Vorwort

 

Die vorliegende Studie, ein Vergleich der verschiedenen Yogasysteme, ist ursprünglich durch die vielen Fragen angeregt worden, die Sucher und Schüler aus dem Westen immer wieder zu diesem Thema gestellt haben. In dem Bemühen jedoch, diese Fragen auf systematische und umfassende Weise zu beantworten, hat die Untersuchung einen viel größeren Umfang angenommen, als ursprünglich beabsichtigt war. Wie sie aber nun vorliegt , wird sie aber, so hoffe ich, nicht nur für jene von Nutzen sein, deren Fragen für die Abfassung den ersten Anstoß gaben, sondern für alle Sucher, die wissen wollen, was Yoga ist, welche verschiedenen Systeme es gibt , welche Praktiken diese umfassen und welche spirituelle Wirksamkeit sie haben.

 

In dieser Zeit der Veröffentlichung gibt es keinen Mangel an Büchern über Yoga. Aber wenn man sie sorgfältig prüft, findet man, daß die meisten von ihnen in der einen oder anderen Hinsicht unzureichend sind. Entweder behandeln sie den Yoga als ein System von asanas und körperlichen Übungen oder als ein abstraktes höchst monistisches Gedankensystem, welches die Einheit alles Bestehenden und die schließliche Einswerdung der individuellen Seele mit der Überseele postuliert. In jedem Fall ist die Vorstellung von Yoga, die wir so erhalten, unvollständig. Von einem praktischen weg spiritueller Transzendenz und Vereinigung mit dem Absoluten wird er auf ein System der Körperschulung oder auf eine (oder mehrere) Schulen der Philosophie eingeschränkt.

 

Um der Möglichkeit eines solchen Irrtums auszuweichen, wird das letzte Ziel aller Yogas – die Einswerdung mit dem höchsten Herrn – als Brennpunkt für alle Erörterungen , die sich bei diesem Studium ergeben, im Auge behalten. Alle bedeutenden alten und neuen Formen werden wieder aufgegriffen, ihre Praktiken erklärt und diskutiert und ebenso das Ausmaß, bis zu welchem uns jeder von ihnen dem letzten Ziel entgegenführen kann. Dieser letzte Aspekt einer vergleichenden Yogastudie führt wohl am leichtesten zu Mißverständnissen und Verwirrungen. Für die mystische Erfahrung ist es bezeichnend, daß die Seele , wenn sie sich auf eine höhere als die gewohnte ebene erhebt, dazu neigt, dies Ermangelung höherer Führung irrtümlich als die allerhöchste Ebene anzusehen, als den Bereich des Absoluten. Und so finden wir, daß die meisten Yogas, indem sie uns bis zu einem gewissen Punkt auf eine innere Reise bringen, diesen irrsinnigerweise für das Ziel halten und sie für etwas, das relative Gültigkeit hat, eine absolute beanspruchen.

 

Der einzige Weg, durch den wir den spirituellen Wert einer jeden Yoga-Art abschätzen und so dem gegenwärtig verworrenen Zustand entkommen können, ist der, daß wir die allerhöchste >Form< des Yoga, dessen Wirksamkeit absolut und nicht nur relativ ist, zu unserem Maßstab nehmen. Dieser Maßstab ist durch den Surat Shabd Yoga gegeben, der auch als Sant Mat bekannt ist (der Pfad der Sants oder Meister dieser mystischen Schule), der wahrhaft die Krone des Lebens ist. Indem die Adepten diese Pfades seine Praktiken unter genauer Führung übten, sind sie zu Bereichen gelangt, die anderen Schulen der Mystik gar nicht bekannt sind, und haben sich zuletzt mit dem höchsten Herrn in seinem absoluten und Namenlosen Zustand vereint. Sie haben in ihren Schriften wiederholt die unvergleichliche Überlegenheit dieses Yoga des Tonstromes bestätigt und sind, indem sie durch innere Wahrnehmung die variierende spirituelle Reichweite anderer Yogas beschreiben , selbst weitergegangen und haben den absoluten Charakter ihres eigenen Yogas dargelegt.

 

Wenn ein Sucher einmal die Perspektiven der vergleichenden Mystik, die Sant Mat aufzeigt, verstehen kann, wird er, so glaube ich, finden, daß ihm diese äußerst verwickelte Sache nach und nach immer klarer wird. Er wird sehen, daß die Widersprüche, die so viele verwirren, wenn sie sich anfangs dem vergleichenden Studium der Mystik zuwenden, für die mystischen Erfahrungen als solche gar nicht von Bedeutung sind, sondern Folge der Verwechslung einer relativen Wahrheit mit der absoluten – ein Irrtum, der für diejenigen nicht existiert, die, indem sie den höchsten Pfad gehen, alle inneren Stufen aus erster Hand kennengelernt haben und um die Ziele wissen, zu denen jeder Yoga führen kann. Er versucht dann nicht weiter, der Frage nach Spiritualität auszuweichen, indem er sie lediglich als alten Aberglauben abtut. Er wird sie als eine zeitlose innere Wissenschaft sehen, die ihre eigenen unveränderlichen Gesetze und variierenden Wirkungsformen hat, aber eine Wissenschaft, deren Erkenntnisse nicht statisch sind, sondern sich entfaltet haben, so wie sich die Menschen von den niedrigen zu den höheren Formen des Yoga entwickelt haben. Und vor allem wird er erkennen, so hoffe ich, daß die Einswerdung mit dem höchsten Herrn kein bloßer Tagtraum ist  oder das hypothetische Postulat einer monistischen Philosophenschule ist, vielmehr eine lebendige Möglichkeit, deren Verwirklichung das Ziel der menschlichen Existenz ist und die zu erreichen durch richtige Führung, die richtige Methode und die rechte Anstrengung in Reichweite aller liegt, ungeachtet des Alters, des Geschlechts, der Rasse oder des Glaubens.

 

                                               Kirpal Singh

 

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