Kirpal Singh

Gespräche von Herz zu Herz

5. Dezember 1970

Abend-Darshan/Rajpur


Frage: Wo hat der Wille Gottes seinen Ursprung?

Antwort: Wo? Es wäre besser, du würdest Gott fragen. Verstehst du nicht? Es ist besser, zu Ihm zu gehen und Ihn zu fragen, denn vor Ihm gab es nichts, alles entstand durch Ihn. Sein Wille wirkt nur, wenn Er etwas will. Frag Ihn nur.

Frage: Wodurch wirkt er, Meister?

Antwort: Alles geschieht nach Seinem Wohlgefallen. Warum hat Er es getan? - Wir sollten Ihn selbst fragen. Es gibt keine andere Antwort, alle Meister haben dies gesagt. Unser Haus steht in Flammen, und wir sind darin gefangen. Was sollen wir tun? Wir versuchen herauszufinden, wer es in Brand gesteckt hat. Es ist aber besser, erst herauszukommen und dann erst zu fragen.

Letztlich haben alle Meister gesagt: ”Es ist Sein Wille.” Warum erschuf er alles? - Kabir sagt: ”Wie ein Gaukler unterhält Er selbst Sein Werk.” Es ist Sein Spiel. Warum wollte Er es? Es gibt keine Fragen. Alle Fragen verschwinden, wenn der Intellekt aufhört zu arbeiten. Wir leiden unter unserem eigenen kleinen Bewußtsein, das doch nur ein Wassertropfen im Ozean ist. Die Antwort kann nur Gott selbst geben. Alle Meister sagten das. Es ist, als würde ein Kind sich vor die Mutter stellen und sagen: “Mutter, ich verstehe dich.” - Was kann denn ein kleines Kind über seine Mutter schon wissen? Warum brachte sie es zur Welt? Das ist vergleichbar. Wie ein Teufelskreis setzt sich das fort. Was war zuerst - das Ei oder die Henne, der Same oder der Baum? Er ist in sich selbst vollkommen. Er brachte etwas ins Spiel - Ursache und Wirkung - alles ist in sich selbst vollkommen. Niemand weiß, ob jemand dahinter steht oder ob dieser innere Ablauf aus sich selbst heraus geschieht. Im Jap Ji habt ihr vielleicht gelesen. ”Einst erschuf Er alles - nun geht es von selbst weiter, automatisch.” Und warum erhält Er alles? Kein Mensch kann das verstehen. Je weiter man nach innen geht, umso mehr ist man vertieft und diese Fragen hören auf. Versuche es selbst zu erfahren. Philosophien befassen sich mit Theorien und die Mystik mit der Verbindung, mit der zum Ausdruck kommenden Gotteskraft.

Frage: Wirkt sie über das Gemüt, Meister?

Antwort: Das Gemüt ist ein Werkzeug. Es wirkt nur, wenn es von Kraft erhält. Der Osten betrachtet es als stofflich, der Westen als bewußt. Es ist die Seele, die dem Gemüt Kraft verleiht. Es ist ein Werkzeug. Wenn ihr innen vertieft seid, wo ist dann das Gemüt, wo der Intellekt? Wir selber halten die gesamte Maschinerie in Gang. Schau her ... ich bin nun ganz dich vertieft, alle anderen sind vergessen. Richtet ihr eure Aufmerksamkeit auf jemanden, seht ihr nur ihn. Wir müssen uns selbst kontrollieren. Die Gedanken sind das Ergebnis eurer Aufmerksamkeit. Ihr steht dahinter. Sie sind die Wellen, die sich auf dem Wasser kräuseln. Wenn ihr weiter vorankommt, werdet ihr euch selbst völlig verlieren. Alle Meister verkörperten die Ruhe - es gibt darin nichts mehr zu sagen. Die Meister wissen, daß Er wirkt. Wir sehen, daß die Maschinerie weiter arbeitet, wenn wir unsere Aufmerksamkeit darauf richten. Mit anderen Worten - habt ihr euch unter Kontrolle, gibt es keine Welt. Wir erschaffen die Welt. Daher ist es das beste, sich durch Selbstanalyse zu erkennen, denn dann entwickelt man sich. Habt ihr eine Laterne, leuchtet sie euch etwa zehn Meter weit. Geht ihr weiter, dann leuchtet sie euch weitere zehn Meter. Je weiter ihr kommt, je tiefer ihr eindringt, bis zuletzt ... nur der Intellekt vereitelt es. Es ist keine Sache des Intellekts. Wir sind nicht der Intellekt, wir sind es, die hinter ihm stehen. Wir sind fähig, unser eigenes Selbst zu erkennen. Deshalb heißt es: Selbsterkenntnis geht der Gotterkenntnis voraus oder Selbsterkenntnis ist Gotterkenntnis. Je mehr sich das Selbst ausdehnt, desto mehr geht es in Ihn ein. Man verliert sich selbst. Das sind heikle Fragen. Sie verwirren die Menschen. Es erscheint als eine Art Geheimnis.

Nach und nach werdet ihr euch selbst erkennen, euch wirklich erkennen. Nicht durch Empfindungen, Gefühle oder Schlußfolgerungen, sondern indem ihr euch tatsächlich über das Körperbewußtsein erhebt, durch Selbstanalyse. Dann seht ihr alles in der richtigen Perspektive, vorher nicht. Wir unterliegen alle einer großen Täuschung. Diese Täuschung läßt nach, wenn ihr euch über sie erhebt. Wenn ihr im Flugzeug seid, seht ihr die Welt in ihrer richtigen Perspektive: Sehr hohe Berge erscheinen wie Hügel, breite Flüsse wie Bäche. Die Größe der Welt vergeht, wenn ihr euch über sie erhebt. Jetzt sind wir noch verhaftet und halten sie für das ein und alles. Aber sie hat wenig oder gar keinen Wert. Sie hat ihren eigenen Nutzen, das ist richtig, aber nur, solange wir im Körper sind. Die Welt ist gut für das Vergnügen. Wenn ihr in einem Flugzeug aufsteigt und euch umschaut, seht ihr viele Wolkenschichten, eine, zwei, drei, vier, fünf. Steigt höher, und ihr werdet sogar die Sonne sehen. Hier unten ist sie von Wolken verdeckt. Steigt ihr noch höher, wird das Sonnenlicht sehr anziehend. Alles löst sich von selbst, wenn ihr aufsteigt. Das Wichtigste ist, sich selbst zu erkennen. Guru Nanak sagt: “Solange du dich nicht durch Selbstanalyse erkennst, kann die Täuschung nicht überwunden werden.”

Es ist wie bei einer großen Fabrik, die von einem Kraftwerk gespeist wird. ihre verschiedenen Abteilungen werden durch Schalter betrieben, die die Verbindung zwischen ihnen und dem Kraftwerk herstellen. Wenn man einen der Schalter ausschaltet, hört die Abteilung, die an ihn angeschlossen ist, auf zu arbeiten. Wenn man den Hauptschalter abschaltet, bleibt die ganze Fabrik stehen. So ähnlich ist das. Das eigene Selbst zu erkennen, steht an erster Stelle, es ist vorrangig. Solange ihr euch nicht selbst erkannt habt, könnt ihr das Überselbst nicht erkennen. Selbst dann erkennt ihr es nicht völlig, ihr seid nur vertieft. Es kann in Worten nicht ausgedrückt werden. Worte können es nicht erklären.

Frage: Verstehen bedeutet mehr als nur Intellekt.

Antwort: Das rechte Verstehen bringt rechte Gedanken mit sich. Ihr werdet alles aus dem richtigen Blickwinkel sehen. Dem Verstehen folgen Gedanken. Gute Gedanken führen zu rechten Worten und rechten Worten folgen rechte Handlungen. Nur wenige haben wirklich das rechte Verstehen.

Frage: Das Verstehen, das ohne Denken entsteht.

Antwort: Denken ist das Ergebnis von Verständnis. Ihr versteht eine Sache; das gebt ihr weiter. Es ist nahezu das gleiche, und doch besteht ein sehr feiner Unterschied. Ihr transzendiert das Denken und wenn ihr dann verstanden habt, sagt ihr etwas, mündlich oder auf der mentalen Ebene.

Frage: Man kann Verstehen erlangen.

Antwort: Ja, so ist es. Wenn man seine Gedanken kontrollieren kann. Es sind nur die Gedanken, die uns überall verstricken. Hinter den Gedanken ist euer Bewußtsein.

Frage: Meister, verstehen entsteht nur durch Erfahrung, nicht wahr?

Antwort: Was meinst du mit Erfahrung? Definiere es so, daß ich eine Antwort geben kann. Erfahrung durch physische ...

Frage: Ich kann die spirituellen Bereiche solange nicht verstehen, solange ich nicht nach innen gehen und sie selbst sehen kann?

Antwort: Verstehen wird zuerst auf der physischen Ebene erlernt - durch das mündliche Wort und indem du die Lehren jener Lehrer, die das Verstehen erreicht haben, lernst, begreifst oder durcharbeitest. Sie gaben die Lehren weiter, um anderen zu helfen, es selbst zu verstehen. Dies sind hilfreiche Faktoren. Rechtes Verstehen ist die Erkenntnis, Seele zu sein, ein bewußtes Wesen zu sein. Das ist rechtes Verstehen. Ihr aber habt das noch nicht erreicht. Deshalb raten die Meister, jemanden zu suchen, der rechtes Verstehen hat. Wenn ihr ihm begegnet, werdet ihr der Täuschung entkommen und alles aus dem richtigen Blickwinkel sehen. Wer gesehen hat, gibt manchmal einen kleinen Beweis davon. Wenn ihr meditiert, den Körper vergeßt und etwas Besonderes seht, so ist dies nur ein kleiner Anfang. Wenn ihr willentlich aufsteigt und ins Jenseits geht, so ist auch das noch nicht das Ende. Es gibt Hüllen über Hüllen. Die physische, die astrale, die kausale - und ihr seid dahinter Das sind subtile Fragen. Solange ihr nicht über euch selbst hinausgelangt, könnt ihr ihnen nicht wirklich folgen.

Deshalb gilt zuallererst: Verlaßt das brennende Haus. Dann helft anderen, aus ihm herauszukommen - wenn ihr es könnt. Das ist nur möglich, wenn Er euch für eine Weile vom Körper zurückziehen kann - es euch vermittelt. Dann entwickelt euch weiter, Tag für Tag, durch regelmäßige Übung. Übung macht den Menschen vollkommen. All das steht nicht so deutlich in den Büchern; es ist eine Zusammenfassung dessen, was ich herausgefunden habe. Die Ausdrucksweise mag verschieden sein, die einzelnen Sprachen mögen sich unterscheiden, doch was zugrunde liegt, ist immer dasselbe.

Neulich erhielt ich einen Brief von einem sehr gebildeten Menschen. Er stellt immer einige sehr intellektuelle Fragen. Er bezog sich auf ein Buch und wies darauf hin, auf einer Seite stünde dies, auf einer anderen das. Ich schätze seine Bildung. Er ist initiiert. Doch seine Briefe zeugen stets von intellektuellem Ringen, wie man das nennt. Ich antwortete ihm - ich zitierte von Seite eins, Seite zwei und Seite drei - das grundlegende Prinzip lautete: Gott ist Geist und ihr seid Geist. Man kann nur im Geiste beten. Er meint, die Seele würde nicht im Körper wohnen oder durch den Körper wirken und welchen Unterschied dies ausmache? Solcherart sind seine Fragen. Er meint, nicht die Seele wäre im Körper, sondern eine andere Kraft würde durch ihn wirken. Solch intellektuelles Ringen und Kämpfen führt euch nirgendwohin.

Manche Briefe sind sehr interessant. Einer war vierzig Seiten lang. 0 Gott, sein Verfasser schrieb und schrieb, hundert und eine Frage. Er braucht ungefähr drei Seiten für eine Frage, und ich brauche fünfzehn Seiten, um diese eine Frage zu beantworten. Alles bleibt nur auf der intellektuellen Ebene. Ich gebe zu, es hilft euch ein bißchen, zu verstehen, aber es beseitigt die gesamte Täuschung nicht, sog-lange ihr nicht aufsteigt. Darum heißt es: Man kann es nicht mit den nach außen gehenden Kräften, nicht mit dem Gemüt oder dem Verstand erkennen. Sei still und du wirst sehen, daß du hinter allem stehst. Es gibt also verschiedene Ausdrucksformen, in den unterschiedlichen Sprachen, doch das grundlegende Prinzip ist dasselbe. Wenn wir uns hineinversenken, erkennen wir: “0, es ist alles dasselbe!” Ihr seht, die Meister erklären manchmal etwas von einer ganz bestimmten Ebene aus.

Frage: Verschiedene Bewußtseinsebenen.

Antwort: Ja, das ist alles. Für Engel gibt es keinen Unterschied. Der Mensch sieht es von seiner Warte aus, das ist richtig. Er ist auf dem Weg; wir achten jeden. Ich erzählte euch von Swami Shivananda. Er liebte mich sehr und ich ihn ebenso. Er sprach immer von einer hohen Warte aus, wie eine verlorene Seele.

Euch wurde der wahre Kern gegeben. Seid Gott dankbar, daß ihr etwas erhalten habt. Wenn ihr euch durch alle Stufen hinaufarbeiten müßtet, nähme das viel Zeit in Anspruch. Dies ist eine Abkürzung. Doch ihr müßt euch durch Selbstbeobachtung vorbereiten, das ist unumgänglich. Ihr könnt nicht zwei Dinge tun. Von diesem Gesichtspunkt aus müßt ihr es betrachten und alles wird klar werden. Wenn ihr die äußeren Freuden wollt, nun - sie liegen diametral entgegengesetzt. Doch wenn ihr Gott erkennt, seht ihr alles aus diesem Blickwinkel, das ist der springende Punkt. Ich habe auf diesen komplizierten Punkt sehr einfach geantwortet.

Bildung führt euch manchmal vom wesentlichen Weg. In der Hitze des Gefechts hört man oft nicht mehr auf, etwas zu erklären, und das bis zum nächsten Tag. Ich spreche mit euch von Herz-zu-Herz. Ich kann nur über das sprechen, was ich durch Gottes Gnade erkannt habe. Deshalb sage ich immer, nutzt eure Zeit hier möglichst gut. Ihr wißt, wenn ihr wieder zu Hause seid, müßt ihr auch eure anderen Angelegenheiten er-ledigen. Von vierundzwanzig Stunden müßt ihr acht bis zehn Stunden einsetzen, um euren Lebensunterhalt zu verdienen. Ihr müßt euch um die Familie kümmern und vieles mehr. Das könnt ihr natürlich nicht außer acht lassen, aber ihr müßt auch Zeit für die Meditation finden. Jetzt seid ihr nur zu einem Zweck hier. Vielleicht seid ihr für einen Monat hier, macht den besten Gebrauch von dieser Zeit. Dann lernt ihr mehr, als in sechs Monaten, die ihr nicht voll nutzt.
Zeit hat keine Bedeutung. Nur die Zeit, die ihr wirklich für die Meditation einsetzt, zählt. Nutzt die Ausstrahlung möglichst gut während ihr hier seid, das wird euch helfen. Das gibt euch einen Auftrieb. Wenn ihr euch hier Zeit für die Meditation nehmt, bringt euch das bessere Ergebnisse, als wenn ihr irgendwo völlig alleine meditiert - es sei denn, ihr habt Empfänglichkeit entwickelt, dann ist es anders. Habt ihr Empfänglichkeit entwickelt, bekommt ihr dasselbe, selbst aus einer Entfernung von Tausenden von Meilen. Doch bis dahin darf die physische Gegenwart nicht unterschätzt werden. Sie gibt euch durch direkte Ausstrahlung einen unmittelbaren Auftrieb.
Ihr meditiert, sagen wir, fünf oder sechs Stunden lang. Wie ist das Ergebnis? Ihr müßt täglich weiterkommen, wenn nicht, dann stimmt etwas nicht. Dazu ist das Tagebuch da. Das ist meine Botschaft. Lebt im Jetzt und ihr werdet es erreichen und es wird fortdauern bis in alle Ewigkeit. Versteht das grundlegende Prinzip. Lebt danach, das ist alles. Verstehen allein bewirkt nichts, wenn ihr nicht auch danach lebt.
Hast du dir Zeit genommen, so wie ich es dir gestern abend erklärt habe?

Frage: Ich nahm mir gestern abend eine Stunde Zeit und heute morgen eine Stunde, aber ich hatte nicht ...

Antwort: Diesen Morgen ... du hattest keine Zeit? Bitte nimm dir Zeit.

Frage: Ich hatte Zeit, aber ich hatte in der Nacht so schlecht geträumt und als ich am Morgen aufwachte ...

Antwort: Als du aufwachtest, hattest du keine schlechten Träume.

Frage: Nein, aber ich war völlig verspannt.

Antwort: Du hast jetzt keine Träume. Geh und setz dich hin. Ich habe dir erklärt, worin die Schwierigkeiten auf dem Weg liegen, warum du keine Erfahrung hast. Ich habe gestern abend gesagt: ”Denk nicht an den Atem. Denke nicht daran, dich zurückzuziehen. Schenke all dem keine Aufmerksamkeit. Schau nicht nach oben. Spanne weder Stirne noch Augen an, sondern schau einfach fest entschlossen, sehr genau, um herauszufinden, was innen ist. Habe Geduld.” Mach so weiter, tu das. ”Wenn dein Auge einfältig ist, wird dein ganzer Leib licht sein.” Das ist der Weg, auf dem das Auge einfältig wird. Bitte tu es. Du mußt etwas vor dir sehen. Du wirst es sicher sehen, solange du hier bist so sicher, wie zwei und zwei vier ergeben.

Das ist die einzige Antwort. Aber du kannst nicht zu Ihm finden, wenn du dich nicht durch Selbstanalyse erkennst. Zu allererst gilt es, aus dem Haus herauszukommen, denn es steht in Flammen - dann erst frage, warum es in Brand gesteckt wurde. Aber das ist erst die nächste Frage. Und da beginnt dann das ABC. Seid fröhlich.

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