Wie das Tagebuch geführt werden sollte

 

Wenn ihr euch am Ende des Tages eure Fehler in Gedanken, Worten und Taten ins Gedächtnis ruft, wem wenden sich dann eure Gedanken zu? Natürlich dem, der euch aufgefordert hat, das Tagebuch zu führen. Das Tagebuch zu führen bedeutet also auch, sich an den Meister zu erinnern – ihr sagt Ihm etwas. Wenn ihr an Ihn denkt, dann denkt Er an euch, und mit der Zeit werdet ihr Empfänglichkeit für Ihn entwickeln, wo immer ihr auch seid. Ohne Empfänglichkeit kann es keinen wirklichen spirituellen Fortschritt geben. Das tägliche Führen des Tagebuches mit voller Aufmerksamkeit und dem Verlangen, von den darin aufgezeichneten Fehlern frei zu werden, trägt viel dazu bei, diese Empfänglichkeit zu entwickeln.

 

Aus der christlichen Religion weiß ich, daß diejenigen, die es wünschen, vor einem Priester eine Beichte ihrer Fehler ablegen können. Sie mögen einmal im Monat oder in der Woche zur Beichte gehen, aber im allgemeinen nicht öfter als einmal wöchentlich. Wenn ihr das Tagebuch führt, legt ihr täglich eine Beichte ab. Laßt euer Bekenntnis in den verschiedenen Spalten aufrichtig und offen sein, damit ihr wißt, wo ihr steht und es verbessern könnt.

 

Der beste und leichteste Weg, um eure Schwächen zu beseitigen, ist der, daß ihr euch danach sehnt, frei von ihnen zu sein; und daß ihr euch liebevoll an Meister erinnert, während ihr das Tagebuch ausfüllt.

 

Zuletzt und genauso wichtig wie das zuvor Gesagte: Ihr solltet nicht erlauben, daß das Tagebuchführen zu einem reinen Fehleraufzeichnen erstarrt, was leicht der Fall ist, wenn es mit wenig oder ohne Aufmerksamkeit geschieht. Der eigentliche Sinn, weshalb ihr die Fehler vor euch niederschreibt, ist, daß ihr euch ihrer bewußt werdet, so daß sie beseitigt werden können. Um sie zu beseitigen, ist es nicht genug, ein oder zwei Äste abzuschneiden; ihr müßt das Übel von der Wurzel her beseitigen. Wenn ihr euch einmal eines Fehlers bewußt seid, solltet ihr in der Lage sein, seine Spur zurückzuverfolgen bis zu einer bestimmten Situation. Die Erinnerung an diese Situation wird euch helfen, die Ursache eurer Schwäche herauszufinden, welche dann nach und nach von selbst wegfällt.

 

Was nun die Fehler oder Abweichungen vom rechten Weg, wie ihr es bezeichnet, betrifft: Wie ihr wißt, wirkt das Gemüt auf sehr listige Weise – zu fein, als daß es für einen gewöhnlichen Menschen möglich wäre, es zu entlarven, bevor der Schaden angerichtet ist. Alle Handlungen, ob Worte oder Taten, kommen aus der Fülle des Herzens. Wir müssen deshalb über unsere Gedankenwellen wachen. Wir sollten fähig werden, ihre Ebbe und Flut rechtzeitig zu erfassen und sie durch den Vorgang der Konzentration zu umgehen, so daß wir das Gemüt und seine Stimmungen, ja sogar die elementare Substanz des Gemüts, die die Seele wie feine Sommerfäden umhüllt, vergessen.

 

Die Erinnerung an unsere Erfahrungen in der Vergangenheit und der lebendigen Gegenwart folgt uns beständig und unwiderstehlich auf den Fersen, und da wir noch nicht gelernt haben, davon frei und unberührt zu sein, geschehen die Fehler oft gegen unseren Willen. Das Erfassen der Fehler im Tagebuch ist also der erste Schritt, um uns unserer Handlungen bewußt zu werden, die wir in unserer selbstgerechten Haltung gar zu leicht übersehen ...

 

Die Gedanken müssen beobachtet werden, denn ihnen folgen die Taten. Es ist ein langsamer, aber steter Prozeß stufenweiser Verbesserung, für den unser voller Einsatz erforderlich ist. Ein diszipliniertes und spirituell geregeltes Leben ist sehr wesentlich.

 

Es ist hilfreich für das innere Wachstum und die Empfänglichkeit, wenn man sich sofort bewußt wird, daß man die heiligen Anweisungen überschritten hat, und es gleich bereut. Sich jedoch am Abend noch einmal der Fehler zu erinnern und sie in die Tagebuchblätter einzutragen, hat seinen eigenen Nutzen – wenn ihr eure Taten bereut und euch bemüht, für die Verbesserung zu arbeiten. Stolz und Ego lassen uns nicht fortschreiten – wenn wir Fehler machen, dann geben wir sie nicht zu.

 

Die Tagebuchblätter sind in sieben Abschnitte eingeteilt. Die ersten sechs Überschriften beschreiben die einzelnen Tugenden. Die Spalten unter den jeweiligen Überschriften befassen sich mit den Fehlern, die gegen diese Tugend verstoßen, während die siebte Spalte die Zeit festhält, die für die spirituellen Übungen eingesetzt wurde. In den ersten sechs Spalten sollt ihr eintragen, wie oft es euch nicht gelungen ist, die angegebenen Tugenden in Gedanken, Worten und Taten zu beachten. Zum Beispiel, wenn ihr heute gegen ’Gewaltlosigkeit’ in Gedanken viermal verstoßen habt, dann tragt diese Zahl in die entsprechende Spalte, die für diesen Fehler vorgesehen ist, unter dem heutigen Tag ein.

 

Die Tagebuchblätter sollten wirklich eine Widerspiegelung eures inneren Zustandes sein – ein offenes Selbstbekenntnis der Fehler, die zwischen euch und dem Meister stehen. Wenn ihr regelmäßig Zeit für die spirituellen Praktiken einsetzt, ist dies ebenfalls ein Zeichen für positives Wachstum. Es liegt ein tiefer Sinn dahinter, das Tagebuch zu führen. Wenn ihr danach lebt, dann werdet ihr von Tag zu Tag fortschreiten und euer Ziel in diesem Leben erreichen.

 


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