Sat Sandesh

März/April 1970

 

Inhaltsverzerichnis

Vom Meister
Der Meister spricht:

  • Ek Onkar, Ashabd, Anaam
  • Auszüge aus ”Spirituelles Elixier”

Von anderen Verfassern

  • Der Geist des Suchens (Kabir)
  • Gesang von mir selbst (W. Whitman)
  • Religion und Literatur (Dr. V. Sena)
  • Die Quelle des Lebens (Bhadra Sena)
  • Mahatma Gandhi (Darshan)
  • Die Psychologie der Meister (Dr. George A. Jones)
  • Die Wahrheit (Hazoor Sawan Singh Ji)
  • Uralte Weisheiten

 

Der Geist des Suchens

Mein Freund! Hoffe auf Ihn, solange du lebst;
erkenne, solange du lebst; verstehe, solange du
lebst: denn das Leben ist der Ort der Erlösung.

Wenn deine Fesseln nicht in diesem Leben zerrissen
werden, welche Hoffnung auf Erlösung bringt der Tod?

Es ist nur ein leerer Traum, daß die Seele sich mit
Ihm vereinen wird, weil sie ihren Körper verlassen hat.

Wenn Er jetzt gefunden wird, wird Er auch dann gefunden.
Wenn nicht, dann gehen wir nur hin, um in der Stadt des Todes zu wohnen.

Wenn du jetzt mit Ihm eins bist, wirst du es auch in Zukunft sein.

Tauche unter in der Wahrheit, erkenne den wahren
Meister, habe Vertrauen in den wahren Namen.

Kabir sagt: ”Es ist der Geist des Suchens, der Hilfe
bringt; ich bin der Sklave dieses Geistes des Suchens.”

Kabir

 

Gesang von mir selbst

Ich glaube, ich könnte hingehen und mit den Tieren
leben, sie sind so ruhig und beschlossen in sich.

Ich stehe und schaue sie an, lange und lange.

Sie schwitzen und wimmern nicht über ihre Lage.

Sie liegen nicht wach im Dunkeln und weinen über
ihre Sünden.

Keins ist unzufrieden, keins besessen von dem Wahn,
Dinge besitzen zu wollen.

Keins kniet vor dem andern oder vor seinesgleichen,
das vor tausend Jahren gelebt hat,

Keins ist Respektperson oder unglücklich auf der ganzen Erde.

Walt Whitman

 

Der Meister spricht

Ek Onkar, Ashabdm Anaam

Es gibt nur eine Wirklichkeit. Seit undenklichen Zeiten haben alle Rishis und Munis von dieser Wirklichkeit gesprochen, aber keiner hat sie in ihrer Ganzheit be-schreiben können, noch wird jemand dazu fähig sein. Die Wirklichkeit kann weder er-kannt noch begriffen werden. Man muß sich selbst darin vertiefen oder mit anderen Worten, man muß sich in sie erheben, ins höhere Bewußtsein hineinwachsen. Wenn ein Wassertropfen ins Meer fällt, hört er auf, ein Tropfen zu sein und geht darin auf. So kann der Tropfen die Größe des Meeres nicht erkennen. Genauso ist es der Fall bei den Weisen und Sehern. Sie gaben treffende Hinweise auf die große Wirklichkeit, soweit sie es mit Hilfe von unzulänglichen Worten tun konnten. Bei all ihrem Ver-such, die Wirklichkeit zu beschreiben, blieb sie unbeschrieben. Alle Philosophien der Welt haben versucht, Gott auf die eine oder andere Weise zu beschreiben, aber das Rätsel blieb, wie immer, ungelöst. Alle Versuche, die Wirklichkeit zu erklären, sind fehlgeschlagen und die letzten Worte sind gewöhnlich: ”Nicht dies, nicht dies.” Gott ist etwas mehr, als wir sehen oder verstehen; Gemüt und Intellekt kön-nen Ihn nicht erreichen. Der Absolute ist im besten Falle als ”Ashabd” (wortlos) beschrieben worden. Der abstrakte Gott ist unaussprechlich, da Er noch nicht zum Ausdruck kam. Wir mögen Ihn ”Anaam” (namenlos) oder ”Ashruti” nennen. Nanak spricht von Ihm als dem ”Einen” oder ”Ek Onkar” - die erste Offenbarung. Diese Beinamen wurden nur gegeben, als er zuerst offenbar wurde oder zum Ausdruck kam. Bevor Er ins Sein kommt oder sich zum Ausdruck bringt kann Er weder der Eine noch Zwei ge-nannt werden. Nachdem Er sich zum Ausdruck brachte ist Er als der ”Eine” bezeichnet worden. Der große Lehrer fährt dann fort zu erklären, was mit der ”Eine” gemeint ist. Die erste Form, die vom Absoluten angenommen wurde, ist die von ”Sat Naam” o-der der Wahrheit oder der Unveränderlichen Dauer. Aus Anaam (namenlos) wurde Er ein Name - der Absolute wie Er zum Ausdruck oder ins Sein kam. Als solches wurde Er zum schöpferischen Prinzip, das Seine Schöpfung belebt, die Grundlage des Lebens, die allem innewohnt. Was ist Leben? Es ist etwas Ewiges, Unvergängliches und Unzerstör-bares und darum ”Sat” - oder etwas, das unter allen Umständen und Bedingungen un-veränderlich bleibt. Und wieder erzählt uns Nanak über die Natur von ”Sat” oder der Wahrheit.

”Die Wahrheit war immer, die Wahrheit war der Anfang der Zeitzyklen;
die Wahrheit bleibt und wird ewig bestehen, sagt Nanak.”

Nachdem er soviel gesagt hatte, konnte man ihn nicht von der Wirklichkeit ab-bringen, die immer Ashabd oder Anaam war und darum wurde dieser Wirklichkeit gehul-digt und sie als ”Anaam” bezeichnet.

Als diese Wirklichkeit ins Sein trat, wurde sie als ”Eine” bekannt und Nanak spricht von dieser Einen als

”Hinter der großen Kraft, die Eine genannt, liegt ein großes Geheimnis.
Und wer es kennt, weiß, daß diese Kraft sowohl das Absolute ist, als auch das leuchtende Prinzip, das zum Ausdruck kommt.”

Dieses Geheimnis muß gelöst werden. Es kann intuitiv gelöst werden von einem, der ein bewußter Mitarbeiter an göttlichen Plan wird. Die Kraft und der Geist des Absoluten, der zum Ausdruck kommt, wird Brahman genannt. Wer Brahman erkennt, geht in Brahman auf. Aber unser Ziel liegt anderswo, in dem, was man Par Brahm oder Sat Brahm oder Kutaseth Brahm nennen mag, die Grundlage, auf welcher Brahm ruht. Somit sind Sat Naam und Brahman nur verschiedene Stufen des Absoluten. Par Brahm ist der Grund, auf dem Brahman steht. Wir müssen uns deshalb allmählich ausdehnen, bis un-ser kleines Selbst so groß wird, daß es die Ganzheit Seines Wesens über Brahman hinaus umschließt. Sowie wir uns allmählich in ein höheres Bewußtsein erheben und uns ausdehnen, gelangen wir auch unwissentlich über das kleine Ego in uns - indem wir es zuerst um der Familie willen, dann für die Klasse, für die Nation und schließlich für die Menschheit opfern, nein, für die gesamte Schöpfung, bis man mit dem einen Prinzip, Sat Naam, übereinstimmt. Dies wird Selbsterhebung genannt:

”Dein, o Dein ist alle Kraft und Größe;
je mehr ich Dich sehe, desto mehr sehe ich Dich allein;
und verliere alle Gedanken am mich selbst.”

Diejenigen, deren inneres Auge erwacht ist, sehen, daß die Kraft Gottes in ihnen und um sie herum wirkt. Was immer sie tun, tun sie aus Liebe zum Herrn. Von Sain, dem Barbier-Heiligen sagt man, daß einst, als er sich sein Essen bereitete, ein Hund ein Stück Brot wegschnappte und davon rannte. Der Heilige rannte hinter dem Hund her und rief ihn zurück, um ihm das Brot mit Butter zu bestreichen. Dies ist es, was ein wahrhaft erwachter Mensch tut, denn er sieht das gleiche Selbst in dem Hund, wie in sich. Wir müssen uns darum an einen wirklichen Heiligen halten, ganz gleich, in welchem Gewand er sich bewegt. Er führt uns vom Namen zum Benannten - von den Worten zu dem Wort und weiter zum Wortlosen. Der Ton ist von zweierlei Art, von äußerer und innerer. Der äußere Ton hängt vom inneren Ton ab, doch führt er uns nach außen und nicht nach innen, wie es der innere Ton tut. Als der Absolute Gott ins Sein trat, kam Er in der Form des inneren Tones. Von diesem inneren Ton sagt man:

”Schöpfung und Auflösung hängen beide von Shabd (dem Wort) ab,
und es geschieht durch das Wort, daß die Schöpfung wieder ins Sein kommt.”

Nun müssen wir sehen, wie wir einen Kontakt mit dem Wort erlangen können. Dieser Kontakt kann nur durch die Guru-Kraft im Guru, der das personifizierte Wort ist, hergestellt werden. Obwohl das Wort in uns ist und wir im Wort leben, uns bewegen und unser wahres Sein haben, sind wir uns dessen doch nicht bewußt. Warum? Weil das Wort jenseits des Bereichs der Sinne, des Gemüts und des Intellekts liegt, während unsere Aufmerksamkeit gegenwärtig in die Welt hinausfließt. Wir dehnen uns jeden Augenblick nach außen hin aus und bevor wir nicht lernen, nach innen zu gehen, kön-nen wir das Wort nicht erfahren:

”Solange man ständig außen umherläuft, weggetragen durch die Ichhaftigkeit,
kann man von dem Wert keinen Geschmack haben, noch kann einen das Wort anziehen.”

Jeden Augenblick werden wir von den Lüsten des Fleisches gepeinigt - von Wün-schen, Gier, Ärger, Verhaftetsein und Selbstsucht oder Ichhaftigkeit - wir können einfach nicht nach innen gehen. Wir müssen unsere Schritte zurücklenken, uns über das Körperbewußtsein erheben, um einen Kontakt mit dem Wort zu erlangen, dessen Of-fenbarung von der Gnade eines vollkommenen Meisters abhängt. Solange wir nicht die-sen bewußten Kontakt und einen Vorgeschmack davon erhalten, können wir das Wort nicht lieben. Wir müssen die Welt um des Wortes willen aufgeben. Das Fleisch und der Geist sind zwei verschiedenartige Dinge. Um in das Leben des Geistes aufzusteigen, müssen wir uns über das Fleisch erheben. Liebe zum Wort ist ganz verschieden von der Kenntnis des Wortes auf nur intellektueller Ebene. Glauben in das Wort kommt nur nach einer tatsächlichen Erfahrung des Wortes.

Der Glaube ist die Wurzel aller Religionen. Als Junge sah Namdev gewöhnlich, wie sein Großvater seiner Gottheit täglich ein Opfer darbrachte. In Abwesenheit seines Großvaters brachte er eines Tages der Gottheit ein Opfer dar. Als er aber sah, daß der Familiengott nichts von der Speise nahm, die ihm geopfert worden war, schwor das Kind, keinerlei Speise zu sich zu nehmen, bis der Gott das Opfer annehmen wür-de. Das nennt man Glaube. So müssen wir einen kindgleichen Glauben in das Wort ent-wickeln - in das Wort, das Erde und Himmel erhält. Was immer wir in der Welt sehen, kommt aus dem Wort. Niemand hat Gott mit den Augen des Fleisches gesehen. Aber kann man eine Erfahrung von der Kraft und dem Geist Gottes haben - dem Licht und Ton - dem ersten sichtbaren Ausdruck des Absoluten Gottes. Aber wie? Nanak sagt: ”Jene Augen sind anders, die Gottes Herrlichkeit bezeugen können.” Lord Krishna spricht davon als Divya Chakshu, oder dem erleuchteten Auge, oder dem Einzelauge Christi. Die Hindus nennen es Shiv Netra und die Mohammedaner Chasm-e-Batin. Solange dieses Auge nicht entwickelt ist, kann man das Licht Gottes nicht sehen.

Wir alle leben in der Welt der Worte und wissen, wie unzulänglich die Sprache der dreidimensionalen Welt ist, und wie wir beständig mit dem Strom der Zeit hin-ausfließen. Es gibt jedoch ein anderes Wort - das Heilige Wort - das uns befähigt, uns von der Welt der Worte zurückzuziehen und uns aus ihr herausnimmt in die Welt des Wortes - in das Reich Gottes. Es gibt eine göttliche Symphonie in dem heiligen Wort. Sokrates erzählt uns: ”Ich höre eine Stimme, die mich anzieht und mich in ei-ne neue Welt bringt, die ich nicht beschreiben kann.” Diese Stimme kommt aus dem Stimmlosen. Anni Besant spricht von der “Stimme der Stille”; Tulsi Das, der Autor der berühmten epischen Dichtung Ramayana, schreibt: ”Ich kann nicht von der Größe des Namens singen; selbst Lord Krishna kann ihm kaum gerecht werden.” Wenn wir das Wort nicht ausreichend beschreiben können - wie schwierig ist es dann, von dem Wortlosen zu sprechen? Mit unserem dürftigen Verstand können wir deshalb unmöglich das Wort und sein Wirkungsvermögen verstehen. Doch versuchten die Rishis und Munis auf ihre Art, uns etwas von dem Wort mitzuteilen. Was wir von der Verstandesebene aus nicht erfassen können, kann jedoch begriffen werden, indem wir uns über den Verstand erheben. Die heiligen Schriften allein können uns dieses intuitive Wissen nicht geben. Ein intuitiver Mensch kann uns eine Erfahrung von dem geben, was er selbst erfahren hat. Seine Gesellschaft allein ist nicht genug. Sie mag uns eine Zeitlang eine Art Frieden geben, aber nicht wahren und bleibenden Frieden, der nur kommen wird, wenn er in uns den Urquell des Friedens offenbart. Alle Schönheit und Glorie liegt im Wort. Und solange das Wort nicht offenbart ist und wir bewußt einen Kontakt durch die Gnade eines vollkommenen Meisters herstellen, können wir keine merkliche Vorstellung von dieser Kraft und dem Geist Gottes haben. Im Rig Veda le-sen wir von Vak Sidhi oder der Kraft Gottes, wie sie ins Sein kam. Wir müssen diese sich zum Ausdruck bringenden Gotteskraft erreichen, indem wir uns über Gemüt und Materie erheben.

Wir haben nun eine Hymne von Guru Amar Das vor uns. Er hat dasselbe gesagt, was wir besprochen haben. Laßt uns sehen, was der große Lehrer gesagt hat:

”Wehe dem, und seinem Leben in der Welt,
der nicht den vollkommenen Meister verehrt
und keine Verbindung mit dem Wort hat.”

Die menschliche Geburt ist ein großer Segen. Der Mensch nimmt einen Platz an obers-ter Stelle auf der Lebensleiter ein. Er ist das Höchste und die Krone der Schöp-fung. In der menschlichen Form kann man sich mit der Kraft und dem Geist Gottes verbinden und eins mit Gott sein. Dies ist alsdann das Ziel des menschlichen Le-bens. Wenn wir jedoch diese kostbare Gelegenheit versäumen, stehen wir nirgendswo. Die Gotteskraft hat ihren Sitz im Herzen und gemäß der Terminologie der Heiligen liegt das Herz am Augenzentrum - hinter und zwischen den beiden Augen. Wir müssen uns deshalb zum Zentrum unseres Wesens hinter den Augen erheben, um mit dem heili-gen Wort in Verbindung zu kommen. In der Gita spricht Lord Krishna von der Nase, ”die zwischen den beiden Augenbrauen endet.” Dies ist der Sitz der Seele, und von hier aus verteilen sich die Sinnesströme von oben nach unten und beleben den ganzen Körperbau. Hierhin ziehen sich die Sinnesströme zur Zeit des Todes zurück und sam-meln sich. Wir müssen deshalb während des Lebens durch die gleiche Erfahrung hin-durchgehen, um uns mit der höheren Kraft in uns zu verbinden. Dies wird Überschrei-ten oder über das Menschliche hinausgehen genannt. Dies ist nur durch einen prakti-schen Prozess der Selbstanalyse möglich und nicht durch Buchgelehrsamkeit und Welt-klugheit, die uns aber nicht aus dem Zauberhaus des Körpers herauszunehmen vermag. Gegenwärtig sind wir an den Körper und das körperliche Beiwerk gebunden. Wir müssen den gordischen Knoten zwischen der Materie und dem Geist lösen, um fähig zu sein, unser Selbst vom Körper nach Belieben frei zu machen. Dazu müssen wir unser Gemüt und die mentalen Ströme bezwingen, die sich unaufhörlich austoben. Solange wir dies nicht tun, können wir nicht zum Himmel im Innern aufsteigen. Wir mögen alle Veden, die Puranas und philosophische Abhandlungen lesen, werden aber um nichts besser als ein Papagei sein, solange wir uns nicht bewußt mit dem Heiligen Wort innen verbin-den.

Immerzu befassen wir uns mit Theorien. Die Bücher halten uns an Wissen auf der intellektuellen Ebene gebunden. Wir müssen uns über das flüchtige Wissen erheben. Es ist eine praktische Sache. Gefühle, Empfindungen und Folgerungen werden alle vom Intellekt hervorgebracht. Aber der Intellekt selbst ist blind. Unsere Folgerungen können nicht richtig sein. Irren ist menschlich. Wahres Wissen kommt nicht von den Zugängen, dem Gemüt und dem Intellekt. Es ist ganz unabhängig von diesen Werkzeu-gen. Es ist eine Tätigkeit der Seele. Das Licht der Seele ist fleckenlos. Hinter der Seele ist die große Kraft, genannt Gott - zum Ausdruck gekommene Kraft und Geist Gottes. Im Licht und Leben dieser Kraft ist es, daß wir Erleuchtung erlangen. Wir müssen deshalb mit dieser Kraft in Verbindung kommen. Diese Kraft ist ganz göttlich und kann sich daher nicht irren. Doch ein Mensch, der fähig ist, das Wir-ken dieser Kraft zu sehen, wird zu einem bewußten Mitarbeiter der Kraft. Ein sol-cher sieht innen und um sich herum das Spiel dieser Kraft. Er sieht die göttliche Hand um sich herum am Werk und sagt unwillkürlich:

“Nicht ich bin es, der das will,
es ist alles der Wille Gottes, der wirkt.”

Ein Gottmensch wie Christus sagt natürlicherweise: ”Ich und mein Vater sind eins. Der Vater in mir tut die Werke.” In der Gemeinschaft eines solchen Gottmen-schen können wir auch die Wahrheit dessen sehen, was sie sagen:

”Hört auf das wahre Zeugnis der Heiligen,
denn sie sprechen von dem, was sie tatsächlich sehen.”

Darin liegt der Unterschied zwischen einem Gottmenschen und einem gewöhnlichen Menschen. Wir sprechen von der intellektuellen Ebene aus, während ein Gottmensch aus tatsächlicher Erfahrung spricht. Einmal geriet ein Philosoph mit Kabir in eine Diskussion. Es war nur natürlich, daß die beiden nicht übereinstimmten und Kabir mußte sagen: ”Wie können wir beide übereinstimmen, ich spreche von dem, was ich mit meinen Augen sehe, und du sprichst von der Autorität der Schriften.” Intuition oder vollständiges Wissen steht viel höher als Wissen aus den Schriften. Wir wissen nicht, was wir sind. Wir sind mit dem Körper indentifiziert und haben nicht die leiseste Ahnung von der Kraft, die im Körper aus dem Körper selbst wirkt. Wir mögen sagen, wir seien nicht der Körper, nicht die Sinne, nicht die Pranas (Lebensener-gien), nicht der Intellekt und nicht das Gemüt. Aber was wir sind, wissen wir nicht. Wir sprechen in negativen Begriffen und haben nichts zu bestätigen. Bestäti-gung kommt aus der praktischen Selbstanalyse, indem wir die in uns wirkende Kraft vom Körper trennen. Darum muß das lebendige Selbst vom materiellen Selbst getrennt werden. Wir müssen den gordischen Knoten lösen. Aber wie? Einer, dem es selbst ge-lang, ihn zu lösen, kann uns helfen, das zu tun.

Nicht weniger als 70 Jahre war Guru Amar Das auf der Suche nach einem Gottmen-schen. Von ihm wird gesagt: ”Gott selbst spricht durch den Gottmenschen.” Nanak sagt wiederum: ”Welche Impulse ich auch immer von hinten bekomme, gebe ich aus, O Lalo.” Ähnlich pflegte Christus zu sagen: ”Ich kann nichts von mir selber tun, son-dern wie mein Vater mich zu tun heißt.” Aber leider haben wir noch nicht die Augen entwickelt, um einen Gottmenschen zu erkennen. Die Mehrzahl der Menschheit bezeich-nete Nanak als einen mit einer verdrehten Auffassung. So war es auch bei Sokrates. Er wurde von seinen Landsleuten beschuldigt, den Verstand der athenischen Jugend zu verdrehen. Dafür mußte er mit seinem Leben zahlen, indem er einen Becher Gift zu trinken hatte, gemäß dem Urteil der Richter. Einen solchen Menschen zu begegnen ist nicht genug. Wir müssen ihn annehmen und ihm folgen, wenn wir auf den spirituellen Pfad Fortschritte machen möchten. Begünstigt sind jene, die einem Satguru dienen. Ein Lippenbekenntnis tut es nicht. ”Wenn ihr mich liebt, haltet meine Gebote”, sag-te Christus. Ihre erste Betonung liegt auf dem ethischen Leben. Ein ethisches Leben ist ein Schrittstein zur Spiritualität. Dann legen sie Nachdruck auf den Prozeß der Selbstanalyse, um das Selbst in uns von Gemüt und Materie zu trennen; denn es ist der Geist, der sich mit der Gotteskraft verbinden muß.

Die Gotteskraft ist charakterisiert durch das Licht und die Stimme Gottes. Aus dem Licht Gottes fließt die göttliche Musik. Nun ist die Frage, wo die Gotteskraft wohnt? Sie wohnt im Augenbrennpunkt hinter und zwischen den Augen. Sie ist bereits dort, aber wir sind uns ihrer nicht bewußt. Wir auf der Sinnesebene strömen nach außen und haben nie gewußt, uns nach innen zu kehren. Ohne bewußten Kontakt mit dieser Gotteskraft ist das Menschenleben wertlos. Während wir uns ausdehnen, können wir uns unmöglich mit dem, was an unserem Wesen am höchsten ist, verbinden. Das Le-ben an der Peripherie unseres Wesens hält uns weit entfernt vom Zentrum unseres Seins. Wir müssen deshalb den Verlauf unserer Aufmerksamkeit von außen nach innen umändern. Während wir in den Wünschen nach Sinnesobjekten vertieft sind, konzent-rieren wir uns und üben Kontemplation. Buddha betonte deshalb, wunschlos zu sein. Gegenwärtig ziehen uns die weltlichen Wünsche in die Welt. Wir müssen lernen, die Richtung unserer Wünsche zu ändern, aber wie? Indem wir die Weisungen des Guru praktisch ausüben, der die Wirklichkeit in sich selbst gefunden hat und uns helfen kann, sie ebenfalls zu finden. Die Welt, die die Quelle allen Frostes und Friedens ist, liegt in uns. Aber wir suchen außen Glückseligkeit. Das Wort ist ganz subtil und jenseits des Bereichs der Sinne, des Gemüts und des Intellekts. Wir müssen deshalb alle diese Zugänge übersteigen, um das Heilige Wort zu erkennen und zu erfah-ren:

”Solange man sich nicht zur Ebene Gottes erhebt,
kann man die Gotteskraft nicht erfassen.”

Alles Wissen, ob weltlich oder spirituell, kann nur erlangt werden, wenn die ei-gene Reichweite auf dieselbe Ebene kommt, wie die Ebene dessen, was man erlernen will. Während wir in und von der Luft leben, wissen wir nicht, daß die Luft voller winziger Lebewesen ist, Mikroben genannt. Gleichermaßen hat das Wasser, das wir zu uns nehmen, auch zahllose kleine Keime in sich. Aber wir bemerken sie nicht. Erst mit Hilfe eines Mikroskops werden Mikroben und Keime vergrößert und den Auge sicht-bar. Wir müssen darum das Niveau unserer Sicht auf die Sache, welche wir wahrnehmen wollen, einstellen, mag es außen oder innen sein. Für einen Kontakt mit der Gottes-kraft müssen wir uns von außen zurückziehen und uns am Agya Chakra oder Augenbrenn-punkt konzentrieren, oberhalb der Ganglien, die im Körper unterhalb der Augen lie-gen. All dies und viel mehr ist möglich in der Gemeinschaft eines vollkommenen Meisters. Wir müssen uns selbst nach dem Meister formen und seinen Unterweisungen unbedingt folgen. Dies alles erfordert eine Art Vertrauen in die Kompetenz des Meisters, vielleicht einen Versuchsglauben, um das Experiment nach seiner Weisung auszuführen. Durch uns selbst können wir das Wort nicht offenbaren und in bewußten Kontakt damit kommen, obwohl das Wort in uns ist.

Der Mensch ist dreifach gesegnet. Er hat die Fähigkeit auf drei Ebenen zu wir-ken, körperlich, mental und spirituell. Glücklicherweise kennen wir die beiden ers-ten Phasen des menschlichen Lebens und haben großen Fortschritt darin gemacht. Aber wir wissen sehr wenig über die spirituelle Ebene, die das Rückgrat der beiden ande-ren ist. Aber sie liegt im Bereich der Möglichkeiten des Menschen. Wir können im Raum fliegen auf Grund des ätherischen Elementes in uns. Dies gibt uns die Kraft, die Wahrheit von der Unwahrheit zu unterscheiden. Die Wahrheit ist die Grundlage allen Lebens in den verschiedenen Formen im Universum. Wir müssen dieses Lebens-prinzip verstehen. Es ist das höchste Gut des menschlichen Lebens. Einer, der das Höchste in sich erreicht hat, kann uns helfen, das gleiche zu tun. Wie Licht von Licht, so kommt Leben von Leben. Und die Quelle des Lebens liegt am Augenzentrum. Wir müssen an den Wurzeln des Lebens graben. Dazu müssen wir uns zu den Wurzeln des umgekehrten Lebensbaumes, der der Mensch ist, hochziehen. Dieser Prozeß des Ziehens muß von einem kompetenten Meister getan werden. Er weiß, wie die Sinnesströme aus dem Körper zum Sitz der Seele hinaufzuziehen sind. Wenn die Seelenströme einmal konzentriert sind, ist das innere Auge automatisch geöffnet. Und man fängt an, das Licht Gottes in sich selbst zu sehen.

Kabir erzählt uns: “O ihr, entzündet die Lampe in dem dunklen und schaurigen Kerker des Körpers.” Diese Lampe muß während des Lebens angezündet werden, und nicht zur Zeit des Todes, wie es einige traditionelle Gemeinschaften tun. Wenn ein Hindu im Sterben liegt, ist es Brauch, eine erleuchtete irdene Lampe nahe an den Kopf der sterbenden Person zu stellen, die angewiesen wird, die Aufmerksamkeit in dieses Licht gerichtet zu halten, so daß der scheidende Geist in dieses Licht hi-neingeht. Wenig wissen wir davon, daß das äußere Licht dem Geist nicht helfen kann, da er aus dem Körper in die ätherische Region steigt. Wahre Erlösung muß während des Lebens im Fleisch erlangt werden und nicht beim Verlassen des Fleisches. In diesem Zusammenhang sagen die Veden: ”Die unwissenden Seelen gehen beim Verlassen des Körpers in düstere Regionen. Und die Seelen der Gelehrten gehen an noch dunkle-re Plätze.” Der Intellekt ist nur ein Werkzeug, das in der Alltagswelt hilft. Er hilft uns auch die zur Sprache stehende Sache zu verstehen. Wenn wir einmal die Sa-che verstanden haben, müssen wir danach handeln. Wenn wir aber in den Schlußfolge-rungen verstrickt bleiben wie ein Logiker, werden wir endlos in diesen Maschen ge-fangen sein. Folgern ist hilfreich bis zu einem gewissen Ausmaß, aber es führt nicht zur Wirklichkeit. Um in die Wirklichkeit einzutauchen, muß man den tödlichen Sprung tun. Aber wisset, dieser Sprung führt nicht zum Tode, sondern wird euch zu höherem Bewußtsein erwecken. Die Upanischaden erzählen uns: ”Man kann das Licht des Atman (Seele) nur erleben, wenn die Sinne gut gezähmt sind, das Gemüt beruhigt und der Intellekt ausgeglichen ist.”

Das ist das Ideal vor uns. Wir müssen irgendwie zur Wirklichkeit gelangen, denn sonst vergeht das menschliche Leben umsonst. Die Weisen gehen soweit zu sagen: ”Es ist besser, eine Frau bleibt unfruchtbar, als daß sie einem Kind das Leben gibt, das das Spiel des Lebens verliert.” An anderer Stelle wird gesagt: ”Wenn eine Frau ein Kind gebiert, so sollte es entweder ein Ergebener, ein Menschenfreund oder ein großer Kämpfer sein. Wenn dies nicht möglich ist, wäre es besser für sie, unfrucht-bar zu bleiben, als ihre Lebensenergie zu vergeuden.”

”Durch des Gurus Unterweisungen entspringt Liebe im menschlichen Herzen;
und dann beginnt man, Freude an der göttlichen Melodie zu haben.”

Die Bezeichnung Guru besteht aus zwei Worten: ”Gu” und ”Ru”, was Fackelträger in der herrschenden Dunkelheit bedeutet. Woanders wurde Guru als einer definiert, der den Schleier von unseren Augen entfernen kann, und wir das Selbst in uns zu sehen beginnen. Was tut der Guru? Er gibt uns einen Kontakt mit der Gotteskraft, die al-les durchdringt. Von dem Augenblick an, wo wir das wahre Selbst in uns sehen, ver-schwindet aller Reiz des Körpers. Dann erlangt man einen Schimmer des Ideals vor sich und strebt danach. Das Ideal ist ‘Sat Naam‘‚ oder die erste Offenbarung der Gottheit. Es ist das Lebenselixier, von welchem man ewiges Leben erlangt, wenn man es trinkt. Wer möchte nicht ewig leben? Mit dieser großen Kraft eins zu sein, ist etwas von unermeßlichem Wert. Im Gegensatz dazu, jetzt fühlt man seine Unwichtig-keit. Die Liebe für das kleine Selbst (den Körper) verschwindet jetzt. Ein Teil fühlt sich ruhelos, bis er im Ganzen ruht. Doch muß man erst wissen, daß es so et-was wie das ‘Ganze‘ gibt, denn es ist dieses Wissen, das der vergänglichen Natur des Teiles Hilfe bringt. Man kann den Unterschied zwischen dem Ganzen und dem Teil nur verstehen, wenn man des Meisters Unterweisungen hört und eine Ersthand-Erfahrung von ihm bekommt. Die Zeit und die Flut warten auf niemand. Nur im mensch-lichen Körper erhält man eine Gelegenheit, dieses Geheimnis zu verstehen. ”Wenn einmal diese Gelegenheit verloren ist, geht das menschliche Leben vergebens dahin.” Wer weiß, wann eine solche Gelegenheit wiederkommen mag? Wir müssen deshalb das meiste aus der uns gegebenen Zeit machen und versuchen, mit der Naam-Kraft in Be-rührung zu kommen. Guru Amar Das sagt deshalb:

“Wem auch immer es in die Stirn geschrieben ist,
O Nanak, der allein gelangt hinüber.”

Die Naam-Kraft ist im menschlichen Körper. Wir leben durch sie:

”Das ewige Wort des Herrn ist ein großer Schatz
und dieser Schatz liegt im menschlichen Körper.”

Es liegt ein tiefes Gefühl der Berauschung im heiligen Wort und das so sehr, daß Nanak, indem er von sich spricht, sagt: ”Nanak bleibt Tag und Nacht in einem Zu-stand ständiger Berauschung.” Wir können jedoch in einen solchen Zustand nur kom-men, wenn Gott der Herr es so will. Es ist Er, der einen sich selbst im Gewand ei-nes Satguru bringt. Wenn man einem Lehrer, der die Wahrheit personifiziert ist, be-gegnet, entwickelt man die innere Schau. Kurz, durch die Gnade Gottes begegnet man einem Gottmenschen. Wenn man einem Gottmenschen begegnet, beginnt man, sich mit dem Namen Gottes zu verbinden. Wie schade, daß wir ein reiches Erbe bei uns haben, aber außen umherwandern, immer durstig und hungrig.

”O Bhikha! Niemand in der Welt ist arm,
denn jeder hat einen Edelstein von unschätzbarem Wert
in seinem Gürtel stecken.
Da man den Knoten nicht lösen kann, geht man betteln.”

Wir sind eine Verbindung von materiellem Körper und bewußtem Geist. Wir wissen von dieser Tatsache auf der intellektuellen Ebene und sprechen vom Selbst in nega-tiven Begriffen. Aber wir haben nie das Selbst vom Körper auf eine praktische Weise getrennt. Dies wird möglich, wenn wir ein inneres Erwachen und Zeugnis von dem Licht Gottes in uns erhalten.

Gott hat uns die menschliche Form gegeben, und das ist eine große Sache. Er hat uns auch zu den Füßen des Satguru gebracht. Es ist eine andere große Gabe von Ihm. Doch wir sind noch nicht in Berührung mit der Naam-Kraft gekommen. Das höchste Gut kommt erst durch die Verbindung mit dem Wort.

”Jene, die sich mit dem Wort verbunden haben, deren Mühen werden enden.
Und ihr Antlitz wird voll Glanz erstrahlen,
und viele andere werden mit ihnen dem Rad des Lebens entkommen, o Nanak!”

Ein Gurmukh (ein erwähltes Gefäß) hat einen großen Kraftvorrat in sich. Mit nur einem Teilchen der Kraft von Naam in sich, kann er Myriaden von Seelen helfen, hin-überzugelangen. Einer, der beauftragt ist und Autorität hat, kann bei einer einzi-gen Sitzung Hunderten von Seelen zugleich zu einer Erfahrung außerhalb des Körpers verhelfen. Diese Anfangserfahrung kann der Schüler durch tägliche Praxis gemäß den Instruktionen des Meisters entwickeln.

”Jene, welche den Geboten des Gemüts folgen, handeln blindlings, und gebären sich wie wild. Sie verstehen nicht die Melodie des Heiligen Wortes; noch wissen sie vom göttlichen Licht des Wortes.”

Nachdem der Meister die Vorteile, die aus der Ergebenheit an den Satguru erwach-sen, erklärt hat, erzählt er uns nun von den Manmukhs. Er fährt fort zu erklären, was ein Maninukh ist: Ein Manmukh ist einer, der sich des Tonstroms nicht bewußt ist, noch weiß er, daß er allwissend ist. Das Wort wohnt, wie erklärt, im Augen-brennpunkt, der weit über der Sinnesebene liegt. Als solches kann man sich der Herrlichkeit des Wortes nicht erfreuen und einen Geschmack daran finden, bis man die Sinne überschreitet. Ein Kontakt mit dem Wort kommt nur durch einen vollkomme-nen Meister. Selbst wenn man einen vollkommenen Meister treffen mag, ist es nötig, an die Allwissenheit des Meisters zu glauben. Andernfalls ist das Ergebnis, daß man fortfährt, Dinge auf der eigenen mentalen Ebene zu tun und sich nicht um die In-struktionen des Meisters kümmert. ”Mit sehenden Augen sehen sie nicht, und mit hö-renden Ohren hören sie nicht; denn sie verstehen es nicht.” Wahrnehmungsvermögen und Gehör sind sehr wesentlich auf diesem Pfad. Gott hat uns Augen gegeben, zu se-hen, und Ohren, um damit die Herrlichkeit der Kraft und des Geistes Gottes zu ver-stehen. Das Wort oder ‘Bani‘ ist in uns. Es wird durch den Guru offenbart. Es wird deshalb gesagt, daß das Wort des Guru in jedem (menschlichen) Herzen wohnt - im Augenbrennpunkt:

”Das Wort des Meisters durchdringt alles, was ist.
Er ist es, der es offenbart und uns mit demselben verbindet.”

Bevor der Meister in unseren Weg trat, lag das Wort ungeoffenbart in uns. Es ist seine Gnade, die das Ungeoffenbarte offenbart. Die Frage erhebt sich: Seit wann e-xistiert das Wort? Die Schriften sagen uns: ”Durch die Zeitalter hindurch hallt das Wort im Universum wider; da es von der Wahrheit kommt, führt das Wort zur Wahr-heit.” Wiederum wird gesagt: ”In uns ist das Licht Gottes und von diesem Licht geht die heilige Melodie aus. Wenn wir in die innere Musik eintauchen, kommen wir der Wahrheit näher.”

Die sich zum Ausdruck bringende Gotteskraft ist nichts als Schwingung. Wo Schwingung ist, da muß sowohl Licht als auch Ton sein. Indem wir mit dieser Schwin-gung in Berührung kommen, beginnen wir, das Licht zu sehen und den Ton zu hören, ohne welche wir innerlich blind und auf der inneren Ebene taub sind. Der Gott-mensch, in dem die Gotteskraft in voller Vibration ist, erhebt uns und gibt uns ei-nen Kontakt mit dieser inneren Offenbarung Gottes. Aber merkt euch, dies ist nicht unser Ideal. Es ist nur ein Weg zurück zu Gott, vom Wort zum Wortlosen. Es gibt keinen anderen Weg neben diesem. Bloßes Reden hilft uns nicht. Gemüt und Intellekt helfen uns bei diesem inneren Erwachen nicht. Von den äußeren Worten müssen wir das innere Wort erfassen. Einer, der sich innerlich noch nicht erhoben hat, wird noch vom Gemüt beherrscht. In der Terminologie der Heiligen sind wir deshalb alle blind. Wir mögen auf die Augen, die wir haben, stolz sein. Der Gurbani jedoch sagt uns, daß wir trotz dieser Augen nichts als blind sind:

”Wir können einen Menschen nicht blind nennen,
bloß weil er keine Augen hat.
O Nanak! blind ist, wer von der Kraft
Gottes abgeschnitten ist.”

Blindheit hängt demnach vom Zustand des inneren Auges ab - Divya Chakshu oder Shiv Netra. Wenn dieses Einzelauge nicht entwickelt ist, ist man nichts als blind im wahren Sinn des Wortes. Und das Ergebnis ist, daß ein solcher Mensch eine Wohn-statt von Arger, Eifersucht, Übelwollen und was nicht sonst noch ist. Jeden Augen-blick seines Lebens wird er von unsichtbaren Flammen der Fleischeslust verzehrt. Eine bloße Wiederholung der Worte, die Gott bedeuten, wird keinerlei Trost geben. Um Trost zu erlangen, müssen wir in Berührung mit der Gotteskraft kommen, die durch das innere Licht und den inneren Ton gekennzeichnet ist. Die Berührung mit dieser Kraft wird euch kühl und gesammelt halten. Sie wird alle mentalen Übel, unter denen wir gewöhnlich leiden, vertreiben. Ihr werdet dann in euch sehen: ”Alle Geschöpfe sind in den Schöpfer eingebettet und der Schöpfer in der Schöpfung. O ihr, täuscht und betrügt euch nicht, denn die Gotteskraft wogt in Fülle überall.”

Dies ist dann der Zustand eines Menschen der zur Wirklichkeit erwacht ist. Die Kenntnis der Schriften, die hochklingenden Reden, Erzählung der Epen und kluge Ge-spräche können das innere Auge nicht öffnen. Ein erwachter Mensch wird euch gewiß erwecken. Bei all seinem Wissen konnte Yajnavalkja Raja Janaka nicht erwecken. Er konnte lediglich in Einzelheiten die Theorie der Sache besprechen. Er war mutig ge-nug zuzugeben, daß er nicht mehr geben konnte - keine praktische Erfahrung.

Wieder einmal berief Raja Janaka eine Versammlung der Weisen und Seher ein, um eine praktische Erfahrung dessen zu erlangen, was Yajnavalkja ihm bei einer frühe-ren Gelegenheit so wunderbar erklärt hatte. Der Raja wandte sich an die Weisen und lud jeden von ihnen, der kompetent war, einen praktischen Beweis der Wirklichkeit zu geben ein, auf die Bühne zu kommen. Keiner hatte den Mut vorzutreten, außer Ash-tavakra, ein Weiser mit acht Höckern an seinem Körper, aber eine wirklich erwachte Seele. Er nahm seinen Platz auf der Bühne ein. Das Erscheinen des buckligen Ashta-vakra auf der Bühne rief Gespött und Gelächter in der Versammlung hervor. Als Ash-tavakra dies sah, fragte er den König: ”Wünschet Ihr eine Erfahrung von Jnama?” Der König bejahte. Daraufhin bemerkte der Weise: ”Wenn dem so ist, weshalb habt Ihr ei-ne Versammlung von Stümpern einberufen, die nur auf meinen Körper sehen?” Das ist der Grund, weshalb die Veden und andere heilige Schriften in so rühmenden Worten von dem Ruhm einer erwachten Seele sprechen. Die Welt ist ohne Zweifel voll fal-scher Propheten und Halbpropheten, vor denen man sich in acht nehmen muß. Sie sind Wölfe in Schafskleidern. So sehen wir, daß ein vom Gemüt beherrschter Mensch keine Kenntnis des inneren Erwachtseins hat und immer nach der Melodie seines Gemüts tanzt. Er mag Ehrerbietung erweisen, aber braucht darum innerlich nicht besser als ein Metzger sein. Solche Seelen können unmöglich nach innen gehen. Sheikh Saadi, ein persischer Schriftsteller der Mystik von großem Ruf, verglich einen solchen Menschen mit einem mit vielen Büchern übervoll beladenen Esel. Ähnlich spricht Guru Amar Das von einem solchen Menschen, indem er ihn mit einem Schöpflöffel im Pudding vergleicht, denn er kann keinen Geschmack vom Pudding haben, trotz der Tatsache daß er beim Zubereiten desselben hilft. Ein Manmukh stümpert gleichermaßen in allen Ar-ten von Schriften herum, liest sie eifrig, aber weiß nichts über den praktischen Prozeß der Selbstanalyse und nichts über die folgende Erfahrung der Seele, die als ein natürliches Ergebnis kommt.

”Sie sind sich ihres inneren Reichtums nicht
bewußt, noch haben sie Vertrauen in des Gurus Worte;
der wahre Weise (Jnani) verbindet sich mit
dem geoffenbarten Wort des Guru und ist immer
in Übereinstimmung mit der Kraft und und dem Geist Gottes.”

Ein Manmukh kennt den spirituellen Reichtum in sich nicht. Und wenn ihm der Guru von dem inneren Licht und Ton erzählt, glaubt er es nicht. Im Gegenteil, er mag da-gegen halten, daß er trotz seiner 40 -50 Jahre Praxis keinerlei derartige Erfahrung erlangt habe. Dies bedeutet nicht, daß die Wissenschaft falsch ist und andere nicht Nutzen daraus ableiten können. Heilige sagen uns: ”Der würdige Schüler des Guru sieht die Wirklichkeit mit seinem eigenen (inneren) Auge.”

Ein vollkommener Meister lehrt und zeigt immer den spirituellen Pfad. Durch Vor-schrift und Vorbild versucht er, in uns die Wahrheit dessen deutlich zu machen, was die Weisen und Seher in diesem Zusammenhang gesagt haben. Zu unserem Nutzen wird er sich einschlägig auf die Veden und Upanischaden, die Bibel und andere Schriften be-ziehen. Er tut das nur, um uns durch verschiedenartige Aussagen zu überzeugen; denn wir sind an die Schriften gebunden und ihm dienen sie als gelegene Hilfen, um einen jeden von uns auf dem Weg des geringsten Widerstandes zu führen. Ein vollkommener Meister ist eine selten Gabe Gottes und er versucht, uns durch verschiedene Mittel von der Kraft Gottes in uns zu überzeugen und hilft uns, mit ihr in Verbindung zu kommen. Es ist nur eine Frage des Versuchs und das Experimentieren um des Experi-mentes willen bringt keinen Nachteil. Der Meister bietet dieses Experiment frei an, als eine Gabe der Natur wie Licht, Luft und Wasser. Wo sollte dann der Nachteil sein, einen experimentellen Glauben aufzubringen und einen Versuch zu machen?

Als ich im Westen war, legt ich die Betonung auf die Christuskraft und aus ande-ren Quellen wurden gleichlaufende Gedanken dargeboten, um den Glauben der Christen in ihren eigenen Messias zu stärken. Ich bat sie dann, der Meditation am folgenden Tag beizuwobnen. Jene, die zur Meditation saßen, erlangten stets einige innere Er-fahrung. Es ist die Aufmerksamkeit des Meisters, die dem Schüler hilft, sich vorü-bergehend über das Körperbewußtsein zu erheben. Es ist nichts Neues, noch ist es etwas Unnatürliches. Es ist die älteste Wissenschaft, die wir unglücklicherweise vergessen haben. Um diese vergessene Wissenschaft neu zu beleben, kommen die Heili-gen von Zeit zu Zeit. Es ist darüber hinaus eine ewige und festgelegte Wissen-schaft, die keinen Zusatz oder eine Veränderung erlaubt. So ist es seit dem Beginn der Zeit. Sie ist von Gott geschaffen und nicht von Menschen.

Ein wirklicher Jnani mag keinerlei akademische Grade haben und durch keine Ex-amen gegangen sein. Ein Jnani wird als einer definiert, der innen erwacht ist. Ein Jnani, ob gelehrt oder ungelehrt, steigt zu höherem Bewußtsein auf. Darum bittet uns Soamiji, das bewußte Selbst in uns zu betrachten. So ist ein Jnani einer, der durch einen Prozeß der Selbstanalyse sich selbst erkannt hat, und der das Über-selbst in und um sich wirken sieht. Er ist immer in Berührung mit Gottes Kraft und Geist in Form von Licht und Ton. Die göttliche Harmonie ist sehr anziehend und hält einen Menschen auf sich abgestimmt, und zieht in hinauf in höhere Regionen. Plato sagt davon: ”Die Musik der Sphären ist so intensiv und schnell, daß sie mich in ei-nem Augenblick hochzieht.” Das Wort des Guru wird innen offenbart. Es ist etwas, das von äußeren Lauten ganz verschieden ist. Es vibriert in Fülle in den diszipli-nierten Seelen und sie sind immer mit ihm in Harmonie und wohnen tatsächlich in ihm. Sie sehen das Licht Gottes überall widergespiegelt:

Die ganze Schöpfung ist die Offenbarung des heiligen Lichtes und als solches sind alle die Kinder Gottes.

Dies innere Licht ist ein wertvoller Schatz. Wir sind alle mit diesem Schatz be-schenkt, aber uns dessen nicht bewußt. Da wir uns die ganze Zeit auf dem Sinnenplan beschäftigt halten, bekommen wir nie eine Gelegenheit, diesem unschätzbaren Reich-tum näher zu kommen. Er bleibt deshalb in uns vergraben und wir bleiben unser Leben lang ein Almosenempfänger. Die Schriften vor uns sind die schönsten Berichte der erwachten Seelen und ihrer Erfahrungen. Wenn wir sie lesen, werden wir ein wenig an der Sache interessiert, bleiben aber, wo wir sind, ohne diese Erfahrungen zu unse-ren eigenen zu machen. Wir können ähnliche Erfahrungen haben, wenn wir nur wüßten, wie man innen anklopft. Dies ist eine Erfahrung der Seele und als solche muß sie am stillen Punkt der Seele (Augenbrennpunkt) erfahren werden:

”Die Jnanis sind immer unter Gottes Schutz,
und ich würde mich ihnen gern als Opfer darbringen,
die Geliebten des Guru sind immer im Dienst des Herrn
und der demütige Nanak ist stets bereit, ihnen zu dienen.”

Dieses ist die Herrlichkeit der Jnanis. Frei von allen Wünschen sind sie immer in Liebe mit dem Unendlichen und leben unter dem Schatten Seiner schützenden Schwingen. Die Gotteskraft durchdringt alles, wirkt jedech in Fülle über einem menschlichen Pol nach eigener Wahl:

”Mein Herr ist in jedem Herzen und es gibt kein Herz, in dem Er nicht ist.
Gesegnet ist das Menschenherz, wo sich Seine Kraft in ganzer Fülle offenbart.”

Der Gottmensch, mit der in sich geoffenbarten Gotteskraft, kann auch uns helfen, besagte Kraft zu offenbaren. Durch ein wenig von seinem Lebensimpuls hebt er uns von der menschlichen Ebene, um uns zu befähigen, eine direkte und unmittelbare Er-fahrung der Gotteskraft zu haben, die im menschlichen Herzen (Augenbrennpunkt) wohnt. Ein solcher gotttrunkener Weiser ist ein wahrer Verehrer Gottes und ist un-serer Liebe und Ehrerbietung würdig. Guru Ram Das betete deshalb: ”0 Gott, mache mich zum Sklaven Deiner Sklaven.” So fühlt ein erwachter Mensch. Wir dagegen sind die Sklaven unserer Frauen und Kinder, unserer Häuser und Reichtümer. Der Geliebte des Guru jedoch schwelgt in der Größe Gottes. Aber wie steht es mit uns? All Seine heiligen Bücher sagen uns, daß die Seele und die Oberseele in uns sind. Aber wir, die wir uns auf der Sinnesebene ausbreiten, kennen dieses grundlegende Phänomen nicht.

Gott ist die Seele unserer Seele, doch so seltsam es erscheinen mag, suchen wir Ihn in der Welt draußen mit Hilfe der Sinne und der Sinnesorgane. Wir mögen unser Suchen durch und mit Apara Vidya (äußeres Wissen) unser Leben lang fortsetzen, aber wir können nichts dabei gewinnen. Mit dem Licht und dem Ton Gottes können wir uns erst jenseits der Sinnesebene verbinden durch inneres Erwachen. Die äußeren Augen können in dieser Hinsicht nicht helfen. Wer immer fähig ist, seine innere Schau zu entwickeln, ist wahrhaft gesegnet.

Die Täuschung der Welt hält die Welt gleich einer Riesenschlange in ihrem töd-lichen Griff und atmet giftigen Rauch um sich herum aus.

Nur Gottes Name kann uns von der Wirkung dieses tödlichen Giftes retten und wie ein Schlangenbeschwörer versorgt uns der Guru mit einem Gegengift in Form des Heiligen Wortes.

Was ist nach allem diese Täuschung? Und wie entsteht diese Täuschung? Täuschung bedeutet das Vergessen der wahren Lebenswerte. Dieses Vergessen beginnt, wenn wir den menschlichen Körper für das Ein und Alles des Erdenlebens halten. Es wird darum gesagt: ”Die Wurzeln des Vergessens liegen tief im menschlischen Körper.” Wir sind die Bewohner des Körpers und nicht der Körper selbst. Uns mit dem Körper zu identi-fizieren ist der Anfang dieser Täuschung. Wir schauen jetzt auf die Welt von der physischen Ebene aus. Wir müssen unseren Blickwinkel ändern. Wenn wir uns durch die Gnade eines Heiligen über den physischen Körper erheben, gelangen wir vom Materiel-len zum Nichtmateriellen, von der irdischen zur unirdischen Ebene und sehen die Dinge von einem höheren Stand aus. Mit dem Öffnen der inneren Schau beginnen wir, die Welt aus der spirituellen Höhe zu sehen und das macht den ganzen Unterschied. Gegenwärtig sind wir in der Dunkelheit versunken und sehen die Dinge finster; wir sind über die eigentliche Natur der Dinge unwissend:

”Die Täuschung umgibt das Universum gleich einer weiblichen Schlange.
Jene, die diese Schlange füttern, werden von der Schlange selbst gefressen.

Bei der weiblichen Schlange ist es üblich, daß sie ihre Eier in ihrer Umschlin-gung behält und eines nach dem anderen die Kinder verschlingt. Aber jene, die ihrer tödlichen Umschlingung entkommen, sind gerettet. Alle Menschen der Welt verehren Maya oder die Täuschung mit dem Erfolg, daß sie durch die Sinne nach außen strömen. Diese Ausdehnung nach außen ist die Ursache unserer Zerstörung.

”Ein seltener Ergebener des Guru, der die Schlange des Gemüts besiegt hat,
kann gleich dem Guru selbst über sein physisches und mentales Selbst treten.”

Dies ist dann der Weg, aus der täuschenden Wildnis der Welt heraus zu kommen, in welcher wir alle unseren Weg verloren haben. Wenn wir das menschliche in uns zum übermenschlichen entwickeln, erreichen wir Licht und Ton Gottes, die unseren Füßen eine Leuchte sind und uns allmählich gottwärts führen. Wenn wir einmal das Heilige Wort kennen und praktizieren, kommen wir Schritt für Schritt dem Wortlosen näher. Es ist eine klar gekennzeichnete Wissenschaft, wie zweimal zwei vier ergeben. Das Gift der Welt wird nun zurückgelassen und kann keine Wirkung auf den haben, der Naam oder Shabd ausübt. Wie ein Diamant einen Diamanten schneidet, so macht Naam, das von Ihm ausgeht, die Wirkung der schattenhaften Existenz der Welt zunichte. Man kann seinen Schatten nur fangen, indem man sich selbst fängt. Wir haben jedoch den Schatten für die Wirklichkeit gehalten und haben uns deshalb im Schatten verloren.

”Jene, denen es vorher bestimmt ist,
die allein kommen zu den Püßen des Satguru,
durch die Begegnung mit dem Satguru wird man
vom Gift des Egoismus rein gewaschen.”

Die Schriften sagen uns: ”Es geschieht durch die Gnade von Gott dem Herrn, daß man dem Satguru begegnet.” Das Gesetz von Bedarf und Versorgung wirkt auf allen E-benen des Lebens, der physischen oder anderen. Es gibt Nahrung für die Hungrigen und Wasser für die Durstigen. Wo Feuer ist, da kommt Sauerstoff von selbst zu Hil-fe. Wo ein intensives Verlangen nach dem Herrn ist, stellt Er die Mittel bereit, einen zu seinen Füßen zu bringen. Er leitet den Aspiranten zu einem Gottmenschen und der Gottmensch verbindet den Aspiranten mit der Gotteskraft in sich. Die bloße Berührung mit dem Geist Gottes ist genug, um das Gift des Gemüts und der Materie zu vertreiben. In dem Moment, wo man sich über den Körper erhebt, wird die Ichhaftig-keit zurückgelassen. Das heilige Wort macht einen heilig. All dies kommt als freie Gabe vom Satguru.

”Alle Bindungen, aus dem Egoismus geboren, werden
durch die Kraft des Wortes zu Asche verbrannt.
Der Geliebte des Guru findet das Licht Gottes in sich selbst.”

Der Egoismus ist eine uralte Krankheit und in seiner Wirkung sehr gefährlich. Nanak hat in einem seiner Psalmen eine schöne Beschreibung des Egoismus gegeben:

”Im Ego kommt der Mensch und im Ego geht er.
Im Ego wird er geboren und im Ego endet er.
Im Ego lebt er und im Ego begleicht er all seine Schulden.”

In diesem Thema weiterfahrend beschließt der große Lehrer seinen Gesang mit folgenden Worten:

Das Ego ist eine uralte Krankheit im Menschen
und doch liegt ihr Heilmittel auch im Menschen.
Sollte die Gnade des Herrn mit ihm sein, kann er
sich mit dem Wort, das in ihm offenbart worden ist, verbinden.
O Nanak! Jene, die Ohren haben, die Melodie zu hören,
werden ganz bestimmt vom Ego befreit.

Es gibt kein Übel in der Welt, für das es nicht auch ein Heilmittel gäbe.

Der Egoismus, obwohl in der Natur des Menschen eingewurzelt, kann gleicherweise geheilt werden. Und das Heilmittel für den Egoismus liegt in Shabd oder Naam (dem Heiligen Wort), welches das ganze Universum erhält und belebt. Wenn das kleine Selbst (Ego) im höheren Selbst aufgeht, wird man zu einem bewußten Mitarbeiter der göttlichen Kraft. Dieses kleine Selbst hat auch verschiedene Abstufungen - phy-sisch, subtil und als Werkzeug dienend, welche alle entfernt und überschritten wer-den müssen, eine nach der anderen mit Hilfe der göttlichen Melodie, die an Stärke zunimmt.

Nanak sprach so lobend von der Größe von Naam oder Shabd, daß man versucht war, zu fragen, wo es zu finden sei. Er erwiderte: ”Geht und sucht nach Naam, wo immer ihr mögt, dann praktiziert es mit der Gnade des Guru.” Wenn er befragt wurde, was Naam sei, antwortete er: ”Was immer da ist, ist aus Naam. Es gibt keinen Ort, da Er nicht ist.” Die gesamte Welt ist die Offenbarung von Naam oder der Gotteskraft. Aber wir können, wie vorher gesagt, damit in Verbindung kommen und es praktizieren mit Hilfe eines lebenden Meisters. Jenen, welche versuchen, es mit Hilfe der Schriften zu tun oder zeitweise ein wenig Einblick bekommen gemäß der Rückwirkungen ihres vergangenen Karmas (Eindrücke), mißlingt es, auf dem Pfad voranzukommen, we-gen ihrer Unwissenheit hinsichtlich der esoterischen Wissenschaft. Im Gegensatz da-zu ist ein erwachter Mensch völlig vertraut mit Theorie und Praxis dieser alten Weisheit und kann uns die Dinge leicht erklären und uns helfen, diese innere Erfah-rung zu entwickeln. Darüber hinaus verwickeln wir uns ohne die Hilfe und den akti-ven Beistand eines Meisters, der in dieser Wissenschaft bewandert ist, in Schwie-rigkeiten der einen oder anderen Art. Die Bücher können uns nicht aus dieser Sack-gasse heraushelfen und wir sind verwirrt wie Säuglinge in der Wildnis. Daher die Notwendigkeit eines praktischen Lehrers der inneren Wissenschaft. Wiederum kann ei-ner, der in der praktischen Ausübung dieser göttlichen Weisheit kompetent ist, uns sowohl in der Wissenschaft, als auch in der Kunst des Lebens helfen. Die Größe des Meisters liegt darin, uns nach seiner eigenen Form zu bilden. Guru Amar Das sagt, indem er diesen Punkt betont:

”Einst schwelgte ich auch auf der Sinnesebene, 
aber nun habe ich mich weit darüber erhoben.
Diese wunderbare Wandlung wurde mit aktivem
Beistand und Hilfe meines Meisters zustande gebracht.”

Jeder Heilige hat seine Vergangenheit gehabt und jeder Sünder hat eine Zukunft. Es gibt für jeden Hoffnung. Was ein Mensch getan hat, kann ein anderer auch tun, vorausgesetzt, es ist richtige Führung und Hilfe da. Wer auch immer den Pfad geht, kann sicher sein, inneres Erwachen zu erlangen. Manche Leute betrachten es als ein vergebliches Bemühen, eine Erfindung des menschlichen Gehirns, ein Irrlicht, aber das ist nicht so. Es ist eine ganz genaue Wissenschaft, sicher und solide; sie bringt mathematische Resultate, so wie zweimal zwei vier ergeben. Rom wurde nicht an einem Tag erbaut. Für den Erfolg auf dem Pfad bedarf es immer des Faktors Zeit. Die Heiligen beanspruchen keine besonderen Vorrechte für sich. Sie sprechen zu uns als Mensch zum Menschen auf gleicher Ebene und halten uns die Möglichkeit vor Au-gen, ihnen gleich zu werden im Laufe der Zeit, vorausgesetzt, wir arbeiten mit Geduld und zielbewußter Ergebenheit.

”Die Ergebenen des Meisters erstrahlen in Glanz und werden mit Ehren in seinem Reich empfangen.
Der demütige Nanak würde sich immer opfern zu den Füßen der Heiligen, die des vollkommenen Meisters Anweisungen befolgen.”

Man muß danach streben, ein ehrwürdiger Schüler des Meisters zu werden, um sich auf dem spirituellen Pfad Erfolg zu sichern. Ein solcher wird nicht nur in dieser Welt, sondern auch in der nächsten geachtet. ”Ein Leben der Reinheit macht einen allen teuer.” Wenn man, zusammen mit Reinheit im Leben, einen spirituellen Ver-dienst erwerben könnte, würde man einen Ehrenplatz an seinem Reich finden. Wo immer ein wahrer Ergebener sitzt, entsteht ein heiliger Ort. Für ihn sind des Meisters Worte das Evangelium. Er folgt ihnen buchstäblich und im Geist und geht nicht den Weg des Gemüts. Er sieht Gott im Meister. Er versteht seinen Willen, den Willen, der bereits in ihm offenbart wurde. Er macht seinen Willen zu seinem eigenen und verliert sich selbst in ihm. Ein solcher Ergebener ist unserer höchsten Achtung wert. Aber wie viele von uns verstehen einen solchen ehrwürdigen Schüler. Selbst wenn wir einem solchen Wesen begegnen, nehmen wir dessen Worte nur bis zu dem Aus-maß an, wie sie mit unserer Absicht übereinstimmen. Wenn uns seine Worte nicht pas-sen, gehen wir an ihnen vorbei. Wir messen ihm und seine Anweisungen an unserem ei-genen mentalen Stand. Was ist dann das Ergebnis? Wir stecken fest und unser Fort-schritt auf dem spirituellen Pfad wird verzögert.

Jene, die in Shabd eintauchen, entkommen;
ohne Shabd kann es keine Erlösung geben. 

(Fortsetzung folgt)

 

Religion und Literatur

von Dr. Vinod Sena

Wenn wir uns mit so einem allgemeinen Thema befassen, muß uns klar sein, was die Begriffe, die wir verwenden, uns bedeuten. Das ist wesentlich, da das Wort ”Litera-tur” benutzt wird, um so gänzlich verschiedene Werke zu beschreiben wie die Schau-spiele Shakespeares und die billige politische Propaganda, die uns heutzutage über-flutet. Wenn wir von Literatur sprechen, beziehen wir uns auf diese Art von Werken, zu denen die Dramen Shakespeares gehören, also künstlerische und schöpferische Wer-ke als getrennt von bloßen propagandistischen Werken oder solchen wissenschaftli-cher Darlegung. Und wenn wir von Religion sprechen, wollen wir von unserer Deutung die schwarze Magie des afrikanischen Zauberdoktors ausschließen, sowie das Quäker-tum von Priestern und Pandits und den ausgearbeiteten Kodex von Riten und Zeremo-nien, obwohl sie oft mit dem Begriff Religion verknüpft werden. Wir wollen uns selbst die Frage vorlegen: ”Was ist das Wesen der Erfahrungen, das in allen Religionen verkörpert ist?” Was ist das Wesen der Erfahrung, das in jeder großen Litera-tur verkörpert ist? Und wenn wir eine annähernde Antwort darauf gefunden haben, wollen wir weitergehen und sehen, ob es die Möglichkeit einer Verwandtschaft zwi-schen beiden gibt.

Wir wollen mit der Religion beginnen. Was ist der Kern der religiösen Erfahrung? Nehmen wir uns einige wohlbekannte Definitionen vor, die uns zu einer Antwort ver-helfen sollen. Es gibt Mathew Arnolds Beschreibung als ”Moral verbunden mit Emoti-on”, was aber nicht das Thema, dessen Definition angestrebt wird, erklärt, sondern die persönlichen Vorurteile seines Autors. Moral ist ein bedeutsamer Aspekt der Re-ligion, aber nicht der wichtigste. Wie es ein moderner indischer Mystiker sagt, ist Moral nur ein Schrittstein zur Spiritualität. Wir können als nächsten E.B. Taylor heranziehen, für den als ”Minimal-Definition der Religion der Glaube an geistige Wesen” gilt. Wenn wir diesen Ausspruch als endgültig annähmen, dann müßten wir ei-nen anderen Begriff finden, um solche Glaubensrichtungen zu beschreiben wie den Buddhismus und den Konfuzianismus, die nicht auf den Glauben an ”geistige Wesen” bauen. Prof. J.E. McTaggart kommt der Wahrheit näher, wenn er das Wesen religiöser Erfahrung als ein Gefühl der Übereinstimmung zwischen sich selbst und dem Universum analysiert. Aber er versäumt es, das transzendente Wesen dieses Gefühls der Über-einstimmung herauszustellen, und nach ihn können auch so anerkannte Materialisten wie Dr. Julian Huxley oder die marxistischen Denker als religiös bezeichnet werden, denn sie sehen in allem Existierenden eine beständige Entwicklung gewisser natürli-cher Prinzipien, wobei jeder Gegenstand ursächlich mit seiner Umgebung verknüpft ist. Zeitgenossische Theologen kommen der Wahrheit noch näher. Sie betrachten das Wesen der Religion als ein Gefühl der Ehrfurcht und der Verwunderung vor einer un-sichtbaren Kraft, von der man irgendwie glaubt, daß sie das Rechte bewirkt. Zusam-menfassend können wir religiöse Erfahrung beschreiben als das Bewußtwerden einer geheimnisvollen Ordnung - sei es die christliche oder hinduistische Dreieinigkeit oder das unpersönliche buddhistische Rad des Karma -‚ einer Ordnung, die der mate-riellen Welt zugrunde liegt, sie umfaßt und sie übersteigt. Ein Absatz in Words-worths ”Tintern Abbey” beschreibt denkwürdig diese Erfahrung:

“... und ich erspür ein Etwas, das mich durch die Freude hoher Gedanken tief be-wegt: erhabnen Anhauch von etwas, das viel tiefer untermischt ist, behaust im Lichte untergehender Sonnen, im Ozean und der lebendigen Luft, im Himmelsblau und im Gemüt des Menschen; eine Bewegung und ein Geist, der alle die denkenden und die gedachten Dinge antreibt, und durch alle Dinge rollt ..

Nun wollen wir uns der Literatur zuwenden. Was ist Literatur? Oder anders, was ist das Wesen der Erfahrung, die in der Literatur verkörpert ist? Auf die erste Frage gibt es keine angemessene Antwort, die alles erklären kann, was je vom Men-schen geschrieben wurde, außer Hamlets Antwort an Polonius: ”Worte, Worte, Worte.” Und die zweite Formulierung der Frage, die wir uns selbst stellen, macht die Ant-wort keineswegs leichter. Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts sind so viele Richtun-gen der Philosophie und der Kritik entstanden, daß Streitigkeiten unvermeidlich ge-worden sind. Aber wir wollen sehen, ob wir etwas Unbestrittenes sogar aus den ge-genwärtigen Streitigkeiten herausfinden können. Wir wollen überlegen, was wir mit zwei Aussagen bezüglich des Wesens der Kunst anfangen können, die von zwei der be-kanntesten modernen Kritikern stammen, Dr. L.A. Richards und T.S. Eliot. Dr. Ri-chards zitiert in seinem Werk: ”Die Prinzipien der Literaturkritik” Coleridge be-züglich der Imagination:

”Diese verbindende und magische Kraft, die wir ausschließlich mit dem Namen Ima-gination verknüpfen, offenbart sich in dem Ausgleichen oder der Versöhnung ge-gensätzlicher oder voneinander abweichender Qualitäten ... ein mehr als gewöhn-licher Zustand mit mehr als gewöhnlicher Klarheit, stets wachem Urteil und stän-diger Selbstbeherrschung.”

Und in einer mehr wissenschaftlichen Art erklärt er weiter:

”Durch die Verbindung eines Durcheinanders von unverbundenen Impulsen in eine einzige geordnete Antwort zeigt sich in allen Kunstrichtungen die Imagination am meisten.”

T.S. Eliot sagt in seinem Essay aus dem Jahre 1919 ”Tradition und das individu-elle Talent”, das klassischen Ruhm erlangte und worin er seine ”unpersönliche Theo-rie der Poesie” erläutert: ”Der Dichter hat keine ‘Persönlichkeit!, um sich auszu-drücken, sondern ein bestimmtes Medium, das nur ein Medium ist und keine Persön-lichkeit, und in dem sich Eindrücke und Erfahrungen in einer besonderen und uner-warteten Weise vereinen.”

Keine zwei Kritiker könnten gegensätzlicher sein in ihrer Einstellung zur Lite-ratur, doch stimmen beide darin überein, daß die Literatur, was auch immer der Vor-gang sei, in dem sie geschaffen wird, ein bestimmtes Ordnen von Erfahrung sei. Um ein vertrautes Beispiel zu nehmen, gibt es das bekannte Liebeslied von Robert Burns:

“O meine Liebe ist wie eine rote, rote Rose.”

Das Stück ist aufgebaut aus einer Reihe von Silben. Diese Silben sind in einer bestimmten Ordnung gereiht, um Worte zu bilden. Diese Worte sind wiederum in einem zweifachen Muster von Klang und Sinn angeordnet, um eine Folge von abgemessenen Zeilen zu bilden, die eine Versform ergeben und Sätze, die gewisse Aussagen machen. Jeder Vers ist mit dem nächsten verbunden, und zusammen bilden sie das Gerüst des Gedichts. Jede Aussage ist mit der nächsten verbunden und zusammen ergeben alle Aussagen den Inhalt des ganzen Gedichts. Hier folgt, wie der erste Vers lautet:

”O meine Liebe ist wie eine rote, rote Rose,
die im Juni neu erblühte.
O meine Liebe ist wie die Melodie,
die lieblich erklang voll Harmonie.”

Der Vers verarbeitet zwei ganz verschiedene Erfahrungen: die Erfahrung, eine frische Rose im Monat Juni zu sehen und die Erfahrung, ein schön gespieltes Musik-Stück zu hören, und verbindet sie wirksam, indem sie auf eine dritte Erfahrung be-zogen werden - nämlich das Gefühl der Schönheit und das Gefühl der Harmonie, das in dem Liebenden erweckt wird durch seine Geliebte. Dies letztere ist in der Tat das eigentliche Thema des Gedichts, aber es wird dem Leser nur durch die Anrufung der ersten beiden Erfahrungen vermittelt. Nachdem der Dichter es poetisch verwirklicht und seine Erfahrung vermittelt hat, geht er unweigerlich zum Nächsten, nämlich der Liebe für die Frau, die in ihm diese Antwort hervorruft, und er führt es aus, in-dem er die unsterbliche Natur seiner Verehrung versichert. Auf diese Weise gelangen wir zu der Verwickelten Form von Entsprechungen, die als das Gedicht von Burns be-kannt sind. Und diese Schöpfung von Entsprechungen zwischen verschiedenen Erfahrun-gen, die künstlich in einem Vorgang auf verschiedenen Ebenen fortgeführt werden mit Worten, rhythmisch, empfindungsmäßig und gedanklich, liegt der ganzen Literatur zugrunde.

Wenn also das künstlerische Gestalten ein Ordnen menschlicher Erfahrung verkör-pert, erhebt sich die Frage, ob dies zum Einordnen der Erfahrung eine Beziehung hat oder nicht, die verkörpert ist in den Meinungen des Autors, oder was wir gewöhnlich seine Lebensphilosophie nennen. Und hier begeben wir uns auf gefährlichen Treib-sand, der schon der Untergang vieler vor uns war. Wenn wir Dr. Richards glauben, gibt es keine solche Beziehung. Denn nach ihm ist die Meinung eines Dichters für seine Dichtkunst unbedeutend; tatsächlich ist sie zuzeiten ein Hindernis für ihr Wachstum, da das Ordnen der Erfahrung einzig auf der unbewußten Ebene durchgeführt wird. Indem er die psychoanalytischen Formulierungen über das Bewußte und Unbewußte annimmt, betrachtet er rationale Gründe überwiegend als eine hemmende und aufhal-tende Kraft, die eine umfassendere und befriedigendere Organisation der im Menschen verborgenen Impulse und Erscheinungen verhindert. Auch T.S. Eliot sagt letzten En-des in seinem Essay, das wir schon zitiert haben, dasselbe, trotz seiner grundle-genden Unterschiede zu Dr. Richards. Auch für ihn ist die Meinung des Schriftstel-lers unbedeutend. Er sagt: “Der Dichter hat keine Persönlichkeit, um sich auszudrü-cken, sondern ein besonderes Medium.” Der Geist des Künstlers ist bloß ”Katalysa-tor”‚ der an sich mit dem künsterlischen Schöpfungsakt nichts zu tun hat, sondern durch sein bloßes Vorhandensein ermöglicht, daß sich ”Eindrücke und Erfahrungen auf besondere und unerwartete Art vereinen.”

Aber können wir die Erklärungen von Dr. Richards und T.S. Eliot annehmen? Können Zeilen wie die von Shakespeare:

”... die Menschen müssen ihr Vonhiergehen sowie
ihr Hierherkommen ertragen, Reife ist alles”,

oder die von Milton:

”Liebe dein Leben nicht, noch hasse es, aber was du liebst, lebe es aufrichtig, so lang oder kurz es vom Himmel erlaubt ist”,

oder die von Wordsworth:

”Die geringste Blume, die blüht, kann mir Gedanken eingeben, für Tränen, oft zu tief gelegen.”

Sind einige der berühmtesten Zeilen von den drei größten englischen Dichtern durch Zufall entstanden? Können sie denn ohne einen gewissen Glauben geschrieben sein? Die aufgeworfene Frage ist wesentlich, nämlich, ist das in der Kunst verkörperte Gestalten unbewußt und zufällig, oder ist es im wesentlichen auf ein bewußtes Ordnen der menschlichen Erfahrung im Geist des Künstlers bezogen, wie er sie sieht? Dr. Richards Ansichten sind durch seine Abhängigkeit von moderner klinischer Psy-chologie verfälscht, die auf der Analyse des menschlichen Gemüts in einer Prüfungs-situation beruht, aber nicht von gesunden, normalen Männern und Frauen, sondern von Neurotikern und Psychotikern. Durch Prüfung solcher Fälle kommt man zu dem Schluß, daß das Bewußte und Unbewußte stets im Kampfe miteinander liegen, und daß es das Bewußte ist, das all die Unruhe stiftet, indem es die instinktiven Antriebe und Er-scheinungen hemmt. Aber nichts könnte unwissenschaftlicher sein. Unsere modernen Psychoanalytiker halten das Negative fälschlicherweise für das Positive. Sie ver-gessen, daß das, was sie beschreiben, nur für das Anormale gültig ist, daß es in der Tat die wahre Ursache des Anormalen sein kann, und daß das normale Gemüt zum größten Teil gerade umgekehrt funktioniert. Ist nicht das Gefühl des Wohlseins, das wir in guten Momenten haben, ein sicheres Anzeichen einer vollkommenen Übereinstim-mung zwischen dem Bewußten und dem Unbewußten? Und wo anders können wir dieses Ge-fühl des Wohlseins so mächtig empfinden als in der großen Kunst? Können wir also sagen, indem wir Dr. Richards eigene Begriffen benutzen, daß ein großes Kunstwerk eine vollkommene Harmonie zwischen dem Bewußten und Unbewußten verkörpert, eine Harmonie, in der man, wenn man das eine entfernt, das andere nicht haben kann? Nimm die bewußten Elemente hinweg und das Unbewußte fällt zusammen; entferne das Unbe-wußte, und das Bewußte bleibt wie ein vom Blitz getroffener Baum, ohne Saft und Le-ben, nur noch für des Holzfällers Axt geeignet. Wie können wir also sagen, daß die Ansichten eines Autors bedeutungslos für sein Werk seien, wenn ohne sie sein Werk nicht das wäre, was es ist.

Auf der anderen Seite ist der junge Eliot beeinträchtigt durch seine Ansicht, daß Kunst nur Kunst ist und mit nichts anderem vergleichbar, eine Meinung, die, bis zum Ende durchdacht, ihn mit den Künstlern vor Raphael verbindet, denen er so innig verbunden war. Hier folgt, was er in einem Essay sagt, der im Jahr 1927 veröffent-licht wurde (Shakespeare und der Stoizismus des Seneca):

”Der Dichter macht Dichtung, der Metaphysiker macht Metaphysik, die Biene macht Honig, die Spinne sondert den Faden ab; man kann schwerlich sagen, daß einer von diesen Tätigen ‘glaubt‘, er ‘tut‘ nur.” Und ein wenig vorher im gleichen Aufsatz: ”In Wahrheit haben weder Shakespeare noch Dante wirklich nachgedacht - das war nicht ihre Aufgabe.” Solch trügerische Überlegungen sind unverzeihlich, insbesonde-re wenn sie von so einem verantwortlichen Kritiker stammen, der erst zehn Jahre vorher mit Betonung erklärt hatte: ”Jeder schöpferische Geist ist auch ein Kriti-ker” (”Ben Jonsen”, 1919), oder möchte T.S. Eliot behaupten, daß Kritik auch so ein automatischer Vorgang ist wie das Absondern des Fadens der Spinne, ein Vorgang, der kein ernsthaftes Nachdenken einbezieht, ein Vorgang, unabhängig vom Denken? Der Fehler wird umso unverzeihlicher, als Eliot selbst vielleicht der bedeutendste Dichter unseres Jahrhunderts ist, und zwar einer wie Dante und Wordsworth, im we-sentlichen philosophischer Richtung. Hätten ”The Four Quartets” oder auch ”The Wasteland” - trotz der Anleihen von fünfunddreißig Autoren und trotz des Dichters Versuch, den verstandesmäßigen Aufbau aus dem Hauptteil des Gedichts herauszuhal-ten, und seiner Weigerung, sich bloßzustellen - hätten sie ohne ernstliches Nach-denken von Seiten des Autors hervorgebracht werden können? Es scheint, daß T.S. E-liot in seinem Bemühen, der Dichtkunst eine unpersönliche Bedeutung beizumessen und seinem Verlangen, sie aus der Verwicklung von Philosophie und Theologie, in die Ar-nold und Middleton Murry sie hineingebracht haben, zu befreien, über das Ziel hi-nausschoß und nur erreichte, die Verwirrung noch verwirrter zu machen. Er wurde je-doch weiser und versuchte seine alten Fehler auszubessern. So akzeptierte er 1933 in seinen Charles-Eliot-Norton Vorlesungen in Harvard nicht nur die Notwendigkeit, daß sich der Leser diese Absichten vor Augen hält, um einen größeren Genuß an des Autors Werk zu haben. Indem er von Wordsworth spricht, sagt er:

”Wenn wir Wordsworths Interessen und Absichten beiseite lassen, wieviel bleibt denn dann noch übrig? Sie im Gedächtnis zu behalten und sich daran zu erinnern, anstatt sie absichtlich zu verdrängen, bei der Vorbereitung, sich an seiner Dichtkunst zu erfreuen, ist das nicht notwendig, um zu würdigen, was für ein großer Dichter Wordsworth wirklich ist?”

Die Ansichten des Schriftstellers sind wesentlich für sein Werk. Man kann ein-fach nicht hoffen, ein größeres Gedicht, einen Roman oder ein Drama ohne einen ge-wissen gedanklichen Aufbau zu erhalten; denn, wenn Dr. Richards Aussage richtig ist, so kann, da unsere Gefühle in einem ständigen Wandel sind, kein Werk, das in mehr als einer Sitzung geschrieben ist, eine innere Einheit haben. Seine Theorie mag ein lyrisches Gedicht erklären oder vielleicht auch zwei, aber nicht ein ”Das verlorene Paradies”, für dessen Vollendung Hilton acht Jahre brauchte. Wenn Kunst ein Ordnen verkörpert, und Ordnen eine Beständigkeit bedingt, so erfordert Bestän-digkeit ein gewisses intellektuelles Element. Dr. Richards stimmt mit seinen Schü-ler William Empson überein, wenn er sagt, daß die ”gefühlsmäßige Bedeutung” von Worten weitgehend bestimmt ist durch ihre ”erkenntnismäßige Bedeutung”. Aber dann vergißt er, daß das, was für die Sprache gilt, in einem weiteren Sinne auch für die Literatur und das Leben Geltung hat. Unsere Gefühle und Impulse schweben nicht in der Luft, bereit, um auf den leisesten Wink eine Zeile zu bilden. Sie sind weitge-hendst durch die erkenntnismänige oder gedankliche Bedeutung bestimmt, die eine Er-fahrung für uns hat. Wie verschieden ist unsere Reaktion, wenn wir einen Tiger im Zoo oder im freien Dschungel sehen. Ein gewisses gedankliches Ordnen der Erfahrung von seiten des Autors ist unumgänglich und ist eine Notwendigkeit - sogar der Nihi-lismus bzw. die Weigerung, überhaupt etwas zu glauben, ist letzten Endes eine Geis-teshaltung - aber wir müssen darauf bestehen, es ist ein harmonischer Teil der ge-samten Erfahrung, die in einem Kunstwerk verkörpert ist, nicht etwas Aufgepfropftes oder zum Rest des Werkes Widersprüchliches. Es muss ja nicht gleich so sein wie bei Voltaires Dr. Panglors, der beständig erklärt, daß alles zum besten dient, selbst wenn er hingerichtet wird. Es darf nicht, wenn wir ein Beispiel aus der Botanik be-nutzen, der falsche Zweig auf einen falschen Baum gepfropft werden, der nur verwel-ken und eingehen kann. Vielmehr muß das richtige Pfropfreis auf den richtigen Baum gepfropft werden, das dann, wenn sie sich vermischen und eins werden, alle Unter-schiede überwindet.

Nun zurück zu unserem Problem der Beziehung zwischen Religion und Literatur. Wenn Religion die Wahrnehmung einer unsichtbaren gerechten Ordnung ist, die der ma-teriellen Welt zugrunde liegt, sie erhält und über ihr steht, und wenn Literatur die Verkörperung eines gedanklichen und intuitiven Ordnens menschlicher Erfahrung ist, so ist die Möglichkeit eines Zusammenhangs zwischen beiden offensichtlich. Wir können nun die Feststellung wagen, daß es eine grundlegende Ähnlichkeit zwischen den Vorgängen künstlerischer und religiöser Erfahrung gibt. Mathew Arnold hat dies intuitiv erfaßt, wenn er sagt, daß das Zentrum aller großen Religionen poetisch war und daß alle große Poesie aus religiösem Geiste stammt. Aber nun wollen wir eine brauchbare Unterscheidung zwischen Religion und Literatur treffen. Beide verkörpern ein gewisses Ordnen von Erfahrung, aber im Fall der Literatur ist dieses Ordnen er-kannt und ausgedrückt in den Begriffen und Gesetzen dichterischer Wahrheit und dichterischer Schönheit, wobei eine ”wahrscheinliche Unmöglichkeit” einer ”unwahr-scheinlichen Möglichkeit” vorgezogen wird, wohingegen in der Religion das Ordnen absolut und nicht den Gesetzen der Kunst unterworfen ist.

Wir wollen nun eine weitere, noch gewagtere Feststellung treffen, nämlich, daß diejenige Kunst, die die höchste Ordnung menschlicher Erfahrung verkörpert, die Kunst, die am meisten erweckt, erhebt und überzeugt, in ihrem Geiste religiös sein muß. Hier wollen wir einer Entgegnung zuvorkommen. Wenn wir den Begriff religiös verwenden, meinen wir nicht, daß ein Kunstwerk auf einem System anerkannter Dogmen beruhen muß, sondern daß sie ein Bewußtsein einer inneren geheimnisvollen Ordnung innerhalb und jenseits der sichtbaren materiellen Welt verkörpern soll. In diesem Sinne ist der junge Wordsworth, der Dichter von ”The Prelude” und ”Tintern Abbey” religiöser als der ältere und mehr orthodoxe Wordsworth, denn seine früheren Ge-dichte verkörpern ein tieferes Bewußtsein für etwas, das weit tiefer verborgen ist, als seine späteren ”Ecclesiatical Sonnets”.

Es mag aber der Einwand erhoben werden, daß nicht alle gute Dichtung ”religiös” ist, sondern tatsächlich nur ein geringfügiger Teil im wahren Sinne religiösen Cha-rakters ist. Und das ist vollkommen richtig. Wir können T.S. Eliots Einteilung mo-derner Künstler in drei Kategorien als passende Klassifizierung übernehmen. Zuerst haben wir jene, die in einem Zustand der Unentschiedenheit leben, Leute wie Arnold und Hardy, die spirituelle Werte gern erhalten ohne Zuflucht zu spirituellem Glau-ben. Und zuletzt natürlich jene, für die spirituelle Werte untrennbar von spirituellem Glauben sind. Von diesen drei Arten ist nur die letzte in unserem Sinne reli-giös. Und diese Gruppe war niemals in größerer Minderzahl als heute. Tatsächlich scheint sie fast verschwindend zu sein, zumindest noch vor ein oder zwei Jahrzehn-ten. Aber sollen wir mit Zahlen beurteilen? Sollen wir Qualität mit Quantität mes-sen? Beklagen sich die Kritiker nicht über das Absinken der Qualität in der gegen-wärtigen Literatur, trotz der größeren technischen Meisterschaft des modernen Künstlers?

Die Literatur, die von den kommunistischen Ländern einströmt, von der man sagen kann, daß sie die erste unserer drei Kategorien darstellt, läßt einen irgendwie un-befriedigt. Und man kann nicht anders, als die Ursache dieses Unbefriedigtseins auf eine Schwäche zurückzuführen, die dem marxistischen System an sich innewohnt. Unser Einwand gegenüber dem System ist zweifach. Zunächst einmal, daß, obwohl es den He-donismus (Philosophie der Lebensfreude) bekämpft und attackiert, seine grundsätzli-chen Voraussetzungen die gleichen sind. Ehrenhaftigkeit, gute Absichten und Zusam-menarbeit sind an sich nicht gut. Sie sollen nicht um ihrer selbst willen verfolgt werden, sondern sie sind die besten Mittel, durch die ein Mensch seinen eigenen Be-dürfnissen oder denen seiner Kinder dienen kann. Kurz gesagt, der Marxist unter-stützt die richtigun Werte, aber er tut es aus falschen Gründen und ein Nichtmar-xist, der von den gleichen Gründen ausgeht, kann, mit gleicher Logik, zu ganz ge-gensätzlichen Werten gelangen. Unser zweiter Einwand ist, daß man das Leben nicht in Begriffen materieller Bedürfnisse erklären kann. Zweifellos sollen wir die Welt besser machen und zu einem Ort gestalten, wo man wirtschaftlich leichter leben kann; aber ist das alles, was wir wollen? Ist das unser höchstes Ziel? Wenn ja, dann ist unserer Meinung nach das marxistische Ideal in den meisten begüterten ame-rikanischen und neuseeländischen Häusern angemessen verwirklicht. Der kommunisti-sche Schriftsteller offenbart, zu Ende analysiert, einen überraschenden Mangel an Tiefe, die doch so charakteristisch gewesen ist für die russischen Novellisten des 19. Jahrhunderts wie Tolstoi und Dostojewski. Dieser verführerisch propagierte Glaube an die Kommune ist auf eine falsche Vereinfachung des Lebens gegründet, wor-auf die einzig passende Antwort die Frage in der Bibel ist: ”Ist nicht Leben mehr denn die Speise und der Leib mehr denn die Kleidung?” - eine Frage, deren intuitive Logik unwiderstehlich ist, eine Logik, die unsere sogenannten ”wissenschaftlichen” Begriffe - vorgefasste Meinungen, die in Laboratorien, Kliniken oder Klassenzimmern aufgelesen sind - recht mittelmäßig und schäbig aussehen lassen.

Schriftsteller, die zu der zweiten Kategorie im Sinne T.S. Eliots gehören, stel-len ein schwieriges Problem dar, nämlich, ob man spirituelle Werte bewahren und tiefschürfend sein kann, ohne offen oder stillschweigend zu gewissen spirituellen Ansichten zu gelangen? Wir können Virginia Woolf und Thomas Hardy - zwei Schrift-steller, die einander genügend unähnlich sind, um repräsentativ zu gelten - als passende Beispiele wählen. Mrs. Woolf webt aus dem schmutzigen, gewöhnlichen Stadt-leben eine überraschend bezaubernde Welt von Sonnenschein und Romantik. Sie erfin-det sehr verfeinerte Charaktere, Menschen wie Clarissa Dalloway, Mrs. Ramsay oder Lily Briscoe, die sich beständig mit der Bedeutung des Lebens und den spirituellen Werten beschäftigen. Mrs. Woolf zeigt eine heftige Abneigung gegen religiösen Glau-ben und scheint doch spirituelle Tiefe anzulegen. Wir verwenden die Worte ”scheint” und ”anlegen”, da wir zweifeln, ob sie oder ihr Werk diese höchste Qualität zeigt. Hier folgt ein charakteristischer Abschnitt, wo in einem entscheidenden Moment des Buches ”To the Lighthouse” das Bewußtsein von Mrs. Ramsay charakterisiert wird, die Mutter von acht Kindern ist, und einen der verfeinerten Typen von Mrs. Woolf dar-stellt:

”Da sind die ewigen Probleme: Leiden, Tod, die Armen. Immer gibt es eine Frau, die an Krebs stirbt. Und doch hat sie all diesen Kindern gesagt: ihr werdet mit all diesem fertig werden. Aus diesem Grunde, und da sie wußte, was ihnen bevorstand - Liebe und Ehrgeiz und Unglücklichsein an traurigen Orten - hatte sie oft das Ge-fühl: warum müssen sie aufwachsen und das alles verlieren? Und dann sagte sie zu sich selbst, indem sie ihr Schwert wider das Leben schwang: Unsinn, sie werden vollkommen glücklich sein.” Dieser Abschnitt stellt Fragen und weicht ihnen dann aus. Und wie es bei Mrs. Ramsay ist, so ist es bei ihrer Schöpferin, Mrs. Woolf. Ihre Erzählungen stellen Fragen, die sie nicht beantworten kann. Die entscheidenden Momente der sogenannten ”Erleuchtung” in den Gemütern einer Mrs. Dalloway oder Lily Briscoe, haben trotz all ihrer anscheinenden Reichhaltigkeit nichts Wesentliches an sich. Kurz gesagt, die Welt von Mrs. Woolf ist eine Flut von Mondenschein, wobei der Mond fehlt, und man kann leicht einen Ton von wehmütigen Pessimismus in ihrem ganzen Werk entdecken.

Bei Thomas Hardy ist die Lage im Grunde die gleiche, obwohl er nach Temperament und Technik ein Schriftsteller ganz anderer Art ist. Dennoch gibt es einen bedeut-samen Unterschied. Der besteht darin, daß Mrs. Woolf das Leben als weltlich ansieht und doch vorgibt, es könne schön und bedeutungsvoll sein; Hardy, der von den glei-chen Voraussetzungen ausgeht, erhebt nicht solche Ansprüche. Ein Ergebnis davon ist, daß seine Erzählungen uns tiefer anrühren als irgendeine von Mrs. Woolf, trotz ihrer Unausgefeiltheit und trotz ihres Mangels, auch nur einen einzigen so ausge-tüftelten Charakter wie Mrs. Dalloway oder Mrs. Ramsay hervorzubringen. In seinen Erzählungen herrscht eine tragische Würde und Lauterkeit, ein Empfinden für wahren Charakter und Geisteshaltung, das alles überwindet, selbst die Begrenzung eines un-genügendem Stils. Aber wenn alles zum Lob seines Werkes gesagt ist, bleibt doch im Grunde ein Unbefriedigtsein. Die Welt wird gänzlich in Darwinschen Begriffen gese-hen, als ein riesiges Wechselspiel blinder Naturkräfte. Das menschliche Bewußtsein ist eine Marter, die uns im Prozeß der Entwicklung zufällig auferlegt wurde. Leben kann nicht anders als beklagenswert sein. Hardy sagt jedoch, wir dürfen davor nicht davonlaufen; wir müssen ihm mutig entgegensehen, dies sei die einzige Bedeutung, die es haben kann. Aber kann Stoizismus eine Bedeutung in einer bedeutungslosen Welt haben? Kann man die Kreuzigung ohne die Auferstehung verherrlichen? Kann man sagen: ”Dem Schicksal begegnen ist alles.” ohne dabei zu sagen: ”Die Götter sind gerecht”? Dieser Widerspruch ist grundlegend in Hardys Erzählungen. Die Werte, die er anstrebt, sind ideal, aber sie sind unpassend in einer bedeutungslosen Welt. Dieses Fehlen einer Mitte in seiner Schau, diese Unfähigkeit, das Geistige mit dem Materiellen zu verbinden, gibt seinem Werk dieses durchgehende Gefühl von Sinnlo-sigkeit, ein Gefühl, das wir nie haben, wenn wir ein Drama von Shakespeare sehen oder den ”Michael” von Wordsworth lesen, ein zufällig entstandenes Gedicht, das aus den gleichen tragischen Empfindungen und szenischen Motiven hervorging, wie sie in den Wessex-Erzählungen verwandt werden.

Tatsächlich ist der Pessimismus unvermeidlich in jeder überwiegend weltlichen Einstellung. Weltliche Literatur muß entweder kindlich sein oder verzweifeln. Sie wird entweder das Leben übervereinfachen in ein Gefüge wirtschaftlicher Regeln, wie die Marxisten, oder in ein Gefüge psychologischer Komplexe, wie die Freud-Anhänger, oder sie wird es, wie bei Virginia Woolf und Hardy, auf einen Kreis ohne ein Zent-rum, ein Gebäude ohne Untergrund, eine Welt ohne Bedeutung reduzieren. Sie macht das Leben zu etwas Geringerem als es tatsächlich ist, etwas, wovor wir, wie Hamlet, intuitiv zurückprallen:

”Was ist der Mensch, wenn seiner Zeit Gewinn, sein höchstes Gut nur Schlaf und Essen ist? Ein Vieh, nichts weiter. Gewiß, der uns mit solcher Denkkraft schuf, voraus zu schaun und rückwärts, gab uns nicht die Fähigkeit und göttliche Ver-nunft, um ungebraucht in uns zu schimmeln.”

Nachdem wir die grundsätzlichen Grenzen weltlicher Literatur erkannt haben, wird unsere Behauptung, daß die bedeutendste Art der Kunst eine religiöse Auffassung der Erfahrung verkörpern müsse, nun weniger vorschnell erscheinen und wird mehr Bedeu-tung haben. Bisher versuchten wir, unsere Annahme auf negative Weise zu rechtferti-gen. Nun wollen wir eine positivere Betrachtungsweise annehmen.

Wenn religiöse Einstellung voll entfaltet ist, bietet sie die höchste Ordnung von Erfahrungen, die bis jetzt dem menschlichen Geist bekannt ist. In keiner anderen Einstellung gibt es, um die Worte Coleridges zu verwenden, ein größeres ”Gleichge-wicht oder Ausgleich von gegensätzlichen oder unterschiedlichen Eigenschaften”. Mit ihr werden solche sonst unlösbaren Paradoxe wie Leben und Tod, Gut und Böse, Liebe und Schrecken, Freude und Schmerz, Vergangenheit und Zukunft endgültig gelöst. Es ist nicht gerade Zufall, daß sowohl im Osten wie im Westen diese Auffassung sich in ähnlichen und irgendwie paradoxen Begriffen ausdrückte. Hier folgt eine Darstellung von Lord Krishnas Worten aus dem siebenten Kapitel der Gita:

Nun erkenne mein höh‘res Selbst in dem Prinzip des Lebens.
Zwar ungeboren, ewig auch, und aller Wesen Herr bin ich;
und doch entsteh‘ ich oftmals nur durch meines Wesens Wunderkraft.
Aus ihrem Schosse kommen all die Wesen her - dies fasse recht,
Ich bin für die ganze Welt der Urquell und der Untergang.
Es gibt nichts höheres als mich, kein anderes Ding, was es auch sei.
Auf mich ist dieses All gereiht wie Perlenreihen an der Schnur.
Ich bin des Wassers Feuchtigkeit; ich bin das Licht in Sonn‘ und Mond.
Das heil‘ge OM der Veden all, der Ton im Äther, Kraft im Mann.
Der reine Duft im Erdenkloß, der Glanz im Feuer, das bin ich.
Das Leben in den Wesen all‘, die Buße in den Büßern auch.
Der ew‘ge Same bin ich auch von allen Wesen - wisse dies.

Und hier folgt, was T.S. Eliot, ein Anglo-Katholik, mehr als zweitausend Jahre später, über das gleiche Thema zu sagen hat:

”Am stillen Punkt der sich drehenden Welt; weder Fleisch noch fleischlos.
Weder her von, noch nach; am stillen Punkt, wo der Tanz ist,
aber weder Hemmung noch Bewegung; und nenne es nicht Verharren.
Wo Vergangenheit und Zukunft beieinander sind.
Weder Bewegung irgendwoher noch irgendwohin;
weder Aufstieg noch Abstieg, ausgenommen des Punktes, des stillen Punktes.
Dort gibt es keinen Tanz, und dort allein ist der Tanz.”

(Burnt Norton)

Ein Schriftsteller, der solch ein Muster hinter allem Existierenden wahrnimmt - und diese Wahrnehmung, wenn sie einen Wert haben soll, muß sowohl rational wie ima-ginär, bewußt wie unbewußt sein - hat Zugang zu der höchsten Organisation menschli-cher Erfahrung. Nicht nur, daß er mehr Erfahrung in sein Muster einbeziehen kann als seine weltlichen Kollegen, er kann es auch zusammenhängender ordnen. Seine Vor-stellungskraft, ähnlich der von Milton und Dante, kann vom Inferno durch das Fege-feuer bis zum Paradies gelangen. Er allein kann innerhalb eines einzigen Werkes einen Goneril und eine Cordelia schaffen, er allein kann:

“... die Welt in einem Sandkorn schauen und
den Himmel in einer Blume”

und:

“... die Unendlichkeit in Händen halten und die
Ewigkeit in einer Stunde
                                                              Blake

Er allein kann unter die Hülle von Schönheit und Häßlichkeit dringen, und nicht nur die Langeweile und Angst schauen, sondern auch den Glanz, was in den Worten E-liots der ”wesentliche Vorteil des Dichters” ist.

Literatur, die auf religiösem Verständnis aufbaut, wird menschlicher, gesünder und annehmbarer sein als jene, die auf weltlicher Haltung aufbaut. Sie wird sowohl den Glauben an die Gemeinschaft und die Vereinfachung des Marxisten, als auch die Isolierung und Verzweiflung des romantischen Ästheten vermeiden. Sie wird stets ei-nen Maßstab haben, um jede menschliche Handlung zu beurteilen, einen Maßstab, der zugleich absolut und menschlich ist. Sie wird uns nicht nur sagen, was Leben ist, sondern auch, was es sein kann. Es wird ihr stets gelingen, dem Leben eine Bedeu-tung zuzumessen, und wird einen unwissenden Bauern mit gleichem Respekt behandeln wie den kultiviertesten Intelektuellen, etwas, wozu Virginia Woolf unfähig zu sein scheint. Sie wird nicht den Kopf verlieren und zu krankhafter Obszönität herabsin-ken, selbst wenn sie sich mit Schmutzliteratur beschäftigt, wie man es sehen kann, wenn man die bedeutenden Erzählungen von Boccacio, Chaucer und Jean de la Fontaigne vergleicht mit solchen, die in unserer Zeit geschaffen wurden.

Weiterhin bietet religiöses Bewußtsein eine Form, die genau der menschlichen Si-tuation entspricht mit ihrer geheimnisvollen Verknüpfung von rationalen und intui-tiven Kräften. Ein mächtiges gedankliches Element ist zwar einbezogen, aber die Mitte der Schau, die die Gita ”Brahman” oder Eliot den ”Stillen Punkt” nennt, bleibt ein tiefes Geheimnis. Dieses Geheimnis, das der religiöse Künstler im Wesen jedes Objektes um sich herum sieht, kann er, wenn er ein großer Künstler ist, in jeden Teil seines Werkes einfließen lassen. Wie Shakespeare kann er Charaktere und Dichtung schaffen, die aller endgültigen Beurteilung entgleiten. Er kann der Erfah-rung, die sich in seinem Werk verkörpert, eine vierte Dimension verleihen, die an-deren Menschen unbekannt ist.

Wenn der religiöse Schriftsteller mit einem anerkannten Glauben übereinstimmt, so kann er für sich noch einen weiteren großen Vorteil verbuchen. Indem er eine al-te Tradition übernimmt, kann er, wie Dante, komplexe Symbolgehalte mit verschiede-nen Stufen von Bedeutung ausbeuten, ohne Gefahr zu laufen, eine verschwommene Schreibweise zu haben. Wie Bunyan - und anders als James Joyce - gefällt er glei-chermaßen Ungebildeten und Akademikern.

Wir haben bisher ausschließlich über allgemeine Vorzüge gesprochen, deren sich ein Schriftsteller mit religiöser Auffassung erfreut. Nun ist es Zeit, einige nütz-liche Unterscheidungen in dem Gebiet der religiösen Literatur selbst zu treffen. Die erste wäre, daß es, grob gesagt, zwei Arten solcher Literatur gibt: die eine, in der die religiöse Auffassung eine Brille ist, durch die das menschliche Drama, die äußere Welt, betrachtet wird; die andere, in der die religiöse Auffassung selbst zum Thema der Betrachtung des Autors wird. Die erste Art wird am besten rep-räsentiert durch Werke von Shakespeare, Ben Jonsen, Henry Fielding, durch die Hindu und Urdu Erzählungen von Munshi Prem Chand oder durch die Dichtungen von Galib und dem jungen Iqbal. Die zweite Gruppe wird durch Dichtungen von Herbert, Crashaw, Vaughan oder dem älteren Eliot verdeutlicht. Aber diese zwei Gruppen können sich in größeren Werken vereinigen, wie in Dantes “Göttliche Komödie” oder im Ramayana und Mahabharata. Eine zweite Unterscheidung, die wir gerne treffen würden, ist, daß es zwei Arten gibt, wie man sich der übernatürlichen Ordnung nähern kann: entweder als einem Teil der materiellen Welt und sie doch übersteigend, oder als ein Muster, das getrennt von der Welt existiert und nur durch Verneinung der sinnlichen Welt er-reichbar ist. Und von diesen beiden, so erscheint es uns, ist die zweite Haltung die schwächere. Das Hauptanliegen des Schriftstellers muß das menschliche Leben sein, wenn er gelesen zu werden wünscht, er darf ihm nicht den Rücken kehren. Außerdem muß ein Glaube, der nicht aus dem Leben selbst erwächst, notwendigerweise mehr intellektuell als intuitiv sein, denn im Falle eines solchen Gläubigen kann intellektueller Glaube und physische Erfahrung nicht eins sein; stattdessen sind sie stets im Widerstreit miteinander. Das ist die Schwäche, die einen bei den meis-ten modernen religiösen Dichtern aus der Fassung bringt. Eliot ist nicht ganz frei davon. Sein Werk ”The Wasteland” stellt das Versagen eines modernen Künstlers dar, eine Bedeutung aus dem Chaos rund um sich abzuleiten, eine Bedeutung, die Dante in seiner ”Göttlichen Komödie”, Shakespeare in ”König Lear” und Milton in ”Samson Agonistes” erfolgreich bewahrten, trotz der Auseinandersetzungen und des sozialen Auf-ruhrs rings um sie. In ”Ash Wednesday” und ”Four Quartets” gelingt es ihm, eine mögliche Bedeutung zu finden - aber um welchen Preis? Er hat seinen Rücken der äußeren Welt zu kehren. Er hat:

“... dem gesegneten Angesicht zu entsagen, und auch der Stimme zu entsagen.”

Aus diesem Grunde vermag eine religiöse Dichtung nicht das Gefühl der Einheit zwischen dem Äußeren und dem Inneren, dem Materiellen und dem Spirituellen, dem Intellektuellen und dem Emotionalen zu übermitteln, was die größte Leistung Words-worths ist, wenn er inspiriert schreibt:

”Der schwindelerregende Anblick des reißenden Stromes,
die entfesselten Wolken und Regionen des Himmels,
Aufruhr und Friede, Dunkelheit und das Licht, wo alles,
wie das Wirken eines Gemütes, Gesichtszüge eines Gesichts,
auf einem Baume blüht;
Charakter der großen Apokalypse, Arten und Symbole der Ewigkeit,
des Ersten und Letzten, in der Mitte und ohne Ende.

(The Prelude VI, 560-67)

Zum Schluß möchten wir sagen, daß die voll entwickelte religiöse Haltung, obwohl sie die zarteste und doch stärkste Ordnung menschlicher Erfahrung darstellt, bei schwachen Gemütern ein Mittel zum sentimentalen Entrinnen werden kann. In solchen Fällen behandelt sie unser Leben als eine bloße Illusion und nimmt vor ihrem Elend Zuflucht, indem man von einem eingebildeten Paradies der Annehmlichkeit und des Vergnügens träumt, in das man nach dem Tode eintritt. Keine Haltung ist verachtens-werter und ironischen Angriffen mehr ausgesetzt. Wenn Religion nur dies bedeutete, dann wäre es besser, Nichtgläubiger als Gläubiger zu sein. Solch eine Eskopisten-Gesinnung ist am leichtesten zu erreichen, und die meisten anerkannten Gläubigen - auch viele Priester und Pandits - sind niemals darüber hinausgekommen. Es war das allgemeine Vorherrschen dieser Pseudo-Religion, so fühlt man, die Karl Marx zu ei-ner umfassenden Verdammung der Religion als Opium für die Massen aufforderte. Wahre Religion ist tatsächlich eine ganz andere Sache, und es scheint uns, die zu errei-chen schwierigste. Sie versucht nicht, der Welt zu entrinnen, noch sucht sie den Problemen des Leidens zu entgehen. In der Tat, wie bei Edgar in ”Lear” und Harry in ”The Family Reunion”, ist sie oft aus tragischer und qualvoller persönlichcr Erfah-rung entstanden. In einigen der größten Tragödien, wie in dem Schauspiel ”Ödipus” von Sophokles oder in ”Orestes” von Euripides oder auch in ”König Lear” von Shakes-peare, sehen wir zunächst Zynismus und Unglauben, und gelangen schließlich zum Glauben, nachdem wir das Leben von seiner schrecklichsten Seite erlebt haben. Wah-rer religiöser Glaube sucht nicht zu trösten, indem er sich eingebildeten Himmeln zuwendet, sondern zieht seine Stärke aus der unmittelbaren Betrachtung des Chaos und der Tragödie des menschlichen Daseins. Keine zwei Haltungen könnten unter-schiedlicher sein, und doch sind keine zwei Haltungen so oft vermischt. Wie in der Literatur, so müssen wir auch im Leben gegen die Schwäche pseudoreligiösen Glaubens wachsam sein. Michaels Worte an Adam, bevor er und Eva aus dem Paradies gestoßen werden, am Ende von Miltons Werk ”Das verlorene Paradies”:

“... füge zu verantwortungsvollem Wissen nur Taten, füge Glaube, Tugend, Geduld, Mäßigung und Liebe hinzu, wodurch die erwähnte Nächstenliebe kommt, die Seele alles anderen: dann brauchst du nicht unwillig sein, dieses Paradies zu verlassen, sondern du wirst ein Paradies besitzen, das weit reicher ist, in deinem Innern!”

- haben einen aufrichtigen Ton, der ganz verschieden ist von der weichen Sentimen-talität eines Gedichts von William Culin Bryant, das mit folgenden Worten endet:

”Denn Gott hat jeden sorgenvollen Tag notiert,
und jede verborgene Träne gezählt;
des Himmels langwährende Glückseligkeit
wird es allen seinen Kindern, die hier leiden, vergelten.”

Man kann niemals hoffen, solch einem weiten und verwickeltem Problem Gerechtig-keit angedeihen zu lassen, um so weniger bei so beschränktem Raum. Das Äußerste, was man tun kann, ist Anregungen zu geben, und wir hoffen, daß wir zumindest klar-gemacht haben, daß Religion und religiöse Literatur mehr Berücksichtigung verdie-nen, als sie heutzutage erhalten. Wir dürfen nicht von vornherein annehmen, daß sie eine miesmachende, altmodische Lebensansicht darstellt. Auch dürfen wir nicht an-nehmen, wie die meisten unserer Wissenschaftler und Psychologen es tun, daß das Le-ben nicht mehr bedeute als die Summe der Teile, die wir analysiert haben. Dr. Jung hat in seiner Erklärung des Unbewußten gezeigt, wie geheimnisvoll und verwickelt, wie schwer zu fassen das Leben wirklich ist. Wissenschaft ist sicherlich eine unse-rer bedeutendsten Methoden um ”Wissen” zu erlangen, aber es ist nicht die einzigste Methode und wir müssen uns vor ihren Vereinfachungen hüten. Religiöser Glaube ist seinem Wesen nach transzendenten und subjektiven Charakters. Wissenschaft ist ande-rerseits im wesentlichen materialistisch und von Natur aus objektiv. Und das Leug-nen einer übernatürlichen Ordnung, weil es keinen wissenschaftlichen Beweis ihrer Existenz gibt, hat nicht mehr Gültigkeit als Leugnen der Existenz des Lichtes durch einen Blinden, da er es nicht fühlen, tasten, hören oder schmecken könne.

 

Auszüge aus "Spirutuelles Elixier"

(Fragen, die durch den Meister beantwortet wurden)

Frage: Wenn der Schüler auf dem Weg zurück zum Vater und unter der Führung eines lebenden Meisters ist, warum ist es dann so schwer für ihn, den Tonstrom zu hören?

Antwort: Es ist die zerstreute Aufmerksamkeit des Initiierten, die es ihm nicht er-laubt, den heiligen Tonstrom zu hören. Darüber hinaus stehen ihm die über-wältigenden Bindungen an weltliche Freuden und die Befriedigtng seiner Sinne im Weg. Der lebende Meister ist personifizierte Liebe und so ist liebevolle Hingabe an ihn der Faktor, der zu einer besseren inneren Verbindung mit dem hörbaren Lebensstrom führt. Es ist die Neigung des menschlichen Gemüts, das es nicht liebt, angekettet zu werden, und so erfordert es eine gewisse Schu-lung, die beachtet werden muß, um eine innere, bewußte Verbindung mit der himmlischen Melodie zu erlangen. Am Anfang ist es in der Tat schwierig, aber bei regelmäßiger Übung spürt die Seele eine angeborene Verwandtschaft mit dem Tonstrom, wenn mit der Gnade des Meisters innere Glückseligkeit erfahren wird.

Frage: Ist die in der ‘Krone des Lebens‘ betonte Satwik-Nahrung die beste für meine Entwicklung? Ich probiere es aus.

Antwort: Die Satwik-Nahmung, wie in der ‘Krone des Lebens‘ vorgeschrieben, ist hilfreich für deine spirituelle Entwicklung. Zu gegebener Zeit wirst du die Ergebnisse feststellen. Bitte nimm zur Kenntnis, daß immer Mäßigkeit geübt werden sollte, um stetigen Fortschritt zu haben und bei guter Gesundheit zu bleiben.

Frage: Wird das formlose oder sonnengleiche Licht auch als die Form des Meisters betrachtet?

Antwort: Ja, es ist die Astralform der Meisterkraft, und wenn einer in diesem Prin-zip bewandert wird, offenbart sich im Laufe der Zeit die innere strahlende Form des Meisters von selbst.

Frage: Kann der lebende Meister das innere Auge des Schülers bei der Initiation öffnen?

Antwort: Ja, der lebende Meister kann es und tut es, oder wie sonst könnte der Schüler durch sich eine innere Erfahrung haben? Aber er tut es nur in dem Ausmaß, das er als am besten für den Neuling ansieht. Es ist die Sache des Empfängers, wahrzunehmen und zu sagen, daß er etwas erhalten hat, und Zeug-nis abzulegen von dem, was innen ist.

Frage: Ist es notwendig, daß Initiierte üble Wesen sehen?

Antwort: Es ist unzutreffend, daß du in deinem Heim üble Wesen sehen mußt. Du soll-test dessen gewiß sein, daß diejenigen, die in die heilige Herde aufgenommen worden sind, den seltenen Vorzug der geladenen fünf heiligen Namen erhalten haben, die ein sicherer Notanker gegen alle widrigen Erscheinungen sind. Der hörbare Lebensstrom ist ein Schild für den Initiierten, und selbst der To-desengel fürchtet seine Gegenwart und kann den ergebenen Schüler des leben-den Meisters nicht überfallen.

Frage: Erklärt gütigst das Vergegenwärtigen der Form des Meisters während des Sim-ran.

Antwort: Es besteht kaum eine Notwendigkeit, sich die Form des Meisters während des Simran zu vergegenwärtigen oder vorzustellen. Jeder solche Versuch ist dazu angetan, die Aufmerksamkeit zu zerstreuen. Es gibt dabei noch eine andere Gefahr; nämlich, daß die Form, die heraufbeschworen wird, nicht echt ist, eine Widerspiegelung des Gemüts und nicht Wirklichkeit ist. Wenn einer inti-iert ist, weilt der Meister für alle Zeiten in ihm. Und das, was bereits in-nen ist, wird automatisch sichtbar werden, wenn man gänzlich und vollständig nach innen gelangt, obgleich es einige Zeit dauern mag, bis man sich der neuen Umgebung, die bis dahin unbekannt war, anpaßt. Gott offenbart sich ausgeprägter in einer menschlichen Form, in der Er wirkt, und dies ohne irgendeine Vorstellung.

 

Die Quelle des Lebens

von Bhadra Sena

Oh! das eine Leben in und um uns,
welches aller Bewegung begegnet und seine Seele wird,
Ein Licht im Ton, eine tongleiche Kraft im Licht.
                                                                    Coleridge

Das Leben ist endloser Impuls des Höchsten Wesens, das die Quelle und der Ur-sprung allen Lebens ist. Die ganze Schöpfung, sowohl die sichtbare als auch die un-sichtbare, ist eine Masse Leben, pulsierend und übersprudelnd von Lebensenergie. Sogar die sogenannte Materie in so vielen Formen, belebt und unbelebt, lebt durch die Lebenskraft in ihrem Innersten. Materie ohne Leben, gleich wieviel lebendige Kraft in ihr ist, kann aus sich selbst keine Form annehmen; denn es ist die eine bewegende Kraft, die alles zwischen Himmel und Erde erhält, hier und im Jenseits.

Es erscheint paradox, daß Leben gleichzeitig durch Bewegung und Ruhe gekennzeich-net ist. Es ist eine schwingende Aktivität an der Oberfläche und der Peripherie von allem Seienden; aber im Zentrum ist Ruhe und Stille, wenn auch hoch wirksam. Diese latente Kraft tritt ins aktive Leben ein, so ganz offenkundig und klar sichtbar für uns auf der Sinnesebene. Es sind nur die verstreuten Strahlen, die von der empfind-samen Lebensmasse ausgehen, welche die Materie empfindlich machen, indem sie ihr eine gewisse Form und Dimension, Gestalt und Aussehen verleihen, mit buntgestalte-ten Färbungen und Schattierungen über dem Ganzen, hoch und niedrig, wie es gerade kommt.

Wir, die Menschen, wie alles andere im weiten Universum, sind die Oberflächenwir-kungen der Ursache aller Ursachen, die das große Lebenspanorama lenkt, das sich vor uns ausbreitet. Alle magnetischen und elektronischen Bewegungen, die Schwerkraft und Anziehungskraft, die kreisende und elliptische Kraft, sind nichts als verschie-dene Offenbarungen des einen Lebensstroms in und außer uns, und ob wir wollen oder nicht - wir werden durch sie regiert, gleich, ob wir es wissen oder nicht.

Das ist das Kreuz des Lebensspieles, von dem wir Tag für Tag Zeuge sind. Hin und her geworfen durch Strömungen und Gegenströmungen unserer eigenen Handlungen und ihrer Reaktionen im Tätigkeitsgebiet (Karma - Khashtra) wissen wir wenig, ”von wan-nen wir kommen” und ”wohin wir gehen”. Sind wir denn das Ergebnis bloßen Zufalls und leben nur durch Zufall? Keineswegs, versichern uns die Heiligen mit Nachdruck.

Wie anders würde es mit uns stehen, wenn wir die abdeckenden Scheuklappen von unseren Augen nehmen könnten und durch den dicken Schleier der Dunkelheit dringen, der uns einhüllt, und die ziellosen Pfeile sähen, die wir unbekümmert aussenden, den Weg unseres Schicksals für die entfernte Zukunft zu bahnen.

Es ist die Vereinigung des Selbst mit dem Oberselbst, die all unseren vergängli-chen Leiden und Freuden der Welt ein Ende setzt.

Der Geist und die Macht Gottes wohnen in uns. Er ist uns näher als unsere Hals-schlagader. Er ist die Seele unserer Seele. Wir leben, bewegen uns und haben unser Sein im Meer des Himmlischen Melodischen Lichts - ”ein Licht im Ton, eine tonglei-che Kraft im Licht”, und es kann durch die Gnade dessen gewonnen werden, der den Vater kennt und von ihm Vollmacht hat, die Menschen zu erlösen.

 

Mahatma Gandhi

Freunde, warum die Gebrechlichkeit des Äußeren,
die Schwäche der Glieder beklagen?
Die Seele ist der Eroberer des Kosmos.
Wenn immer grausame Kräfte des Materialismus
die gütigen Kräfte der Spiritualität bekämpften,
zerbröckelten die ersteren und wurden mit Staub beschmiert.

Ein Knochengerüst und ein Häufchen Erde,
das sich von harten Steinmauern nicht abschrecken ließ
eine magische Berührung seiner Hand
verwandelte aufgepflanzte Bajonette in stumpfe Waffen.
Nimmt die Sonne von der dunklen Nacht eine Niederlage an?

Die Seele: die gemarterte Seele der Erde,
der verhungerten und nackten Karawane,
des wehklagenden, hilflosen Volkes,
des Gefährten der Witwe,
in den Flammen des Krieges gefangen,
geführt für die Unabhängigkeit.
Nicht gelingen soll es, diese kraftvolle Seele zu vernichten,
so, wie starkes Eisen nicht vermag, ein zartes Blatt zu ersticken.

Der Krieger, der im harten Gelände sein Leben führt,
pflegt nicht in behaglichem Schlummer zu sterben.
Er trinkt den Todesbecher, wenn ihn der Ruf erreicht,
und seine stolze Brust sich den grimmigen Geschossen gegenübersieht.

Du bist ein Verehrer der Gewaltlosigkeit!
Ein Verteidiger der Karawane der Liebe;
dein Blut gab dem Boden Farbe, gleich dem Öl,
das in immer mehr Lampen gegossen wird,
und den Pfad beleuchtet und weist,
da sich die Karawane weiterbewegt.

Darshan

(Übersetzung eines Urdu-Gedichts, geschrieben anläßlich des 100 jährigen Geburtstages (2.Oktober 1969) von Mahatma Gandhi.)

 

Die Psychologie der Meister

von Dr. George Arnsby Jones

Die moderne Wissenschaft der Psychologie ist nun alt genug, daß der zeitgenössi-sche Student einen richtigen Überblick über ihre Entwicklung bekommen kann. Eine Entwicklung vom Ende des 19. Jahrhunderts an, als sie nur ein Zweig des Materialis-mus war, bis zum heutigen Tag, wo ihre Funktion in zunehmendem Maße die einer ver-bindenden Wissenschaft zwischen Physiologie und übersinnlichen Bewußtseinszuständen zu sein scheint. Ein bekannter Wissenschaftler sagte einmal, daß “Wissenschaft im Mystizismus endet” und sicherlich haben einige idealistische Denker die wahre Auf-gabe der Psychologie darin gesehen, den Mystizismus wissenschaftlich zu machen und die Wissenschaft spirituell zu beeinflussen. Eine Studie des von der Psychglogie in diesem Jahrhundert gemachten Fortschritts zeigt mit Sicherheit, in welcher Richtung sie führt, und wird oft die heraufdämmernde Erkenntnis bestätigen, daß es nicht das Wesen wahrer Religion ist, unlogische Glaubensrichtungen aufrechtzuerhalten oder irgendeine ferne Gottheit freundlich zu stimmen, sondern durch eine Art psychologi-schen (oder inneren) Prozess, spirituelle Erkenntnis zu erleichtern. Jedoch enthal-ten sowohl die Psychologie, als auch die Praxis eines religiösen Glaubens starke Beschränkungen im Hinblick auf spirituelle Erkenntnis. Die sozialen Religionen ha-ben einen Ausdruck für die Masse gefunden, welcher fast ausschließlich auf der mo-ralischen und emotionalen Ebene ist, während der psychologische Prozess nicht ein-mal auf freie Gefühle beschränkt ist, sondern genau die Anwendung wissenschaftli-cher Gesetze des Verstandes einbegreift. Und auf der moralischen, gefühlsmäßigen und verstandesmäßigen Ebene kann spirituelle Befreiung nicht gefunden werden.

Die analytische Psychologie ist in der Öffentlichkeit ungefähr fünfundfünfzig Jahre bekannt. Psychoanalyse, analytische Therapie, Psychiatrie und so weiter, er-hielten mit dem Voranschreiten der frühen Jahrzehnte des zwanzigsten Jahrhunderts mehr und mehr Beachtung seitens der wissenschaftlichen und medizinischen Autoritä-ten. Es gab, wie es bei jeder Abwendung von gewohnten Ideen zu erwarten ist, am An-fang oft voreingenommenen und unwissenden Mißbrauch dieser Wissenschaften, aber bis in die dreißiger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts war dieser größtenteils vorbei. Fälle von Nervenerschütterungen aus dem 1. Weltkrieg lenkten die Aufmerksamkeit der Mediziner auf die Tatsache, daß negative Gefühle der Angst und Sorge auf sonst ge-sunde Körper zerstörend wirken können. Andererseits wurde auch die Tatsache bewie-sen, daß viele physische Leiden, die auf physische Behandlung nicht reagieren, auf mentale Behandlung ansprechen.

Sigmund Freud, der große österreichische Begründer der Psychoanalyse, baute eine psychische Grundlage menschlicher Beweggründe und Verhaltensweisen auf, durch sorg-fältige Beobachtung der Symptome seiner Patienten und ihrer Heilung über eine Reihe von Jahren. Freud benützte den Terminus ”Libido”, um das zu benennen, was nach sei-der Ansicht den allgemeinen Antrieb zur Handlung darstellt, der allen Menschen gleich ist; dies stützte er auf den Geschlechtstrieb in einer seiner vielen Formen, aber spätere Forscher haben diese Grundlage erweitert. Freuds Erklärungen, die von der Allgemeinheit nicht genau verstanden wurden, lösten einen Sturm hysterischen Protests aus, der von der völlig mißverstandenen Annahme ausging, daß Dr. Freud mit ”Geschlechtstrieb” Unmoral meinte. Freuds Werk entstand, bevor die spätere Wissen-schaft offiziell den Materialismus des neunzehnten Jahrhunderts ablegte, und so machte seine Theorie aus ”Energie” eine Funktion des Sexuellen anstatt das Sexuelle eine Funktion der ”universalen Energie” zu nennen.

Carl Jung und Alfred Adler, ursprünglich Freuds führende Schüler, ergänzten und änderten später die Theorien und Praktiken ihres Lehrers. Adler legte der ”Libido” den ”Willen-zu-Macht-und-Wachstum” zugrunde, und Jung betrachtete sie als eine Form kosmischer Energie. Jungs Theorie hielt sich mehr an die Erkenntnisse der Physik des 20. Jahrhunderts, die im Grunde besagten, daß jede Form physischer und mentaler Existenz in Wirklichkeit in einer oder anderer Weise differenzierte universale E-nergie sei. Das Ideal, gröbere Energieformen zu verfeinern, sie zu veredeln und sie zum Guten anstatt zur Zerstörung zu nützen, ist ein wichtiges Ideal, das aus der Psychologie hervorging, und dieses Ideal ist es, das der Behauptung des Wissen-schaftlers, daß ”Wissenschaft im Mystizismus endet”, Gültigkeit verleiht. Die Wis-senschaft endet tatsächlich in einer Form von Mystizismus (wenn auch nicht in der höchsten), da das Individuum durch die ständige Verfeinerung seiner Energien und die Lösung aus den Schlingen der Wünsche und der sinnlichen Verwicklungen eine Art mystischer Kenntnisse erreichen kann. So viel wurde durch Tausende von Jahren in den Lehren der früheren Mystiker bestätigt.

Henri Bergson, der französische Philosoph, entwickelte die oben genannten Ideen seiner Lehre von der ”schöpferischen Evolution”, in welcher er einen Strom univer-salen Lebens andeutet (eine Art universaler ”Libido”), der sich ununterbrochen in viele Formen ergießt, mit der zugrundeliegenden kosmischen Absicht der schließli-chen vollkommenen Veredelung als Ziel. Dieser Gedanke kommt der Wissenschaft der Adepten der Mystik nahe, dadurch daß er eine spirituelle Befreiung (oder Verede-lung) als das Ende der physikalischen Evolution ansieht. Seit der Blütezeit solcher Denker wie Freud, Jung und Bergson, ist der extreme Materialismus als Philosophie verschwunden, obwohl es eine Zeit dauert, bis die Nachricht davon alle Bereiche menschlichen Denkens erreicht. Nur Vorurteile stehen jetzt noch einer allgemeinen Erkenntnis einer, dem Leben zugrundeliegenden spirituellen Wirklichkeit, im Weg, die sich selbst allumfassend auf drei Hauptebenen zum Ausdruck bringt:

  1. spirituell
  2. verstandesmäßig-gefühlsmäßig und
  3. physisch oder chemisch.

Menschliche Vorurteile verschwinden sehr langsam, und das Gewohnheitsdenken des vorprogrammierten, computer-ähnlichen menschlichen Verstandes stellt immer noch den größeren Teil mentaler Aktivität der Menschheit dar. Erworbene Interessen, aufge-baut um alte Gebräuche und Aberglauben, kämpfen bis zum letzten Blutstropfen, um ihre ”biblischen Wahrheiten” und Dogmen aufrechtzuerhalten, aber die Wahrheit wird sich im Bewußtsein des hochstrebenden Individuums, welches wissen m u ß, was die innere Wahrheit des Lebens ist, immer durchsetzen. Heute ist es möglich, als prak-tizierender und erfahrener Mystiker in der äußeren Welt zu leben. Und die höhere Psychologie der Adepten der Mystik zeigt, daß der mystische Weg mit aufrichtiger Seltstanalyse beginnt und weiterführt mit der zunehmenden Ausmerzung des wesenlosen Ballasts von Gemüt und Materie, bevor sich die Seele mit der Wirklichkeit des hei-ligen ”Shabd” verschmelzen kann. Von diesem Endpunkt aus ist die 5eele befreit und schwingt sich auf zu ihrer wahren Heimat. Es heißt, daß ein ”Sadh” durch fort-schreitende Selbstanalyse und Selbsterkenntnis geschaffen wird und daß ein ”Sant” durch Gotterkenntnis geschaffen wird.

Die Möglichkeit, die spirituelle Wahrheit einzig mit Sinneserkenntnissen zu ver-binden und höhere Erkenntnis auszuschließen, kann heute nicht länger akzeptiert werden. Tatsächlich sind viele Psychologen zu dem Schluß gekommen, daß unmittelbare Erkenntnisse der Seele letztlich schneller und genauer in ihrem Zugang zur Wahrheit sind, als Erkenntnisse der Sinne - eine Tatsache, die den Adepten der Mystik immer bekannt war. Der Verstand kann nur ein Brennpunkt für die Wahrheit sein, wenn er ein Diener der erleuchteten Seele ist. Der springende Punkt ist natürlich, daß die Verfeinerung der mentalen Kräfte zuerst stattfinden muß, und dies wird durch den Prozess des ”simran” erreicht. Die Adepten der Mystik haben stets gelehrt, daß Fortschritt in Richtung auf die Wahrheit erreicht wird, indem man lernt, das wirk-liche ”Selbst” nicht mit dem unbeständigen physischen Körper gleichzusetzen, oder mit der Wunsch-Natur oder dem Gemüt, sondern nur mit dem göttlichen Funken, welcher der ”atman” ist, das wahre Sein des Menschen.

Es war notwendig, einige der Grundfakten der modernen Psychologie aufzuzeigen, um zu demonstrieren, daß die höhere Psychologie der Satgurus vollkommen rational im westlichen Sinne ist. Wir können diesen Prozess, die Psychologie in den praktischen Mystizismus zu erweitern, als den ”Weg der Initiation” bezeichnen, den mystischen Weg, durch den der Strebende das ewige Leben in den Tiefen seines eigenen Seins findet, indem er sich in die Wasser des Lebens, den hörbaren Lebensstrom, vertieft und alles in seiner eigenen Natur austilgt, was unwahr und unbeständig ist. Der Yo-ga des Hörbaren Lebensstroms legt den Weg der Initiation allen wahrhaft strebenden Seelen dar, und die Psychologie der Adepten der Mystik ist der zeitlose Ausdruck der höchsten spirituellen Wissenschaft durch das innere Bewußtsein und endet mit der Methode der Selbsterkenntnis und Gotterkenntnis. Die ”Satgurus” heben den spi-rituellen Pfad der selbstvergessenen Hingabe an Gott und Befolgung der spirituellen Vorschriften ausdrücklich hervor. In für Christen geläufigen Werten ausgedrückt: Jesus der Galiläer kam, um ”Sünder zu erretten”, das heißt, den Weg der Initiation zu öffnen für jene, die als Tiere betrachtet wurden, und ihnen ”ewiges Leben” zu geben. ”Alle, die an ihn glauben (an die ”Christuskraft” oder das Wort) werden nicht verloren gehen, sondern das ewige Leben haben”, (das heißt, sie werden nach dem Tode nicht mit der unbeständigen Wunsch-Natur vergehen und im Rad der Geburten und Tode weitertreiben, sondern spirituell befreit werden in das volle Bewußtsein des Ewigen).

So hatte die Priesterschaft seiner Zeit Jesus töten lassen, weil er eine esote-rische Lehre, daß das ”Reich Gottes im Menschen” liegt, öffentlich verkündet hat. Beamte, die das Römische Reich vertraten, wurden eingeführt, um das wirkliche Recht zu verdrehen, entsprechend einer damals gepflegten Sitte, wenn jemand gerichtlich getötet werden mußte, um die Ruhe sicherzustellen. Die Nachfolger Jesus führten nach seiner Hinrichtung diese besondere Lehre fort, und als Folge davon wurde eine Verfolgungskampagne eingeleitet. Es wurde in späteren Jahrhunderten offensichtlich, daß viel von der ursprünglichen Weisheitslehre des Galiläers geändert und ”neu aus-gelegt” wurde durch mehr weltkluge, jedoch weniger spirituell bewegte Nachfolger des christlichen Meisters. In Wirklichkeit kann die Evangeliumsgeschichte des Le-bens Jesu weit mehr spirituellen Sinn und spirituelles Verstehen offenbaren, als die traditionelle Theologie aufzeigt. Von ihren buchstabengemäßen und geschichtli-chen Beschränkungen befreit, kann die Geschichte Jesu als eine geschriebene Illust-ration der kosmischen Tatsache spiritueller Evolution in strebenden Menschen gesehen werden. Dieser spirituell-psychologische Prozess der Selbsterkenntnis wird symbolisch durch die wichtigsten christlichen Feste vertreten:

  1. Die Geburt
  2. Die Taufe
  3. Die Verklärung
  4. Die Kreuzigung und Auferstehung
  5. Die Himmelfahrt

In Begriffen des ”Surat-Shabd Yoga” symbolisieren die ersten vier christlichen Feste die vier Stufen, die aufeinanderfolgen, beginnend mit der ”Umkehr” (Initiati-on) bis zur ”Erleuchtung” (Verwirklichung wahren spirituellen Bewußtseins). Das fünfte Fest, die Himmelfahrt, symbolisiert die vollkommene spirituelle Befreiung der Seele, durch die für den ”atman” ein Kreislauf des Überbewußtseins auf der fünften inneren Seinsebene beginnt, die weit über der normalen menschlichen Fas-sungskraft liegt.

Diese fünffache Folge im Leben Jesu, dargestellt in den fünf Festen des Chris-tentums, kann verglichen werden mit den Stationen der Seele bei ihrem spirituellen Aufstieg:

1. Die Geburt: Die erste Geburt der Seelen-Bewußtheit zur Zeit der Initiation durch den Adepten der Mystik.

2. Die Taufe: Die Reinigung der Seele in den Lebendigen Wassern von ”Shabd”, dem hörbaren Lebensstrom, dem ”Wort”.

5. Die Verklärung: Die völlige Lossagung vom niedrigeren Selbst und seiner Bin-dungen von Gemüt und Materie; das Wissen um die Identität des ”atman”.

4. Die Kreuzigung und Auferstehung: Das Sterben des niedrigen Selbst am ”Kreuz der Kausalität”, und das Erscheinen des strahlenden ”atman”, der nun den kau-salen Plan der Schöpfung durchquert hat.

5. Die Himmelfahrt: Das Aufsteigen des ”atman” nach ”Sach Khand”, der Wahren Heimat vollkommenen spirituellen Seins.

Wenn der Mensch wirklich bis zu seinem inneren Kern niedergebrannt ist durch Leiden oder andere Umstände, die ihn erkennen ließen, daß das weltliche Leben auf der Sinnesebene in seinem scheinbaren Glück bittere Stellen aufweist, und daß seine sogenannten Freuden und Hochgefühle alle die Samen von Schmerz und Sorge in sich tragen, beginnt er gewöhnlich danach zu streben, daß spirituelle Leben zu führen, denn im Augenblick, wo er damit anfängt, beginnt er etwas wirklich Befriedigendes zu finden. Wenn er den Pfad der höchsten spirituellen Wissenschaft einschlägt, durchquert er die vier oben geschilderten Stadien. Im mystischen Sinne des christ-lichen Evangeliums trifft er seine Wahl, Christus nachzufolgen auf dem Weg von Bethlehem nach Golgatha, in anderen Worten, er erreicht die ”Erkenntnis des Sohns Gottes und wird ein willkommener Mann, der da sei im Maße des vollkommenen Alters Christi.” (Eph. 4,13)

Durch diese spirituellen Ebenen in ihrer Ganzheit zu reisen, würde notwendiger-weise viele physische Leben auf der Erde in Anspruch nehmen, denn sogar für den spirituellsten Menschen ist es schwierig, vom Leben der Unwissenheit auf der Sin-nesebene in das ”vollkommene Alter Christi” zu gelangen, obwohl das vielleicht für solche möglich ist, ”die an ihn glauben”, das heißt, vollkommen auf seinem Pfad nachfolgen. Jedoch die ”Satgurus” sagen, daß die höchste spirituelle Wissenschaft es dem Strebenden ermöglicht, dieses Ziel in einer Lebenszeit zu erreichen, wenn er die spirituellen Anweisungen und Gebote des lebenden ”Satguru” befolgt. Das erste Gebot für den Aspiranten heißt: ”Sei vollkommen, wie dein Vater im Himmel vollkom-men ist.”

Die Psychologie der Adepten der Mystik, die Lehre der ”Satgurus”, besagt, daß der Mensch im Grunde ”vollkommen ist, wie sein Vater im Himmel vollkommen ist”, denn die Seele ist der wirkliche Mensch, und die Seele ist ein Funken der unendli-chen Quelle, ein Tropfen aus dem Meer allen Seins. Und in der Seele, im spirituel-len ”atman” selbst, ist alle Bewußtheit. Nichts, das niedriger ist als die Seele, besteht und ist von endgültigem Wert, denn selbst der Verstand ist automatisch und mechanisch in seiner Tätigkeit. Wenn es nicht für den vorübergehenden Aufenthalt der Seele in den Welten der Kausalität erforderlich wäre, gäbe es keine Notwendig-keit für das Werkzeug des Körpers und des Verstandes. Wahrlich, wenn einer die hohe Wissenschaft der Adepten der Mystik geprüft hat, kann er die nachfolgenden Worte des Bischofs Clemens von Alexandrien mit voller Überzeugung zitieren:

”Wahrlich heilige Mysterien! Reines Licht! Im Licht der Fackeln fällt der Schleier, der Gottheit und Himmel bedeckt. Ich bin jetzt heilig und ich bin ein Initiierter.”

Kabir: die Hütte des Heiligen ist behaglich;
die Villa, die der üble Mensch besitzt, ist ein Schmelzofen.
Möge das Feuer auf diese stolzen Wohnungen einwirken,
wo der Name des heiligen Herrn nicht gehört wird!

Kabir

 

Die Wahrheit

Die Wahrheit liegt in dir, in jedermann. Ohne diese Wahrheit können wir nicht für eine Sekunde leben. Genauso wie die Sonne an Himmel ist, aber ihre Strahlen die Erde erhellen, ähnlich ist die Wahrheit in uns - in der Stirne, hinter dem Au-genbrennpimkt - doch ihre Strahlen aktivieren den ganzen Körper. Wenn wir unsere Aufmerksamkeit am Augenbrennpunkt festhalten könnten, würde unsere Aufmerksamkeit fähig sein, die Wahrheit zu begreifen. Solange die Aufmerksamkeit im Körper oder außerhalb des Körpers, in der Welt draußen zerstreut ist, ist unser Gesicht von der Wahrheit abgewandt.

Hazoor Sawan Singh Ji Maharaj

 

Uralte Weisheiten

Hier sind einige Lebensweisheiten, die ewige Gültigkeit haben. Laßt uns jeden Tag eine zum Nachdenken mahnen und die Wahrheit, die in ihr steckt, in unserem Leben widerspiegeln. Wir müssen natürlich wachsam sein, daß wir sie nicht durch einen spitzfindigen Zusatz vermischen und verdrehen, um sie unserer alltäglichen Bequem-lichkeit anzupassen.

Liebe fordert niemals, sondern gibt immer. Liebe duldet alles, trägt nichts nach, rächt sich niemals.

Dein Leben ist ausgefüllt durch Meditation, Mitleid und Dienen.

Ordne dein Haus, denn du wirst sterben.

Sei klüger als andere Leute, wenn du kannst, aber sage es ihnen nicht.

Der höchstmögliche Stand moralischer Kultur ist, wenn wir erkennen, daß wir unsere Gedanken unter Kontrolle halten sollten.

Das Heilmittel gegen Schwäche ist nicht über Schwäche nachzugrübeln, sondern an Stärke zu denken. Unterrichte die Menschen von der Kraft, die schon in ihnen liegt.

Trägheit ist nur die Zuflucht schwacher Geister.

Ein Mensch ohne Glauben ist wie ein Wassertropfen, der aus dem Ozean herausgeworfen und dem Verderben preisgegeben ist.

Kein junger Mensch glaubt, daß er je sterben würde.

Gott hilft, wenn man sich geringer fühlt, als der Staub unter den Füßen.

Tu‘ recht und gut, und laß die Welt untergehen.

Du sollst sein wie Götter, wissend um Gut und Böse.

Was Gott gefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden.

Ein Mensch von wenig Worten wird kaum gedankenlos in seiner Rede sein, er wird je-des Wort abwägen.

Die Wahrheit wird dich frei machen.

Ein fröhliches Herz führt zu froher Haltung.

Mit unseren Leidenschaften ist es wie mit Feuer und Wasser, sie sind gute Diener, aber schlechte Herren.

Man sollte nicht essen, um den Gaumen zu erfreuen, sondern nur, um den Körper in Gang zu halten.

Und hilf uns heute und jeden Tag, mehr danach zu leben, wie wir beten.

Strebe immer nach völliger Harmonie von Gedanken, Worten und Taten.

Nimm dir nichts Schweres zu Herzen, schiebe es weg und denke an das letzte Ziel.

Weisheit bedeutet die Verfolgung der besten Ziele mit den besten Mitteln.

Das Eingeständnis von Irrtümern ist wie ein Besen, der den Schmutz wegfegt und die Oberfläche reiner als vorher hinterläßt.

Lege uns das Rüstzeug des Lichtes an, jetzt in der Zeit dieses irdischen Lebens.
Denn du bist Staub, und du wirst wieder zu Staub werden.

Ohne Gebet gibt es keinen inneren Frieden.

Ein Mensch, der das Leid fürchtet, leidet schon an dem, was er fürchtet.

Wenn wir keine Fehler hätten, fänden wir kein solches Vergnügen daran, sie bei an-deren festzustellen.

So lehre uns, unsre Tage zu zählen, daß wir unsere Herzen der Klugheit zuwenden.

Hab‘ Erbarmen mit uns Erdenwürmern.

Die Verfolgung der Wahrheit ist wahre Hingabe (bhakti).

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