4. Liebevolle Bescheidenheit (Liebe für alle) Demut und Bescheidenheit ist eine Zierde der
Heiligen. Dies erhebt sie in den Augen von Menschen und Gott. Ein echter
Meister-Heiliger sieht Gottes Licht in jedem Augenblick, und es ist kein
Wunder, daß er dem Schüler auf ebenbürtiger Ebene begegnet und ihn wie sein
Eigen behandelt. Genau wie sich ein fruchtbeladener Ast durch das Gewicht
seiner Früchte stets nach unten neigt, so ist es auch beim Meister durch das
Gewicht der göttlichen Schätze, die er in sich trägt. Er begegnet allen, die zu
ihm kommen, um an seinem Reichtum teilzuhaben und den Pfad zu betreten, der zur
ewigen Heimat des Vaters führt, voller Liebe, ungeachtet aller sozialen und
religiösen Erwägungen. „Dienen vor Eigennutz“ ist eine seltene Gabe.
Wenn dasselbe „Selbst“ in jedem lebenden Geschöpf wirksam ist, sollte man
eigentlich Freude im Dienst an der eigenen Sache haben. „Selbst“ und „Dienen“
sind nur zwei Aspekte der Gottheit. Dieses Verstehen der allumfassenden Natur
des Universums mit seinen anscheinend vielfarbigen Mustern und Gestaltungen
bringt eine gleichmütige Einstellung mit sich, die nach und nach zu Heiterkeit
und Erhabenheit führt; man arbeitet im Dienst aller und sieht dasselbe
belebende Prinzip in der ganzen Schöpfung. So wie das kleine Rädchen in einem
großen Mechanismus unentbehrlich ist und einer nützlichen Sache dient, läuft
alles richtig, voll der göttlichen Offenbarung, und dient einem bestimmten
Zweck nach Seinem Willen. Eine solche Vorstellung kräftigt die seidenen Bande
liebender Bruderschaft und gewinnt das Wohlgefallen des Herrn und Meisters. Liebevolle Worte, von Demut erfüllt; o Nanak, das ist der Kern aller Tugend! Der heilige Augustinus legte großes Gewicht auf die
Demut. „Demut als erstes, Demut als letztes und Demut immerzu“, war das
Hauptthema, über das er zu seinen Hörern sprach, wenn er sich erhob, um seine
Versammlungsrede an die Studenten zu halten. Darüber hinaus habe ich ihnen
nichts zu verkünden. Auf ähnliche Weise erklärte Kabir einmal, daß er
in tiefer Demut lebe wie ein Fisch im Wasser; denn dies erhebe den Menschen zu
der Höhe von Devas oder Göttern. Es ist die einzige Tugend, die einem Menschen
zum Reich der Heiligen Zutritt gewährt. Wenn der Geliebte kommen soll, muß man
sein Ich aus dem Innern herausnehmen und dann immerfort in Ihm leben; denn man
kann nur dann Wasser trinken, wenn man sich niederbeugt, aber nicht wenn man den
Kopf gen Himmel hält. „Einmal“, sagte er, „sei er auf der Suche nach
einem schlechten Menschen gewesen, konnte aber auf der ganzen weiten Welt keinen
finden, und zuletzt, als er in sich hineinschaute, stellte er fest, daß er
selbst der schlechteste von allen war“. Dies ist der Gipfel der Demut. Kabir sagt: Ich bin der Geringste, wenn ich mich
mit anderen vergleiche; alle sind
besser als ich - und jene, die es auch so
sehen, sind meine Freunde. Nanak hat von sich immer als dem „geringen Nanak“,
dem „armen Nanak“ und von „Nanak, dem Sklaven oder Leibeigenen“
gesprochen. Guru Amar Das betete zu Gott, daß Er ihn zum Sklaven
seiner Sklaven machen möge. Der Meister sagte einmal, „er wollte, daß man
aus seiner Haut für die Füße Seiner Ergebenen Schuhe machte“. Aller falscher Stolz, auch auf weltlichen Besitz
jedweder Art oder Reichtum; auf spirituelles Wissen, das man zu haben glaubt,
auf intellektuelle Kenntnisse; Eitelkeit wegen irdischer Güter oder des Standes
- was alles gleich nichts ist - führen das Gemüt der spirituellen Aspiranten
immer vom rechten Weg ab. Auf der anderen Seite ist ein Herz, das voll
ehrerbietiger Bescheidenheit ist, das geeignete Gefäß für seine Gnade, das,
wenn es vollgefüllt ist, von selbst auf andere überfließt. Für einen demütigen
Menschen ist im weiteren Interesse seiner Entwicklung kein Opfer zu groß.
Wohingegen der Stolz ewig eine Chance abwartet und selbst dann die Gelegenheit
verpaßt, wenn sie sich ihm bietet. Die Zeit und das Glück warten auf niemanden.
Die menschliche Geburt ist ein kostbares Gut, das durch die Vorsehung in der
aufsteigenden Evolutionsskala gewährt wurde, und ihr höchstes Ziel ist die
spirituelle Vollkommenheit, für die alle von uns hier sind. Diejenigen sind
begünstigt, die erkannt, ausgesondert und in die Mysterien des Jenseits
initiiert worden sind, indem sie mit den göttlichen Attributen des heiligen
Lichts und des himmlischen Tonstroms verbunden wurden. Es liegt nunmehr an uns,
uns zu sputen, solange die Sonne scheint. Wenn wir nur einen Schritt vorwärts
gehen, wird er uns Millionen Schritte entgegenkommen, um uns zu empfangen und
willkommen zu heißen. Der bloße Gedanke an das Erlangen spiritueller
Vollkommenheit ist schon eine glückliche Verheißung und die Einleitung zum
größten Unternehmen in eines Menschen Leben. Es geschieht nur durch die
göttliche Barmherzigkeit , die - (wenn sie einmal bewegt wird) - solche
erhabenen Gedanken zustandebringt. Dieses große Mysterium des Lebens kann nicht
durch intellektuelle Kenntnisse oder spitzfindige Überlegungen gelöst werden,
was lediglich zu Wissen, aber nicht zu Weisheit führt und was wiederum Stolz
auf das gelernte und den Wunsch nach Führerschaft zu Folge hat; dies macht es
noch viel schwieriger, ins Reich Gottes zu gelangen. Die Krone allen Verstehens
ist, daß wir unsere gegenwärtige Selbstzufriedenheit und unser großes Elend, in
dem wir wider Willen gefangen sind, erkennen, und daß wir zu hilflos sind, um
aus ihm herauszukommen. Eine nähere Betrachtung der Dinge wird aufzeigen, daß
die Seele von dicken Schleiern der Unwissenheit umgeben ist und in dem endlosen
Kreislauf des gewaltigen Schöpfungsrades auf und ab getrieben wird. |