründer hatten. Für den gewöhnlichen Menschen blieb die Religion meistenteils eine Theorie, bestenfalls eine vernunftgemäße Theorie, um sein Los im Leben zu verbessern und ihn zu einem besseren Menschen zu machen, zu einem besseren Glied der sozialen Gemeinschaft, zu der er gehörte, einem wah-ren Staatsbürger mit bürgerlichen Rechten und Pflichten, mit sozialer und familiärer Verantwortlichkeit betraut, für deren gesunde Erfüllung er somit ausgerüstet war.

Alle Tugenden, alle Taten, alle Künste, alle Wissenschaften und jede Fertigkeit, einschließlich der Staatskunst, der Hand-habung der Priester, der Handwerke, haben ihr Fundament in dem kleinsten gemeinsamen Vielfachen in verschiedenem Grade der zugrundeliegenden allunfassenden Wahrheit, wie sie durch ihre Vorfahren verstanden wurde. Daher sehen wir eine Verschmelzung der Religion, die mit sozialen und moralischen Begriffen aus-geschmückt ist, um sie für die Menschen im allgemeinen vor-stellbar und annehmbar zu machen. Dies ist der Aspekt der Re-ligion, welcher der sozialen Ordnung der Rasse eine feste Grundlage bietet.

Wenn wir einen Schritt weitergehen, kommen wir zu einer an-deren Schicht der Religion. Es ist eine der moralischen Tugen-den, die sich aus verschiedenen Ebenen erhebt als Riten und Rituale, Formen und Formalitäten, Härten und Bußen, Humanität und Nächstenliebe, Beschwörungen, um unversöhnliche Mächte zu bezähmen und versöhnlich zu stimmen, und die Anrufung wohlge-sinnter Mächte, um Hilfe und Beistand in Zeiten der Not.

Zuletzt kommen die Yogis und Yogishwars, die in Yoga-Übungen wohlbewandert sind, wie wir es gegenwärtig sehen.

An der Spitze der Hierarchie stehen die Meister-Heiligen, vollendete Wesen oder Gottmenschen, die nicht nur über die Kraft und den Geist Gottes sprechen, sondern sie in ihren Ini-tiierten offenbaren und die einzelnen Seelen bewußt damit ver-binden. Zu ihrer Ehre muß gesagt werden, daß sie die wahre Re-ligion vertreten, die wahrhaft religiös ist, soweit es die Ab-leitung des Wortes betrifft und praktisch, da sie den Menschen zurückverbindet mit ihrem Schöpfer.

Die Lehren der Meister bilden keine institutionelle Religion wie sie für gewöhnlich verstanden wird. Die Wissenschaft von der Seele ist eine reguläre Art der Wissenschaft. Wer auch im-mer diese Wissenschaft gläubig praktiziert, wie durch den Meister anempfohlen, macht dieselben Erfahrungen und gelangt zum selben Schluß, ungeachtet der Religionsgemeinschaft, zu der er gehört und der Kirche, ob hoch oder niedrig, päpstlich oder anglikanisch, bischöflich oder presbyterianisch, der er Treue schuldet.

Die Wissenschaft von der Seele ist der Kern und das Herz al-ler Religionen. Sie ist das Fundament, auf dem alle Religionen ruhen. Die Meister lehren, daß es sieben Ebenen gibt: Pind, And, Brahmand, Par Brahmand, Sach Khand, Alakh und Agam. Und über dem ganzen Kosmos gibt es eine achte Ebene, die durch die Heiligen unterschiedlich als Anani (Namenlos), Maba Dayal (Herr der Barmherzigkeit), Nirala (der Wunderbarste) oder Soa-mi (der Herr von allem) benannt wird. Den Initiierten der Meister wird ein kurzer Bericht der verschiedenen Merkmale der ersten fünf Ebenen mit ihren charakteristischen Tönen und Lichtern gegeben, die in ihnen vorherrschen, außer den Namen der Mächte, die ihnen vorstehen.

Der Initiierte, der die erste Ebene erfolgreich überschrei-tet, wird ein Sadhak (Schüler) genannt. Und der die zweite E-bene überquert, wird ein Sadh (eine disziplinierte Seele) ge-nannt. Wer in Par Brahmand von seinem Zögern und Verlangen ge-reinigt wird, ist als Hanse (eine reine Seele) bekannt und wer weitergeht, ist ein Paramhansa (eine makellose Seele). Wenn einer die fünfte Ebene, Sach Khand erreicht, wird er ein Sant oder ein Heiliger genannt. Und ein Heiliger, der durch das Höchste Wesen beauftragt ist, die Wahrheit zu lehren(Shikoha) und die Wahrheit zu beweisen (Diksha), wird ein Sant Satguru (oder ein vollendeter Meister) genannt, der ermächtigt wurde, die Jivas (menschlische Seelen) in die jenseitigen Bereiche, in ihre letztliche Heimat (das Reich Gottes) zu führen.

Yoga bedeutet die Vereinigung der Seele mit der Überseele oder Gotteskraft. Es gibt so viele Yoga-Formen wie Mantra Yo-ga, Hatha Yoga, Ashtang Yoga, Karma Yoga, Bhakti Yoga, Jnana Yoga, Raja Yoga, Laya Yoga und ähnliche. Diese Yoga-Übungen befassen sich mehr oder weniger mit dem Training des physi-schen Körpers, den nach außen gehenden Kräften, dem Gemüt und dem Intellekt. Sie zielen danach, einen gesunden Geist in ei-nem gesunden Körper zu sichern, um Gesundheit, physische Taug-lichkeit und Langlebigkeit zu erlangen. Jeder hat sein eigenes Gebiet und sein eigenes Ziel. Aber alle diese verschiedenen Yoga-Formen stellen nicht eine enge Abgrenzung dar, sondern dienen zusammengenommen dazu, um den Menschen zu einem voll-ständigen Ganzen oder zu einem ungeteilten Menschen zu machen.

Es gibt jedoch noch eine andere Form des Yoga, den Surat-Shabd Yoga oder die Verbindung mit dem heiligen Wort (dem Ton-strom). Es ist die Wurzel aller Religionen und wird dennoch von den Theologen nicht genau verstanden. Er bringt einen zum letzten Ziel, zu Anami oder dem Namenlosen Absoluten, der als ihr materieller und bewirkender grundloser Urgrund hinter der gesamten Schöpfung steht. Als sich das Meer des reinen Bewußt-seins hob, brachte sich das Formlose und Namenlose Absolute in vielen verschiedenen Formen und mit unterschiedlichen Namen durch die Kraft seiner sich hebenden und senkenden Vibrationen zum Ausdruck. Der sich daraus ergebende Ton wurde das heilige Wort genannt. Wie nun mit dem Geist und der Kraft Gottes, des ersten schöpferischen Prinzips (Licht des Lebens) in direkte Verbindung zu kommen, ist das Thema des Mystizismus. Während alle Philosophien den offenbarten Aspekt des Ungeoffenbarten und die Schöpfung des Ungeschaffenen behandeln, befaßt sich andererseits der Mystizismus mit dem schöpferischen Prinzip selbst, der vibratorischen Kraft, die durch Licht und Ton (Sruti und Jyoti) gekennzeichnet ist.

Der Prozeß der Verbindung mit dem Wort beginnt mit dem be-wußten Kontakt mit der sich zum Ausdruck bringenden Gottes-kraft (dem Naam oder dem heiligen Geist), der eine tatsächli-che Erfahrung der unaussprechlichen Wonne der höheren Ebenen gewährt, und dies nicht auf gut Glauben im Jenseits, sondern hier und jetzt, während man noch im Körper in der materiellen, physischen Welt lebt.

Diese Vibrationen, die verschiedene Arten von Tönen zur Fol-ge haben, leiten die Initiierten durch die unterschiedlichen Ebenen von variierender materieller und spiritueller Dichtig-keit, und bringen den Geist zuletzt in die rein spirituelle Welt des Sat Naam (das Reich Gottes), von dem die göttliche Harmonie ausgeht und zum Mittel wird, um die weltmüden Seelen in die wahre Heimat des liebenden Vaters - den Himmel der Glückseligkeit - zurückzuführen. Tulsi Sahib sagt: ”Von weit her kommt ein Ton herab, um dich zu Gott zu rückzurufen.” So haben wir auch das Zeugnis von Shamas-i-Tabrez, wo er zu sich selbst sagt: “O Shamas, höre auf die Stimme Gottes, die dich ruft.” Und Guru Arjan erklärt:

Der dich einst in die Welt sandte, ruft dich nunmehr zurück.

Im Koran finden wir: ”0 du Seele, kehre freudig zurück zum Herrn und erfreue Ihn!”

Ein vollendeter lebender Meister ist ein Muß auf dem Weg gott-wärts. Im Johannes-Evangelium heißt es:
”Niemand kommt zum Va-ter denn durch mich.” (14,6). Alle Meister sagen, daß es auf der Welt immer einen Meister oder ‘Murshid‘ gibt, der als ‘Qibla Numa‘ wirkt, oder als einer, der auf ‘Qibla‘, das Hei-ligste des Heiligen, das Sanctum Sanctorum hinweist und unse-rer Anbetung und Verehrung würdig ist. In den Sikh-Schriften haben wir: ”Die Lehrer kommen nacheinander von einem Zeitalter zum anderen.” jrji Lukas-Evangelium heißt es ähnlich: ”Wie er vor Zeiten geredet hat durch den Mund seiner heiligen Prophe-ten” (1,70).

Das Gesetz von Bedarf und Versorgung ist in der Natur immer am Werk. Es gibt Nahrung für die Hungrigen und Wasser für die Durstigen. Wo Feuer ist, kommt Sauerstoff von selbst zu Hilfe. Aber jeder Prophet und Messias bewirkt seine Mission für die Zeit, für die er in die Welt gesandt wird. Jesus sagtet ”Die-weil ich bin in der Welt, bin ich das Licht der Welt” (Joh. 9,5). noch wenn einer seine Mission erfüllt hat, wird er zu-rückgerufen, erhoben und tritt vom Schauplatz seiner Tätigkeit auf dem Erdenplan ab. Es gibt keine Leere in der Natur. Die Gotteskraft kann nicht umhin, das Werk der Erneuerung fortzu-führen, denn es ist eine nie endende Aufgabe. Während sie sich aus einem menschlichen Pol zurückzieht, erwählt die genannte Kraft einen anderen menschlichen Pol zu ihrer Offenbarung und ihrem Werk in der Welt. Ein solcher menschlicher Pol kann der Stellvertreter Gottes genannt werden. Er springt in die Bre-sche, füllt die Lücke aus und führt das Werk weiter. Es ist genauso wie wenn eine ausgebrannte Birne durch eine neue aus-gewechselt wird, um das Fortbestehen des Lichts zu sichern. Die Christuskraft oder Gotteskraft leuchtet unvermindert von einem Pol oder einem anderen weiter, ähnlich wie bei Zoroaster, Konfuzius, Jesus, Mohammed, Kabir, Nanak, Tulsi Sahib oder Soami Ji.

Wie vorher gesagt, ist die Welt niemals ohne einen Meister. Nach Soami Ji führte Baba Jaimal Singh seines Meisters Mission im Punjab weiter, und nach ihm sein erhabener spiritueller Sohn und Nachfolger, Hazoor Baba Sawan Singh Ji, dessen Gnade noch jetzt, mehr als je zuvor, über die ganze Welt strahlt durch den ‘Ruhani Satsang‘ mit seinem Hauptzentrum in Delhi, einem allgemeinem Forum, wo die religiösen Oberhäupter des In- und Auslandes von Zeit zu Zeit zusammentreffen und zusammen-wirken, um die Menschheit in eine Bruderschaft als Kinder Got-tes zu verbinden, ungeachtet der religiösen Gemeinschaft und der Länder, zu denen sie gehören.

Wenn Heilige die Welt verlassen, werden Berichte ihrer wertvollen Erfahrungen, die sie im Verlaufe ihrer Suche nach der Wahrheit gemacht haben, zusammengetragen, und der geistli-chen Literatur der Welt hinzugefügt, wie wir sie heute haben. In diesem zwanzigsten Jahrhundert sind wir begünstigt, mehrere Schriften zu besitzen, die aus vergangenen Zeiten überliefert sind. Wir haben den Zendawosta, die Veden, die Upanischaden, die großen Epen Ranayana und Mahabharata, die Bhagavad Gita, das Alte und Neue Testament, den Koran, den Adi Granth und viele andere Bücher wie Sar Bachan und Gurmat Sidhant. Sie al-le befassen nich mit der gleichen Wahrheit, die eine und nur eine ist; aber es gibt eine Vielzahl von Annäherungswegen an sie, von denen jeder seine besondere Terminiologie und Aus-drucksweise hat. Für die meisten von uns, die an den Lehren des einen oder anderen Weisen festhalten, ist es schwer, ihren Sinn zu verstehen, aus Mangel an Wissen von der inneren Bedeu-tung der und der Sprache oder des Dialekts, der dabei Verwen-dung fand. Wenn uns nicht ein Mensch der Verwirklichung zu Hilfe kommt, der die Wahrheiten, die uns in den Schriften vor-gelegt werden, selbst erfahren hat und sie uns auf verständli-che Weise erklärt, können wir ihre wirkliche Bedeutung nicht erfassen. In den Händen eines solchen kompetenten Meisters werden die früheren Berichte lebendig und zu einer Quelle der Inspiration für die strebenden Seelen. Darum ist gesagt:

Die Schriften sind ein Werkzeug in den Händen des Meisters und helfen, das Meer des Lebens zu überqueren;
Aber sie werden nur verständlich, wenn ein Gottmensch kommt, um sie zu erklären.

Bei der Initiation wird der Wahrheittsucher bewußt mit dem heiligen Wort, der sich in Form von Licht und Ton zum Ausdruck bringenden Gotteskraft verbunden, die von der vibratorischen Bewegung in den Tiefen des Meeres der Liebe, das Gott ist, ausgeht. Es wird ihm ein direkter Beweis der Kraft und des Geistes Gottes gegeben, und er beginnt, das Licht Gottes zu sehen und die Sphärenmusik zu hören, die unaufhörlich überall im Raum und außerhalb des Raumes vibriert, denn es gibt keinen Ort, wo sie nicht ist. Von Guru Nanak, der völlig in die Farbe des allesdurchdringenden Naam gefärbt war und in einem Zustand beständiger Ekstase lebte, heißt es, daß er einmal auf seinen Reisenn, währernd er in Mekka gewesen ist, eines Tages in den heiligen Bezirken mit den Füßen gegen den Schrein der Kaaba vorgefunden wurde. Die Hüter des Schreins konnten dieses of-fensichtlich frevelhafte Tun nicht dulden. Sie rügten ihn ob der Beleidigung und sagten: ”Wie ist das, Ihr liegt mit den Füßen gegen das Haus Gottes?” Guru Nanak, der sich des Geistes Gottes, der überall und in jeder Richtung wogt, bewußt war, fragte demütig: ”Sagt mir bitte, wo Gott nicht ist, damit ich meine Füße nach dieser Richtung wende.” Auf diese Weise schau-en gottzentrierte Heilige auf die Dinge. Sie sehen Gott über-all und in jeder Richtung als ein alles durchdringendes Le-bensprinzip, das in allein pulsiert, was da ist.

Ähnlich hat der Prophet im Koran erklärt: ”Das Reich Gottes erstreckt sich von Osten nach Westen und die Gläubigen können Ihn in jeder Himmelsgegend finden, in der sie sich Ihm zuwen-den, Gott wird sie sicher in genau dieser Gegend finden, denn Er ist nicht auf einen bestimmten Raum beschränkt. Er ist all-wissend und kennt jedermanns Herz.”

Alnisai, ein Moslem-Heiliger führt diesen Punkt weiter aus und erklärt: ”Für mich ist die ganze Welt ein Tabernbakel Got-tes, ein heiliger Ort, um meine Gebete darzubringen. Meinen Anhängern steht es frei, ihre Gebete zu sprechen wo immer sie sind, wann die Zeit dafür naht.”

In der Apostelgeschichte (17,24) heißt es: ”Gott, der die Welt gemacht hat und alles, was drinnen ist, er, der ein Herr ist des Himmels und der Erde, wohnet nicht in Tempeln von (Menschen-) Händen gemacht.”

Oliver Wendell Holmes legt darum mehr Nachdruck auf die Hingabe als auf irgendetwas anders, denn liebevolle Hingabe heiligt den Ort, die Zeit und die Art und Weise des Gebets. Er sagt: “Alles ist heilig, wo man in Hingabe kniet.”

Die Kraft und der Geist Gottes durchdringen alles, sind im-mer gegenwärtig und immer in Vibration. Wenn man sich auf die göttliche Melodie abstimmt, wird die Seele unwillkürlich, so-zusagen wie durch einen elektrischen Aufzug in immer höhere Regionen erhoben, und man schreitet immer weiter auf der Spur der wohlklingenden Musik, die allmählich immer feiner wird, bis sie in der Qelle, aus der sie kam, aufgeht - im Asoluten, dem Anami oder dem Namenlosen und Wortlosen.

Wir sind alle entsprechend unserem eigenen Licht auf der Suche nach Gott. Die Seelen werden nach einem langen und müh-seligen Entwicklungsprozeß der Selbstdisziplin und Selbstläu-terung durch die Gotteskraft schließlich zu den Füßen eines Meister-Heiligen geführt, um die Reise zurück zu Gott aufzu-nehmen. ”Es kann niemand zu mir kommen, es sei denn, daß ihn ziehe der Vater, der mich gesandt hat; und ich werde ihn auf-erwecken am jüngsten Tage (Joh. 6,44).” Drr jüngste Tag heißt hier der Tag, an dem einer die Schlacke des Körpers freiwillig während des Lebens hinter sich läßt, indem er sich durch einen Prozeß der Selbstanalyse über das Körperbewußtsein erhebt; o-der unfreiwillig zur Todeszeit, wo die Sinnesströme durch den Todesengel aus dem Körper gezogen werden. Guru Arjan sagt: ”Der euch in die Welt sandte, ruft euch nun zurück. Wendet euch beruhigt und getröstet heimwärts.”

Die Erfindungen des Radios und Radars haben ohne Zweifel bewiesen, das die Atmosphäre um uns von vibrierenden Tönen er-füllt ist, die aulgefangen, herbeigezogen und aus jeder belie-bigen Entfernung gehört werden können, wenn ein geeignetes In-strument zur Verfügung steht, das richtig eingestellt und dar-auf abgestimmt ist, sie zu empfangen. Es ist genau das, was ein kompetenter Meister bei der Initiation bewirkt, wenn er die einzelnen Seelen einstimmt und das Tonprinzip für sie hör-bar macht.

Die äußere irdische Musik hat eine große Wirkung auf den Menschen. Die Soldaten auf dem Marsch werden durch die kriege-rischen Klänge von Hörnern und Trompeten angefeuert. Die Hoch-länder in ihren Schottenröcken marschieren triumphierend zum Klang der Kriegsmusik und der Dudelsackpfeifen. Segler und Seeleute hissen und holen ihre Segel ein und arbeiten unter lauten, rhythmischen Rufen an den Rudern. Gedämpfte Trommeln spielen den Trauermarsch für die betrübten Leidtragenden, die die Bahre begleiten. Tänzer tanzen im Einklang mit der Be-gleitmusik und dem Klingeln ihrer Ambänder und Fußreifen. Selbst Tiere lieben das Klingeln der Glocken, die an ihren Hörnern festgemacht sind. Die schnellfüßige Aritilope wird durch das Schlagen der Trommel aus dem verborgenen Dickicht herbeigelockt. Die tödlichen Kobras werden durch den Schlan-genbeschwörer mittels der Musik der Vina bezaubert. Die äußere Musik bringt die Seele ans Ende der materiellen Ebene und weckt Empfindungen, die sonst zu tief liegen, um zu Tränen zu rühren. Das ist in der Tat die Macht der Musik. John Dryden, ein großer englischer Dichter des siebzehnten Jahrhunderts, spricht davon in beredten Worten:

Welche Leidenschaft kann Musik nicht wecken oder stillen?
Als Jubal das besaitete Gehäuse schlug,
Standen seine lauschenden Brüder um ihn,
Und bewundernd lag auf ihren Gesichtern
Die Verehrung dieses himmlischen Klangs.
Kein geringerer als ein Gott, glaubten sie,
Könnte nicht im Innern des hohlen Gehäuses weilen,
daß so süß und lieblich sprach.
Welche Leidenschaft kann Musik nicht wecken oder stillen?

Wenn die Macht der irdischen Musik schon so groß ist, kann man sich gut vorstellen, wie groß erst die Macht der himmli-schen Musik ist. Wie erheiternd und berauschend wäre es, wenn man anfinge, sich über das Körperbewußtsein zu erheben, um in Einklang mit der himmlischen Harmonie zu sein. Das Wort ist die zum Ausdruck kommende Gotteskraft. Gott ist symphonische Liebe, die aufwallt und überfließt. Er ist die Quelle von Lie-be, Licht und Leben zugleich.

Der Weg zum Absoluten führt durch viele Wohnestätten (Ebenen und Unterebenen)‚ die auf dem Weg von der physichen Ebene bis zur Heimat des Vaters liegen. Die Reise ist voller Gefah-ren. Die mentalen Ebenen sind samt und sonders ungangbar ohne einen Führer, der mit den Windungen und Krümmungen des Pfades völlig vertraut ist. Darum die zwingende Notwendigkeit für ei-nen Guru (Fackelträger) oder einen kompetenten Meister, einem, der regelmäßig diese Reise unternimmt, der die Gefahren und Schwierigkeiten kennt, mit denen der Pfad übersät ist. Nur er, der auf dem Weg gottgewärts kundig ist, kann den Geist heil durch die schlüpfrigen Regionien blendenden Lichts und verwir-ren der Schatten, und durch den trügerischen Sirenenzauber und die Schrecken des Unbekannten bringen.

Maulana Rumi mahnt daher:

Suche einen Reisenden, der den Pfad kennt, denn ohne einen solchen ist er voll ungezählter Fallgruben und unvorstellbarer Gefahren.

Wir sind auf der anderen Seite tief in die Welt verstrickt. Kabir gibt uns eine lebendige Beschreibung unserer Hilflosig-keit in dem furchtbaren Meer der Welt. Er sagt uns, daß der Weg zum wirklichen Glück lang und mühselig ist, und wir auf der Sinnesebene tief schnarchen. Er heißt uns aufzuwachen und mit der beschwerlichen Reise bergan zu beginnen. Wir alle be-finden uns in den tödlichen Fängen der stählernen Fesseln des Lebens, die uns eine schwere Last von Täuschungen aufbürden. Unsere sogenannten Freunde und Verwandten sind größtenteils unsere Gläubiger und Schuldner und reißen uns unbarmherzig und gnadenlos in Stücke. Das Unglaubliche ist, daß wir weiter lie-bevoll zu ihnen halten und sie an unsere Brust drücken, ohne zu wissen, daß sie uns verbluten lassen. Was wir als unser Ei-gen ansehen, ist nur eine Fata Morgana und wird uns häufig in einem einzigen Augenblick weggenommen. Wiederum muß die arme Seele nach dem Tode den einsamen Pfad zum Richterstuhl Gottes (Dharam Raj, die göttliche Kraft der Vergebung) ganz alleine gehen. Mit dem verbrauchten Körperboot treiben wir wie Unkraut in der heimtückischen Strömung steuerlos dahin, eine fortge-setzte Beute für zufällig aufkommende Winde und stürmische Wasser. Wie können wir dann das andere Ufer erreichen? Für ei-nen armseligen Hungerlohn beschäftigen wir uns ständig mit ei-nem verlustbringenden Spiel und gehen am Ende hinaus wie ein verfolgtes Wild, und wissen nicht, wohin wir gehen. Wir wissen nichts vom Leben jenseits des Grabes. Wie können wir errettet werden? Dies trotzt unserem Verständnis und wir kommen uns ge-narrt und hilflos vor.

Der Meister verspricht, allezeit bei uns zu sein, hier und danach im Jenseits. Er gibt den Initiierten einen Beweis da-von, indem er seine strahlende Form in jedem manifestiert. Und er versichert uns auf unzweideutige Weise: ”Wo ich bin, da sollt ihr auch sein.

Es wird dem Initiierten der esoterische Weg gelehrt, sich in das Himmelreich zu erheben, das in ihm liegt. Die innere Reise beginnt mit dem Öffnen des Einzelauges oder ‘Shiv Netra‘. Es öffnet sich, wenn die Sinnesströme zurückgezogen und am Sitz der Seele am Augenbrennpunkt hinter und zwischen den beiden Augenbrauen gesammelt sind. Beim Eintritt ins Jen-seits kann der Initiierte mit dem Meister innen sprechen und zurückkehren mit vollbewußter Erinnerung an die Erfahrungen, die er auf den inneren Ebenen gemacht hat. Im Himmelreich gibt es weder die Kette der endlosen Ursache und Wirkung, noch Raum oder Zeit. Es gibt dort nichts als fortgesetzte Gegenwart, in der man in seiner eigenen Welt lebt. Die Verständigung zwi-schen den Seelen geschieht durch ätherische Gedankenwellen o-der Schwingungen.

Das alles und noch viel mehr kann erreicht werden durch tägliche und verlängerte Hingabe an die spirituellen Sadhans oder Übungen. Auf diese Weise erlangt ein Initiierter die be-wußte Verbindung mit dem Meister auf den höheren Ebenen und vertieft sich nach und nach so sehr in ihn, daß er eins mit ihm wird und gleich Paulus sagen kann:

Ich hin mit Christo gekreuzigt.
Ich lebe aber; doch nun nicht ich,
sondern Christus lebet in mir.
Denn was ich jetzt lebe im Fleisch,
das lebe ich in dem Glauben des Sohns Gottes,
der mich geliebet hat.
                                                      Gal. 2,20

Der Meister ist das ‚fleischgewordene Wort‘. Er ist alle-zeit in direkter und ständiger Verbindung mit dem göttlichen Wort in sich, nein, er schwelgt in der Tat in ihm, und erklärt oft: ”Ich und mein Vater sind eins”, oder wie wir im Gurbani lesen, ”Ich und mein Vater sind in derselben Farbe gefärbt”, und ”Ich und mein Vater wirken in einer Partnerschaft miteinander” (um zusammen die spirituelle Verwaltung der Welt in Gang zu halten). Kurzum, es kann gesagt werden, daß der Meis-ter ein bewußter Mitarbeiter am göttlichen Plan ist.

Zuzeiten nimmt der Meister den Initiierten unter seinem Schutz weit weit jenseits über gewisse Ebenen, die bezaubernd schön sind, so daß er sich nicht darin verstrickt und sich in die Wunder des Weges verliert. Maulana Rumi sagt darum:

Wenn du auf Pilgerreise (ins Jenseits) gehen willst, dann nimm dir einen Pilger zur Begleitung mit.
Es hat dabei nichts zu sagen, ob dieser Pilger ein Hindu, ein Türke oder ein Araber ist.
Aber achte darauf, daß er ein wirklicher Pilger ist.

Ein lebender Meister ist ein solcher Pilger. Einen lebenden Meister zu haben, ist ein großer Segen. Er verläßt und ver-säumt seine Initiierten niemals, bis ans Ende der Welt. Wenn einer initiiert ist, lebt der Meister in ihm in seinem astralen oder leuchtenden Körper und bleibt immer bei ihm, bis zum Ende der Reise nach Sat Naam oder Sat Purush. Er nimmt ihn dann ganz in sich auf, und vertieft auch des Initiierten Seele in sich, so daß beide in ihm eins werden. Selbst wenn der Schüler irgendwann vom Weg abgeht oder irregeleitet wird, wird er entweder in diesem oder in nachfolgenden Leben auf den Pfad der Rechtschaffenheit zurückgebracht.

Wiederum müssen Christus und andere Meister im Laufe der Zeit die irdische Ebene verlassen; doch sie leben weiter in der Form von Shabd im Innern, und außerhalb von Zeit und Raum. Da wir mit dem einen oder anderen von ihnen verbunden sind, wollen wir natürlich für sie leben und sterben. Aber wir wis-sen nicht, wie wir mit ihnen in uns in Berührung kommen kön-nen. Ein solcher Kontakt ist möglich und liegt in unserer Reichweite, wenn wir nur einen ‘Shabd Swaroop‘ oder einen Leh-rer fänden, der das personifizierte Wort ist und kompetent, uns mit dem Wort zu verbinden, nein, uns in das Wort zu ver-wandeln, in dem alle Meister der vergangenen Zeiten ewig leben.

Dies erinnert mich an eine Dame, die mir im Jahre 1955 in Amerika begegnete. Sie sah Christus für gewöhnlich in sich und war damit zufrieden und machte keinen weiteren Versuch, auf dem spirituellen Pfad fortzuschreiten. Eines Tages riet ich ihr beiläufig, Christus zu fragen, welche weiteren Schritte er ihr für den inneren Fortschritt vorschreiben würde. Am folgen-den Tage kam sie und bat sehr um die Initiation mit der Bemer-kung, daß Christus sie angewiesen habe, die Führung des leben-den vollendeten Meisters zu suchen, so sie den Wunsch habe, weiter fortzuschreiten.

Die inneren Kräfte behindern die Gottsucher niemals. Und wenn einer in Verbindung ist mit einem früheren Meister, weist er seine Ergebenen bereitwillig und freudig über die weiteren Schritte an, die es auf dem spirituellen Pfad zu tun gilt.

Einzelne Initiierte werden durch den Meister hinaufgenommen und es wird ihnen die Herrlichkeit der fünften Region (Sach Khand) gezeigt, und die meisten der Initiierten werden zu die-ser Ebene geführt. Aber wie vorher gesagt, gibt es insgesamt acht Regionen, und die achte ist das letzte Ziel, das durch jene erreicht wird, welche die letzte Vollendung erlangen. 

(Fortsetzung folgt)

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