Der Tod in Knechtschaft

In der Natur folgt dem Leben der Tod, und aus dem Tod geht das Leben hervor. Der Tod als das Ende des Lebens in einer Form ist nur der Beginn zu neuem Leben in einer anderen, und dies im allgemeinen auf einer höheren Seinsebene als vorher und in einer besseren und geeigneteren Umgebung.

Evolution ist das Gesetz des Lebens und besteht darin, die in der Geist-Materie verborgenen Möglichkeiten zu entfalten. Sie umfaßt in ihrem Bereich nicht nur die Entwicklung der Geist-Materie, die auf ihrem weiteren Weg plastischer und durchsichtiger wird, sondern auch die Entfaltung der Formen von den Mineralien bis zum Menschen und zuletzt die Ausdehnung des Selbstbewußtseins. Die sogenannte tote Materie ist nicht wirklich tot, wenn sich auch die Energie in ihr für eine gewisse Zeit in einem erstarrten Zustand befindet.

Ein abgetragenes Kleid, das seinen Zweck erfüllt hat, wird weggeworfen und durch ein neues ersetzt, in der Machart, die einem am besten gefällt. Dies ist das Gesetz von Mutter Natur, der Schöpfung Gottes. Der gütige Vater, heißt es, hat bestimmt, daß seine Kinder haben können, wonach sie sehnsüchtig verlangen.

Indem der erhabene Herr des Universums für das Lebensnotwendige auf Erden sorgt, für Liebe, Licht und Leben und alles, was dazugehört, wie Erde, Wasser, Sonne. Luft und Raum mit allen Mitteln der Erhaltung, ist er über alle Maßen großzügig. Er gewährt dies allen frei, wenn auch jedem nach seinem Bedarf und entsprechend seinem Abstieg. Seine Gaben sind zahllos und unerschöpflich, und zu allen Zeiten hat der Mensch in verschiedener Weise davon gelebt. Nicht zufrieden mit ihrer grenzenlosen Fülle, verlangt er nach mehr - mehr Gold und Silber, mehr Wohlstand und Bequemlichkeiten des Lebens, mehr von allem, was es gibt, und unaufhörlich kämpft er darum und müht sich dafür ab. Anstatt dem Herrn für alles, was er uns in seiner Güte gegeben hat, dankbar zu sein, verwünschen wir uns selbst, fluchen auf jene, die bessergestellt und reicher sind als wir, beschimpfen die unschuldigen Sterne und zögern nicht, mit scharfen Worten über unser Los oder Schicksal zu murren und zu klagen, das wir durch unsere eigenen Handlungen geschaffen haben. „Trotz aller Besitztümer verliert man seinen Kopf für einen Hungerlohn.“

Das menschliche Leben ist ein großes Vorrecht, ein seltenes Gut und ein Segen. Es wird einem zuteil, nachdem man einen langen Entwicklungsprozeß von endloser Dauer durchgemacht hat. Dies ist eine günstige Gelegenheit, die Reichtümer der Spiritualität anzuhäufen, die in uns verborgen liegen und von denen wir kaum wissen. Doch die meisten von uns trachten nach vergänglichen und unwesentlichen Dingen, nach den Sinnesfreuden des Erdendaseins und nicht nach wahrem Glück. Wegen dieser kurzlebigen flüchtigen Vergnügungen, die wir erlangen oder nicht, versuchen wir auf jede Weise, ehrlich wie unehrlich, Himmel und Erde in Bewegung zu setzen, wobei wir in den meisten Fällen teuer, ja selbst mit unserem Leben dafür bezahlen, und wir verlassen die Bühne des Lebens mit tiefem Bedauern um der einen oder anderen Sache willen und wegen der unehrenhaften Mittel, derer wir uns bedienten, sowie der Sorgen, die uns unsere Unternehmungen bereitet haben.

Die Natur ist nicht maßlos in ihren Plänen und Zielen. Wie man denkt, so wird man. Unsere Empfindungen und Gefühle, Gedanken und Leidenschaften, Wünsche und Bestrebungen vergehen nicht mit dem Tod unseres Körpers. Sie bilden ein inneres Gewand (den Astralkörper), ein Kleid unter dem physischen Mantel; und der darin eingeschlossene Geist umgibt sich mit einer weiteren Hülle, indem er die karmischen Saaten anzieht, die im Saatkörper, dem kostbaren Schatzhaus, lagern. Es ist dieser kausale oder Instrumentalkörper mit seine gewaltigen Hilfsmitteln, der seinem Bewohner, dem Geist, hilft, eine neue Form zu schaffen, ein neues Tabernakel des Fleisches. Als geeigneteres Gefäß mag es zur Erfüllung dessen beitragen, was im unbewußten Selbst an oberster Stelle liegt. Schließlich hebt sich der Vorhang und gibt das ganze Panorama des Lebens bis in alle Einzelheiten frei, bevor man diesen Schauplatz verläßt. Auf dem Totenbett wird man vielleicht einen Schimmer der Wirklichkeit gewahr, aber dann ist es zu spät, sie zu begreifen. Dieser Prozeß wirkt unablässig fort und gibt am Ende jeder Lebensspanne auf Erden dem Rad des Lebens und des Todes mit seinen natürlichen Begleitern wie Freude und Leid, Wohl und Weh, Höhen und Tiefen, neuen Antrieb. Es bewegt sich in unendlichen Kreisläufen, da man mit dem, was man während seines irdischen Daseins erhält, nie zufrieden ist und fortfährt, neue Hoffunungen und Wünsche zu nähren - oft vermischt mit Bedauern über das, was man ersehnte, aber nicht bekam. Ohne es zu wissen, ist man ständig damit beschäftigt, die Drachensaat zu säen, und bringt ein Leben nach dem anderen damit hin, die selbst begonnenen Schlachten mit selbst aufgestellten Kriegerscharen auszutragen, die sich einem, den ungezähmten Furien oder Rachegeistern gleich, wie Schatten an die Fersen heften. Wie ein Töpfer stellt die Natur in Form von vielen Tongefäßen ein Mittel nach dem anderen bereit, um den unstillbaren Durst und die Erwartungen jedes einzelnen zu befriedigen. Von zahllosen Wünschen niedergedrückt, macht man sich selbst zum Sklaven. Ohne sie könnte man sich seiner Gottheit erfreuen. Denn was ist der Mensch? - Gott plus Wünsche. Und was ist umgekehrt Gott? - Mensch ohne Wünsche.

Der grooße Dichter und Philosoph William Wordsworth (1770 - 1859) entwirft in seiner denkwürdigen Ode über die Unsterblickeit ein schönes Bild des heranwachsenden Kindes:

Die mit uns aufsteigt als des Lebens Stern,
die Seele: hatte Heimat einst besessen
woanders - kommt von fern:
nicht ganz erinn’rungslos
und völlig nackt und bloß:
wir kommen, goldnen Wolkenzügen gleich,
aus unsrer Heimat, Gott.
Der Himmel liegt auf unserem Kinderreich!
Stet um den Knaben, der heranwächst, schließt
sich Kerkerschatten dann ...
Die Erde füllt den Schoß mit eigner Lust;
Sehnsüchte hat sie ihrer eignen Art;
und wie mit mütterlichem Herzen spart
die Amme nichts von ihrer Pracht
(nicht schlimmen Ziels bewußt),
daß sie ihr Pflegekind, den Menschen, ihren Gast,
den alten Glanz vergessen macht
und seine Herkunft aus der Herrschermacht Palast.

Dies ist das beklagenswerte Bild des Lebens auf Erden, wie es uns täglich vor Augen geführt wird. Obwohl wir, wie es uns vorherbestimmt wurde, immer unser gerüttelt Maß haben, sind wir dennoch unersättlich - voller Gier nach immer mehr Reichtum und Macht, mehr der flüchtigen Freuden und Sinnesvergnügungen. Weit davon entfernt, für die Gaben der Natur dankbar zu sein, „schauen wir nach vorn und zurück und nach dem, was nicht ist.“ Die Natur kann unserer unbefriedigten Gier nicht lange untätig zusehen. Wie Circe mit ihrem Zauberstab verwandelt sie uns in Schweine, damit wir genug des Unrats haben und daran zugrunde gehen. Nur ein kluger Odysseus kann mit seiner Zauberblume von Merkur (dem Götterboten) die Magierin mit ihren eigenen Waffen schlagen und seine Gefährten retten, indem er sie von Schweinen in Menschen zurückverwandelt und mit ihnen alle anderen, die von der Zauberin in vilen verschiedenen Formen, jeder seinem Wesen gemäß, gefangengehalten werden. Nicht nur hier in der lebendigen Gegenwart, sondern auch im Jenseits bestimmt die Art der vorherrschenden Leidenschaften unseren Lebenslauf.

Werfen wir nun einen Blick auf den unvermeidlichen Verwandlungsprozeß, den wir Tod nennen. Dieser Übergang von einer Lebensform in eine Andere ist ein notwendiger Bestandteil des Lebens und kommt zu gegebener Zeit, plötzlich, mit atemberaubender Schnelligkeit, gerade dann, wenn man ihn am wenigsten erwartet. Der Tod kennt keine Zeitrechnung. Niemand kann ihn vorhersehen und keiner ihm trotz aller Klugheit und List entkommen. Jedem Wesen ist seine eigene Lebensspanne zugemessen. Wir alle leben und bewegen uns in der Zeit und haben unser Sein in ihr. Wenn sie abgelaufen ist, tritt diese Umwandlung ein und vollzieht sich immer wieder, bis man über die entferntesten Grenzen der Zeit hinausgelangt ist und sich in die Zeitlosigkeit erhebt.

Der Tod ist somit etwas erschreckend Wirkliches und Unvermeidliches. Er scheint das einzig Wirkliche inmitten der Unwirklichkeit dieser Welt zu sein. Jeder, ob reich oder arm, König oder Bettelmann, jung oder alt, gesund oder krank, muß durch die Falltür des Todes gehen, ob er es will oder nicht. Man mag lange oder kurz, hundert Jahre oder nur eine Weile leben, aber man kann nicht ewig ein und dieselbe Lebensform behalten. Sie wird im Laufe der Zeit mit Sicherheit verfallen und zu einer bleiernen Last werden, als trüge man einen schweren Mühlstein um den Hals. In völliger Verzweiflung mag man dann aufschreien und in seiner Qual flehen, von der großen inneren Bürde, die an einem hängt, erlöst zu werden:

Weder Könige noch Bettler bleiben
alle gehen; jeder zu seiner Zeit.
                                     Ramkali M.1

Ein Moslem-Heiliger rät daher:

Dein ganzes Leben lang hast du den Tod anderer beklagt,
warum hältst du nicht eine Weile inne, um über dein
eigenes Geschick nachzudenken?

Ist der Tod ein schmerzvoller Vorgang? ist die nächste Frage. Bei den meisten ist es so, um eine allgemeine Antwort zu geben. Die Schriften berichten uns von dem qualvollen Schmerz, den ein Sterbender im Tod erleidet. Im Bhagvad Purana heißt es, daß die schrecklichen Todesqualen, die einem widerfahren, so groß sind, als würde man von einer Million Skorpione auf einmal gestochen. Der Koran vergleicht den Todeskampf mit der Situation eines Menschen, dem ein Dornbüschel von einem Ende des Verdauungskanals bis zum anderen gezogen wird. Die Sikh-Schriften drücken es ganz ähnlich aus: Die Lebensströme werden herausgezogen. Alle diese Darlegungen verdeutlichen nur das Ausmaß der Qual, die einer erleidet, wenn die Todesengel erscheinen, um den Geist gewaltsam aus dem Körper zu nehmen. Was in dem Augenblick tatsächlich geschieht, weiß allein der Sterbende. Niemand, der den Tod wirklich erfahren und die Grenzen des Totenreichs überschritten hat, ist je von dort zurückgekehrt, um uns Genaues über seine Leiden zu berichten. Jeder leidet für sich und wird für immer still. Auf dem Totenbett zu liegen ist eine wahre Kreuzigung, und das Sterbezimmer gleicht einem Leichenhaus. Man kann schwerlich davon unberührt bleiben, wenn sich Menschen tagelang mit einem Röcheln in der Kehle ruhelos hin- und herwerfen und auf dem Sterbelager in äußerster Agonie vor Schmerzen krümmen. Wer kann die Qualen des Todes lindern? Alle stehen hilflos dabei: die besten Ärzte verabreichen bis zuletzt Drogen, die betreuenden Krankenschwestern, die auf Zehenspitzen gehen, und die nächsten Verwandten und Freunde, weinend, mit traurigem Blick und bedrücktem Gesicht, und alle erwarten das unvermeidliche Ende. Wer hört das mitleiderregende Weinen ds armen Opfers und der Lebensgefährten, seiner Frau und der Kinder?

Während die Frau mit aufgelöstem Haar klagt,
geht die einsame Seele ihren Weg allein.
                                                                Kabir

Über Alexander den Großen (356 - 326 v. Chr.), König von Mazedonien und Eroberer der damals bekannten Welt, wird berichtet, daß man ihm prophezeit habe, er werde erst dann sterben, wenn die Erde aus Stahl und der Himmel aus Gold sei. Da keines von beidem möglich sein konnte, wähnte sich der König auf ewig in Sicherheit. Er bildete sich ein und glaubte daran, daß er wie die olympischen Götter unsterblich sei. Als er nach langen und mühsamen Feldzügen im fernen Osten auf dem Rückweg nach Griechenland war und durch eine Wüste in der Nähe von Babylon kam, wurde er von Fieber befallen. Da er sich nicht mehr im Sattel halten konnte, half man ihm abzusteigen; und einer seiner Generäle breitete sein Panzerhemd auf dem Boden aus, das mit Samt gefüttert war, und ließ den König darauf niederlegen. Über seinem Gesicht spannte er seinen goldbestickten Schirm auf, um ihn vor den sengenden Strahlen der Wüstensonne zu schützen. In diesem Augenblick erkannte der große Held so vieler Schlachten, der unbesiegbare Eroberer, daß sein Ende nahe war, denn jetzt lag er auf stählernem Boden mit einem goldenen Dach über sich. Große Bestürzung überkam ihn. Mit Tränen in den Augen wandte er sich an die besten Ärzte, die ihn betreuten, und flehte sie an, etwas zu tun, um ihn noch einmal zu retten, damit er die Heimat erreichen und seine Mutter aufsuchen könne, die er sehr liebte. Aber sie alle brachten ihre Hilflosigkeit zum Ausdruck. Er bot ihnen zuerst die Hälfte seines Königreiches an und dann das ganze, wenn sie mit ihrer ärztlichen Kunst so viel Aufschub verschaffen könnten. Doch wer konnte schon helfen, den göttlichen Ratschluß aufzuhalten? Als am zehnten Tag der Krankheit seine Generäle einer nach dem anderen durch das Zelt des sterbenden Königs gingen, nahm er von ihnen Abschied und ordnete an, daß bei seinem Begräbnis beide Hände aus dem Leichentuch herausschauen sollten, damit alle sehen konnten, daß ein großer Herrscher die Welt mit ebenso leeren Händen verläßt, wie er sie betreten hat.

Ähnliches hören wir in der traurigen Geschichte einer großen und begabten Königin, die ein gewaltiges Reich regierte. Sie wurde von ihrem Volk wegen ihrer ungewöhnlichen Schönheit verehrt und wegen ihrer Klugheit bewundert. Sie hatte eine lange Zeit gut und weise regiert. In Reichtum und Glanz aufgewachsen und von Hunderten von Dienern umgeben, konnte sie keinen Augnblick glauben, daß es so etwas wie den „Tod“ gäbe. Als ihr Ende nahte, überfiel sie tiefe Betrübnis und quälender Schmerz. Die königlichen Ärzte an ihrem Bett konnten nichts tun, um ihre Qualen und Ängste zu mildern. Da ihr der Tod ins Gesicht sah, versuchte man, sie zu trösten, und riet ihr, sich auf die letzte Reise vorzubereiten. „Wie?“ rief sie in ihrem Schrecken aus und wollte wissen, wohin sie gehen werde. „Ach, in das Land, aus dem es keine Rückkehr gibt“, war die einfache Antwort.
Sie traute ihren Ohren nicht. „Träume ich?“ fragte sie. „Nein Majestät, Ihr werdet gehen müssen.“
„Gibt es ein Land, aus dem man nicht wiederkommt? Und wenn ja, wo ist es?“

„Es ist weit von dieser Welt entfernt“, erwiderten die Höflinge. „Konntet ihr es nicht rechtzeitig für mich ausfindig machen? Und welche Vorbereitungen habt ihr getroffen, mir den Aufenthalt dort angenehm zu machen?“ fragte die Königin. „Keine, Eure Majestät.“

„Wie viele von euch werden mich in dieses Land begleiten?“ erkundigte sich die erschrockene Königin.
„Ihr werdet allein gehen müssen, ganz auf Euch gestellt“, antwortete das Gefolge.
„Wie viele Diener werde ich mitnehmen dürfen?“
„Keinen, nicht einen.“

So groß ist in der Tat unsere Unwissenheit über die Wirklichkeit des Lebens. Wir sind klug, sehr klug in den alltäglichen Dingen der Welt. Doch wie seltsam es auch anmutet, wir wissen nichts über die unerbittliche Gerechtigkeit, die uns alle erwartet, und daß wir, wie alle anderen, ganz allein und mit leeren Händen gehen müssen. „Nackt kam ich in die Welt und nackt werde ich gehen“, sagt der Hymnendichter. Dies ist das unvermeidliche Geschick aller. Weinend kommen wir in die Welt und weinend verlassen wir sie wieder. Daß wir weinend kommen, ist verständlich. Ein neugeborenes Kind weint, wenn es aus dem Mutterleib kommt, denn es wird vom Licht der Lichter, dem Licht des Lebens, getrennt, von dem es, mit dem Kopf nach unten liegend, während der Schwangerschaft erhalten wurde. Das ist der Grund, warum wir im allgemeinen nach der Geburt des Kindes für einige Nächte irgendein Licht brennen lassen; und immer wenn es schreit, wenden wir sein Gesicht diesem Licht zu, oder wir rasseln mit einer Klapper, um es zu erheitern oder zu beruhigen. Aber warum sollten wir bei unserem Weggang weinen, wenn wir doch in die Obhut unseres liebenden Vaters zurückgehen? Wir hatten die Möglichkeit, uns durch bewußte Arbeit auf dieses Ziel hin mit der Lebensschnur im Innern wieder zu verbinden. Doch unentschlossen wie wir sind, kümmern wir uns nicht darum, und die menschliche Exisenz war von der Wiege bis zur Bahre nutzlos. Wenn diese günstige Gelegenheit einmal versäumt ist, gehen wir auf der Stufenleiter unserer Existenz abwärts. Der Fall von der obersten Sprosse der Leiter ist in den meisten Fällen verhängnisvoll: die mit der Welt geknüpften und jahrelang ausgedehnten Beziehungen zu zerreißen ist schmerzlich und der Weggang äußert bitter, und dies umso mehr, als uns die fristlose Kündigung gänzlich unvorbereitet trifft. Wir wissen nicht, wie wir das Mietshaus verlassen und wo wir hingehen sollen. Die Aussicht, ins unbekannte geworfen zu werden, wofür wir das Leben nach dem Tod halten, verwirrt uns. Dies alles versetzt uns in Schrecken, einen unvorstellbaren Schrecken schlimmster Art. Deshalb heißt es:

Denke an den Tag, als du weinend in die Welt kamst,
zur Freude derer, die um dich waren.
Lebe so, daß du lachend scheiden kannst,
während alle anderen weinen und klagen.

Francis Quarles (1592 - 1644), ein Dichter der Mystik, sagt über den Tod: „Wenn du den Tod als einen Freund erwartest, sei bereit, ihn willkommen zu heißen; erwartest du ihn als Feind, bereite dich vor, ihn zu überwinden. Der Tod hat nur dann die Oberhand, wenn er als Fremder kommt.“ Hierin liegt der Unterschied zwischen der östlichen und der westlichen Denkweise über den Tod. Paulus, der den Tod als „den letzten Feind des Menschen“ (1. Kor. 15,25) bezeichnet, hat gesagt, daß er täglich sterbe (1. Kor. 15,55), und er fragt höhnisch: „Tod, wo ist dein Stachel?“ Die östlichen Weisen begrüßen ihn als Gelegenheit, sich mit dem Geliebten zu vereinigen. Die Folgerung ist jedoch in beiden Fällen die gleiche: der Tod ist uns nur dann überlegen, wenn er plötzlich und schnell wie ein unerwarteter Fremder kommt - weder als Freund, auf den man wartet, noch als gefürchteter Feind - und wir völlig unvorbereitet sind, ihn zu empfangen oder seiner Herausforderung zu begegnen. Jene, die auf ihn vorbereitet und immer gerüstet sind, lassen ihn ein, heißen ihn willkommen, betrachten ihn als Heimkehr und als Mittel zur Vereinigung mit dem Geliebten. Ein wahrer Gottliebender wird, selbst wenn er als Ketzer zum Tode verurteilt wurde, seinen Kopf freudig auf den Richtblock legen und flehentlich den Scharfrichter herbeirufen und ihn bitten, seinem Körper mit dem Schwert ein rasches Ende zu machen, da er darin das Licht seines Geliebten (Gott) widergespiegelt sieht. Denn was ist schließlich der Tod? „Der Tod“, sagt Euripides, „ist eine Schuld, die wir alle begleichen müssen.“ Wenn dies der Fall ist, warum zahlen wir dann nicht die Schuld, um für immer von der Verpflichtung frei zu sein? Der Körper ist das Lösegeld oder die Mitgift, die die Seele einbringen muß, um Befreiung vom Gesetz der ausgleichenden Gerechtigkeit zu erlangen.

Um eine gewisse Vorstellung von dem zu haben, was nach dem Tod geschieht, wollen wir noch einmal die heiligen Schriften untersuchen. Die Meister teilen die Menschheit in vier Gruppen ein. An erster Stelle kommen jene, die nicht das Glück hatten, bei einem Sant Satguru Zuflucht zu finden; und diese bilden eine beachtliche Menge. Sie müssen ganz allein gehen, jeder für sich, ohne irgendeinen Freund oder Gefährten. Alle diese Seelen haben vor dem gerechten Gott (Dharam Rai) zu erscheinen und sich seinem Urteil zu beugen. Er hält ein strenges und unnachgiebiges Gericht, ohne Mitleid und Erbarmen, nach dem Grundsatz: „Wie du säst, so wirst du ernten.“ Es wird das unerbittliche Gesetz des karma genannt, das schonungslos wirkt. Dieses Gesetz nimmt keine Rücksicht auf ungewöhnliche Umstände und duldet keine Ausnahme: „Rasse oder Standeszugehörigkeit gelten hier nicht; man erhält den Lohn entsprechend seiner Taten.“ (Asa M.3). „Einen jeglichen dünkt sein Weg recht; aber der Herr wägt die Herzen“ (Sprüche 21,2). Zur festgelegten Zeit, die keiner kennt, kommen die guten oder bösen Engel (Ramgans oder Yamgans), wie der Fall gerade liegt. Sie nehmen die Seele gewaltsam aus dem Körper, und man muß mit ihnen gehen. Sie bringen sie vor den Richterstuhl, wo jeder über seine Gedanken, Worte und Taten Rechenschaft ablegen muß. „Du Tor, glaubst du, weil kein Boswell da ist, deine Rede aufzuzeichnen, sie darum vergeht oder verborgen bleibt? Nichts vergeht, nichts kann vergehen. Das unwichtigste Wort, das du sprichst, ist eine Aussaat in die Zeit, welche Frucht trägt in alle Ewigkeit.“ (Carlyle). Jesus hat in unmißverständlichen Worten gesagt: „Ich sage euch aber, daß die Menschen müssen Rechenschaft geben am jüngsten Gericht von einem jeglichen unnützen Wort, das sie geredet haben. Aus deinen Worten wirst du gerchtferigt werden, und aus deinen Worten wirst du verdammt werden.“ (Matth. 12,36-37).

Alle Gedanken, Empfindungen und Gefühle, alle Worte, die absichtlich oder unabsichtlich ausgesprochen werden, und alle Handlungen, die man bedacht oder unbedacht ausübt,hinterlassen unauslöschliche Eindrücke (sanskaras oder naqsh-i-amal) im Gemüt, und nach dem Tod muß man dafür Rechenschaft ablegen. Es geschieht alles in einem Schnellverfahren, aber gerecht, ohne logische Zergliederung und Beweisführung, und man kann an keine höhere Instanz appellieren, noch besteht irgendeine Möglickeit, davon befreit zu werden. Wer sich sein ganzes Leben lang sündigem Tun hingegeben hat, muß in die Hölle gehen (Narak oder Dozakh), wo er für eine bestimmte Zeit die Strafe abzubüßen hat, die er nach seinen Taten verdiente, um sich dadurch von den üblen Eindrücken freizumachen und das Gesetz zu verstehen, das letzten Endes zu seinem Besten wirkt. Wenn die zugemessene Zeit vorüber ist, wird ihm, befreit von dem Übel, das jetzt abgewaschen ist, durch eine weitere Geburt Gelegenheit gegeben, ein besseres Leben zu führen, einen neuen Anfang zu machen, indem er die Fallgruben de Vergangenheit meidet. Wenn man ein Leben der Rechtschaffenheit führt, erhält man einen Platz im Himmel oder Paradies (Swarg, Baikunth oder Bahisht), wo man sich eine Zeitlang der Früche seiner guten Taten erfreut, um dann ebenfalls wieder auf die irdiche Ebene zurückzugehen. Darum bewegen sich alle Menschen, die auf dem karmischen Rade des Lebens befinden, auf und ab, von ihren eigenen Taten unaufhörlich angetrieben. Es gibt kein Entrinnen von diesem gewaltigen, sich ewig drehenden Rad, bis man durch eine günstige Schicksalswendung einem Sant Satguru begegnet, dieser einen annimmt und einem dabei hilft, herauszukommen und den Gottespfad zu betreten. Die Seelen, die aus der Unterwelt des Pluto kommen, arbeiten sich allmählich von den Mineralien zum Pflanzenreich hinauf und von dort zur Welt der Insekten und Reptilien, weiter zu den gefiederten Brüdern, dann zu den Vierfüßlern und schließlich zum Menschen.

Nachdem das Rad der Vierundachtzig durchlaufen war,
hast du den höchsten Punkt erreicht.
O Nanak, ergreife jetzt die Kraft Gottes und sei
auf ewig frei!
                                                                Shri Rag M.5

Selbst die Devas oder Gottheiten, die verschiedenen Götter und Göttinnen, von denen es heißt, daß sie in Regionen der Glückseligkeit regieren, befinden sich dort aufgrund ihrer besonders verdienstvollen Taten auf den niedrigeren Ebenen. Sobald sie den erworbenen Lohn erhalten haben, müssen auch sie in die physische Welt zurückkehren. Der gesegnete Lord Krishna, der Verehrungswürdige, erklärte einmal Udhav, einem seiner ergebenen Schüler, das Wirken des karmischen Gesetzes, indem er auf ein Insekt zeigte, das im Schmutz kroch: „O Udhav, dieses Insekt, das du vor dir siehst, ist oft Indra, der Gott des Regens und des Donners, gewesen, der wiederholte Male im Schmutz gewühlt hat. Dies ist tatsächlich das Schicksal aller.“

Selbst Avatare oder Inkarnationen, die Verkörperungen der göttlichen Kräfte, sind gegen das unbeugsame Wirken des Karmischen Rades nicht gefeit und werden zur Rechenschaft gezogen. Ein Avatar steht wie ein Soldat nicht außerhalb des Zivilgesetztes, sondern ist diesem genauso verantwortlich, wie er mit seinen Verpflichtungen dem Militärgesetz untersteht, das für seinen Stand maßgeblich ist. Selbst wenn er unter dem Befehl der Vorgesetzten seine Pflicht erfüllt, was für ihn Gesetz ist, kann er dennoch gegen eine Bestimmung des Zivilgesetztes verstoßen. Er hat sich in zweifacher Weise zu verantworten: einmal vor dem militätischen Gesetz, das ihn verpflichtet, genau auszuführen, was die Offiziere befehlen, da er sonst vor ein Kriegsgericht gestellt wird, und zum anderen vor der zivilen Verwaltung, wenn ihm nachgewiesen wird, daß er bei der Ausübung seiner Pflichten seine Befugnis überschritten hat.

Die Götter, Göttinnen und Inkarnationen der verschiedenen göttlichen Kräfte gehören daher zu dieser Gruppe, soweit das Gesetz des Karmas reicht. Totz ihrer bevorrechteten Stellung stehen sie und alle Engelscharen unter dem Gestz, nicht darüber. Deshalb verlangen auch sie nach der menschlichen Geburt, die ihnen die Möglichkeit bietet, Kampf und Mühsal zu entrinnen und zur Wohnstätte unvergänglichen Lebens und ewigen Friedens zu gelangen. Auch die großen Rishis erstreben, wenn ihr Ende naht, trotz all ihrer Härten und Bußen, die menschliche Geburt und ziehen sie den himmlischen Wohnstätten vor, wo sie als die Leuchtenden (Devas) weilen könnten. Sie tun es, weil sie nur auf diese Weise die günstige Gelegenheit haben, einem Satguru zu begegnen, von ihm Unterweisungen zu erhalten und sich über das unerbittliche Gesetz der Kausalität (oder das Gesetz von Ursache und Wirkung) zu erheben.

Helden wie Arjuna und die Pandava-Brüder - mit Ausnahme Yudishtras, des Dharam-putra (Verkörperung des Dharma), als der er gemeinhin bekannt war - wurden in die niederen Regionen verbannt, weil sie sich in einen Krieg eingelassen hatten, wenn auch in einen gerechten, wozu sie von keinem geringeren als dem gesegneten Lord Krishna veranlaßt wurden; denn sie konnten sich trotz all seinen Ermahnungen nicht von der Vorstellung lösen, selbst der Handelnde zu sein.

Von Lord Krishna selbst wird gesagt, daß er den Tod durch den Pfeil eines bhil [Urbevölkerung in Ostindien, Teil des Drawidenstammes] fand, der ihn versehentlich traf. Damit beglich er sein vergangenes Karma, das er lange Zeit vorher als Rama verursacht hatte, als er aus der Deckung eiens Baumes den unbesiegbaren Bali, einen Herrscher des Waldes, durch sein Geschick im Bogenschießen tötete. Es mag erwähnt werden, daß Rama und Krishna in verschiedenen Zeitaltern Inkarnationen von Lord Vishnu waren.

Ähnliches wird von König Dasrath, dem Vater von Rama, berichtet. Als er eines Nachts im Wald jagte, hörte er einen glucksenden Ton. Es schien ihm, als ob ein wildes Tier in dem nahegelegenen Schilf- und Binsendickicht Wasser schlürfte. Von dem Geräusch geleitet, lenkte er seinen Pfeil in die Richtung und traf einen jungen Mann names Sarwan. Dieser war zum Flußufer gegangen, um einen Einer Wasser für seine blinden und durstigen Eltern zu holen, die er in einem Korb auf seinen Schultern trug und gerade in einiger Entfernung zurückgelassen hatte. Als der König die jämmerlichen und qualvollen Schreie seines Opfers vernahm, eilte er zu dem Sterbenden, der ihm seine Lage beschrieb und ihn bat, das Waser zu seinen Eltern zu bringen. Grambeladen ging der König zu dem alten Paar und brachte ihm die Unglücksbotschaft. Sie konnten diesen plötzlichen Schlag nicht überwinden und starben, wobei sie ihr Los beklagten und dem unbekannten Täter ein Schicksal wünschten, das dem ihren glich. Zur gegebenen Zeit ereilte den König dasselbe Los, als der durch die Qualen der Trennung von seinem Sohn Rama, der für vierzehn lange Jahre verbannt worden war, dem bitteren Todesschmerz erlag. So sucht Nemesis (die Göttin der ausgleichenden Gerechtigkeit) einen jeden heim, wenn seine Zeit gekommen ist, und vergilt ihm durch das, was ihm gebührt. So kommt jeder auf seine Weise in die Welt und geht unter der zwingenden Gewalt des Karmas aus ihr hinaus in das Tal des Todes.

erden, aber aus dem einen oder anderen Grund nicht in der Lage sind, die Verbindung mit dem Wort in einem genügenden Ausmaß zu entwickeln, sei es, weil sie sich den Sinnesfreuden hingeben, oder aus Trägheit, Gleichgültigkeit oder sonst einem Grund. Ihre Stellung ist eine andere als die der ersten Gruppe. In der Todesstunde, wenn sich die Sinneströme vom Körper zurückzuziehen beginnen, oder ein wenig eher, erscheint ihnen der Satguru innen in seiner strahlenden Form, um sich der scheidenden Seele anzunehmen. Seine strahlende Form erfreut das Herz des Ergebenen, und er vertieft sich so sehr in ihn, daß alle Bindungen an die Welt wie Blätter im Herbstwind von ihm abfallen; furchtlos und voller Freude folgt er ihm in den Schatten des Todes. „Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir“, sagt der Psalmist (23,4). Und dies ist in der Tat sein Gelöbnis: „Jedermann, ich will mit dir gehen und dein Führer sein, in der größten Not will ich dir zur Seite stehen.“ Und wiederum: „Ich will dich nicht verlassen noch versäumen bis an der Welt Ende.“ Der Meister behält die Angelegenheiten des Schülers ständig im Auge. Er ist immer bei ihm in Freude und Leid. „Er steht ihm selbst vor dem Richterstuhl Gottes zur Seite“, sagt Nanak. Bei den Heiligen (Darveshs) gibt es keine Abrechnung über die Taten ihrer Schüler. Der Meister ist alles in allem, der einzige, der über die Taten des Schülers zu richten und zu urteilen hat, ob diese nun redlich oder unredlich sind; und er hält es mit ihnen, wie er es für richtig findet. „Denn wie der Vater das Leben hat in sich selber, so hat er auch dem Sohn gegeben, das Leben zu haben in sich selber, und hat ihm macht gegeben, Gericht zu halten, weil er des Menschen Sohn ist“ (Joh. 5,26-27). Aus großer Besorgtheit um den Schüler sagt Nanak mit allem Nachdruck:

Liebe den wahren Meister und erwirb die wahren Schätze;
Wer an ihn bis zuletzt glaubt, den wird der Meister
wahrhaft erretten.
Wie wandernde Geister steigen die vom Gemüt
Beherrschten auf und ab,
Tiere in Menschengestalt - ganz und gar des
Lichts beraubt.
                                                                     Malar War.1

Entfernung hat für den wahren Meister keine Bedeutung. Die Meisterkraft erscheint im letzten Augenblick oder schon früher, wo auch immer der Schüler sein mag, nah oder fern, und läßt ihn wissen, daß die unvermeidliche Stunde seines Scheidens von der Welt unmittelbar bevorsteht und der Meister daher kommt, ihn zu begleiten. Die leuchtende feinstoffliche Form des Meisters führt den Geist in höhere Regionen und weist einem jeden den angemessenen Platz zu, der ihm entsprechend seinen Sadhan oder der Praxis des heiligen Wortes bei Lebzeiten zusteht. Zugleich gibt er ihm die notwendigen Weisungen für eine weitere und bessere Entwicklung auf dem spirituellen Pfad. „In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen. Wenn’s nicht so wäre, würde ich dann zu euch gesagt haben: Ich gehe hin, euch die Stätte bereiten, so will ich wiederkommen und euch zur mir nehmen, damit ihr seid, wo ich bin.“ (Joh. 14,2-3). Wenn einer wegen seiner Nachlässigkeit bestraft werden muß, tut er das selbst, doch liefert er einen nie dem Höllenfeuer aus. Der König des Schattenreiches, der die göttliche Waage der Gerechtigkeit hält und jeden nach seinen Taten richtet, hat keine Macht über die bewährten Schüler des Meister, denn sie leben „im Namen des Herrn, der eine feste Burg ist“ (Sprüche 18,10). Es ist ihm nicht gegeben, über sie zu richten und eine Strafe zu verhängen. In allen diesen Fällen entscheidet der Meister selbst und handelt so, wie er es für richtig hält. „Der Herr hat Gefallen an denen, die ihn fürchten, die auf seine Güte hoffen.“ (Ps. 147,11). Und wiederum heißt es: „Denn welchen der Herr liebhat, den züchtigt er, denn er straft einen jeglichen Sohn, den er aufnimmt.“ (Hebr. 12,6). Kurz gesagt:

Jene, die den Meister lieben, sind niemals allein,
noch sind sie jemandem Rechenschaft schuldig oder
haben Qualen zu erleiden.
                                                          Gujri War M.3

Aber solche Initiierte, die keine Liebe für die Welt haben, werden nicht auf der irdischen Ebene wiederverkörpert, wenn der Meister es nicht aus einem besonderen Grund für notwendig hält. In einem solchen Fall geht man nicht die Stufenleiter hinunter, sondern wird in eine Familie frommer und gläubiger Eltern wiedergeboren, so daß der Neugeborene leicht mit einem Meister-Heiligen in Verbindung kommt und schon im frühen Alter seinen Weg heimwärts völlig ungehindert fortsetzt, denn die vom Sämann (dem Meister) gelegte Saat des Wortes bleibt immer in den Tiefen seiner Seele und kann nicht anders, als zu gegebener Zeit durch das Wasser des Lebens, das er mit Sicherheit von dem Meister seiner Zeit bekommt, aufzugehen, zu blühen und Frucht zu tragen. „Die Gabe des Gurus kann einem niemals genommen werden. Der sie verliehen hat, ist in der Lage, einen ans andere Ufer zu bringen.“ (Maru M.1). „Wenn ein Sant die Saat einmal gesät hat, hat keiner die Macht, sie zu vernichten.“ (Soami Ji).

Hafiz, der Mystiker und Dichter aus Persien, sagt:

Sei dessen gewiß, daß es am Tag des Gerichts
im Land der Heiligen (Darveshs) keine Abrechnung
der Taten gibt.

Shamas-i-Tabrez, ein anderer großer Mystiker Persiens, sagt:

Der Tod zerbricht den Käfig und läßt den Geist frei.
Der Tod hat keine Macht über den Phönix, der stirbt,
um sich wieder zu erheben.
Warum sollte ich nicht in meine wahre Heimat zurückfliegen?
Warum sollte ich säumen in der irdenen Form?

Und weiter:

Die Liebenden wissen, wo und wie sie sterben müssen,
sie begrüßen den Tod und nehmen ihn freudig an
als eine Gabe des Geliebten:
mit dem geöffneten inneren Auge sehen sie die Herrlichkeit
Gottes,
wo andere blindlings in die Sackgasse gedrängt werden.
Während die Liebenden glücklich dem Herrn entgegengehen,
sterben die Unwissenden einen schrecklichen Tod.
Die ihre Nächte in Gottesfurcht durchwachen,
haben nichts im Leben zu bereuen, noch zu hoffen oder 
fürchten;
während sie hier Seinen Blick der Gnade suchen,
gehen sie weiter in Seine heilige Gegenwart.

Zur dritten Gruppe gehören solche Menschen, die aus den Unterweisungen des Meisters das Beste machen, aber noch nicht die Vollendung erreicht haben, obwohl sie auf dem Weg dorthin sind. Diese Seelen kennen schon im voraus Tag und Stunde ihres Weggangs. Da sie mit dem Todesvorgang völlig vertraut sind und jeden Tag eine Erfahurng davon haben, fürchten sie den Tod nicht, denn sie kennen sein schattenhaftes Wesen. Sie erwarten im Gegenteil shnsüchtig die festgesetzte Zeit und legen die abgetragene sterbliche Hülle freiwillig ab, so wie sie sei bei ihrem Eintritt in die Welt angelegt hatten. Sie kennen einige Ebenen der höheren geistigen Welt, die sie täglich mit der Meisterkraft durchqueren, und kennen genau die Ebene, zu der sie zuletzt für ihren Aufenthalt nach dem Tode gehen müssen. Dort leben sie eine Zeitlang und arbeiten für ihren Aufstieg zu noch höheren Regionen. Sie leben ständig bewußt in der Liebe zum Meister, und die Meisterkraft ist immer in ihnen. Er ist ihre Hauptstütze und ihr Halt, und sie schulden keinem anderen Treue. „Regiert euch der Geist, so seid ihr nicht unter dem Gesetz“ (Gal. 5,18).

Nicht zuletzt kommen die vollendeten Seelen. Sie sind zu Lebzeiten befreite Wesen (jivan mukats) und leben ein freies Leben des Geistes. Sie wissen weit vor der Zeit genau, wann sie zur Wohnstatt des Herrn zurückzukehren haben, erwarten mit Freude die Stunde, in der sie aufgefordert werden, den Körper zu verlassen, und heißen die Art und Weise willkommen, in der dies zu geschehen hat, sei es am Kreuz oder am Galgen, auf glühendheißen Eisenplatten oder auf dem Richtblock. Ohne eigenen Willen leben sie im Willen Gottes und nehmen den Tod freudig an als Mittel zur Vereinigung mit dem Geliebten. Sie achten nicht darauf, ob es ein schneller oder langwieriger Todesvorgang ist, wie er manchmal von den religiösen Eiferern und tyrannischen Kirchenfürsten und Machthabern verhängt wird; denn dies ist der Zeitpunkt ihrer höchsten Wonne. Von da an führt sie jeder Augenblick dem Ende ihres Lebens zu. Es kümmert sie nicht, ob ihnen bei lebendigem Leibe die Haut abgezogen wird, ob sie in Stücke geschlagen oder am Pfahl verbrannt werden, ob man ihnen den Schierlingsbecher reicht oder sie zusammen mit Verbrechern ans Kreuz schlägt. Sie reichen dem Tod entschlossen die Hand, wenn er zu ihnen kommt, ganz gleich, in welcher Form. Dies ist der Weg, den Gurmukhs, Heilige und Propheten gehen.
Von Guru Amar Das wird gesagt, daß er, als die Zeit seines Todes näherkam, den Sangat (Gemeinschaft) rufen ließ und sich mit folgenden Worten an ihn wandte: „Ich gehe zurück zum Herrn (Hari). Niemand sollte um mich weinen. Wer es dennoch tut, wird mein Mißfallen erregen. Wenn ich gegangen bin, seid alle in die stille Musik der Seele vertieft.

Ähnlich sagte Shamas-i-Tabrez: „Am Tag meines Todes, wenn die Bahre langsam weggetragen wird, denkt keinen Augenblick, daß ich dem Leben in irgendeiner Weise nachtrauere. Wenn ihr meinen Sarg seht, sprecht kein Wort der Trennung aus, denn dann allein bin ich mit dem Herrn vereint. Wenn ich mein Gesicht von der Welt abwende, sehe ich mich der ewigen Wirklichkeit gegenüber.

Hazoor Baba Jaimal Singh Ji Maharaj hatte den Zeitpunkt, an dem er gehen würde, lange vorher vorausgesagt. Als er sich dem Ende seienr irdichen Pilgerreise näherte, sagte er: „Ich gehe zurück in meine Heimat, und niemad soll mich drängen zu bleiben. Meine Mission in diesem Leben ist beendet, und ich habe unermeßliche spirituelle Reichtümer gesammelt. Ich gehe glücklich zur Wohnstatt des Herrn.“

Es ist ein Frevel, das Ableben von Heilgien zu beweinen und zu beklagen, da sie in ihre wahre Heimat zurückkehren. Man mag, wenn man will, viele Tränen über den Tod eines weltlich Gesinnten vergießen, der vom Herrscher der Unterwelt gewaltsam aus dem Körper vertrieben und herausgezogen wird und in einem gewundenen Auf und Ab die verschiedensten Prozesse durchläuft: „O Kabir, warum einen Heiligen beweinen, der in seine Heimat zurückkehrt? Beweine, wenn du willst, einen Weltklugen, der von einem zum anderen gestoßen wird.“
Wenn Heilige zurückgerufen werden, erhalten sie nach der Vollendung ihrer Mission einen Ehrenplatz in Gottes Reich. Einen solchen Tod zu sterben ist ein seltenes Vorrecht und ein wirklicher Segen, der den Neid mächtiger Kaiser und Könige erregen könnte.

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