STROPHE 25

 

                        Sein Wohlwollen ist mannigfach, und niemand kann es

                        aufzeichnen;

                        Er gibt alle Dinge und verlangt nichts dafür zurück.

                        Zahlreiche Krieger gibt es, die Bettler sind an Seiner Tür,

                        und viele andere mehr, die man nicht zählen kann.

                        Viele sind es, die Seine Gaben mißbrauchen und

                        der Sinnlichkeit frönen;

                        und viele, die Seine Wohltaten empfangen, verleugnen Ihn.

                        Viele sind der Toren, die nur essen und genießen

                        und dabei nicht an den Spender denken.

                        Und viele liegen darnieder, von Hunger, Not

                        und Schmerz geplagt, die ebenfalls

                        Deine Gaben sind, o Herr.

                        Knechtschaft und Erlösung, beides ist nach

                        Seinem Willen;

                        und kein anderer hat dabei etwas zu sagen.

                        Sollte einer wagen, etwas zu behaupten,

                        wird er bald Grund haben,

                        seine Unbesonnenheit zu beklagen.

                        Er weiß alles und gibt dementsprechend;

                        aber wenige sind es, die das erkennen.

                        O Nanak, wem Er Seine Gnade der himmlischen Musik

                        verleiht, der ist der König der Könige.

 

Hier verweist Guru Nanak auf die Einzigartigkeit der Attribute Gottes. Nicht nur Er ist einzigartig und unvergleichlich, sondern auch Seine Regenten (die Meisterseelen), die das unschätzbare Gut Seines heiligen Wortes weitergeben. Viele haben zu Seinem Ruhme gesungen, und noch Unzählige werden kommen, die das gleiche tun. Dennoch war der Allmächtige immer unbeschreiblich, ist es jetzt und wird es immer bleiben.

 

STROPHE 26

 

                        Unvergleichlich1) sind Seine Attribute und

                        unschätzbar1) Seine Werke.

                        Unvergleichlich sind Seine Händler und unschätzbar

                        Seine Güter und Seine Vorräte.

                        Unvergleichlich sind die Kunden, welche kommen,

                        und unschätzbar die Waren, die sie kaufen.

                        Unvergleichlich ist Seine Liebe und unvergleichlich

                        jene, die in ihr aufgehen.

                        Unvergleichlich ist Sein Gesetz und unvergleichlich

                        Sein Gericht.

                        Unvergleichlich sind die Waagschalen Seiner

                        Gerechtigkeit und unvergleichlich das angelegte Maß.

                        Unvergleichlich ist Sein Großmut, unvergleichlich

                        Seine Gunst.

                        Unvergleichlich Seine Barmherzigkeit und unvergleichlich

                        Seine Gebote.

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1) Das Wort, das an dieser Textstelle im Original gebraucht wird, ist „Amul“, Es ist schwierig, es exakt mit nur einem Wort in einer anderen Sprache wiederzugeben. Wörtlich bedeutet es „unschätzbar“, wird aber häufig als „unvergleichlich“ gebraucht. Demgemäß fand in der Übertragung beides Verwendung.

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Wie unvergleichlich! Wie unschätzbar!

                        Wer vermag Ihn zu beschreiben?

                        Seine Ergebenen, die zu Seinem Ruhme sangen,

                        verfielen in Schweigen;

                        und so auch die Veden, die Puranas und die Gelehrten.

                        Die Brahmas und Indras singen von Ihm,

                        und die Gopis2) und Govind3) tun das gleiche.

                        Siva und die heiligen Siddhas4) rühmen Ihn.

                        Die Sterblichen wie die Unsterblichen, alle singen

                        zu Seinem Ruhm.

                        Unzählige sprechen von Ihm, und unzählige machen

                        den Versuch.

                        Unzählige mehr sind dahingeschieden, indes sie von

                        Ihm sangen.

                        Doch Er ist und bleibt unbeschreiblich.

                        Der Mensch kann Ihn nur erblicken, wenn Er sich ihm

                        enthüllt.

                        O Nanak! Erkenne Ihn als den einzig Wahren.

                        Und jene, die Ihn zu begreifen vorgeben,

                        sind sicher die Dümmsten unter den Menschen.           

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2) Gopis oder Hirtenmädchen - die mythischen Bewunderer von Lord Krishna oder Govind - von denen gesagt wird, daß sie unermüdlich darin waren, seinen Ruhm zu besingen.

3) Siva: eine bedeutende Hindu-Gottheit.

4) Siddhas: entwickelte Seelen, d.h. Weise und Seher.

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Nanak entwirft nun in hoher lyrischer Sprache ein Bild von Gott, der von Seiner Wohnstatt aus über Seinen vielen Schöpfungen wacht, die sich vor Ihm in Ehrfurcht neigen.

 

STROPHE 27

 

                        Wie wunderbar ist Deine Pforte, wie wunderbar Deine

                        Wohnstatt,

                        von der aus Du über Deine große Schöpfung wachst.

                        Zahllos sind die Instrumente und Harmonien,

                        die darin erklingen;

                        zahllos die Takte und zahllos die Sänger,

                        die Deine Herrlichkeit preisen

                        Die Elemente - Wind, Wasser und Feuer -

                        singen von Dir,

                        und von Dir singen der König des Todes

                        und die ihm berichtenden Engel1).

                        Dir singen die Götter und Göttinnen,

                        denen Du ihre Schönheit gabst.

                        Dir singen Siva, Brahma und auch Indra

                        von seinem Thron.

                        Dir singen die Siddhas in ihren Meditationen

und Sadhs in ihrer Betrachtung;

                        Dir singen die Asketen, die Rechtschaffene,

                        die Zufriedenen und die Heldenmütigen nicht minder.

                        Dir singen die gelehrten Pandits und die Rishis

                        zu aller Zeit

                        und rezitieren aus den heiligen Veden.

                        Dir singen die herzbestrickenden Nymphen des Himmels,

                        der Erde und der niederen Reiche.

                        Dir singen Deine Edelsten (die Heiligen)

                        und dazu die achtundsechzig Pilgerorte.

                        Die singen die mächtigen Krieger, die tapferen

                        Helden und alle lebenden Geschöpfe2).

                        Dir singen die irdischen Regionen, die Himmel

                        und die Universen, erschaffen und erhalten durch Dich.

                        Auch jene, die Dir wohlgefallen, singen Dir zum Ruhme

                        und sind gesättigt in der Liebe und Hingabe zu Dir.

                        Und es sind unzählige mehr, die Dir lobsingen,

                        derer man sich nicht einmal besinnen kann;

                        alle liegen jenseits von Nanaks Gesichtskreis.

                        Er ist und bleibt allein der ewig seiende Herr.

                        Er ist die Wahrheit, und wahr ist Sein heiliges Naam.

                        Er ist und wird in alle Ewigkeit sein.

                        Er, der alle Schöpfungen gebar, wird niemals vergehen,

                        wenn auch die Welten schwinden.

                        Er, der die Natur mit all ihren Farben und Formen schuf,

                        schaut auf Sein Werk, wie es Seiner Größe ziemt.

                        Er ist der höchste Meister und tut,

                        was ihm gefällt.

                        Er ist der König der Könige, der Allmächtige Herr -

                        und uns, o Nanak, bleibt nur,

                        in Seinem Willen zu beharren.

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1) Dharam Raj: Hüter des Gesetzes, der das Urteil spricht, wenn die Seelen den Körper verlassen haben, und dies ihren Taten gemäß, die von Chitr und Gupt, den beiden berichtenden Engeln, niedergeschrieben sind.

2) Khanis: Hier bezieht sich Nanak auf die vier Khanis oder Kategorien der lebenden Geschöpfe hinsichtlich der Art ihrer Geburt, z.B. Andaj, solche, die aus Eiern geboren sind, wie Vögel, Schlangen, Fische usw.; Jeraj, solche, die aus dem Foetus (der Leibesfrucht) geboren sind, wie Menschen und Tiere, Utbhaj, solche, die aus der Saat aufkeimen, wie Bäume, Sträucher und die übrigen Pflanze; Setaj, solche, die aus Schweiß, Schmutz usw. gewachsen sind, wie Läuse und Gewürm usw.

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Nun wendet sich Nanak von seiner Betrachtung des Allmächtigen ab und konzentriert sich auf die Art des Lebens, die erforderlich ist, um Seine Pforte zu erreichen.

Zu seiner Zeit war der Hinduismus zu bloßem Ritualismus und Kastengeist herabgesunken. Die Riten waren geblieben, aber der Geist war verloren. Die Welt wurde als die Wurzel allen Übels betrachtet, und ein Yogi zu werden und bestimmte festgelegte Praktiken zu verfolgen, wurde als das einzige Mittel zur Erlösung angesehen.

 

Nanak weist auf die Unzulänglichkeit einer solchen Ansicht hin und betont nachdrücklich, daß es die innere Schulung ist und nicht die äußeren Regeln, die echten spirituellen Fortschritt nach sich zieht. Statt der hölzernen Ohrringe und des Bettelsackes der Yogis empfiehlt er Genügsamkeit, Selbstachtung und Anstrengung; statt den Körper mit Asche zu beschmieren, Umhang und Stab zu nehmen, empfiehlt er Meditation, Todesbereitschaft und Zuflucht zu den Lehren eines lebenden Meisters. Erlösung ist nicht das Monopol der sogenannten Yogis. Sie ist nur unter bestimmten spirituellen Voraussetzungen möglich, und diejenigen, welche sie erlangen, können den Höchsten erreichen, auch wenn sie keine Yogis sind; umgekehrt können jene, die zwar äußerlich Yogis sind, aber diese Voraussetzungen nicht erfüllen, niemals Gottes Tür erreichen. Diese spirituellen Voraussetzungen verlangen nicht nur eine strenge innere Schulung, sondern eine universale Lebensauffassung - eine Einstellung, bei der man alle als ebenbürtig betrachtet und in allem Seine Hand sieht.

 

STROPHE 28

                        Möge Genügsamkeit euer Ohrring sein

                        und Streben nach dem Göttlichen und Achtung

                        für das höhere Selbst euer Beutel.

                        Ständige Meditation über Ihn sei eure Asche.

                        Bereitschaft für den Tod soll euer Umhang sein,

                        und euer Körper sei wie eine reine Jungfrau.

                        Eures Meisters Lehren mögen der Stab sein, der euch stützt.

                        Höchste Religion1) ist, sich zur Universalen

                        Bruderschaft2) zu erheben,

                        ja, alle Geschöpfe als euresgleichen zu betrachten.

                        Besiegt euer Gemüt; denn Sieg über das Ich

                        ist Sieg über die Welt.

                        Heil3), Heil Ihm allein,

                        dem Ersten, Reinen, Ewigen, Unsterblichen

                        und allezeit Unvergänglichen.

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1) Aa-ee Panthi: die höchste Yogi-Sekte

2) Sagal-Jamati: klassenlose Klasse oder eine Klasse, die keinen Unterschied macht unter den Schülern, die aus allen Glaubensrichtungen kommen und in Liebe und Wohlwollen zusammen zu den Füßen eines Meisters sitzen.

3) Aa-des ist ein zusammengesetztes Wort, das aus Aadi (der Erste) und Eesh (Gott) besteht; es ist auch eine Grußform unter den Yogis.

 

Nanak empfiehlt, die äußeren Praktiken der Yogis durch innere spirituelle Schulung zu ersetzen und legt nahe, göttliches Wissen zu unserer Speise zu machen (der Mensch lebt nicht vom Brot allein); er schärft Nächstenliebe und Barmherzigkeit ein und sagt, daß wir uns auf die Musik des göttlichen Wortes abstimmen müssen.

Nanak nimmt auch die Gefahren vorweg, die einem auf der spirituellen Reise begegnen. Nicht nur Reichtum ist ein Hindernis, sondern auch die Kraft, die man durch Selbstdisziplin und spirituellen Teilerfolg gewinnt, kann zum Hemmnis auf dem Weg der weiteren Verwirklichung werden. Man beginnt mit diesen verborgenen Kräften zu praktizieren, und wenn man in sie vertieft ist, neigt man dazu, das wirkliche Ziel darüber zu vergessen. Daher warnt uns Nanak vor dieser Möglichkeit. Wir dürfen nicht ruhen, schwanken oder abschweifen, wenn wir einmal die Reise zu Gott begonnen haben.

 

STROPHE 29

                        Möge göttliches Wissen dein Brot1) sein,

                        möge Barmherzigkeit dein Aufwärter1) sein;

                        die in allem vibrierende göttliche Musik

                        sei deine Trompete1).

                        Er ist der einzige Herr2) und hat die Schöpfung

                        nach Seinem Willen geschaffen.

                        Reichtum3) und übernatürliche Kräfte4)

                        entfremden uns dem Herrn.

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1) Der Hinweis bezieht sich auf die symbolischen Rituale der Yogis. Wenn ihre Speise bereit ist, bläst der Aufwärter die Trompete, um die Yogis zusammenzurufen, damit sie daran teilhaben. Während sich Nanak an sie wendet, ruft er alle auf, zum Ziel zu gelangen und die Gottheit oder das Brot des Lebens zu kosten, indem sie sich mit dem heiligen Wort verbinden, das in allen erklingt und die Gläubigen zum spirituellen Mahl ruft.

2) Nath: Die Yogis neigen sich vor Gorakh Nath, ihrem Lehrer. Aber Nanak rät ihnen, nur einen Nath oder Meister anzuerkennen, der über die ganze Schöpfung herrscht.

3) Ridh: bedeutet Reichtum.4) Sidh: Das im Original gebrauchte Wort ist „Sidh“, d.h. „zu vervollständigen“. Gewöhnlich wird es gebraucht, um die Beherrschung übernatürlicher Kräfte anzudeuten. Nanak lehnt nicht nur Reichtum ab, sondern auch den Gebrauch dieser Kräfte als Hindernisse auf dem Pfad.

 

                        Die ganze Welt bewegt sich nach den zwei Prinzipien

                        der Vereinigung und Trennung5),

                        und alle erhalten ihren Anteil,

                        wie Er es bestimmt.

                        Heil, Heil Ihm allein,

                        dem Ersten, Reinen, Ewigen, Unsterblichen

                        und allezeit Unveränderlichen.

 

Nachdem Guru Nanak von den Mitteln zur Erlösung gesprochen hat, wendet er seine Aufmerksamkeit nun dem Wirken von Gottes Schöpfung zu. Das Universum bewegt sich nach drei Prinzipien, welche die Schöpfung, die Erhaltung und die Auflösung betreffen. Alle diese Prinzipien wirken nach Seinem Willen und sind lediglich seine Mittler. Aber obgleich Gott über diesen Mittlern wacht, können sie ihn, den Subjektiven und Formlosen sonderbarerweise nicht erkennen, da sie ein Teil der objektiven Schöpfung sind.

 

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5) Sanjog und Vijog: Diese Worte wurden im Original für die beiden Prinzipien der Trennung und Vereinigung verwandt, durch die sich das Spiel des Herrn entfaltet. Durch Gottes Ratschluß ist der Mensch, der von Ihm getrennt lebt, in die Welt der Handlungen geboren. Hier wird er in den menschlichen Irrtum verstrickt, der darin besteht, sich an die sinnenhaften Phänomene der Welt zu binden. Solange er sich der Gottheit bewußt bleibt, welche die Welt durchdringt, lebt und besteht er in Ihm. Wenn ihn aber sein kleines Ego vom Herrn abschneidet, er seine Unabhängigkeit erklärt und die Rolle des aktiv Handelnden annimmt, ist er unwissentlich in der Seelenwanderung oder dem Kreislauf der Geburten und Tode gefangen. Im irdischen Leben leidet er Not und Schmerzen, bis er sich durch seinen ihm angeborenen Wunsch nach Frieden selbst erneuert (wiedergebiert) und dafür arbeitet. Dies führt ihn dahin, die Wiedervereinigung mit dem Schöpfer zu suchen, dem Urquell beständiger Freude und Frieden.

 

Wenn dieses Prinzip der Auferstehung und Wiedervereinigung im Menschen nicht wäre, gäbe es kein Erwachen und keinen spirituellen Fortschritt, und das mächtige und prächtige Spiel der Welt würde zunichte werden. Somit bewirkt das zweifache Prinzip von Vijog (Trennung von Gott) und Sanjog (das innewohnende Verlangen nach der Wiedervereinigung mit Ihm) den Lauf der Welt.

 

                        „... und ruhelos ist unser Herz,

                        bis es Ruhe findet in Dir.“

                                                                                              Augustinus

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STROPHE 30

                        Die Große Mutter1) empfing und brachte drei Regenten

                        hervor:

                        Als ersten den Schöpfer, als zweiten den Erhalter

                        und als letzten den Zerstörer.

                        Was Er will, vollbringen sie.

                        Sie wirken unter Seinem Willen.

                        Doch groß ist das Wunder; denn obgleich Er über ihnen

                        wacht, erblicken sie ihn nicht.

                        Heil, Heil Ihm allein,

                        dem Ersten, Reinen, Ewigen, Unsterblichen

                        und allezeit Unveränderlichen.

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1) Maee: Dieses Wort im Original kann sowohl Mutter als auch Maya (die täuschende Materie) bedeuten. Nanak bezieht sich auf beide und betrachtet hier Maya als Mutter, die drei Söhne geboren hat, welche die drei Prinzipien symbolisieren, die ihren Bereich aufrechterhalten. Es sind die drei Gottheiten, welche die Trinität darstellen: Brahma, Vishnu und Siva, bzw. Schöpfer, Erhalter und Zerstörer. Aber sie alle wirken nur unter Seinem Willen und haben nichts unabhängig zu befehlen. Deswegen empfiehlt Nanak die Verehrung des Höchsten allein und nicht die der Götter und Göttinnen einer niedrigeren Ordnung.

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Und nun kommt Nanak nochmals auf den Allmächtigen Schöpfer zurück. Er hat Seine erhabene Wohnstatt in den verschiedenen Ebenen der ganzen Schöpfung. Welche Anordnungen Er auch immer getroffen hat, sie sind entscheidend und endgültig. Er hat in allen Bereichen dauerhafte Gesetze geschaffen, durch welche die Schöpfung in Gang gehalten wird. Er ist die unveränderliche Beständigkeit.

 


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